„Der christliche Glaube ist nicht so kompliziert, wie wir ihn oft machen oder ihn uns oft vorstellen. Sehen und glauben, hören und glauben, wahrnehmen und glauben. So kommen Leben und Glauben zusammen, sind wirklich echt und existenziell.“
Erzbischof Dr. Stefan Heße
Es gilt das gesprochene Wort!
Wussten Sie, liebe Schwestern und Brüder, dass 2026 von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr des Hirtentums ausgerufen worden ist? Eine Sendung im Radio hat mich in den letzten Tagen darauf gestoßen und mich veranlasst, an diesem Weihnachtsfest einmal genauer auf die Hirten im Weihnachtsevangelium zu schauen.
Zu Weihnachten, zur Krippe gehören sie einfach dazu. Und zwar nicht irgendwie am Rande, sondern in der „pool position“ : Sie sind die ersten bei der Geburt des neugeborenen Kindes. Und das, obwohl sie eigentlich in der damaligen Gesellschaft die letzten waren, um nicht zu sagen: das Letzte. Sie gehörten zur Unterschicht, waren oft einfache Tagelöhner; die Schafe gehörten dem Gutsherrn und keineswegs ihnen selbst. Sie galten als ungebildet, standen im Ruf, Gauner zu sein, waren ausgeschlossen – absolute Randfiguren. Sie waren sogar aus der Gruppe der von Gott Erwählten ausgeschlossen. Bei der Geburt Jesu stehen sie - die Gottlosen - in der ersten Reihe. Offenbar wird damit schon die Botschaft, die dieses Kind später als erwachsener Mann verbreiten wird, intoniert: mit den Hohen, den Spitzen der Gesellschaft und des Glaubens, den Pharisäern, den Schriftgelehrten, mit den Angesehenen, hat er so seine Probleme. Mit den Armen, Zöllnern und Sündern tut er sich leichter. Die einfachen Leute, die Kleinen, die Ausgestoßenen, die Abständigen, die Fernen sind für das Kind zentral. Sie alle werden hineingenommen in die Schar der Erwählten, in das heilige Volk Gottes. Die Hirten an der Weihnachtskrippe sagen mir: Du musst nicht perfekt sein, nicht ideal, um Weihnachten zu feiern. Du bist gewollt und herzlich willkommen. Und sie stellen mir die Frage: wen grenze ich aus, lasse ich außen vor mir? Wer müsste in meinem Leben, in unserer Kirche, in unserem Land mehr Platz bekommen und stärkere Beachtung finden?
Diese Hirten bringen eine Eigenschaft mit, die sie von Berufs wegen haben müssen: Sie sind permanent unterwegs, also mobil und flexibel. Oft müssen sie aus dem Moment heraus Entscheidungen treffen und ihre Herde lenken. Den Ruf der Engel greifen sie auf und nehmen sofort eine Kurskorrektur vor. Ihr Ziel heißt jetzt Bethlehem. Auch das ist schon ein Vorgeschmack auf das spätere Wirken Jesu: Er selbst wird unterwegs sein, hat keinen Ort, wo er sein Haupt betten könnte, kein Nest, keine Höhle. Er ist ein Wanderprediger, der umherzieht zusammen mit seinen Jüngern. Er gründet eine Bewegung, sagt von sich selbst: Ich bin der Weg. Und die Apostelgeschichte nennt die ersten Christen schlicht und einfach: Anhänger eines neuen Weges. Zum Christsein gehört offenbar damals wie heute Mobilität. Verfüge ich als Christ über genügend innere Mobilität?
Die Hirten folgen dem Impuls der Engel und machen sich auf den Weg zu einem Kind mit Vater und Mutter. Zugegeben, keine Traumgeburt mit allen Raffinessen, sondern ziemlich schlicht, geradezu primitiv, in einer Notunterkunft. Also gerade keine besondere Erscheinung! Nein, ihr Glaube ist ein sehr einfacher: der Impuls, nach Bethlehem zu gehen, und dort zu finden, was ihnen gesagt wurde, das eine mit dem anderen zu verbinden, das wird für sie zur Grundlage des Glaubens. An Ostern hören wir übrigens etwas Ähnliches: die Jünger Johannes und Petrus laufen zum Grab und finden dort ein paar Tücher, und dann heißt es von ihnen ganz schlicht: Sie sahen und glaubten. Der christliche Glaube ist nicht so kompliziert, wie wir ihn oft machen oder ihn uns oft vorstellen. Sehen und glauben, hören und glauben, wahrnehmen und glauben. So kommen Leben und Glauben zusammen, sind wirklich echt und existenziell.
Der frühere Innsbrucker Pastoraltheologe Hermann Stenger hat gerne vom Hirtentum aller Gläubigen gesprochen. Es fängt an der Krippe an, wenn die Hirten in der ersten Reihe stehen, wenn sie mobil und flexibel reagieren und sich auf das Kind einstellen, wenn sie Glauben und Leben in eins bringen. Eines der schönsten Hirtenlieder heißt: „Transeamus usque ad Bethlehem“, d.h. „Lasst uns mit ihnen nach Bethlehem ziehen“. Lasst uns in ihrer Gemeinschaft sein. Und das gilt nicht nur für die Hirten der Kirche, den Bischof, den man gerne Oberhirte nennt, das gilt für jeden und jede: Gehen wir mit den Hirten zur Krippe und versuchen wir, ihnen ein wenig ähnlich zu werden, uns mit ihnen in bester Gesellschaft bei Jesus zu fühlen.
Und das sei noch erwähnt: Jesus selbst vergleicht sich mit einem Hirten: „Ich bin der gute Hirt, der sein Leben gibt für die Schafe“. (Joh 10,11) So deutet die Geburtsszene mit den Hirten als den ersten Besuchern beim neugeborenen Kind auch schon auf sein Sterben voraus. Dieses Kind wird sein ganzes Leben einsetzen und verschenken für andere, für jeden einzelnen, für mich persönlich.