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Predigt

Predigt am Todestag der Lübecker Märtyrer

10. November 2020
Propsteikirche Herz Jesu in Lübeck

Es gilt das gesprochen Wort!


Liebe Schwestern und Brüder,

die Corona-Pandemie prägt unser Leben mehr und mehr. Sie verändert es umfassend und nach-haltig: unser Zusammenleben, unsere Wirtschaftsbeziehungen, die Kultur, die Bildung ... Und natürlich auch das kirchliche Leben.

Grob betrachtet spüren wir, dass der Radius unseres Lebens kleiner wird, die Rahmenbedingungen enger. Viele Menschen in unserem Land fühlen sich dabei zunehmend eingeschränkt. Manche von ihnen gehen auf die Straße und machen ihrem Unmut Luft, vor einiger Zeit in großer Zahl in Berlin und am vergangenen Wochenende in sehr fragwürdiger Weise in Leipzig. Sie fühlen sich in ihrer Freiheit eingeschränkt. Sie meinen, mit all diesen Beschränkungen, mit den auferlegten Grenzen, nicht mehr frei atmen und sich nicht mehr frei bewegen zu können.

Das führt mich zu unseren Märtyrern: Ihr Lebensradius wurde stets enger, immer kontrollierter, bis eben hinein in die Gefängniszelle von ein paar Quadratmetern, ohne Aussicht – im wörtlichen, wie im übertragenen Sinne. Die Umstände im Gefängnis waren alles andere als behaglich. Ganz zu schweigen vom Prozess, dem Todesurteil und der Vollstreckung: Also eine umfassende Einschränkung und Eingrenzung, eine radikale Isolation, Quarantäne und Fixierung - ohne Freiheit.

In dieser Situation schreibt Kaplan Johannes Prassek in sein Neues Testament einen entscheiden-den Satz: „Wer sterben kann, wer will den zwingen.“
Oft macht Angst den Menschen enger, kleiner, sodass er nur noch auf seine Defizite starrt und in seiner Angst förmlich erstarrt. Aus diesem Wort von Johannes Prassek spricht eine ganz andere Sicht der Dinge: nicht Enge, sondern Weite; nicht Erstarren, sondern Lebendigkeit; nicht das ganz Kleine, sondern das Große! Er erlebt seine Gefängniszelle offenbar nicht als ein „immer weniger“, sondern geradezu als ein Tor, als eine Öffnung zu einer viel größeren Freiheit.

Es ist offenbar zu allererst die Freiheit von Erniedrigung, von Beschämung, von äußeren Angriffen, von der Unterwerfung unter dem Willen anderer, von der Ausbeutung, sicher auch die Freiheit von Minderwertigkeit, die Freiheit von Dingen, von allen Bezwingungen und Zwängen, äußeren und inneren. Und es ist die Freiheit von der Macht des Todes, die seinem Leben nach vorne hin keine Grenze setzt, sondern ein Tor, einen Zugang zum Leben in Fülle, an das er glaubt und auf das er hofft. Wenn der Mensch von alldem frei ist, dann wird er frei für etwas ganz Neues, dann wird in ihm die Freiheit zu einem neuen Leben geboren.
Johannes Prassek wusste es: Der Mensch lebt immer in der Gefahr, die Freiheit des anderen zu beschneiden, sie ihm zu rauben, ja sie zu zerstören. Auch der gläubige Mensch ist vor dieser Freiheit keineswegs gefeit! Aber ganz anders Gott: Gott ist frei und Gott macht frei. Es bewegt mich immer wieder von neuem, wenn ich bei der Firmspendung die Gläubigen zu einem stillen Gebet für die Firmbewerber auffordere. Dann wird es in der Kirche ganz still und ich bitte darum zu beten, oft für ganz junge Menschen, von denen dann der liturgische Text sagt: Sie sind in ihrer Taufe von der Schuld Adams befreit. In unserer Taufe sind wir in diese neue Freiheit hineingeboren worden und haben sie geschenkt bekommen. Unser Leben ist dann ein Ringen, sich einerseits von dem, was diese Freiheit behindert, immer wieder zu lösen: die Freiheit von, um schließlich zu einer Freiheit für zu kommen.

Papst Johannes Paul II. hat bei seinem Deutschlandbesuch 1996 eine ergreifende Rede am Brandenburger Tor gehalten, in der er uns diese Freiheit vor Augen stellte. Ausgerechnet am Brandenburger Tor, das mindestens von zwei Ideologien besetzt wurde: Das Tor wurde von ihnen zu einer Mauer gemacht und damit pervertiert. Im Angesicht dieses symbolhaften Ortes sagt uns der Papst: Die Freiheit hat einen Namen: Jesus Christus. Sein Leben ist ein einziges Frei-sein von, und ein Frei-sein für, nämlich für Gott und die Menschen. Von diesem Christus sagt uns der Heilige Paulus: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Gal 5,1).
Wir haben also diese Freiheit empfangen und zugleich den Auftrag, sie ein Leben lang zu bewahren und zu gestalten, eine Freiheit in Verantwortung, vor Gott und den Menschen. Deswegen hat es etwas geradezu Befreiendes am Ende unseres Lebens im Tod vor dem Gericht Gottes zu stehen.
Die Märtyrer wussten offenbar um diese Perspektive und sie haben sie sich durch die harten Rahmenbedingungen nicht nehmen lassen, sondern immer wieder darum gerungen. Auf sie trifft zu, was Kardinal Reinhard Marx gleich zu Beginn seines jüngsten Buches über die Freiheit sagt: Wenn man einem Christen begegnet, sollte man den Eindruck haben: Sieh an, ein freier Mensch!

Franz Jägerstätter, der als Kriegsdienstverweigerer im Zweiten Weltkrieg wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, hat, als der Anwalt ihn noch in der Todeszelle zum Unterschreiben drängen will, damit er so seine Freiheit erhalten würde, ganz ruhig geantwortet: „Aber ich bin doch frei!“
Ich glaube, an den vier Märtyrern und an vielen anderen Zeugen unseres christlichen Glaubens konnte man und kann man das sehen: Sieh an, ein freier Mensch. Ich hoffe, dass man es auch jetzt und hoffentlich sogar gestärkt durch die derzeitigen Corona-Erfahrungen von uns sagt: Sieh an, ein freier Mensch, denn Christus hat uns zur Freiheit befreit.

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