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Predigt

Hirtenwort zum Auftakt des Erneuerungsprozesses 2016

12. November 2016
St. Marien-Dom / Hamburg

Es gilt das gesprochene Wort!

HERR, ERNEUERE DEINE KIRCHE UND FANGE BEI MIR AN

1. Einführung

Liebe Schwestern und Brüder,
ich freue mich, dass Sie sich heute so zahlreich auf den Weg gemacht haben. Es ist ein gutes Zeichen, dass wir uns gerade hier im Mariendom versammeln. Der Dom ist die Mutterkirche unseres Erzbistums und steht für die Einheit der ganzen Diözese.

Sie sind mit vielen Fragen, Ideen, Sorgen und Befürchtungen gekommen: Was bedeutet „Erneuerungsprozess“? Schon wieder etwas Neues? Wieder ein Prozess?

Nein! Heute vertiefen wir den schon begonnen Prozess der Pastoralen Räume und gehen ihn weiter. Der Prozess bündelt viele Fragen, die uns alle beschäftigen: Wie können wir heute und morgen Kirche für die Menschen sein? Wie entwickelt sich meine Gemeinde/Pfarrei weiter? … All diese Fragen und Anliegen haben in unserem Prozess Platz.

Seit eineinhalb Jahren bin ich jetzt Erzbischof der katholischen Kirche im Norden. Als ich kam, kannte ich das Meiste nicht. Jetzt kann ich sagen: Die Diaspora hat mich positiv überrascht. Die kleinen, aber lebendigen Gemeinden beeindrucken mich. Ich bin gerne hier im Norden und bin mir sicher, dass uns der Prozess gemeinsam gelingen kann.

Bei der Vorbereitung des heutigen Tages ist mir ein Bild in den Sinn gekommen: Wir können unser Bistum wie einen Baum betrachten mit Wurzeln, Stamm, Zweigen, Blättern, Früchten und so weiter.
Im Gebet haben wir deshalb gerade Psalm 1 gehört: „Wohl dem, der […] Freude hat an der Weisung des Herrn, sie bedenkt bei Tag und bei Nacht. Wie ein Baum, der am Wasser steht, bringt er zur rechten Zeit seine Frucht. Alles, was er tut, wird ihm gut gelingen.“

Ein starkes Bild: Ein Baum am Wasser. Wie gerne wären wir als Kirche solch ein Baum: gepflanzt am Wasser; ein Organismus, dem das, was er zum Leben braucht, nicht ausgeht; der wächst und gedeiht und aus dem Vollen schöpft. Wie gerne würden wir sagen: Alles, was wir tun, gelingt uns.
In der Situation, in der sich unser Erzbistum gerade befindet, drückt dieser Psalm eine Sehnsucht aus. Oft erleben wir die Realität anders.

Die finanzielle Lage des Erzbistums ist sehr schwierig. Das haben wir Anfang des Jahres mit den diözesanen Gremien ausführlich besprochen und das ganze Bistum in mehreren Veranstaltungen und durch die Sonderbeilage „Bistum auf neuen Wegen“ informiert. Zwar sinken im Moment unsere Mitgliederzahlen nicht und durch die wirtschaftliche Lage haben wir aktuell gute Kirchensteuereinnahmen. Dem gegenüber steht aber eine riesige Zahl von Kirchen, Gemeindehäusern, Kindergärten, Bildungshäusern, Schulen etc. Ihr Unterhalt kostet jedes Jahr viel Geld. Dazu kommen noch die jährlich steigenden Personalkosten und die erheblichen Pensionsverpflichtungen für unsere Schulen. Entscheidungen der Vergangenheit binden uns heute. Wir können diese Entscheidungen nicht rückgängig machen, sondern müssen jetzt vorausschauend handeln.

Das heißt konkret: Wir müssen in unserem Haushalt in den nächsten Jahren Schritt für Schritt kürzen. Bis 2020 müssen die jährlichen Einsparungen zwanzig Millionen Euro betragen. Nur so können wir unsere Verpflichtungen einhalten und nur so bleibt uns noch Luft für Neues. Denn für 60% der anstehenden Investitionen fehlt uns schon jetzt schlicht das Geld.

