Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Schwestern und Brüder,
lieber Werner,
es ist fast so, als wäre vor fünfzig Jahren schon klar gewesen, dass wir heute hier dein goldenes Priesterjubiläum miteinander feiern würden. Es kann dir wahrscheinlich kein größeres Geschenk gemacht werden, als das Viertelfinalspiel heute Abend, in dem unsere deutsche Mannschaft mit dabei ist. Du bist Fußballfan. Die Hamburger wissen es mittlerweile: Ich bin es nicht. Deshalb halte ich heute auch keine Fußballpredigt. Das tun Bischöfe in diesen Wochen gern, weil man viele Vergleiche aus dem Fußball mit dem christlichen Leben, sicher auch mit dem Priesteramt, ziehen könnte. Aber weil uns das unterscheidet, will ich nicht von dem reden, wovon ich keine Ahnung habe. Das würde sicher dir am allerehesten auffallen.
Etwas, was uns miteinander verbindet, liebe Schwestern und Brüder, ist die Musik. Werner Thissen ist nicht nur ein Mann, der auf den Fußballplatz geht oder den man vor dem Fernsehapparat am Samstagnachmittag, auch hier in Hamburg, irgendwo sehen kann. Übrigens hat er jetzt selber einen Fernsehapparat. Der sollte eigentlich erst zum goldenen Priesterjubiläum kommen, ist aber nun schon zwei Jahre vorher dagewesen. Bisher dachte er immer, so etwas braucht man nicht. Aber Samstagnachmittag sitzt er auch schon mal davor, und freut sich an einem guten Spiel.
Schwenken wir zur Musik. Darüber kann ich ein bisschen mehr sagen. Liebe Schwestern und Brüder, Werner Thissen ist ein Mann, der gern ins Konzert geht, der auch gern einmal zu Hause bei sich die Stereoanlage aufdreht. Vielleicht ist das für ihn das größte Opfer, dass er nicht mehr im Bischofshaus wohnen kann, wo man ja als Bischof hier in Hamburg allein lebt. Abgesehen von den Nachbarn im St. Bernards Haus ist da keiner. D.h. man kann da schon mal einen Wagner und einen Bruckner richtig hochfahren. Mit Rücksicht auf seine Nachbarn an der Danziger Straße hat sich Werner Thissen ein wenig zurückgehalten, was das anbelangt. Aber die Liebe zur Musik, die ist in ihm drin. Das merkt man spätestens, wenn man regelmäßig mit ihm zusammen Gottesdienst feiert.
Selbst wenn wir die schlichteste Werktagsmesse morgens im Ansgarhaus miteinander zelebrieren, irgendwann ist er nicht mehr zu halten. Man merkt förmlich die Emotionen, die in einem „Singet, lobt und preiset“ oder einem „Gehet hin in Frieden“ liegen. Deswegen liegt es nicht fern, aus der Musik sozusagen den Aspekt herauszuziehen, dass Musik nie harmlos und nie langweilig ist, jedenfalls gute Musik. Tiefgehende Musik birgt immer eine gewisse Dramatik in sich. Sie schwankt zwischen laut und leise. Sie variiert in den Tempi. Sie variiert in den Tonarten, im Rhythmus. All das bringt in die Musik eine Spannung. Deswegen liegt es auf der Hand, den Vergleich zu ziehen, dass Gott in seiner Schöpfung, in seiner Offenbarung und in seiner Erlösung gleichsam eine riesige Sinfonie zum Erklingen bringt. Wenn man die ersten Seiten in der Bibel aufschlägt und bis in unsere Zeit hineingeht, dann wäre das Ganze eine große abwechslungsreiche, spannende Sinfonie. Wenn der Priester sich jeden Tag ins Gebet begibt, wenn er nach Möglichkeit jeden Tag heilige Messe feiert, wenn er sein Stundengebet, das was man früher Brevier nannte, verrichtet und die einzelnen Tageszeiten betet, dann erklingt eine großartige Sinfonie. Deswegen, liebe Mitbrüder, wenn man das auf sich wirken lässt, dann kann priesterliches Leben eigentlich nie langweilig oder eintönig werden. Wenn man aber vor dieser Sinfonie sozusagen die Ohren verschließt und erstrecht das Herz, dann klinkt man sich aus und dann wird alles fad und leer.
