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Erzbischof

Predigten und Texte

  • Fest des Seligen Niels Stensen / Propsteikirche St. Anna / Schwerin / 25. 11. 2023

    Es gilt das gesprochene Wort!


    Liebe Schwestern, liebe Brüder,


    Niels Stensen, unser Mitbruder als Priester, als Bischof, unser Mitchrist, unser Mitbürger hier in Schwerin ist durch und durch ein Mensch Europas. In Dänemark 1638 geboren studierte er in Holland und Frankreich, lebte in Florenz und wirkte an ganz unterschiedlichen Orten in Deutschland, zuletzt hier in Schwerin, wo er am 5. 12. 1686 verstarb. Stensen lebte in einem Europa, das durch den dreißigjährigen Krieg stark verwüstet war. Millionen von Menschen hatten ihr Leben gelassen. Europa lag am Boden.


    Fast verzweifelt könnte man mit Blick auf die gegenwärtige Situation fragen: Du Welt, du Mensch, hast du denn nichts aus diesen Erfahrungen gelernt? In den letzten Tagen haben wir in der Heiligen Messe den kleinen Abschnitt gelesen, in dem Jesus über seine Stadt Jerusalem weint: wenn doch auch du erkannt hättest, was dir Frieden bringt! (Vgl. Lk 19, 4). Es ist aber nicht nur die Situation im Heiligen Land, die wir gerade in diesen Tagen sehr aufmerksam verfolgen und begleiten; unser Blick darf sich auch nicht von der Ukraine abwenden, wo der unsägliche Angriffskrieg nun schon weit über 600 Tage wütet, und wir müssen hinschauen auf die vielen anderen Kriegsherde auf unserem Globus, zum Beispiel in Afrika oder die Konflikte in Mittelamerika.


    Liebe Schwestern, liebe Brüder,
    der Europäer Niels Stensen kann uns gerade in diesen Tagen darauf verweisen, dass wir eine große Weltkirche sind. Wir sind nicht bloß eine kleine Gemeinde in der weiten Diaspora im Norden. Wir gehören zu einem großen Ganzen. Deswegen muss unser Blick immer über unsere kleinen Verhältnisse hinausgehen. Darin liegt eine Chance, eine Perspektiverweiterung. Das gibt Weite, die wir so nötig brauchen. Ich bin dankbar, dass das Erzbistum Hamburg gute Kontakte pflegt zu den Gemeinden im Norden Europas. Das sind unsere nächsten Nachbarn und hier brauchen wir gutnachbarschaftliche Beziehungen, die zum Beispiel durch unser Ansgar-Werk gepflegt werden. Wir haben eine Bistumspartnerschaft nach Argentinien und gerade in diesem Jahr ist eine Gruppe der Katholischen Jugend Mecklenburgs KJM dorthin gereist; noch im Dezember wird eine weitere Delegation aus Hamburg sich auf den Weg nach Puerto Iguazu machen. Damit ist die Kirche weit mehr als ein Reiseveranstalter! Es geht um gelebte Solidarität, um ein Wissen voneinander, eine Aufmerksamkeit füreinander. Solidarität ist Grundlage für jede Friedensarbeit. Sie öffnet die Herzen füreinander.


    Dann können wir auch voneinander lernen. Manchmal stehen wir Deutsche, gerade auch innerkirchlich, im Ruf, alles zu wissen, alles zu können. Es sollte uns zu denken geben, wenn andere so empfinden. Wir brauchen wir ein gutes Maß an Demut für die eigene Position und an Wertschätzung für die Perspektive der anderen. Papst Franziskus hat schon häufiger auf das Gesellschaftsbild des Polyeders verwiesen. Unsere Wirklichkeit umfasst eben verschiedene Perspektiven. Weltkirche hilft, nicht eindimensional zu bleiben, sondern mehrdimensional zu werden. Weltkirche bereichert immer. Das erleben wir auch im Erzbistum Hamburg selbst, in dem ein Drittel der Katholiken einen Migrationshintergrund haben. Wir haben schon ein hohes Maß an Miteinander, es ist aber auch noch deutlich ausbaufähig.


    Die letzte Phase seines Lebens hier in Schwerin war offenbar für unseren seligen Niels Stensen die glücklichste, die erfüllteste. Es war auch eine Phase, die von Innerlichkeit und Gebet geprägt war. Wir haben die großartige Chance, für den Frieden und in den Anliegen aller Menschen zu beten. Weltkirche ist immer auch Gebetsgemeinschaft; und Kirche betet immer stellvertretend für alle. Es gibt keinen Gottesdienst ohne das Gebet füreinander. Fürbitten sollten echtes Gebet für andere sein. Im Gebet spüren wir, dass wir von Gott getragen sind. Im Gebet empfangen wir Kraft für alles, was wir tun wollen. Im Gebet ringen wir um den Frieden mit uns selbst und mit Gott. In der Eucharistie, die wir jetzt feiern, nehmen wir den Frieden, auf den wir alle im Reich Gottes hoffen, diesen endgültigen Shalom, den niemand mehr zerstören kann, vorweg. Papst Benedikt XVI. hat deswegen von der Eucharistie als „Sakrament des Friedens" gesprochen.


    Weltkirche ist Solidargemeinschaft, Lerngemeinschaft und Gebetsgemeinschaft. Niels Stensen kann uns genau in diese Richtung weisen, gerade in unserer aktuellen weltpolitischen Situation.


     

  • Predigt von zu Allerseelen / St. Marien-Dom / Hamburg / 02. 11. 2023

    Es gilt das gesprochene Wort!



    1. Les.: Ijob 19, 1.23- 27 ; 2. Les.: 2 Kor 5, 1. 6-10 ; Ev. : Joh 11, 17-27


    Liebe Schwestern und Brüder,


    „der Herbst zeigt uns, wie schön es ist, loszulassen....". Vor kurzem erhielt ich eine Postkarte mit genau diesen Worten.


    Bin ich in diesen Tagen in unserem großen Erzbistum unterwegs bin, dann fahre ich oft durch Straßen und manchmal Alleen, die ein herrliches Bild abgeben: das Gelb, das Rot, das Grün, das Braun der Blätter. Es ist beeindruckend, dass die Natur – bevor Sie in die Ruhzeit des Winter hineinstirbt – noch einmal ein Feuerwerk dieser Farbenpracht aufbietet, so als wollte sie uns den Übergang aus der Lebensfülle des Sommers in die kalte und graue Zeit versüßen und uns noch einmal zu Dankbarkeit und Freude aufrufen. Es ist in der Tat ein schöner, malerischer Übergang.


    Der Kartenspruch weist nicht nur auf die schönen Farben der Blätter hin, sondern darauf, dass sie in diesen Tagen abfallen. Manchmal sehr zu unserem Leidwesen, wenn wir sie denn alle beiseite schaffen müssen. Die französische Sprache nennt die abgefallenen Blätter „feuilles mortes" – tote Blätter. Eine sprechende Bezeichung, die deutlich macht: Es ist die Zeit, in der die Natur ihrem Absterben entgegen geht: die fallenden Blätter, nur noch wenige Blumen; Dunkelheit und Kälte nehmen zu. Ein Kreislauf, der sich jedes Jahr wiederholt.


    Vielleicht sind diese herabfallenden Blätter im Herbst ein passendes Sinnbild für den Herbst unseres eigenen Lebens. Unser eigenes Leben ist auch vom Wandel geprägt, vom Werden und vom Vergehen. Im farbenfrohen Herbst des Lebens zu stehen, kann sinnbildlich bedeuten, sich noch einmal bewusst zu machen, welche „Farben" mein Leben hatte: bunte und prächtige, aber auch graue und dunklen Töne.

    Der Herbst ist auch die Zeit, die Ernte einzufahren. So können wir die Früchte unseres Lebens anschauen, Manches, das gut gelungen ist; anderes, das sich nicht entwickelt hat oder eingegangen ist. Diese kleine „revision de vie" kann eine gute Übung sein zum Ende des (Kirchen-)jahres und ist gleichzeitig eine Vorbereitung auf das, was uns alle eines Tages erwartet. Gleich mit dem ersten Atemzug eines Menschen ist nämlich eines unverbrüchlich klar: er wird sterben. „Les feuilles mortes" - möglicherweise kennen Sie dieses bekannte Chanson von Yves Montand, in dem er den Tod thematisiert, der uns Menschen „still" voneinander scheidet: „Mais la vie sépare ceux qui s'aiment. Tout doucement, sans faire de bruit."


    Das Allerseelenfest heute will uns eine ähnliche Botschaft vermitteln: wir müssen unsere Verstorbenen Mitmenschen loslassen, sie gehen lassen. Und als Christen glauben wir fest, dass sie nicht einfach herabfallen wie Blätter und dann auf dem Boden zergehen. Auch leben unsere lieben Verstorbenen nicht einfach „nur" in unseren Gedanken fort, wie es das chanson suggeriert. Nein, wir glauben, dass sie in Gottes Hände fallen, dass sie in Gottes Nähe leben und sein und bleiben dürfen. Für immer und in einer Lebensfülle, wie wir sie hier auf Erden nur erahnen können.


    Und das ist auch meine Hoffnung für mich selber und alle Lebenden: deswegen kann ich nicht nur, nach einem Prozess der Trauer, liebe Menschen, die bereits gestorben sind, loslassen und in Gottes Hände geben, sondern ich kann versuchen, mich selber zu lassen und hoffen, dass ich in der Stunde meines Todes soweit bin, mich Gott anheimzugeben. Das Glaubensgeheimnis der Auferstehung ist groß und für uns Menschen staunenswert, ein wenig wie das jährliche Staunen darüber, wie die abgestorbene, knorrige Winterlandschaft im Frühjahr wieder zu neuem Leben erblüht. Allerseelen nimmt uns in diese Schule des Lebens, des Sterbens und Auferstehens.


    Das Fest heute hilft mir im Hier und Jetzt gelassen und dankbar zu leben. Der Theologe Romano Guardini bringt es auf den Punkt: „Geborgenheit im Letzten gibt Gelassenheit im Vorletzten". Wer also in dieser Hoffnung durch sein Leben geht und auf dieses Ziel hin ausgerichtet bleibt, der kann andere und sich getrost lassen und er kann versuchen, gelassen zu leben.
    Das Wort von der Postkarte spricht nicht nur vom Herbst des Lebens und der natur, vom Sterben und Loslassen. Es sagt sogar, dass es „schön" ist, loszulassen. Schön, weil wir der Schönheit Gottes und des Lebens wieder einen Schritt weiter entgegengehen.


     

  • Predigt zum Hochfest Allerheiligen / St. Marien-Dom / Hamburg / 01. 11. 2023

    Es gilt das gesprochene Wort!


    (1. Les.: Offb 7, 2-4.9-14 ; 2. Les.: 1 Joh 3, 1-3; Ev. : Mt 5, 1-12a )


    Liebe Schwestern, liebe Brüder,

    wir feiern Allerheiligen, ein katholisches Fest, das beim ersten Hören etwas von „heiler Welt" hervorruft: Wir erinnern uns der Heiligen, die einen Zustand fortwährender Glückseligkeit erreicht haben, fernab allen Leides und aller irdischen Last. Dies ist jedoch nur eine Facette des Festtages, denn Allerheiligen ist zuallererst ein Fest der Solidarität. Es fügt sich gut in die aktuellen unruhigen, ja kriegerischen Zeiten ein.

    Nach den terroristischen Angriffen der Hamas am 7. Oktober ist neuerlich großes Leid über Israel gekommen. Die brutalen Entführungen und Morde der Hamas, die ahnungslose, feiernde Menschen trafen, müssen aufs Äußerste verurteilt werden; die Opfer haben unsere volle Solidarität verdient – nichts anderes ist akzeptabel. Der terroristische Angriff hat aber auch großes humanitäres Leid in der palästinensischen Zivilbevölkerung gebracht. Solidarisch wollen wir in unseren Gedanken und Gebeten mit allen sein, die unschuldig schreckliche Verluste erlitten haben und Opfer von Hass und Gewalt geworden sind.

    Allerheiligen ist das Fest der großen Solidarität. Wir schauen auf die Kirche des Himmels, auf die große Schar derer, die in Gottes Herrlichkeit leben. Und dabei sind und bleiben sie uns verbunden. Sie stehen vor Gott für uns ein, sind mit uns hier auf der Erde verbunden und mit all denjenigen, die bereits verstorben sind, aber noch nicht in Gottes neuer Welt angekommen sind. Es ist die eine große Kirche, sozusagen auf mehreren Ebenen.

    In der jüngeren Geschichte sind darunter auch solche Heilige, die in ihrem Schicksal demjenigen der vielen Opfer der vergangenen Wochen verbunden sind. Eine durch Terror fehlgeleitete, radikalisierte „Religion" fordert seit Jahrzehnten zahlreiche christliche Opfer im Nahen Osten.

    So etwa die 21 Märtyrer von Sirte, die 2015 in der gleichnamigen libyschen Hafenstadt entführt wurden. 20 von ihnen waren namentlich bekannte koptische Christen, davon 13 aus dem Dorf Al Our in Oberägypten. Das 21. Opfer stammte wohl aus Ghana. Ob er bereits getaufter Christ war, ist nicht sicher festzustellen. Berichten zufolge hat ihn die Standhaftigkeit seiner Mitgefangenen so beeindruckt, dass auch er das erzwungene Bekenntnis zum Islam ablehnte. "Ihr Gott ist auch mein Gott", habe er demnach bekannt. Für die Kirche sind somit alle 21 Toten von Sirte unterschiedslos Märtyrer.

    „Von Menschen und Göttern" ist der Titel eines Film, der das Schicksal der sieben trappistischen Mönche von Tibhirine, Algerien erzählt. Sie wurden 1996 von einer islamistischen Terrorgruppe entführt und mit weiteren Geiseln ermordet.
    Solidarität im gemeinsamen Schicksal, Solidarität über den Tod hinaus. Unsere Vorfahren haben Heilige immer wieder angerufen und um ihren Beistand gebeten. Vielleicht sind die hier genannten Märtyrer-Heiligen die „richtigen Ansprechpartner", wenn es um die so unfassbar komplexe und schwierige Aufgabe des Friedens im Nahen Osten geht?

    Ich möchte Ihnen heute zwei Anregungen für ihr religiöses Leben mitgeben:
    Erstens ist es wichtig, die Heiligen immer mehr kennen zu lernen, vielleicht den ein oder anderen als „Lieblingsheiligen" zu verehren. Das ist jemand, dessen Leben mir vertraut ist, der mir durch sein Vorangehen und sein Beispiel helfen kann, im Hier und Heute selber als Christ meine Frau/ meinen Mann zu stehen. Von manchem großem Heiligen, wie etwa dem heiligen Ignatius von Loyola oder der Heiligen Theresia von Avila, wissen wir, dass sie gerne Heiligenbiografien gelesen haben, um das Leben der Heiligen so besser kennenlernen zu können. Der Trend, andere Menschen in ihrer Lebensgestaltung zum Vorbild zu nehmen, hält bis in unsere Tage an: Influencer oder Bestseller-Biographien stehen hoch im Kurs. Auch über die Heiligen können wir uns durch Bücher, über das Internet, über Reisen zu Wallfahrtsorten informieren und so den einen oder die andere Heilige besser und tiefer kennen lernen. Vielleicht haben sie schon längst ihren persönlichen Begleiter. Wenn nicht, dann freuen sie sich darauf, mit Persönlichkeiten aus dieser großen Schar näher bekannt zu werden. Die in den letzten Jahren gewachsene Anzahl zeitgenössicher Heiliger, die unseren Lebensentwürfen näherstehen als mancher Heiliger der vergangenen Jahrhunderte, mag dabei hilfreich sein.

    Zweitens haben wir die Möglichkeit, die Heiligen um ein gutes Wort für uns zu bitten und dass sie für uns vor Gott einstehen. Sie wollen Fürsprache für uns halten. Das nimmt Gott nichts. Gott ist und bleibt Gott – zwischen ihm und uns gibt es nur einen einzigen Mittler, nämlich Jesus Christus selbst. Die Fürsprache der Heiligen ist anders gelagert, und zwar in der Art, wie Maria es auf der Hochzeit zu Kana getan hat. Sie hat Jesus nicht gesagt, was er zu tun hätte. Sie hat einfach die Situation dieses jungen Brautpaares ausgesprochen: „Herr, sie haben keinen Wein mehr". Vielleicht tun die Heiligen nichts anderes für uns, als auf unseren Mangel und unsere Missstände ein wenig hinzuweisen. Deswegen können auch wir sie immer wieder darum bitten: in der Allerheiligenlitanei, die vor allen Dingen in der Osternacht gebetet und gesungen wird, aber auch bei jeder Weihe rufen wir viele von ihnen an und stimmen immer wieder gemeinsam ein: „Bitte für uns". Wenn wir den Rosenkranz beten, dann tun wir das: „Heilige Maria Muttergottes, bitte für uns jetzt und in der Stunde unseres Todes."


    Schwestern und Brüder,

    freuen wir uns heute an dieser großen Solidargemeinschaft in unserer Kirche in Verbundenheit mit allen Heiligen und Seligen. Lassen wir uns von ihnen inspirieren, Solidarität im Hier und Jetzt zu leben und schöpfen wir Hoffnung aus ihrem Zeugnis, das der Wahrheit und der Gerechtigkeit in unserer Welt nachhaltig ein Gesicht gibt.

  • Grußwort von Erzbischof Dr. Stefan Heße anlässlich des Reformationsempfangs der Nordkirche / Dettmannsdorf / 31. 10. 2023

    Es gilt das gesprochene Wort!


     


    Mit großer Freude habe ich Ihre Einladung zu diesem Reformationsempfang angenommen und gerne überbringe ich Ihnen heute die Grüße des Erzbistums Hamburg und der Katholikinnen und Katholiken im Norden unseres Landes.

    Über 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation können wir heute gemeinsam und versöhnt an die Ereignisse im 16. Jahrhundert erinnern. Das gemeinsame Begehen des Reformationsgedenkens im Jahr 2017 hat uns darin bestärkt.

    Die Reformation markiert bis heute eine Zäsur in der Geschichte der lateinischen, westlichen Kirche. Sie war die Antwort auf eine tiefe Krise, die der Ablassskandal ausgelöst hatte. Theologen und Geistliche suchten nach Wegen aus dieser Krise und wollten die Kirche aus ihren Wurzeln erneuern. Politische Umstände und menschliches Versagen führten dazu, dass es nicht bei einer Erneuerung blieb, sondern die abendländische Kirche gespalten wurde. Und so haben die einen über Jahrhunderte am Reformationstag die Erneuerung der Kirche gefeiert, während die anderen die Spaltung beklagt haben. Heute können wir, Gott sei Dank, gemeinsam und differenziert auf die Reformation blicken und die Früchte wie auch die Tragik ihrer Geschichte würdigen.

    Seit einigen Jahrzehnten mehren sich die Anzeichen für eine neuerliche Krise der Kirchen, die wieder, wie auch im 16. Jahrhundert, vor allem eine Krise der Glaubwürdigkeit ist. Der Skandal des sexuellen und geistlichen Missbrauchs, der die gesamte Christenheit weltweit erfasst hat, offenbart systemische Übel im Umgang mit Macht und Autorität. Ein nie dagewesener Mitgliederschwund in den beiden großen Kirchen fordert große Transformationsprozesse; pastoral und materiell muss neu gedacht werden. Bleiben bei den Krisenphänomenen Ressourcen für das Engagement in der Ökumene? Sind wir nicht oft genug dabei, die eigenen Belange zu ordnen? Mehr denn je sollten wir daraufhin arbeiten, unsere Kräfte zu vereinen, um in der Welt das gemeinsame Zeugnis des Christseins zu geben und zu zeigen: unser Auftrag ist nicht ein selbstreferentieller, sondern ein proexistentieller. Für eine Welt, die von Krisen geschüttelt ist, sollten wir mit einer Stimme sprechen und bezeugen, dass in Jesus Christus Heil und Hoffnung für alle Menschen ist.

    Diese Haltung erfordert eine neue ökumenische Selbstvergewisserung, die bestärkend und hoffnungsvoll ist. Daher muss sich die Perspektive sukzessive von einer defizitorientierten Sicht, hin zu einem Staunen über das bereits Erreichte wandeln.

    Ich denke an gut gelebtes Miteinander überall dort, wo wir zusammenrücken und in ökumenischer Gastfreundschaft Gebäude bereits jetzt gemeinsam nutzen. Ich denke an die vielen interkonfessionellen Initiativen, die in den letzten Jahrzehnten in Bereichen der Politik, Wissenschaft und Bildung entstanden sind. Ich denke auch an den gemeinsamen Einsatz für die Benachteiligten und Bedürftigen; ebenso an die vielen Momente des gemeinsamen Glaubenszeugnisses: Kirchentage, Kooperation im Religionsunterricht, gemeinsame Gottesdienste bei gesellschaftlichen Ereignissen. Erst kürzlich haben wir den ökumenischen Gottesdienst anlässlich des Tages der Deutschen Einheit in Hamburg begangen, der im kommenden Jahr in Mecklenburg-Vorpommern, in Schwerin stattfinden wird. Ökumenisch haben wir auch der Toten gedacht bei den beiden schrecklichen Attentaten, die unsere Region in diesem Jahr erschütterten: die grausame Messerattacke von Brokstedt und die brutale Amok-Tat in einem Königreichssaal der Zeugen Jehovas in Hamburg.

    Was bedeuten diese Überlegungen für das Ziel der angestrebten sichtbaren Einheit? Zwar gibt es eine große Bandbreite an Modellen der Ökumene, aber keine Einheit darüber, welches das verbindende ist. In dieser Offenheit kann daher gefragt werden, ob Ökumene nicht vielmehr eine Ökumene auf dem Weg sein sollte, die agil und situativ die „Route" justiert. Unsere Wegmarken sind dabei klar gesetzt: In der Taufe geeint, wollen wir immer mehr mit einer Stimme sprechen, in der Gewissheit verbunden, dass unsere Unterschiede die Chance einer Fülle an Gaben bergen. Der Gegenbegriff von Einheit lautet Trennung, nicht aber Vielfalt. In unserer Vielfältigkeit können und wollen wir geeignet sein. Deshalb sollten wir Formen des differenzierten Konsenses stark machen und fördern, was das Miteinander stärkt.

