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Predigt

Festansprache auf dem Neujahrsempfang der Landesinnung der Gebäudereiniger Nordost

08. Januar 2016
Hamburg

Leistung, Herkunft, Arbeit – Was bestimmt den Wert eines Menschen?

Sehr geehrte Damen und Herren,
was bestimmt den Wert eines Menschen?
Drei mögliche Antworten auf diese Frage sind im Titel meiner Ansprache genannt: Leistung, Herkunft, Arbeit. Sie werden verstehen, wenn ich hinter diese drei Antwortmöglichkeiten ein großes Fragezeichen mache. Denn ich bin nicht der Meinung, dass eines dieser Worte auch nur annähernd den Wert eines Menschen umschreibt. Oder lassen Sie mich es anders sagen: Der Wert oder die Würde – die beiden Begriffe möchte ich hier synonym gebrauchen – des Menschen hängt nicht daran, was er leistet. Sie hängt auch nicht von seiner geografischen oder gesellschaftlichen Herkunft ab. Die Würde eines Menschen leitet sich auch nicht aus der Arbeit ab, die ein Mensch tut.
Aber alles der Reihe nach. Lassen Sie mich auf diese drei Worte schauen und kurz erläutern, weshalb ich diesen Begriffen in Bezug auf unser Thema so skeptisch entgegen trete.

Leistung
Das Wort Leistung hat einen zwiespältigen Zungenschlag. Zum einen macht es im Zusammenhang mit der Rede von der Leistungsgesellschaft – positiv – klar, dass wir unsere gesellschaftliche Position dadurch verändern können, dass wir etwas leisten. Wir sind nicht, wie in einer Ständegesellschaft, auf unser soziale Position festgelegt. Indem wir etwas leisten und etwas Großes bewegen, können wir uns und unsere Gesellschaft verändern. Und die Generation, die nach uns kommt, kann ähnliches tun. Die gläserne Decke, die gesellschaftliche Schichten voneinander trennt, ist längst durchlässig; ein Tellerwäscher schafft es zum Millionär, wie es der sprichwörtliche amerikanische Traum ins Bild bringt.
Leistung kann uns auch zur Kreativität ermuntern, einen Schöpfergeist in uns aufwecken. Wo wir in gutem Sinne gefordert und motiviert werden, da können wir als Menschen über uns hinauswachsen. Wir können uns persönlich, aber auch unsere Gesellschaft einen Schritt weiterbringen.
Gleichzeitig hat Leistung aber auch einen negativen Klang. Denn unser Wille zur Leistung kann sich auch schnell in ein „stahlhartes Gehäuse“ verwandeln, wie es der Soziologe Max Weber einmal ausdrückte. Gefangen sind wir dann in all den mechanischen, elektronischen und vernetzten Möglichkeiten unsere Leistung zu steigern. Diese Möglichkeiten fordern uns ständig auf, schneller, besser, flexibler zu werden. Leider werden wir dabei blind für all jene, die nicht das Letzte aus sich heraus holen können; die nicht im Akkord Hotelzimmer putzen können; die es aufgrund einer Behinderung schwer haben, im ersten Arbeitsmarkt unterzukommen.

Herkunft
Positive und negative Bedeutungen halten sich beim Begriff der Leistung die Waage. Ähnlich ist es bei der Herkunft.
Die Herkunft – sozial und geografisch – prägt einen Menschen. Die Herkunft prägt seine Sprache, seine Sitten, seine Weltanschauung, seine politische Einstellung. Besonders in den vergangenen Monaten haben wir uns intensiv mit der Frage auseinander gesetzt, was passieren muss, dass Menschen aus einem fernen Land und aus einer anderen Kultur sich gut bei uns in Deutschland integrieren können. Welche Hürden müssen wir dafür abbauen? Welche inneren Hürden müssen die „Neuen“, die zu uns kommen, abbauen?
Dabei stellen wir immer wieder fest: Herkunft ist für uns wichtig. Sie gibt uns Sicherheit, ein Gefühl von Heimat. Sie prägt unsere Weltanschauung. Herkunft verbindet uns auch stark mit anderen Menschen. Das erlebe ich immer sehr, wenn ich eine der vielen fremdsprachigen Gemeinden in unserem Erzbistum besuche.
Herkunft darf aber der Integration nicht im Wege stehen. Sie darf auch uns nicht in die Quere kommen, wenn wir über die Würde eines Menschen sprechen. Denn diese Würde ist von der Herkunft eines Menschen vollkommen unabhängig. Ob ein Mensch aus Hamburg oder Bayern oder wie ich aus Köln, aus Deutschland oder der Türkei kommt ist für seine Würde unerheblich. Das gleiche gilt für das soziale Herkommen eines Menschen. Raumpflegekraft und Professorin – beide Personen haben die gleiche Würde, sind als Mensch gleich viel wert. Egal, wo ein Mensch herkommt: Es gilt immer der Satz, dass alle Menschen gleich-wertig, gleich-würdig sind. Das müssen wir uns immer wieder einprägen.