Prognosen sagen zudem, dass es bis 2050 voraussichtlich 40% weniger Kirchenmitglieder geben wird. Das heißt auch, die Kirchensteuereinnahmen sinken entsprechend. Wollen wir einen finanziellen Spielraum behalten, müssen wir mit Einschnitten um bis zu 50% rechnen.

Eine einfache Lösung und lauter Einzelfallentscheidungen: das scheint nicht zu gehen. Dabei macht sich das Gefühl breit, dass es wirklich an die Substanz geht. Wir müssen mit weniger finanziellen Mitteln, weniger Räumen, weniger Personal auskommen.

Es geht an die Substanz. Aber was ist unsere Substanz? Was sind unsere Wurzeln, aus denen wir Kraft beziehen? Was ist unser Stamm, der uns hält und fest macht? Was sind unsere Zweige, mit denen wir uns ausbreiten? Was sind unsere Früchte, die wir anderen anbieten können? Und: Wie können wir unseren Baum veredeln und pflegen?

2. Christus als Mitte

Der Baum, vom dem Psalm 1 spricht, steht am Wasser. Das Wasser durchzieht diesen Baum von der Wurzel bis zum letzten Blatt. Er wird nicht morsch, sondern der Lebenssaft fließt in jeden Ast und in jedes kleine Blatt hinein.
Der Christ, ja die ganze Kirche, unsere Diözese ist einem solchen Baum ähnlich. Das Lebenswasser und die Lebenskraft, die uns durchziehen, empfangen wir zu allererst in Taufe und Firmung. In unserer Taufe sind wir in dieses Lebenswasser hineingenommen. Es wird uns nie daran mangeln! In der Firmung ist diese Kraftquelle auf‘s Neue besiegelt worden. Beide Sakramente empfangen wir nur einmal. Sie bergen Potenziale in sich, die wir ein Leben lang ausschöpfen und entdecken können. Jeden Sonntag, ja jeden Tag, feiern wir die Eucharistie und werden ganz von Christi Kraft erfüllt.

Es ist unsere persönliche Beziehung zu Jesus Christus, die den Baum lebendig hält. Wenn diese Beziehung nicht lebendig ist, verkümmert der Baum Schritt für Schritt. Ich bin der festen Überzeugung: Bei allen Veränderungen in der Kirche kommen wir nicht weiter, wenn wir hier oder da die Stellschrauben ein wenig nachjustieren. Vielmehr glaube ich: Nur wenn wir unsere Beziehung zu Christus immer wieder neu pflegen, können wir Kirche sein.
Deswegen ist das, was wir heute fortsetzen, auch kein „Strukturprozess“, sondern es ist ein umfassender Erneuerungsprozess. Christen leben immer in der Haltung der Erneuerung. Es geht darum, dass wir uns erneuern durch unsere Beziehung zu Jesus Christus. Deswegen steht über dem Prozess die Gebetsbitte: „Herr, erneuere deine Kirche und fange bei mir an“ . Diese Erneuerung kann nur gelingen durch Christus selbst und durch die Beziehung jedes Einzelnen von uns zu ihm: „Fange bei mir an!“

Liebe Schwestern und Brüder,
Jesus Christus ist eine lebendige Person. Als Christen glauben wir ja nicht an ein Programm, sondern wir glauben, das heißt wir vertrauen, einer Person: Jesus Christus. Er ist Mensch geworden wie wir, und will stets neu in Beziehung treten zu uns Menschen. Die Kirche lebt ganz von der Person Jesu Christi und ganz in uns. Da, wo einzelne Menschen sich von Jesus Christus ansprechen lassen, können sie auch andere ansprechen. Wer vom Evangelium Jesu Christi berührt ist, wird selber zum Evangelisten.
Schon in der Heiligen Schrift gibt es die vier Evangelien von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Sie machen deutlich, dass jeder seine individuelle Christusbeziehung hat. Das Neue Testament ist voll von unterschiedlichen Menschen, die persönlich von Christus angesprochen wurden: seine Apostel, die zweiundsiebzig Jünger, Lazarus, Maria, Martha. Und auch die Geschichte unserer Kirche liefert durch all die Jahrhunderte ganz vielfältige Beispiele: Martin, Franziskus und Dominikus, Teresia von Avila und auch eine Theresia von Lisieux, Johannes Paul II. und Mutter Teresa. Ganz zu schweigen von den verschiedenen Seligen und Heiligen unseres Bistums: Ansgar, Answerus von Ratzeburg, Niels Stensen oder die vier Lübecker Märtyrer.

