„Ich gebe nicht nur etwas, sondern bekomme auch viel zurück“, das sagte vor kurzem eine Frau, die Prostituierte ehrenamtlich auf der Straße aufsucht. Sie und ihre Mitstreiter von der Teestube Sarah sind einmal in der Woche auf Hamburgs Straßen unterwegs. Sie bieten den Frauen heiße Getränke und Süßigkeiten an, kommen aber vor allem ins Gespräch und helfen bei Bedarf. Vor einem halben Jahr durfte ich einen Ehrenamtlichen begleiten und war tief beeindruckt, mit welcher liebenden und offenen Haltung er den Frauen begegnet.
Die meisten unserer Begegnungen im Berufs- und Privatleben sind alltäglich. Aber viele entwickeln immer wieder eine große Tiefe – wie zum Beispiel mein Besuch bei den Ehrenamtlichen der Teestube Sarah. Solche Begegnungen bleiben lange hängen und prägen uns; sie fordern uns manchmal heraus. Das können ganz kurze Momente mit fremden Personen sein oder lebenslange Beziehungen mit vertrauten Menschen.
Erst durch die Begegnung mit anderen Menschen können wir wachsen und wir selber werden. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat das auf die Formel gebracht: „Der Mensch wird am Du zum ich.“ Das heißt, andere Menschen hindern mich nicht daran, ich selbst zu werden. Sie ermöglichen es mir – durch positive wie negative Erfahrungen.
Im ersten Buch der Bibel, in der Genesis heißt es: Gott schuf also den Menschen als sein Abbild. (Gen 1,27) Als Christen glauben wir, dass jeder Mensch ein Bild Gottes ist. Das ist eine Herausforderung. Denn das bedeutet, dass sich Gott in jedem Menschen finden lässt – in denen, die uns nah sind, wie auch in denen, die uns zunächst sehr fremd sind. Gottes Angesicht verbirgt sich hinter den vielen Gesichtern der Menschen unserer Tage. Heute können wir ihnen begegnen und ihnen die Gewissheit vermitteln, dass auch sie ein Ebenbild Gottes sind und er sie liebt.