Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Schwestern und Brüder,
die Karwoche und das Osterfest sind voller Veränderungen, Entwicklungen. Diese Tage haben überhaupt nichts Statisches, sondern eher etwas Fließendes. Es geht von einem zum anderen, Schlag auf Schlag. Vielleicht kann man diese Tage von Palmsonntag bis heute am besten begreifen mit der Überschrift: Wandlung.
Als erstes sehe ich die Wandlung im Rahmen des letzten Abendmahles Jesu. Er feiert einen vertrauten Ritus, nämlich das Pessachmahl. Aber er gibt ihm einen ganz neuen Sinn: Brot und Wein sind nicht bloß Materie, sondern werden hier zum ersten Mal zu Leib und Blut Christi: das ist mein Leib für euch – das ist mein Blut für euch: Das bin ich für euch. Von daher ist für uns wie für unsere Vorfahren im Glauben die Wandlung ein fester Begriff als wichtigster Moment der Messfeier. Brot und Wein, die wir zum Altar bringen, werden in jede Eucharistiefeier zu Leib und Blut Christi. Deswegen ist das „Amen“ bei der Kommunion so wichtig. Es bedeutet schlicht und einfach: Ja, ich glaube das. Ich bekomme hier nicht ein Plätzchen gereicht, sondern Christus selbst.
Die Karwoche geht weiter mit einer nächsten Wandlung: Christus stirbt am Karfreitag am Kreuz. Es ist nicht einfach ein Sterben, das er über sich ergehen lässt, nicht einfach eine Hinrichtung ohne jeden Sinn. Er gibt seinem Sterben und seinem Tod eine tiefe Ausrichtung: Er verwandelt sein Sterben in Hingabe, seinen Tod in Liebe: Der größte von allen ist immer derjenige, der sein Leben hingibt, aus Liebe für Freund und Feind.
Mit dieser Wandlung des Todes in Liebe ist fast schon die nächste Wandlung eingeleitet: die Wandlung vom Tod in Leben. Da, wo die Liebe hinkommt, verändert sie alles, denn Liebe heißt Leben. Liebe verwandelt jeden Tod in Beziehung und verleiht ihr Lebendigkeit. Christus bringt die göttliche Liebe in den Abgrund des Todes, also genau dahin, wo sie eigentlich nicht ist. Und damit verwandelt er den Tod in Leben. Das ist Ostern.
Damit sind die Wandlungen keineswegs zu Ende. Es geht weiter. Der Auferstandene begegnet Frauen und Männern, er geht auf sie zu und stößt damit die Wandlung von uns Menschen an.
Wandlung gehört zu unserem Leben und zu unserem Glauben selbstverständlich dazu. Im Gegenteil, wo sich nichts mehr verändert, da geht alles ein. Wer sich nicht mehr verändert, der erstarrt oder stagniert. Allein unser menschlicher Organismus wandelt sich in unserem Leben vielfach, die Körperzellen unterliegen einem Austausch, der Mensch entwickelt sich von der Kindheit über die Jugend zum Erwachsenen. Diese Veränderungen sind nicht bloß ein Automatismus; sie geschehen in der Begegnung, sie werden ausgelöst und begleitet von unseren Mitmenschen. Der jüdische Philosoph Martin Buber bringt es auf die Formel: Ich Werden am Du.
Das gilt selbstverständlich auch für unsere geistliche, unsere religiöse Entwicklung. Wir werden erst zu dem glaubenden Menschen, der wir sein sollen, am Du unserer Mitglaubenden und natürlich am Du Gottes. In der Begegnung mit ihm geschieht unsere Wandlung.
Die Jünger, die sich damals am Karfreitag verkrochen hatten, werden in der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn zu mutigen Zeugen. Die, die am Karfreitag alles aufgegeben hatten, schöpfen Zuversicht. Die, für die alles zu Ende war, beginnen mit dem Auferstandenen neu. So wird Kirche. Kirche ist nicht das unveränderliche Gebäude, auch nicht das unveränderliche Gebäude des Glaubens im übertragenen Sinn. Kirche ist immer eine Bewegung durch die Zeit und damit immer in Wandlung begriffen.
Last but not least geht es an Ostern auch um die Wandlung der Welt. Wie sehr würden wir uns wünschen, dass der Krieg in der Ukraine zum Frieden gewandelt würde! Aber das wird nur gehen, wenn Einzelne, wenn Menschen sich verwandeln lassen. Ich halte es für überwältigend, wie das Volk der Ukrainer, das militärisch dem russischen bei weitem unterlegen ist, sich verteidigt und zum Beispiel eine Stadt wie Kiew bisher nicht erobert werden konnte. Ich hoffe, dass der Krieg zu einem Ende kommt, dass die schrecklichen Kriegsverbrechen eingestellt werden und die Würde des Menschen respektiert wird. Das wird sicher nur gehen, wenn alle Beteiligten sich verändern, sich verwandeln lassen – am besten in der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn, der vor uns hintritt und uns begrüßt mit den Worten: Der Friede sei mit dir!