Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitbrüder,
der heutige Tag und unser heutiges Fest ist 950 Jahre Gedächtnis des Märtyrertodes des heiligen Answer, 50 Jahre Kirche in Rehna und 15 Jahre Terroranschläge in New York.
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich selber vor 15 Jahren im Urlaub war, und bemerkte, dass irgendwie etwas anders war. Ich sah Menschen in ihren Häusern, die vor dem Fernsehapparat saßen und irgendwie waren die ganz verändert. Ich selber konnte nicht in das Fernsehgerät schauen und nicht mitbekommen, was da war. Das konnte ich später dann erst in meinem eigenen Zimmer über englische Nachrichten. Es waren noch keine Bilder da, aber es lief immer ein Band unten unter dem Bildschirm und da war auf Englisch zu lesen: Twin towers are collapsed. Kollabiert. Irgendwie habe ich gedacht, da ist der Strom ausgefallen. Da ist eine Panne. Da ist irgendetwas nicht in Ordnung und das ist bei diesen Riesenbauten ein Riesenproblem. Ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass Flugzeuge in diese Türme hineingefahren und –geflogen sind, und diese Türme kollabiert waren. Das war für mich jenseits aller Vorstellung, die ich mir damals hätte machen können. 15 Jahre ist das her. Wir wissen, dass die Täter von damals das auch aus religiösen Motiven getan haben, dass sie sich auf Gott berufen haben, und sozusagen eine religiöse Verpflichtung darin gesehen haben, dieses Werk ausführen und durchführen zu müssen, um diesem Gott, an den sie glauben, Durchbruch zu verleihen.
Liebe Schwestern und Brüder, dieses Gedenken, heute vor 15 Jahren, hat mich auf die Frage gebracht, was ist denn unser Gottesbild. Was ist denn unser christliches Gottesbild, dem wir Durchbruch auf dieser Erde verleihen wollen? Wenn wir das geklärt haben, können wir im zweiten Schritt uns Gedanken machen, wie man das denn wohl am besten tun kann. Da spricht dieses Evangelium, das an diesem Sonntag überall in der katholischen Kirche verlesen wird, Bände. Das Evangelium von der Frau, die eine Drachme sucht, von dem Menschen, der ein verlorengegangenes Schaf sucht. Und wenn wir die lange Fassung genommen hätten, dann hätten wir noch gehört von dem Vater, der auf seinen verlorenen Sohn wartet. Die drei stehen im 15. Kapitel bei Lukas alle hintereinander. Und diese drei Gleichnisse bringen unser christliches Gottesbild wahrscheinlich wie kaum ein anderer Text zum Ausdruck.
Das erste, was mir aufgefallen ist, und was für mich dann eine Aussage über Gott ist: Gott gibt niemanden auf. Gott schreibt niemanden ab. Ich glaube, das ist ein Gedanke, den wir uns bewusst immer wieder vor Augen führen müssen. Wir leben ja, wie man heute so sagt – naja, wir haben verschiedene Begriffe für unsere Gesellschaft – aber ein Begriff, der immer wieder einmal zu hören ist: Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Wir haben so viel, und da kommt es nicht auf dieses und jenes an. Also weg damit. Da könnte man ja meinen, wenn du 99 Drachmen hast, dann kannst du die eine auch abschminken. Und wenn du 99 Schafe hast, was macht den Kohl noch fett wegen dieses einen Schafes. Nein. Unser Gott ist kein Wegwerfgott, der die Dinge oder die Menschen einfach so wegwirft und sagen würde: Einen mehr oder weniger darauf kommt es nicht an. Nein, Gott schreibt niemanden ab und lässt niemanden fallen. Jeder Einzelne, jeder Klei-ne, jeder vielleicht noch so Unbedeutende spielt für unseren Gott eine Rolle. Liebe Schwestern und Brüder, weil das so ist, und das ist dann der zweite Charakterzug unseres Gottes, der in diesen Gleichnissen zum Ausdruck kommt, weil das so ist, geht Gott jedem nach. Mir ist das noch einmal im Vergleich deutlich geworden. Bei dem Gleichnis vom barmherzigen Vater und dem verlorenen Sohn, das wir ja nicht gehört haben, da haben wir immer so die Vorstellung: Der Vater wartet und wartet und wartet. Aber bei den beiden anderen Texten von der Drachme und dem Schaf, da ist nicht einfach nur das Warten, also ich setze mich in meinen Sessel und warte und warte und warte, sondern da wird zum Ausdruck gebracht, die Frau, der Hirte, sie suchen. Sie gehen aktiv vor. Sie gehen auf das verlorene Schaf zu. Sie stellen sozusagen alles auf den Kopf, auch bei der Suche nach der Drachme. Wo mag sie sein? Ein Gott, der nach den Menschen sucht, der ihnen nachgeht.