    Wo Menschen gemeinsam unterwegs sind – etwa wandernd oder pilgernd – da kommen sie in den Austausch; Beziehungen, Freundschaften entstehen. Auch die zwischenmenschliche Dimension bleibt wichtig für uns. Das konnten wir katholische und evangelische Bischöfe und Bischöfinnen bei unserem Bischofspilgern zur Hysburg im Mai dieses Jahres konkret erleben. Diese Erfahrung wollen wir gerne auch im kommenden Jahr wiederholen und es ausweiten auf die Ebene der Gläubigen, denn Ökumene ist nicht nur das Anliegen der Hauptamtlichen. Sie geht durch die Herzen der Christinnen und Christen, die in freundschaftlichem Kontakt einander zugetan sind. Diese Beziehungen sind so oft der heimliche Motor mancher großen ökumenischen Initiative. Sie geben Kraft. So könnte ich mir gut vorstellen, im Blick auf das 1700. Jubiläum des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel, das wir im Jahr 2025 begehen, mit Gläubigen beider Konfessionen eine Pilgerfahrt an die Ursprungsorte unseres Glaubens zu unternehmen.

    „Vom Konflikt zur Gemeinschaft" haben der Präsident des Lutherischen Weltbundes Bischof Munib Younan und Papst Franziskus einen Abschnitt ihrer gemeinsamen Erklärung bei Ihrem Treffen am 31. Oktober 2016 in Lund überschrieben. Heute, am 506. Jahrestag der Reformation, sind wir Katholikinnen und Katholiken, Lutheranerinnen und Lutheraner auf diesem Weg von alten Konflikten zu neuen und vielfältigen Formen der Gemeinschaft schon sehr weit gekommen. Das macht mir Hoffnung, dass wir uns über die Grenzen der Konfessionen und Denominationen hinweg gemeinsam unserer Krise und den Herausforderungen unserer Zeit stellen.

    Lassen Sie uns „auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gemeinsam (...) handeln, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind und nicht Gründe des Glaubens oder größere Zweckmäßigkeit dem entgegenstehen", wie wir uns in der Charta Oecumenica 2001 verpflichtet haben. Dann haben wir die Chance zu einer gemeinsamen Reform im Sinne einer Erneuerung aus dem Ursprung der einen Kirche in Christus. Dann schaffen wir gemeinsam eine Transformation der Kirche, die Spaltungen überwindet, in ihren eigenen Gemeinden und in der Welt. Dann geben wir der Menschheitsfamilie ein Zeichen der Einheit in versöhnter Verschiedenheit.

    Dann macht Kirche Schule, nicht nur im wörtlichen Sinn, in unseren kirchlichen Schulen, und Bildungseinrichtungen sowie im Religionsunterricht, um das Thema Ihres Empfangs aufzugreifen. Dann macht Kirche Schule im sprichwörtlichen Sinn: nicht belehrend, sondern im Dialog, der Verschiedenheiten aushält und in dem sich die Kirche als lernend erweist.
    Ich freue mich auf zahlreiche Begegnungen und Gespräche heute und auf eine weitere vertrauensvolle Weggemeinschaft und wünsche uns allen dazu Gottes reichen Segen.

  • Grußwort anlässlich des Reformationsempfangs der Nordkirche / Dettmannsdorf / 31. 10. 2023

    Es gilt das gesprochene Wort!


    Mit großer Freude habe ich Ihre Einladung zu diesem Reformationsempfang angenommen und gerne überbringe ich Ihnen heute die Grüße des Erzbistums Hamburg und der Katholikinnen und Katholiken im Norden unseres Landes.


    Über 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation können wir heute gemeinsam und versöhnt an die Ereignisse im 16. Jahrhundert erinnern. Das gemeinsame Begehen des Reformationsgedenkens im Jahr 2017 hat uns darin bestärkt.


    Die Reformation markiert bis heute eine Zäsur in der Geschichte der lateinischen, westlichen Kirche. Sie war die Antwort auf eine tiefe Krise, die der Ablassskandal ausgelöst hatte. Theologen und Geistliche suchten nach Wegen aus dieser Krise und wollten die Kirche aus ihren Wurzeln erneuern. Politische Umstände und menschliches Versagen führten dazu, dass es nicht bei einer Erneuerung blieb, sondern die abendländische Kirche gespalten wurde. Und so haben die einen über Jahrhunderte am Reformationstag die Erneuerung der Kirche gefeiert, während die anderen die Spaltung beklagt haben. Heute können wir, Gott sei Dank, gemeinsam und differenziert auf die Reformation blicken und die Früchte wie auch die Tragik ihrer Geschichte würdigen.


    Seit einigen Jahrzehnten mehren sich die Anzeichen für eine neuerliche Krise der Kirchen, die wieder, wie auch im 16. Jahrhundert, vor allem eine Krise der Glaubwürdigkeit ist. Der Skandal des sexuellen und geistlichen Missbrauchs, der die gesamte Christenheit weltweit erfasst hat, offenbart systemische Übel im Umgang mit Macht und Autorität. Ein nie dagewesener Mitgliederschwund in den beiden großen Kirchen fordert große Transformationsprozesse; pastoral und materiell muss neu gedacht werden. Bleiben bei den Krisenphänomenen Ressourcen für das Engagement in der Ökumene? Sind wir nicht oft genug dabei, die eigenen Belange zu ordnen? Mehr denn je sollten wir daraufhin arbeiten, unsere Kräfte zu vereinen, um in der Welt das gemeinsame Zeugnis des Christseins zu geben und zu zeigen: unser Auftrag ist nicht ein selbstreferentieller, sondern ein proexistentieller. Für eine Welt, die von Krisen geschüttelt ist, sollten wir mit einer Stimme sprechen und bezeugen, dass in Jesus Christus Heil und Hoffnung für alle Menschen ist.
    Diese Haltung erfordert eine neue ökumenische Selbstvergewisserung, die bestärkend und hoffnungsvoll ist. Daher muss sich die Perspektive sukzessive von einer defizitorientierten Sicht, hin zu einem Staunen über das bereits Erreichte wandeln.


    Ich denke an gut gelebtes Miteinander überall dort, wo wir zusammenrücken und in ökumenischer Gastfreundschaft Gebäude bereits jetzt gemeinsam nutzen. Ich denke an die vielen interkonfessionellen Initiativen, die in den letzten Jahrzehnten in Bereichen der Politik, Wissenschaft und Bildung entstanden sind. Ich denke auch an den gemeinsamen Einsatz für die Benachteiligten und Bedürftigen; ebenso an die vielen Momente des gemeinsamen Glaubenszeugnisses: Kirchentage, Kooperation im Religionsunterricht, gemeinsame Gottesdienste bei gesellschaftlichen Ereignissen. Erst kürzlich haben wir den ökumenischen Gottesdienst anlässlich des Tages der Deutschen Einheit in Hamburg begangen, der im kommenden Jahr in Mecklenburg-Vorpommern, in Schwerin stattfinden wird. Ökumenisch haben wir auch der Toten gedacht bei den beiden schrecklichen Attentaten, die unsere Region in diesem Jahr erschütterten: die grausame Messerattacke von Brokstedt und die brutale Amok-Tat in einem Königreichssaal der Zeugen Jehovas in Hamburg.


    Was bedeuten diese Überlegungen für das Ziel der angestrebten sichtbaren Einheit? Zwar gibt es eine große Bandbreite an Modellen der Ökumene, aber keine Einheit darüber, welches das verbindende ist. In dieser Offenheit kann daher gefragt werden, ob Ökumene nicht vielmehr eine Ökumene auf dem Weg sein sollte, die agil und situativ die „Route" justiert. Unsere Wegmarken sind dabei klar gesetzt: In der Taufe geeint, wollen wir immer mehr mit einer Stimme sprechen, in der Gewissheit verbunden, dass unsere Unterschiede die Chance einer Fülle an Gaben bergen. Der Gegenbegriff von Einheit lautet Trennung, nicht aber Vielfalt. In unserer Vielfältigkeit können und wollen wir geeignet sein. Deshalb sollten wir Formen des differenzierten Konsenses stark machen und fördern, was das Miteinander stärkt.


    Wo Menschen gemeinsam unterwegs sind – etwa wandernd oder pilgernd – da kommen sie in den Austausch; Beziehungen, Freundschaften entstehen. Auch die zwischenmenschliche Dimension bleibt wichtig für uns. Das konnten wir katholische und evangelische Bischöfe und Bischöfinnen bei unserem Bischofspilgern zur Hysburg im Mai dieses Jahres konkret erleben. Diese Erfahrung wollen wir gerne auch im kommenden Jahr wiederholen und es ausweiten auf die Ebene der Gläubigen, denn Ökumene ist nicht nur das Anliegen der Hauptamtlichen. Sie geht durch die Herzen der Christinnen und Christen, die in freundschaftlichem Kontakt einander zugetan sind. Diese Beziehungen sind so oft der heimliche Motor mancher großen ökumenischen Initiative. Sie geben Kraft. So könnte ich mir gut vorstellen, im Blick auf das 1700. Jubiläum des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel, das wir im Jahr 2025 begehen, mit Gläubigen beider Konfessionen eine Pilgerfahrt an die Ursprungsorte unseres Glaubens zu unternehmen.
    „Vom Konflikt zur Gemeinschaft" haben der Präsident des Lutherischen Weltbundes Bischof Munib Younan und Papst Franziskus einen Abschnitt ihrer gemeinsamen Erklärung bei Ihrem Treffen am 31. Oktober 2016 in Lund überschrieben. Heute, am 506. Jahrestag der Reformation, sind wir Katholikinnen und Katholiken, Lutheranerinnen und Lutheraner auf diesem Weg von alten Konflikten zu neuen und vielfältigen Formen der Gemeinschaft schon sehr weit gekommen. Das macht mir Hoffnung, dass wir uns über die Grenzen der Konfessionen und Denominationen hinweg gemeinsam unserer Krise und den Herausforderungen unserer Zeit stellen.


    Lassen Sie uns „auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gemeinsam (...) handeln, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind und nicht Gründe des Glaubens oder größere Zweckmäßigkeit dem entgegenstehen", wie wir uns in der Charta Oecumenica 2001 verpflichtet haben. Dann haben wir die Chance zu einer gemeinsamen Reform im Sinne einer Erneuerung aus dem Ursprung der einen Kirche in Christus. Dann schaffen wir gemeinsam eine Transformation der Kirche, die Spaltungen überwindet, in ihren eigenen Gemeinden und in der Welt. Dann geben wir der Menschheitsfamilie ein Zeichen der Einheit in versöhnter Verschiedenheit.


    Dann macht Kirche Schule, nicht nur im wörtlichen Sinn, in unseren kirchlichen Schulen, und Bildungseinrichtungen sowie im Religionsunterricht, um das Thema Ihres Empfangs aufzugreifen. Dann macht Kirche Schule im sprichwörtlichen Sinn: nicht belehrend, sondern im Dialog, der Verschiedenheiten aushält und in dem sich die Kirche als lernend erweist.


    Ich freue mich auf zahlreiche Begegnungen und Gespräche heute und auf eine weitere vertrauensvolle Weggemeinschaft und wünsche uns allen dazu Gottes reichen Segen.

  • Predigt von Erzbischof Stefan Heße am Tag der Deutschen Einheit / Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg / 03. 10. 2023

    Es gilt das gesprochene Wort!

    (Les: Offb 22, 1-3)


    Das Bild vom fließenden Wasser, das wir in diesem Gottesdienst schon mehrfach gehört haben, ist bei Leibe nicht nur ein Bild – und vor allem nicht nur einfach ein positives. Für viele ist überfließendes Wasser Realität, manchmal grausame Realität: das Wasser, das alles durchdringt, mit sich reißt, vieles unter sich begräbt. Wir kennen die Bilder der Tsunamis weltweit, das überschwemmte Ahrtal 2021 oder die Jahrhundert-Elbeflut von 2002. Kürzlich erst die Überflutungen in Libyen, Griechenland und der Türkei.

    Wasser, das eben nicht nur Leben spendet... Das Mittelmeer ist dabei offenbar der größte Friedhof dieser Welt. Papst Franziskus wird nicht müde, darauf hinzuweisen, wenn er über Migration spricht. (1) Vor wenigen Tagen noch war er in Marseille, unserer Partnerstadt, weil gerade die Mittelmeerregion so stark von Flucht und Vertreibung betroffen ist. Allein diesen September sind an manchen Tagen 5000 Menschen auf Lampedusa angekommen. Es geht zu allererst um Menschen. Hinter allen diesen Zahlen und Herausforderungen stehen einzelne konkrete Menschen, deren Würde genauso unantastbar ist wie die unsere und eines jeden Menschen.


    Diesen Sommer war ich als Flüchtlingsbischof auf den griechischen Inseln und in der Türkei. Lesbos wirkt zunächst wie eine Idylle, ein Ferienort, doch dann die Realität der überfüllten Flüchtlingscamps. Ich habe dort mit den Menschen sprechen können. Sie haben mir ihre konkreten Sorgen anvertraut: Gesundheit, Ernährung, Bildung, Sicherheit und einige haben mir auch von ihren traumatischen Fluchterfahrungen berichtet.

    Als Christen sind wir der Überzeugung: Jeder ist unsere Schwester, unser Bruder. Wir sind Mitmenschen. Niemand ist eine Insel. Bleiben wir nicht auf unseren einsamen Inseln, wo wir letztlich im Selbstgespräch enden, nicht in unseren manchmal allzu kleinteiligen Kästchen oder in den allzu selbstverliebten Blasen. Wir brauchen dringend eine Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems, einen besseren Flüchtlingsschutz und eine faire Verantwortungsteilung zwischen allen EU-Mitgliedsstaaten – kurz gesagt: eine menschenwürdige und solidarische Flüchtlingspolitik. Und darum müssen wir alle gemeinsam ringen!


    Auch an die Adresse meiner eigenen Kirche sage ich: Bleiben wir nicht unter uns! Hier in Hamburg zum Beispiel ist die katholische Kirche international: ein Drittel der Katholiken, die hier leben, kommt nicht aus Deutschland, sondern hat einen Migrationshintergrund. Welche Bereicherung! 

    In diesen Tagen nehme ich jedoch auch wahr, dass all die Entwicklungen, mit denen wir aktuell konfrontiert sind, wie ein einziger Strom, ein reißendes Wasser sind, in dem wir schon ziemlich gut schwimmen können müssen. Für einige mag es sich anfühlen, dass das Wasser bis zum Halse reicht. Rufe werden laut, dass wir drohen unterzugehen, Ängste kriechen hoch. Doch da sind wir alle gefragt: Machen wir die Hoffnung groß! Und Hoffnung ist mehr als ein pragmatischer Optimismus! Der positive Blick nach vorne, der nicht naiv ist, wird uns und unsere Gesellschaft lebendig und kraftvoll machen, so dass sie viele Herausforderungen gut bewältigen kann.

    Auf meiner Reise vor kurzem in die Ägäis bin ich so vielen Menschen begegnet, die durch ihr Engagement und ihr Handeln „zur Heilung der Völker" beitragen, wie dieser Strom lebedigen Wassers aus der Bibel. Und auch hier in Hamburg sehe und weiß ich doch, wieviele Menschen sich für andere einsetzen – in Hamburg ist es jeder und jede dritte Bürgerin, in Deutschland insgesamt 29 Millionen – Tendenz steigemd, weil ihnen das Argument des anderen nicht gleichgültig ist. Sie sind das zugewandte und optimistische Gesicht unseres Landes. Dafür bin ich dankbar und das stimmt mich hoffnungsvoll.


     


    (1) „Und so ist dieses wunderschöne Meer zu einem riesigen Friedhof geworden, wo viele Brüder und Schwestern selbst des Rechtes auf ein Grab beraubt werden - nur die Menschenwürde wird hier begraben." Papst Franziskus in Marseille, 22.09.2023, BEGEGNUNG MIT RELIGIONSFÜHRERN AN DER GEDENKSTÄTTE FÜR SEELEUTE UND MIGRANTEN, DIE AUF SEE UMS LEBEN GEKOMMEN SIND.

  • Predigt bei der Informationsreise nach Griechenland und in die Türkei / Izmir (Türkei) / 03. 09. 2023

    Reading 1 (Jer 20:7-9)
    You duped me, O LORD, and I let myself be duped;
    you were too strong for me, and you triumphed.
    All the day I am an object of laughter;
    everyone mocks me.
    Whenever I speak, I must cry out,
    violence and outrage is my message;
    the word of the LORD has brought me
    derision and reproach all the day.
    I say to myself, I will not mention him,
    I will speak in his name no more.
    But then it becomes like fire burning in my heart,
    imprisoned in my bones;
    I grow weary holding it in, I cannot endure it.


    Reading 2 (Rom 12:1-2)
    I urge you, brothers and sisters, by the mercies of God,
    to offer your bodies as a living sacrifice,
    holy and pleasing to God, your spiritual worship.
    Do not conform yourselves to this age
    but be transformed by the renewal of your mind,
    that you may discern what is the will of God,
    what is good and pleasing and perfect.


    Gospel (Mt 16:21-27)
    Jesus began to show his disciples
    that he must go to Jerusalem and suffer greatly
    from the elders, the chief priests, and the scribes,
    and be killed and on the third day be raised.
    Then Peter took Jesus aside and began to rebuke him,
    "God forbid, Lord! No such thing shall ever happen to you."
    He turned and said to Peter,
    "Get behind me, Satan! You are an obstacle to me.
    You are thinking not as God does, but as human beings do."
    Then Jesus said to his disciples,
    "Whoever wishes to come after me must deny himself,
    take up his cross, and follow me.
    For whoever wishes to save his life will lose it,
    but whoever loses his life for my sake will find it.
    What profit would there be for one to gain the whole world
    and forfeit his life?
    Or what can one give in exchange for his life?
    For the Son of Man will come with his angels in his Father's glory,
    and then he will repay all according to his conduct."


    Homily by H.E. Archbishop Dr Stefan Heße on 3 September 2023 in Izmir (Turkey)


    "Be transformed by the renewal of your mind" – this is what the author of the Letter to the Romans just said to us. Originally, he was probably concerned about the Romans renouncing pagan thinking. But also our thinking as Christians today needs permanent renewal and deepening. Our thinking should adapt itself more and more to God's thinking and become more in line with Him.


    The other two readings of this Sunday take up this thought as well: Jeremiah is faced with the great question of how to think of God, how to interpret his deeds. The prophet Jeremiah has to learn that he always has new experiences with God. He cannot stop at the old way of thinking, but must allow himself to be led into the vastness of God's thinking. And in the Gospel it is Saint Peter. He has his ideas about the Son of God. He knows how God should function and act. But God is different and therefore Peter has to learn to think of him differently and in a completely new way.


    If Jeremiah, one of the greatest prophets, and Peter, the spokesman of the Apostles, need to renew their thinking, how much more do we need to do so! Among the experiences I was allowed to have in faith is that my thinking of God, of man, of the Church is constantly renewed and hence deepened in the course of life.


    A new way of thinking about God: God is the Almighty, the Great, the Transcendent, the One who surpasses everything. But as Christians we also believe that this God becomes human and goes all the way down into powerlessness. We have to believe and endure a powerless God – again and again.


    A new way of thinking about people: We like to put ourselves in the center. We tend to relate anything and everything to us or to deduce it from us. But our faith puts the other in the center and he or she is the reference point of everything.


    During my travels – whether now in Greece and Turkey or elsewhere – I meet many refugees. They are just one example of people who need to be placed in the center today. (As Pope Francis once put in in his Message for the World Day of Migrants and Refugees: "In every political activity, in every programme, in every pastoral action we must always put the person at the center, in his or her many aspects, including the spiritual dimension. And this applies to all people, whose fundamental equality must be recognized.")


    A new way of thinking about the Church: For a long time we have been thinking that the Church knows everything and instructs people where to go on life's journey. Soon the Synod of Bishops will begin in Rome. Pope Francis wants to encourage the Church to think in a new way. We will only arrive at solutions by working together. We are not only those who have something to say and to offer to the people, but we can learn much more from them and we should be very attentive.


    So: Let us renew our thinking and let ourselves be transformed by it. Amen.

  • Predigt im Requiem für Weihbischof em. Hans-Jochen Jaschke / St. Marien-Dom / Hamburg / 15. 07. 2023
    Es gilt das gesprochene Wort!

    (Les.: 2 Petr 1,16-19; Ev.: Joh 6, 60-69)

    Liebe Schwestern und Brüder,

    wir verabschieden uns heute von einem „Mann des Wortes“. Wir werden seine Stimme nicht mehr live hören. Sie ist in der Nacht zum vergangenen Dienstag für immer verstummt.

    Das Wort – in Schrift und Sprache – prägte das Leben von Hans-Jochen Jaschke. Es war für mich ein nachhaltiger Eindruck, den Verstorbenen in seinem Sterbebett zu sehen – umgeben von der Fülle seiner Bücher. Jeder, der ihn persönlich kannte und in seiner Wohnung besuchen konnte, weiß um die vielen Meter an Literatur. Das war seine Nahrung. Immer wieder ist er gerne in Buchhandlungen gegangen, um sich mit Nachschub einzudecken.

    Dieser Mann des Wortes war nicht nur äußerst belesen. Er verfügte auch über die Fähigkeit, das Gelesene ins Gespräch zu bringen. Seine markante Stimme hat er immer wieder erhoben: auf der Kanzel, bei unzähligen Firmungen und Festgottesdiensten, in der Ökumene und im interreligiösen Dialog, in kleinen oder größeren Runden, wie etwa den Freitagstreffen bei Helmut Schmidt in Langenhorn und nicht zuletzt in unzähligen Talkshows. In den Medien war er äußerst begehrt. Manche Nachrufe nennen ihn einen Bischof, der es verstand, Klartext zu reden. Eine seiner engsten und langjährigen Mitarbeiterinnen bezeichnet den Weihbischof daher als „Goldschmied des Wortes“. Das erinnert an den Kirchenvater Johannes aus dem vierten Jahrhundert, dem man den Beinamen Chrysostomus gegeben hat: der Goldmund.

    Es ist offenbar eine besondere Kombination, die den Menschen und Bischof Hans-Jochen Jaschke auszeichnete: die Kombination aus Wort und Stimme. Als treuer Beter des Stundengebetes, des Breviers, das er noch am letzten Abend seines Lebens in den Händen hielt – übrigens immer in lateinischer Sprache – , war ihm gewiss ein Text des heiligen Augustinus vertraut, der den Unterschied zwischen Wort und Stimme thematisert. Das Wort schlechthin ist Gottes Wort, ist Jesus Christus in Person. Diesem Wort können wir lediglich unsere Stimme leihen.

