Es gilt das gesprochene Wort
Schrifttexte: 1 Kor 3, 5-13a; Joh 21, 15-19
Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Mitbrüder im Geistlichen Amt,
lieber Bischof Norbert,
bei deiner Bischofsweihe vor 25 Jahren hast du dir ein Wort des Apostels Paulus als bischöflichen Leitspruch gewählt: Fundamentum est Christus Jesus! Er stammt aus dem 3. Kapitel des 1. Korintherbriefes: „Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus“(V. 11). Ich bin mir sicher, dass du diese vier lateinischen Worte in ihrem Gesamtzusammenhang siehst. Deswegen gehört für dich mit größter Sicherheit auch der nächste Satz des Apostels Paulus sozusagen in deinen bischöflichen Leitspruch hinein: „Ob aber jemand auf dem Grund mit Gold, Silber, kostbaren Steinen, mit Holz, Heu oder Stroh weiterbaut: Das Werk eines jeden wird offenbar werden…“ (V. 12f).
Liebe Schwestern und Brüder,
auf der einen Seite das klare, feste und tiefe Fundament – aber auf der anderen Seite das Weiterbauen, die Baustelle, das Unfertige. Beides gehört zusammen. Es gab lange Zeiten in unserer Kirche, da haben wir nur das Fundament im Blick gehabt und gemeint, dass dieses Fundament schon mit dem fertigen Haus übereinstimmt. Und umgekehrt wird es wohl kaum möglich sein, die einzelnen Stockwerke eines Hauses zu bauen, ohne ein tiefes und festes Fundament darunter zu haben. Das Eine wird ohne das andere nicht gehen.
In deinen 75 Lebensjahren, in 25 Bischofsjahren, davon über 10 hier in Hildesheim, und nicht zuletzt in fast 50 Priesterjahren (im nächsten Jahr darfst du dein Goldenes Priesterjubiläum begehen): in dieser langen Zeit, wirst du immer und immer wieder den Baucharakter, die Baustelle Kirche, die Baustelle Diözese, die Baustelle Pfarrei und nicht zuletzt auch die Baustelle deines eigenen Glaubens erlebt und manchmal glücklich oder ein anderes Mal als belastend erlebt haben. Es ist ja etwas Schönes, wenn sich etwas entwickelt und wenn wir etwas gestalten dürfen, wenn wir bauen können. Aber jede Baustelle hat auch ihre Unbill, sie führt zu Einschränkungen – denken Sie nur an die leidigen Baustellen auf unseren Straßen – oder jede Baustelle führt unweigerlich zu Lärm und Schmutz – denken Sie nur an den Staub, der sich überall zwischensetzt.
Wer heute in unserer Kirche Mitglied ist, wer heute glauben will und wer heute Verantwortung in dieser Kirche übernimmt, der muss wissen, er wird auf der Baustelle eingesetzt. Wir arbeiten auf dem Bau! Und das Besondere: Wir können die Kirche als Gesamtes nicht schließen, alles zurechtbauen und dann die große Eröffnung begehen. Nein, die Kirche ist eine Dauerbaustelle, bei laufendem Betrieb mit ständig notwendigen Entscheidungen und Änderungen.
In meinen Sommerferien konnte ich in der Nähe von Bergamo in Norditalien den Heimatort von Papst Johannes XXIII. besuchen, den kleinen Ort Sotto il Monte. An jenem Sommertag waren nur wenige Besucher in diesem Ort, sodass die Verkäuferin im Info-Laden sich ein wenig für uns Deutsche Zeit nehmen konnte und wir versucht haben, einander zu verständigen. Dafür sprang am Ende dann noch ein großer Bildkalender mit lauter Fotos von Papst Johannes XXIII. heraus. Viele davon kommen einem bekannt vor. Eines dieser Fotos hat mich allerdings besonders angesprochen: Es zeigt den stämmigen Johannes in seiner Zeit als Bischof auf einer Baustelle. Er tänzelt geradezu über ein paar Bretter und verschafft sich einen Überblick über das, was dort geschieht. Es hat etwas Leichtes an sich, wie Angelo Roncalli sich auf dieser Baustelle bewegt. Ich finde es sehr sympathisch, dass die Autoren des Kalenders ihn nicht beim Festgottesdienst gezeigt haben, wo die Kirche oder das Pfarrheim, das dort gebaut wurde, eingeweiht wird, sondern: Der Bischof und spätere Papst geht auf die Baustelle.
