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Predigt

Gedenkrede zum Volkstrauertag

19. November 2017
Hauptkirche St. Michaelis

Es gilt das gesprochene Wort

[1. Friedensnote 1917 – Wieder Brüder werden]
„Soll die zivilisierte Welt zu einem Leichenfeld werden? Und wird das blühende und ruhmreiche Europa, wie von einer allgemeinen Torheit überwältigt, dem Abgrund zustreben und die Hand gegen sich selbst wenden zum Selbstmord?“

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit diesen Fragen appellierte Papst Benedikt der XV. vor hundert Jahren, im August 1917, an das Gewissen der Kriegsparteien des Ersten Weltkriegs. Das sinnlose Morden des Krieges dauerte schon drei Jahre. Er hoffe, so der Papst, „dass dieser ungeheure Kampf, der jeden Tag mehr als unnützes Gemetzel erscheint, möglichst bald aufhört.“ Leider blieb diese Friedensinitiative des Papstes folgenlos, wie viele andere auch. Die Stimmung in den kriegsführenden Ländern war extrem aufgeheizt. Ein Verständigungsfrieden war nicht möglich. Erst ein Jahr und tausende Tote später kam es 1918 zum Waffenstillstand. Aber weniger aus Einsicht, als aus Erschöpfung.

An Ideen zur Überwindung des Krieges mangelte es freilich auch damals schon nicht. Benedikt XV. sagt in seiner Friedensnote, „dass an die Stelle der physischen Gewalt die moralische Macht des Rechtes“ treten muss. „Statt Waffen braucht es eine friedensschaffende Schiedsgerichtsbarkeit.“ Zudem forderte der Papst die allseitige Abrüstung, die Freiheit der Verkehrswege und Meere, die Erlassung der Kriegsschulden sowie die gegenseitige Rückgabe besetzter Gebiete. All das würde nicht nur den Krieg beenden, sondern auch zu nachhaltigem Fortschritt führen. Der Papst sagt ganz klar, was er mit seinem Aufruf bezweckt: Er will nicht aufhören, „sowohl die kriegführenden Völker als auch ihre Regierungen zu ermutigen, wieder Brüder zu werden.“
„…wieder Brüder werden…“, oder heute gesprochen „…wieder Geschwister werden…“ Das scheint mir die zentrale Mahnung der Toten zu sein, derer wir heute gedenken: Menschen, lasst euch nicht entzweien. Führt nicht Krieg gegeneinander, sondern bewahrt gemeinsam den Frieden.

Wir sind als Menschheit eine Familie, wir alle teilen die gleiche Würde. Als Christ möchte ich sagen, wir sind alle Kinder Gottes. Aber auch wenn viele Christen und nicht zuletzt Bischöfe in ihrer patriotischen Kriegsbegeisterung zwischen 1914 und 1918 diese Geschwisterlichkeit vergessen hatten, war sie auch im Ersten Weltkrieg nicht ganz verloren. Am Heiligen Abend 1914 und 1915 kommt es an einigen Frontabschnitten zu Feuerpausen und spontanen Weihnachtsfeiern. Menschen schießen aufeinander, feiern zusammen und schießen wieder aufeinander. Hat der Krieg jemals seine Absurdität so deutlich gezeigt, wie an diesen Abenden?

[2. Volkstrauertag – Trauer und Gedenken heute]

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir begehen heute den Volkstrauertag. Wir trauern um die Menschen, die die Folgen der Entzweiung und des Unfriedens, von Ideologien und Verfolgungen zu tragen hatten und haben. Der Volkstrauertag ist etwas Eigenartiges: Wenn ein uns naher Mensch verstirbt, gilt es die Trauer auszuhalten. Dann kommt ein Prozess in Gang, in dem die Trauer nach und nach abnimmt und in das Leben integriert wird oder auch ganz verschwindet. Das ist menschlich und das habe ich als Seelsorger immer wieder erlebt.

