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Christsein in der Gesellschaft

Ein Gastbeitrag von Generalvikar Pater Sascha-Philipp Geißler SAC

Veröffentlicht am: 20. Januar 2025
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K. Erbe/ EBHH

„Ich muss mich zwar davon verabschieden, in einer christlichen Gesellschaft zu leben – das hindert mich aber nicht und fordert mich sogar heraus, als Christ in dieser Gesellschaft zu leben und zu wirken.“

Dieses Zitat stammt von Generalvikar Pater Sascha-Philipp Geißler SAC, er hat es in den vergangenen Monaten in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Für den SeSam-Blog hat er diesen Gedanken vertieft:

Lange Zeit hatte das Christentum eine prägende Kraft, spielte in der Gesellschaft unserer Breiten eine bedeutende Rolle. Kirche war eine bestimmende Größe und hatte entscheidende Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung von Politik und Kultur und das Zusammenleben der Menschen in vielen Bereichen, bis hinein in den höchstpersönlichen Lebensvollzug. Lange wurde das kaum hinterfragt, zumindest nicht offen. Das ist vorbei. Die „Relevanz“ von Kirche und Christentum schwindet schon länger, auch heute und hierzulande in einem atemberaubenden Tempo. Kirchenskandale und andere Faktoren mögen den Vorgang beschleunigen, letztlich jedoch scheint es auch ein Trend zu sein, gegen den einfach kein Kraut gewachsen scheint. Ist also Rückzug der Getauften in „save spaces“, also „sichere Orte“ oder gar die „Schmollecke“ angesagt, oder dahin, wo angeblich „alles besser war“? Oder „Revolution“, um wieder glanzvoller dazustehen?

"Ich wünsche mir und uns Inspiration und Mut, Kirche „out of the box“ zu denken und zu leben."

Welche Beiträge investieren Getaufte unter sich ändernden Rahmenbedingungen heute in die Frage nach Gott, in die Sehnsucht nach gelingendem Leben, was tragen wir bei zur Gerechtigkeit für die Menschen, wo findet in uns der oft verzweifelte Schrei nach „Erlösung“ und guter Zukunft Widerhall? Kurz, was bringen wir - die zwar nicht „von der Welt“ aber „in der Welt“ sind bzw. sein sollen (vgl. Joh 17, 16-18) – trotz oder gerade wegen der Transformationsprozesse, in die wir gestellt sind - in die Lebens- und Sozialräume der Menschen ein, so wie sie sind? Wo können suchende Menschen, vielleicht sogar „Sympathisanten“, überhaupt an unseren Kirchenvollzügen, am Beziehungsnetz der Freundinnen und Freunde Jesu, anknüpfen, vielleicht sogar nur auf Zeit mitgehen und begleitet werden? Ich wünsche mir und uns Inspiration und Mut, Kirche „out of the box“ zu denken und zu leben.

Man mag in unserer Gesellschaft nicht mehr viel auf Kirche als „institutionelles Christentum“ geben. Auch ich erlebe uns als Kirche mitunter ignoriert und nicht verstanden, teils selbst verschuldet; aber durchaus als angefragt und gebraucht, dennoch mitzumischen in lebensförderlichen Prozessen, z. B. in Bildung und Caritas. Wir haben die beste Botschaft, die diese Welt je gehört hat und sie übersteigt: Wer Du auch bist, Mensch, Du bist gewollt und geliebt; das Wir macht Dich stark; Du hast Zukunft in Gott, verbürgt in Jesus von Nazareth, über diese verwundete und begrenzte Welt hinaus! Ich denke: Die Mühe und Leidenschaft für diese Botschaft lohnt, ob ich nun in einer mehr oder einer weniger christlich geprägten Gesellschaft lebe, ob die Kirche zahlenmäßig größer oder kleiner ist. Vielleicht ist ja sogar – kühn angelehnt an das Bild des zu neuem Leben sterbenden Weizenkorns (siehe Johannes 12, 24) – der Herr selbst am Werk, um uns im Nehmen des Einen in mehr Freiheit für Anderes zu locken…

"Dazu sich von Gott senden und sammeln und stärken lassen, das ist nicht allein eine Frage von Strukturen und Immobilien."

Schon oft in ihrer Geschichte, aufgrund wechselnder Faktoren und sich wandelnder Zeitläufe musste sich Kirche verabschieden von überkommenen Strukturen, musste Territorien neu ordnen, Praktiken und Formen der Verkündigung anpassen, nach neuen Orten, Gestalten und Wegen für ihr Wirken suchen. Um Gottes und der Menschen willen. Oft im Wachstum, oft in Minderheit, nicht selten in Bedrängnis, auch im Scheitern, wie unser Bistumspatron, Bischof Ansgar. Es gehört zu unserer Geschichte als Christen und macht auch das Menschsein aus: Leben geht nicht rückwärts, sondern vorwärts. Ich frage banal und etwas provokant, angesichts der gewaltigen Umbrüche und Herausforderungen unserer Kirchenzeit: Was Getauften früherer Zeiten zugemutet war, soll mir, uns erspart bleiben? Ich möchte die Umbrüche und Abbrüche in Kirche und Gesellschaft heute, auch den Wandlungsschmerz und das Defizitäre, nicht nur beklagen und erleiden. Ich möchte als Getaufter mit den immer noch vorhandenen Potentialen mitgestalten, dass Gott und sein befreiendes Wort auch heute hörbar und erfahrbar ist, dass die Sehnsucht nach seiner neuen Welt auch heute gelebt wird. Ich bin überzeugt, dazu werden wir gebraucht, das ist unsere „Mission“ als Kirche - gestern, heute und morgen. Dazu sich von Gott senden und sammeln und stärken lassen, das ist nicht allein eine Frage von Strukturen und Immobilien. Gefragt sind neue, auch mobilere Formen und Haltungen des Kircheseins – wo nötig um den Preis versöhnten und dankbaren Abschieds - wenn überkommene, auch liebgewordene und an sich gute Gewohnheiten nicht mehr tragfähig oder mehr Last geworden als Hilfe zu Sendung und Sammlung sind.

Glaube ich daran, dass Gott trotzdem voran- und mitgeht; und dass er schon längst weiß, wo es gut ist, und mich und uns umwirbt, dem zu trauen? „Nehmt Neuland unter den Pflug!“, ruft der Prophet Hosea den Menschen zu. Und er fährt fort: „Es ist Zeit, den Herrn zu suchen“ (vgl. Hos 10, 12).

Gott und seinem Wort und seiner Liebe kreativ Raum zu geben und neugierig die Räume aufzusuchen, wo sie sich ereignen will - dazu werden auch wir Getaufte im kleiner werdenden und sich verändernden Erzbistum Hamburg weiterhin gebraucht, wie immer Kirchengestalt künftig aussehen mag. Entscheidend finde ich für ihre „Relevanz“: Möge sie stets dem Menschwerden der Menschen in Christus dienen. Geht’s nicht darum zuerst?

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