Lieber Norbert,
in den vielen Jahren bist du auf unzähligen Baustellen gewesen, nicht zuletzt auch auf der Baustelle eures Hildesheimer Domes, der vor einigen Jahren saniert wurde. Du bist auch auf vielen anderen Baustellen gewesen und zeichenhaft dafür steht deine Tätigkeit als Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz. Wer sich um Migranten und Flüchtlinge kümmert – und das gerade in der jetzigen Zeit – der weiß, dass sich das Leben nicht unbedingt in vornehmen Palästen abspielt, sondern, dass es sehr bruchstückhaft und ziemlich gefährlich, ziemlich schmutzig und ziemlich zugig zugehen kann; dass Einem auf den vielen Baustellen des Lebens auch viele Gefahren drohen, die unter Umständen das Leben kosten können. Und wer dich ein bisschen kennt, der weiß, dass du selber dich nie gescheut hast, solche Baustellen zu besuchen, weil du Zeit deines Lebens immer so nüchtern, so ruhig und „normal“ geblieben bist, dass du selber weißt, dass dein eigenes Leben auch der Veränderung unterliegt und wie eine Baustelle ist. Wir sind mit unserem Leben nie fertig, sondern wir vertrauen darauf, dass am Ende Einer das vollenden wird, was wir begonnen haben. Deswegen ist es etwas sehr Tröstliches, dass bei jeder Priesterweihe im Weiheritus dafür gebetet wird, dass Gott vollenden möge, was wir Menschen beginnen. Und bezeichnenderweise taucht genau dieses Gebet bei jedem katholischen Begräbnis wieder auf. Wir brauchen uns also gar nicht aufzuregen über diese Baustellen, sondern wir müssen damit rechnen, dass wir nie fertig werden, dass unser Leben, dass die Kirche permanente Baustelle ist und bleibt.
Liebe Schwestern und Brüder,
trotzdem kommen in uns die Fragen auf: Warum kann es nicht mal gut sein? Warum ist nicht einmal einfach alles fertig? Warum können wir uns nicht ein für alle Mal gemütlich ins Warme setzen? Warum reicht oder zählt nicht mehr das, was wir einmal mit so viel Engagement geschaffen haben? Ich muss in diesem Zusammenhang an ein Wort denken, das Papst Franziskus seit Beginn seiner Amtszeit oft erwähnt: die Zeit ist wichtiger als der Raum. Die Zeit meint Fülle, Horizont, Prozess, Veränderung, Wachstum, Entfaltung, Offenheit – so unsicher und anstrengend das manchmal ist. Der Raum bietet natürlich Sicherheit, aber er ist auch Beschränkung, Begrenzung, Selbstbestätigung, Abgeschlossenheit. Die Zeit ist wichtiger als der Raum. Das Leben von uns Menschen und der Kirche ist kein endgültiges Abhaken einer ToDo-Liste: Jetzt habe ich das und das erledigt, Baum gepflanzt, Haus gebaut … Jetzt bin ich fertig. Nein, es ist wichtiger, so Franziskus, „Prozesse in Gang zu setzen anstatt Räume zu besitzen.“ (EG 223).
Den wichtigsten Prozess hat Christus selbst in Gang gesetzt; es ist der Prozess der Liebe, von der unser Evangelium im Dialog zwischen Jesus und Petrus spricht: „Liebst Du mich?“ Liebe ist ein Prozess, in dem wir permanent wachsen können, einer, der nie aufhört. Es ist der allerwichtigste Prozess unserer Kirche!
Lieber Bischof Norbert, ich danke Dir dafür, dass Du Dich auf diesen Prozess eingelassen hast und bis heute einlässt. Und bei allem, was mit dem 75. Geburtstag eines Bischofs verbunden sein kann, höre in diesem Prozess niemals auf. Gottes Segen!