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Predigt

Predigt zur Verabschiedung der Karmeltinnen

11. Juni 2022
Karmelkloster / Hamburg-Finkenwerder

Es gilt das gesprochene Wort


Liebe Schwester Maria, liebe Schwester Miriam, liebe Schwester Katharina,
Schwestern und Brüder,

von außen betrachtet kann man die Geschichte dieses Karmelklosters sehr schnell erzählen. Im Advent 1999 wurde es gegründet, heute, am 11. Juni 2022, wird es geschlossen. Äußerlich gesehen sind das kaum mehr als 20 Jahre. Verglichen mit einer 2000-jährigen Kirchengeschichte eine recht überschaubare Episode.

Zwischen diesen beiden Eckdaten kann und muss man allerdings viel einpassen. Zuallererst die Schwestern, die in diesen gut zwei Jahrzehnten hier gelebt haben: Sie drei bis zum Schluss, aber auch frühere Priorinnen wie Schwester Theresia oder Schwester Immaculata oder die Seniorin Schwester Veronika, die im hohen Alter von 95 Jahren während der Coronapandemie hier verstarb. Zeitweise lebten Sie hier mit neun Schwestern.

Ich weiß, dass Sie, liebe Schwestern, sich hier auf Finkenwerder von Anfang an eingebracht haben. In die Kultur vor Ort, bei Konzerten, beim Jahrmarkt, und nicht zuletzt auch in die Ökumene mit der evangelischen Gemeinde. Gerne spricht man hier auf der Elbinsel von „unseren Schwestern“. Mit ihrem Ordensgewand gehörten sie zum Erscheinungsbild von Finkenwerder.

Sie liegen hier mittendrin: mit der Fähre ist man leicht aus der Hamburger Innenstadt hier. Mein verehrter Vorgänger, Erzbischof Ludwig Averkamp, muss gerade im Ruhestand diesen Weg fast wöchentlich zurückgelegt haben. Hinaus auf die Insel, wo eine große Flugzeugfabrik an Obstplantagen grenzt. Und mittendrin: ein Karmel. Viele hatten im Laufe der letzten Jahre sicher das Gefühl, aus der Stadt herauszukommen und hier in Stille ein wenig Abstand vom Alltag zu suchen. Nicht nur die Kirche, sondern das Kloster und vor allen Dingen das Gästehaus stand in diesen Jahren unzähligen Menschen offen.

Aber Sie, liebe Schwestern, haben nicht nur Türen geöffnet und Räume zur Verfügung gestellt, sondern Sie haben Ihr Leben geöffnet. Ich weiß von vielen, die hier mit Ihnen ins Gespräch gekommen sind – und keineswegs über Nebensächlichkeiten! In einem Karmel geht es in aller Regel um existenzielle Fragen, um die Grundfragen des Lebens: Woher komme ich? Warum gibt es mich? Wozu bin ich da? Was ist die große Perspektive meines Lebens? Im Gespräch werden Sie mit vielen hier, im Karmel von der Menschwerdung, um diese Fragen gekreist sein. Dabei wird es ja nicht nur um Seine, also Jesu Menschwerdung gegangen sein, sondern auch um die Menschwerdung von vielen Menschen.

