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Predigt

Predigt zum Pfingstfest 2020

31. Mai 2020
St. Marien-Dom / Hamburg

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Schwestern und liebe Brüder,

vor einigen Tagen habe ich mein Pfingstbild 2020 entdeckt: Morgens beim Lesen der Zeitung fiel mein Blick auf ein Bild im Feuilleton[1]: Ein modernes Kirchenfenster, gerade erst im letzten Herbst eingebaut. Ein warmes Blau und immer wieder einzelne weiße Felder. Vielleicht Fußspuren?

Beim näheren Heranschauen und erst recht beim Lesen erfahre ich des Rätsels Lösung: Es sind Röntgenaufnahmen; Lungenaufnahmen, zum Teil von Gemeindemitgliedern zur Verfügung gestellt, die ein Künstler auf die blauen Glasscheiben gedruckt hat.
Gerade ein paar Monate sind sie in der Kirche Heilig Kreuz in München eingebaut und gewinnen jetzt in Zeiten von Corona eine unglaubliche Aktualität.
Hunderte von Lungenflügeln und kein Bild gleicht dem anderen. Ein Ausdruck der Einzigartigkeit des Menschen.

Mir kommen die ersten Seiten der Bibel, mit dem großartigen Schöpfungshymnus in den Sinn: „Da formte der Herr den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“ (Gen 2, 7). Die Materie wird mit Leben erfüllt.
Der Atem gehört zum Menschsein dazu. Unser Leben beginnt mit dem ersten Atemzug und reicht hier auf Erden bis zum letzten Atemzug. Wenn der Mensch in Atemnot gerät, wenn sein Atemrhythmus durcheinander gerät, wenn er kurzatmig wird oder gar schwach auf der Brust, ist das für ihn nicht gut. Corona trifft den Menschen deswegen an einer sehr empfindlichen Stelle. Menschen müssen jetzt z.T. intensiv versorgt werden. Beatmungsgeräte müssen her. Selbst Genesene müssen das Atmen wieder lernen.

In diesen Corona-Zeiten verbietet es sich, jemanden anzuhauchen, ihm allzu nahe zu kommen. Im Gegenteil: Wir setzen uns einen Atemschutz, eine Mund-Nasenmaske auf. Umso herausfordernder, vielleicht sogar anstößiger kommt uns in diesen Zeiten das Bild der Schöpfung in den Sinn: Gott bläst den Atem in die Nase. Oder eben das Pfingstbild: Der Auferstandene Christus tritt nicht nur in den Kreis seiner verängstigten Jünger ein und sagt ihnen mal eben: „Hallo!“, sondern er haucht jeden Einzelnen an.
Was geschieht da genau?

Christus haucht seinen Atem aus. Er stellt das Atmen nicht einfach ein oder gibt es auf, er behält seinen Lebensatem nicht einfach für sich und platzt gleichsam daran. Er haucht ihn aus.

Das Johannes-Evangelium sagt vom Tod Jesu: „Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist“ (Joh 19, 30). Hier ist also die Rede vom letzten Atemzug Jesu und da Tod und Auferstehung, Passion und Ostern zusammengehören, wird uns am Pfingstfest sozusagen die Richtung dieses Atems aufgezeigt: Christus haucht aus; er übergibt seinen Lebensatem und haucht ihn den Jüngern ein (Joh 20, 22). An ihnen ist es jetzt, diesen Lebensatem des Auferstandenen aufzunehmen und einzuatmen, sozusagen bis in die letzten Lungenflügel, um das Pfingstbild aus der Münchener Kirche wieder aufzugreifen, bis in die letzten Lungenflügel hinein, diesen Atem eindringen zu lassen.

Schwestern und Brüder,

die Sensibilität, wie wir gerade in diesen Corona-Zeiten mit dem Atem umgehen, macht uns deutlich: Atem ist sehr persönlich. Er ist geprägt. Unter Umständen kann uns der Atem eines mit dem Virus Infizierten sehr gefährlich werden. Auch der Atem Jesu ist nicht neutral, eben nicht aseptisch, erst recht nicht harmlos. Es ist sein Atem, der Geist Jesu, den wir empfangen. An Pfingsten atmen wir diesen Geist Jesu in uns ein. Wer Pfingsten feiert, der lässt sich auf diesen Geist Jesu ein, den Geist der Liebe, den Geist der Gerechtigkeit, den Geist der Vergebung und Versöhnung. An Pfingsten werden wir von Jesu Geist erfüllt.

Und schließlich: Menschliches Leben lebt von einem gesunden Rhythmus zwischen dem Ein- und dem Ausatmen. Und genau so ist es mit dem christlichen Leben: Wir atmen Jesu Geist in uns ein und wir atmen ihn im Leben aus. Wir geben damit den Geist Jesu in die Welt hinaus, eben diesen Geist der Liebe.

Liebe Schwestern und Brüder,

ich habe zu Pfingsten an alle Gläubigen in unserem Erzbistum geschrieben und nach ihren Corona-Erfahrungen gefragt. Tag für Tag bekomme ich schon jetzt viele Antworten. Das freut mich sehr. Lassen Sie mich Ihnen zwei pfingstliche Erfahrungen weitersagen:

Die erste ist sozusagen ein Einatmen: Da schildert mir jemand, dass gerade der Verzicht auf den gemeindlichen Gottesdienst für ihn zu einer neuen Gebetserfahrung geführt hat. „Für mich war Corona bisher wie Exerzitien. Ich habe das persönliche Beten neu entdeckt“.

Und das zweite, eine Erfahrung des Ausatmens:
„Wenige Tage nach dem sogenannten Lockdown, sprach mich meine Nachbarin an. Sie bat mich, drei Briefe für sie im nahegelegenen Pflegeheim abzugeben. Sie ist nicht gut zu Fuß. Die Briefe hatte sie an drei Menschen geschrieben, die sie nicht kannte. Die Verteilung sollte über die Pflegeleitung erfolgen und drei Menschen, die jetzt besonders einsam waren, erfreuen. Es entwickelten sich daraus zwei „Brieffreundschaften“. Mittlerweile sprechen sie sich mit dem Vornamen an und sie erzählen sich gegenseitig etwas aus dem Leben. Ich bekam jetzt auch Lust, etwas dergleichen zu tun. Briefe an Unbekannte schreiben, ist aber nichts für mich. Ich telefoniere lieber. Also habe ich mir die Namen und Telefonnummern ehemaliger Kolleginnen und Kollegen herausgesucht. Vor vielen, vielen Jahren hatte ich einen Chef, der mittlerweile über 80 Jahre alt sein musste. Die Telefonnummer stimmte noch. Wir haben beim ersten Kontakt über eine Stunde telefoniert – über Corona gesprochen, die letzten Jahre und natürlich auch über die gemeinsame Vergangenheit. Mittlerweile telefonieren wir etwa alle zwei Wochen miteinander. Meine ehemalige Sekretärin habe ich auch erreicht. Es sind spannende Gespräche und liebevolle Kontakte gegen die Einsamkeit. Und es wird weitergehen. Ich habe noch mehr Namen und Telefonnummern …“

Liebe Schwestern und Brüder,

diese Fenster aus München vor Augen mit den Abbildungen der Lungenflügel, die warten eigentlich nur darauf, verlebendigt zu werden und durchweht zu werden. Lassen wir uns heute am Pfingstfest den Geist Jesu von neuem einhauchen, ihn aufnehmen und in unserem Leben in die Welt verbreiten.

Frohe, gesegnete Pfingsten! Amen.

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