Beitrag von Dr. Andree Burke. Er ist Abteilungsleiter der Pastoralen Dienststelle im Erzbistum Hamburg und leitet das Projekt „SeSam“.
„Du wirst meinen Rücken sehen“, sagt Gott zu Mose in der Wüste (Ex 33,23). Wer Gottes Angesicht schaut, kann nicht am Leben bleiben. Deshalb verbirgt Gott sein Angesicht vor Mose, während er vorüberzieht. Sichtbar ist nur der Vorübergezogene, sein Rücken.
Die Rückenansicht Gottes ist für mich ein prägendes theologisches Motiv. Sie verbildlicht, dass es Ereignisse sind, in denen Gott ins Leben einfällt. Ereignisse haben eine eigentümliche Logik: Niemand „macht“ sie, so wie eben kein Mensch die Gegenwart Gottes „macht“ oder überhaupt ertragen könnte. Ereignisse sind unserem Verfügen unmöglich. Man hat sie nicht, sondern erlebt sie und sieht sie anschließend eben immer nur in dieser Ansicht: von hinten.
Dreh- und Angelpunkt pastoralen Handelns sind gerade solche Ereignisse, Ereignisse des Menschlichen. In ihnen kommt zum Vorschein, wie kostbar es ist, zu leben; in ihnen zieht der Schöpfer vorüber und wird erkennbar „von hinten“, in seinen Spuren.
Pastoraltätige lesen diese Spuren. Sie streben für mich deshalb nach etwas geradezu Unerhörtem, weil sie Spuren folgen, die in unserer Welt unmöglich an ein Ende führen können: Gott bleibt die Zukunft, ist immer vorn, geht immer voran. Pastoraltätige „machen“ weder das Ereignis, noch die Spur. Vielmehr entdecken, bezeugen, würdigen und feiern sie sie als Grund der Hoffnung auf ein Leben in Fülle. Christinnen und Christen, denen verheißen ist, das Salz der Erde zu sein, sind hierzu gesandt. Sie versammeln sich gerade in der Freude über jene Ereignisse, die das Reich Gottes als angebrochene Wirklichkeit auf Erden erkennbar werden lassen. In dieser Weise bin ich als Teil des Volkes Gottes, als Laie (griech. laios = Volk) investiert in das Geschick seiner Kirche.
Das Projekt SeSam ist für mich keine theoretische Erwägung, genauso wenig wie ein aktionistisches Experiment. Es ist vielmehr der Versuch, den Spuren Gottes zu folgen, der seiner Kirche vorausgegangen ist in eine offene Zukunft. Das ist unsere Perspektive als Bistum: die Rückenansicht Gottes, der uns vorausgegangen ist, aber den wir dennoch in den Ereignissen unseres Lebens erfahren dürfen.
Unsere Aufgabe ist es jetzt, Kulturen zu prägen, in denen wir auf-merken und zu-hören. Strukturen zu bilden, die uns ermutigen, sie und uns verändern zu lassen. Und Raum für einen Geist zu schaffen, der ob all der erwarteten und unerwarteten Wendungen in unserer Kirche und unserem Leben unsere Wunden verwandelt, sobald wir gelernt haben, sie mutig und liebevoll anzuschauen.