„Statt einer immer weiter voranschreitenden Auslagerung von Verantwortung braucht es eine stärkere Unterstützung für Erstaufnahmeländer im Globalen Süden. Dazu gehört auch die Ausweitung sicherer und legaler Zugangswege.“
Erzbischof Dr. Stefan Heße
Menschenwürde kennt keine Grenzen
Warum wir sichere und legale Zugangswege für Flüchtlinge brauchen
Infolge von Krieg und Gewalt sind weltweit mehr als 122 Millionen Menschen auf der Flucht. Aus Verzweiflung, aber auch getrieben von der Hoffnung auf eine Zukunft in Frieden und Sicherheit nehmen viele von ihnen gefährliche Fluchtwege auf sich. Die meisten sind Binnenvertriebene oder finden in einem Nachbarland Schutz – in Afrika, Asien oder Südamerika. Doch gerade die Staaten des Globalen Südens werden oftmals von Konflikten, politischer Instabilität und Armut gebeutelt. Die Lebensumstände der Geflüchteten dort sind prekär; nicht selten fehlt es ihnen am Lebensnotwendigen.
Extrem herausfordernd ist dies vor allem für die Schwächsten: Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, Personen mit Traumafolgen, unbegleitete minderjährige Geflüchtete, Betroffene von Menschenhandel oder sexualisierter Gewalt. Viele von ihnen können weder in ihr Herkunftsland zurückkehren noch im Erstaufnahmeland bleiben, weil dort ihr Leben, ihre Gesundheit und andere fundamentale Rechte gefährdet sind.
Hier setzen humanitäre Aufnahmeprogramme und Resettlement an. Durch Resettlement (Neuansiedlung) wird besonders schutzbedürftigen Geflüchteten die legale und sichere Einreise in einen aufnahmebereiten Drittstaat ermöglicht. So erhalten die Menschen eine neue Lebensperspektive. Der weltweite Bedarf an Resettlement, den das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) ermittelt, ist groß, doch die Kapazitäten sind begrenzt. Bei meinem Besuch im kenianischen Flüchtlingslager Kakuma letztes Jahr habe ich mit Geflüchteten gesprochen, die schon seit Jahren auf einen dringend benötigten Resettlement-Platz warten. Einige von ihnen haben die Hoffnung schon fast aufgegeben.
In der aktuellen weltpolitischen Lage sind humanitäre Aufnahmeprogramme akut bedroht. Abschottungstendenzen und drastische Kürzungen von Hilfsgeldern sorgen dafür, dass die Idee einer globalen Verantwortungsteilung grundsätzlich in Frage gestellt wird. Die Sicht der Kirche ist eine andere: Wir engagieren uns für gemeinsame Antworten der Weltgemeinschaft auf die Herausforderungen durch Flucht und Vertreibung. Und wir setzen auf konkrete Akte der Solidarität. Deshalb treten wir für die Ermöglichung sicherer und legaler Zugangswege für Geflüchtete ein.
Papst Franziskus hat uns immer wieder dazu aufgerufen, die Gleichgültigkeit gegenüber Schutzsuchenden und Notleidenden zu überwinden. Sein Nachfolger Papst Leo XIV. stellt sich in diese Traditionslinie, wenn er in seinem Apostolischen Schreiben Dilexi te feststellt: „Wie eine Mutter, begleitet die Kirche alle, die unterwegs sind. Wo die Welt Bedrohungen sieht, sieht sie Kinder; wo Mauern errichtet werden, baut sie Brücken.“ Eine solche Brücke war beispielsweise das Ende des Jahres auslaufende staatlich-zivilgesellschaftliche Resettlement-Programm „Neustart im Team“ (NesT), das auch von den Kirchen in Deutschland unterstützt wurde.
Warum ist den Kirchen solches Engagement wichtig? Im Kern geht es um den Grundsatz der Menschenwürde. Sie gilt universell: für alle, überall. Als Ebenbilder Gottes sind alle Menschen gleich geschaffen. Das christliche Ethos der Menschenwürde macht nicht an Staatsgrenzen halt: „Keine Grenze legitimiert die Missachtung der Menschenwürde oder die Verweigerung von elementarem Schutz angesichts akuter Gefährdung“, heißt es im Migrationswort der Kirchen von 2021.
Statt einer immer weiter voranschreitenden Auslagerung von Verantwortung braucht es eine stärkere Unterstützung für Erstaufnahmeländer im Globalen Süden. Dazu gehört auch die Ausweitung sicherer und legaler Zugangswege. Humanitäre Aufnahmeprogramme und Resettlement sind greifbare Formen ethischer Verantwortung. Sie retten Menschenleben – und tragen gleichzeitig auch zu mehr Stabilität und Ordnung bei. Denn die Erfahrung zeigt: Wenn sichere Wege eingeschränkt werden, führt dies letztlich nur zu neuen, gefährlicheren Fluchtrouten.
Flucht ist ein globales Phänomen, das mehr internationale Zusammenarbeit erfordert. Unsere Verantwortung für Geflüchtete endet nicht an den deutschen oder europäischen Außengrenzen. Menschenwürde kennt keine Grenzen.