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Predigt

Hirtenwort des Erzbischofs zur Fronleichnamswoche 2020

10. Juni 2020
Hamburg

Liebe Schwestern und Brüder!

Gerne würde ich mich mit einem ganz anderen Thema heute an Sie wenden, doch Corona beherrscht weiterhin fast unser ganzes Leben. Deswegen kann und will ich nicht an Corona vorbei.
Das Coronavirus ist nach wie vor sehr ernst zu nehmen; es ist kein Fake, sondern echt und unter Umständen echt lebensgefährlich! Und leider ist es auch noch bis auf eine unbestimmte Zeit real. Das Virus geht nicht einfach weg. Ich möchte allen meinen Dank ausdrücken, die gerade jetzt ihren Beitrag zu einem sehr umsichtigen Umgang leisten, um sich und andere zu schützen. Ich danke auch besonders allen Helferinnen und Helfern in unseren Gemeinden für ihren unermüdlichen und auch kreativen Einsatz!
Das Virus hat schon vieles verändert. Wir alle spüren deutliche Einschnitte. Manche sprechen sogar von einer Epochenzäsur. Unser Leben ist Mitte März total runtergefahren (worden): Seitdem herrscht kein normaler Alltag mehr in Familie, Schule, Beruf, Gesellschaft und natürlich auch Kirche. Das betrifft unser Land, Europa und den gesamten Globus.

Wir gehen auf Distanz, leben auf Abstand zu unseren Mitmenschen. Besuche in Altenheimen und Krankenhäusern sind sehr eingeschränkt; der Abschied von Verstorbenen ist zum Teil nicht möglich. Wie viel Nähe und Distanz braucht bzw. erträgt der Mensch?

Wir machen die Erfahrung, dass wir längst nicht alles im Griff haben. Für viele eine wirklich existenzielle Herausforderung.
Immer wieder heißt es, nach Corona werde nichts mehr so sein, wie es war. Wir müssen uns jetzt etwas eigentlich Selbstverständliches in Erinnerung rufen: Nie ist etwas in Gegenwart und Zukunft, wie es in der Vergangenheit einmal war.

Geschichte wiederholt sich nicht einfach. Die Zukunft liegt offen vor uns. Corona lässt uns auf eine sehr harte Art spüren, dass wir längst nicht (mehr) alles planen können – erst recht nicht nach unseren Vorstellungen. Auch wenn das Planen schwer möglich ist, können wir dennoch unsere Zeit gestalten. Das geht am besten, indem wir sehr bewusst im Heute leben, nur im Heute leben. Das immermehr, -höher und -weiter geht offenbar nicht mehr! Es hat sogar etwas Zerstörerisches an sich. Das jetzt gedrosselte Tempo unseres Lebens, die Entschleunigung, könnte zu einem intensiveren, erfüllteren Leben führen, in größerer Einheit mit unseren Mitmenschen und der ganzen Schöpfung, freilich verbunden mit einer Reduzierung unserer Ansprüche.
Langsam fährt alles wieder ein wenig hoch; wir lernen gerade, mit dem Virus zu leben. Deswegen ist es mir sehr wichtig, dass wir unsere Erfahrungen miteinander teilen. Das habe ich mit meinem Pfingstbrief an Sie bereits angeregt. Dazu erreichen mich viele sehr herzliche und bewegende Rückmeldungen. Bitte tauschen auch Sie sich darüber aus, was Sie erleben. Teilen Sie Ihre Erfahrungen miteinander: Wie ergeht es Ihnen? Was bemerken Sie? Welche Veränderungen stellen Sie fest? Was könnte es für uns alle bedeuten? Wir brauchen diesen Austausch, um schrittweise zu lernen und gemeinsame Lösungen zu finden. Polarisierungen in Gesellschaft wie Kirche helfen uns nicht!

Für heute möchte ich im Zusammenhang mit dem Fronleichnamsfest ein paar Gedanken mit Ihnen teilen, die mir in dieser Zeit im Hinblick auf unsere Gottesdienste gekommen sind. Gerade die Feier der Liturgie ist für uns ja zentral.
Über Wochen ist in unseren Kirchen der öffentliche Gottesdienst ausgefallen – aus gutem Grund, nämlich um einander zu schützen und Infektionsketten zu unterbrechen.
Gott sei Dank waren vielerorts die Kirchen geöffnet. Und es wurde auch die Eucharistie gefeiert. Priester und einige wenige haben sie begangen – stellvertretend für alle.

Viele Priester haben in dieser Zeit Gottesdienste gestreamt; meine kleine Kapelle im Bischofshaus wurde in der Fasten- und Osterzeit zum „Fernsehstudio“. Täglich um 11 Uhr habe ich die Messe gefeiert. Viele Menschen haben über das Internet mitgefeiert, und so ist von Woche zu Woche eine echte Gottesdienstgemeinde entstanden.
Ich habe mich dabei nie allein gefühlt, sondern in einer großen Gemeinschaft von Gläubigen und Betenden; ich möchte nicht nur den Geistlichen danken, die dies vor Ort ebenso getan haben, sondern auch den Gläubigen, die zu Hause mitgefeiert haben.