    Unter den vielen Worten, die er hörte und las, hat sich Hans-Jochen Jaschke, besonders dem Wort Gottes zugewandt. In seinen Regalen finden sich zahlreiche Kommentare und auf dem Schreibtisch bis zum Schluss die Ur-Texte der Heiligen Schrift aus dem Hebräischen und Griechischen. Daraus hat er geschöpft und davon hat er in der Verkündigung, ob auf der Kanzel oder im Fernsehen, gesprochen. Diesem Wort hat er seine unverwechselbare Stimme gegeben, und zwar nicht nur den Klang, den wir alle noch im Ohr haben, sondern auch die Gedanken, die er ins Heute übersetzt und aktualisiert hat.

    Für den Theologen, Priester und Bischof Hans-Jochen war es feste Überzeugung, dass das Wort Gottes Fleisch geworden ist, d.h. unsere menschliche Gestalt angenommen hat und wir davon leben. Deswegen hat er nicht nur die großen Festgottesdienste und Pontifikalämter gefeiert, sondern auch in aller Stille zu Hause die Eucharistie gehalten. In den letzten Wochen und Monaten ist er abends einfach Mitfeiernder hier im Dom gewesen, um das Wort zu hören und es in den Gestalt der Kommunion zu empfangen und als Speise aufzunehmen.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    nach einem erfüllten Bischofsleben trat er 2016 in den Ruhestand. Viele wissen, dass dies für ihn sehr schwer war. Einmal sprach er davon, in diesem Augenblick in ein Loch gefallen zu sein. Er konnte kaum verstehen, dass er als Ruheständler plötzlich nicht mehr eingeladen wurde in diese oder jene Sendung. Zu alledem folgte dann die Corona Pandemie. Ein Originalton Jaschke dazu : „Es ist so schrecklich langweilig!“ Schließlich musste er in kurzen Jahren hintereinander schwerste Erkrankungen verarbeiten. Es glich einem Wunder, dass er zuletzt nach seinem Oberschenkelhalsbruch von neuem auf die Beine gekommen und mit seiner Freundin Susi – das war der Rollator – mobil geworden ist. In seinem gewohnt schnellen Schritt durchquerte er wieder den Domplatz und das Viertel. Doch wir wissen auch, dass eine geheimnisvolle Krankheit in ihm schlummerte und den „Mann des Wortes“ zum Schluss wortkarg werden ließ. In vielen Runden war er noch dabei und bemerkte manchmal verzweifelt: „Ich weiß gar nicht, worüber ihr redet.“
    Als der „Mann des Wortes“ immer stiller wurde, verstummte das Wort Gottes nicht. Es bleibt als Zusage über seinem Leben und Sterben. Es bleibt die Zielrichtung seines Lebens: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ (Joh 6, 68)

    Hans-Jochen Jaschke, der immer wieder von sich sagte, er sei ein Flüchtling; für ihn beten und bitten wir heute, dass er ankommen darf, dass er bleiben darf, dass er ein Zuhause hat, das seine Sehnsucht stillt: Gott selbst und Jesus Christus, das Wort, das uns ins Leben ruft und erlöst. Oder um es mit Irenäus von Lyon zu sagen, seinem Lieblingstheologen, über den er seinerzeit promovierte: „Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch. Das Leben der Menschen ist der Ausblick auf Gott, das Sehen Gottes“.
  • Predigt zum Fronleichnamsfest / Hamburg / St. Marien-Dom / 08. 06. 2023
    Es gilt das gesprochene Wort!
    (1. Les.: Dtn 8, 2-3.14b-16a; 2. Les.: 1 Kor 10, 16-17; Ev. : Joh 6, 51-58)

    Liebe Schwestern und Brüder,

    in diesen Tagen findet in Nürnberg der Evangelische Kirchentag statt. Katholiken feiern heute Fronleichnam. So hat jede christliche Konfession eine eigene Ausprägung und Stärke. Bei unseren evangelischen Mitchristen ist es die Betonung auf das Wort Gottes, bei den orthodoxen Christen ist es die liebevolle Verehrung von Ikonen. Für die katholische Kirche könnte man einen Schwerpunkt auf die Eucharistie legen. In aller Regel feiern wir – wenn es möglich ist – jeden Sonntag die heilige Messe, auch an Werktagen wird die Eucharistie zelebriert; in vielen Gemeinden gibt es eucharistische Anbetungsstunden oder Andachten, die Stille Anbetung. Katholische Kirchen sind oft tagsüber geöffnet, um zu einem persönlichen Gebet zu verweilen. Das ist dann nicht nur die Kerze vor dem Bild der Gottesmutter, sondern oft ein stilles Gebet vor dem Tabernakel, verbunden mit einer Kniebeuge.

    Im Bereich der Physik kennen wir zentripetale und zentrifugale Kräfte. Die einen wirken eher nach innen, die anderen nach außen. Damit ein Auto nicht aus der Bahn fliegt, braucht es diese zentripetalen Kräfte. Wenn aber ein Kettenkarussell sich dreht, dann handelt es sich um zentrifugale Kräfte. Die Eucharistie könnte man für uns Christen als gleichermaßen zentripetal und zentrifugal begreifen.

    Die Eucharistie wirkt nach innen. Sie stärkt die innere Verbundenheit zwischen den einzelnen Gläubigen und Jesus Christus selbst. „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, in dem bleibe ich und er bleibt in mir.“(Joh 6, 56). Es ist eine innere Vertrautheit, die sich im stillen, persönlichen Gebet vor dem in der Eucharistie gegenwärtigen Christus vollzieht. Von einem Bauern aus dem kleinen Dorf Ars in Frankreich weiß man, dass er oft lange Zeit still in der Kirche vor dem Tabernakel kniete und seinen Blick auf den Herrn gerichtet hielt. Der berühmte Parrer von Ars sprach ihn daraufhin einfach an, was er denn dort tue. Die Antwort: „Nichts. Ich sehe ihn an und er sieht mich an“. Eucharistische Anbetung ist dieser Blick der Liebe, dieses Versunken-Sein im anderen. Da braucht es oft nichts anderes, da steht jede menschliche Aktivität still. Es sind dann zwei Blicke, die zusammenkommen: Gottes Blick auf mich und mein Blick zu ihm. Ich finde es sehr tröstlich, zu wissen, dass Gottes Blick nie nachlässt, dass er mich nie aus den Augen verliert, auch wenn ich Gott oft genug aus meinen Augen verliere oder mich zerstreue.

    Eucharistie wirkt nach außen. Das wird uns an einem Tag wie Fronleichnam auf besondere Weise klar: wir ziehen mit dem Allerheiligsten in der Monstranz aus der Kirche heraus durch die Straßen, mitten in der Welt, mitten im Leben. Heute tun wir das auf festliche Art und Weise: in einer Prozession, mit Kerzen und Glöckchen, in prächtigen Gewändern, mit schönen Liedern, in großer Zahl, in Reih und Glied. Aber schon wenn wir heute Abend nach Hause gehen, erst recht wenn wir uns in den nächsten Tagen auf den gleichen Wegen bewegen, sieht unsere Prozession ganz anders aus. Sie vollzieht sich ohne alles äußere Beiwerk. Es sind nur wir und ER! Mit ihm verbunden ziehen wir dann hinaus in den Alltag, zu unseren Freunden und Bekannten und auch zu denen, mit denen wir uns schwer tun. Dann auch zu den Obdachlosen und Armen, den Kranken und Einsamen. Wir ziehen hinein in den Dienst an der Gesellschaft, ins politische Engagement und unsere Prozession weitet sich aus in die ganze Welt.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    die Eucharistie führt nach innen und nach außen. Sie ist zentripetal und zentrifugal. Beides gehört zusammen. Das richtet uns aus und gibt Standfestigkeit. Wer sich allein den zentrifugalen Kräften überlässt, dem sich nach Außen geben, dem Aktiv-Sein, kann schnell aus der Bahn und aus den Fugen geraten. Ein Aktivismus, der nicht ausgerichtet ist, trägt früher oder später die Zeichen von Ausgebrannt-Sein, Erschöpfung und Leere.

    Wer sich ganz den zentripetalen Kräften überlässt und sich ausschließlich in das Innerliche versenkt, dem kann eine verkapselte, abgeschottete Haltung drohen, die immer weniger Korrektur zulässt. Daraus kann ein Nährboden für Starrheit und Überheblichkeit werden, der die Liebesfähigkeit unseres Herzens ausdörrt.
    Nur wenn beides zusammengehört, ist es ein und derselbe Herr, der unter uns ist, dessen Liebe wir dann nicht produzieren und krampfhaft erringen müssten, sondern der mit uns ist in unserem Leben und auf dem Weg durch die Zeit.
  • Pfingstpredigt 2023 / Hamburg / St. Marien-Dom / 28. 05. 2023
    Es gilt das gesprochene Wort!
    (1. Les.: Apg 2, 1-11; 2. Les.: 1 Kor 12, 3b-7.12-13; Ev. Joh 20, 19-23 )

    Ist der Heilige Geist überholt? Gar überflüssig, abgemeldet, veraltet?

    Wir kennen unter den sieben Gaben des Heiligen Geistes: Weisheit, Einsicht, Rat und Erkenntnis.

    Ihnen gegenüber steht in unseren Tagen etwas ganz Neues: KI, künstliche Intelligenz (englisch: AI, artificial intelligence). Es geht dabei um eine Technologie, die auf Daten und Algorithmen basiert und in der Lage ist, komplexe Aufgaben auszuführen. KI kann Artikel und Reden schreiben, Referate und Vorträge, zum Beispiel für Schule und Universität. Sie kann bei medizinischen Diagnosen und der Gesundheitsfürsorge helfen. Mit bestimmten Apps können Betroffene täglich ihre erfassten Gesundheitsparameter digital erfassen und zur Auswertung an das medizinische Zentrum übermitteln. Dort beobachten qualifizierte Fachkräfte die dokumentierten Werte. Abweichungen im Gesundheitszustand können sofort erkannt und bestmöglich therapiert werden. Im Krankenhaus oder Pflegeheimen bedeutet das eine große Unterstützung. Sicher müssen wir auch davon ausgehen, dass KI Kirche und Seelsorge ergreifen und verändern wird mit neuen Angeboten für neue Adressaten jenseits von besehenden realen Gemeinde- und Kirchenräumen.

    Die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz schreitet mit ungeahnter Geschwindigkeit voran und wird immer mehr Bereiche unseres Lebens verändern. KI birgt ungeahnte Chancen und gleichzeitig auch viele Fragen und Risiken: Was, wenn sie in die falschen Hände kommt und gegen den Menschen eingesetzt wird? Wenn sie etwa im Kriegsfall zur Zielgenauigkeit autonomer Waffen eingesetzt wird? Einige Wissenschaftler stellen die Frage, ob der Mensch nicht überfordert sei mit der rasanten Entwicklung. Sie fragen, ob die KI nicht gar eine politische Gefahr darstellt. Die Menschheit könnte „sogar in die Unmündigkeit zurückfallen und politischer Manipulation und Verführung wehrlos ausgesetzt sein.“

    Sieht gegenüber diesen gigantischen, technischen Entwicklungen der Heilige Geist nicht ziemlich alt aus? Lohnt es sich überhaupt, auf ihn zu setzen? Hat er überhaupt noch etwas zu melden und wird der heutige, aufgeklärte Mensch sich seiner erinnern?

    Theologen warnen immer wieder davor, den Heiligen Geist zu vergessen. Ich bin überzeugt: es wird umso mehr auf Gottes Geist ankommen.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    Wir glauben nicht an einen „digitalen Gott“, sondern an einen konkreten, persönlichen. Wir verstehen den Menschen auch nicht zuerst digital, sondern ebenso konkret und persönlich.

    Gottes größtes Anliegen ist es, Partnerinnen und Partner zu finden, uns, die mit ihm kooperieren. Gottes Programm ist Gemeinschaft, Beziehung. KI kennt keine echten menschlichen Gefühle, KI setzt nicht auf Gemeinschaft.
    Das schönste Bild für diese Gemeinschaft im Neuen Testament ist die Urgemeinde in Jerusalem. Ihr Gegenbild findet sich übrigens gleich zu Beginn der heiligen Schrift im Buch Genesis, Kapitel 11 im sogenannten Turm von Babel. Hier geht alles drunter und drüber; man ist verwirrt und zerstreut. In Jerusalem dagegen findet man zueinander, man versteht sich - trotz unterschiedlicher Sprachen. Man ist auf einer Wellenlänge. Und das ist keineswegs nur eine Sache des Intellekts, sondern auch eine des Herzens und der Emotionen.
    Der Dreifaltige ist Gott in sich schon Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft weiter auszudehnen auf alle Menschen – dabei spielt sein Heiliger Geist eine entscheidende Rolle: Er hält uns nämlich mit Gott zusammen und will Gemeinschaft unter uns Menschen stiften.

    Ein Kenner dieser neuen Technologie, Henning Vöpel, formuliert einmal so: die KI „wird nichts an der ewigen Suche nach Wahrheit und Sinn ändern“. Sie eröffnen uns großartige Möglichkeiten und noch umfangreichere Informationen als bisher. Aber das Entscheidende dabei: wir müssen sie werten, wir müssen etwas draus machen. Deswegen kommt es so entscheidend auf den Heiligen Geist an. Mit seiner Kraft können und sollen wir Christen unterscheiden und uns entscheiden. Wir brauchen seine Weisheit, seine Einsicht, seinen Rat, seine Erkenntnis, um die Vielfalt der Informationen der Techniken, die uns dankenswerterweise heute zur Verfügung stehen, gut zu nutzen, sie werten und einschätzen zu können - um sie im Gottes Sinn und Auftrag anzuwenden. Die Menschen sind eben nicht ein Supercomputer, sondern lebendige Wesen, Gottes gute Geschöpfe und geliebte Kinder; wir Christen habe einen Auftrag: die Welt in Gottes Sinn zu gestalten und zu verändern. Das ist bei Leibe nicht nur ein Auftrag und eine Aufgabe, sondern auch eine Begabung: Gott schenkt uns diesen seinen Heiligen Geist, damit wir eines Geistes mit ihnen sind und diesen Auftrag auch gestalten können. Deswegen bitten wir immer wieder: „Sende aus deinen Geist und das Antlitz der Erde wird neu“.

    Aber es braucht genügend Raum für Gott, für seinen Geist. Es ist wie damals beim ersten Pfingstfest, als die Jünger aus Furcht bei verschlossenen Türen zusammen waren. Gottes Geist muss immer wieder durch diese Verschlossenheit hindurch kommen können und uns innerlich aufschließen, damit wir die Welt im Sinne Gottes erschließen können. Gottes Geist will immer wieder unsere Ängste, unsere Isolation, oft unsere selbst Isolation durchbrechen und öffnen. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen dieses Wunder von Pfingsten, die Dynamik des Heiligen Geistes, die uns nach innen und in die Tiefe weist und gleichzeitig mutig nach draußen und in die Weite führt.
  • Osterpredigt / Hamburg / 09. 04. 2023
    Es gilt das gesprochene Wort!

    Liebe Geschwister,

    der Kaiser von Atlantis ist eine Oper von Viktor Ullmann, die der Komponist und Musiker im KZ komponierte, also unter wohl ungewöhnlichsten Bedingungen. Ebenso ungewöhnlich ist ein Handlungsstrang dieser Oper, in dem sich die Umstände widerspiegeln: Angesichts des herrschsüchtigen Kaisers von Atlantis tritt der Tod in den Streik. Plötzlich stirbt niemand mehr.

    In den letzten Wochen und Monaten war Streik omnipräsent; nicht nur im Nachbarland Frankreich, wo eine ganze Republik auf die Straße geht, auch in vielen deutschen Bundesländern wurde groß angelegt gestreikt. Klimastreik, Ärztestreik und am 27. März dann der Mega-Streik, der ganz Deutschland lahmlegte. Nur der Tod streikte - wie wir wissen - an diesem Tag und an vielen anderen nicht. Menschen starben und sterben nach wie vor.

    Das hat mich an diesem Osterfest zu der Frage gebracht: Ist Ostern etwa der Mega-Streik des Todes, ein Tag, an dem er sein Handwerk niederlegt? Ich glaube, das Bild hinkt. Denn ein Streik geht gewöhnlich irgendwann wieder zu Ende. Und wenn der Tod es sich anders überlegen würde und seine Arbeit wieder aufnehmen wollte, dann wäre nichts gewonnen, alles wie gehabt.

    Aber vielleicht kann uns an diesem Osterfest trotzdem der Gedanke vom Streik in unserem eigenen Glauben ein wenig weiterhelfen. Man kann sich schon die Auseinandersetzung zwischen Tod und Leben, zwischen Jesus und dem Ende wie einen harten Zweikampf vorstellen. Das sind Tarifverhandlungen, und seien sie noch so hart, wohl nichts gegen.

    Die Ostersequenz, der Hymnus, der in der Ostermesse vor dem Evangelium gesungen wird, spricht bildlich ausdrücklich von einem Duell, wie es noch keines gegeben hat:

    „Tod und Leben, die kämpften,
    unbegreiflichen Zweikampf;
    des Lebens Fürst, der starb,
    herrscht nun lebend.“

    Aber mit welchen Waffen wird dieser Kampf gekämpft? Offenbar nicht dadurch, dass der Tod seine Arbeit einstellt, die Waffen niederstreckt und kapituliert. Aber genauso wenig dadurch, dass Jesus immer weiter aufrüstet und sich sozusagen bis an die Zähne bewaffnet. Der Tod wird nicht durch Hochrüstung und Aufrüstung mit noch so schlagkräftigen Waffen besiegt.

    Der Kampf verläuft ganz anders: die entscheidende strategische Weichenstellung liegt auf Seiten Jesu. Er rüstet nicht auf, er rüstet vielmehr ab - oder vielleicht sollten wir sagen: er rüstet um, wie er es sein ganzes Leben bereits getan hat. Seine Waffe, wenn man denn das überhaupt als Waffe bezeichnen darf, ist die Liebe, also die pure Entwaffnung. Jesus schlägt nicht zurück. Er hält das durch bis zum letzten Atemzug: er zieht auf einem Esel in die Stadt; als Petrus mit dem Schwert dreinschlägt, heilt er den verletzten Soldaten; auf den verräterischen Kuss des Judas antwortet er nicht mit Abweisung. Auf dem Kreuzweg, auf dem er bespuckt, geschlagen und verhöhnt wird, schlägt er nicht zurück. Am Kreuz ist der angenagelt bis zur Bewegungslosigkeit. Und als man ihm zuruft: „Hilf dir doch selbst“ lässt er sich auf keine theologischen Diskussionen ein. Selbst als sie ihm sagen „Steig doch herab vom Kreuz“, bleibt er und harrt in dieser Position aus. Er geht diesen Weg bis zur letzten Station. Und die allerletzte Station ist sein Hinabsteigen in das Reich des Todes, wie wir das im Credo ausdrücken, also das Aushalten der Einsamkeit und Verlassenheit, die der Tod mit sich bringt. In diese Lage bringt Jesus seine Liebe hinein und verwandelt damit alles. Es ist diese unbedingte Liebe, die unbedingte Gewissheit, die uns erlöst. Erlösung, Ostern, Auferstehung ist nichts anderes als diese pure, bedingungslose Liebe des dreifaltigen Gottes zu uns Menschen.

    Liebe Schwestern, liebe Brüder,
    er geht bis ins Letzte und damit taucht er alles, bis hin zum Tod in seine göttliche Liebe ein. Die streikt nämlich nie! Dadurch wird dieses Duell ein für alle Mal entschieden. Der Tod ist der Verlierer. Es ist die Ohnmacht der Liebe, die sich dem Tod ganz auslieferte und ihn deswegen an seiner empfindlichsten Stelle trifft und besiegt. Jesus hat sich nicht mit Gewalt durchgesetzt, sondern er hat sich eingesetzt mit dem, was er hatte für uns Menschen, mit seiner Liebe. Es ging ihm nicht um Selbstbehauptung, sondern um Selbsthingabe. Dadurch geschieht die entscheidende Wende in diesem Duell. Im Alten Testament hat es noch geheißen „Stark wie der Tod ist die Liebe“ (Hld 8,6). Seit Ostern können wir vertrauensvoll und froh steigern: die Liebe ist stärker als der Tod!

    Liebe Gemeinde,
    wenn ich mir all das vorstelle, dann muss mein Verstand mitkommen. Dann geht es mir manchmal so, dass nicht Jesus streikt, dass nicht der Tod in einen Ausstand tritt, sondern dass mein Verstand sich dagegen wehrt und sozusagen in einen Streik tritt. Seit Ostern weiß ich, dass dieser Glaubenskampf in mir nicht mit noch so guten Argumenten entschieden wird, sondern nur in bester Freundschaft, in persönlicher Beziehung, in meiner Nähe zu Jesus selbst. Ich wünsche Ihnen deswegen an diesem Osterfest die umwerfende Erfahrung der Liebe Jesu, die den Tod entmachtet hat und die auch mich gewinnen will. Vielleicht muss ich dazu auch manchmal meine lächerlichen Waffen strecken und mich auf seine pure Liebe einlassen. Ostern ist Liebe ohne Limit, ohne jede Einschränkung! Nichts als Liebe. Amen.
  • Predigt zur Chrisammesse / Hamburg / 03. 04. 2023
    Es gilt das gesprochene Wort!

    (1. Les.: Jes 61, 1-3a.6a.8b-9; 2. Les.: Offb 1, 5-8; Ev. : Lk 4, 16-21 )

    Liebe Schwestern und Brüder!
    Liebe Mitbrüder im diakonalen, priesterlichen und bischöflichen Dienst!

