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Predigt

Predigt zu Neujahr

01. Januar 2023
Christuskirche / Rostock

Es gilt das gesprochene Wort!

Predigt von Erzbischof Stefan am 1. Januar 2023 in der Rostocker Christuskirche

Liebe Schwestern und Brüder,
von Zeitenwende ist in diesen Tagen besonders oft die Rede. Im Februar 2022 hielt Bundeskanzler Olaf Scholz im Deutschen Bundestag eine aufrüttelnde Rede. Wenige Tage nach dem Beginn des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukrainer sprach der Kanzler bei dieser Gelegenheit ausdrücklich von einer Zeitenwende. Ein großes Wort, das vor wenigen Wochen sogar zum Wort des Jahres 2022 gekürt wurde. Keineswegs übertrieben. Die aktuelle Lage wie auch der Jahreswechsel laden uns ein, darüber nachzusinnen.

Oft genug haben wir den Eindruck, dass unser Leben sich kontinuierlich weiterentwickelt, eine Phase folgt natürlicherweise auf die nächste: ein schleichender Prozess. Aber manchmal gibt es in der Abfolge der Zeiten auch fundamentale Brüche: da geht das eine eben nicht kontinuierlich ins andere über, sondern da gibt es zwischen der einen Phase und der nächsten einen gehörigen Bruch, eine Zäsur. Ich denke etwa an den Untergang des römischen Reiches; oder an das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit, der Reformation, der Säkularisierung, an die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Menschen befinden sich dann gleichzeitig am Ende eines und am Beginn eines neuen Zeitalters. Es kommt zu einer fundamentalen Wende.

Auch Papst Franziskus spricht immer wieder davon, dass wir mitten in einer Zeitenwende leben. In seinem Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland schrieb der Heilige Vater am 29. Juni 2019 sogar: „Wir sind uns alle bewusst, dass wir nicht nur in einer Zeit der Veränderungen leben, sondern vielmehr in einer Zeitenwende“. In der italienischen Fassung hört man noch das Wortspiel heraus: „non solo un tempo di cambiamenti ma un cambiamento di tempo“.

Es ist wahr: Wir leben in einer Zeit größter Veränderungen: der biologischen Systeme unserer Erde sind in einem beängstigenden Wandel. Wir hören von Erderwärmung, Artensterben, Wasserknappheit und zugleich von steigenden Meeresspiegeln. Die bisher geltenden Parameter verschieben sich.
Die technischen Errungenschaften werden immer größer: Weltraumteleskope, Marsexpeditionen und neue Arten der Energiegewinnung versetzen uns ins Staunen. Gleichzeitig merken wir, wie angreifbar unsere technischen Systeme sind. Und bei allen Möglichkeiten, die Innovationen bringen, wissen wir: Technik allein wird die Probleme nicht lösen können.

Die politische Stabilität, die uns in den letzten Jahrzehnten gegeben war, gerät ins Wanken; alte Sicherheiten tragen plötzlich nicht mehr. Konflikte werden immer schärfer und Tendenzen zu Radikalisierung immer sichtbarer. Die Selbstzufriedenheit unserer Wohlstandsgesellschaft schwindet. Trotz immer doch noch wachsendem Wohlstand geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander. Es geht längst schon nicht mehr bloß um die Nebenkosten, die explodieren; es geht ums Ganze, um die Gesamtrechnung. Besitz oder Konsum werden uns nicht rundherum glücklich machen; Konkurrenz und Vergleich setzen unter permanenten Druck.

Liebe Schwestern und Brüder,
lassen wir bitte diese Veränderung zu. Nehmen wir sie an! Papst Franziskus sagt in der Botschaft zum heutigen Weltfriedenstag: „Was sollen wir also tun? Zunächst einmal zulassen, dass unser Herz durch die erlebte Krise verändert wird, d. h. also, Gott zu erlauben, unsere gewohnten Kriterien für die Interpretation der Welt und der Wirklichkeit durch diesen historischen Augenblick zu verändern“.

Liebe Schwestern und Brüder,
was sollen wir tun? Heute am 1. Januar gibt uns die Kirche einer Antwort auf diese Frage nicht durch einen Text, vielmehr durch eine Person, durch Maria. Das, was sie damals erfahren hat, ist wohl die größte Zeitenwende, die es gibt. Weihnachten ist die Zeitenwende schlechthin. Neue Zeiten brauchen neue Menschen. Maria ist das Urbild des neuen Menschen. Mit ihr beginnt die Zeitenwende. Es braucht Menschen, in deren Leben sich ebenfalls eine Wende vollzieht. Es braucht in diesen Tagen nicht nur eine ökologische Wende oder soziale. Es braucht zuallererst eine anthropologische Wende, d. h. eine Wende jedes einzelnen Menschen. Jesus würde schlicht und einfach sagen: Kehr um! Und aus dieser Umkehr entsteht dann auch Erneuerung in unserer Kirche, kann sich eine pastorale Wende entwickeln.

