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Predigt

Gedenkfeier „75 Jahre Operation Gomorrha“

22. Juli 2018
Hauptkirche St. Michaelis, Hamburg

Es gilt das gesprochene Wort


Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Tschentscher,
sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Duden,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Vertreter des konsularischen Corps,
sehr geehrte Bischöfin Fehrs,
meine sehr verehrten Damen und Herren,


75 Jahre ist die Operation Gomorrha nun vergangen. 75 Jahre ist es her, dass unsere Stadt Hamburg in Schutt und Asche lag. Wir haben gehört, wie tief sich diese Wunde in die Stadt und das kollektive Gedächtnis eingegraben hat. Mir stellt sich darum die Frage, wie gehen wir heute mit diesen Ereignissen um? Wie gehen wir mit unserem Gedenken um? Die meisten von uns heute Anwesenden – wie ich selber – haben den Krieg Gott sei Dank nicht selber erlebt, kennen die Ereignisse aus Büchern oder von Zeitzeugen, wie sie heute auch unter uns sind. Wie und warum erinnern wir und geben wir Erinnerung weiter? Erlauben Sie mir, Ihnen dazu heute einige Impulse aus der Bibel zu geben. Die Bibel ist – wenn man so will – ein großes ‚Erinnerungsbuch‘ der Geschichte Gottes mit den Menschen. Sie hat ein sehr vielfältiges, ja teils paradoxes Verständnis von Gedenken und Erinnerung. Drei Punkte möchte ich gerne benennen.

Ein erster Punkt: Alleine im Alten Testament begegnet uns die Aufforderung zum Gedenken über 160 mal. Im Neuen Testament beim letzten Abendmahl fordert Jesus seine Jünger auf: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (Lk 22,19) Der Bibel ist eine sehr bewusste Erinnerungskultur wichtig: sowohl des Positiven, der Taten Gottes und dem Vertrauen und der Lebensbejahung der Menschen als Zuversicht für heute, als auch des Negativen, menschliches Versagen und Schuld als Negativbeispiel für heute. Das Gedenken, die Erinnerung wollen Orientierung geben für heute. Wir müssen die Vergangenheit erinnern, um Menschen mit Zukunft zu sein. Ja, wir erinnern die Opfer und Toten und bezeugen damit ihre unverlierbare Würde.

So gedenken wir heute der Opfer der Zerstörung unserer Stadt. Gleichzeitig wissen wir, Deutschland ist an diesen Opfern nicht unschuldig. Es war die nationalsozialistische Ideologie, ja genauer gesagt, die Menschen in Deutschland, die ihr zuhauf gefolgt sind, die diesen furchtbaren Krieg ausgelöst haben. Das hat letztlich auch den Feuersturm über Hamburg hereinbrechen lassen. Wir wollen es nicht mit Friedrich Nietzsche halten, der sagte: „Selig sind die Vergesslichen, denn sie werden auch mit ihren Dummheiten fertig.“ Nein, wir wollen nicht vergessen, wollen nicht Schuld relativieren. Wir wollen, wie es das Mahnmal St. Nikolai als Gebäude tut, die Wunde offenhalten als Mahnung für heute: Gedenke Mensch, zu was du fähig bist.

Ein zweiter Impuls: Neben dem starken Gebot zum Erinnern gibt es ein schönes Sprachbild Jesu, das zum Vergessen auffordern könnte: „Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“ (Lk 9,62) Den Apostel Paulus prägt die gleiche Radikalität: „Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist.“ (Phil 3,13) Wie passt das mit dem Gebot zum Gedenken zusammen? Ich glaube, diese Aufforderung, nach vorne zu schauen, meint nicht eine Geschichtsvergessenheit oder, noch schlimmer, Geschichtsklitterei. Im Gegenteil: Es mahnt die Lebensnotwendigkeit der Versöhnung an.

Sehr eindrücklich begegnet mir diese Haltung bei Richard Howard, dem Domdekan von Coventry während des Zweiten Weltkrieges. Coventry wurde zweieinhalb Jahre vor Hamburg von deutschen Bombern zerstört. In einem wenig später aus den Ruinen seiner Kirche übertragenen Weihnachtsgottesdienst ruft Domdekan Howard, der allen Grund zu Hass und zur Klage hätte, zu Frieden und Versöhnung auf. Wir dürfen in Deutschland zutiefst dankbar sein, dass uns nach all dem, was unser Land über Europa, ja die Welt gebracht hat, nach dem Krieg die Hand zur Versöhnung ausgestreckt wurde. Symbolisch festgehalten in den zahlreichen Nagelkreuzen, die von Coventry in die Welt und eben auch nach Deutschland verschickt wurden. Eines befindet sich auch im Mahnmal St. Nikolai.

Versöhnung ist kein billiges „Passt schon!“, sondern ein tiefes Vergeben und gemeinsam nach vorne schauen. Dankbar dürfen wir auch dafür sein, dass in aller Schuld und in allem Leid auch der Keim einer neuen Versöhnung der Konfessionen gelegt wurde. In diesem Jahr erinnern wir auch der Hinrichtung der Lübecker Märtyrer vor 75 Jahren hier in dieser Stadt. Drei katholische Priester und ein evangelischer Pastor haben im Nationalsozialismus ökumenische Verbundenheit im Dienst der Menschen gelebt und dafür mit ihrem Leben bezahlt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Bibel kennt das Gebot zum Erinnern, die Bibel kennt den Blick nach vorne und sie kennt noch ein Drittes: Sie kennt Gott, der gedenkt. Psalm 8 besingt die Größe Gottes und die Würde des Menschen: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ (Ps 8,5), fragt der Beter Gott. Gott gedenkt des Menschen. Er vergisst ihn nicht, auch nicht im Tod. Dieser Gedanke gibt uns eine tiefe Hoffnung, eine Hoffnung für all die Toten, derer wir gedenken und die wir schmerzlich vermissen. Eine Hoffnung in all der Verstrickung von Schuld und die Hoffnung, dass Versöhnung möglich ist – auch in den zahlreichen Kriegsgebieten der Gegenwart. Es ist die Hoffnung, dass das letzte Wort nicht Gomorrha, sondern Coventry ist.

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