Liebe Schwestern und Brüder,
der heutige 3. Adventsonntag erhält sein unverwechselbares Gesicht von dem Wort des heiligen Paulus aus der 2. Lesung. Gaudete: „Freut euch im Herrn, denn er ist nahe“. Paulus schreibt dieses Wort nicht etwa aus einer komfortablen Situation, sozusagen aus dem bequemen Sessel heraus. Nein, dieses Wort schreibt er aus dem Kerker. Der Philipperbrief gehört zu den sogenannten Gefangenschaftsbriefen. Paulus schreibt ihn um das Jahr 55 aus dem Gefängnis in Ephesus. Ein damaliges Gefängnis - das stelle ich mir wenig komfortabel vor. Aber in einer solchen Situation ist damit zu rechnen, dass jederzeit die Tür aufgeht und der Gefangene zu seinem letzten Gang weggeführt wird. Wer in einer solchen Situation von Freude und Hoffnung sprechen kann, ja die Gewissheit hat, dass Gott ihm nahe ist, der muss wirklich ein tiefgläubiger Mensch sein. Paulus muss offenbar etwas von dem verstanden oder noch besser beherzigt haben, was der Prophet Zefanja in der ersten Lesung so ins Wort bringt: Das Urteil gegen dich ist aufgehoben. Auf gut Deutsch: Du bist freigesprochen.
Die vier heiligen Pforten, die jetzt zu Beginn des Jahres der Barmherzigkeit in unserem Erzbistum errichtet worden sind, könnten unterschiedlicher nicht sein. Im Mariendom ist es der Eingang zum Statiogang, in der Propsteikirche in Kiel eine Tür, die mit dem Logo des Jahres der Barmherzigkeit verziert ist, in Schwerin das Portal zur Schlossstraße. Aber in der Propsteikirche Lübeck hat man in den Eingangsbereich eine Zellentür gesetzt. Sie erinnert an unsere vier Lübecker Märtyrer, die im Dritten Reich hinter solchen Gefängnistüren sitzen mussten. Auch von ihnen wissen wir ähnliches wie vom heiligen Paulus, nämlich diese große Freiheit, die sie gerade in den letzten Stunden ihres Lebens erfahren haben, wo ihnen klar war, dass sie eben nicht alles verloren, sondern alles gewonnen haben.
Gerade in diesen Tagen hat Papst Franziskus, der die Idee der heiligen Pforte nicht nur an den römischen Hauptkirchen verwirklicht wissen will, sondern in allen Diözesen, vor Gefangenen davon gesprochen, dass ihnen ihre Zellentür zur Pforte der Barmherzigkeit werden kann. Ich glaube: Jede Tür kann zu einer solchen Pforte der Barmherzigkeit werden.
Wir stehen Tag für Tag in unzähligen Schwellensituationen, sozusagen an der Tür. Und immer haben wir es in der Hand, an diese Tür zu klopfen bzw. von der anderen Seite her diese Tür zu öffnen. Das ist ja das Entscheidende an einer Tür. Sie muss sozusagen von zwei Seiten angegangen werden, damit es zu einer Begegnung, zu einem Zusammentreffen kommen kann. Auf der einen Seite braucht es jemanden, der klingelt und anklopft, und auf der anderen Seite jemanden, der bereitwillig öffnet. Es braucht einerseits den Mut, gerade an dieser Tür zu klingeln oder zu klopfen. Manchmal finden wir uns ja auch in Situationen, wo wir überlegen, soll ich das oder lass ich es lieber. Und umgekehrt braucht es von dem, der drinnen hinter der Tür ist, den Mut aufzumachen. Früher hat man dann und wann gesehen, dass die Gardinen ein wenig wallten, weil offenbar jemand dahinterstand und nur mal schauen wollte, wer da draußen klingelt. Aber geöffnet hat er dann unter Umständen nicht. Heute haben wir unsere Kameras und Haustelefone und können das viel versteckter tun. Beide Seiten müssen in Freiheit sich einander öffnen.
Und solche Türsituationen, die gibt es nicht nur an der Haustür oder Wohnungstür. Die gibt es x Mal am Tag: z.B. die Tür zur Küche oder die Tür in das Zimmer eines anderen: Trau ich mich gerade jetzt dort anzuklopfen und um Einlass zu bitten? Bin ich drinnen bereit, mich stören zu lassen und bereitwillig zu öffnen? Die Tür am Büro beim Arbeitskollegen oder eine Tür im Krankenzimmer. Auf der einen Seite vielleicht jemand, der sich so danach sehnt, dass endlich mal jemand klopft und um Einlass bittet. Oder aber der Arzt, der sich meldet, um unter Umständen eine schwierige Diagnose zu verkünden …
Papst Franziskus will uns alle diese verschiedenen Türsituationen vor Augen führen und wir haben es alle miteinander in der Hand, ob diese Situationen geöffnet werden für die Barmherzigkeit oder wir sie ihr verschließen.
Lassen wir uns also durch die Pforte der Barmherzigkeit hier an der Kirche, durch die wir in diesem Jahr oft ein- und ausgehen, an die vielen Türschwellen in unserem Leben erinnern, die wir miteinander öffnen und durch die wir Gottes Barmherzigkeit in unser eigenes Leben, aber auch in das Leben vieler Menschen hereinlassen können. Amen.