Maria wendet sich voll und ganz der Wirklichkeit zu. Maria zeigt uns, dass sie nicht aus der Gegenwart wegläuft, dass sie vor den Veränderungen nicht Reißaus nimmt oder sich ins Jenseits flüchtet. Josef, Ihr Verlobter, hatte sich überlegt, sich aus dem Staub zu machen. Der nächtliche Traum bringt ihn in die Wirklichkeit zurück. Christen nehmen vor Veränderungen nicht Reißaus, wir laufen nicht davon, sondern wir gestalten die Wirklichkeit genau dort, wo wir leben. Wir sollten uns nicht nur an die veränderten Bedingungen anpassen, sondern versuchen, sie bewusst und aktiv mitzugestalten.

Maria ist nicht einfach eine Befehlsempfängerin, ein ausführendes Organ. Maria ist vor allem der Mensch, der sich von neuem auf die Beziehung zu Gott einlässt. Maria wendet sich voll und ganz Gott zu. Sie ist ganz Ohr – von Kopf bis Fuß! Das, was uns trägt, sind zuerst die Beziehungen, die wir leben: zu Gott, zu den anderen, natürlich zu und selbst und nicht zuletzt zur Schöpfung. Da, wo Beziehungen gebrochen sind, steigt Maria ein. Auch wenn nicht jede einzelne Frage für sie beantwortet wird und am Ende jedes Problem gelöst ist, sie weiß sich von Gott gerufen und getragen und erlöst.

Als Getragene kann sie schließlich selbst tragen: das geheimnisvolle Kind, den jungen Jesus, der für manche einfach von Sinnen ist, den Sterbenden, den sie auf dem Kreuzweg begleiten darf, und schließlich den toten Jesus, den sie wie ein kleines Kind am Ende seines Lebens wieder auf ihrem Schoß tragen darf. Maria ist eine Frau in guter Hoffnung – und das nicht nur in der Zeit ihrer Schwangerschaft. Hoffnung und Zuversicht sind die Grundstimmungen ihres Lebens. Sie zeigt uns, dass man Zeiten der Veränderung bestehen kann – und zwar nicht nur mit Ach und Krach, sondern mit Glanz und Gloria. Warum kann man das? Weil immer da, wo ein Mensch aus sich herausgeht, der Weg zu einem anderen Du beschritten wird. Damit entsteht immer ein größeres Wir, Gemeinschaft, Geschwisterlichkeit. Krisen werden wir nur solidarisch durch- und überstehen. Maria macht es uns vor: diese Zu-wendung, von der wir alle leben.

Liebe Schwestern und Brüder,
beim Europatreffen der Jugendlichen im Sinne von Taizé, das in den letzten Tagen hier in Rostock stattgefunden hat, konnte ich etwas von dieser Zeitenwende erleben: in den Workshops haben wir uns mit vielen Fragen, die uns gerade jetzt in diesen Zeiten herausfordern, beschäftigt. Aber in vielen Begegnungen und nicht zuletzt auch bei den Gebeten bin ich Menschen begegnet, die in ihrem eigenen Leben eine Wende vollziehen, die wie Maria sich von Neuem Gott, den Menschen, sich selbst und dieser Welt zuwenden. Danke dafür! Danke für Ihre Präsenz hier bei uns im Norden und Osten Deutschlands! Danke den Brüdern für alle Mühen, alle Planung, alle Vorbereitung und Durchführung hier in Rostock selbst, aber auch Danke für alles, was sie in Taizé tun. Ich bin dankbar, dass jedes Jahr viele Jugendliche, gerade auch Firmlinge auch aus unserem Erzbistum sich bei Ihnen willkommen fühlen dürfen. Ich hoffe, dass der Geist dieses Treffens und der Geist von Taizé als Weg des Vertrauens uns weiter begleiten im Jahr 2023, in einer Zeit der Wende. Gottes Segen Ihnen allen an dieser Wende vom alten zum neuen Jahr und bei jeder Kehre, jeder einzelnen Kehrtwende in diesem neuen Jahr! Wo wir miteinander in der Spur von Weihnachten bleiben, wo wir uns an Maria orientieren, wo wir im Geiste von Taizé unterwegs sind, da beginnt jetzt schon eine neue Zeit der Gerechtigkeit, der Hoffnung, des Trostes und des Friedens.

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