Gehen Sie bitte zur Wahl! Solche freundlichen Appelle veröffentlichen die Kirchen regelmäßig zu den Urnengängen. Diesmal aber ist es ihnen offenbar besonders wichtig, auch einige inhaltliche Denkanstöße zu geben.
Für Demokratie und Menschenwürde und gegen Extremismus - mit diesem Appell rufen die Vorsitzenden der christlichen Kirchen in Deutschland gemeinsam zur Teilnahme an der Bundestagswahl auf. Konkret fordern sie etwa den Schutz des menschlichen Lebens und der Umwelt, eine humanitäre Flüchtlingspolitik sowie den Einsatz für soziale Sicherheit und Frieden und gegen Armut und Unterdrückung weltweit.
«Für die christlichen Kirchen ist unsere Demokratie unverhandelbar», heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Aufruf. Doch die aktuellen politischen Debatten seien eine Herausforderung für die wehrhafte Demokratie: «Wenn sich unsere Gesellschaft immer mehr polarisiert, bis sich Menschen unversöhnlich gegenüberstehen, haben extremistische Kräfte leichtes Spiel. Wir halten daran fest, dass Extremismus und vor allem völkischer Nationalismus mit dem Christentum nicht vereinbar sind.»
Gewissheiten erschüttert - Gefühl der Überforderung
Nicht nur der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Unruhen im Nahen Osten und die Folgen des Klimawandels hätten Gewissheiten erschüttert und bei vielen ein Gefühl der Überforderung erzeugt, so die Kirchen weiter. Hinzu kämen weltweite Fluchtbewegungen, aber auch neue Technologien wie Künstliche Intelligenz, «das Erstarken autoritärer Kräfte, gezielte Desinformation und der Versuch, das demokratische Miteinander in Deutschland dadurch zu diskreditieren».
Deutschland müsse weiterhin «Europa als gemeinsamen Raum von Freiheit, Recht, Sicherheit und Wohlergehen stärken - und zugleich dem Frieden weltweit und den Menschenrechten dienen», heißt es weiter - und auch: «Unser Land muss einer humanitär orientierten Flüchtlingspolitik und einer guten Integration von Zuwanderern verpflichtet bleiben.» Außerdem müsse das Land «dem Schutz des Lebens zugewandt sein, denn jeder Mensch hat die gleiche unveräußerliche Würde».
Dank an politisch engagierte Menschen
Alle müssten bereit sein zuzuhören, einander verstehen zu wollen und konstruktiv um gerechte Lösungen zu ringen, appellieren die Kirchen weiter. Und sie danken allen Menschen, die sich demokratisch engagieren: «Es ist erschreckend, wie oft sie bedroht oder tätlich angegriffen werden. Sie verdienen unseren Respekt und brauchen unsere Solidarität und Unterstützung.»
Der Aufruf endet mit dem Appell: «Gehen Sie wählen und stimmen Sie bei der Bundestagswahl für Parteien und Abgeordnete, die sich für ein rechtsstaatliches, freiheitliches, weltoffenes, solidarisches und die Schöpfung bewahrendes Deutschland einsetzen.»
Unterzeichner des Aufrufs sind Bischof Georg Bätzing als Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz, Bischöfin Kirsten Fehrs als Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie Erzpriester Radu Constantin Miron als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK).
Aufregung nach Brandbrief gegen die Brandmauer
In den letzten Wochen hatte ein Brandbrief der Verbindungsbüros von katholischer und evangelischer Kirche zur Bundespolitik für heftige Debatten gesorgt, vor allem die Warnung in Richtung Union vor gemeinsamen Abstimmungen mit der AfD in Migrationsfragen. Einige katholische Bischöfe gingen auf Distanz - weniger zum Inhalt, sondern vor allem zu Stil und Zeitpunkt der Intervention.
Als Reaktion gab es heftige Kirchenkritik aus der Union, am schärfsten von CSU-Chef Markus Söder. Und die ehemalige CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer trat aus Protest von ihren Ämtern im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zurück. In kirchlichen Verbänden und an der Basis gab es sowohl Kritik als auch Zustimmung zu dem Brief.
KNA