Es gilt das gesprochene Wort!
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“ – wie eine Fanfare rufen die Chöre der Engel diese Botschaft über der Krippe in Bethlehem aus. Sie bringen sie zum Klingen. Es ist das erste Weihnachtslied überhaupt, das in der Geschichte erklingt. Wer schon einmal das großartige Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach gehört hat, hat diese festliche Melodie im Ohr, der weiß: Hier geht es nicht um eine Mitteilung, eine sachliche Information wie bei einem Nachrichtensprecher. Hier geht es um eine Proklamation, um eine Ansage, um eine frohe Botschaft. Bis heute wird übrigens in traditionellen Königshäusern über ein Fanfarensignal eine bedeutsame Botschaft angekündigt, etwa das Ausrufen eines gekrönten Hauptes oder eine royale Hochzeit.
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“: zurzeit ist von solch feierlichen Trompetenfanfaren eher weniger zu hören. Im Gegenteil: andere akustische Warnsignale scheinen die Fanfaren zu übertönen: Sirenen, die aufheulen – nicht nur am nationalen Warntag bei uns, sondern überall auf der Welt, wo die Gewehrsalven, die Drohnen und Panzer, Kriegslärm verbreiten, und das nicht nur in der Ukraine, sondern auch in anderen Teilen unseres Planeten: auf 5 von 7 Kontinenten herrschen Krieg und bewaffnete Konflikte. Der äthiopische Bürgerkrieg in Tigray hat bis heute schätzungsweise 100.000 Todesopfer gefordert, die seit über 10 Jahren schwelende Jemen-Krise forderte mehr als 370.000 Tote. Im Afghanistan-Konflikt verloren bislang nahezu 1,5 Mio Menschen ihr Leben. Ganz zu schweigen von den Millionen von Menschen, die auf der Flucht sind.
Neben den erschütternden Kriegsgeräuschen sind es weitere Warnsignale, die stetig lauter werden: vor allem die junge Generation schlägt Alarm aus Sorge vor einer nahenden Klimakatastrophe. Es zeigt sich immer mehr, dass wir Menschen die uns anvertraute Schöpfung ausgebeutet und über unser Maß gelebt haben. Die Klimaforscher erkennen die Warnsignale: Wetterextreme, eine höhere globale Durchschnittstemperatur, das Abschmelzen der Gletscher, Dürre.
Warnrufe werden auch innerhalb der Kirche laut und ich möchte nur einen nennen: es darf kein Weiter-so geben im Umgang mit dem sexuellen Missbrauch! Es braucht eine stetige Aufmerksamkeit, damit Kirche ein sicherer Ort wird.
Gehören in unsere Lebenswirklichkeit, Weihnachten im Jahr 2022, also eher Sirenen statt Fanfaren? Sind die Fanfarenklänge in diesem Jahr auf stumm geschaltet?
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“: diese frohe und mutmachende Proklamation ist keine Zustandsbeschreibung der Welt, so als würde am Weihnachtstag für einen Moment alles Leidvolle eingefroren. Ein weihnachtlicher Waffensillstand oder eine Amnestie für Gefangene sind da schon viel; aber dennoch bleibt unsere Sehnsucht: „Friede auf Erden“ bestehen! Dieser ursprüngliche Weihnachtsruf wird niemals verstummen können und dürfen. Seit Weihnachten gehört er unweigerlich zum Menschen dazu.
Die Ankündigung des Engelheeres macht uns auf einen wichtigen Zusammenhang aufmerksam: Zwischen Gott in der Höhe und uns Menschen auf der Erde besteht ein Band, eine Verbindung. Die Geburt Jesu in dieser Welt macht es ein für alle Mal deutlich: Wo Gott und Mensch zusammenfinden, da sind auch Himmel und Erde miteinander verbunden, da durchdringen sich die Ehre, die Gott gegeben wird, mit dem Frieden der Menschen. Wo Gott unumwunden Ehre geschenkt wird, steht es um den Menschen gut, ja sehr gut. Wo Gott ausgeklammert wird, müssen wir uns um den Menschen sorgen. Gott und Menschen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern wachsen beide miteinander. Das Kind in der Krippe zeigt es uns deutlich: Hier will etwas heranwachsen, ja hier will jemand wachsen: Gott und Mensch gleichermaßen. Mit Weihnachten hat eine unaufhörliche Wachstumsgeschichte begonnen. Gott will den Menschen nicht klein machen. Wo von Gott groß gedacht wird, wird auch die Größe des Menschen hoch im Kurs stehen.
Die Weihnachtskrippe lädt uns ein, Gott die Ehre zu geben und selbst Ehre von ihm zu empfangen. Unsre Ehre ist niemals unsere Leistung, können wir uns nie selbst zusprechen, andere tun es; Ehre ist immer Geschenk. Die Engel loben Gott auf ihre Art und Weise, die Hirten, indem sie kommen und staunen, später die Sterndeuter, die niederknien und ihre Geschenke ausbreiten. Und alle gehen versöhnt und friedlich von der Krippe weg. Sie erzählen von dem, was sie erlebt haben. Weihnachten verwandelt sie alle; als veränderte, gleichsam neue, voll der Ehre, als weiterwachsende Menschen gehen sie von der Krippe in ihren Alltag zurück, um wiederum ihn zu verwandeln.
Die Bewahrung der uns anvertrauten Schöpfung ist eine Möglichkeit, Gott die Ehre zu geben. Staunend anzuerkennen, wie wunderbar sein Werk ist und alles daran zu setzen, es zu bewahren, damit wir nicht die „letzte Generation“ (last generation) sind.
Gott die Ehre zu geben, bedeutet Raum für die Wahrheit zu schaffen und nicht zum Komplizen der Finsternis zu werden. „Schieb den Gedanken nicht weg!“ heißt die Aufklärungs- und Aktivierungskampagne der Bundesregierung gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen und will jeden dazu einladen, aktiv zu werden.
Gott die Ehre zu geben, kann aber auch bedeuten vor der Krippe zu verweilen und mit Gott auf Du und Du zu gehen. Gott hat sich uns in Jesus zugewendet, ganz menschlich. Wir können nach unserer menschlichen Art mit ihm in Kontakt, in Kommunikation treten, etwa im Gebet. Bringen wir an die Krippe unsere Geschenke: den Dank und die Freude. Bringen wir an die Krippe, was uns belastet: die Not und die Sorgen dieser Tage.
In einer alten Kirche findet sich die Inschrift: „Hier tritt man ein, um Gott zu lieben. Von hier geht man fort, um die Menschen zu lieben“. Eigentlich könnte diese Inschrift auch über jeder Krippe stehen: hier geht man hin, um Gott zu lieben und IHM die Ehre zu geben. Von hier geht man fort, um die Menschen zu lieben und ein Bote des Friedens zu sein. Es ist ein Leitwort für das ganze Leben: immer wieder zu Gott gehen, um ihn zu lieben, und von ihm aus die Menschen. So wird das „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“ von Weihnachten ins ganze Leben übersetzt.
Ich wünsche Ihnen allen frohe und gesegnete Weihnachtstage, ein friedvolles Fest, eines, das Gott immer mehr Raum gibt, der unseren Lebensraum stets zum Besseren verwandelt. Ich hoffe, dass jeder, dem wir begegnen, danach glücklicher, gesegneter, friedvoller werden kann und stets zum Positiven verwandelt und gestärkt wird und wir so in der Spur des neugeborenen Jesuskindes unsere Welt verändern: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“. Wo dieses Lied (heute) erklingt, da entstehen Hoffnung und Freude. Amen.