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Predigt

Vortrag im Anschluss an den ökumenischen Gottesdienst

01. März 2017
Itzehoe / St. Ansgar

„Fasten, wozu?“ - Neue Zugänge zum Fasten

1. Fasten liegt im Trend und scheint gesund zu sein. Die FAZ brachte am 1. Januar 2017 einen Artikel unter der Überschrift „Der Hunger ist ein Tyrann, dem wir trotzen sollten“ . Die Autorin berichtet von acht amerikanischen Abenteurern, die ein mögliches Leben auf dem Mars simuliert haben. Dafür haben sie zwei Jahre in einem abgeschotteten Kuppelbau mit einem eigenen Ökosystem gelebt und mussten sich selber mit Ackerbau und Viehzucht versorgen. Pannenbedingt wurde das Essen bald knapp, aber alle acht haben durchgehalten. Das Ergebnis: Sie waren alle schlanker aber nicht mangelernährt. Die Blutwerte waren wie die von kleinen Kindern. „Die Fastenkur wirkte wie ein Jungbrunnen für die Teilnehmer.“
Wissenschaftler empfehlen, um diesen Effekt im Alltag zu erreichen, das intermittierende Fasten, also zeitweilige Essenspausen: „mehrere Tage im Monat, einen bis zwei Tage in der Woche, jeden zweiten Tag oder 14 bis 18 Stunden am Tag.“ Manche Krebsforscher ergänzen mit Fastenempfehlungen sogar ihre Krebstherapie. Unter Hunger geht der Körper an die Reserven und baut wohl zuerst schädlich Zellen ab, da die meist schwächer sind.

2. Was durch Gesundheitsforschung und -trends (bspw. das umstrittene Heilfasten) neu in den Blick kommt, war schon lange Teil unserer Frömmigkeitstradition: Askese des Mönchtums, Fastenzeit etc. Auch die katholische Tradition, außerhalb der Fastenzeit (mittwochs und) freitags etwa auf Fleisch zu verzichten, hat mit dem Veggie Day Konjunktur – auch wenn der meist leider nicht auf einem Freitag liegt.
In Zeiten, in denen die Pflege der eigenen Gesundheit immer wichtiger wird, scheinen die Erkenntnisse zur gesundheitsfördernden Wirkung des Fastens genau zu passen. Es spricht nichts dagegen, dass Fasten gesund ist. Aber wenn uns unsere Suche nach Gesundheit im Fasten mehr und mehr einnimmt (‚Gesundheitswahn‘), dann erreichen wir eher das Gegenteil von dem, worum es beim Fasten wirklich geht.

3. Der Verzicht und das Weniger der Fastenzeit sind ja nicht Selbstzweck, sondern Ausdruck einer inneren Bewegung auf Christus. Die Fastenzeit, die Österliche Bußzeit – bzw. Passionszeit, wie unsere evangelischen Schwestern und Brüder sie nennen – ist die Vorbereitungszeit auf die Osterfeier. Die alte Kirche erweiterte die ursprünglich für die Taufbewerber gedachte Vorbereitung auf die Gesamtgemeinde mit Fasten, Gebet, Buße und Almosen bzw. „sozialem Engagement“, wie man heute sagen würde.
Wir nehmen in diesen vierzig Tagen unser Leben neu in den Blick. Oder vielleicht besser: Wir stellen unser Leben unter den Blick Gottes, um uns neu auf ihn auszurichten. Als Christen vergegenwärtigen wir uns wieder das, was wir in der Taufe empfangen haben und was wir seit dem sind: neu in Christus. Die mit Weihwasser beträufelte Asche, mit der wir am Beginn der Fastenzeit bezeichnet werden, ist ein symbolischer Ausdruck dafür: Zum einen sind wir endlich („zum Staub kehrst du zurück“) und müssen daher jetzt umkehren. Zum anderen ist Asche in früheren Zeiten als Reinigungsmittel verwendet worden und erinnert uns daran, unser Leben „zu reinigen“. Die Zielrichtung dieser Umkehr und ‚Reinigung‘ macht das Weihwasser deutlich, das an unsere Taufe erinnert. Wir sind eben nicht nur vergänglicher Staub, sondern gleichzeitig auch unverlierbar Kinder Gottes.

