Es gilt das gesprochene Wort
(Evangelium: Mt 9,9-13)
„Sag niemals drei, sag immer vier!“ – Darauf bestand der ehemalige Mitgefangene Adolf Ehrt-mann, als er im Frühjahr 1979 im Sterben lag. Eines seiner Kinder hatte ihn damit stärken wollen, er werde bald nun zu „seinen“ drei Kaplänen kommen. Es sind die vier Lübecker Geistlichen, an die wir heute denken: der evangelische Pfarrer Karl Friedrich Stellbrink, der Kaplan Johannes Prassek, Vikar Hermann Lange und Adjunkt Eduard Müller.
Aber bevor wir vier sagen, meine ich, müssten wir eins sagen. Bevor wir von der Gruppe der vier Geistlichen sprechen, müssen wir auf jeden Einzelnen schauen. Alles beginnt einzig – artig.
Ich schaue auf das Evangelium dieses Gottesdienstes, die Berufung des Apostel Matthäus. Er wird vom Zoll weggerufen, plötzlich und unerwartet in die Nachfolge Jesu. Er scheint alles stehen und liegen zulassen und ihm nachzufolgen. Vielleich kennen Sie auch jenes berühmte Bild des Malers Caravaggio aus der Römischen Kirche San Luigi dei Francese. Ich habe es vor Augen dieses Lichtspiel, Matthäus, der durch seine Gesten, aber mehr durch seinen Blick zum Ausdruck bringt: Ich? Ja, meinst du mich? …
Christ sein beginnt damit, dass ein Einzelner merkt: „Ich bin gemeint. Ich bin gerufen. Ich stehe im Fokus des Interesses Gottes.“
So beginnt die Geschichte der Vier im Einzelnen: Karl Friedrich Stellbrink, geboren 1894, Eduard Müller und Johannes Prassek, beide Jahrgang 1911 und schließlich Hermann Lange, 1912.
Während „Gleichschaltung“ das Charakteristikum des Dritten Reiches war, meint Berufung genau das Gegenteil: Du bist mit deinen Anlagen, mit deinen Begabungen gemeint. Die sollst du in die Welt und in das Reich Gottes mitten in dieser Welt einbringen. Und so verwundert es nicht, dass jeder Einzelne der Vier ganz verschieden ist: Der eine äußerst kritisch und wagemutig, eigenständig im Urteil, begeisterungsfähig, der andere mit Sinn für Zweifler und Strauchelnde. Der eine, der mutig und frei redend Worte findet, der andere, der nichts ohne Konzept und gute Vorbereitung von sich gibt. Manch einer intellektuell anmutend und der andere eher einfältig daherkommend. Der eine zum Scherzen aufgelegt, der andere eher ernst.
Genauso werden sie zum Dienst gerufen, zum Priester geweiht und zum Pfarrer ordiniert. Mit diesem Anliegen sagen sie ihr: „Hier bin ich. Adsum. Ich bin bereit."
Ich habe den Eindruck: Die Einzelnen wissen um ihre Individualität sehr genau. Sie nivellieren sie nicht, sondern sie bringen sie ein ins Ganze. Die drei katholischen Geistlichen harmonieren offenbar so sehr, dass Johannes Prassek einmal sagte: „Wir sind die Brüder vom gemeinsamen Leben“. Völlig außergewöhnlich für die damalige Zeit ist die Freundschaft und das gemeinsame Wirken mit dem evangelisch-lutherischen Pastor Stellbrink. Aus dem Ich wird das Wir, aus der Eins wird die Vierzahl. Diese Gemeinschaft lässt sich dann durch die Gefangenschaft und selbst den Tod nicht mehr auseinander dividieren.
Am Morgen des 10. November 1943 wird ihnen mitgeteilt, dass sie am Abend enthauptet würden. Im Abstand von drei Minuten fällt an jenem Abend von 18.00 Uhr an viermal das Fallbeil.
Liebe Schwestern und Brüder, dieses Zusammenspiel von Ich und Wir – das leben uns Stellbrink, Lange, Müller und Prassek vor: Eins und Vier. „Sag niemals drei – sag eins und sag vier“. Diese Spannung, die schreiben sie nicht nur den Christen in Lübeck, sondern der ganzen Christenheit ein. Die Spannungseinheit von Christ und Mitchrist, von Geistlichem und Mitgeistlichem, ja die ökumenische Spannungseinheit von verschiedenen Konfessionen. Das Zueinander von Person und Gemeinschaft, von Personalität und Solidarität braucht die Kirche und unsere Gesellschaft – gerade jetzt. Bewahren wir deshalb dankbar ihr Gedächtnis. Amen