Startseite > Erzbistum > Bistumsleitung > Predigt zu Allerseelen in der Domkirche St. Marien
Schreiben Sie uns per Messenger
Startseite > Erzbistum > Bistumsleitung > Predigt zu Allerseelen in der Domkirche St. Marien
Predigt

Predigt zu Allerseelen in der Domkirche St. Marien

02. November 2020
Hamburg

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

die alten Griechen sprachen vom Hades, die Juden vom Scheol. Sie meinten damit das Reich der Toten. Hier gelangt ein Verstorbener hin. Hades und Scheol sind nicht zu verwechseln mit dem Paradies, mit dem Himmel. Im Gegenteil, sie sind sehr traurige Orte, Orte der Verlassenheit, der Einsamkeit. Es sind Orte ohne jede soziale Beziehung, die pure Isolation, eine vollkommene Quarantäne. Hier besteht überhaupt keine Kommunikation mehr. Es mag sein, dass die Nähe der Verstorbenen untereinander sogar überaus groß ist, aber sie haben keinen Kontakt miteinander, keinen Austausch.

Darüber hinaus ist dieses Totenreich charakterisiert durch eine Kommunikationssperre zu Gott hin. Es gibt keine Anbetung. Es gibt keinen Lobpreis. Für Gott ist im Reich des Todes kein Platz. Hier ist der Mensch nur noch ein Schatten seiner selbst; es ist nicht nur der biologische Tod, sondern vielmehr auch der soziale Tod, um den es hier geht. Der Mensch hört im eigentlichen Sinne auf, Person zu sein, denn eine Person lebt ja gerade aus dem Kontakt der Gemeinschaft und der Kommunikation.

Vielleicht leben wir gerade in diesen Tagen in einer Zeit, in der viele Menschen in gemeinschaftlicher Perspektive leiden, geradezu am sozialen Sterben leiden; sie befinden sich sozusagen wie im Reich des Todes, weil ihre Kommunikation erheblich eingeschränkt, ja vielleicht sogar unmöglich ist. Sie sind und sie leben eben nicht in Gemeinschaft: Du magst alles haben, was man zum Leben so braucht, aber das Entscheidende fehlt dir: Gemeinschaft, Begegnung, Austausch, Kommunikation. Manch einer mag sagen: Ich bin irgendwie nur ein Schatten meiner selbst, das ganze Leben kommt mir wie ein Schatten vor.

Liebe Schwestern und Brüder,

in unserem Glaubensbekenntnis sprechen wir aus, dass Jesus in das Reich des Todes hinabgestiegen ist. Das Kreuz ist also noch nicht einmal der letzte Tiefpunkt, an den Jesus anlangt, sondern das Reich des Todes geht noch eine Etappe weiter in die Tiefe hinein. Jesus, der Zeit seines Lebens immer wieder zu Gott als seinem lieben Vater gebetet und gerufen hat, der ihn mit Abba anredete, der ruft am Kreuz aus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Da ist schon etwas von dieser Kommunikationslosigkeit zu spüren. Christus macht also selber die Erfahrung der Verlassenheit, der Isolation und geht als solcher zu den Toten. Er solidarisiert sich mit den Toten, und zwar im tiefsten Sinne des Wortes: er kommt nicht einfach zu ihnen als der Lebendige, dem all das nichts anhaben könnte, sondern die Solidarität geht so tief, dass er als Toter in das Reich des Todes eintritt. Durch diese Solidarität konnte er die Isolation aufbrechen und verwandeln.

Liebe Schwestern und Brüder,

das gibt uns Hoffnung für unsere Verstorbenen: Wir glauben daran, dass sie aus der Isolation ihres Todes durch den Tod Jesu Christi herausgeholt werden. Deswegen gedenken wir heute ihrer und aller Verstorbenen.
Das gibt uns aber auch Hoffnung für uns Lebende, gerade in diesen Tagen: Wir helfen einander nicht ausschließlich dadurch, dass einige wenige Starke, denen das Virus nichts anhaben könnte, sich um die Schwachen kümmern und sie unterstützen. Wir helfen einander auch und gerade dann, wenn die Hilflosen, die, die an ihre Grenzen geraten, die Kraftlosen, wenn sie in all ihrer Schwäche und Gebrochenheit solidarisch sind mit denen, denen es genauso ergeht.

Ein niederländischer Schriftsteller sagt: „In unserer Zeit brauchen wir keine Unterstützung, sondern Solidarität.“
Allerseelen ruft uns diese Solidarität des toten Christus mit allen Toten ins Gedächtnis. Allerseelen 2020 ruft uns zur Solidarität mit allen Menschen auf. Gott sei Dank gibt es diese Solidarität gerade in diesen Tagen in überaus großem Maß. Wir brauchen sie, um zu heilen.


(Die Predigt ist inspiriert von Gedanken des philippinischen Kardinals Luis Antonio Tagle aus seinem jüngst erschienen Buch „Gott. Vom Wagnis der Hoffnung“. Kardinal Tagle wiederum greift hierin Gedanken aus der Karsamstagstheologie des Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar auf.)

Weitere Predigten

Hirtenwort anlässlich des Ansgarfestes 2024

St. Marien-Dom Hamburg
02. Februar 2024

Jahreswechsel 2023/24

St. Marien-Dom Hamburg
31. Dezember 2023

Mitspieler werden an der Krippe - Weihnachtspredigt 2023

St. Marien-Dom Hamburg
24. Dezember 2023
powered by webEdition CMS