4. Fasten als Weniger. Das „Weniger“, der Verzicht ist wohl das, was die meisten Menschen – auch über die Kirchen hinaus – mit der Fastenzeit verbinden: Keine Süßigkeiten, kein Alkohol, keine Zigaretten, kein Fleisch etc. Seit einiger Zeit liegt auch der Verzicht auf Medien im Trend: WhatsApp-Fasten, Facebook-Fasten, Fernseh-Fasten etc.
Wir reduzieren äußere Dinge wie Essen, Medien etc., um zum Inneren zu gelangen. Reduzieren bzw. Reduktion kommen vom lateinischen reducere, dt. zurückführen. Wir machen, essen, konsumieren weniger, leben aber dafür intensiver. Ignatius von Loyola sagt, „nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge, sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von innen.“ Man könnte auch sagen, wir bewegen uns in der Fastenzeit von der Weite des vielen in die Tiefe des weniger.
Das Weniger hat dabei auch einen ‚pädagogischen Effekt‘: Der konkrete Verzicht und die damit verbundenen Gegensatzerfahrung kann Ostern intensiver erlebbar machen. Wer in den Wochen vor Ostern verzichtet und dann an Ostern das Fasten beendet, verstärkt dadurch das spirituelle Miterleben der Dynamik von Leid, Tod und Auferstehung Jesu Christi.
Wir stellen allzu gute Gewohnheiten wie etwa die Schokolade am Abend für sieben Wochen zurück oder lösen uns von falschen Bindungen an unsere Smartphone-Apps. „Alles ist mir erlaubt – aber nicht alles nützt mir. Alles ist mir erlaubt – aber nichts soll Macht über mich haben.“ (1Kor 6,12), sagt Paulus. Dieser tiefere Sinn sollte auch bei unserer Auswahl, was wir konkret fasten, leitend sein: Was macht mich frei? Was tut mir gut? Was führt mich in die Tiefe? Was öffnet mich für andere? Das Weniger ist dann vielleicht eher ein Loslassen als ein Verzicht.

5. Fasten als Mehr: mehr Ich. Das „mehr Ich“ klingt zunächst missverständlich. Geht es nicht gerade darum, von mir loszulassen? Umkehr und Erneuerung beginnen bei mir und nicht bei anderen. Deshalb dürfen wir auch uns selber in dieser Zeit in den Blick nehmen: unsere Schattenseiten, Sünden wie auch unsere Träume, (ungehobenen) Talente etc.
Die Fastenzeit kann die Gelegenheit sein, Körper und Seele wieder in Einklang zu bringen. „Tu deinem Leib etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen“ (Teresa von Avila): Sport, Spaziergang, gesundes Essen, Lesen, Freunde anrufen, etc. Für Familien mit kleinen Kindern ist das sicher oft schwierig. Aber vielleicht bietet die Fastenzeit die Gelegenheit, sich neu bewusst zu machen, dass wir neben bzw. in familiären und beruflichen Rollen immer auch Glaubende und Liebende sind.
Die ehrliche Begegnung mit uns selber kann uns öffnen für die wirkliche Begegnung mit Gott.

6. Fasten als Mehr: mehr Gott. In der Bibel steht ein Fasten meist vor Gottesbegegnung oder dem Aufbruch in die Mission bzw. zu anderen. Wenn unser Fasten ein Weniger an zeitraubenden Dingen ist (Medien etc.), können wir Gott einladen diese Zeit zu füllen und uns von ihm erneuern zu lassen.
Mögliche geistliche Elemente dieser Erneuerung: Die in der Taufe besiegelte Umkehr wird neu vollzogen in der Reflexion des eigenen Lebens und der Versöhnung mit Gott. Hier hat auch das Sakrament der Versöhnung, die Beichte, seinen Ort. Lesen der Bibel/eines bestimmten Buches mit der Frage „Gott, was willst du mir heute sagen?“ Gebet in den verschiedenen Formen. Betrachtung von Ikonen. Lesen geistlicher Texte... Wichtig ist auch hier nicht so sehr ein quantitatives mehr, sondern ein qualitatives: Gott Aufmerksamkeit schenken, meine Beziehung zu ihm erneuern.

