Es gilt das gesprochene Wort!
(1. Les.: Dtn 8, 2-3.14b-16a; 2. Les.: 1 Kor 10, 16-17; Ev. : Joh 6, 51-58)
Liebe Schwestern und Brüder,
in diesen Tagen findet in Nürnberg der Evangelische Kirchentag statt. Katholiken feiern heute Fronleichnam. So hat jede christliche Konfession eine eigene Ausprägung und Stärke. Bei unseren evangelischen Mitchristen ist es die Betonung auf das Wort Gottes, bei den orthodoxen Christen ist es die liebevolle Verehrung von Ikonen. Für die katholische Kirche könnte man einen Schwerpunkt auf die Eucharistie legen. In aller Regel feiern wir – wenn es möglich ist – jeden Sonntag die heilige Messe, auch an Werktagen wird die Eucharistie zelebriert; in vielen Gemeinden gibt es eucharistische Anbetungsstunden oder Andachten, die Stille Anbetung. Katholische Kirchen sind oft tagsüber geöffnet, um zu einem persönlichen Gebet zu verweilen. Das ist dann nicht nur die Kerze vor dem Bild der Gottesmutter, sondern oft ein stilles Gebet vor dem Tabernakel, verbunden mit einer Kniebeuge.
Im Bereich der Physik kennen wir zentripetale und zentrifugale Kräfte. Die einen wirken eher nach innen, die anderen nach außen. Damit ein Auto nicht aus der Bahn fliegt, braucht es diese zentripetalen Kräfte. Wenn aber ein Kettenkarussell sich dreht, dann handelt es sich um zentrifugale Kräfte. Die Eucharistie könnte man für uns Christen als gleichermaßen zentripetal und zentrifugal begreifen.
Die Eucharistie wirkt nach innen. Sie stärkt die innere Verbundenheit zwischen den einzelnen Gläubigen und Jesus Christus selbst. „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, in dem bleibe ich und er bleibt in mir.“(Joh 6, 56). Es ist eine innere Vertrautheit, die sich im stillen, persönlichen Gebet vor dem in der Eucharistie gegenwärtigen Christus vollzieht. Von einem Bauern aus dem kleinen Dorf Ars in Frankreich weiß man, dass er oft lange Zeit still in der Kirche vor dem Tabernakel kniete und seinen Blick auf den Herrn gerichtet hielt. Der berühmte Parrer von Ars sprach ihn daraufhin einfach an, was er denn dort tue. Die Antwort: „Nichts. Ich sehe ihn an und er sieht mich an“. Eucharistische Anbetung ist dieser Blick der Liebe, dieses Versunken-Sein im anderen. Da braucht es oft nichts anderes, da steht jede menschliche Aktivität still. Es sind dann zwei Blicke, die zusammenkommen: Gottes Blick auf mich und mein Blick zu ihm. Ich finde es sehr tröstlich, zu wissen, dass Gottes Blick nie nachlässt, dass er mich nie aus den Augen verliert, auch wenn ich Gott oft genug aus meinen Augen verliere oder mich zerstreue.
Eucharistie wirkt nach außen. Das wird uns an einem Tag wie Fronleichnam auf besondere Weise klar: wir ziehen mit dem Allerheiligsten in der Monstranz aus der Kirche heraus durch die Straßen, mitten in der Welt, mitten im Leben. Heute tun wir das auf festliche Art und Weise: in einer Prozession, mit Kerzen und Glöckchen, in prächtigen Gewändern, mit schönen Liedern, in großer Zahl, in Reih und Glied. Aber schon wenn wir heute Abend nach Hause gehen, erst recht wenn wir uns in den nächsten Tagen auf den gleichen Wegen bewegen, sieht unsere Prozession ganz anders aus. Sie vollzieht sich ohne alles äußere Beiwerk. Es sind nur wir und ER! Mit ihm verbunden ziehen wir dann hinaus in den Alltag, zu unseren Freunden und Bekannten und auch zu denen, mit denen wir uns schwer tun. Dann auch zu den Obdachlosen und Armen, den Kranken und Einsamen. Wir ziehen hinein in den Dienst an der Gesellschaft, ins politische Engagement und unsere Prozession weitet sich aus in die ganze Welt.
Liebe Schwestern und Brüder,
die Eucharistie führt nach innen und nach außen. Sie ist zentripetal und zentrifugal. Beides gehört zusammen. Das richtet uns aus und gibt Standfestigkeit. Wer sich allein den zentrifugalen Kräften überlässt, dem sich nach Außen geben, dem Aktiv-Sein, kann schnell aus der Bahn und aus den Fugen geraten. Ein Aktivismus, der nicht ausgerichtet ist, trägt früher oder später die Zeichen von Ausgebrannt-Sein, Erschöpfung und Leere.
Wer sich ganz den zentripetalen Kräften überlässt und sich ausschließlich in das Innerliche versenkt, dem kann eine verkapselte, abgeschottete Haltung drohen, die immer weniger Korrektur zulässt. Daraus kann ein Nährboden für Starrheit und Überheblichkeit werden, der die Liebesfähigkeit unseres Herzens ausdörrt.
Nur wenn beides zusammengehört, ist es ein und derselbe Herr, der unter uns ist, dessen Liebe wir dann nicht produzieren und krampfhaft erringen müssten, sondern der mit uns ist in unserem Leben und auf dem Weg durch die Zeit.