Alle Strukturen, Institutionen und Mittel, die wir in unserer Kirche einsetzen, sollen den Menschen helfen, diese Christusbeziehung in all ihrer Unterschiedlichkeit zu leben. Unsere Gemeinden und Gemeinschaften, Familien und Freundschaften, Ordensgemeinschaften, die Kitas und Schulen und die vielen Orte kirchlichen Lebens in unserer Erzdiözese – sie sollen helfen, dass die Verbindung zum Wasser des Lebens, zu Jesus Christus selbst gelingen kann.
Ich frage mich manchmal: Fördert das, was wir tun, die Beziehung zu Christus? Ist es dazu neutral? Oder steht es dieser Beziehung im Weg?

3. Einheit

Die Beziehung zu Jesus Christus stiftet die Einheit unter uns Christen. Bei aller Verschiedenartigkeit ist unsere Beziehung zu Jesus das, was uns gemeinsam ist. Sie garantiert die Einheit zwischen allen Getauften, zwischen Laien und Priestern, zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen, zwischen Alt und Jung, zwischen sozial Engagierten und geistlich Aktiven, zwischen den Alteingesessenen und den Neuen, zwischen unseren Gemeinden und Pfarreien, zwischen den drei Regionen unseres Bistums in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg und dem Gesamtbistum und natürlich auch in die Ökumene hinein. Das haben wir zusammen mit der Nordkirche auch im Ökumenischen Bischofswort zum Ausdruck gebracht: „Durch die Taufe gehören wir zu Christus und sind untereinander verbunden: […] In ihm sind wir schon eins.“

Diese Einheit ist wie der starke Stamm des Baumes. Er sollte fest sein, um die Zweige Blätter und Früchte tragen zu können.
Aus diesem Grund ist mir so wichtig, dass in unserem Erneuerungsprozess auch alle wesentlichen Fragen behandelt werden. Wir werden eine Lösung im Miteinander finden. Die Antworten auf diese Fragen müssen wir für unser ganzes Bistum suchen. Hier kann sich niemand heraushalten. Dann würde er sich vom Baum abschneiden und isolieren.

4. Partizipation

Die Äste und die Blätter des einen großen Baumes sind sehr verschieden. Manche Äste tragen andere. Manche tragen Blätter, die das Sonnenlicht einfangen. Andere Zweige tragen Früchte. Jeder Einzelne hat seine Bedeutung.

Auch in der Kirche hat jeder sein Charisma, seine eigenen Talente mitbekommen. In einem Gebet heißt es: „Keinem gabst du alles – und keinem nichts.“ Mit unseren je verschiedenen Gaben partizipieren wir, haben wir teil am großen Ganzen der Kirche. Deswegen bitte ich Sie alle, Ihre eigenen Begabungen einzubringen. Unser Erneuerungsprozess wird nur dann an Fahrt aufnehmen, wenn jeder so mutig ist, seine Talente nicht für sich zu behalten, sondern für die anderen einzubringen. Kirche lebt von der Partizipation aller!

5. Mission

Je länger ich mich in das Bild des Baumes hineinvertiefe, umso deutlicher wird mir: Der Baum lebt nicht für sich, sondern er bringt Frucht. Er bietet Schutz oder ist Nistplatz für andere. Zunächst einmal hat er offenbar selber von seinen Früchten nichts, sondern er verliert sie.

