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Predigt

Predigt zur Eröffnung der Ansgarwoche

31. Januar 2016
St. Marien-Dom Hamburg

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Schwestern und Brüder,

es ist ein Kinderspiel: „Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist …“. Sie erinnern sich, dass es für Kinder gar nicht so leicht ist, genau das zu sehen, was der andere im Blick hat. Dabei sehen wir doch alle – und übersehen doch vieles. Ist also das Kinderspiel gar kein Kinderspiel, sondern gehört es zum Leben einfach dazu?

Der heilige Ansgar, unser Diözesanpatron, war ein Mensch mit einem wachen Blick. Auf dem kleinen Reliquiar hier in der Domkirche - gestaltet im Jahr 1983 von Klaus Balke - ist eine aussagekräftige Ansgarfigur zu sehen. Sie zeichnet sich durch seinen aufrechten Gang und seinen schnellen Schritt aus, aber auch durch die feinen Augen und durch den klaren nach vorn gerichteten Blick des heiligen Ansgar. Es verwundert also nicht, dass der Biograph des Ansgars, Rimbert in seiner Ansgarbiografie unseren Patron als einen Menschen charakterisiert, der sogar für die „Blinden Auge“ ist (Rimbert, Leben des heiligen Ansgar, 35). Damit steht Ansgar in einer großen Tradition der sogenannten Seher und Propheten, die es schon im alten Bund gab. Sie waren nicht so sehr Menschen, die in die Zukunft blickten und weissagten, sondern vielmehr solche, die in der Gegenwart offene Augen hatten für das, was ist: „Ich sehe was, was du nicht siehst“.

1. Der Blick auf die Um – Mitwelt

Ansgar ist ein Mensch, der in die Weite dieses Landes blickt, der aber auch hineinblickt in die Weite des Lebens, der Menschen, die damals hier gelebt haben. Wenn also Ansgar unser Mitchrist ist, unser Vorläufer und entscheidend für die Geschichte unseres Erzbistums, dann legt er uns diesen klaren Blick ans Herz. Christen müssen immer Menschen sein, die einen umfassenden Blick haben auf das, was in der Welt, was in ihrem Land, was in ihrem Ort, was in ihrer Gemeinde vor sich geht. Wir sollten wahrnehmen, was in einer Gesellschaft, wie der unsrigen sich heute tut. Die Augen davor zu verschließen, bringt überhaupt nichts! Wir sollten wahrnehmen, was in Politik und Gesellschaft, in Wirtschaft und Wissenschaft sich an großen Linien abzeichnet und natürlich auch, was im Kleinen passiert. Nur um ein Beispiel zu nennen: Wir können den Blick nicht verschließen vor den vielen Menschen, die in unser Land kommen und auf der Flucht sind. Wir müssen aber auch immer wieder konkret auf das Kleine schauen, was hier und da passiert. Als Sonderbeauftragter der Deutschen Bischöfe bekomme ich viel in diesem Prozess mit, auch das große Ringen und Streiten in der Politik. Aber ich bin auch oft unterwegs und besuche verschiedene Einrichtungen, um Menschen zu begegnen, die auf der Flucht sind, und neu denen zu begegnen, die sich in großer Zahl für sie einsetzen. Das hilft mir einen konkreten Blick auf unsere Gesellschaft und auf das, was sich konkret bei uns abspielt, zu tun.

2. Der Blick auf Gott

Dieser Blick, den der heilige Ansgar in dieser Figur am Reliquiar hat, atmet für mich eine große Weite oder eine große Tiefe. Als Mönch, als Bischof ist er jemand, der davon lebt, Gott zu schauen. Natürlich gilt: „Niemand hat Gott je gesehen“(1. Joh 4, 12). Aber es gilt seit der Menschwerdung Jesu Christi eben auch: “Wer mich sieht, sieht den Vater“(Joh 14, 9). Als Christen sind wir darauf angewiesen, diesen Gott immer wieder in den Blick zu nehmen. Wir müssen unsere Augen auf ihn ausrichten. Wir sollten ihn wahrnehmen. Und sein „sanftes leises Säuseln“ (1. Kön 19, 12) aufgreifen.

Aus der Frömmigkeitsgeschichte kennen wir die Praxis der „Betrachtung“. Dabei geht es nicht nur darum, einen Gegenstand zu betrachten oder sich Gedanken über dieses und jenes aus dem geistlichen Leben zu machen, sondern es geht darum, Gott anzuschauen und sich von Gott an-schauen zu lassen. Ich betrachte ihn, und noch viel mehr betrachtet er mich. Und weil Gott eben kein Gegenstand dieser Welt ist, gleicht diese Betrachtung einer ganz bewussten Wahrnehmung der Gegenwart Gottes in meinem Leben.

Wir leben heute in einer Zeit, in der viele diesen Blick auf sich gar nicht mehr wahrnehmen, und in der viele, diesen Ausblick auf Gott nicht mehr wagen. Manche sprechen von einer „Gottvergessenheit“. Andere, wie der bedeutende jüdische Philosoph Martin Buber, wählen den Ausdruck von der „Gottesfinsternis“. Flehentlich bittet Buber seine Zeitgenossen darum, aus dieser Finsternis herauszutreten hinein in das Licht und die Herrlichkeit Gottes.

Das Besondere eines Ansgars liegt darin, dass es ihm gelingt, den Blick auf seine Zeit mit dem Blick Gottes zusammenzubringen. Er weiß, dass Gott ihn und seine Zeitgenossen längst in den Blick genommen hat. Deswegen kann Ansgar seine Zeit und die Menschen dieser Zeit geradezu mit dem Blick Gottes anschauen.


3. Gemeinsamer Blick

Das war in der Kirche schon immer eine Herausforderung: Wie kann mein Blick, meine Erkenntnis, meine Schau, meine Betrachtung Gottes zusammengehen mit all den anderen Blicken der anderen Menschen. Denn unser Blick auf die Menschen, auf unsere Zeit, auf Gott ist keine selbstvergessene Privataudienz. Es ist immer schon ein gemeinsamer Blick, ein kirchlicher Blick.

Bei dem Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst …“ geht es ja auch mit darum, die Mitspieler zum genauen Schauen aufzufordern. „Schau hin“ sage ich, „ich sehe etwas, das lohnt sich näher anzuschauen. Ich glaube, das könnte dich interessieren.“ Das Spiel macht letztlich keinen Spaß, wenn ich mit keinem mein Geheimnis teilen kann, wenn ich allein bleibe mit meinem Wissen, mit meinem Blick.

Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir heute gemeinsam Ansgar feiern, dann brauchen wir diesen wechselseitigen Blick: Jeder von uns ist ein Augen-Blick Gottes. Aus Gottes barmherzigen Blick heraus dürfen wir auf unsere Mit- und Umwelt schauen. Und wir blicken gemeinsam auf den, der „in den Himmel aufgenommen wurde und sich setzte zur Rechten Gottes“ (Mk 16, 19).

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