"Zum Segen werden wir füreinander, wenn der eine den anderen im Blick hat, wir einander wahrnehmen. Zum Segen werden wir füreinander, wenn wir Gutes zueinander und übereinander sagen (bene-dicere) statt vereinfachender Antwort zu geben oder platte Sprüche zu klopfen. Nicht verurteilen, nicht schelten! Zum Segen werden wir, wenn wir miteinander Kirche und Gesellschaft prägen statt gegeneinander zu sehen."
Erzbischof Dr. Stefan Heße
Es gilt das gesprochene Wort!
(1. Les.: Num 6,22-27; 2. Les.: Gal 4, 4-7; Ev. :Lk 2, 16-21)
Zum Jahreswechsel wollen wir zurückschauen, wenigstens kurz:
Am 5. Januar haben wir Papst Benedikt XVI. zu Grabe getragen und auch hier im Mariendom mit vielen Gläubigen für ihn ein Requiem gefeiert. Ende Januar kamen zwei junge Menschen im Zug in Brockstedt in Schleswig-Holstein durch eine Messerattacke ums Leben. Eines der Opfer gehörte zu den Ministranten einer unserer Pfarreien. Anfang März wurden bei einem Amoklauf in einem Gemeindehaus der Zeugen Jehovas hier in Hamburg sieben Menschen umgebracht.
Erdbeben erschütterten die Türkei und Syrien, Marokko und Afghanistan. Überschwemmungen in Norditalien und Libyen, Waldbrände auf Rhodos, Unwetter in der Türkei, Griechenland und Bulgarien, Überflutungen, vor allem im Norden Deutschlands bis heute. Daneben die Weltklimakonferenz in Dubai und vielfältige Aktionen der Klimaaktivisten und der „letzten Generation“.
Streit um den Haushalt, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu, Diskussionen um die Schuldenbremse, das Heizungsgesetz. Erstmalig ein Landrat und hauptamtlicher Bürgermeister der AfD. Eine neue Regierung in Polen.
Der Krieg in der Ukraine im zweiten Winter, Militäroffensive in Bergkarabach, und seit dem 7. Oktober Krieg im Heiligen Land…
Viele haben das Gefühl: wir kommen an unsere Grenzen. Es wird unsicherer, vieles fragwürdig. Viele gehen mit gemischten Gefühlen in das Jahr 2024. Es wird wohl herausfordernd.
Was kann uns gerade jetzt stärken?
Bei den vielen Rückblicken auf 2023 wurde auch an die Krönung von König Charles III. in London am 6.Mai erinnert. Viele werden die royalen Bilder vor Augen haben. Mir ist ein Ruf in Erinnerung geblieben: God save the king! Gott schütze den König. Vielleicht darf man auch freier übersetzen: Gott segne den König.
Vom Segen war in unserer sehr kurzen Lesung aus dem Alten Testament die Rede. Das Volk Israel ist unterwegs, wahrscheinlich mit ähnlich gemischten Gefühlen wie wir heute. Die Priester bekommen den Auftrag zu segnen. Jeder Mensch, die Welt braucht Segen!
Segen bedeutet also nicht, dass alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden. Segen bedeutet vielmehr, in den Schwierigkeiten nicht allein zu sein, sondern geschützt und begleitet. Im jüngsten römischen Schreiben FIDUCIA SUPPLICANS bezüglich der Segnung von Menschen gerade in sogenannten irregulären Situationen (ein Wort, das sehr technisch daherkommt und wohl kaum die Situation der betroffenen Menschen angemessen zum Ausdruck bringt) findet sich ein schönes Bild dafür: Segen ist wie eine Umarmung. Mich erinnert dies an die wunderbare Ikone, die auf der einen Seite Christus zeigt und auf der anderen den Abt und Mönch Menas. Christus legt seine Hand auf die Schulter dieses Mönches wie bei guten Freunden. Segen ist eine solche liebenswürdige Umarmung.
Bei seiner Auffahrt in den Himmel, also beim Verlassen dieser Erde entschwindet Christus nicht einfachhin, sondern segnend. Wir stehen also alle unter dem Segen des Herrn. Wieviele Menschen haben den Segen Jesu am eigenen Leib erfahren! Der Segen ist wie ein Dach, das schützend über uns ausgebreitet wird.
Deswegen ist es wohl wichtig, dass man einen Segen auch spüren kann. Er ist gewöhnlich verbunden mit einer Handauflegung. Gerade in den Corona-Zeiten haben viele solch konkrete Berührungen schmerzhaft vermisst.
Bei einem Besuch in einer unserer Gemeinde haben mich vor kurzem ein Mann und eine Frau in einer schwierigen Situation gefragt: Herr Bischof, können Sie uns segnen? - Gerne habe ich diesem Wunsch mitten im Pfarrsaal entsprochen, ohne dass die Umstehenden davon groß Notiz genommen hätten.
