Liebe Schwestern und Brüder,
mittlerweile bin ich fast ein Jahr Ihr neuer Bischof. Die Ernennung zum Hamburger Erzbischof bedeutet für mich eine doppelte Herausforderung: einerseits muss ich mich in das neue Amt als Bischof einfinden, andererseits in das für mich neue Bistum Hamburg.
Ich konnte in den letzten Monaten viele Menschen und Einrichtungen kennenlernen: in unseren Gemeinden, in der Ökumene und in der Gesellschaft. Dafür bin ich sehr dankbar!
Ich sehe dabei eine Reihe von Aufgaben vor uns liegen: an erster Stelle die Weiterentwicklung der Pastoralen Räume, dann die Sorge um die Jugend und um geistliche Berufungen, um unsere Schulen und die Caritas.
Ich bin froh, dass wir bald wieder – wie es das Kirchenrecht vorsieht – pastorale Gremien auf Bistumsebene haben, z.B. die Pastoralforen in den drei Regionen, den Priesterrat und den Diözesanpastoralrat. Sie sind mir zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben besonders wichtig. Ich setze auf die Mitarbeit vieler Frauen und Männer in unserem Bistum!
Liebe Schwestern und Brüder,
vor kurzem fragte mich jemand, welche Visionen ich für das Erzbistum Hamburg hätte. Gern gebe ich Ihnen allen heute darauf eine Antwort mit drei Gedanken:
1. Gefeierter Glaube
Als Kirche von Hamburg eint uns der gemeinsame Glaube an den Dreifaltigen Gott. Ich habe die Vision, dass dieser Glaube in jedem einzelnen Christen lebt und seinen Alltag bereichert. Dabei ist es wichtig, die wesentlichen Inhalte unseres Glaubens zu kennen. Noch wichtiger ist aber das, was wirklich unser Herz erreicht und für den Einzelnen ein echter Schatz des Glaubens ist (vgl. 2 Kor 4,7).
Der Jesuit Karl Rahner hat vor fünfzig Jahren davon gesprochen, dass der Christ von morgen – und das sind jetzt wir – „ein Mystiker sein wird oder er wird nicht mehr sein“ . Mit Mystiker meint er hier jemanden, der wirklich etwas erfahren hat und der aus persönlicher Betroffenheit heraus glaubt. Ich lebe von der Vision, dass wir im Erzbistum Hamburg eine Kirche der Mystiker sind. Deswegen ist die würdige, festliche und andächtige Feier der Heiligen Messe, aber auch der anderen Sakramente und vieler anderer Gottesdienste so wichtig für uns. Deswegen sind das tägliche Beten und das Lesen in der Bibel wie ein Sockel, auf dem alles andere aufbaut.
2. Geteilter Glaube
Wer mit Gott in Kontakt ist, will auch andere mit ihm in Kontakt bringen. Ich bin fest davon überzeugt, dass man Christ nicht allein sein kann. Glaube ist immer geteilter, ja, mitgeteilter Glaube. Als solcher kann er nur von Person zu Person bezeugt werden. Diese gemeinschaftliche Dimension unseres Glaubens muss deutlich erkennbar bleiben in unseren Gemeinden und Pastoralen Räumen. Ich habe die Vision, dass es in unseren Pastoralen Räumen viele kleine Gruppen gibt, in denen der Glaube miteinander geteilt wird. Zum Beispiel denke ich an Familien- und Hauskreise, Jugendgruppen, Glaubenskurse, Gebetskreise, Bibelrunden oder Geistliche Gemeinschaften.
Ein Bischof aus Tansania, der im letzten Oktober unser Bistum besuchte, erzählte mir, dass in seiner Heimat jeder Christ einer solchen kleinen Gemeinschaft angehört. Das ist da der Normalfall.
Ich bin überzeugt, dass dies auch uns gut tut. Es hält unseren Glauben lebendig und vital. Dadurch bekommt er sozusagen eine immer neue Frischluftzufuhr.
3. Gelebter Glaube
Unser christlicher Glaube zeichnet sich dadurch aus, dass er in die Tat hineinführt. Christlicher Glaube ist nicht bloß eine Verstandessache. Er ist auch nicht bloß ein Herzensanliegen. Das ist er ganz gewiss auch. Aber christlicher Glaube führt ins Tun. Deswegen sollten wir uns in unseren Gemeinden und Kreisen immer auch fragen: Was heißt das jetzt für mein Leben? Wie kann ich das, was ich glaube, in die Tat umsetzen?
Der Schweizer Weihbischof Peter Henrici SJ meinte dazu kürzlich: Der gelebte Glaube, das Tun, die Diakonie muss „der Predigt vom Gott der Liebe den Weg bereiten … Diese Werke werden heute bei uns anders aussehen müssen als früher… auch in den staatlichen sozialen Netzen gibt es immer noch allzu viele Lücken, durch die gerade die Unglücklichsten durchfallen … Die neue Evangelisierung wird von tätiger Liebe und liebendem Verständnis getragen sein, oder sie wird nicht sein“ .
Ich erinnere nur kurz daran, dass wir uns im Jahr der Barmherzigkeit befinden. Wenn wir wirklich an den barmherzigen Gott glauben, ist Barmherzigkeit der Grundton unseres Miteinanders.
Liebe Schwestern und Brüder,
drei Dimensionen, die mir für unser Erzbistum wichtig sind. Alle drei beginnen sie mit dem Buchstaben G: sozusagen die drei „G‘s“ für unser Erzbistum: im Gottesdienst gefeierter bzw. gebeteter Glaube; geteilter und gemeinschaftlicher Glaube; in die Tat umgesetzter, gelebter Glaube.
Diese drei G‘s prägen meine Vision für unser Erzbistum. Ich wünsche mir, dass Sie diese Vision weiter vertiefen und darüber miteinander in den Austausch kommen. Noch mehr aber freue ich mich darüber, wenn diese Visionen zum konkreten Handeln bei Ihnen führen.
Dazu ermutige und bestärke Sie alle der barmherzige Gott: der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
Ihr
+ Stefan
Erzbischof von Hamburg