    Gott bleibt nicht abstrakt, rein geistig; er ist kein weltabgewandter Schöngeist, der sich selbst gefiele. Gott will immer konkret werden, in diese Welt, in unser Leben hineinsprechen und hineinkommen. Das zeigt sich auch in der ganzen Schöpfung, die eine einzige „Manifestation der Liebe Gottes“ ist (Papst Franziskus).
    Das ist auch ein Charakteristikum unserer katholischen Liturgie. Sie ist das „Gegenteil von spirituellen Abstraktionen“, so Papst Franziskus in seinem apostolischen Schreiben Desiderium Desideravi vom 29. Juni 2022 ( Nr.42). „Unsere Liturgie besteht aus Tatsachen, aus konkreten Zeichen: Brot, Wein, Wasser, Luft, Feuer, Asche, Stein, Tuch, Farben, Körper, Worte, Töne, Stille, Gesten, Raum, Bewegung, Handlung, Ordnung, Zeit, Licht“ (ebd.) Mit allen diesen Zeichen will Gott uns berühren, leiblich und persönlich.
    Eines dieser Zeichen ist das Öl. In dieser heiligen Messe wird es geweiht: das Öl für die Taufbewerber, das Öl für Taufe, Firmung und Weihe, der heilige Chrisam, und das Öl für die Kranken. Im Zeichen des Öles geht Gott nicht auf Distanz, sondern in Kontakt mit uns. Er berührt unser Leben, sehr feinfühlig.

    1. Energie
    Spätestens seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine spüren wir, wie kostbar Energie ist. Naturschützer und schöpfungsbewussten Menschen, darunter viele Christen, haben immer schon einen Wert darauf gelegt. Wenn wir heute die heiligen Öle weihen, dann wird uns diese Energiequelle vor Augen gestellt. Gleichzeitig mit ihr sehen wir auch die vielen Menschen, die unter Energiemangel leiden. Das dürfen wir im Rahmen der Liturgie durchaus auch im übertragenen Sinn deuten: Wir denken an die vielen, denen die Kraft zum Leben fehlt, die Energie zum Durchhalten, die sich ausgebrannt fühlen. Jedes dieser heiligen Öle wir deutlich machen, dass wir als Christen eine überirdische Kraftquelle haben, eine göttliche, Gott selbst: ER ist unsere Kraft! Die heiligen Öle wollen uns auf sehr leise Art und Weise darauf hinweisen, dass wir ohne diese Kraftquelle nicht Christ sein können, nicht Diakon, nicht Priester und auch nicht Bischof!

    2. Glanz
    Die Öle verleihen Glanz. In einer Zeit der Krise, der Mattigkeit, wo so vieles glanzlos und vergebens zu sein scheint, da tut es gut, auf die Glanzpunkte zu schauen, auf das, was leuchtet und strahlt. Wenn man in einer Krise ist, besteht die große Versuchung darin, sich in ihr einzurichten. Am Ende sieht man nur noch schwarz. Das wird der Realität nicht gerecht. Das Leben, der Mensch, die Kirche, der Glaube – sie sind doch nicht alle nur schlecht! Ja, das Leben ist herausfordernd und die Liste der Schattenseiten ist nicht gerade kurz, aber das Leben ist schön und (das ist beileibe nicht nur ein Filmtitel). Es ist zu allererst schön. Franz Kafka vertritt die Überzeugung: Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird niemals alt werden. Für viele Theologen ist Schönheit eine unverzichtbare Kategorie. Gerade in der Feier des Paschamysteriums in dieser Woche offenbart sich uns die wahre Schönheit der Liebe Gottes.
    Der Mensch, wir, ich bekommen vieles nicht geregelt, versagen, scheitern, sündigen. Aber selbstverständlich gibt es auch Großtaten von Menschen, gelingende Beziehungen, Gemeinschaft, Versöhnung… Gleiches gilt für die Kirche: Man kann Kirchengeschichte als Skandalgeschichte schreiben; man kann als ein einziges Schwarzbuch lesen. Aber es gibt auch die Heiligen; es gibt das Helle, das Strahlende, das Weißbuch. Es gibt das, was wächst und gedeiht, sei es noch so klein und oft ganz anders, als wir es aus der Vergangenheit gewohnt sind. Oft geschieht es genau da, wo wir es nicht erwarten oder suchen. Dieses schöne gibt es auch im Erzbistum Hamburg. Im Sinne der revision de vie könnte es geradezu eine tägliche geistliche Übung sein, am Abend bei der Komplet dem Herrn für wenigstens drei schöne Erfahrungen eines Tages Dank zu sagen.

    3. Leben
    Jedes dieser Öle ist flüssig. Es ist nicht abgestanden, nicht eingetrocknet, erst recht nicht ranzig geworden. Das Öl fließt. Es ist ein Zeichen des lebendigen Glaubens. Manchmal sagen Priester, wenn die Priesterweihe noch nicht allzu lange hinter ihnen liegt, dann sei das Chrisam, das bei der Weihe aufgetragen wurde, immer noch flüssig. Eigentlich sollte man das nicht nur spaßeshalber sagen, sondern den tieferen Sinn dahinter sehen. Es gilt unsere Berufung im Fluss zu halten, sie soll lebendig bleiben, und eben nicht abgestanden, vertrocknet, porös sein. Und das gilt selbstverständlich nicht nur für Geweihte, sondern für jeden Christen. Wir alle sind in Taufe und Firmung mit diesem Chrisam gesalbt worden. Unsere Berufung liegt niemals hinter uns als ein Ereignis vergangener Tage. Berufung ist und bleibt immer aktuell, sie ist nie überholt. Wir leben Tag für Tag aus Gottes Ruf und versuchen stets neu darauf Antwort zu geben. Wo wir auf diesen Ruf hören und ihm antworten, da bleibt unsere Berufung lebendig und im Fluss wie dieses Öl!

    Liebe Schwestern und Brüder,
    diese Öle wollen uns Gottes Energie schenken, unser Leben und Glauben zum Glänzen bringen und und unsere Berufung im Fluss halten. Wir weihen sie heute. Sie gehen mit uns durch das Jahr bis zur nächsten Karwoche 2024. Sie sind unsere Begleiter und zeigen uns, dass wir an keinen abstrakten Gott glauben, sondern einen, der konkret den Menschen umsorgt.
    Liebe Mitbrüder, immer, wenn wir die Öle benutzen, wenden wir sie nicht nur an anderen an, sondern sie bleiben auch an unserem eigenen Daumen. Vermitteln Sie diese Zeichen bitte nicht nur den Gläubigen, sondern nehmen Sie es ebenso als Zeichen für sich selbst. Mit diesem Zeichen will Gott konkret auch in mein Leben als Diakon, Priester und Bischof hineinsprechen und hineinwirken. Amen.
  • Hirtenwort von Erzbischof Dr. Stefan Heße anlässlich des Ansgarfestes 2023 / Hamburg / 03. 02. 2023
    Liebe Schwestern, liebe Brüder,

    Hoffnung und Zuversicht brauchen wir Menschen, um zu leben. Momentan sehen viele mit großen Sorgen der Zukunft entgegen. Der Krieg in der Ukraine und alle seine Folgen, der Klimawandel und die Situation der Kirche – all das stellt uns vor große Herausforderungen. Es ist nicht leicht, diese Ungewissheiten auszuhalten. Wer dabei nicht mehr hofft, gibt auf! Wer dagegen hoffen kann, ist immer ein paar Schritte voraus. Hoffnung ist ein „unerschöpflicher Energiespender“, wie Johannes Paul II. sagte.

    Wir Christinnen und Christen finden kraftvolle Ermutigung zur Hoffnung in der Heiligen Schrift. „Werft eure Zuversicht nicht weg“ (vgl. Hebr 10,35); haltet an der Hoffnung fest (vgl. Hebr 3,6); „versteht, zu welcher Hoffnung ihr berufen seid“ (vgl. Eph 1,18); gebt jederzeit Rede und Antwort von der Hoffnung, die euch erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15).

    Sich für die Hoffnung zu entscheiden, hat nichts mit Leichtfertigkeit zu tun. Es ist nicht naiv. Als Christinnen und Christen leben wir davon, dass unser Leben sinnvoll ist. Diese Hoffnung und Zuversicht erleichtern uns die gegenwärtigen Belastungen.

    Eines der bedeutendsten Schreiben des jüngst verstorbenen Papstes em. Benedikt XVI. ist die Enzyklika „Spe salvi“. Darin schreibt er von der christlichen Hoffnung: „Wir brauchen die kleineren oder größeren Hoffnungen, die uns Tag um Tag auf dem Weg halten. Aber sie reichen nicht aus ohne die große Hoffnung, die alles andere überschreiten muß. Diese große Hoffnung kann nur Gott sein, der das Ganze umfaßt und der uns geben und schenken kann, was wir allein nicht vermögen.

    Gerade das Beschenktwerden gehört zur Hoffnung. Gott ist das Fundament der Hoffnung – nicht irgendein Gott, sondern der Gott, der ein menschliches Angesicht hat und der uns geliebt hat bis ans Ende: jeden einzelnen und die Menschheit als ganze.“ (Spe salvi, 31)

    Hoffnung ist nicht einfach Optimismus, erst recht kein naiver. Wer hofft, der behält einen klaren Blick für den Ernst der Lage, aber er lässt sich davon nicht entmutigen. Im Gegenteil, er nimmt wahr, was ist, und versucht es mit allen Kräften zu gestalten. „Hoffnung springt in die Lücke, die die Ungewissheit hinterlässt“ (M. Seewald). Sie wirft uns nicht auf das Vergangene und Althergebrachte zu rück und hält uns auch nicht im „Dazwischen“ fest, sondern gibt uns den Mut, über den Horizont hinauszuschauen und in die Zukunft hineinzugehen.

    Es ist daher gut, dass wir uns als Kirche in Deutschland und im Erzbistum Hamburg aufgemacht haben, um ernste und notwendige Themen anzugehen. Einiges ist schon auf den Weg gebracht, vieles liegt noch vor uns. Die Missbrauchsthematik, der Synodale Weg und nicht zuletzt die Weltsynode fordern uns heraus. Umso mehr brauchen wir Hoffnung, um in die Zukunft zu gehen, die immer unbekannt bleiben wird.

    Liebe Schwestern, liebe Brüder,

    zum Jahreswechsel sind mehrere Tausend Jugendliche zum europäischen Treffen der Gemeinschaft von Taizé nach Rostock zu uns ins Erzbistum Hamburg gekommen.

    Es war bewegend, mitten unter ihnen zu sein und dieses Zeichen der Hoffnung mitzuerleben. Ich bin froh, dort auch einigen aus unserem Bistum begegnet zu sein. Unsere Gemeinden in der Region waren großartige Gastgeber. Dafür danke ich ganz herzlich!

    Das Treffen in Rostock hat zwei Wegweiser der Hoffnung aufgestellt, die die Jugendlichen mit in das neue Jahr genommen haben: inneres Leben und Solidarität. Wir brauchen ein intensives inneres Leben als Christinnen und Christen. Wer darin verwurzelt ist, der kann hoffen. Das Symbol der Hoffnung ist nicht von ungefähr der Anker, er reicht tief auf den Meeresgrund hinunter und macht sich dort fest, wie der Mensch in Gott. Vom inneren Leben der Jugendlichen konnte man beim Treffen in Rostock vor allen Dingen bei den Gebeten etwas spüren: Die schönen Liedrufe von Taizé wurden meditativ wiederholt und führten in die Tiefe. Wenige Worte aus der Heiligen Schrift wurden vorgetragen und konnten in der Stille, wie auf einem Ackerfeld, in uns eindringen. Besondere Zeichen, wie das Entzünden der Lichter oder das Gebet vor dem Kreuz, waren sehr eindrücklich. Ähnliches erlebe ich seit fast einem Jahr, wenn wir am ersten Mittwoch im Monat zur stillen Anbetung vor dem Allerheiligsten in unserem Dom für zwei Stunden zusammenkommen. Äußerlich passiert scheinbar nicht viel, aber innerlich umso mehr.

    Damit die Hoffnung wachsen kann und uns zu einem festen Fundament wird, braucht es ein inneres, spirituelles Leben. Hier finden wir Kraft, Ausrichtung und Ermutigung, um dann die notwendigen äußeren Schritte anzugehen. In unserem Erzbistum haben wir viele äußere Veränderungen zu bewältigen. Ich denke besonders an die Immobilienreform, die allen Pfarreien wortwörtlich an die Substanz geht. Es ist verständlich und menschlich, dass uns das Aufgeben von vertrauten Formen und Orten schwerfällt und wehtut. Nicht wenige fragen sich, wie es weitergehen soll mit dem Gemeindeleben. Der Gedanke an Abbruch und Abbau der Kirche macht uns traurig und lähmt bisweilen.

    Liebe Schwestern und Brüder,

    mit Blick auf diese Herausforderungen lade ich Sie daher ein, sich zu fragen, wie inneres Leben wachsen kann. Damit wir zugerüstet und gestärkt weitergehen können und neue Horizonte erkennen, braucht es die Verwurzelung in der Hoffnung, die aus dem inneren Leben wächst. Unser Erzbistum bietet dazu zahl reiche Angebote an: von Exerzitien bis hin zu Bibelworkshops oder Vortragsreihen. Manche Gemeinden haben Gesprächskreise und Bibelgruppen, die der Verwurzelung im Wort Gottes dienen können. Wenn es in Ihrer Nähe kein Angebot gibt, seien Sie mutig und machen den ersten Schritt, indem Sie z. B. eine Gebetszeit in der Pfarrkirche anbieten, einen Lesekreis zu theologischer oder geistlicher Literatur ins Leben rufen oder woanders aufsuchen. Es wäre ein großes Hoffnungszeichen, wenn wir in unseren Gemeinden und im persönlichen Leben die großen Umbrüche aus dem Gebet heraus begleiten.

    In unseren Teams – seien sie hauptamtlich, ehrenamtlich oder gemischt – können wir die Stärke unserer Hoffnung dann zur Entfaltung bringen, wenn wir uns die Zeit dafür nehmen, sie ins Wort zu bringen, sie auszudrücken. Beim Taizé-Treffen in Rostock war das spürbar: Hoffnung, die im Gemeinsamen und im Gebet ihren Ausdruck findet. Trauen auch Sie sich, gemeinsam über Ihre Hoffnung zu sprechen!
    Unser Gebet und inneres Leben dürfen dabei nicht zur Flucht vor den Herausforderungen der Welt führen. Deswegen haben die Jugendlichen in Rostock bei Workshops und Gesprächsrunden immer wieder danach gesucht, wie sie sich für Gerechtigkeit einsetzen können und für mehr Solidarität untereinander. Es war ermutigend zu sehen, mit welchem Engagement diskutiert und überlegt wurde. Wir alle können einen kleinen Beitrag leisten, um das gemeinsame Wir zu stärken. Statt Konkurrenz kommt es auf Kooperation an. Nur aus der Kraft der christlichen Hoffnung können wir erfüllt leben und unser Leben gestalten.

    Liebe Schwestern und Brüder,

    wie leben wir Gerechtigkeit und Solidarität? Dieser Auftrag ist nicht ausschließlich an die Hauptamtlichen bei der Caritas gerichtet. Es kommt auf jede und jeden von uns an. In der Adventszeit haben mich zahlreiche Briefe von Menschen erreicht, die vereinsamt sind oder am Rande der Armutsgrenze leben. Ich war betroffen zu lesen, welche schweren und belastenden Situationen einige unserer Brüder und Schwestern auszuhalten haben. Es ist gut, dass wir den Blick für die großen Nöte der Welt haben – dafür bin ich sehr dankbar!
    Die Paketaktion für die Ukraine war ein großes Zeichen der Solidarität. Sehen wir auch die Menschen in unserer unmittelbaren Nähe, die sich aus Scham oder Hilflosigkeit zurückhalten? Die Alterseinsamkeit ist nach wie vor ein Tabuthema, das zu wenig Beachtung findet. Die Inflation hat vielen ohnehin bedürftigen Menschen eine weitere Sorge hinzugefügt. Ich rege an, in unseren Gemeinden und in der Nachbarschaft einen wachen Blick zu entwickeln, wo wir Solidarität leben können – und zwar über unsere katholischen Kreise hinaus.

    Inneres Leben und Solidarität – diese beiden Schwerpunkte werden unsere Kirche verändern und bringen sie immer wieder auf den richtigen Kurs.

    In der großen Versammlungshalle der Jugendlichen in Rostock hingen zeitgemäße Modellschiffe, wie sie traditionell als Votivgabe in manchen unserer Kirchen hier im Norden hängen. Längst ist die Kirche kein großer und stolzer Luxusdampfer mehr. Im Gegenteil, das Schiff der Kirche hat viele Lecks und kräftig Schlagseite. Und dennoch: In diesem Bild der kleinen Schiffe deutet sich für mich etwas Neues an, eine neue Gestalt von Kirche. Sie wird wohl eher den kleinen Booten, den Barkassen ähneln, wie man sie in jedem großen Hafen findet. Wenn unsere Kirche immer mehr den Barkassen ähnelt, so wirkt dies nur auf den ersten Blick wie ein Abstieg. Diese Boote sind aber viel näher an dem kleinen Boot dran, in dem Jesus mit seinen Jüngern auf dem See Genezareth gesessen hat. Kleine Boote sind weniger aufsehenerregend, dafür jedoch wendiger und schneller zu manövrieren. Kleine Boote bedeuten, dass mehr Menschen Verantwortung übernehmen und sich zuständig fühlen.

    Daher bekräftige ich die herzliche Einladung, sich bewusst zu machen: Wie kann ich Gerechtigkeit leben und bringen? Wie kann ich das innere Leben in mir selbst, meiner Familie und meiner Gemeinde fördern? Kleine Boote bedeuten auch eine größere Nähe im Miteinander, wenn auch im kleineren Kreis.
    Hier möchte ich eine Gruppe unseres Erzbistums ansprechen: Liebe Jugendliche, die Kirche ist auch Euer Boot. Der Glaube an Jesus Christus bringt immer Gemeinschaft mit sich. Einige von Euch waren in Rostock, andere haben sich zu dem bevorstehenden Weltjugendtag in Lissabon angemeldet. Gleichaltrige zu treffen, denen der Glaube wichtig ist, stärkt den eigenen Weg mit Gott und ist eine wichtige Erfahrung. Deshalb möchte ich etwas anregen: Unter dem Motto „Zeigt Eure Hoffnung!“ lade ich Euch diesen Sommer zu einem Austausch ins Bischofshaus ein. Hier können wir in kleinen Gruppen darüber diskutieren, welche Bedeutung der Glaube und die Kirche für Euch hat.

    In Vorbereitung auf unsere Begegnung würde ich gerne erfahren, was Euch mit Hoffnung erfüllt und wie Ihr sie lebt. Es würde mich freuen, wenn viele von Euch mir ihre Gedanken mitteilen – ob per E-Mail oder über unsere Social-Media-Kanäle, als Video, Text oder in anderer Weise. Liebe junge Menschen, bringt bitte Eure Kreativität, Euer Engagement für die Gerechtigkeit und Eure Suche nach Gott und dem inneren Leben mit voller Kraft ein. Sucht Euch ein, zwei Mitstreiter_innen und wagt etwas. Baut eine Brücke zwischen Euch. Zur Hoffnung gehört immer Gemeinschaft. Man kann nicht mutterseelenallein für sich hoffen. Gemeinsam seid Ihr das junge Gesicht einer vielfältigen Kirche hier im Erzbistum Hamburg.

    Liebe Schwestern und Brüder,

    „wer hofft, ist jung“, sagt die Dichterin Rose Ausländer. Diese Frische, diese Jugendlichkeit wünsche ich nicht nur den jungen Menschen, sondern uns allen.
    Bleiben Sie alle in guter Hoffnung behütet und gesegnet.

    Ihr
    Erzbischof Dr. Stefan Heße
  • Predigt im Requiem für Weihbischof em. Norbert Werbs / St. Marien-Dom / Hamburg / 13. 01. 2023
    Es gilt das gesprochene Wort!

    (Les.: 1 Thess 5,16-24; Ev.: Joh 17,24-26 )


    Liebe Schwestern und Brüder!

    Weihbischof Werbs habe ich erst so richtig kennengelernt in seiner Zeit als Ruheständler. Als ich vor acht Jahren Erzbischof von Hamburg wurde, hatte ich bereits ein paar Monate später die Aufgabe, Norbert Werbs zu danken und ihn aus dem aktiven Dienst zu verabschieden. Für mich als junger und neuer Bischof war es gar nicht so leicht, jemanden zu würdigen, der bis dahin schon weit über 30 Jahre als Bischof gewirkt hat. Sein 40-jähriges Bischofsjubiläum fiel 2021 mitten in die Corona-Pandemie. Wir wollten es zuerst noch in kleinem Kreis begehen, aber Norbert Werbs hat zwei-, dreimal darüber nachgedacht und dann erklärt, dass dies aufgrund der allgemeinen Situation nicht sinnvoll ist. Solche Feiern lagen ihm ja grundsätzlich nicht.

    Heute stehen wir an seinem Sarg, hier im Hamburger St. Marien-Dom. Im vergangenen Jahr hatte er es einigen anvertraut und kurz vor seinem Tod ausdrücklich noch einmal gegenüber seiner Schwester bestätigt, dass er bewusst hier beerdigt werden möchte. In seinem letzten Willen hat er es uns auch schriftlich hinterlassen. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, zum Erzbistum Hamburg als Ganzem zu stehen und seit dessen Gründung 1995 bis zu seiner Emeritierung 2015 immerhin 20 Jahre Weihbischof und Mitglied des Domkapitels dieser Erzdiözese gewesen zu sein. Ich danke Norbert Werbs ausdrücklich für dieses Zeichen für die Einheit unseres Bistums.

    Norbert Werbs war ein im besten Sinne des Wortes „einfacher“ Bischof. Damit meine ich ganz gewiss nicht einfältig. Er war aber überaus bescheiden. Er hat eben einfach gelebt, also nicht zweifach, dreifach, hier so und dort anders. Sein Lebensstil war genügsam. Das Bischofshaus in Schwerin war kein Palazzo prozzo. Er fuhr oft das Auto selbst. Früher durfte es durchaus das Fahrrad sein, in der letzten Zeit war es der Zug. Die Verbindungen und Fahrpläne kannte er bestens. Seine Wohnung in Neubrandenburg war äußerst bescheiden wie die früheren Urlaube, bei denen er manchmal mit dem eigenen Zelt unterwegs war. Ein auf seine Art und Weise wohltuend bescheidener und unprätentiöser Bischof im Hinblick auf die persönliche Lebensweise. Und dennoch genoss er hohen Respekt, eine gesunde Autorität als Person.

