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Predigt

Predigt im Päpstliches Athenaeum San Anselmo

22. Oktober 2025
San Anselmo, Rom

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Schwestern und Brüder,

wir feiern heute Johannes Paul II. Das ist wahrscheinlich der Papst, den die meisten von Ihnen noch ganz präsent haben – nicht zuletzt deswegen, weil er so lange Papst war: von 1978 an bis 2005. Und diesem Papst haben wir die Wiederbegründung des Erzbistums Hamburg zu verdanken. 1995 hat er die Diözesen in Norddeutschland neu geordnet und dabei auch Hamburg wieder begründet und in den Rang eines Erzbistums erhoben. Wir sind also mit ihm sehr stark verbunden.

Deswegen steht direkt neben unserem Dom, am Domherrenfriedhof, eine Skulptur dieses Johannes Pauls, die viele von Ihnen wahrscheinlich kennen. Ich finde sie sehr schön, weil er dort nicht als Triumphator, sondern als der alte, auch als der leidende Papst dargestellt wird. Und ich bin immer wieder überrascht, wenn ich am Dom vorbeikomme, zu sehen, wie viele Menschen an diesem Bildnis stehen bleiben – und nicht nur schauen, sondern beten.

Unsere polnischen Mitchristen, die natürlich ein besonderes Faible für ihren Landsmann haben, stellen ihre Blumen und ihre Kerzen auf und drücken dadurch ihre Verehrung aus. Wahrscheinlich haben Sie auch hier in Rom an vielen Stellen sein Bildnis gesehen – manche Fotografien, manche Inschrift, die daran erinnert: Hier ist er gewesen, hier hat er dieses oder jenes getan. Ich glaube, er hat in den vielen Jahren seines Pontifikates ganz viele Spuren hier in Rom und in der Welt hinterlassen.

Vielleicht sind einige von Ihnen auch am Bahnhof Termini gewesen. Dort wird im Moment umgestaltet, aber auf dem riesigen Bahnhofsvorplatz gibt es ein Monument von Johannes Paul II., auf das ich heute Nachmittag Ihren Blick lenken möchte. Eine ganz große, überlebensgroße Figur, die ein Künstler anlässlich seiner Seligsprechung im Jahr 2011 aufgestellt hat.

Ziemlich anders als das Bild in Hamburg. Das Erste, was auffällt: eine Riesengestalt! Die Figur bei uns in Hamburg ist dagegen geradezu klein. Hier ist sie überlebensgroß – eine Säule von Menschen. Und vielleicht ist das schon die erste Botschaft dieses Bildes an uns.

Dieser Mann, der ganz aus seinem Glauben gelebt hat, wird zu einer Säule, zu etwas Großem. Das ist, glaube ich, immer der Fall: Wenn wir mit Gott mitspielen, wenn wir uns auf seine Pläne einlassen, dann werden wir nicht kleiner, nicht gedrückter, sondern wir wachsen – über uns selbst hinaus. Geradezu wie eine riesige Säule.

Bei der Berufung des Propheten Jeremia sagt Gott: „Ich mache dich zu einer eisernen Säule.“ Und irgendwie spiegelt sich das bei Johannes Paul II. wider. Christsein gründet immer in der persönlichen Ansprache durch Gott. Immer – anders geht das gar nicht. Gott will etwas von dir.

Durch Zeichen ruft er dich an. Und Berufung ist bei Weitem nicht nur etwas für Mönche und Nonnen, sondern jeder Christ ist ein Gerufener. Die Kirche als Ganze ist die Gemeinschaft der Berufenen.
„Kirche“, Église – das sind alle, die diesem Ruf Gottes folgen. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir immer wieder auf diesen Ruf hören. Er mag sich in großen Dingen zeigen und lebenswichtige Entscheidungen hervorrufen, aber er ist auch ein Ruf, der jeden Tag neu ausgeht: Was willst du, Herr, dass ich heute tun soll?

Das kann von Tag zu Tag ganz unterschiedlich aussehen. Johannes Paul II. hat darauf gehört. Sie wissen vielleicht: Er wollte ursprünglich einmal Schauspieler werden – und er hat das auch getan, in Krakau, auf manchen Bühnen. Aber der Ruf Gottes war stärker, und er hat sich darauf eingelassen.

Liebe Schwestern und Brüder, wenn man diese Figur weiter anschaut: Sie ist nicht nur riesengroß wie eine eiserne Säule, sondern sie öffnet sich. Und wenn keine Absperrung da wäre, könnte man gewissermaßen in die Figur hineingehen. Bei mir ruft das die Erinnerung an eine der vielen Reisen hervor, die Johannes Paul II. unternommen hat. Er trug dabei oft einen roten Umhang – und wenn Wind aufkam, flatterte dieser. Bei dieser Figur denke ich daran: Er will die Menschen unter seinem Mantel bergen.

Sein ganzes Programm als Papst war darauf ausgelegt, den Menschen zu schützen. Er hat sich wahrscheinlich wie kaum ein anderer Papst für die Würde des Menschen eingesetzt – für die Würde des werdenden Menschen von Anfang an bis zum Ende des Lebens.

