Liebe Schwestern und Brüder,
Vor kurzem haben wir in Deutschland wieder die ökumenische Woche für das Leben begangen. In jedem Jahr setzt sie einen anderen Akzent. Mal geht es um das Ende des Lebens, um das menschenwürdige Sterben, mal um den Anfang des Lebens. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt auf Menschen, die an Demenz erkranken. Leider ist diese Erkrankung auf dem Vormarsch, sodass wahrscheinlich jeder von uns jemanden kennt, der davon betroffen ist.
Es ist eine schleichende Krankheit, die sich offenbar nach und nach herausbildet. Am Anfang sind es eher Störungen des Kurzzeitgedächtnisses. Menschen werden zunehmend vergesslich. Da macht sich jemand zum Herausgehen fertig und weiß dann aber gar nicht mehr, wohin er eigentlich gehen wollte. Oder da legt sich jemand ganz viele kleine Notizzettel hin, um sich an dieses und jenes zu erinnern. Aber es will nicht gelingen. Das Langzeitgedächtnis verschwindet, aber auch ganz normale, einfache kleine alltägliche Fertigkeiten wollen einfach nicht mehr gelingen, die man Kaffee kocht oder die Schnürsenkel bindet …
Liebe Schwestern und Brüder,
mit Demenzkranken umzugehen ist sicher nicht leicht. Auch darüber zu reden, ist herausfordernd. Manchmal sind wir sehr unbeholfen und sagen über einen Menschen, der dement ist: der ist geistig nicht ganz da. Das liegt dann auch gar nicht so weit von diesem lateinischen Fachbegriff Demenz weg. De-mens bedeutet wörtlich: vom Geist weg, eben geist-los. Er oder sie lebt nicht auf der Höhe des Geistes. Von geistigen Höhenflügen kann überhaupt nicht mehr die Rede sein.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass nicht nur einzelne Menschen dement sein können, sondern ganze Landstriche, eine ganze Gesellschaft, die Kirche. Wenn in Europa Krieg herrscht, wenn Flüchtlinge vom Bildschirm verschwinden, wenn die Opfer des Missbrauchs vergessen und übersehen werden - und die Aufzählung könnten wir leicht fortsetzen -, dann hat das alles auch mit Vergesslichkeit, mit Vergessenheit zu tun. Es ist geradezu ein de-mentes Verhalten.
In der Theologie, in unseren Glauben können wir das heute an Pfingsten ziemlich leicht übersetzen und mit dem Heiligen Geist in Verbindung bringen. Immer wieder haben Theologen über die Geist-Vergessenheit geklagt. Und wer den Heiligen Geist vergisst, der ist geistlos, ungeistig, ungeistlich. Dann ist es eben keine De-mens, sondern eine De-Spiritualisierung, eine Entspiritualisierung, eine geistliche Kraftlosigkeit. Der Heilige Geist ist das Therapeutikum, das Heilmittel gegen diese Vergesslichkeit, diese Geistlosigkeit.
Jemand der dement ist, der vergisst seine Vergangenheit. Ihm mangelt es an Zukunft, und am Ende lebt er auch nicht mehr in der Gegenwart, sondern wie abwesend. Jemand der geist-los lebt, wird eine eingeschränkte, verengte Sicht auf sein Umfeld haben.
Der Heilige Geist dagegen gibt uns den weiten Horizont. Jesus sagt von ihm: er wird euch an alles erinnern. Der Heilige Geist hält uns in Kontakt mit dem Anfang der Kirche, mit diesem geistvollen Anfang von Pfingsten, mit diesem Christus, der selber ganz auf den Heiligen Geist hin lebte und diesen Geist seiner Kirche eingehaucht hat. Der Heilige Geist hält in uns die lange Tradition unserer Kirche wach. Er verweist auf die Schätze dieser Kirche, aber er öffnet uns auch die Augen für die dunkelsten Schattenseiten dieser langen Geschichte. In diesem Sinne führt er uns in die Wahrheit ein, so weh das auch tun mag.
Wenn der Heilige Geist uns erinnert, dann ist das mehr als ein historisches Bewusstsein. Erinnern, dass sagt das deutsche Wort, führt nach innen. Es wird in die Mitte meines Lebens, in das innerste meines Menschseins. Und der Heilige Geist führt mich in das Innerste Gottes hinein, in die Beziehung zwischen Vater und Sohn. Mit dem Geist des Vaters und des Sohnes bin ich getauft, in diesen Geist förmlich hineingetaucht. Und beides hängt zusammen: das Innerste Gottes und mein Innerstes. Der Heilige Geist will meine persönlichsten Regungen und Gefühle, meine Hoffnungen und Enttäuschungen, meine Erwartungen und Frustrationen, meine Freude und mein Leid berühren. Er will all dies heilen, stärken und kräftigen.
Wir könnten ganz profan sagen: Hier geht‘s ums Eingemachte. Sehr viel sensibler ausgedrückt bedeutet dies: es geht um den innersten Kern meines Lebens, dieser Welt, dieser Kirche, dieses Gottes. Es geht, um es mit einem alten Wort zu sagen: um die Seele. Die Welt, dieses Land braucht eine Seele; eine seelenlose Kirche – das ist eine Horrorvorstellung. Ein seelenloser Mensch, dem wollen wir lieber nicht in die Fänge geraten. Dieser Tage hat mir in einem Gespräch ein Sohn von seiner Mutter, die an Demenz erkrankt ist, berichtet. Es sei für ihn so schrecklich, beobachten zu müssen, wie sie Schritt für Schritt ihren Charakter verliert, man könnte sicher auch sagen ihre Seele. Sie ist nicht mehr sie selbst. Der Heilige Geist will uns Christen eine Seele geben, eine Prägung, einen Charakter. Deswegen sprechen wir auch bei der Firmung von einem unauslöschlichen Prägemal, das uns das Sakrament verleiht, einem character indelebilis. Gott haucht uns in der Firmung sozusagen seinen Charakter ein, er gibt uns seine Prägung. Die charakterisiert uns dann.
Und dann können wir von innen heraus handeln und agieren. Dann wächst etwas aus einem sehr tiefen Fundament. Dann können wir eintreten für die Menschen, können wir Ihnen zur Seite stehen und sie begleiten. Dann ist das aber nicht aufgesetzt, sondern zutiefst verankert und Ausdruck einer inneren Haltung, Ausdruck unseres Glaubens daran, dass Gottes Geist nicht die Puste ausgeht, sondern dass er auch kräftig im Hier und Heute weht.
Pfingsten ist das Fest gegen jede menschliche, weltliche und kirchliche Demenz. Der Heilige Geist das Heilmittel schlechthin. Bei Kranken heißt es oft, dass sie medikamentös gut eingestellt sein sollen. Stellen wir uns nicht nur heute, sondern tagtäglich auf Gottes Geist ein!