Der Volkstrauertag als institutionelles Gedenken will dagegen etwas anderes. Wir schließen die Trauer nicht ab. Im Gegenteil: wir kultivieren sie sogar. Wir haben sie uns verordnet, pflegen sie wie die Grabstätten. Jährlich trauern wir als Bürger der Bundesrepublik Deutschland einen Tag. Auch heute noch, da das persönliche Kriegserleben in unserem Land immer weniger im Vordergrund steht. Meine Mutter ist zwar 1942 in einem Bunker geboren und mein Vater war mit seiner Familie im Bergischen Land bei Köln evakuiert; und natürlich erleben auch heute Menschen Krieg – etwa die deutschen Soldaten, die im Ausland eingesetzt sind. Über hundert sind seit den neunzehnhundertundneunziger Jahren verstorben; oder auch zugewanderte Mitbürger, die durch Krieg oder Verfolgung Ihre Heimat verlassen mussten. Aber die Breite unserer Gesellschaft hat wie ich selber – Gott sei Dank – keinen Krieg persönlich erlebt.

Dennoch erinnern wir heute nicht nur, wir trauern – immer noch. Das macht deutlich: Die Opfer, um die wir trauern: Die Toten sind keine zufälligen oder unvermeidbaren Opfer, keine Betroffenen von Unfällen oder Naturkatastrophen, keine sogenannten Kollateralschäden. Ursachen für Ihre Tode waren und sind der menschliche Unwille und die menschliche Unfähigkeit zum Frieden, nicht zuletzt aufgeheizt durch Ideologien wie den Nationalsozialismus. Die Toten mahnen uns nicht nur, sie fehlen auch. Wir trauern, weil offene Lücken bleiben: Menschen fehlen und damit ihre Kinder und Kindeskinder. Fragen bleiben: Warum? Was wäre wenn?

Die heutige Gedenkveranstaltung und sehr sinnbildlich das Bücken und das Verneigen bei den Kranzniederlegungen im Vorfeld: Sie sind ein Zeichen der Demut, „Wir haben verstanden.“ und „Nie wieder.“ Die Last der Geschichte lässt die aufrechte Haltung für einen Moment vergessen. Wer trauert und gedenkt, der bleibt nicht gleichgültig. Ich bin darum überzeugt: Der Trauernde geht einen ersten Schritt zum Frieden. Wer Schuld und Verlust anerkennt und wer die Erinnerung daran wachhält, den kann das Heute nicht kalt lassen.

Nicht von Ungefähr engagiert sich der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge für die Friedensbildung in Schulen oder auf Freizeiten. Die Versöhnung über den Gräbern und die Pflege des Angedenkens der Toten waren und sind für den Volksbund ein erster Schritt zu einer umfassenderen Friedensarbeit. Sie ist selbst auf unserem Kontinent bis heute nötig. Die Staaten Europas präsentieren sich gegenwärtig eher als eine zerrüttete Familie. Eine Familie, die noch dazu Ihren Verwandten südlich des Mittelmeeres und im Nahen Osten oft genug die kalte Schulter zeigt. Ich denke dabei an die zahlreichen Flüchtlinge, die ihr Leben verloren haben. Auch Ihrer gedenken wir heute. So heißt es im Totengedenken: „Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung.“

[3. Papst Franziskus – Wo beginnt Frieden?]

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Viele Soldaten des Ersten Weltkriegs haben noch zu einem friedlichen Nebeneinander gefunden: im Tod, in Gräbern unter grünem Rasen und weißen Kreuzen. Im Tod sind sie auf zynische Art friedlich vereint. Soweit darf es doch nicht mehr kommen – darin sind wir uns eigentlich alle einig! Seit der Friedensnote von 1917 engagiert sich jeder Papst für den Frieden, für den „einzig wahren Weg menschlichen Fortschritts“ . Wie notwendig das auch heute ist, zeigen uns die Nachrichten. „Soll die zivilisierte Welt zu einem Leichenfeld werden?“ Diese Frage von 1917 stellt sich nach wie vor: etwa im Hinblick auf den Terrorismus, der Entgrenzung aller Leichenfelder, oder in schier endlosen kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Der jetzige Papst, Franziskus, spricht mittlerweile von einem „dritten Weltkrieg in Abschnitten“ . Man denke nur an Nordkorea oder den Jemen. Auch er wird darum nicht müde, die Geschwisterlichkeit aller Menschen zu betonen und die globale Gleichgültigkeit anzuprangern. Aber wie beginnen Frieden und Geschwisterlichkeit? Wo fängt Frieden an?

