Es gilt das gesprochene Wort
Zu den Feierlichkeiten zum Reformationstag haben wir Hamburger katholischen Bischöfe uns aufgeteilt. Weihbischof Dr. Jaschke besuchte die Feierlichkeiten hier in Hamburg, Weihbischof Eberlein war in Schleswig, ich selber bin nach Rostock gereist.
Nach dem Gottesdienst in der dortigen Marienkirche fand noch ein Festakt in der Nikolaikirche statt. Unter anderem mit einigen szenischen Theateranspielungen. Dabei kamen reformatorische Gestalten in den Vordergrund. Natürlich Martin Luther, aber auch Johannes Bugenhagen und: Joachim Slüter. Slüter kam 1517 nach Rostock und war dort der erste evangelische Prediger. Er predigte in der Rostocker St. Petri Kirche auf Niederdeutsch und wurde durch die Herausgabe des ältesten bekannten plattdeutschen Gesangbuches 1525 weit über die Grenzen Mecklenburgs bekannt.
In diesem kurzen szenischen Anspiel von gestern hat ein Schauspieler meisterhaft die Idee Slüters aufgegriffen. Er hat das Evangelium vom reichen Fischfang zur Gemeinde auf Plattdeutsch vorgetragen und darüber gepredigt. Oft sprechen solche Übertragungen besonders an.
Neben mir saß der evangelische Bischof von Maltzahn, der mir zuflüsterte, dass er selber vor Jahren einmal die Seligpreisungen – also unser heutiges Evangelium – auf Plattdeutsch gehört habe und ihm dies einen ganz neuen Zugang eröffnet hat.
Liebe Schwestern und Brüder, die Übersetzung der frohen Botschaft in unsere Muttersprache ist wohl etwas, was wir gar nicht hoch genug einschätzen können.
Wenn wir heute die Heiligen feiern und ihrer gedenken, dann möchte ich mit Bezug auf die Reformation sagen: Heilige sind Übersetzer.
Die Heiligen übersetzen das Evangelium nicht in Plattdeutsch, Chinesisch, Spanisch, Französisch oder welche Sprache auch immer. Die Heiligen übersetzen die frohe Botschaft in den Alltag. Sie übertragen das Wort Gottes ins Leben. Damit sind Heilige immer alltagstaugliche Menschen. Sie sind nicht für Galerien, Museen, Vitrinen oder Podeste bestimmt, sondern sie stehen mit beiden Beinen mitten im Leben. Das zeigt eine Elisabeth von Thüringen oder eine Mutter Teresa genauso gut wie die kleine Thérèse von Lisieux, die im dortigen Kloster ihre Liebe zu Gott im Gebet über-strömen ließ.
Die Schrift „Communio sanctorum - Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen“ aus dem Jahr 2000 ist aus einer bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der vereinigten evangelischen Kirche Deutschlands hervorgegangen. Darin heißt es ausdrücklich: „Der heilige Mensch … ist eine lebendige Auslegung der Botschaft des Evangeliums. In ihm wird das Gottesheil auch menschlich und geschichtlich konkret. Er ist dergestalt Zeuge Christi geworden, dass uns der Herr in ihm begegnet“ (CS 240).
Liebe Schwestern und Brüder, wer so wie die Heiligen in den Alltag übersetzen möchte, muss auf beiden Seiten zu Hause sein. Der muss das Vokabular sowohl Gottes als auch der Menschen in- und auswendig kennen, sonst kann er nicht übersetzen. Wir kennen das, wenn wir unterwegs sind in einem fremden Land, dessen Sprache wir nicht können. Vielleicht sind uns nur ein paar Vokabeln bekannt. Damit kommt man am Ende nicht weit. Erst wenn man auf beiden Seiten möglichst gute Sprachkenntnisse hat, wird es zu einer guten Übersetzung kommen.
Die Heiligen sind dabei Übersetzer zu beiden Seiten hin. Sie übersetzen Gott in das Leben des Alltags und der Menschen und umgekehrt übersetzen sie den Alltag und führen ihn immer wieder zu Gott hin.
Und damit ergibt sich etwas sehr Originelles. Solche Übersetzungen sind immer originell und individuell. Ein guter Übersetzer kann aus einem reichen Vokabular schöpfen. Der kann Dinge wunderbar umschreiben. Er hat eben nicht nur ein Wort, sondern viele zur Verfügung, um ein und dieselbe Sache auszudrücken. Deswegen sind die Heiligen als Übersetzer ganz individuelle Persönlichkeiten. Jeder von ihnen übersetzt die frohe Botschaft auf seine persönliche Art und Weise in seine Gegenwart. Umgekehrt findet er seine persönliche Form, den Alltag zu Gott zu übersetzen. Deswegen sind die Heiligen in aller Regel gar keine einfachen Persönlichkeiten, sondern eher kantige, eckige, ausgeprägte Persönlichkeiten.
Liebe Schwestern und Brüder, in diesem Jahr, 500 Jahre nach der Reformation, wird mir deutlich: Wir Christen brauchen Heilige. Wir Christen brauchen Menschen, die übersetzen können. Allerheiligen heute gibt uns den Impuls, selber solche Übersetzer zu werden. Amen.