    Dieser einfache Bischof war einfach da. Er war zur Stelle bei Gottesdiensten, bei Feiern, bei Versammlungen. Er erwartete das auch von den Seelsorgern. Bei vielen Einladungen, die er in Mecklenburg ausgesprochen hat, gab es oft nur die Möglichkeit zuzusagen, aber nicht abzusagen. Im vergangenen Dezember war er noch beim Begräbnis eines Mitbruders einfach dabei. Wie viele alte und kranke Mitbrüder hat er unkompliziert besucht oder angerufen? Bei unseren regelmäßigen Bischofstreffen in Hamburg musste schon etwas Außergewöhnliches passiert sein, wenn Norbert nicht dabei war.

    Seelsorge, priesterlicher Dienst, Kirche überhaupt - all das geht nur, wenn ich da bin, wenn ich dabei bin. Ohne mich, ohne uns, ohne jeden einzelnen wird das Gebäude der Kirche wacklig und löchrig. Das gilt nicht erst für den Bischof, sondern für jedes einzelne Glied der ganzen Kirche. Norbert Werbs hat das selbstverständlich gelebt und uns damit ein wichtiges Beispiel gegeben.

    Bischof Norbert war von seiner Gestalt her ein großer Mensch. In der Familie war er das erste von sieben Geschwistern. Sie, liebe Frau Dr. Stepan, haben mir gesagt: „Für mich war er immer der Große“. Man sah ihn von weitem – erst recht mit der Mitra auf dem Kopf. Weihbischof Werbs war für viele ein Orientierungspunkt. Er war nicht das Fähnchen im Wind. Man wusste bei ihm, woran man war. Ein verlässlicher, aber beileibe kein verbohrter Mensch. Das zeigt sich zum Beispiel bei seiner Standfestigkeit gegenüber den DDR- Behörden, als es etwa um die „Frohe Herrgottstunde“ in Parchim ging oder um die Durchführung einer Fronleichnamsprozession in Neubrandenburg. Diese Geradlinigkeit legte er an den Tag als Leiter des Seelsorgereferates in Schwerin, als Vorsitzender der Caritas in Mecklenburg, in der Kirchenmusik– und Liturgiekommission des Erzbistums Hamburg und in der Deutschen Bischofskonferenz in den Kommissionen I (Kommission für Glaubensfragen) und VII (Kommission für Erziehung und Schule). Bis 2011 war er auch in der Unterkommission für Mittel- und Osteuropa (Renovabis) vertreten.

    Bei alldem hat Weihbischof Werbs nicht sich in die Mitte gestellt, sondern den, für den er angetreten ist: Gott. Wenn wir Gott groß sein lassen, werden wir selber groß. Dann sind wir Gottes Geschöpfe und bringen ihn zum Leuchten in dieser Welt. (Gott groß machen, ihn wirklich großschreiben, war im Kommunismus etwas Herausforderndes. In der Zeit der kommunistischen Regierung konnte z.B. ein Buch von Alexander Solschenizyn nicht gedruckt werden, weil der Autor unerbittlich darauf bestand, dass das Wort Gott mit dem ersten Buchstaben groß geschrieben werden müsse, was nicht erlaubt war. Gott musste unter der Macht der Ideologie klein geschrieben werden.) Norbert Werbs wusste: Wo Gott groß gemacht wird, da wird auch der Mensch groß gesehen. Es war klar: Gott war für ihn groß, der Größte. Das hat er bis zuletzt gelebt, auch in Zeiten der Säkularität. Ganz gewiss war dies für ihn nicht einfach. Zu Wendezeiten hatte er gehofft, dass die Menschen, die sich nun frei für oder gegen Gott, den Glauben, die Kirche entscheiden konnten, den Weg zu uns fänden. Resigniert stellte er mir gegenüber fest: „Und nichts davon ist eingetreten“. Ich konnte förmlich den Schmerz mitempfinden, der ihn damals berührte.

    Mir ist deutlich geworden, dass Norbert Werbs schon als Kaplan frühzeitig Verantwortung übernommen hat bei der Vorbereitung und Durchführung der pastoralen Synode in der damaligen DDR. Immer wieder hat er darüber vor verschiedenen Gremien in Mecklenburg berichtet und gebündelt. Als junger Weihbischof hat er dann 1991 an der Europa-Sondersynode in Rom teilgenommen. Seine Intervention ließ damals viele aufhorchen. Wenn ich sie heute noch einmal lese, muss ich feststellen, dass sie damals prophetisch war. Norbert Werbs hat damals eher Fragen gestellt als Antworten gegeben. Dieselben Fragen finden Sie heute nahezu wortgleich im Synodalen Weg hier in Deutschland und in der Weltsynode. Norbert Werbs hat seine Stellungnahme in Rom beendet mit den Worten: „Ich weiß, dass ich mehr Fragen gestellt habe, als wir Antworten parat haben. Aber wir sollten für die Anfragen unserer Brüder und Schwestern und unserer Mitmenschen sensibel sein. Als Boten der frohen Botschaft müssen wir ständig prüfen, welche Lasten wir im Namen Christi auferlegen müssen und welche wir von den Schultern der Menschen nehmen dürfen“.

    Hier klingt noch einmal das Bischofswort von Weihbischof Werbs an, das er aus dem ersten Thessalonicherbrief genommen hat: „Prüfet alles und behaltet das Gute“. Es ist sicher im Sinne unseres Verstorbenen, den Herausforderungen immer tiefer auf den Grund zu gehen, sie zu prüfen; aber alle Prüfungen benötigen auch irgendwann ein Ergebnis. Gut 30 Jahre nach seiner römischen Intervention ist es dafür höchste Zeit! Vielleicht finden wir so besser den Weg zu den Menschen. Denn Kirche ist niemals um ihrer selbst willen da, sondern zu den und für die Menschen gesandt.
  • Predigt am Jahrestag der Gründung des Erzbistums Hamburg, Vorabendmesse zum Fest der Taufe des Herrn / St. Marien-Dom / Hamburg / 07. 01. 2023
    Es gilt das gesprochene Wort!


    (Schrifttexte: Jes 42, 5a.1-4.6-7; Apg 10, 34-38; Mt 3,13-17)

    Liebe Schwestern und Brüder,

    Jesus geht zur Taufe aus Galiläa bewusst hin an den Jordan, also genau da hin, wo Johannes der Täufer steht und die Menschen tauft. Er ruft sie aus der Stadt in die Wüste, er ruft sie aus dem Alltag in die Stille, aus dem umtriebigen Tun in die Konfrontation mit ihrem Gott. Johannes macht ihnen deutlich: Es kann so nicht weitergehen, ihr müsst euch bekehren auf Gott hin und das letzte Zeichen dafür ist die Taufe, die ich euch hier spende. Es ist nur allzu verständlich, dass dieser Täufer Jesus davon abhalten will: Du brauchst das nicht!

    Es ist etwas ganz Besonderes, dass Jesus sich in die Reihe der Sünder und der Umkehrwilligen mitten hineinstellt. Wenn er hier am Jordan zu sehen ist, dann wissen wir, dass dies einer der tiefsten Punkte dieser Erde ist. Und genau das ist die Botschaft: Jesus stellt sich an den Tiefpunkt. Jesus stellt sich in die Gebrochenheit des menschlichen Lebens. Sünde ist immer Gebrochenheit und Tiefpunkt. Das ist die Botschaft hier am Jordan, das ist die Botschaft des Lebens Jesu grundsätzlich: Jesus nimmt An-Teil an der Zerbrechlichkeit der Menschen. Er greift aber nicht mit starker Hand durch. Die Lesung aus dem Buch Jesaja sagt es im Hinblick auf den Gottesknecht, in dem wir Jesus Christus sehen können, ganz deutlich: Er zerbricht nicht und nichts! Im Gegenteil: Im Laufe seines Lebens kommt Jesus immer wieder mit der Gebrochenheit der Menschen in Kontakt: Allen voran den vielen Kranken, die man bewusst zu ihm hinträgt. Auch der Menschen mit ihrer Schuld, Menschen mit ihrer je eigenen Biografie und Geschichte, in der beileibe nie alles rund läuft. Das Versagen im eigenen Jüngerkreis. Die Angst derer, die sich dann aus dem Staub machen und weglaufen. Manche, die es nicht aushalten bis zum Schluss beim Leiden dabei zu sein. Man hat den Eindruck: Die ganze Gebrochenheit und Zerbrechlichkeit der Welt und des Menschen kommen mit Jesus in Berührung.

    All das vernichtet er nicht, sondern will es in Ordnung bringen. Aber das tut er nicht, indem er die Dinge neu sortiert, wie man Dinge im Schrank oder Bücherregal ordnet. Das tut er nicht, indem er bloß von außen ansetzt und repariert. Jesus will immer von innen her heilen. Er ist nicht einfach ein Reparateur, sondern unser Erlöser, nicht reparator, sondern salvator. Deswegen tritt er an diese Bruchstelle zwischen Gott und den Menschen hier in der Taufe im Jordan und stellt sich genau dahin. Er taucht sozusagen in das Schicksal des Menschen voll und ganz ein. Das tut er dann auch folgerichtig am Ende seines Lebens, indem er dieses Leben beschließt und den Tod durchleidet.

    Liebe Schwestern und Brüder!

    1995 wurde unser Erzbistum gegründet. Wir feiern heute unseren 28. Geburtstag. Ich wünsche der Kirche von Hamburg, dass sie wie Jesus selber immer mehr an den Tiefpunkten der Gebrochenheit und der Zerbrechlichkeit der Menschen zugegen ist. Dann ist sie am richtigen Platz und ich habe die Gewissheit, dass wir dann wissen, was zu tun und zu sagen ist.
  • Predigt des Erzbischofs zum Hochfest der Erscheinung des Herrn / St. Marien-Dom / Hamburg / 06. 01. 2023
    Es gilt das gesprochene Wort!


    (Schrifttexte: Jes 60,1-6; Eph 3,2 - 3a. 5-6; Mt 2,1-12)

    Liebe Schwestern und Brüder!

    Zuerst eine Feststellung: Die jüdischen Gelehrten, die Religionsexperten, die Schriftgelehrten – sie forschen, aber sie brechen nicht nach Bethlehem auf. Bei ihnen scheint sich nichts zu bewegen. Sie verharren. Die Magier dagegen scheinen aufgeschlossen, innerlich bewegt, derart unruhigen Herzens zu sein, dass sie sich auf den Weg machen. Dabei scheuen sie sich nicht vor dem Risiko, sich u.U. dem Spott und der Lächerlichkeit auszusetzen. Aber sie haben offenbar den Mut zum Widerspruch, die Demut von Menschen, die bereit sind, sich nach Größerem auszurichten.

    Ein Zweites: Diese Magier, diese Weisen, heute einfach Könige genannt – sind zuallererst Menschen, die nicht Juden sind und d. h. in der damaligen Vorstellung: Es sind Heiden. Genau da setzt Paulus in der heutigen Lesung auf dem Epheserbrief an: Diese Heiden sollen dazu gehören. Er sagt: Sie sind Erben, sie sind Miterben. Sie haben Anteil an der frohen Botschaft, die Verheißung gilt nicht nur einem inneren Kern, einigen wenigen, sondern allen. Das heutige Fest macht deutlich, dass das Kind für alle Menschen aller Zeiten auf diese Welt gekommen ist und keinen aus-schließt. Deswegen sprechen die alttestamentlichen Texte an diesem Tag von der „Wallfahrt der Völker“ zum neugeborenen Kind. Das Kind will alle Menschen aller Zeiten aller Länder erreichen. Alle können sich zu ihm aufmachen.

    Mir scheint das eine sehr aktuelle Botschaft zu sein für die Gegenwart, auch für unser Land. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass weniger als die Hälfte der Deutschen noch einer der großen Kirchen angehört. Natürlich hat unser Land nach wie vor seine christlichen Wurzeln, aber es ist immer weniger davon geprägt. In einer solchen Situation tun der Text des heiligen Paulus und das heutige Fest gut. Sie weisen uns darauf hin, dass wir nicht eine Kirche der wenigen Aus-erwählten sind, sondern eine Weltkirche für die ganze Menschheit.

    Und schließlich: Diese Magier, Könige, Heiden brauchen diesen Stern. Ohne ihn hätten sie den Weg zur Krippe und damit zu Jesus nicht gefunden. Sie benötigen diesen Wegweiser. Wir alle brauchen solche Wegweiser, Zeichen, Ereignisse, Worte, Menschen, die uns auf die Spur bringen und zu Jesus Christus hinführen. Keiner kann ohne eine solche Vermittlung den Weg zu Jesus finden. Das ist auch die wichtigste Aufgabe der Kirche. Sie hat den Dienst zu vermitteln, auf Christus hin zu vermitteln und auf ihn zu verweisen und natürlich untereinander zu vermitteln. Die Kirche ist nicht die Mitte, sondern höchstens Mittel. In der Mitte steht Christus und die Kirche soll auf ihn verweisen. Mir scheint, dass uns das zur Zeit mehr schlecht als recht gelingt. Die Kirche soll wie ein Stern sein. Ich selber soll solch ein leuchtender Stern für andere sein, um ihnen den Weg zum Herrn zu weisen.

    In diesen Tagen zeigen uns vielfach die jungen Menschen, die Kinder, die als drei Könige verkleidet unterwegs sind und den Stern in den Händen halten, wie wir füreinander Stern sein können. Ich wünsche Ihnen allen zu Beginn dieses neuen Jahres, dass nicht nur Gottes guter Stern über unserem Leben leuchtet, sondern dass wir füreinander wie ein guter Stern sein können. Amen
  • Predigt zum Pontifikalrequiem für Papst em. Benedikt XVI. / St. Marien-Dom / Hamburg / 04. 01. 2023
    Es gilt das gesprochene Wort!

    (Schrifttexte: 2 Kor 5, 1.6-10; Joh 12, 23-26)

    Liebe Schwestern und Brüder,

    bei Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI wird etwas deutlich, das für jedes Leben gilt: Wir betrachten nur einzelne Facetten, bestimmte Seiten einer Persönlichkeit. Keiner hat die vollkommene Perspektive; keiner hat einen anderen ganz im Blick und sieht ihn so umfassend, wie er ist. Das kann nur einer, nämlich Gott selbst. Wenn Benedikt manches Mal davon gesprochen hat, dass er bald vor den Richter-stuhl Gottes treten werde, dann ganz gewiss nicht, um ab- oder verurteilt zu werden, sondern in der Perspektive: Hier werde ich gesehen, wie ich bin, wie ich ganz bin; freilich auch wie ich nach Gottes Plan hätte sein sollen, welche Möglichkeiten in mir steckten, von welchen ich Gebrauch gemacht habe, von welchen nicht. Für mich hat es etwas Tröstliches, dies der persönlichen Begegnung zwischen dem Einzelnen und Gott selbst zu überlassen. Deswegen kann ich mich damit begnügen, jetzt einige Linien in das Porträt von Joseph Ratzinger einzuzeichnen, die mir wichtig sind.

    Da ist zuallererst der Mensch Joseph Ratzinger, der nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass er Bayer ist: „Mein Herz schlägt bayerisch“. Dort ist er aufgewachsen mit Vater und Mutter und seinen Ge-schwistern Maria und Georg, mit denen er Zeit seines Lebens auf das Herzlichste verbunden war. Wir haben gerade vor einigen Jahren noch einmal erleben können, dass es ihm ein Herzensanliegen war, sich in Regensburg von seinem Bruder verabschieden zu können. Solange es ging, hielt er die Verbin-dung – und das gilt nicht nur für die Familie, sondern auch für andere Freunde und Wegbegleiter. Vielleicht deutet sich hier schon etwas an, was er in den Satz brachte: „Wer glaubt, ist nie allein“. Für Ratzinger begann das in der Familie und weitete sich aus in die Kirche, die für ihn die große Gemein-schaft Gottes mit den Menschen ist. Und dabei wusste er immer diesen Gott an seiner Seite. Joseph Ratzinger war ein Mensch des Gebetes, der auch in den großen Stunden der Einsamkeit um die Nähe Gottes wusste und ihm alles anvertrauen und übergeben konnte. Gerade als Papst dürfte er um diese Herausforderung gewusst haben und sie immer wieder ins Gespräch mit Gott genommen haben: Wer glaubt und diesen Glauben lebt, ist nie allein, nie getrennt von Gott. Bei seiner letzten Mittwochsaudi-enz am 27. Februar 2013 sagte er: „Acht Jahre nach meiner Wahl kann ich sagen, dass der Herr mich wirklich geführt hat, er ist mir nahe gewesen, täglich habe ich seine Gegenwart wahrnehmen können. Es war eine Wegstrecke der Kirche, die Momente der Freude und des Lichtes kannte, aber auch Mo-mente, die nicht leicht waren; ich habe mich gefühlt wie Petrus mit den Aposteln im Boot auf dem See Genezareth: der Herr hat uns viele Sonnentage mit leichter Brise geschenkt, Tage, an denen der Fisch-fang reichlich war, und es gab Momente, in denen das Wasser aufgewühlt war und wir Gegenwind hatten, wie in der ganzen Geschichte der Kirche, und der Herr zu schlafen schien. Aber ich habe immer gewusst, dass in diesem Boot der Herr ist, und ich habe immer gewusst, dass das Boot der Kirche nicht mir, nicht uns gehört, sondern ihm. Und der Herr lässt sie nicht untergehen; er ist es, der sie lenkt, sicherlich auch durch die Menschen, die er erwählt hat, denn so hat er es gewollt. Das war und ist eine Gewissheit, die durch nichts verdunkelt werden kann. Und das ist der Grund, warum mein Herz heute voll Dankbarkeit gegenüber Gott ist, weil er es der ganzen Kirche und auch mir nie an seinem Trost, seinem Licht, seiner Liebe hat fehlen lassen“.

    Joseph Ratzinger konnte und wollte seinen Glauben mit einem großen theologischen Denken zusam-menbringen: Glaube und Theologie, Glaube und Vernunft - das waren für ihn keine Gegensätze, son-dern eine untrennbare Einheit. Vielleicht war es auch genau das, was mich bei seinen vielen Büchern immer wieder angesprochen hat: Gedanken, die ich ins Leben und in meinen Glauben übersetzen und weiterführen konnte. Deswegen gibt es in meinem Bücherregal viele seiner Werke. Ich bin dankbar, dass er auch als Präfekt der Glaubenskongregation und sogar noch als Papst theologisch weitergear-beitet hat, etwa in seinen drei Jesusbüchern, aber auch in einem Bestseller, den ich als junger Student verschlungen habe: „Einführung in das Christentum“. Von dieser Spannung zwischen Glaube und Leben hat Joseph Ratzinger auch im Februar 1998 hier in Hamburg bei einem großen Vortrag gespro-chen und viele Menschen berührt. Er konnte nicht nur reden wie gedruckt, er wusste um die wesentli-chen Fragen des Menschen und konnte sie mit dem Glauben harmonisch zusammenbringen. Deswe-gen erreichen seine Texte eine Tiefe, die viele berührt und weiterhilft. Ich gehe davon aus, dass ich immer wieder einmal in dieses oder jenes Buch von Ratzinger hereinschaue und erst im Laufe der Jahre entdecken werde, wie groß der Schatz ist, den er uns hinterlassen hat.

    Am Silvestertag in der vergangenen Woche starb Benedikt in Rom; am 16. April 1927 wurde er in Marktl am Inn geboren. Damals war das ein Karsamstag. Er war stolz darauf, bereits wenige Stunden nach seiner Geburt getauft worden zu sein mit dem neuen Osterwasser. Bezeichnenderweise hat Josef Ratzinger in seiner Theologie oft vom Karsamstag gesprochen und ihn zusammen mit Hans Urs von Balthasar theologisch durchdacht. An diesem Tag passiert äußerlich nichts. Er ist der Tag dazwischen; der Tag zwischen dem bereits erfolgten Tod, aber noch nicht der Tag der Auferstehung, geradezu das Bindeglied zwischen dem Tod am Karfreitag und der Auferstehung am Ostersonntag. Am Karsamstag tritt Jesus in die Realität des Todes voll und ganz ein. Im Glaubensbekenntnis sagen wir: „hinabgestie-gen in das Reich des Todes“. Weil Jesus Christus den Tod bis ins Letzte durchlitten und erfahren hat, konnte er ihn von innen her verwandeln in das österliche Leben. Aus dieser Hoffnung hat Joseph Ratzinger gelebt und konnte er jetzt sterben. Er hat die Schwelle der Ewigkeit überschritten und darf Gott schauen von Angesicht zu Angesicht. Der Mensch, der Theologe, der Bischof und Papst darf nun dem Gott gegenüberstehen, über den er so viel nachgedacht, gepredigt und geschrieben hat. Er wird ganz gewiss staunen, er wird sich freuen, dass sich erfüllt, worauf er gehofft hat.

    Ratzinger hat in der Nachfolge Jesu sein Leben als Weizenkorn verstanden, das in die Erde fällt und stirbt. In einer Meditation zum Karsamstag betete er vor Jahren: „Herr, wie zaudern wir, wie wehren wir uns, wenn du uns als Weizenkorn nehmen willst, wenn du uns herausnehmen willst aus der klein-lichen Hut der Selbstbewahrung, in die wir uns großsprecherisch verkrochen haben. Ach, du weißt, wie schwach wir sind, wie wenig Dunkel wir zu tragen vermögen, wie ängstlich wir festhalten an uns selbst. Mach du uns frei; führe uns hinüber über die Schwelle unserer Furcht und was wir nicht vermö-gen, schenke du uns aus dem nie versiegenden Reichtum deines geöffneten Herzens… Gibt uns die demütige Einfalt des Glaubens, der sich nicht beirren lässt, wenn du uns in die Stunden des Dunkels, der Verlassenheit rufst, wo alles fraglich zu werden scheint; gib uns in dieser Zeit, da deine Sache wie im Todeskampfe liegt, Licht genug, um dich nicht zu verlieren; Licht genug, damit wir anderen Licht werden können, die dessen noch mehr bedürfen. Lass das Geheimnis deiner österlichen Freude wie eine Morgenröte hineinleuchten in unsere Tage. Lass uns wahrhaft österliche Menschen sein inmitten des Karsamstags der Geschichte. Lass uns durch die hellen und dunklen Tage dieser Zeit hindurch frohgemut unterwegs sein, hin zu deiner kommenden Herrlichkeit“.
    Morgen und wird dieses Weizenkorn in die Erde gelegt, damit es aufgeht und Frucht bringt und bei der ewigen Ernte in Gottes Scheune eingeholt wird. Amen.
  • Begrüßung zu Beginn des Pontifikalrequiems für Papst em. Benedikt XVI. / St. Marien-Dom / Hamburg / 04. 01. 2023
    Es gilt das gesprochene Wort


    Herzliche grüße ich Sie alle hier im St. Mariendom in Hamburg und alle, die über die Medien jetzt mit uns feiern.

