Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Geschwister,
der Kaiser von Atlantis ist eine Oper von Viktor Ullmann, die der Komponist und Musiker im KZ komponierte, also unter wohl ungewöhnlichsten Bedingungen. Ebenso ungewöhnlich ist ein Handlungsstrang dieser Oper, in dem sich die Umstände widerspiegeln: Angesichts des herrschsüchtigen Kaisers von Atlantis tritt der Tod in den Streik. Plötzlich stirbt niemand mehr.
In den letzten Wochen und Monaten war Streik omnipräsent; nicht nur im Nachbarland Frankreich, wo eine ganze Republik auf die Straße geht, auch in vielen deutschen Bundesländern wurde groß angelegt gestreikt. Klimastreik, Ärztestreik und am 27. März dann der Mega-Streik, der ganz Deutschland lahmlegte. Nur der Tod streikte - wie wir wissen - an diesem Tag und an vielen anderen nicht. Menschen starben und sterben nach wie vor.
Das hat mich an diesem Osterfest zu der Frage gebracht: Ist Ostern etwa der Mega-Streik des Todes, ein Tag, an dem er sein Handwerk niederlegt? Ich glaube, das Bild hinkt. Denn ein Streik geht gewöhnlich irgendwann wieder zu Ende. Und wenn der Tod es sich anders überlegen würde und seine Arbeit wieder aufnehmen wollte, dann wäre nichts gewonnen, alles wie gehabt.
Aber vielleicht kann uns an diesem Osterfest trotzdem der Gedanke vom Streik in unserem eigenen Glauben ein wenig weiterhelfen. Man kann sich schon die Auseinandersetzung zwischen Tod und Leben, zwischen Jesus und dem Ende wie einen harten Zweikampf vorstellen. Das sind Tarifverhandlungen, und seien sie noch so hart, wohl nichts gegen.
Die Ostersequenz, der Hymnus, der in der Ostermesse vor dem Evangelium gesungen wird, spricht bildlich ausdrücklich von einem Duell, wie es noch keines gegeben hat:
„Tod und Leben, die kämpften,
unbegreiflichen Zweikampf;
des Lebens Fürst, der starb,
herrscht nun lebend.“
Aber mit welchen Waffen wird dieser Kampf gekämpft? Offenbar nicht dadurch, dass der Tod seine Arbeit einstellt, die Waffen niederstreckt und kapituliert. Aber genauso wenig dadurch, dass Jesus immer weiter aufrüstet und sich sozusagen bis an die Zähne bewaffnet. Der Tod wird nicht durch Hochrüstung und Aufrüstung mit noch so schlagkräftigen Waffen besiegt.
Der Kampf verläuft ganz anders: die entscheidende strategische Weichenstellung liegt auf Seiten Jesu. Er rüstet nicht auf, er rüstet vielmehr ab - oder vielleicht sollten wir sagen: er rüstet um, wie er es sein ganzes Leben bereits getan hat. Seine Waffe, wenn man denn das überhaupt als Waffe bezeichnen darf, ist die Liebe, also die pure Entwaffnung. Jesus schlägt nicht zurück. Er hält das durch bis zum letzten Atemzug: er zieht auf einem Esel in die Stadt; als Petrus mit dem Schwert dreinschlägt, heilt er den verletzten Soldaten; auf den verräterischen Kuss des Judas antwortet er nicht mit Abweisung. Auf dem Kreuzweg, auf dem er bespuckt, geschlagen und verhöhnt wird, schlägt er nicht zurück. Am Kreuz ist der angenagelt bis zur Bewegungslosigkeit. Und als man ihm zuruft: „Hilf dir doch selbst“ lässt er sich auf keine theologischen Diskussionen ein. Selbst als sie ihm sagen „Steig doch herab vom Kreuz“, bleibt er und harrt in dieser Position aus. Er geht diesen Weg bis zur letzten Station. Und die allerletzte Station ist sein Hinabsteigen in das Reich des Todes, wie wir das im Credo ausdrücken, also das Aushalten der Einsamkeit und Verlassenheit, die der Tod mit sich bringt. In diese Lage bringt Jesus seine Liebe hinein und verwandelt damit alles. Es ist diese unbedingte Liebe, die unbedingte Gewissheit, die uns erlöst. Erlösung, Ostern, Auferstehung ist nichts anderes als diese pure, bedingungslose Liebe des dreifaltigen Gottes zu uns Menschen.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
er geht bis ins Letzte und damit taucht er alles, bis hin zum Tod in seine göttliche Liebe ein. Die streikt nämlich nie! Dadurch wird dieses Duell ein für alle Mal entschieden. Der Tod ist der Verlierer. Es ist die Ohnmacht der Liebe, die sich dem Tod ganz auslieferte und ihn deswegen an seiner empfindlichsten Stelle trifft und besiegt. Jesus hat sich nicht mit Gewalt durchgesetzt, sondern er hat sich eingesetzt mit dem, was er hatte für uns Menschen, mit seiner Liebe. Es ging ihm nicht um Selbstbehauptung, sondern um Selbsthingabe. Dadurch geschieht die entscheidende Wende in diesem Duell. Im Alten Testament hat es noch geheißen „Stark wie der Tod ist die Liebe“ (Hld 8,6). Seit Ostern können wir vertrauensvoll und froh steigern: die Liebe ist stärker als der Tod!
Liebe Gemeinde,
wenn ich mir all das vorstelle, dann muss mein Verstand mitkommen. Dann geht es mir manchmal so, dass nicht Jesus streikt, dass nicht der Tod in einen Ausstand tritt, sondern dass mein Verstand sich dagegen wehrt und sozusagen in einen Streik tritt. Seit Ostern weiß ich, dass dieser Glaubenskampf in mir nicht mit noch so guten Argumenten entschieden wird, sondern nur in bester Freundschaft, in persönlicher Beziehung, in meiner Nähe zu Jesus selbst. Ich wünsche Ihnen deswegen an diesem Osterfest die umwerfende Erfahrung der Liebe Jesu, die den Tod entmachtet hat und die auch mich gewinnen will. Vielleicht muss ich dazu auch manchmal meine lächerlichen Waffen strecken und mich auf seine pure Liebe einlassen. Ostern ist Liebe ohne Limit, ohne jede Einschränkung! Nichts als Liebe. Amen.