7. Fasten als Mehr: mehr Nächster. Fasten ist auch ein Mehr bspw. an echter Zeit und Aufmerksamkeit für Familie/Freunde sowie an Engagement und Gaben für Bedürftige. Jes 58,6f: „Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen? Bedeutet es nicht, dem Hungrigen dein Brot zu brechen, obdachlose Arme ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deiner Verwandtschaft nicht zu entziehen?“
Fasten hat auch eine soziale bzw. politische Dimension, indem es ein Zeichen für Solidarität mit anderen ist (Bsp. Hungermärsche, Fastensuppeessen, Misereor-Fastenaktion). Das beliebter werdende Fasten aus ökologischen Gesichtspunkten (40-tägiger Verzicht auf Auto oder Plastik) erweitert diese Dimension noch.

8. Fasten als (Lebens)Haltung der Frei- und Selbstwerdung. Das Weniger und die verschiedenen Mehr’s der Fastenzeit schließen sich nicht aus, sondern gehören im richtigen Maß zusammen. Man könnte sagen, Fasten ist eine Grundhaltung, die ich als Mensch einnehme. Unser deutsches Wort Fasten hängt mit dem englischen fasten zusammen. Wir kennen es aus dem Flugzeug: Fasten seatbelts! Das Fasten will uns festigen, verankern, festmachen in Gott.

9. Beispiel Bruder Klaus. In diesem Jahr ist nicht nur 500 Jahre Reformation, sondern auch 600 Jahre Nikolaus von Flüe. Nikolaus wurde 1417 als Bauernsohn in Schweizer Kanton Obwalden geboren. Er bewirtschaftet einen stattlichen Hof und bekommt mit seiner Frau Dorothea zehn Kinder, wird Richter und Ratsmitglied. Mit 50 Jahren entschließt er sich – geführt von einer Vision – die Familie und seine Ämter zu verlassen und ein asketischer Einsiedler zu werden. Sein ursprünglicher Plan, auszuwandern, verwirklicht sich nicht. Stattdessen baut er durch eine Vision geleitet eine Klause in einer Schlucht hinter seinem Hof. Dort lebt er die letzten 20 Jahre seines Lebens und ernährt sich nur von der Eucharistie. Der Mystiker wird bewundert für seine Spiritualität und geschätzt für seinen Rat – auch bei politischen Vermittlungen.
Sehr bekannt ist ein Betrachtungsbild, das ihm für seine Einsiedelei geschenkt wurde. „In diesem Bilde betrachtete Bruder Klaus das eine und dreifaltige, unermessliche Wesen Gottes. Er nannte das Bild ‚mein Buch‘, worin er (als Analphabet) lerne und die Kunst der Glaubenslehre zu verstehen suche. Hauptbestandteil des Bildes sind die beiden Kreise in der Mitte: der innere mit dem Gottesantlitz und der äußere, der durch drei auslaufende und drei einlaufende Strahlen mit dem Innern verbunden ist. Die sechs um die Kreise angeordneten Medaillons reden von den Großtaten der Liebe Gottes (von unten in der Mitte im Uhrzeigersinn): Verkündigung, Geburt Jesu, Schöpfung, Passion, Kreuzestod und Eucharistie. Die vier Ecken sind mit den Evangelistensymbolen ausgefüllt.“
Ich möchte, wenn ich Bruder Klaus als Beispiel anführe, nicht für das Verlassen von Partnern und Kindern werben. Aber Bruder Klaus macht mit seinem Einsiedlerleben hinter seinem Hof eines deutlich: „Er brauchte – auch das vielleicht symbolisch – nicht in die Ferne schweifen, um seiner Bestimmung zu folgen, sondern einfach knapp neben dem Gewohnten in die Tiefe gehen.“ Ein Sinnbild für die Fastenzeit: Nicht immer sind radikale Schnitte nötig, sondern genauso wichtig ist es, dem Alltag Tiefe zu verleihen. Fasten muss nicht heißen, alles von heute auf morgen zurück zu lassen, sondern das Leben aus der Begegnung mit Christus neu gestalten zu lassen.