Oder ich denke an den Besuch bei einem alten Pfarrer vor wenigen Tagen, der mich nicht gehen ließ, ohne von mir gesegnet zu werden. Und nachdem ich ihn gesegnet hatte, zeichnete er mir ein Segenskreuz auf die Stirn: „Der Bischof braucht das auch!“
Ich denke an einen anderen Bischof, dessen Armbanduhr jeden Abend um 20:00 Uhr kurz klingelte, um ihn daran zu erinnern, an diesem Abend wieder alle Menschen in seinem Bistum zu segnen. Das hatte er sich vom Tag seiner Bischofsweihe an vorgenommen.
Von Pater Alfred Delp SJ, der dem Terror der Nazis am 2.2.1945 in Berlin-Plötzensee zum Opfer fiel, wissen wir, was ihm bis zum Schluss vor seinem Tod wichtig war: nämlich zu segnen - mit gefesselten Händen aus der Zelle heraus: „segnen Land und Volk, segnen dieses liebe deutsche Reich in seiner Not und inneren Qual, segnen die Kirche, dass die Quellen in ihr reiner und heller fließen. Segnen die Menschen, denen ich Unrecht getan habe, segnen alle, die mir gut waren, oft zu gut“.
Das neue Jahr gibt uns Gelegenheit, diesen Segen immer wieder zu empfangen: in allen möglichen Lebenssituationen. In vielen Gemeinden werden zum Beispiel gleich zu Beginn des neuen Jahres die Sternsinger Boten dieses göttlichen Segens sein.
Erzbischof Ludwig Averkamp, unser erster Erzbischof seit Wiederbegründung des Erzbistum Hamburg vor 29 Jahren, hat offenbar regelmäßig am 1.1. auf Finkenwerder die Hl. Messe gefeiert und danach die Gläubigen einzeln zum neuen Jahr gesegnet. Daraus könnte eigentlich eine schöne Tradition in allen Gemeinden unseres Bistums am ersten Tag des neuen Jahres werden. Wir wollen sie bewusst hier in unserer Domkirche pflegen und morgen an Neujahr nach den beiden Gemeindemessen (in deutscher Sprache) um 10 Uhr und 18.15 Uhr anbieten. Das bereits genannte Dokument Fiducia supplicans nennt den Segen übrigens eine „pastorale Ressource, die es zu nutzen gilt“. Mit Gottes Segen gehen wir ressourcenorientiert ins neue Jahr.
Im Jahr `23 haben sich viele Seelsorgerinnen und Seelsorger aus unserem Erzbistum in einer Fortbildung über die Feier eines Segens für Neugeborene und ihre Familien gleich nach der Geburt informiert. In einer unserer Pfarreien wird dies schon seit geraumer Zeit angeboten. Eine -wie ich meine – gute pastorale Idee und eine Ressource fürs ganze Leben dieser neugeborenen Kinder und ihrer Familien, die übrigens die Bedeutung der Taufe offenbar nicht schmälert.
In meinen persönlichen Gebeten gibt es immer wieder die Bitte: Gott segne den und den, eben konkrete Personen, an die ich denke an Ihrem Namens- oder Geburtstag oder wegen einer besonderen Lage
Eltern können ihre Kinder segnen. Freunde und Partner einander. Vor einer Prüfung oder OP, zu den Ferien, für das neue Schuljahr…
In unseren Gottesdiensten steht ja immer am Ende der Segen, mit dem wir in den Alltag gesendet werden. Manchmal gibt es aber diese persönlichen Segensfeiern, die gerade auf den einzelnen ausgerichtet sind. Ich bin immer wieder froh, wie viele Menschen sich Anfang Februar bewusst den Blasiussegen spenden lassen. Er ist eben ein Segen, der mir auf den Kopf zugesprochen wird, ganz persönlich. Vielleicht brauchen wir so etwas in diesen Zeiten ganz besonders. Vielleicht sollten wir uns vornehmen, einander zu segnen. Ganz persönlich, mit kleinen Gesten.
Und schließlich: werden wir zum Segen für einander! Wer selber gesegnet wurde, wird den Segen weitergeben und dort, wo er ist, zum Segen werden (wollen). Keiner kann allein Segen sich bewahren (GL 451).
Zum Segen werden wir füreinander, wenn der eine den anderen im Blick hat, wir einander wahrnehmen.
Zum Segen werden wir füreinander, wenn wir Gutes zueinander und übereinander sagen (bene-dicere) statt vereinfachender Antwort zu geben oder platte Sprüche zu klopfen. Nicht verurteilen, nicht schelten!
Zum Segen werden wir, wenn wir miteinander Kirche und Gesellschaft prägen statt gegeneinander zu sehen.
Wir könnten jeden Tag des neuen Jahres (und als Schaltjahr sind es sogar 366 Tage) am Ende beschließen mit der Frage: wem durfte ich heute zum Segen sein? Wer war mir heute zum Segen?
Liebe Schwestern und Brüder,
in diesem Sinne wünsche ich uns allen ein wirklich gesegnetes neues Jahr!