[Persönlich] Es gibt den Satz: Der Frieden beginnt vor der eigenen Haustür. Aber das stimmt nicht. Er beginnt nicht einmal im eigenen Haus. Die Trauer als ein Schritt zum Frieden weist uns den Weg: Der Frieden beginnt in meinem Herzen – oder er beginnt nicht. Papst Franziskus sagt auf seine provokante Art, der grundlegende Kampf findet in unserem Herzen statt. Tagtäglich ringen wir doch um die richtigen Entscheidungen. Die Linie zwischen Gut und Böse, zwischen Richtig und Falsch, zwischen Anteilnahme und Gleichgültigkeit: Sie verläuft nicht zwischen Gruppen, Geschlechtern, Religionen oder Ethnien, zwischen Einheimischen oder Zugewanderten. Sie verläuft zuerst durch jeden Menschen. Das müssen wir ehrlich anerkennen. Denn wer um seine eigene Begrenztheit und Fehlbarkeit weiß, der kann auch andere Menschen neben sich akzeptieren und teilt nicht nach Gut und Böse ein. Als Christ darf ich sagen: Wir sind von Gott bejaht und angenommen.

Wir brauchen Anerkennung nicht zuerst selber zu suchen, sondern wir dürfen friedlich leben, uns zurücknehmen, dem anderen Menschen Raum geben. Dann kann echte Geschwisterlichkeit, kann Frieden zwischen Menschen wachsen.

[Gesellschaftlich] Den Frieden zu leben, kann manchmal bedeuten, noch einen Schritt weiter zu gehen; nicht nur, dem anderen Raum zu geben, sondern ihm die Hand zur Versöhnung entgegenzustrecken, auf Böses mit Gutem zu antworten, nicht gleichgültig zu werden. Denn ich bin überzeugt: Die Geschwisterlichkeit ist auch für unsere vielfältige Gesellschaft fruchtbarer als die Entzweiung. Ein Konflikt kann nur Ausgangspunkt eines gemeinsamen Prozesses ein. Frieden ist damit mehr als die Abwesenheit von Krieg. Er ist das Engagement für den gemeinsamen Fortschritt, der alle mitnimmt.

[International] Globalisieren wir darum nicht die Gleichgültigkeit, sondern die Geschwisterlichkeit. Die Haltung der Geschwisterlichkeit, die Bereitschaft, sich selbst zurückzunehmen und die Hand auszustrecken: Das sollten sich Menschen, Gesellschaften wie Staaten zu eigen machen. Es ist ein guter Humus, auf dem Frieden gedeihen kann. Vor hundert Jahren mahnte Papst Benedikt XV. die Völker Europas, wieder zu Brüdern zu werden. Vor zehn Tagen haben der Bundespräsident und der Französische Präsident gemeinsam das erste deutsch-französische Museum zum Ersten Weltkrieg im Elsass am Hartmannsweilerkopf eingeweiht. Diese Geste der wahrlich nicht selbstverständlichen deutsch-französischen Freundschaft stimmt mich zuversichtlich: Geschwisterlichkeit kann wachsen – in Europa und in der Welt. 

(Zitiert aus: Papst Benedikt XV.: Dès les débuts: Note an die Staatsführungen der kriegführenden Länder vom 1. August 1917. Zitiert aus: Ernesti, Jörg: Papst Benedikt XV. Papst zwischen den Fronten. Freiburg 2016, S. 263-266
Botschaft von Papst Paul VI. zum ersten Weltfriedenstag am 1. Januar 1968.
Botschaft von Papst Franziskus zur Feier des Weltfriedenstages 1. Januar 2016.)




TOTENGEDENKEN

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg,
an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben,
der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder
danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und
Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden,
weil sie einem anderen Volk angehörten,
einer anderen Rasse zugerechnet wurden,
Teil einer Minderheit waren oder deren Leben
wegen einer Krankheit oder Behinderung als
lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand
gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,
und derer, die den Tod fanden, weil sie an
ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage,
um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung,
um die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten und
anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben
verloren.

Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt
gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind.

Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten und
teilen ihren Schmerz.

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung
auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern,
und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den
Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

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