Und es ist noch etwas, was diesen Ort so wertvoll macht: Sie haben nicht einfach nur mit Anderen geredet und Ihnen Antworten ins Ohr oder den Kopf gesetzt. Sie haben Gäste empfangen und diese Gäste an Ihrem Glauben und ihrer Frömmigkeit teilnehmen lassen, bei den vielen Gottesdiensten hier in der Kirche, bei der Feier der heiligen Messe, beim Stundengebet oder auch an den Stillen Tagen und Exerzitien, die hier Menschen in der Tradition des Theresianischen Karmel gemacht haben – und aus der Tradition des Karmel ganz besonders auch am „Inneren Beten“. Dann kam man in der Kirche oder im Saal zusammen, setzte sich oder kniete sich bequem hin und verweilte eine längere Zeit im stillen, persönlichen Gebet. Hier, wie auch in vielen anderen Karmelklöstern, kommen die Brüder oder Schwestern morgens und abends einfach zusammen und verweilen zum Beispiel eine Stunde lang im stillen Gebet. Dabei geht es um eine innere Hinwendung des Menschen zu Gott, nicht nur rational, sondern ganzheitlich. Johannes vom Kreuz spricht von einem „liebenden Aufblick zu Gott“. Es geht um Kontemplation, d. h. sich im Blick Gottes wiederzufinden und dies wie eine gute Gewohnheit durch den Alltag beizubehalten. Dieses Innere Beten ist dann nicht bloß eine Form von Frömmigkeit, sondern geradezu ein Habitus, der das ganze Leben prägt: die Entscheidungen, die Arbeiten und Herausforderungen des Alltags, das Urteilen und Empfinden. Frömmigkeit ist eine Einstellung für das ganze Leben. Der Mensch ist in allen Lebenslagen fromm oder er ist es nicht. Vielleicht brauchen wir so etwas wie eine Mystik des Alltags, von der ich glaube, dass man sie hier einüben durfte. Der Mystiker lebt in einer ständigen Beziehung, Freundschaft zu Gott, selbst dann, wenn er sie nicht erfährt, sich in der „Nacht des Sinnenbereiches“ befindet. Für einen solchen Menschen ist klar: solo dios basta. Gott allein genügt. Er oder sie wird versuchen, sich ein ganzes Leben lang in der „inneren Burg“ aufzuhalten.

Dabei werden mit Sicherheit auch die vielen Fragen und Zweifel ihren Raum gehabt haben, die inneren Nöte, die Erfahrungen von so vielen Menschen, die sich nicht nur an der Kirche reiben, sondern an Gott selbst, denen alles fad und trocken wird, die meinen, nicht mehr beten zu können. Vielleicht haben sie das erlebt, was der Heilige Johannes vom Kreuz im 16. Jahrhundert als „dunkle Nacht“ betitelt.

Dabei ist im Laufe der Jahre eine richtige Karmelfamilie entstanden aus vielen Frauen und Männern, die in dieser Tradition weiterdenken, weiterleben und weiterarbeiten möchten. Zu diesem Familien- oder Freundeskreis zählen dann natürlich auch die großen Gestalten des Karmel: Theresia von Avila, Johannes vom Kreuz, die heilige Theresia von Lisieux, Edith Stein und viele andere mehr. Edith Stein bringt in ihrer Kreuzeswissenschaft zum Ausdruck: „Unser Ziel ist die Vereinigung mit Gott, unser Weg der gekreuzigte Christus, das Einswerden mit ihm im Gekreuzigtwerden“. Aber für den Karmel ist klar, dass es nie nur um eine subjektive, individuelle Frömmigkeitsbeziehung zwischen Gott und der einzelnen Seele geht, es geht auch um eine Haltung der Geschwisterlichkeit.

Liebe Schwestern,
ich bin traurig, dass Sie gehen! Ich bin aber erleichtert, dass Sie so klar und mutig entschieden haben. Ich bin aber heute vor allem zutiefst dankbar. Ich bin Gott dankbar, der Ihre Wege von Hainburg (im Bistum Mainz) nach Hamburg geführt hat! Stellvertretend für Ihre ganze Gemeinschaft möchte ich Ihnen danken für all das, was Sie hier getan, durchbetet, erfahren, erlitten, aber auch geschenkt bekommen haben, was sie weitergegeben und mit anderen geteilt haben. Vergelts Gott! Ich wünsche Ihnen Gottes reichen Segen für Ihre persönliche Zukunft als Karmelitinnen, wo auch immer Ihr Weg Sie hinführen mag. Vielleicht wird er Sie zu einem ähnlichen Projekt und Experiment führen, wie dies hier in Hamburg der Fall war. Dass Sie das damals gewagt haben und 20 Jahre gelebt haben, dafür sind wir Ihnen nicht nur von Herzen dankbar, sondern dies ist ein Schatz, der nicht nur zum Erzbistum Hamburg, sondern zu vielen Menschen einfach dazugehört und ihr Leben äußerst wertvoll macht – ein Schatz, den es nicht zu vergessen gilt. Amen.

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