"Für eine Welt, die von Krisen geschüttelt ist, sollten wir mit einer Stimme sprechen und bezeugen, dass in Jesus Christus Heil und Hoffnung für alle Menschen ist."
Erzbischof Dr. Stefan Heße
Es gilt das gesprochene Wort!
Mit großer Freude habe ich Ihre Einladung zu diesem Reformationsempfang angenommen und gerne überbringe ich Ihnen heute die Grüße des Erzbistums Hamburg und der Katholikinnen und Katholiken im Norden unseres Landes.
Über 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation können wir heute gemeinsam und versöhnt an die Ereignisse im 16. Jahrhundert erinnern. Das gemeinsame Begehen des Reformationsgedenkens im Jahr 2017 hat uns darin bestärkt.
Die Reformation markiert bis heute eine Zäsur in der Geschichte der lateinischen, westlichen Kirche. Sie war die Antwort auf eine tiefe Krise, die der Ablassskandal ausgelöst hatte. Theologen und Geistliche suchten nach Wegen aus dieser Krise und wollten die Kirche aus ihren Wurzeln erneuern. Politische Umstände und menschliches Versagen führten dazu, dass es nicht bei einer Erneuerung blieb, sondern die abendländische Kirche gespalten wurde. Und so haben die einen über Jahrhunderte am Reformationstag die Erneuerung der Kirche gefeiert, während die anderen die Spaltung beklagt haben. Heute können wir, Gott sei Dank, gemeinsam und differenziert auf die Reformation blicken und die Früchte wie auch die Tragik ihrer Geschichte würdigen.
Seit einigen Jahrzehnten mehren sich die Anzeichen für eine neuerliche Krise der Kirchen, die wieder, wie auch im 16. Jahrhundert, vor allem eine Krise der Glaubwürdigkeit ist. Der Skandal des sexuellen und geistlichen Missbrauchs, der die gesamte Christenheit weltweit erfasst hat, offenbart systemische Übel im Umgang mit Macht und Autorität. Ein nie dagewesener Mitgliederschwund in den beiden großen Kirchen fordert große Transformationsprozesse; pastoral und materiell muss neu gedacht werden. Bleiben bei den Krisenphänomenen Ressourcen für das Engagement in der Ökumene? Sind wir nicht oft genug dabei, die eigenen Belange zu ordnen? Mehr denn je sollten wir daraufhin arbeiten, unsere Kräfte zu vereinen, um in der Welt das gemeinsame Zeugnis des Christseins zu geben und zu zeigen: unser Auftrag ist nicht ein selbstreferentieller, sondern ein proexistentieller. Für eine Welt, die von Krisen geschüttelt ist, sollten wir mit einer Stimme sprechen und bezeugen, dass in Jesus Christus Heil und Hoffnung für alle Menschen ist.
Diese Haltung erfordert eine neue ökumenische Selbstvergewisserung, die bestärkend und hoffnungsvoll ist. Daher muss sich die Perspektive sukzessive von einer defizitorientierten Sicht, hin zu einem Staunen über das bereits Erreichte wandeln.
Ich denke an gut gelebtes Miteinander überall dort, wo wir zusammenrücken und in ökumenischer Gastfreundschaft Gebäude bereits jetzt gemeinsam nutzen. Ich denke an die vielen interkonfessionellen Initiativen, die in den letzten Jahrzehnten in Bereichen der Politik, Wissenschaft und Bildung entstanden sind. Ich denke auch an den gemeinsamen Einsatz für die Benachteiligten und Bedürftigen; ebenso an die vielen Momente des gemeinsamen Glaubenszeugnisses: Kirchentage, Kooperation im Religionsunterricht, gemeinsame Gottesdienste bei gesellschaftlichen Ereignissen. Erst kürzlich haben wir den ökumenischen Gottesdienst anlässlich des Tages der Deutschen Einheit in Hamburg begangen, der im kommenden Jahr in Mecklenburg-Vorpommern, in Schwerin stattfinden wird. Ökumenisch haben wir auch der Toten gedacht bei den beiden schrecklichen Attentaten, die unsere Region in diesem Jahr erschütterten: die grausame Messerattacke von Brokstedt und die brutale Amok-Tat in einem Königreichssaal der Zeugen Jehovas in Hamburg.