Eine Begegnung ist mir besonders wichtig: Als junge Theologiestudenten waren wir damals hier in Rom und hatten die Gelegenheit, morgens früh mit Johannes Paul II. in der Privatkapelle im Apostolischen Palast die Heilige Messe zu feiern. Wir kamen auf leisen Sohlen an, weil wir wussten, der Papst betet in der Kapelle. Wir waren damals 130 Leute – das machte schon ein bisschen Krach. Der Papst ließ sich durch nichts stören. Selbst als einem Mitbruder, der die Gitarre spielte, diese aus den Händen glitt – und Sie können sich vorstellen, das machte richtig Krach – blieb Johannes Paul II. regungslos im Gebet versunken. Er hat oft erzählt, dass ihm auf den Reisen – die ja sicher sehr anstrengend waren – half, wenn er sich für eine halbe Stunde in eine Kirche oder Kapelle zurückziehen und in der Stille beten konnte. Das war seine Kraftquelle. Er war in Gott geborgen.

Und wer diese Erfahrung macht, in Gott geborgen zu sein, der will andere daran teilhaben lassen. Dass auch sie etwas von dieser Geborgenheit, die Gott uns schenken möchte – vielleicht durch uns vermittelt –, erfahren können.

Manchmal ist das wie bei einer Mutter oder Großmutter, die den Arm um Kind oder Enkel legt und es in ein Tuch, eine Decke, einen Mantel birgt. Birg mich, o Gott, in deinen Händen. Sei du meine Geborgenheit.
Dabei bleibt die Figur am Bahnhof Termini aber nicht stehen. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass sie eine Steithilfe hat – und auch das passt wieder zu Johannes Paul II. Er war ein sehr sportlicher Mann, einer, der auf vielen Reisen unterwegs war.

Er war einer, der im Urlaub wanderte – ein richtiger Geher. Kein Schreibtisch-Täter, sondern einer, der davon erfüllt war, zu den Menschen zu gehen. Pausenlos. Und wenn er nicht zu ihnen ging, dann lud er sie zu sich ein. Er aß zum Beispiel fast nie allein mit seinem Sekretär, sondern immer zusammen mit Gästen. Dieses Gehen – das ist es, was später Papst Franziskus weiterführt, mit dem Gedanken: Die Kirche sollte immer im Aufbruch sein. Nicht sitzen bleiben, sondern aufbrechen, missionarisch unterwegs sein – zu den Menschen.

Das hat Johannes Paul II. uns vorgelebt. Und das hat er uns sozusagen als Vermächtnis eingeschrieben.

Ein letztes Bild, das viele wohl vor Augen haben: Als er das Heilige Jahr 2000 eröffnete, war er schon ein alter, kranker Mann. Ich sehe ihn vor mir, wie er – in einem glitzernden Kurmantelumhang – die Heilige Pforte am Petersdom eröffnete. Und weil er kaum noch gehen konnte, kniete er auf der Schwelle nieder und hielt sich an seinem Kreuzstab fest, wie an einem Wanderstab. Und als dieses Heilige Jahr 2000 zu Ende war, sagte er in einer Botschaft: Am Beginn dieses neuen Jahrtausends muss unser Schritt schneller werden – nicht langsamer, sondern schneller!

Und deswegen, liebe Schwestern und Brüder, hoffe ich, dass diese Pilgerfahrt in dieser Woche Ihnen und mir, uns allen, Beine gemacht hat. Ich glaube, Sie spüren ja Ihre Beine ein bisschen – oder Ihre Füße. Jedenfalls geht es mir so.

Vielleicht ist das gut: dass man einmal wirklich vom kleinen Zeh angefangen jedes Glied spürt und merkt, was es kann. Denn „auf Achse gehen“, in Bewegung sein, das fordert einen ganz – und hinterlässt Spuren.
Manchmal geht es auch darum, einfach den Punkt zu überwinden, aus sich herauszukommen. Die Scheu, manchmal sogar die Scham, zu überwinden und zu sagen: Jetzt mache ich das. Ich traue mich. Und Sie müssen nicht in die ganze Welt reisen wie Johannes Paul II. Machen Sie das im Erzbistum Hamburg – dort, wo Sie leben. Seien Sie dort Missionarinnen und Missionare für das Evangelium, die Frohe Botschaft.

Denn das Wichtigste ist, dass wir mit unserem Leben den Glauben bezeugen. Sie müssen keine tollen Predigten halten oder etwas ganz Besonderes tun – sondern einfach Zeugin oder Zeuge der Frohen Botschaft sein.
Und das überträgt sich – oft wunderbar, ohne dass wir es merken. Ich glaube, wenn wir so unterwegs sind, dann würde sich Johannes Paul II., der damals sicher große Hoffnungen in das neue Erzbistum Hamburg gesetzt hat, freuen und sagen: Es war keine ganz schlechte Entscheidung.

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