Wenn wir von Gottesdienst sprechen, meinen wir oft die Messe. Sie ist, wie das II. Vatikanische Konzil betont, „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (LG 11). Daneben gibt es noch viele andere Gottesdienstformen. Ich weiß um Paare und Familien, die ihr Gebetsleben zu Hause intensiv miteinander gestaltet haben. Um ein Kreuz oder eine Ikone versammelt haben Gläubige gesungen, gebetet und in der Heiligen Schrift gelesen, gerade an den großen österlichen Feiertagen. Das sind vollwertige Hausgottesdienste, nicht bloß Ersatzformen. Hier ist etwas Wichtiges gewachsen, das wir in Zukunft weiterführen könnten. Wenn im Berufsalltag jetzt vieles von zu Hause aus geschieht – bei allen Belastungen, die damit verbunden sind, wenn Kinder z. B. zu Hause beschult werden: Warum nicht auch das Haus als Kirchort neu entdecken, gleichsam eine Homechurch, z. B. mit dem Familiengebet oder dem Hausgottesdienst!

Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Bischofskirche in Hamburg, der Gemeindekirche vor Ort und der Hauskirche in Ihren Wohnungen und Häusern. Gerade in solchen Krisen, wie wir sie jetzt erleben, stützen die verschiedenen Ebenen der einen Kirche einander.

In dieser Zeit der Corona-Pandemie kommt mir ein geradezu prophetisches Wort von Papst Franziskus aus dem Jahr 2013 in den Sinn. Der Heilige Vater sagt: „Die Kirche braucht dringend die Lunge des Gebets … Sagen wir also nicht, dass es heute schwieriger ist; es ist anders.“ (EG 262 f.) Ich bin mir sicher: Wenn wir Christen auf dem Lungenflügel des Gebetes und Gottesdienstes stark sind, werden wir es auch auf dem Flügel der Tat und der Nächstenliebe sein. Dann können wir hinausgehen und an der Seite derer sein, die am existenziellen Rand leben und leiblich, seelisch, sozial oder geistlich verwundet sind. Ich bin dankbar, dass in diesen Wochen viele neue kreative Wege der Solidarität und des Miteinanders entstanden sind und beschritten wurden.

Hilfreich ist es sicher, wenn die bisher schon gewachsenen vielfältigen digitalen Angebote klug weiterentwickelt werden. Die Digitalisierung ergreift jetzt auch die Pastoral von Gemeinde und Bistum in bisher ungeahntem Maß. Wie könnenSie, liebe Mitchristinnen und Mitchristen, auch auf digitalem Weg gut unterstützt und im Glauben gestärkt werden?

Aus dem Hamburger St. Marien-Dom übertragen wir seit Anfang des Monats von Montag bis Freitag um „fünf nach zwölf“ ein zehnminütiges Mittagsgebet im Internet. Ich lade Sie zu dieser kurzen Unterbrechung des Alltags auf Gott hin herzlich ein.
Mittlerweile können wir wieder in unseren Pfarreien öffentlich und gemeinsam Gottesdienst feiern; es ist und bleibt sicher auch noch geraume Zeit ungewohnt: mit Mund-Nasen-Schutz, auf Abstand, ohne Gesang. Es ist aber besser als nichts! Es könnte uns in aller Schlichtheit in die Tiefe der Liturgie hineinführen.
Erst wenn man etwas vermisst, erkennt man ja seinen Wert.

Der besondere Wert unserer Gottesdienste, vor allem der heiligen Messe, liegt in der gemeinsamen Feier. Wir feiern Gottesdienst miteinander, und nicht nebeneinander. Das heißt: Keine und keiner von uns glaubt für sich allein! Wir sind eine große Kirche, ja eine Weltkirche. Ich lebe vom Glauben der anderen und sie von meinen Glauben. Einer ist für den Glauben des anderen mitverantwortlich.
„Corona“ zeigt uns, wie zerbrechlich unser Leben ist. Deswegen ist gerade jetzt das gebrochene Brot der Eucharistie wichtiger denn je. In der Feier der Brotbrechung, wie die Messe ursprünglich genannt wurde, greift Christus unsere menschliche Gebrochenheit auf und will uns gerade in Zeiten wie diesen stärken und nähren. In dem kleinen Stückchen Brot schenkt er uns die Fülle des Lebens, sich selbst. Jede Messe ist die Feier des Lebens, des Sieges der Auferstehung über den Tod.

Da, wo es möglich ist, bitte ich, die oft weiträumigen Kirchen für das persönliche Beten oder die eucharistische Anbetung offen zu halten. Dabei geht es mir nicht einfach um eine zusätzliche neue pastorale Aktion. Ich glaube, unsere Kirchen sind ein Alleinstellungsmerkmal. Sie laden zum Betreten, Verweilen und Dasein ein. Im Gebet Gott einfach Gott sein lassen und sich seinem unfassbaren, unausschöpflichen Geheimnis anvertrauen! Nicht zuerst etwas machen, sondern einfach nur da sein.

Liebe Schwestern und Brüder!

Es wächst in diesen Monaten längst etwas heran. Das Wort des Propheten Jesaja passt ziemlich gut auf unsere Situation: „Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?“ (Jes 43,19) Hier wächst eine neue, ganz andere, möglicherweise tiefere Form von Gottesbeziehung und Glaubensgemeinschaft, von Spiritualität und Communio.

Gehen wir zuversichtlich in Gottes Zukunft mit uns! Ich bin überzeugt, wir können gestärkt jeden neuen Tag durchleben.

Gott segne Sie, Ihre Familien und Häuser, Ihre Gemeinden!
Es behüte Sie in dieser Zeit der dreifaltige Gott: der + Vater und der + Sohn
und der + Heilige Geist. Amen.
Ihr
+ Erzbischof Stefan

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