Übertragen auf unsere Kirche heißt das: Wir sind nicht Kirche für uns selber. Wir können uns als Kirche nicht mit dem Kreisen um uns selbst begnügen. Kirche sind wir immer und zuerst für die anderen, ja für die ganze Welt. Die Kirche lebt aus einer diakonischen und missionarischen Grundhaltung. Wir wollen andere mit dem Evangelium in Berührung bringen in Tat und Wort. Deswegen bin ich sehr erfreut über das große Engagement, das viele Menschen an den Tag legen in der Verkündigung des Glaubens, in der Katechese, in der konkreten Zuwendung zum Nächsten in Caritas, in der Seelsorge, in unseren Schulen und Kindertagesstätten… Nur wenn wir aus uns herausgehen, können wir für das Leben der Menschen eine Bedeutung gewinnen. „Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren; wer es dagegen verliert, wird es gewinnen.“ (Lk 17,33)

6. Prozess

Unser Erzbistum ist das jüngste in Deutschland mit gerade einmal einundzwanzig Jahren. In diesen einundzwanzig Jahren ist vieles gewachsen. Viele junge und alte Menschen sind tief in Christus verwurzelt und es gibt enorm viel Gesundes und Fruchtbares in unserem Erzbistum.
Bäume, die gesund wachsen und reiche Frucht bringen sollen, müssen gepflegt und regelmäßig zurückgeschnitten werden. Jesus selbst greift das in seinem Gleichnis vom Weinstock und den Reben auf (vgl. Joh 15, 1-8).

Ich glaube, dass auch für die Kirche immer wieder ein solcher Moment kommt. Das soll jetzt in unserem Erzbistum in einem klugen Prozess mit verschiedenen Projekten geschehen. Der Prozess wird professionell begleitet und gut kommuniziert. Es bleibt unsere Aufgabe, richtige Fragen zu stellen und passende Antworten zu finden. Deshalb ist es mir auch ein Anliegen, dass sich in den verschiedenen Projekten viele Menschen beteiligen.

Ich glaube daran: Jeder einzelne von uns erneuert sich nur in dem Maße, in dem er seine Beziehung zu Jesus Christus vertieft. Deswegen ist unser Prozess zu allererst ein Prozess der religiösen Erneuerung: Was dient heute der Verwurzelung in Christus? Was dient unserer Einheit? Welche Charismen haben wir? Wie leben wir unseren missionarischen und karitativen Auftrag noch stärker?

Diese Fragen müssen wir an alle Bereiche unseres kirchlichen Lebens stellen: an unsere Pfarreien, Schulen, KiTas, an die Verwaltung hier in Hamburg…

Unsere Diskussionen, unsere Fragen und erst recht unsere Antworten können dabei nicht nur wirtschaftlich bestimmt werden. Das können wir nie ausklammern. Aber als glaubende Menschen zieht sich unsere Beziehung zu Jesus Christus durch alles durch. Daraus ergibt sich alles andere. Wirtschaftliche, bürokratische, technische Reformen reichen nicht aus. „Jetzt dient uns nicht eine ‚reine Verwaltungsarbeit‘“, sagt Papst Franziskus in Evangelii gaudium (Nr. 25).

Weil Gott manchmal mit seinem Volk unbekannte Wege geht, brauchen wir für diesen Erneuerungsprozess eine große Offenheit füreinander und für Gottes Willen. Papst Franziskus ermutigt uns dazu. „Die [erneuerte] Seelsorge unter missionarischem Gesichtspunkt verlangt, das bequeme pastorale Kriterium des ‚es wurde immer so gemacht‘ aufzugeben. Ich lade alle ein, wagemutig und kreativ zu sein in dieser Aufgabe, die Ziele, die Strukturen, den Stil und die Evangelisierungs-Methoden der eigenen Gemeinden zu überdenken. Eine Bestimmung der Ziele ohne eine angemessene gemeinschaftliche Suche nach den Mitteln, um sie zu erreichen, ist dazu verurteilt, sich als bloße Phantasie zu erweisen“ (Nr. 33). Deswegen braucht es eine kluge geistliche Unterscheidung.

7. Vertrauen und Beten

Das was, wir vor uns haben, ist nicht gerade wenig. Deswegen möchte ich zum Abschluss auch für Gelassenheit werben. Denn man kann keinen Baum zum Wachsen zwingen, nur gute Bedingungen schaffen. Die Erneuerung geht zu allererst von Christus aus: „Herr, erneuere deine Kirche…“
Ich bitte um Ihr Mittun und vor allen Dingen um Ihr aller Beten. Der Kanon „Herr, erneuere deine Kirche und fange bei mir an“ ist die Leitmelodie, die all unser Reden, Fragen und Suchen durchzieht.

Herr,
erneuere deine Kirche
und fange bei mir an.
Hirtenwort 0.07 MB

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