Es gilt das gesprochene Wort!
(Les.: 1 Thess 5,16-24; Ev.: Joh 17,24-26 )
Liebe Schwestern und Brüder!
Weihbischof Werbs habe ich erst so richtig kennengelernt in seiner Zeit als Ruheständler. Als ich vor acht Jahren Erzbischof von Hamburg wurde, hatte ich bereits ein paar Monate später die Aufgabe, Norbert Werbs zu danken und ihn aus dem aktiven Dienst zu verabschieden. Für mich als junger und neuer Bischof war es gar nicht so leicht, jemanden zu würdigen, der bis dahin schon weit über 30 Jahre als Bischof gewirkt hat. Sein 40-jähriges Bischofsjubiläum fiel 2021 mitten in die Corona-Pandemie. Wir wollten es zuerst noch in kleinem Kreis begehen, aber Norbert Werbs hat zwei-, dreimal darüber nachgedacht und dann erklärt, dass dies aufgrund der allgemeinen Situation nicht sinnvoll ist. Solche Feiern lagen ihm ja grundsätzlich nicht.
Heute stehen wir an seinem Sarg, hier im Hamburger St. Marien-Dom. Im vergangenen Jahr hatte er es einigen anvertraut und kurz vor seinem Tod ausdrücklich noch einmal gegenüber seiner Schwester bestätigt, dass er bewusst hier beerdigt werden möchte. In seinem letzten Willen hat er es uns auch schriftlich hinterlassen. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, zum Erzbistum Hamburg als Ganzem zu stehen und seit dessen Gründung 1995 bis zu seiner Emeritierung 2015 immerhin 20 Jahre Weihbischof und Mitglied des Domkapitels dieser Erzdiözese gewesen zu sein. Ich danke Norbert Werbs ausdrücklich für dieses Zeichen für die Einheit unseres Bistums.
Norbert Werbs war ein im besten Sinne des Wortes „einfacher“ Bischof. Damit meine ich ganz gewiss nicht einfältig. Er war aber überaus bescheiden. Er hat eben einfach gelebt, also nicht zweifach, dreifach, hier so und dort anders. Sein Lebensstil war genügsam. Das Bischofshaus in Schwerin war kein Palazzo prozzo. Er fuhr oft das Auto selbst. Früher durfte es durchaus das Fahrrad sein, in der letzten Zeit war es der Zug. Die Verbindungen und Fahrpläne kannte er bestens. Seine Wohnung in Neubrandenburg war äußerst bescheiden wie die früheren Urlaube, bei denen er manchmal mit dem eigenen Zelt unterwegs war. Ein auf seine Art und Weise wohltuend bescheidener und unprätentiöser Bischof im Hinblick auf die persönliche Lebensweise. Und dennoch genoss er hohen Respekt, eine gesunde Autorität als Person.
Dieser einfache Bischof war einfach da. Er war zur Stelle bei Gottesdiensten, bei Feiern, bei Versammlungen. Er erwartete das auch von den Seelsorgern. Bei vielen Einladungen, die er in Mecklenburg ausgesprochen hat, gab es oft nur die Möglichkeit zuzusagen, aber nicht abzusagen. Im vergangenen Dezember war er noch beim Begräbnis eines Mitbruders einfach dabei. Wie viele alte und kranke Mitbrüder hat er unkompliziert besucht oder angerufen? Bei unseren regelmäßigen Bischofstreffen in Hamburg musste schon etwas Außergewöhnliches passiert sein, wenn Norbert nicht dabei war.
Seelsorge, priesterlicher Dienst, Kirche überhaupt - all das geht nur, wenn ich da bin, wenn ich dabei bin. Ohne mich, ohne uns, ohne jeden einzelnen wird das Gebäude der Kirche wacklig und löchrig. Das gilt nicht erst für den Bischof, sondern für jedes einzelne Glied der ganzen Kirche. Norbert Werbs hat das selbstverständlich gelebt und uns damit ein wichtiges Beispiel gegeben.
