Es braucht darüber hinaus Menschen, die sich stetig, ja alltäglich um Verständigung bemühen. Menschen, die Interesse an dem Anderen und Freude an der Begegnung haben. Für die das scheinbar Fremde eine Bereicherung und Horizonterweiterung ist. Und es braucht Organisationen, die diese Menschen zusammenführen und beheimaten.
Erzbischof Dr. Stefan Heße
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Prof. Hoppe, sehr geehrter Herr Rien van der Vegt,
sehr geehrte Damen und Herren der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit,
sehr geehrte Gäste und Freunde der christlich-jüdischen Zusammenarbeit,
gestern fand die Eröffnungsfeier des neuen Jahres der Jüdisch-Christlichen Zusammenarbeit in Mainz statt. Das Jahresmotto lautet „The Sound Of Dialogue – Gemeinsam Zukunft Bauen“. Dieses Motto passt in eine Zeit, in der es scheinbar immer schwieriger wird, Worte zu finden, die zusammenführen. „The Sound of Dialogue“ – Der Klang des Dialogs. Vielleicht kann Musik einen gemeinsamen Grund schaffen, wo Worte zurzeit verhallen oder gar trennen. Das West-Eastern Divan Orchestra ist dafür ein gutes Beispiel.
So ist auch die Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille im Rahmen der gestrigen Eröffnungsfeier an Igor Levit, einen Ausnahmepianisten und -menschen, nur folgerichtig. Wer mehr über ihn erfahren will, dem sei wärmsten der Film „Igor Levit - No Fear!“ ans Herz gelegt. Wie passend schließlich das Thema unseres heutigen Abends „Leonhard Cohen: A Cold And Broken Hallelujah“. Ich bin gespannt und freue mich sehr auf den Vortrag von Pastor Störmer.
Zuvor möchte ich gern die Gelegenheit ergreifen, etwas zur aktuellen Situation seit dem 7. Oktober und zur Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit zu sagen. In meiner Wahrnehmung ist der gnadenlose Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober eine Zäsur. Nie zuvor sind nach der Shoa so viele Juden und Jüdinnen auf einmal ermordet worden. Zu Recht wird dieser Terrorakt als Pogrom angesehen. Die jüdische Welt und nicht nur diese ist zutiefst erschüttert. Die für sicher gehaltene Heimstätte Israel hat sich als verwundbar erwiesen. Doch auch in vielen Teilen der Welt haben antisemitische Vorfälle deutlich zugenommen. Leider auch hier bei uns in Deutschland. Jüdinnen und Juden ziehen sich aus Angst aus der Öffentlichkeit zurück. Manche überlegen auszuwandern. Sie vermissen von der Gesellschaft ein starkes Zeichen der Solidarität und Anteilnahme.
Wir können und dürfen als Kirche dazu nicht schweigen. Wir tun es auch nicht, wie das gemeinsame Wort der katholischen nord-ostdeutschen Bischöfe „Eintreten für die Demokratie“ vom 19. Januar und die Erklärung „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“ der deutschen katholischen Bischöfe vom 22. Februar dieses Jahres belegen. Beide Erklärungen verurteilen unmissverständlich jede Form des Extremismus, insbesondere aufgrund der aktuellen Bedrohungslage völkisches, rechtsextremes sowie rechtspopuläres Gedankengut. Es wird dargelegt, weshalb solches Gedankengut radikal dem Christentum widerspricht, mit ihm unvereinbar ist. Ausdrücklich wird jede Form des Antisemitismus verurteilt. Die AFD wird nicht nur klar beim Namen genannt, sondern es wird auch festgehalten, dass rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, für Christinnen und Christen kein Ort politischer Betätigung sein können und nicht wählbar sind. Ich glaube, deutlicher kann die katholische Kirche nicht Position beziehen.
Reicht das? – Nein, sicherlich nicht!
Ermutigend finde ich die vielen Demonstrationen quer durch unser Land, in denen sich Menschen klar zu unseren demokratischen Grundwerten, der Würde eines jeden Menschen bekennen und gegen Rechtspopulismus und -extremismus auf die Straße gehen. Reicht das? Das ist viel wert, aber ich fürchte, auch das reicht nicht. Es braucht darüber hinaus Menschen, die sich stetig, ja alltäglich um Verständigung bemühen. Menschen, die Interesse an dem Anderen und Freude an der Begegnung haben. Für die das scheinbar Fremde eine Bereicherung und Horizonterweiterung ist. Und es braucht Organisationen, die diese Menschen zusammenführen und beheimaten. Das können, wie erwähnt, Orchester sein. Das ist aber ganz sicher die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die hier in Hamburg seit 1952 segensreich wirkt.
Das Wort „Zusammenarbeit“ im Namen der Gesellschaft hat für mich etwas Prophetisches. In dem Wort steckt das Wort „Arbeit“. Ja, Zusammenarbeit ist auch Arbeit, geradezu Mühe. Diese Mühe um Verständigung, um Anteilnahme ist wesentlich und wichtig für unsere Gesellschaft und reicht weit über den christlich-jüdischen Bereich hinaus. Die größte Frucht dieser Mühe scheint mir, dass sie Menschen zusammenführt, so wie uns heute Abend. Und da kommt dann der erste Teil des Wortes „Zusammenarbeit“ zur Geltung. Reicht das? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, aber ich bin mir sicher, dass es ohne diese Graswurzelarbeit nicht geht.
Und so danke ich Ihnen sehr, nicht nur für diesen wunderbaren Abend, den sie uns schenken, sondern für ihr vielfältige, über Jahrzehnte andauernde, manchmal mühsame Arbeit, die so wichtig für die Gesellschaft und für uns Kirche ist.
Der Film über Igor Levit heißt, wie gesagt, „Igor Levit - No Fear!“. Ich möchte abschließen nicht mit, dem, was wir nicht, sondern mit dem, was wir haben sollen: Mut und Zuversicht.
Mut und Zuversicht geben mir mein Glaube, aber auch das Wissen um Organisationen wie die der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Auch dafür: Danke!