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Memorandum zu Pfingsten 2024

Veröffentlicht am: 19. Mai 2024
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Für eine prophetische Kirche im Erzbistum Hamburg

Memorandum

Pfingsten 2024

Wir erinnern an den prophetischen Auftrag der Getauften, um einen Beitrag für unsere demokratische Gesellschaft und gegen menschenverachtende Ideologien zu leisten. Als Christinnen und Christen im Erzbistum Hamburg sprechen wir uns angesichts aktueller politischer Entwicklungen für eine Abgrenzung gegenüber populistischen und extremistischen Gruppierungen und Parteien aus. Jedwede Form von Radikalisierung, die zu einem menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Verhalten führt, lehnen wir entschieden ab.

Prophetische Gestalten

Die Prophetengestalten in der Bibel des Ersten Bundes werden auch „berufene Rufer“ genannt. Sie empfangen Gottes Worte und Weisungen und geben sie an das Gottesvolk weiter. Dabei erinnern und mahnen sie die Menschen zur Treue gegen Gott und den Bund mit ihm. Sie konfrontieren in unbequemen Worten mit den Schattenseiten religiösen und politischen Tuns und Unterlassens. Scharf gehen Propheten wie Amos und Micha auch mit politischen Entscheidungen und sozialen Ungerechtigkeiten ins Gericht. Das macht sie meistens unbeliebt. Doch weil Gott einen Anspruch an seine Menschen hat, und weil Gott das Treiben der Menschen nicht egal ist, rufen Prophetinnen und Propheten damals (wie heute) zur Umkehr auf, zur Hinkehr der Herzen zu Gott und zu gerechtem Handeln. Welche Zukunft damit eröffnet wird, zeigt Jesus in den Seligpreisungen der Bergpredigt auf (vgl. Mt 5 bzw. Lk 6,20ff).

Als eine der großen Frauen des 20. Jahrhunderts versuchte dies Edith Stein in einem nationalsozialistischen Umfeld, das durch Gottvergessenheit und Menschenvernichtung geprägt war. Sie hat nach Wahrheit gesucht. Sie ist eine der Personen, die auch durch ihre biografische Prägung eine Verbindung zwischen jüdischer und christlicher Religion herstellt, Grenzen überwindet und Verbindungen schafft. Sie versuchte in ihrem gesamten Leben, das auch Enttäuschungen kennt, Gegensätze miteinander zu versöhnen – nicht nur zwischen Judentum und Christentum, sondern auch zwischen Philosophie und Religion und zwischen Einkehr und tätiger Nächstenliebe. So ist ihr oft zitierter Satz „Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht“ auch heute noch ein Ruf danach, das Verbindende zu finden, in ein Handeln zu kommen und sich dabei von Gott leiten zu lassen.

Auch wir im Erzbistum Hamburg kennen ganz konkrete prophetische Gestalten aus unserer Geschichte. Bis heute stechen etwa die Lübecker Märtyrer hervor. In dunkelsten Zeiten haben sie ihre Stimme erhoben gegen völkische und rassistische Ideologien, indem sie Menschen versammelten, mit denen sie sich über das staatlich propagierte Menschenbild auseinandersetzen konnten. Ihr Ruf hat Menschen mobilisiert und kritisches Bewusstsein gefördert. Gerade deshalb wurden sie zum Opfer des nationalsozialistischen Regimes.

Es gäbe eine Reihe prophetischer Gestalten im Großen und im Kleinen, gestern und heute, innerhalb und außerhalb der Kirche, die sich aufzählen ließen. Darüber hinaus gilt es daran zu erinnern, dass Getaufte zum prophetischen Amt berufen und gesalbt sind: Alle Christinnen und Christen sind berufene Ruferinnen und Rufer heute.

Gesellschaftliche Relevanz einer prophetischen Kirchengestalt

In den vergangenen Jahren haben rechtspopulistische Parteien und rechtsextreme Gruppierungen an Einfluss gewonnen. Vertreterinnen und Vertreter dieser Strömungen schüren Ängste, befeuern antidemokratische Ressentiments, verbreiten Verschwörungstheorien und missachten Fakten. Dabei werden innergesellschaftliche und weltweite Krisen für eigene Interessen instrumentalisiert und Menschen auf falsche Fährten im politischen Diskurs gelockt, die ihnen eine nur scheinbar gerechtere und bessere Zukunft verheißen.

