Besinnung zum Palmsonntag, 5. April 2020
Zuerst habe ich es im Fernsehen gesehen: Menschen in Italien stehen abends auf ihrem Balkon oder am Fenster und applaudieren. Sie klatschen für alle, die in der Corona-Zeit alles geben, was sie können: die Ärzte, die Pflegerinnen und Pfleger, die Menschen an den Kassen in den Supermärkten, die Lastkraftfahrer, die uns weiterhin mit Lebensmittel aus Krisenregionen beliefern, die Politikerinnen und Politiker, die Verwaltungen …
Mittlerweile erlebe ich es das auch hier im St. Georgs-Viertel in Hamburg. Abends um 21.00 Uhr versuche ich am Fenster zu sein, zu hören und selber denjenigen Applaus zu spenden, die in unsrem Land Unglaubliches leisten: im Gesundheitssystem, in unseren Schulen, in den Krankenhäusern und Altenheimen, nicht zuletzt in den Hospizen, in unseren Nachbarschaften, in unseren Kommunen und auch in unseren Pfarrgemeinden …
Das Klatschen ist eine Urgebärde des Menschen. Kleine Kinder machen es schon. Erwachsene führen es fort: Ich denke an Konzerte, bei denen zum Dank geklatscht wird. Mir kommt so mancher spontane Beifall in den Sinn zur Freude über etwas Gelungenes und aus Wertschätzung für die Menschen, die es zuwege gebracht haben.
Ob am Palmsonntag die Menschen geklatscht haben? Das Evangelium sagt es nicht ausdrücklich. Aber warum nicht. Klatschen, singen, jubeln und eben die Zweige, die sie von den Bäumen genommen und abgerissen haben, mit denen sie Jesus zugejubelt haben, all das passt zusammen.
In diesem Jahr ist es uns nicht vergönnt, am Palmsonntag im Gottesdienst den feierlichen Einzug Jesu zu erleben und ihn mit unseren Palmwedeln, die oft von den Kindern so prächtig geschmückt und geschwenkt werden, zu begleiten. Vielleicht wird in diesem Jahr auch sogar manches Kreuz ohne Palmzweig bleiben. Es könnte ein sehr sprechendes Zeichen sein, eines das auf uns selber zurückweist. Es kommt auf unser Zujubeln, auf unser Klatschen, auf unsere Einstellung an. Es kommt auf unsere Hände und Füße, auf unsere Stimmen, eben auf unsere Freude und unsere Begeisterung an. Wir sind gefordert, ganz, mit all unseren Sinnen – nicht nur am Palmsonntag, son-dern an jedem einzelnen Tag.
All die Zweige, die heute geschwenkt werden, haben eine Richtung, einen Bezugspunkt: nämlich den, der auf dem Esel reitet. Diesen Jesus, der nicht hoch zu Ross kommt, sondern eine eindeutige Klasse tiefer, eben „nur“ auf einem Esel. Der Esel, der nicht so prächtig und erst recht nicht so schnell daherkommt wie ein Pferd, der aber belastbar scheint und dann – wenn er nicht gerade störrisch ist – Ausdauer hat.
Ausdauer, Bescheidenheit – das braucht der, der auf dem Esel nach Jerusalem hineinreitet; aber noch mehr braucht er Liebe für seine Mission, die ihrer Erfüllung entgegengeht. „Da er die Seinen liebte, liebte er sie bis zur Vollendung“. Das feiern wir in der Heiligen Woche!
In Oberammergau steht vor dem Festspielhaus eine Skulptur die den Ritt Jesu am Palmsonntag nach Jerusalem darstellt. Die dortigen Festspiele finden dieses Jahr nicht statt, sondern werden verschoben. Unser Ostern ist nicht verschiebbar. Es findet statt – dieses Mal aber ganz anders als sonst. Es beginnt am Palmsonntag mit dem Einzug, dem Hineinreiten Jesu. Es ist der Ritt nicht nach Jerusalem, sondern zu mir, in mein Leben. In diesen Tagen will ich Ihnen ganz besonders versuchen hereinzulassen als denjenigen, der bereit ist, mich zu lieben bis zur Vollendung.
In den vergangenen Tagen habe ich ein kleines Gebetskärtchen erhalten, das in einer unserer Gemeinden im Erzbistum Hamburg ausliegt. Darauf steht: „Es gibt nichts, womit Jesus nicht fertig wird.“ Dieses Vertrauen habe ich gerade am Beginn dieser Karwoche. Es ist seine Liebe – eben sei-ne Passion, seine Leidenschaft, mit der er alles erfüllen möchte.