Bischof Norbert war von seiner Gestalt her ein großer Mensch. In der Familie war er das erste von sieben Geschwistern. Sie, liebe Frau Dr. Stepan, haben mir gesagt: „Für mich war er immer der Große“. Man sah ihn von weitem – erst recht mit der Mitra auf dem Kopf. Weihbischof Werbs war für viele ein Orientierungspunkt. Er war nicht das Fähnchen im Wind. Man wusste bei ihm, woran man war. Ein verlässlicher, aber beileibe kein verbohrter Mensch. Das zeigt sich zum Beispiel bei seiner Standfestigkeit gegenüber den DDR- Behörden, als es etwa um die „Frohe Herrgottstunde“ in Parchim ging oder um die Durchführung einer Fronleichnamsprozession in Neubrandenburg. Diese Geradlinigkeit legte er an den Tag als Leiter des Seelsorgereferates in Schwerin, als Vorsitzender der Caritas in Mecklenburg, in der Kirchenmusik– und Liturgiekommission des Erzbistums Hamburg und in der Deutschen Bischofskonferenz in den Kommissionen I (Kommission für Glaubensfragen) und VII (Kommission für Erziehung und Schule). Bis 2011 war er auch in der Unterkommission für Mittel- und Osteuropa (Renovabis) vertreten.
Bei alldem hat Weihbischof Werbs nicht sich in die Mitte gestellt, sondern den, für den er angetreten ist: Gott. Wenn wir Gott groß sein lassen, werden wir selber groß. Dann sind wir Gottes Geschöpfe und bringen ihn zum Leuchten in dieser Welt. (Gott groß machen, ihn wirklich großschreiben, war im Kommunismus etwas Herausforderndes. In der Zeit der kommunistischen Regierung konnte z.B. ein Buch von Alexander Solschenizyn nicht gedruckt werden, weil der Autor unerbittlich darauf bestand, dass das Wort Gott mit dem ersten Buchstaben groß geschrieben werden müsse, was nicht erlaubt war. Gott musste unter der Macht der Ideologie klein geschrieben werden.) Norbert Werbs wusste: Wo Gott groß gemacht wird, da wird auch der Mensch groß gesehen. Es war klar: Gott war für ihn groß, der Größte. Das hat er bis zuletzt gelebt, auch in Zeiten der Säkularität. Ganz gewiss war dies für ihn nicht einfach. Zu Wendezeiten hatte er gehofft, dass die Menschen, die sich nun frei für oder gegen Gott, den Glauben, die Kirche entscheiden konnten, den Weg zu uns fänden. Resigniert stellte er mir gegenüber fest: „Und nichts davon ist eingetreten“. Ich konnte förmlich den Schmerz mitempfinden, der ihn damals berührte.
Mir ist deutlich geworden, dass Norbert Werbs schon als Kaplan frühzeitig Verantwortung übernommen hat bei der Vorbereitung und Durchführung der pastoralen Synode in der damaligen DDR. Immer wieder hat er darüber vor verschiedenen Gremien in Mecklenburg berichtet und gebündelt. Als junger Weihbischof hat er dann 1991 an der Europa-Sondersynode in Rom teilgenommen. Seine Intervention ließ damals viele aufhorchen. Wenn ich sie heute noch einmal lese, muss ich feststellen, dass sie damals prophetisch war. Norbert Werbs hat damals eher Fragen gestellt als Antworten gegeben. Dieselben Fragen finden Sie heute nahezu wortgleich im Synodalen Weg hier in Deutschland und in der Weltsynode. Norbert Werbs hat seine Stellungnahme in Rom beendet mit den Worten: „Ich weiß, dass ich mehr Fragen gestellt habe, als wir Antworten parat haben. Aber wir sollten für die Anfragen unserer Brüder und Schwestern und unserer Mitmenschen sensibel sein. Als Boten der frohen Botschaft müssen wir ständig prüfen, welche Lasten wir im Namen Christi auferlegen müssen und welche wir von den Schultern der Menschen nehmen dürfen“.
Hier klingt noch einmal das Bischofswort von Weihbischof Werbs an, das er aus dem ersten Thessalonicherbrief genommen hat: „Prüfet alles und behaltet das Gute“. Es ist sicher im Sinne unseres Verstorbenen, den Herausforderungen immer tiefer auf den Grund zu gehen, sie zu prüfen; aber alle Prüfungen benötigen auch irgendwann ein Ergebnis. Gut 30 Jahre nach seiner römischen Intervention ist es dafür höchste Zeit! Vielleicht finden wir so besser den Weg zu den Menschen. Denn Kirche ist niemals um ihrer selbst willen da, sondern zu den und für die Menschen gesandt.