Eine Herausforderung für den Schutz und die Aufrechterhaltung einer demokratischen Gesellschafts- und der freiheitlichen Grundordnung ist es deshalb aktuell, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, Anerkennung und Teilhabe zu ermöglichen. Darüber hinaus kann eine deeskalierende, empathische und faktenorientierte direkte Kommunikation in der Auseinandersetzung die Möglichkeit bieten, Vertrauen zurückzugewinnen. Extremismen jeglicher Art verhindern dies.

Was kann die katholische Kirche in dieser Situation beitragen? Wir stellen fest: Die katholische Kirche in Deutschland ringt aus nachvollziehbaren Gründen seit Jahrzehnten mit sich selbst. Viele Debatten sind notwendig zu führen. Und zugleich darf in diesen Zeiten von der Kirche erwartet werden, dass sie sichtbare und hörbare Zeichen für eine menschenfreundliche Gesellschaft setzt, Zustände der Inhumanität auch in den eigenen Reihen anprangert und die Zukunft heiligt.

Angesichts der Verbreitung von Remigrationsfantasien, von Strategien zur Verächtlichmachung von Menschen und der gezielten Platzierung von Ressentiments erinnern wir an die heilsamen Kräfte, die die Botschaft des Jesus von Nazareth in die Problemlagen der Gegenwart einbringen kann. So etwa das Wissen um die unbedingte Gleichheit aller Menschen vor Gott. Oder etwa die Orientierung gelingenden Lebens an der Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe. Oder auch unsere Begeisterung dafür, all das in unseren Gemeinden und Gemeinschaften sichtbar verwirklichen zu wollen.

Prophetie – ein Auftrag an die Kirche neu entdeckt

Wo sich Prophetisches ereignet, da erkennen wir: Gott ist mit seiner Kirche unterwegs durch die Zeit. Mit ihm bauen wir an einer guten Zukunft für alle Menschen. Wir erleben und spüren in einer verwundeten und in Vielem fragwürdigen Welt, dass es Anwältinnen und Anwälte für das Leben braucht: Menschen, die aus ihrem Glauben und dem damit verbundenen Menschenbild heraus – um Gottes und der Menschen willen – ihre Stimme erheben für Gerechtigkeit und Frieden, Wahrhaftigkeit, Freiheit und Menschenwürde, die Bewahrung der Schöpfung und des Lebens auf dieser Erde, unserem gemeinsamen Haus, wie Papst Franziskus es ausdrückt.

Wir ermutigen die Getauften dazu, das Prophetische des Christseins und des Auftrags der Kirche neu in den Blick zu nehmen und zu entdecken. Wir sehen uns heute gerufen, an Gottes An‑Spruch und Zu‑Spruch zu erinnern und als Verbündete mit Gott um Leben und Zukunft zu ringen. Und dies in der Haltung, als Kirche weniger Angst um sich selbst zu haben, als vielmehr besorgt zu sein und mitzusorgen für eine gottgemäße und menschenwürdige Welt, überall dort, wo Gott uns hinstellt und hinsendet.

An diese prophetische Dimension des Kircheseins erinnern wir bewusst an diesem Pfingstfest. Denn wir glauben, dass Gottes Geist auch im Prophetischen wirkt.

 

Sascha-Philipp Geißler SAC, Generalvikar 
PD Dr. Andree Burke, Sabine Gautier, Abteilungsleitung Pastorale Dienststelle

Unterstützt wird dieses Memorandum durch:

Caritasverband für das Erzbistum Hamburg e.V.
Theresa Hartmann, Philipp Jaklin und Miljenko Ruzic (als Vorstandsmitglieder des Diözesanpastoralrats)
Berufsgruppe der Pastoralreferentinnen und -referenten im Erzbistum Hamburg
Katholische Jugend Mecklenburg (KJM)
kfd Diözesanverband im Erzbistum Hamburg

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