    Das Erzbistum Hamburg liegt in drei Bundesländern und alle drei Länder sind auch Vertragspartner des Heiligen Stuhls. Deswegen freue ich mich besonders, dass die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Frau Manuela Schwesig und der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Herr Daniel Günther heute hier sind.

    Der Erste Bürgermeister Dr. Tschentscher wäre heute auch sehr gerne gekommen, ist aber schon auf dem Weg nach Rom, um dort in seiner Funktion als Bundesratspräsident am Begräbnis im Vatikan teilzunehmen. Umso mehr freue ich mich, dass der Chef der Senatskanzlei Staatsrat Jan Pörksen heute den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg vertritt.

    Darüber hinaus freue ich mich, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag heute vertreten wird durch die Landtagsvizepräsidentin Eka von Kalben.

    Herzlich begrüße ich auch den Präsidenten des Landesverfassungsgerichts Schleswig-Holstein Herrn Prof. Dr. Christoph Brüning.

    Und ein besonderer Gruß gilt der schleswig-holsteinischen „Kirchenministerin“ Karin Prien. Herzlich willkommen.

    Die katholische Kirche ist Weltkirche und so begrüße ich stellvertretend für das Konsularkorps den Doyen Herrn Generalkonsul Kristijan Tusek (sprich Tuschek).

    Zudem freue ich mich, dass die Generalkonsuln der Ukraine (Frau Dr. Iryna Tybinka), von Korea (Herr Kihong Jung), Spanien (Herr Francisco Javier Dago Elorza), Ecuador (Frau Dr. Rosa Vasquez Orozco) und Polen (Frau Marzena Szczypulkowska-Horvath) gekommen sind.

    Aus der Ökumene begrüße ich die Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland Kristina Kühnbaum-Schmidt.
    Darüber hinaus freue ich mich, dass Bischof Owan Kasap hier ist. Er kommt aus dem Südkongo und ist aktuell zu Gast in Hamburg.

    Und ich freue mich, dass Pastor Uwe Onnen als Vorsitzender der ACK Hamburg heute hier ist.
    Das Pontifikat von Papst Benedikt dauerte von 2005 bis 2013. Ich freue mich, dass viele Politikerinnen und Politiker gekommen sind, die damals im Amt waren.

    Insbesondere 2009 ist der frühere Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, der heute gern gekommen wäre, zu einer Privataudienz nach Rom gereist. In der Delegation waren damals der damalige Landtagspräsident Martin Kayenburg, der damalige Minister Dr. Christian von Boetticher und der damalige Staatssekretär Heinz Maurus. Schön, dass Sie alle heute gekommen sind.
    Und ich freue mich sehr, dass die damalige Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft und bisherige Senatorin Frau Dr. Dorothee Stapelfeldt gekommen ist. Herzlich willkommen.

    Unter den Konzelebranten möchte ich heute Abend besonders hervorheben unseren emeritierten Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Er gehört zum Kreis der Schüler von Professor Joseph Ratzinger und hat zwischen 1970 und 74 an seiner Doktorarbeit zur Theologie des Heiligen Geistes bei Irenäus von Lyon gearbeitet. Seitdem ist der mitbrüderliche Kontakt immer bestehen geblieben, vor allen Dingen bei dem jährlichen Treffen des Ratzinger-Schülerkreises.

    Liebe Schwestern und Brüder,

    in einem Interview hat Joseph Ratzinger einmal gesagt: „Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt“. Jeder von uns muss seinen persönlichen Weg, seinen Zugang zu Gott finden, ihn erhalten und auf diesem Weg ein Leben lang weitergehen. Am 31. Dezember ist Joseph Ratzinger, Benedikt XVI diesen seinen persönlichen Weg hier auf dieser Erde zu Ende gegangen. Wenn wir heute für ihn die heilige Messe feiern, dann ist das nicht die Heiligsprechung! Es ist das, was wir in aller Regel beim Tod eines Gläubigen tun. Wir tun es in dem Bewusstsein, dass es in jedem Leben Großes gibt, aber auch Grenzen, Lob und Kritik, hervorragende Leistungen und zerstörerische Fehler, Aufbauendes und Verstörendes.
  • Predigt zu Neujahr / Christuskirche / Rostock / 01. 01. 2023
    Es gilt das gesprochene Wort!

    Predigt von Erzbischof Stefan am 1. Januar 2023 in der Rostocker Christuskirche

    Liebe Schwestern und Brüder,
    von Zeitenwende ist in diesen Tagen besonders oft die Rede. Im Februar 2022 hielt Bundeskanzler Olaf Scholz im Deutschen Bundestag eine aufrüttelnde Rede. Wenige Tage nach dem Beginn des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukrainer sprach der Kanzler bei dieser Gelegenheit ausdrücklich von einer Zeitenwende. Ein großes Wort, das vor wenigen Wochen sogar zum Wort des Jahres 2022 gekürt wurde. Keineswegs übertrieben. Die aktuelle Lage wie auch der Jahreswechsel laden uns ein, darüber nachzusinnen.

    Oft genug haben wir den Eindruck, dass unser Leben sich kontinuierlich weiterentwickelt, eine Phase folgt natürlicherweise auf die nächste: ein schleichender Prozess. Aber manchmal gibt es in der Abfolge der Zeiten auch fundamentale Brüche: da geht das eine eben nicht kontinuierlich ins andere über, sondern da gibt es zwischen der einen Phase und der nächsten einen gehörigen Bruch, eine Zäsur. Ich denke etwa an den Untergang des römischen Reiches; oder an das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit, der Reformation, der Säkularisierung, an die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Menschen befinden sich dann gleichzeitig am Ende eines und am Beginn eines neuen Zeitalters. Es kommt zu einer fundamentalen Wende.

    Auch Papst Franziskus spricht immer wieder davon, dass wir mitten in einer Zeitenwende leben. In seinem Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland schrieb der Heilige Vater am 29. Juni 2019 sogar: „Wir sind uns alle bewusst, dass wir nicht nur in einer Zeit der Veränderungen leben, sondern vielmehr in einer Zeitenwende“. In der italienischen Fassung hört man noch das Wortspiel heraus: „non solo un tempo di cambiamenti ma un cambiamento di tempo“.

    Es ist wahr: Wir leben in einer Zeit größter Veränderungen: der biologischen Systeme unserer Erde sind in einem beängstigenden Wandel. Wir hören von Erderwärmung, Artensterben, Wasserknappheit und zugleich von steigenden Meeresspiegeln. Die bisher geltenden Parameter verschieben sich.
    Die technischen Errungenschaften werden immer größer: Weltraumteleskope, Marsexpeditionen und neue Arten der Energiegewinnung versetzen uns ins Staunen. Gleichzeitig merken wir, wie angreifbar unsere technischen Systeme sind. Und bei allen Möglichkeiten, die Innovationen bringen, wissen wir: Technik allein wird die Probleme nicht lösen können.

    Die politische Stabilität, die uns in den letzten Jahrzehnten gegeben war, gerät ins Wanken; alte Sicherheiten tragen plötzlich nicht mehr. Konflikte werden immer schärfer und Tendenzen zu Radikalisierung immer sichtbarer. Die Selbstzufriedenheit unserer Wohlstandsgesellschaft schwindet. Trotz immer doch noch wachsendem Wohlstand geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander. Es geht längst schon nicht mehr bloß um die Nebenkosten, die explodieren; es geht ums Ganze, um die Gesamtrechnung. Besitz oder Konsum werden uns nicht rundherum glücklich machen; Konkurrenz und Vergleich setzen unter permanenten Druck.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    lassen wir bitte diese Veränderung zu. Nehmen wir sie an! Papst Franziskus sagt in der Botschaft zum heutigen Weltfriedenstag: „Was sollen wir also tun? Zunächst einmal zulassen, dass unser Herz durch die erlebte Krise verändert wird, d. h. also, Gott zu erlauben, unsere gewohnten Kriterien für die Interpretation der Welt und der Wirklichkeit durch diesen historischen Augenblick zu verändern“.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    was sollen wir tun? Heute am 1. Januar gibt uns die Kirche einer Antwort auf diese Frage nicht durch einen Text, vielmehr durch eine Person, durch Maria. Das, was sie damals erfahren hat, ist wohl die größte Zeitenwende, die es gibt. Weihnachten ist die Zeitenwende schlechthin. Neue Zeiten brauchen neue Menschen. Maria ist das Urbild des neuen Menschen. Mit ihr beginnt die Zeitenwende. Es braucht Menschen, in deren Leben sich ebenfalls eine Wende vollzieht. Es braucht in diesen Tagen nicht nur eine ökologische Wende oder soziale. Es braucht zuallererst eine anthropologische Wende, d. h. eine Wende jedes einzelnen Menschen. Jesus würde schlicht und einfach sagen: Kehr um! Und aus dieser Umkehr entsteht dann auch Erneuerung in unserer Kirche, kann sich eine pastorale Wende entwickeln.

    Maria wendet sich voll und ganz der Wirklichkeit zu. Maria zeigt uns, dass sie nicht aus der Gegenwart wegläuft, dass sie vor den Veränderungen nicht Reißaus nimmt oder sich ins Jenseits flüchtet. Josef, Ihr Verlobter, hatte sich überlegt, sich aus dem Staub zu machen. Der nächtliche Traum bringt ihn in die Wirklichkeit zurück. Christen nehmen vor Veränderungen nicht Reißaus, wir laufen nicht davon, sondern wir gestalten die Wirklichkeit genau dort, wo wir leben. Wir sollten uns nicht nur an die veränderten Bedingungen anpassen, sondern versuchen, sie bewusst und aktiv mitzugestalten.

    Maria ist nicht einfach eine Befehlsempfängerin, ein ausführendes Organ. Maria ist vor allem der Mensch, der sich von neuem auf die Beziehung zu Gott einlässt. Maria wendet sich voll und ganz Gott zu. Sie ist ganz Ohr – von Kopf bis Fuß! Das, was uns trägt, sind zuerst die Beziehungen, die wir leben: zu Gott, zu den anderen, natürlich zu und selbst und nicht zuletzt zur Schöpfung. Da, wo Beziehungen gebrochen sind, steigt Maria ein. Auch wenn nicht jede einzelne Frage für sie beantwortet wird und am Ende jedes Problem gelöst ist, sie weiß sich von Gott gerufen und getragen und erlöst.

    Als Getragene kann sie schließlich selbst tragen: das geheimnisvolle Kind, den jungen Jesus, der für manche einfach von Sinnen ist, den Sterbenden, den sie auf dem Kreuzweg begleiten darf, und schließlich den toten Jesus, den sie wie ein kleines Kind am Ende seines Lebens wieder auf ihrem Schoß tragen darf. Maria ist eine Frau in guter Hoffnung – und das nicht nur in der Zeit ihrer Schwangerschaft. Hoffnung und Zuversicht sind die Grundstimmungen ihres Lebens. Sie zeigt uns, dass man Zeiten der Veränderung bestehen kann – und zwar nicht nur mit Ach und Krach, sondern mit Glanz und Gloria. Warum kann man das? Weil immer da, wo ein Mensch aus sich herausgeht, der Weg zu einem anderen Du beschritten wird. Damit entsteht immer ein größeres Wir, Gemeinschaft, Geschwisterlichkeit. Krisen werden wir nur solidarisch durch- und überstehen. Maria macht es uns vor: diese Zu-wendung, von der wir alle leben.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    beim Europatreffen der Jugendlichen im Sinne von Taizé, das in den letzten Tagen hier in Rostock stattgefunden hat, konnte ich etwas von dieser Zeitenwende erleben: in den Workshops haben wir uns mit vielen Fragen, die uns gerade jetzt in diesen Zeiten herausfordern, beschäftigt. Aber in vielen Begegnungen und nicht zuletzt auch bei den Gebeten bin ich Menschen begegnet, die in ihrem eigenen Leben eine Wende vollziehen, die wie Maria sich von Neuem Gott, den Menschen, sich selbst und dieser Welt zuwenden. Danke dafür! Danke für Ihre Präsenz hier bei uns im Norden und Osten Deutschlands! Danke den Brüdern für alle Mühen, alle Planung, alle Vorbereitung und Durchführung hier in Rostock selbst, aber auch Danke für alles, was sie in Taizé tun. Ich bin dankbar, dass jedes Jahr viele Jugendliche, gerade auch Firmlinge auch aus unserem Erzbistum sich bei Ihnen willkommen fühlen dürfen. Ich hoffe, dass der Geist dieses Treffens und der Geist von Taizé als Weg des Vertrauens uns weiter begleiten im Jahr 2023, in einer Zeit der Wende. Gottes Segen Ihnen allen an dieser Wende vom alten zum neuen Jahr und bei jeder Kehre, jeder einzelnen Kehrtwende in diesem neuen Jahr! Wo wir miteinander in der Spur von Weihnachten bleiben, wo wir uns an Maria orientieren, wo wir im Geiste von Taizé unterwegs sind, da beginnt jetzt schon eine neue Zeit der Gerechtigkeit, der Hoffnung, des Trostes und des Friedens.
  • Predigt zum Jahreswechsel / Christuskirche / Rostock / 31. 12. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort!

    (Les. : 1 Joh 2, 18-21 ; Ev. : Joh 1, 1-18)

    Liebe Schwestern und Brüder,

    vor wenigen Tagen ist in Berlin im Atrium eines Hotels ein 16 m hohes Aquarium geplatzt. 1 Million Liter Wasser flossen einfach dahin; die meisten der 1500 tropischen Fische sind verendet. Man kann von Glück sagen, dass das Unglück früh am Morgen passierte und so Schlimmeres verhindert wurde. Ein Ereignis zur Jahreswende, das seine ganz eigene Sprache spricht. Es passt zu einem Weihnachtsgruß, den ich von einem Ordenspriester erhalten habe. Er kommt zu dem Schluss: 2022 – „ein Jahr der zerplatzten Träume: Träume vom Frieden, Träume von der Überwindung der Pandemie, Träume von einem ruhigen und sorgenfreien Leben… So vieles hat sich verändert“.

    Wie das Aquarium in Berlin zerplatzte, so sind Träume und Hoffnungen, Erwartungen und Pläne zerplatzt – zerplatzt wie eine Seifenblase. Vielleicht darf ich anmerken, dass es in einem der sogenannten Bayern-Fenster im Kölner Dom unterhalb der Darstellung eines der großen Kurfürsten ein winziges Detail gibt, das man nur mit dem Fernglas wahrnehmen kann, nämlich ein Engel, der ein kleines Röhrchen im Mund hat und aus der Seife Blasen entstehen lässt. Damit soll dem mächtigen Herrscher darüber gesagt werden: Pass auf, überschätze dich nicht, am Ende musst du sterben und dein Ruhm und deine Macht werden zerplatzen wie eine Seifenblase.

    Der Traum des Friedens ist seit dem 24. Februar durch den Angriffskrieg auf die Ukrainer zerplatzt. Und damit ist die etablierte Weltordnung ins Wanken geraten; wer hätte sich vorstellen können, dass wir uns Gedanken machen, welche Räume wir wie hoch heizen werden? Die Sorgen um unser Klima weltweit sind für viele wie eine Blase, die kurz vor dem Platzen steht. Für manche ist die Kirche in einer derartigen Krise, dass sie sich Sorgen ums Ganze machen. Der kürzlich veröffentlichte Religionsmonitor belegt das. Ganz zu schweigen von den vielen Träumen unseres eigenen persönlichen Lebens, die platzen. Ich denke zum Beispiel an einige Menschen aus unserem Erzbistum, die in den letzten Wochen eine für sie einschneidende gesundheitliche Diagnose erhalten haben. Jeder von uns weiß um diese kleinen und großen Seifenblasen, die ganz schnell platzen können. Und keiner von uns wird das verhindern oder aufhalten können. Denn wir können diese Blasen nicht festhalten und vor dem Platzen schützen.

    Aber was können wir tun? Wie können wir uns verhalten? Wie können wir von 2022 nach 2023 hinübergehen, ohne in die Depression zu stürzen?

    Manche sagen: zum Leben gehört beides: die guten Tage, aber auch die schlechten, die Höhen und die Tiefen, das Gelingen und das Scheitern. Der Prophet Kohelet aus dem Alten Testament predigt:
    Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Ausreißen der Pflanzen, eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen, eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz; eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln, eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen, eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren, eine Zeit zum Behalten und eine Zeit zum Wegwerfen, eine Zeit zum Zerreißen und eine Zeit zum Zusammennähen, eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden, eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen, eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden. (Kohelet 3, 1-8)

    Schwestern und Brüder, der Volksmund reiht solche Erfahrungsweisheiten nicht nur aneinander, sondern sortiert sie nach dem Motto: Scherben bringen Glück. Vielleicht können wir auch als Christen übersetzen: Ostern gibt es nicht ohne Karfreitag. Oder in diesen weihnachtlichen Tagen können wir einfach das Johannesevangelium aufgreifen: „das Licht leuchtet in der Finsternis“ (Joh 1,5). Es gibt also nicht nur das pure Licht, sondern immer die Gegensätze, die manchmal sehr nah beieinander liegen. Der Evangelist Johannes meditiert aber nicht nur über diesen Gegensatz, sondern er hat eine zentrale Überzeugung, von der er nicht abweicht: das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst! Das Licht ist immer stärker als die Finsternis – und mit diesem Licht ist nicht irgendein Kerzchen oder ein Feuer im Kamin gemeint. All das geht irgendwann aus und danach ist es wieder finster. Es geht nicht um Lichtwellen oder Quanten, die heiße Körper aussenden.

    Wenn Johannes hier über das Licht und die Finsternis meditiert, dann geht es ihm um Gott und im Gegensatz dazu um alles und jedes, was ihm feindlich gegenübersteht. Gott hat nicht nur Licht und verbreitet nicht nur Licht, sondern er ist das Licht. „Und keine Finsternis ist in ihm“ (vgl. 1 Joh 1,5). In unserem großen Glaubensbekenntnis sagen wir von Gott: Licht vom wahren Licht. Gott ist also durch und durch Licht, einfach nur herrlich. Die Finsternis und das Gegen-Göttliche haben dagegen keinen positiven Ursprung. Die Finsternis ist die Verneinung des Lichtes. Finsternis ist nur gegen das Licht, hat aber keine eigene Substanz. Das Licht scheint immerfort. Nur da, wo es verdunkelt wird, entsteht Finsternis.
    Wenn wir uns also auf das Licht einlassen und uns ihm nicht in den Weg stellen, dann leuchtet dieses Licht immerfort, dann verliert die Finsternis ihren Einflussbereich. Wir haben es also entscheidend mit in der Hand, ob wir die Dinge und die Welt in Finsternis verdunkeln lassen oder im Licht Gottes erhellt wissen. Stellen wir uns dem Licht nicht in den Weg, sondern lassen wir es strahlen. Dann sehen wir weiter und tiefer, dann sehen wir, wo wir herkommen, wo wir stehen und wohin wir gehen.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    2022 sind so manche Blasen geplatzt und 2023 werden weitere platzen. Davon müssen wir ausgehen. Aber selbst zerplatzte Seifenblasen spiegeln oft genug noch das Licht der Sonne wider. Stellen wir uns jetzt zum Jahreswechsel, aber in jedem neuen Tag des kommenden Jahres in das Licht, das Gott selbst ist. Versuchen wir, es möglichst wenig und selten zu verdunkeln und abzuschwächen. Lassen wir Gott hinein strahlen in unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

    Ein Bild davon konnte ich in den letzten Tagen hier in Rostock beim europäischen Jugendtreffen der Gemeinschaft von Taizé erleben. Von diesem Licht wurde immer wieder gesungen in den bekannten Liedern von Taizé, zum Beispiel: „Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke mein Licht. Christus meine Zuversicht, auf dich vertrau‘ ich und fürcht‘ mich nicht, auf dich vertrau‘ ich und fürcht‘ mich nicht.“ (GL 365) Oder: « Jésus le Christ, lumière intérieure, ne laisse pas mes ténèbres me parler. Jésus le Christ, lumière intérieure, donne-moi d’accueillir ton amour. / Christus, dein Licht verklärt unsre Schatten, lasse nicht zu, dass das Dunkel zu uns spricht. Christus, dein Licht, erstrahlt auf der Erde und du sagst uns: Auch ihr seid das Licht“. Gehen wir mit solchen Liedern auf den Lippen und im Herzen gemeinsam in das neue Jahr!
    Der bekannte geistlicher Autor und Priester Johannes Bours formuliert: „Es muss in dieser Zeit größten Umbruchs, letzter schrecklichster Todesbedrohung der Welt einige geben, die mit ihrem ganzen Leben versuchen, das Lied von der Hoffnung weiterzusingen“. Das tun alle, die den Weg des Vertrauens von Taizé auch 2023 weitergehen.
  • Predigt von Erzbischof Stefan Heße zum Weihnachtfest 2022 / St. Marien-Dom / Hamburg / 24. 12. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort!

    „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“ – wie eine Fanfare rufen die Chöre der Engel diese Botschaft über der Krippe in Bethlehem aus. Sie bringen sie zum Klingen. Es ist das erste Weihnachtslied überhaupt, das in der Geschichte erklingt. Wer schon einmal das großartige Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach gehört hat, hat diese festliche Melodie im Ohr, der weiß: Hier geht es nicht um eine Mitteilung, eine sachliche Information wie bei einem Nachrichtensprecher. Hier geht es um eine Proklamation, um eine Ansage, um eine frohe Botschaft. Bis heute wird übrigens in traditionellen Königshäusern über ein Fanfarensignal eine bedeutsame Botschaft angekündigt, etwa das Ausrufen eines gekrönten Hauptes oder eine royale Hochzeit.