Arbeit
Die katholische Soziallehre sieht in der Arbeit „weder Strafe noch Fluch“. Vielmehr trägt die regelmäßige Arbeit sehr dazu bei, dass Menschen sich wertgeschätzt und angenommen fühlen. Die Arbeit ist ein wesentlicher Teil des Menschen und macht einen großen Teil unserer Lebenszeit aus. Darum ist es für jeden Menschen ein immenser Verlust, wenn er seinen Arbeitsplatz verliert. Gespräche mit unseren Caritas-Beratungsstellen vermitteln mir ein ums andere Mal den Eindruck, dass die allermeisten arbeitslosen Menschen arbeiten wollen. Gleichzeitig gibt es oft Gründe, die eine unkomplizierte Arbeitsaufnahme verhindern: körperliche oder psychische Krankheiten, ein behindertes Kind, eine pflegebedürftige Mutter, eine Erfahrung von Sucht oder Abhängigkeit, Lese- und Schreibschwierigkeiten.

Aber auch hier gilt es festzuhalten: Für unser Selbstwertgefühl ist Arbeit sehr wichtig. Arbeit gibt uns auch in unserem Alltag Halt und Orientierung. Da muss allerdings gelten, dass die Arbeit mit adäquater Entlohnung und entsprechenden Arbeitsbedingungen einhergeht. Nicht umsonst setzen sich die Kirchen im In- und Ausland für faire Handelsbeziehungen und Arbeitsbedingungen ein.
Arbeit ist aber nicht alles. Unsere Würde als Mensch hängt nicht von unserer Arbeit, der Tätigkeit als solcher oder dem Lohn dafür ab. Das wäre zu kurz gegriffen und würde einem Auf und Ab Tür und Tor öffnen.

Was bestimmt den Wert eines Menschen?
Sie fragen sich nun vielleicht: Herr Erzbischof, was macht denn nun die Würde, den Wert eines Menschen aus. Diese Frage möchte ich Ihnen gerne beantworten. Sie wird es nicht wundern, wenn ich im Folgenden auf einige Stellen aus der Bibel Bezug nehme.
„Denn alles Fleisch, es ist wie Gras
und alle Herrlichkeit des Menschen
wie des Grases Blumen.
Das Gras ist verdorret
und die Blume abgefallen.“
Die Worte sind Ihnen vielleicht bekannt. Sie stammen aus dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms. Brahms hat diese Worte der Bibel entnommen – aus dem 1. Petrusbrief (1 Petr 24-25) sowie aus dem Buch Jesaja (Jes 40, 6-8).
Die Worte bilden den einen Pol eines biblischen Spannungsbogens. Dieser Pol sagt aus: Der Mensch ist vergänglich. Wert hat aber letztlich nur, was unvergänglich ist. Also wieder eine Fehlanzeige?!

So sieht es auch das biblische Buch Kohelet. Dort liest man den nüchternen Ton eines unbekannten Predigers (3, 19-20): Menschen und Tiere „haben ein und dasselbe Geschick. Wie diese sterben, so sterben jene. Beide haben ein und denselben Atem. Einen Vorteil des Menschen gegenüber dem Tier gibt es da nicht. Beide sind Windhauch. Beide gehen an ein und denselben Ort. Beide sind aus Staub entstanden, beide kehren zum Staub zurück.“
Das Bild vom Staub kennen wir von Beerdigungen. Beerdigungen sind ja bedrückende Erinnerungen daran, dass der Mensch davon muss; dass sein irdischer Wert zerbrechlich ist. Woher kommt dann die Würde des Menschen? Die Würde wird dem Menschen von außen zu gesprochen.
Wer ist dieses Außen?
Wir könnten nun sagen, dieses Außen, das sind die anderen Menschen. Oft machen wir die Erfahrung, dass unser Selbstwertgefühl sehr davon abhängt, was andere Menschen von uns denken und wie sie über uns sprechen.
Bestimmte Berufe und Berufsgruppen in unserer Gesellschaft sind nur deshalb angesehener als andere, weil wir als Gesellschaft den Berufen unterschiedliche Bedeutung beimessen; und dementsprechend unterschiedlich entlohnen. Das ist aber noch lange keine Aussage darüber, welchen Wert an sich eine bestimmte Berufsgruppe für unser Zusammenleben eigentlich hat.
Das gleiche gilt für einzelne Menschen. Wenn allein die Aussage anderer Menschen darüber entscheidet, wieviel ich wert bin, dann ist das eine äußerst wacklige Angelegenheit. Das kennen wir aus Diskussionen über den Wert des Lebens an seinem Anfang und an seinem Ende. Vor kurzem noch haben wir darüber im Zusammenhang mit dem assistierten Suizid diskutiert.