Was bedeuten diese Überlegungen für das Ziel der angestrebten sichtbaren Einheit? Zwar gibt es eine große Bandbreite an Modellen der Ökumene, aber keine Einheit darüber, welches das verbindende ist. In dieser Offenheit kann daher gefragt werden, ob Ökumene nicht vielmehr eine Ökumene auf dem Weg sein sollte, die agil und situativ die „Route“ justiert. Unsere Wegmarken sind dabei klar gesetzt: In der Taufe geeint, wollen wir immer mehr mit einer Stimme sprechen, in der Gewissheit verbunden, dass unsere Unterschiede die Chance einer Fülle an Gaben bergen. Der Gegenbegriff von Einheit lautet Trennung, nicht aber Vielfalt. In unserer Vielfältigkeit können und wollen wir geeignet sein. Deshalb sollten wir Formen des differenzierten Konsenses stark machen und fördern, was das Miteinander stärkt.
Wo Menschen gemeinsam unterwegs sind – etwa wandernd oder pilgernd – da kommen sie in den Austausch; Beziehungen, Freundschaften entstehen. Auch die zwischenmenschliche Dimension bleibt wichtig für uns. Das konnten wir katholische und evangelische Bischöfe und Bischöfinnen bei unserem Bischofspilgern zur Hysburg im Mai dieses Jahres konkret erleben. Diese Erfahrung wollen wir gerne auch im kommenden Jahr wiederholen und es ausweiten auf die Ebene der Gläubigen, denn Ökumene ist nicht nur das Anliegen der Hauptamtlichen. Sie geht durch die Herzen der Christinnen und Christen, die in freundschaftlichem Kontakt einander zugetan sind. Diese Beziehungen sind so oft der heimliche Motor mancher großen ökumenischen Initiative. Sie geben Kraft. So könnte ich mir gut vorstellen, im Blick auf das 1700. Jubiläum des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel, das wir im Jahr 2025 begehen, mit Gläubigen beider Konfessionen eine Pilgerfahrt an die Ursprungsorte unseres Glaubens zu unternehmen.
„Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ haben der Präsident des Lutherischen Weltbundes Bischof Munib Younan und Papst Franziskus einen Abschnitt ihrer gemeinsamen Erklärung bei Ihrem Treffen am 31. Oktober 2016 in Lund überschrieben. Heute, am 506. Jahrestag der Reformation, sind wir Katholikinnen und Katholiken, Lutheranerinnen und Lutheraner auf diesem Weg von alten Konflikten zu neuen und vielfältigen Formen der Gemeinschaft schon sehr weit gekommen. Das macht mir Hoffnung, dass wir uns über die Grenzen der Konfessionen und Denominationen hinweg gemeinsam unserer Krise und den Herausforderungen unserer Zeit stellen.
Lassen Sie uns „auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gemeinsam (…) handeln, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind und nicht Gründe des Glaubens oder größere Zweckmäßigkeit dem entgegenstehen“, wie wir uns in der Charta Oecumenica 2001 verpflichtet haben. Dann haben wir die Chance zu einer gemeinsamen Reform im Sinne einer Erneuerung aus dem Ursprung der einen Kirche in Christus. Dann schaffen wir gemeinsam eine Transformation der Kirche, die Spaltungen überwindet, in ihren eigenen Gemeinden und in der Welt. Dann geben wir der Menschheitsfamilie ein Zeichen der Einheit in versöhnter Verschiedenheit.
Dann macht Kirche Schule, nicht nur im wörtlichen Sinn, in unseren kirchlichen Schulen, und Bildungseinrichtungen sowie im Religionsunterricht, um das Thema Ihres Empfangs aufzugreifen. Dann macht Kirche Schule im sprichwörtlichen Sinn: nicht belehrend, sondern im Dialog, der Verschiedenheiten aushält und in dem sich die Kirche als lernend erweist.
Ich freue mich auf zahlreiche Begegnungen und Gespräche heute und auf eine weitere vertrauensvolle Weggemeinschaft und wünsche uns allen dazu Gottes reichen Segen.