Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Generalkonsul,
liebe Schwestern und Brüder,
ich freue mich außerordentlich, heute mit Ihnen diesen Gedenk- und Dankgottesdienst zum 100jährigen Gedächtnis der Unabhängigkeit Polens zu feiern.
Gerne erinnere ich mich daran, dass ich als Student vor vielen Jahren zum ersten Mal in Polen war und seinerzeit sehr beeindruckt war von der Frömmigkeit der Polen. Es war ein Sonntagmorgen und aufgrund unseres Reiseprogramms besuchten wir schon recht früh die Heilige Messe, die bis auf den letzten Platz voll war. Natürlich will ich nicht vergessen den großen polnischen Papst, Johannes Paul II., dem ich als Seminarist begegnen durfte. Er war ein Mann, der aus einer tiefen Frömmigkeit herauskam aber gleichzeitig auch sehr politisch dachte. Sicher war ihm dies in die Persönlichkeit hineingelegt, wenn ich daran denke, wie er bereits als junger Priester agierte, als Professor und später als Bischof. Bemerkenswert finde ich immer wieder die große Geste, dass er am Heiligen Abend die Christmette in Nowa Huta feierte, in der Stadt ohne Gott, und den Gottesdienst unter freiem Himmel hielt, selbst in bitterer Kälte.
In diesem Jahr durfte ich mit Pfarrer Bystron zusammen einige Tage in Danzig und Pelplin verbringen, für die ich sehr dankbar bin.
Der heutige Tag, der 9. November wird oft als der Schicksalstag der Deutschen genannt. An diesem Tag kam es zu Ereignissen, die die deutsche Geschichte prägten: Die Abdankung des Deutschen Kaisers vor 100 Jahren, die Novemberpogrome im Jahr 1938 und der Mauerfall im Jahre 1989, um nur einige zu nennen.
Ich freue mich vor allem deshalb über unseren gemeinsamen Gottesdienst, weil ein gemeinsames Gedenken für uns heute im Gegensatz zu Früher selbstverständlich ist. Das Auf-und-ab der deutschen Geschichte ist oftmals eng – und leidvoll – mit der des polnischen Volkes verbunden. Im Ersten Weltkrieg existiert Polen faktisch nicht. Es war aufgeteilt auf das Deutsche Reich, auf Österreich-Ungarn und Russland. Polen kämpften in allen drei Armeen im Ersten Weltkrieg. Immer wieder gab es Bestrebungen nach polnischer Autonomie und Souveränität. Im Jahr 1918 geschah das, womit kaum jemand gerechnet hatte: alle drei Mächte, die Polen unter sich aufgeteilt hatten, brachen zusammen. Reichskanzler Max von Baden verkündet die Abdankung des Deutschen Kaisers und Philipp Scheidemann ruft vom Fenster des Reichstagsgebäudes die Republik aus. Kurz darauf reist der deutsche Generalgouverneur aus Warschau ab und am 11. November erreichte Polen schließlich nach 123 langen Jahren der Fremdherrschaft die Unabhängigkeit. Sie verdankt sich zu gleichen Teilen äußeren Umständen und einer Selbstbefreiung. Doch wir alle wissen, damit war die Unabhängigkeit noch nicht für immer errungen. Das polnische Volk musste nicht zuletzt durch uns Deutsche leidvoll erfahren, dass Freiheit stets neu gegen Ideologien errungen werden muss. Umso dankbarer dürfen wir sein, dass Polen heute Teil eines freien, vereinten und friedlichen Europas ist.
Aber was heißt denn eigentlich Freiheit? Was macht Freiheit aus? Der große polnische Papst Johannes Paul II. hat es sehr provokant formuliert: „Freiheit bedeutet Selbsthingabe.“ Das mag uns nicht recht einleuchten. Ist nicht Freiheit das höchste Gut? Ist nicht ohne Freiheit alles nichts? Wie kann er als Pole sagen, dass die Freiheit, die so leidvoll errungen, dass die eigentliche Freiheit die Selbsthingabe ist? Der Apostel Paulus bekennt in unserer heutigen Lesung: „Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“ Jesus Christus ist der Grund und das Bild unserer Freiheit. Aus Freiheit und aus Liebe zu uns Menschen ist er Mensch geworden und hat sich für uns hingegeben. Er hat uns aus der Knechtschaft des Bösen befreit und befreit uns immer wieder aus Verstrickungen von Schuld. Er befähigt uns, ohne Sorge unsere Freiheit hinzugeben. Denn erst in der Hingabe werden wir selber und damit wirklich frei. Die Entscheidung für Gott nimmt dem Leben nichts von seiner Freiheit und Schönheit. Die Entscheidung für ein zölibatäres Leben oder für eine Ehe sind nicht das Ende der Freiheit, sondern erst der Anfang einer viel größeren. Die Hingabe wird aber auch konkret, wenn ich an die große Bereicherung denke, die Sie als Gläubige mit polnischen Wurzeln in unseren Pastoralen Räumen und in den Missionen darstellen. Ihr unermüdliches Engagement für die Katechese, Ihr Einsatz in unseren Gemeinden und nicht zuletzt Ihr ständiges Gebet machen mich sehr dankbar. Ich wüsste nicht, was die Kirche von Hamburg ohne Sie wäre.
Was im persönlichen Leben gilt, gilt auch gesellschaftlich und politisch. Die Nationen Europas werden nicht dadurch freier, dass sie sich gegeneinander abschotten. Erst das Miteinander macht Frieden und Entwicklung möglich. Besonders deutlich wird das an der polnischen, an Ihrer Bereitschaft zur Versöhnung gegenüber uns Deutschen. Mich beeindruckt immer wieder ein Satz aus dem Aufruf der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder von 1965. 20 Jahre nach den leidvollen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges schreiben sie: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“
Wir feiern heute den Weihetag der Lateranbasilika in Rom. Sie ist die Mutter und das Haupt aller Kirchen des Erdkreises – so Ihr Ehrentitel. Wir feiern also nicht irgendeinen Weihetag einer Kirche in Rom. Sondern dieses Fest zu Ehren unserer gemeinsamen „Mutter“ macht deutlich, dass wir als katholische Christen eine große Familie bilden – über alle Länder- und Kulturgrenzen hinweg. Ich bin darum der Überzeugung: Wir haben als Kirchen eine besondere Verantwortung für die Versöhnung und das Miteinander unter den Völkern. Wir dürfen für die Überzeugung einstehen, dass sich Freiheit nicht im Gegeneinander, sondern im Miteinander verwirklicht – im Miteinander mit Gott und den Menschen.