Wenn mein Wert, meine Würde davon abhängt, was andere von mir denken und wie andere dieses Denken in Gesetze und Verordnungen gießen, dann lebe ich gefährlich. Manche Fragen können und dürfen eben nicht politisch entschieden werden. Dazu zählt die Frage nach der Würde des Menschen.
Das Außen, das über unseren Wert entscheidet, das könnte auch die Natur sein. Dieser sogenannte naturrechtliche Gedanke ist uns heute etwas fremd geworden. Er lässt sich folgendermaßen umschreiben:
Unsere menschliche Natur – zu der auch die Vernunft gehört – hat einen Wert an sich. Egal, was Menschen sagen oder wie die Gesellschaft urteilt: Weil wir von Natur aus Menschen sind, deshalb besitzen wir einen natürlichen Wert. Wir haben folglich das natürliche Recht darauf, als Menschen mit Wert und Würde angesehen zu werden; ganz gleich welche gesellschaftliche Stellung wir innehaben.
Auf dieser Basis formulierten die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes dessen ersten Artikel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Vor jeder politischen Entscheidung, vor jeder gesetzlichen Regelung, vor jeder gesellschaftlichen Stimmungslage erklären und setzten wir, dass jeder Mensch eine natürliche Würde hat. Weil der Mensch Mensch ist, besitzt er einen Wert. Punkt!
Das Außen, von dem ich hier rede, kann auch Gott sein; damit komme ich zurück zum biblischen Zeugnis. Dieses kennt neben dem Pol der menschlichen Vergänglichkeit noch einen weiteren Pol: jenen der Gottesebenbildlichkeit.
„Gottesebenbildlichkeit“ – das heißt nicht, dass wir Menschen Gott sind. Es heißt, dass Gott uns Menschen schafft und dass er in jeden von uns etwas von seinem Wesen hineinlegt.


In der Schöpfungsgeschichte am Anfang der Bibel steht:
„Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ Gen 1, 26-27
Und im Buch der Psalmen ist zu lesen:
„Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt. All die Schafe, Ziegen und Rinder und auch die wilden Tiere, die Vögel des Himmels und die Fische im Meer, alles, was auf den Pfaden der Meere dahinzieht.“ (Ps. 8, 4-9)
Der Mensch erhält seine Würde und seinen Wert von Gott. Er ist sozusagen das Angesicht Gottes auf der Welt. Wenn ich einem Menschen begegne – bei der Arbeit, auf der Straße, in der Familie – dann begegnet mir sozusagen ein alltägliches Angesicht Gottes. Alltäglich, aber nicht minder Gott.
Für mich als Christen ist also wichtig: Gott als die erste und letzte Instanz garantiert die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube aber nicht an einen weltabgewandten Gott, sondern an einen, der an Weihnachten Mensch wird und damit ein unglaubliches Zeugnis der Würde des Menschen abliefert.
Sie haben aber vielleicht gemerkt, dass mit der Würde des Menschen noch ein weiterer Aspekt verbunden ist. Die Würde der Gottesebenbildlichkeit geht einher mit einer Aufgabe des Menschen. Diese Aufgabe möchte ich als Verantwortung des Menschen über seine Mit- und Umwelt umschreiben.


So wie Gott all dem Geschaffenen mit Liebe und Zuneigung begegnet – denn das ist Gottes Art zu herrschen – so sollen wir Menschen uns der Welt zuwenden: mit Liebe und Zuneigung. Darin erfüllen wir den irdischen Zweck unseres Daseins. Darin gewinnt unser Leben Würde und Wert.
Lassen Sie mich es so ausdrücken: Unsere von Gott geschenkte Würde als Mensch ist da, immer schon da ohne, dass wir etwas leisten müssen. Diese Würde ist aber verknüpft mit einer Verantwortung für unsere Mit- und Umwelt: in Beruf und Arbeit, in Gesellschaft und Politik, im öffentlichen und im privaten Bereich.
Die Übergriffe, wie sie in der Silvesternacht in Köln, aber auch hier in Hamburg, begangen wurden, sind das glatte Gegenteil von dem, was wir Würde nennen. Deshalb treiben uns diese Untaten ja auch so um. Denn die Würde des Mitmenschen, besonders die Würde der Frau, war diesen Tätern nichts wert. Weder anerkannten sie, dass alle Menschen – gleich welchen Geschlechts, welches Glaubens, welcher Herkunft – Würde besitzen; noch kamen sie ihrer Verantwortung nach, diese Würde zu bewahren. Mich macht sehr, sehr traurig, dass all dies im Schatten des Kölner Doms geschehen ist.

Schluss
Leistung, Herkunft, Arbeit: Diese Begriffe geben Facetten unseres eigenen Selbstverständnisses als Menschen wieder. Sie sollen der Würde des Menschen ganz gewiss entsprechen. Allein von ihnen können wir aber nicht unsere Würde ableiten. Denn der Wert und die Würde des Menschen hängen an mehr. Sie hängen daran, dass unser Zusammenleben als Menschen von Wertschätzung und Achtung geprägt sind. Sie hängt auch daran, dass wir anerkennen, dass uns im anderen Menschen ein würdevolles und wertvolles Wesen entgegen tritt, gleichgültig, wo dieser Mensch herkommt, was er leisten und arbeiten kann.
Was kann dies für Ihre Innung und Ihre alltägliche Arbeit konkret bedeuten? Ich lade Sie herzlich ein, hierüber heute und im weiteren Verlauf des Jahres in Ihren Gremien weiter ins Gespräch zu kommen.

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