    „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“: zurzeit ist von solch feierlichen Trompetenfanfaren eher weniger zu hören. Im Gegenteil: andere akustische Warnsignale scheinen die Fanfaren zu übertönen: Sirenen, die aufheulen – nicht nur am nationalen Warntag bei uns, sondern überall auf der Welt, wo die Gewehrsalven, die Drohnen und Panzer, Kriegslärm verbreiten, und das nicht nur in der Ukraine, sondern auch in anderen Teilen unseres Planeten: auf 5 von 7 Kontinenten herrschen Krieg und bewaffnete Konflikte. Der äthiopische Bürgerkrieg in Tigray hat bis heute schätzungsweise 100.000 Todesopfer gefordert, die seit über 10 Jahren schwelende Jemen-Krise forderte mehr als 370.000 Tote. Im Afghanistan-Konflikt verloren bislang nahezu 1,5 Mio Menschen ihr Leben. Ganz zu schweigen von den Millionen von Menschen, die auf der Flucht sind.

    Neben den erschütternden Kriegsgeräuschen sind es weitere Warnsignale, die stetig lauter werden: vor allem die junge Generation schlägt Alarm aus Sorge vor einer nahenden Klimakatastrophe. Es zeigt sich immer mehr, dass wir Menschen die uns anvertraute Schöpfung ausgebeutet und über unser Maß gelebt haben. Die Klimaforscher erkennen die Warnsignale: Wetterextreme, eine höhere globale Durchschnittstemperatur, das Abschmelzen der Gletscher, Dürre.
    Warnrufe werden auch innerhalb der Kirche laut und ich möchte nur einen nennen: es darf kein Weiter-so geben im Umgang mit dem sexuellen Missbrauch! Es braucht eine stetige Aufmerksamkeit, damit Kirche ein sicherer Ort wird.

    Gehören in unsere Lebenswirklichkeit, Weihnachten im Jahr 2022, also eher Sirenen statt Fanfaren? Sind die Fanfarenklänge in diesem Jahr auf stumm geschaltet?

    „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“: diese frohe und mutmachende Proklamation ist keine Zustandsbeschreibung der Welt, so als würde am Weihnachtstag für einen Moment alles Leidvolle eingefroren. Ein weihnachtlicher Waffensillstand oder eine Amnestie für Gefangene sind da schon viel; aber dennoch bleibt unsere Sehnsucht: „Friede auf Erden“ bestehen! Dieser ursprüngliche Weihnachtsruf wird niemals verstummen können und dürfen. Seit Weihnachten gehört er unweigerlich zum Menschen dazu.

    Die Ankündigung des Engelheeres macht uns auf einen wichtigen Zusammenhang aufmerksam: Zwischen Gott in der Höhe und uns Menschen auf der Erde besteht ein Band, eine Verbindung. Die Geburt Jesu in dieser Welt macht es ein für alle Mal deutlich: Wo Gott und Mensch zusammenfinden, da sind auch Himmel und Erde miteinander verbunden, da durchdringen sich die Ehre, die Gott gegeben wird, mit dem Frieden der Menschen. Wo Gott unumwunden Ehre geschenkt wird, steht es um den Menschen gut, ja sehr gut. Wo Gott ausgeklammert wird, müssen wir uns um den Menschen sorgen. Gott und Menschen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern wachsen beide miteinander. Das Kind in der Krippe zeigt es uns deutlich: Hier will etwas heranwachsen, ja hier will jemand wachsen: Gott und Mensch gleichermaßen. Mit Weihnachten hat eine unaufhörliche Wachstumsgeschichte begonnen. Gott will den Menschen nicht klein machen. Wo von Gott groß gedacht wird, wird auch die Größe des Menschen hoch im Kurs stehen.

    Die Weihnachtskrippe lädt uns ein, Gott die Ehre zu geben und selbst Ehre von ihm zu empfangen. Unsre Ehre ist niemals unsere Leistung, können wir uns nie selbst zusprechen, andere tun es; Ehre ist immer Geschenk. Die Engel loben Gott auf ihre Art und Weise, die Hirten, indem sie kommen und staunen, später die Sterndeuter, die niederknien und ihre Geschenke ausbreiten. Und alle gehen versöhnt und friedlich von der Krippe weg. Sie erzählen von dem, was sie erlebt haben. Weihnachten verwandelt sie alle; als veränderte, gleichsam neue, voll der Ehre, als weiterwachsende Menschen gehen sie von der Krippe in ihren Alltag zurück, um wiederum ihn zu verwandeln.

    Die Bewahrung der uns anvertrauten Schöpfung ist eine Möglichkeit, Gott die Ehre zu geben. Staunend anzuerkennen, wie wunderbar sein Werk ist und alles daran zu setzen, es zu bewahren, damit wir nicht die „letzte Generation“ (last generation) sind.

    Gott die Ehre zu geben, bedeutet Raum für die Wahrheit zu schaffen und nicht zum Komplizen der Finsternis zu werden. „Schieb den Gedanken nicht weg!“ heißt die Aufklärungs- und Aktivierungskampagne der Bundesregierung gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen und will jeden dazu einladen, aktiv zu werden.

    Gott die Ehre zu geben, kann aber auch bedeuten vor der Krippe zu verweilen und mit Gott auf Du und Du zu gehen. Gott hat sich uns in Jesus zugewendet, ganz menschlich. Wir können nach unserer menschlichen Art mit ihm in Kontakt, in Kommunikation treten, etwa im Gebet. Bringen wir an die Krippe unsere Geschenke: den Dank und die Freude. Bringen wir an die Krippe, was uns belastet: die Not und die Sorgen dieser Tage.

    In einer alten Kirche findet sich die Inschrift: „Hier tritt man ein, um Gott zu lieben. Von hier geht man fort, um die Menschen zu lieben“. Eigentlich könnte diese Inschrift auch über jeder Krippe stehen: hier geht man hin, um Gott zu lieben und IHM die Ehre zu geben. Von hier geht man fort, um die Menschen zu lieben und ein Bote des Friedens zu sein. Es ist ein Leitwort für das ganze Leben: immer wieder zu Gott gehen, um ihn zu lieben, und von ihm aus die Menschen. So wird das „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“ von Weihnachten ins ganze Leben übersetzt.

    Ich wünsche Ihnen allen frohe und gesegnete Weihnachtstage, ein friedvolles Fest, eines, das Gott immer mehr Raum gibt, der unseren Lebensraum stets zum Besseren verwandelt. Ich hoffe, dass jeder, dem wir begegnen, danach glücklicher, gesegneter, friedvoller werden kann und stets zum Positiven verwandelt und gestärkt wird und wir so in der Spur des neugeborenen Jesuskindes unsere Welt verändern: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“. Wo dieses Lied (heute) erklingt, da entstehen Hoffnung und Freude. Amen.
  • Predigt von Erzbischof Stefan Heße am Gedenktag des Seligen Niels Stensen / Propsteikirche St. Anna / Schwerin / 25. 11. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort!

    Niels Stensen war gerade zwei Jahre Priester, als der Herzog von Hannover auf den frommen und hochgebildeten Geistlichen aufmerksam wurde, der seinerzeit in Florenz wirkte. Johann Friedrich von Hannover forderte Stensen als Apostolischer Vikar für die versprengten Reste katholischer Gemeinden in Norddeutschland und Skandinavien (Apostolisches Vikariat des Nordens) an.

    Niels Stens ging im September 1677 nach Rom, um sich auf das Bischofsamt vorzubereiten und empfing dort am 19. September durch (den heiligen) Kardinal Gregorio Barbarigo die Bischofsweihe zum Titularbischof von Titiopolis in der Kirche Chiesa dei Re magi, einer Kapelle im Palazzo di Propaganda Fide.

    In der vergangenen Woche waren die deutschen Bischöfe gemeinsam in Rom, nicht um sich auf die Weihe vorzubereiten, sondern um sie zu vertiefen, um neue Impulse zu erhalten und um gerade in dieser Zeit gut als Bischöfe zu wirken. Es war der vom Kirchenrecht alle fünf Jahre vorgesehene sogenannte Ad-limina-Besuch, also ein Besuch der Schwellen (limen sg. - limina pl.) Bezeugt sind diese Besuche seit dem vierten Jahrhundert. Es sind mehrere Schwellen-Situationen, an denen wir standen.

    1. Ad limina Apostolorum
    Zuallererst geht es um die Schwellen zu den Gräbern der Apostel. Geistlich ist der Ad-limina-Besuch eine Wallfahrt, eine Pilgerfahrt zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus, aber auch zu den großen Heiligtümern in Rom. Schon oft bin ich da gewesen und habe mit verschiedenen Gruppen an verschiedenen Orten Gottesdienst gefeiert. Bei diesem Besuch haben wir Bischöfe alle zusammen mit Gläubigen aus Deutschland die heilige Messe gefeiert: im Petersdom, in Sankt Paul vor den Mauern, in Santa Maria Maggiore und im Lateran. Das war ein tiefes geistliches Erlebnis.
    Alle diese Orte verbinden uns auch mit der großartigen Theologie unserer Kirche aus den verschiedensten Jahrhunderten: eines Petrus, auf dessen Glaube die Kirche aufbaut; eines Paulus, der sich aus der tiefen Verwurzelung in Jesus Christus in eine weltweite Mission hinauswagt; Maria Maggiore ist die älteste Marienkirche des Westens und Roms. Sie steht damit für Jesus den Christus und für Maria als Gottesmutter.

    Hier wird deutlich, diese Pilgerfahrt zu den Apostelgräbern, ad-imina apostolorum, führt auf den Weg zu Gott. Wie jede Wallfahrt führt sie an die Schwelle Gottes: ad limina Dei!

    2. Ad limina Petri
    Der Besuch hat selbstverständlich auch in die Begegnung mit Papst Franziskus geführt, dem heutigen Petrus. Einen ganzen Vormittag hat er sich für uns Zeit genommen, geduldig auf uns gehört und unsere Fragen beantwortet. Er wollte uns Mut machen gegen alle Verzagtheit: coraggio - courage! Aber es braucht auch Geduld. Der Papst wandte sich gegen alle vorschnellen Lösungen; Druck ist für ihn kein Kennzeichen des Heiligen Geistes; unter Druck wolle und könne er nicht entscheiden. Deswegen ist es nicht ungewöhnlich, dass in unserer Kirche Spannungen bestehen. Sie hält er für produktiv. Der Selige Niels Stensen könnte uns aus seiner Zeit von vielen solchen Spannungen berichten, die nicht weniger ernsthaft, ja besorgniserregend waren. Die Kirche war – ähnlich, wie heute von Skandalen geprägt, die den Lebenswandel des Klerus betrafen. Viele der Fürstbischöfe und Priester führten damals einen ausschweifenden Lebenswandel, der zum Ärgernis vieler Gläubiger wurde. Niels Stensen fiel es schwer, sich der Konflikte mit Geduld anzunehmen. Er galt als Reformbischof, der sehr prägnante Positionen vertrat. Das bescherte ihm mache Nachteile - wie etwa seine Weigerung eine erkaufte Bischofsweihe in Münster mitzutragen, was dazu führte, dass er seine Position als Weihbischof verließ. Seine nächsten und letzten Stationen waren Hamburg und Schwerin. Auch hier fand er keine konfliktfreie Kirche vor. Vergeblich versuchte Stensen, die zahlreichen Konflikte zwischen den Konfessionen zu schlichten und erntete dabei Kritik von Protestanten, aber auch aus den eigenen Reihen. Eine zermürbende Erfahrung, die ihm an die Substanz geht. Die Biographen Stensens berichten von pessimistischen und deprimierten Gemütszuständen. Ad-limina kann also auch bedeuten: Bis an die Schwellen/Grenzen von Mut und Geduld zu stoßen und dennoch nicht aufzugeben.

    3. Ad limina mundi
    Wer nach Rom kommt, der taucht in die Weltkirche ein, der begegnet Gläubigen aus allen Ländern. Gottesdienste in der heiligen Stadt haben immer etwas Internationales, sind katholisch im umfassenden Sinn. Oft merkt man das an den verschiedenen Sprachen, in denen gebetet und gesungen wird. Vor uns waren die niederländischen, nach uns die belgischen Bischöfe zu ihrem Ad-limina-Besuch in Rom.
    Auf der Tagesordnung der Gespräche mit dem für die Weltsynode zuständigen Kardinal Mario Grech stand das entsprechende Synodenpapier, das ein Redaktionskreis aus den weltweiten Eingaben zusammengestellt hat. In diesem Papier, das mittlerweile auf Deutsch vorliegt, sind die Themen gesammelt, die unsere Schwestern und Brüder in der ganzen Welt bewegen. Es sind auch die Themen des Synodalen Weges dabei. Offenbar sind es also keine deutschen „Sonderthemen“, sondern Fragestellungen, die in der weltweiten Kirche ebenso zur Debatte stehen wie in Deutschland. Wir alle sind weltweit Kinder dieser Zeit und so ist es nur folgerichtig zu sehen, dass wir gemeinsame Themen haben – bei aller Ungleichzeitigkeit, die in bestimmten Bereichen vorherrscht. Dass die Welt stetig im Wandel ist und damit auch neue Fragen für Theologie und Kirche aufbrechen, ist wiederum nicht neu. Zu Zeiten von Bischof Stensen waren es die zahlreichen „neuen“ Entdeckungen. Es war eine Umbruchszeit, ähnlich wie wir es jetzt mit dem digitalen Zeitalter erleben. Viele neue Entdeckungen korrigierten und erweiterten das Weltbild, das bis dato vorherrschte. Stensen war als Wissenschaftler vorne mit dabei: ob in der Anatomie oder Geologie – er lieferte wichtige Erkenntnisse der damaligen Zeit. Glaube und Wissenschaft dafür steht auch Niels Stensen, widersprechen sich nicht. Auch wir befinden uns in einer solchen Phase, wo manches neu gedacht werden muss und die Kirche dies dann für ihr Handeln und Lehren berücksichtigen wird.

    4. Ad limina hominorum
    Damit bringt uns der Ad-limina-Besuch an die Schwelle der Menschen weltweit, an ihre Schicksale, ihre Nöte: In der Nachfolge Jesu muss uns das Wohlergehen aller Menschen – nicht nur der Katholiken – am Herzen liegen. Und unsere Welt ist gerade in den letzten zwei bis drei Jahren zu einer Welt geworden, die manch‘ einen an seine persönlichen Grenzen geführt hat: kleinere Unternehmen, die nach Corona immer noch um ihre Existenz kämpfen oder damit gescheitert sind, eine Welt, deren Klimaveränderungen nicht nur für Hunger und Mangelernährung sorgen, sondern auch Zukunftsängste bei der jungen Generation bewirken, dann die Angst um den Frieden auch hier bei uns in Europa, der leider kein Selbstläufer war, wie es bis vor einiger Zeit noch schien. Wie mit diesen Grenzsituationen umgehen? Unser Seliger, der selbst in Folge einer Pestepidemie Zeuge von Tod und Leid wird und als junger Soldat im Dreißigjährigen Krieg seine Heimatstadt Kopenhagen verteidigt, kann uns Mut machen. Diese prägnanten Erfahrungen von Leid und Grenzsituationen haben ihn dazu gedrängt, sich innerlich zu verankern. So hat er mit seinem Verstand die Schöpfung und ihre Geheimnisse ergründet und dazu beizutragen, die Welt ein Stück besser zu machen. Seine anatomischen Entdeckungen waren vor allem dadurch motiviert, den Menschen Krankheiten zu ersparen und eine besser Gesundheitsvorsorge voranzutreiben.
    Geistlich sorgte er sich nicht weniger, um die ihm anvertrauten Menschen. Er war vielen seelsorglich verbunden und hörte auf die Nöte und Sorgen der ihm anvertrauten. Zahlreiche Briefe bezeugen bis heute, wie sehr Niels Stensen ein Ohr und ein Herz für die Bedrängten hatte. Die Kraft und Orientierung dazu kamen dabei aus seinem Inneren und galten Gott, was er in seinem persönlichen Siegel, dem Herz (übrigens auch im Wappen unseres Bistums) ausdrückte. Seine feste Gottesbeziehung fasst er in die folgenden Worte „So wie eine Kompassnadel, die ständig in eine andere Richtung zeigt als nach Norden, fehlerhaft ist, so kann es keine Beständigkeit geben, wenn das Herz nicht in Gott ruht.“
  • Predigt von Erzbischof Stefan Heße am Gedenktag des Todes der Lübecker Märtyrer / Herz Jesu Kirche / Lübeck / 10. 11. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort!

    (Jer 4,5-10; Off 13,1-10; Mt 5,1-12)


    Liebe Schwestern, liebe Brüder,

    eine martialische Lesung. Sie beschreibt die brutale Realität des Krieges und wirft die Frage nach Gott auf: „Ach Herr und Gott, wahrhaftig, schwer hast du getäuscht dieses Volk und Jerusalem. Du sagtest Frieden werden wir haben! Und nun geht uns das Schwert an die Kehle“ (Jer 4, 10). Die Realität des Krieges verbindet das Volk des Alten Testamentes mit den Märtyrern von Lübeck vor 79 Jahren und mit unserer Gegenwart.

    Eine traurige Bilanz: Die Anzahl der Gewaltkonflikte ist weltweit insgesamt gestiegen, vor allem in Afrika, aber auch im Iran, im Jemen und vielen anderen Regionen dieser Erde. Und durch den durch nichts zu rechtfertigen Angriffskrieg auf die Ukraine. Bis jetzt werden 16.000 zivile Todesopfer geschätzt und fast 15 Millionen ukrainische Flüchtlinge. Aus dem kalten Krieg ist längst ein heißer geworden. Über allem schwebt die Gefahr einer nuklearen Eskalation. Hoffentlich haben wir uns noch nicht allzu sehr an die Bilder der Raketen- und Drohnenangriffe auf Kiew, Odessa, Mariupol oder Charkiw gewöhnt! Zerstörte Infrastruktur, zerstörte Zukunftschancen, Kinder ohne Schule… Eine traurige Negativbilanz! Menschen, denen die Freiheit zum Leben genommen ist! Und das wird dann auch noch religiös vom Patriarchen in Moskau legitimiert. Welch ein Hohn!

    Ganz zu schweigen von den Kollateralschäden, den humanitären Krisen, der angespannten wirtschaftlichen Lage, der Inflation, der Energiekrise – und der Angst, die sich hier bei uns breitmacht und die ich bei meinem Besuch in der Ukraine und Polen gerade vor Ort spüren konnte. Das polnische Volk fragt sich voller Sorge: Sind wir die nächsten?

    Jeder Krieg ist eine offene Wunde für die Menschheit. Kein Krieg macht Sinn! Krieg hat nie einen Mehrwert, führt nie zum Besseren. Nein, jeder Krieg schadet- und zwar allen. Am Ende stehen alle als Verlierer da. Diese traurige Bilanz müsste uns mit dem Blick auf die Geschichte der Menschheit allzu deutlich vor Augen stehen!

    Die Menschen in der Ukraine haben mir im Sommer eine Botschaft mit auf den Weg gegeben: Vergesst uns nicht! Ich möchte allen danken, die sich der Menschen im Krieg bewusst sind und sich ihrer erinnern. Ich möchte denen danken, die für sie die Stimme erheben in der Gesellschaft, in den Medien, in der Politik. Ich danke allen, die anpacken und helfen, die ihre Pakete zur Versorgung, mit Medikamenten und vielem anderen mehr packen, die spenden. Ich danke allen, die den Geflüchteten, die hier bei uns in Deutschland leben, ihre Tür und ihr Herz öffnen, die sie hereinlassen, die das Leben, die Angst, die Verzweiflung und Trauer miteinander teilen. Mit jeder noch so kleinen Tat setzen wir ein Zeichen gegen diesen sinnlosen Krieg.

    Ich habe in den letzten Wochen und Monaten viele Menschen aus der Ukraine kennen gelernt, die mir Respekt, ja Bewunderung abverlangen. In ihrem Leid geben sie sich und ihr Volk nicht auf. Ich habe eine Zuversicht und Hoffnung verspürt, wie sie vielen vielleicht fremd ist. Es gibt auch heute Helden und damit meine ich nicht Helden auf dem Schlachtfeld, nein, die Helden und Heldinnen der Liebe, der Menschlichkeit, der Zuversicht, der Hoffnung. Mitten in vielen Tränen und in großer Trauer steckt eine starke Zuversicht. Sie ist der Motor, sich jetzt nicht hängen zu lassen, sondern tätig zu sein und schon heute mit dem Wiederaufbau zu beginnen.

    Ich habe in diesen Wochen und Monaten viele Menschen erlebt, die beten. Ich denke an unsere Gemeinden, die sich eigens versammeln und um den Frieden beten. Ich wünsche mir, dass in keinem Fürbittgebet diese Bitte fehlt. Wer betet, der weiß sich mit Gott verbunden und von ihm getragen. Der legt nicht die Hände in den Schoß und delegiert sein Leben auf Gott ab, sondern der ist frei von allem Krampf der Überheblichkeit und Selbstbehauptung, der ist frei zum Handeln und Wirken. Die inbrünstigen Gebete der Ukrainer und Ukrainerinnen, die ich mangels Sprachkenntnisse nicht übersetzen kann, haben große Kraft und zeigen mir etwas von dem langen Atem, den wir alle brauchen.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    unsere Lübecker Märtyrer sind vor 79 Jahren um diese Abendstunde herum in Hamburg in wenigen Minuten nach 18:00 Uhr hintereinander gestorben. Dieser Abend des 10. Novembers verweist schon auf den morgigen Tag, den 11. November, den 11.11. Im kirchlichen Kalender ist es das Fest des heiligen Martin, mit dem ein großes Brauchtum verbunden ist. Dieser Heilige gehört auch in die wechselvolle Geschichte von Krieg und Frieden hinein. Seine Eltern, die nicht getauft waren, haben ihm den Namen Martin gegeben und damit dem Kriegsgott Mars geweiht. Als Sohn eines Offiziers wurde er selbst mit nur 15 Jahren Soldat. Bei einer Schlacht in der Nähe von Worms kam es für ihn zur entscheidenden inneren Auseinandersetzung; er verweigerte den Kriegsdienst und wollte aus dem Krieg aussteigen und fortan nur noch für Gott streiten: „Bis heute habe ich dir gedient, Herr, jetzt will ich meinem Gott dienen und den Schwachen. Ich will nicht mehr länger kämpfen und töten. Hiermit gebe ich dir mein Schwert zurück. Wenn du meinst, ich sei ein Feigling, so will ich morgen ohne Waffen auf den Feind zu gehen“, so berichtet (sein Biograf Sulpicius Severus in der Vita Sancti Martini). Martin wurde gefangen genommen, um am nächsten Tag zum Kampf gezwungen zu werden. Doch am folgenden Tag boten die Germanen Frieden an und Martin verließ daraufhin die Armee. Er wurde Mönch und später Bischof von Tours. Solche Bekehrungen verwandeln die Geschichte der Menschheit bis heute, und zwar nicht zum Schlechten, sondern zum Besseren.