Liebe Schwestern und Brüder, Julien Green hat in dem Vorwort zu seiner Autobiographie den interessanten Gedanken niedergeschrieben im Rückblick auf sein Leben: Mein Gott, wieviel Zeit hast du für mich investiert. Ihm wird im Rückblick auf sein Leben klar, dass Gott ihn nicht verlassen hat, dass Gott nicht irgendwo ist, sondern dass Gott einer ist, der sich um ihn kümmert. Und zwar nicht eben mal so, sondern, wie er sagt, mit wieviel Zeit. Mit wieviel Kraft kümmerst du dich um mich. Mit 50 Jahren schreibt man noch keine Biographie. Wer weiß, ob ich das jemals tue. Aber es würde einmal den Gedanken lohnen, auf unser Leben zurückzuschauen, und sich zu fragen: Gibt es auch bei mir diese Punkte, wo ich sagen kann, Gott sucht mich. Gott bringt ziemlich viel Zeit damit zu, sich um mich zu kümmern. Oft haben wir ja den Eindruck: Der kümmert sich um die an-deren, aber nicht um mich. Lassen wir ruhig mal die anderen beiseite und versuchen wir nachzuspüren: Kümmert sich Gott um mich? Kann ich das als Christ, als Christin sagen? Könnte ich das schreiben? Wie Green, in meiner Lebensbiographie?
Gott schreibt keinen ab. Gott sucht nach den Menschen. Und dann das Letzte: Gott hat Freude am Menschen. Das ist bei dem verlorenen Sohn genauso wie bei der Drachme und bei dem Schaf. Am Ende steht ein ganz großes Freudenfest. Jetzt müssen wir feiern. Und manchmal habe ich den Eindruck, wir sind ein bisschen so, wie dieser Sohn, der immer zu Hause geblieben ist, und nie das Weite gesucht hat und der sich kaum über die Rückkehr seines Bruders freuen kann, sondern wie ein Muffel dasteht. Für den schlachtest du das Kalb und ich kriege nichts. Gott freut sich am Menschen und beinahe würde ich sagen, Gott bereitet uns Menschen immer wieder ein Fest der Freude. Wir brauchen das gar nicht selber zu organisieren. Wir brauchen uns die Party nicht selber zu machen. Sondern Gott bereitet sie uns vor, und will ein Freudenfest für jeden einzelnen Menschen halten.
Liebe Schwestern und Brüder, über den heiligen Answer wissen wir relativ wenig. Aber wir wissen, dass er Mönch war hier in Ratzeburg. Wenn ein Mönch ins Kloster geht, so sagt das jedenfalls der heilige Benedikt, dann ist die erste Motivation, um Gott zu suchen. Deswegen gehe ich davon aus, dass Answer ein Gottsucher war. Einer, der nicht nur als junger Novize am Beginn seines Ordenslebens nach Gott gesucht hat, sondern der Mönch sucht tagein tagaus immer wieder neu nach Gott. Einer, der nach diesem Gott gesucht hat, der längst schon auf der Suche nach ihm war. Answer war einer, der nach einem Gott gesucht hat, der keinen Menschen abschreibt. Egal wo er anzusiedeln ist auf der Hierarchie des Lebens und der Vergleiche, die wir Menschen anstellen. Answer war sicher ein Mensch, der nicht nur die Härten des Klosterlebens kennengelernt hat, sondern auch die Freuden, der diesen Gott gefeiert hat in der Liturgie und im Leben. Wenn wir heute sein Gedächtnis feiern, jetzt 950 Jahre nach seinem Tod, dann ist dieser Mönch uns ein Motivator, der sagt: Gerade wenn ihr da zusammenkommt, wo ich gelebt habe, wo ich gestorben bin, dann macht es genauso wie ich. Sucht nach diesem Gott und schreibt ihn nicht ab, denn dieser Gott schreibt euch nicht ab. Freut euch an diesem Gott, denn dieser Gott hat Freude an euch. In diesem Sinne, liebe Schwestern und Brüder, tun wir gut daran, das Gedächtnis des heiligen Answer hier in ökumenischer Verbundenheit lebendig zu halten. Amen.