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Predigt

Grußwort bei der Auftaktveranstaltung des interreligiösen Projekts in der Flüchtlingshilfe „Weißt du

31. Mai 2016
Berlin

Vieles, was zuvor als selbstverständlich galt, ist im vergangenen Jahr fragwürdig oder sogar brüchig geworden. So haben die großen Fluchtbewegungen aus dem Mittleren Osten die Solidarität zwischen den Ländern und Gesellschaften Europas auf eine ernsthafte Bewährungsprobe gestellt. Noch ist nicht entschieden, ob wir sie bestehen werden. Und auch in unserem eigenen Land stehen wir vor großen Herausforderungen. Den vielen Menschen, die zu uns gekommen sind, müssen wir so rasch wie möglich Perspektiven einer echten gesellschaftlichen Teilhabe eröffnen. Und zugleich gilt es, den sozialen Frieden in unserem Land dauerhaft zu sichern. Keinesfalls dürfen wir zulassen, dass politische Demagogen die Ängste und Verunsicherungen der Bevölkerung zusätzlich schüren und für ihre eigene menschenfeindliche Agenda missbrauchen.

Ohne Übertreibung kann man sagen: Die Aufgaben, vor denen wir stehen, erfordern nicht weniger als einen gesamtgesellschaftlichen Kraftakt. Doch das beeindruckende Maß an Solidarität, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl, mit dem sich zahlreiche Menschen in unserem Land für die Anliegen von Flüchtlingen und Asylbewerbern einsetzen, gibt Anlass zu Zuversicht. Das weitverbreitete ehrenamtliche Engagement ist Ausdruck einer starken und lebendigen Zivilgesellschaft. Allein in den beiden großen Kirchen sind über 200.000 freiwillige Helfer aktiv: Sie unterstützen die neu angekommenen Menschen, sich in einer fremden Umgebung zurechtzufinden, und vermitteln ihnen ein Gefühl der persönlichen Wertschätzung. Viele Initiativen finden in guter ökumenischer Partnerschaft statt. Die mittlerweile sprichwörtlich gewordene „Willkommenskultur“ ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Wahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen zeigt sich, dass christliche Wertvorstellungen nicht einfach nur ein historisches Fundament unserer Gesellschaftsordnung bilden. Tatsächlich setzen sie auch heute eine kreative und begeisternde Dynamik frei. Dreh- und Angelpunkt unserer christlichen Identität ist die Wahrung der Würde eines jeden Menschen – unabhängig von Herkunft und Religion. Wer die christliche Prägung unserer Gesellschaft nur deshalb betont, um Menschen anderer Religionszugehörigkeit auszuschließen, entwertet letztlich das Christentum.

Mehr denn je sollten wir Christen uns heute ins Gedächtnis rufen, dass der Glaube an einen barmherzigen Gott uns mit Juden und Muslimen verbindet. Die Tora, das Evangelium und der Koran sprechen auf vielfältige und eindrückliche Weise von der Barmherzigkeit Gottes, aus der sich zugleich ethische Fürsorgepflichten des Menschen ergeben. Dass Christen, Juden und Muslime auf die Fluchtbewegungen unserer Tage mit großer Hilfsbereitschaft reagieren, verdankt sich nicht zuletzt dieser gemeinsamen religiösen Grundlage.

Anlässlich des Welttags des Migranten und Flüchtlings 2016 hat Papst Franziskus uns Christen aufs Neue daran erinnert: Die Barmherzigkeit, die wir von Gott, unserem Vater, empfangen, „stärkt [...] die Solidarität gegenüber dem Nächsten“ und verhindert, dass wir uns an das Leid des anderen gewöhnen. Als Christen sind wir dazu berufen, unser Herz den Schutzsuchenden und Notleidenden unserer Tage zu öffnen und ihnen eine konkrete Hoffnung zu geben. Angerührt von Gottes Barmherzigkeit können auch wir barmherzig sein. Es besteht eine tiefe innere Verbindung zwischen der Barmherzigkeit Gottes und unserer eigenen barmherzigen Haltung gegenüber dem Nächsten: „An der Wurzel des Evangeliums der Barmherzigkeit überschneiden sich die Begegnung und Aufnahme des anderen mit der Begegnung und Aufnahme Gottes: Den anderen aufnehmen bedeutet Gott selbst aufnehmen!“, so Papst Franziskus. Unser tatkräftiges Engagement für die Anliegen von Flüchtlingen und Migranten ist daher nicht einfach nur mildtätiges Beiwerk, sondern sichtbares Zeugnis unseres christlichen Glaubens. „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35): Sooft wir dieses Wort aus dem Matthäusevangelium auch schon gehört haben – angesichts der gegenwärtigen Fluchtbewegungen hat es aufs Neue eine wachrüttelnde Wirkung entfaltet.

Als Sonderbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen ist es mir ein besonderes Anliegen, dass die Sorge für schutzsuchende Menschen und der Dialog zwischen den Religionen enger als bisher miteinander verknüpft werden. Ich freue mich, dass dieser Impuls bei der Neuauflage des Projekts „Weißt du, wer ich bin?“ aufgegriffen wurde. Den Mitarbeitern der vier beteiligten muslimischen Verbände, des Zentralrats der Juden, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland danke ich dafür, dass sie das Projekt innerhalb einer äußerst kurzen Zeitspanne auf den Weg gebracht haben. Mein besonderer Dank gilt auch dem Bundesministerium des Innern für die großzügige finanzielle Unterstützung des Projekts.

Bereits zwischen 2004 und 2011 wurden im Rahmen von „Weißt du, wer ich bin?“ mehr als 100 lokale Initiativen gefördert. Damals wie heute will das Projekt Juden, Christen und Muslime dazu befähigen, Verbindendes zu entdecken, Unterschiede zu respektieren, gemeinsam zu handeln und dem gesellschaftlichen Wohl zu dienen.

Die Frage nach dem Beitrag, den die Religionen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zu gelingender Integration leisten können, wird uns auch auf längere Sicht beschäftigen. Letztlich stehen wir alle – Christen, Juden und Muslime – gemeinsam in der Pflicht, das friedensstiftende und integrationsfördernde Potential von Religion immer wieder in unserem alltäglichen Handeln zu bezeugen. Als katholischer Bischof darf ich sagen: Es ist ein gutes Zeichen, dass der Auftakt des Projekts inmitten des Heiligen Jahrs der Barmherzigkeit stattfindet. Durch ihr gemeinsames Eintreten für die Anliegen schutzbedürftiger Menschen lassen Juden, Christen und Muslime den Geist der Barmherzigkeit in unserer Gesellschaft lebendig werden. Dem Projekt und all seinen Mitwirkenden wünsche ich von Herzen Gottes reichen Segen.

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