Der Priester bringt diese Sinfonie nicht zur Aufführung. Das tut schon Gott selber. Das braucht der Priester gar nicht. Er braucht sie noch nicht einmal zu dirigieren. Ich weiß, du wärest gern Dirigent geworden, hat mir jedenfalls jemand verraten. Aber wir brauchen nichts zu dirigieren, sondern bei dieser großartigen Sinfonie sind wir nichts weniger als Mitspieler. Wir sind nicht Dirigenten und auch nicht Zuhörer. Keiner von uns, nicht der Priester, nicht der Bischof und kein einziger Gläubiger, Sie sind nie einfach nur zuhörende Masse oder, wie im Fernsehen oder im Opernhaus, Zuschauer. Jeder Einzelne von uns ist ein Mitspieler, hat seine Rolle in dieser großartigen polyphonen Sinfonie. Deswegen ist es so wichtig, dass der Einzelne seinen Platz findet, dass wir Priester dafür sorgen, dass die Gläubigen ihren je eigenen Platz finden können.
Wenn jeder dasselbe spielen würde, wäre das in unserer Kirche äußerst langweilig. Dann käme ein Unisono heraus. Stellen sie sich vor, unser Organist hätte heute Morgen nicht ein paar Register gezogen, sondern nur mit einer niedlichen Flöte, einem Achtfuß [Orgelregister] gespielt, die Feierlichkeit wäre weg gewesen. Das Zusammenklingen wäre gar nicht erst aufgekommen. So wie in der Orgel oder wie in der Sinfonie die einzelnen Stimmen zusammenklingen, so klingen sie aus uns allen zusammen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir sozusagen unsere Lebensmelodie entdecken, sie aufnehmen und sie dann ein Leben lang musizieren.
Für unseren Jubilar ist ein Münsteraner Priester von großer Bedeutung in seinem Leben gewesen. Wahrscheinlich kennen viele andere ihn auch. Er hat einige Bücher hinterlassen, die bis heute unübertroffen sind und immer zu Herzen gehen. Es ist der berühmte Münsteraner Spiritual Johannes Bours. In einem seiner kleinen Bücher holte er aus den Ignatianischen Briefen einige wertvolle Verse heraus. U.a. schließt er da ein Wort für den Leser auf, das heißt: „Nimm Gottes Melodie in dich auf“. Ich glaube, dass Werner Thissen ein Mensch ist, der als junger Mann in Kleve, später beim Studium (bevor er zur Theologie kam, gab es ja noch einen Exkurs in die Betriebswirtschaft), aber dann erst recht bei der Theologie und der Philosophie, 1965 ganz gewiss bei seiner Priesterweihe durch den damaligen Bischof Josef Höffner in Münster, und erst recht danach als Kaplan, als Spiritual, als Seelsorgeamtsleiter, als Generalvikar und schließlich als Weihbischof und Erzbischof – ein Gläubiger ist, der dieses Wort für sich entdeckt und gefunden hat.
Er hat seine Melodie gefunden. Diese Melodie, diese Stimme, die bringt er in die große Sinfonie der Kirche Gottes ein. Immer und immer wieder bleibt er bei dieser Melodie, variiert sie, improvisiert sie. Es bleibt aber immer der gleiche Kern. Diese Melodie, lieber Werner, die möge dir nie abhandenkommen. Ich wünsche dir, dass du sie auch als Emeritus immer weiter im Ohr hast, im Leben hast, dass du sie weiter summst, dass sie dir nach wie vor zur Lebensmelodie wird und bleibt und, dass du diese Melodie im großen Chor, in diese große Sinfonie mit einbringst mit uns allen zusammen. Ich danke dir von ganzem Herzen für deinen priesterlichen Dienst an den unterschiedlichsten Stellen. Ich wünsche dir Gottes Segen für deinen wohlverdienten Ruhestand. Damit das, was ich jetzt versucht habe in der Predigt auszudrücken, für dich Gestalt annehmen kann, damit du es gleichsam durchleben und vertiefen kannst, schenkt dir das Erzbistum heute nicht nur ein schönes Fest, sondern gleich auch ein paar Karten für die Oper.
Herzlichen Glückwunsch und Gottes Segen!