10. Fasten und Ökumene. Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zur Reformationsgeschichte und zur heutigen ökumenischen Bewegung. Die (in der damaligen Situation durchaus berechtigte) reformatorische Kritik an der Werkgerechtigkeit wirkt bis heute nach. Vor allem für die Reformation um Calvin und Zwingli war das Fasten ein zentraler Punkt. Zwingli: „Kein Christ ist zu den Werken, die Gott nicht geboten hat, verpflichtet. Er darf also zu jeder Zeit jegliche Speise essen.“ Entsprechend kam es in Zürich am 1. Fastensonntag des Jahres 1522 zum berühmten Wurstessen. Ich habe gelesen, dass es als symbolischer Ausdruck der reformatorischen Umwälzungen für die Schweiz ein analoges Ereignis wie für Deutschland der Wittenberger Thesenanschlag war.
Wir begehen den 18. Ökumenischen Aschermittwoch. Ich bin dankbar, dass wir heute Abend den Aschermittwoch ökumenisch begehen können. Die theologische und v. a. auch menschliche Annährung zwischen den Kirchen findet so auch Ausdruck im konkreten gemeindlichen Leben vor Ort. Wir haben uns als Konfessionen gegenseitig geholfen, dem Fasten in der richtigen Art und Weise auf der Spur zu bleiben. Durch die Reformation wurden wir Katholiken angestoßen, uns dem eigentlichen Sinn des Fastens bewusst zu machen. Unsere Evangelischen Geschwister konnten es dann für sich wiederentdecken – etwa durch die in den 1980er gegründete Aktion „7 Wochen ohne“. Heute auch Aktion „7 wochen anders leben“ des ökumenischen Vereins Andere Zeiten mit Impuls-Briefen, Internetforum etc., als Einladung diese Zeit bewusst zu leben.

11. Konkrete Tipps. Zum Schluss möchte ich Ihnen noch ein paar konkrete Tipps vorstellen, die mir bei Fasten hilfreich erscheinen: Nehmen Sie sich etwas Konkretes vor und schreiben es ggf. auf, evtl. in Form eines Fasten-Tagebuchs. Überfordern Sie sich nicht. Das Vorhaben einer radikalen Lebenswende verläuft meist im Sande. Lieber kleine, aber konkrete Schritte gehen. Wenn Vorhaben gebrochen werden, einfach neu anfangen und vllt. fragen, warum. Sparsam sein mit Ausnahmen. Sie müssen sich anderen ggü. nicht rechtfertigen, erzählen Sie einfach von Ihrer Freude an den 40 Tagen. Überlegen Sie sich, was nach der Fastenzeit bleibt. Bei echten Abhängigkeiten hilft keine Fastenzeit, sondern nur professionelle Unterstützung. Fasten kann man nur selber wollen, nicht aber anderen verordnen.

Und: Wir können uns einfach Gott in dieser Zeit besonders anvertrauen. Von Bruder Klaus stammt ein Gebet, das wir in der Fastenzeit immer wieder sprechen können: „Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir. Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert zu dir. Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu Eigen dir.“

12. Ich wünsche Ihnen, dass Sie die kommenden vierzig Tage (die Sonntage als ‚Osterfeste‘ sind natürlich ausgenommen) intensiver und freier auf Karfreitag und Ostern und damit auf unseren Herrn selber zugehen können. Die Fastenzeit ist keine Bürde, sie ist eine Chance!

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