    Auch unsere Märtyrer haben mit ihren Worten und Taten bezeugt, für welchen Dienst sie sich entschieden hatten. Eduard Müller schreibt dazu aus seiner Gefängniszelle: „Christkönigsfest! Es kann ja für uns nichts Größeres geben, als seine Streiter und Kämpfer zu sein (…) SEIN Dienst ist höchster, heiligster Dienst, ist größte und schönste Lebensaufgabe. Kein Tag darf vergehen, ohne dass wir für IHN gefochten und gerungen haben, sei es in der Welt da draußen, sei es in uns selbst.“

    Für viele Ihnen anvertraute Menschen waren sie wie Leuchttürme in einer finsteren Zeit: Indem sie bei geheimen Versammlungen miteinander beteten und wider allen Hass die Botschaft des Evangeliums predigten, wurden die vier Märtyrer zum moralischen Rückhalt und zu Hoffnungsträgern. Sie haben gezeigt, wie grundverkehrt die Hasspropaganda der Nazis war und dafür waren sie bereit, den höchsten Preis zu zahlen. Ihr unerschütterlicher Glaube an die Auferstehung und die Begegnung mit Christus im ewigen Leben und ihr Friede hat die Besucher in der Todeszelle tief bewegt und beeindruckt.
    Ihr Zeugnis bleibt uns Auftrag und Motivation, für den Frieden zu beten und zu wirken, für eine Kultur der Solidarität und des Mitgefühls, für Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit.
    Amen.
  • Predigt von Erzbischof Stefan Heße an Allerseelen, 2.11.2022 im St. Marien-Dom zu Hamburg / St. Marien-Dom / 02. 11. 2022
    Im November Gedenken wir an vielen Tagen unserer Verstorbenen: gestern an Allerheiligen, heute an Allerseelen, schließlich am Volkstrauertag und Totensonntag. Der 9. November erinnert uns jedes Jahr an die Opfer der Reichsprogromnacht 1938 und einen Tag später, am 10. November denken wir besonders in unserem Erzbistum an das Sterben der vier Lübecker Märtyrer 1943 und damit natürlich auch an die vielen Toten von Krieg und Gewalt – bis heute!

    Wir müssen aber auch feststellen, dass trotz dieser Gedenktage sich das Erinnern an unsere Verstorbenen sehr wandelt. Halloween zum Beispiel findet steigenden Anklang, auch wenn es in diesem Jahr von einer Massenpanik und vielen Toten in Südkorea überschattet wird. In unseren Großstädten werden viele Menschen anonym bestattet, viele in Friedwäldern, manche auf hoher See. Ihre Namen stehen auf keinen Grabsteinen. Ein konkreter Ort des Gedenkens, wo man hingehen kann, ist nicht mehr da. Eine ganz neue Alternative: die Reerdigung. Nach der Trauerfeier wird der Leichnam in einem besonderen Sarg aus Edelstahl gebettet, der mit Stroh und Blumen ausgelegt ist. In ihm zerfällt der menschliche Körper bei einer Temperatur von 70°C innerhalb von 40 Tagen zu Humus. Die reine Erde wird dann auf dem Friedhof beigesetzt und auf dem Grab kann zum Beispiel etwas gepflanzt werden. Auf unserem Ohlsdorfer Friedhof hat bereits die erste Beisetzung nach einer Reerdigung stattgefunden.

    Wie bedeutsam und wichtig ein Abschied, eine Beerdigung, eine Zeit der Trauer sind, konnten wir im September beim Tod der Queen in England beobachten. Millionen von Menschen haben weltweit daran teilgenommen, haben mitgetrauert, haben etwas erfahren vom christlichen Glauben dieser Königin. Alles war detailliert geplant: ein Ausdruck von Würde und Ehre, die ein Mensch bis zuletzt besitzt. Am Ende wurden die Krone und das Zepter vom Sarg der Königin weggenommen und auf den Altar gelegt. Eine bedeutende Zeremonie, die zum Ausdruck bringen soll, dass wir vor Gott alle gleich dastehen. Hiob bringt es auf die schlichte Formel: Nackt wurde ich geboren, nackt sterbe ich.

    Die Erinnerungskultur ist im vollen Wandel begriffen. Wie erinnere ich mich meiner Verstorbenen? Oder: Wie möchte ich, dass man sich einmal an mich erinnert, wenn ich tot sein werde?

    Die Kirche gedenkt in jedem Gottesdienst der Verstorbenen, sie nennt sie beim Namen. Keiner ist vergessen.
    Wir tun das, weil wir der festen Überzeugung sind, dass Gott keinen vergisst und bei ihm alle leben.
    Wir hoffen auf die Gemeinschaft mit unseren Verstorbenen, auf ein Wiedersehen.

    Ja, wir hoffen darauf, dass Gott in seiner Liebe zu uns die bescheidenen Anfänge unseres Lebens vollendet, dass er die Bruchstücke unseres Lebens zusammengefügt, dass das Verlorene wieder gefunden wird, dass Schuld gesühnt wird, dass Leiden geheilt werden, dass Gerechtigkeit aufgerichtet wird und Frieden, Gottes unendlicher Frieden, sein Shalom herrscht.

    Allerseelen ist nicht nur Gedenken und Erinnerung auf der einen Seite und Hoffen und Zuversicht auf der anderen. Es ist auch ein Tag des Gebetes für unsere Verstorbenen. Im Gebet schlagen wir die Brücke zwischen der Vergangenheit, die wir mit unseren Verstorbenen zusammen erlebt haben, und der Zukunft, die uns wieder zusammenführen soll.

    Amen
  • Predigt von Erzbischof Stefan Heße bei der heiligen Messe zur Begrüßung der Benediktsgemeinschaft in Finkenwerder am 31.10.2022 / Finkenwerder / 31. 10. 2022
    Liebe Schwestern und Brüder,

    nachdem wir im Juni unsere Karmelitinnen verabschieden mussten und über den Sommer lediglich die heilige Messe gefeiert wurde, freue ich mich, am heutigen Tag die Benediktsgemeinschaft in Finkenwerder in St. Petrus begrüßen zu dürfen und ihr die Sorge um diesen Ort in unserem Erzbistum anzuvertrauen.

    Vor kurzem hatte ich Besuch von einer Ordensschwester aus Tansania. Sie trägt dort Verantwortung für ein Krankenhaus und sucht nach Kooperationen. Im Gespräch hat sie mir deutlich gemacht, dass in Tansania und in vielen anderen Ländern Afrikas die Gemeinden aus kleinen christlichen Gemeinschaften bestehen, small christian communities. In diesen Gemeinschaften teilen Christen ihren Glauben genau dort, wo sie leben, im Ort, im Dorf, in der Nachbarschaft, im Stadtviertel. Sie feiern gemeinsam Gottesdienst und teilen untereinander das Wort Gottes. Und sie kümmern sich umeinander, sodass keiner aus dem Blick fällt. So gestalten sie das Gemeindeleben aktiv und damit bauen sie die Kirche auf.

    Auch in unseren Breiten wird es darauf ankommen, ob es solche lebendigen kleinen Gemeinschaften in der großen Fläche der Diaspora gibt, ob unsere Pfarreien aus lebendigen Gemeinden und Orten kirchlichen Lebens gebildet sind.

    Mit der Benediktsgemeinschaft hält eine solche kleine christliche Gemeinschaft hier in Finkenwerder Einzug. Sie wollen hier nicht als Einsiedler leben, sondern als Gemeinschaft. Sie wollen hier ihren Glauben miteinander teilen, vor allen Dingen in der benediktinischen Tradition des Gottesdienstes, im Stundengebet und der Eucharistiefeier. Und ganz im Sinne des heiligen Benedikt wollen Sie nicht unter sich bleiben, sondern gastfreundlich sein und andere einladen.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    am Vorabend von Allerheiligen möchte ich Ihnen drei Heilige als Orientierung und als Fürsprecher an die Seite stellen.

    Ich denke zuerst an den heiligen Benedikt, den Patron Ihrer Gemeinschaft. Er lehrt Sie, auf Gottes Botschaft zu hören. Das erste Wort seiner Regel heißt: Höre! Leben Sie hier so, dass Sie gut auf Gottes Wort hören können.
    Der zweite Heilige, den ich Ihnen an die Seite stellen möchte, ist der Patron dieser Kirche, der Heilige Petrus. Dieser Fischer passt gut zu Finkenwerder. Aber Petrus musste aus dem Fischerberuf heraus gehen und sollte Menschenfischer werden; er musste das Fischerboot verlassen, um Jesus nachzufolgen. Wir kennen alle die Szene, in der Christus ihn aus dem Boot herausruft und über das Wasser zu sich ruft. Hier geht es nicht um ein Naturschauspiel, sondern um das auf Christus zu gehen, auf Christus hin leben, das ganze Leben auf ihn ausrichten. Solange Petrus das tut, geht er nicht unter. Solange Sie sich auf Christus ausrichten, werden sie nicht „baden“ gehen.

    Und schließlich die dritte Heilige, die ich Ihnen am letzten Tag des Rosenkranzmonates Oktober an die Seite stellen möchte: Maria, die Mutter der Kirche, wie sie das Zweite vatikanische Konzil, das vor 60 Jahren begann, bezeichnet hat. Sie hat ihre Bereitschaft bekundet und sich Gott zur Verfügung gestellt; sie hat ihr Fiat in der Stunde von Nazareth gesprochen und dann ein Leben lang gehalten. Und auch im Pfingstsaal beim Beten um den Heiligen Geist ist sie ganz die Bereite und Empfangende und trägt dieses Fiat weiter durch. In ihrer Bereitschaft ist unsere Bereitschaft aufgefangen und geborgen. In ihrem Fiat ist unser Fiat angesiedelt. So ist sie wirklich Mutter der ganzen Kirche. Ich wünsche Ihnen, dass Sie ebenso mutig und freudig wie Maria Ihr persönliches, gemeinschaftliches und kirchliches Fiat an diesem Ort leben können.

    Das, was heute hier beginnt, ist für Sie als Gemeinschaft, aber auch für uns Erzbistum ein Wagnis, ein Experiment. Gut, dass wir uns alle darauf einlassen, um so Gott einen neuen Spielraum zu eröffnen. Nach einer gewissen Zeit werden wir es auswerten und prüfen und das Gute behalten.

    Amen.
  • Predigt bei der Feier der heiligen Messe anlässlich der Bundestagung des Bundes Katholischer Unternehmer / Kleiner Michel / Hamburg / 07. 10. 2022
    (Schrifttexte: Apg 1,12-14, Lk 1,26-38)

    Es gilt das gesprochene Wort!

    Liebe Schwestern und Brüder,

    der heutige Festtag erinnert an Maria als die Königin des Rosenkranzes, und damit natürlich an das Beten des Rosenkranzes, wie an das Beten überhaupt. Welche Bedeutung hat das Beten?

    Schauen wir zuerst auf das Leben Jesu. Bei Jesus scheint alles an das Gebet rückgebunden zu sein. Er beruft seine ersten Jünger, nachdem er gebetet hat. Das große Messiasbekenntnis des heiligen Petrus (vgl. Lk 9) geschieht auf dem Boden des Betens Jesu. Die Verklärung auf dem Berg ist eingebettet in Jesu Gebet. Als die Jünger ihren Meister beten sahen, bitten Sie ihn selbst für sich um die Gabe des Gebetes. Am Ende stirbt Jesus betend (Lk 22). Bei Jesus ist das Beten nicht eine von vielen Tätigkeiten, sondern seine Grundhaltung.

    Augenscheinlich überträgt sich dies auf die junge Kirche. Eben in der Lesung haben wir von Maria und den Aposteln gehört, die im Gebet verharrten. Lukas vermittelt uns fast den Eindruck, dass die Frauen und die Jünger Jesu an jedem Ort und zu jeder Zeit gebetet haben. Das Beten ist ein Kontinuum der Kirche. Gebet ist Urvollzug unserer Kirche. Die Kirche findet zu ihrer Identität im Beten. Nirgends ist sie so sehr in ihrem Element, wie wenn sie betet.

    Dieses Gebet der jungen Kirche geschieht in Gemeinschaft. Hier kommen alle zusammen, die Gruppierungen und Einzelinteressen werden überwunden, geradezu aufgelöst. Das Gebet ist der Weg zur Einheit der Kirche. Wenn wir nicht mehr miteinander beten können oder nicht mehr miteinander beten wollen, dann ist nicht nur die Einheit gefährdet, sondern dann fehlt der Kirche ihr eigentlicher Daseinsgrund.

    Das Beten führt die junge Kirche zusammen; das kontinuierliche Beten hält sie zusammen; und es gibt der jungen Kirche die Kraft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ein paar Verse nach der heutigen Lesung geht es um die Wahl des Matthias zum Apostel (Apg 1, 15-26). Es werden zwei Kandidaten aufgestellt und bevor die Wahl getroffen wird, betet man miteinander. Das Gebet öffnet die Augen für die richtigen Entscheidungen und für die Sorgen und Anliegen der Menschen.

    Liebe Schwestern und Brüder,

    im Leben Jesu und am Anfang der Kirche hat das Gebet eine herausragende Stelle. Manchmal habe ich bei mir selbst den Eindruck, ich schiebe es soeben dazwischen in die Lücken, die sich ergeben. Es braucht Raum für das Gebet, es braucht nicht nur lokale Gebetsräume, Kirchen oder Herrgottswinkel, wo wir beten können, sondern es braucht auch Zeitzonen, die freigehalten werden für das Beten. Der Rosenkranz ist nicht einfach nur die alte Leier, die permanent wiederholt wird, sondern eine Meditation, die in die Tiefe führt. Man muss ihn tausendfach einüben, um in diese Form hineinzufinden. Die Wiederholung ermöglicht einen neuen Anfang. Neben vielen anderen Formen ist der Rosenkranz eine Möglichkeit, im Gebet wieder an den Daseinsgrund Jesu und der jungen Kirche anzuknüpfen. In jedem Gesätz wird an die Ereignisse im Leben Jesu angeknüpft oder, wie es Romano Guardini sagt, ein Verweilen in der Lebenssphäre Mariens, deren Inhalt Christus selbst ist.
  • Predigt zur Sendungsfeier der Pastoral- und Gemeindereferenten und Referentinnen / St. Marien-Dom / Hamburg / 16. 09. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort

    Texte: 2 Kor 4,7-15 und Joh 17,6a.11b-19

    Liebe Schwestern und Brüder,
    sie sind Profis. Sie haben ein Studium hinter sich, meist sogar zwei, eine Berufseinführung und damit ihre Ausbildung als Pastoral – und Gemeindereferenten und -refrentinnen nun beendet. Erhalten und entwickeln Sie ihre Professionalität, indem sie jetzt von Tag zu Tag mehr Praxiserfahrung sammeln, sie reflektieren. Nutzen Sie die Elemente der Fort- und Weiterbildung im Bistum in ihren Pastoralteams, wie auch persönlich. Nur so bleiben sie Profis.

    Bei aller Professionalität werden sie damit jedoch nicht alle Herausforderung ihres beruflichen Lebens abdecken können. Es geht in der Seelsorge und der Pastoral ja nicht einfach um Prozesse, Strukturen, um Sachverhalte oder Abläufe. Es geht vor allem um Personen: um Menschen, zu denen sie gesandt werden und für die sie da sein sollen. Und: es geht immer auch um sie selbst. Sie können sich selbst nicht raushalten. Im Gegenteil: Ihre Person, ihre Persönlichkeit ist das wichtigste Instrument ihrer Arbeit. Und schließlich geht um Gott, den persönlichen Gott.

    Sie haben sich dazu aus der heutigen Lesung einen kleinen Satz des heiligen Paulus sozusagen als Sendungswort ausgewählt: „wir glauben und darum reden wir“ (2 Kor 4, 13). Pastoraler Dienst – in welcher Form auch immer – beruht nicht nur auf Professionalität, sondern immer auch auf dem persönlichen Akt des Glaubens. Man kann nicht in der Seelsorge wirken, ohne selbst zu glauben. Bei allen Herausforderungen der Gegenwart, bei allem Scheitern der Kirche und auch bei allen persönlichen Mängeln habe ich das Gefühl, dass der eigene Glaube manchmal für uns Profis die größte Herausforderung darstellt. Wenn dieser Glaube schwankt, wenn er schwindet, wenn ich ihn aufgebe, dann wird der pastorale Dienst schwierig oder gar unmöglich.

    „Wir glauben“ – so beginnt das große Glaubensbekenntnis, mit dem uns die großen Geheimnisse unseres Glaubens immer wieder vor Augen gestellt werden, nämlich all das, was Gott wirkt für uns Menschen und seine ganze Schöpfung. Deswegen halte ich es für wichtig, sich diese Glaubensgeheimnisse immer wieder vor Augen zu führen und sie zu feiern, etwa in der Liturgie oder im Kirchenjahr.

    Paulus und das große Credo nennen als Subjekt des Glaubens nicht bloß das „Ich“, sondern das „Wir“. Gemeint ist das „Wir“ der Kirche durch die Jahrtausende hindurch. Gott sei Dank sind wir in dieses große Wir eingeflochten. Das macht stark. Ich bin froh, dass heute Abend der Bischof unseres Partnerbistums aus Argentinien mit uns diesen Gottesdienst feiert, Bischof Nikolás Baisi. Er und die Delegation aus Puerto Iguazú sind ein lebendiger Ausdruck dieses großen kirchlichen Wir. Lassen sie uns versuchen, in dieses große Wir immer tiefer hineinzukommen. Konkret in das Wir einer Pfarrei oder in das Wir des Erzbistums Hamburg. Isoliert, für sich allein, können wir unmöglich Christen sein.

    „Wir glauben und darum reden wir“. Man könnte „glauben“ ganz einfach als persönliche Beziehung zu Gott bezeichnen und dann liegt es nahe, mit diesem Gott in eine persönliche Zwiesprache zu kommen. Dabei geht es um das Hören auf seine Stimme. Das Gehörte will dann aufgenommen und erfasst werden, bis es zu einer Antwort kommt: Rede und Gegenrede, Dialog, Gebet. Wenn das der Kern des Glaubens ist, dann brauchen wir nur auszusprechen, was wir dort erfahren, dann ist Glauben und Seelsorge nicht das, was mir einfällt und was ich gerne sagen möchte, sondern weitersagen dessen, was dieser Gott mir zuspricht und was ich davon gehört und verstanden habe.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    als Profis haben sie nie „ausstudiert“, nie ausgelernt, weil wir mit dem Glauben und dem Vertrauen nie an ein Ende kommen. Gehen sie Tag für Tag diesen Weg des Glaubens und dann werden sie die rechten Worte finden: „wir glauben und darum reden wir“.
  • Predigt zur Beauftragungsfeier der neuen schulpastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter / St. Marien-Dom / Hamburg / 01. 09. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort

    Evangelium: Lk 5, 1-11

    Liebe Schwestern und Brüder!

    Vor wenigen Wochen sind viele Mädchen und Jungen in das System Schule eingestiegen: Sie kamen aus den Kindertagesstätten und Vorschulen und steigen nun in die erste Klasse ein; andere wechseln auf die weiterführende Schule und steigen jetzt dort ein.

    Und Sie, Sie steigen nach einer Zeit der Vorbereitung und Ausbildung heute in die Schulpastoral im Erzbistum Hamburg ein und werden dazu offiziell gesendet.

    Sie sind Ein-Steiger, Neu-Einsteiger, manche von Ihnen sind vielleicht auch Quereinsteiger. Ich betone das heute Abend deswegen so deutlich, weil mir beim Lesen des Tagesevangeliums aufgefallen ist, wie häufig es um das Ein- und Aussteigen geht: Ganz zu Beginn sind die zukünftigen Jünger aus ihren Booten ausgestiegen, um an Land zu gehen und ihre Netze zu flicken. Dann aber ist es Petrus und einige andere, die mit Jesus im Boot sitzen. Folglich sind sie mit Jesus in ein Boot gestiegen.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    viele steigen aus: die Aussteiger aus dem Einerlei des Lebens; die Aussteiger aus bestimmten Systemen, bei denen sie nicht mehr mitmachen oder sich gar schuldig machen wollen. Viele steigen aus der Kirche aus, aus dem Schifflein Petri. Und dafür können sie wahrlich gute Gründe benennen. Vielleicht haben auch sie sich schon einmal gefragt: sollte ich nicht eher aussteigen?

    Heute bei dieser Beauftragungsfeier geht es daher um ein bewusstes Einsteigen.

    Zuallererst möchte ich von Jesus Christus sprechen: er steigt ein, er steigt in das Boot am See Genezareth. Er steigt überhaupt ein in diese Welt. Das, was wir als Theologen mit Inkarnation bezeichnen, könnte man schlicht und einfach übersetzen mit: Gott steigt ein in diese Welt, in das Menschsein, in unser Leben und Geschick. Das ist die großartige Botschaft unseres christlichen Glaubens: einem Gott vertrauen zu dürfen, der nicht fern ab von uns Menschen existiert, sondern wirklich ein Einsteiger ist, einer, der am auf und ab unseres Lebens echten Anteil nimmt.

    Auf diesen Weg will Jesus uns einladen. Er bittet uns, in sein Boot einzusteigen. Das bedeutet für uns zunächst: Wir sitzen nicht allein in diesem Boot. Er ist längst drin, weil er ein Einsteiger und kein Aussteiger ist.
    In das Boot Jesu einsteigen kann für mich bedeuten, dass ich mir an einem Tag der Woche bewusst Zeit nehme, das Evangelium zu lesen und darüber nachzudenken, was es mir sagen kann für mein Leben. In das Boot Jesu einzusteigen kann bedeuten, den Tag mit einem kurzen, persönlichen Gebet zu beginnen oder zu beenden.

    Und damit gibt Jesus Christus uns eine Richtung vor, nämlich immer wieder einzusteigen: in sein Boot, aber auch in die Lebensboote unserer Zeitgenossen. Für Sie konkret bedeutet dies: Einsteigen in das Leben Ihrer zukünftigen Schülerinnen und Schüler: was bewegt die jungen Menschen heute? Wie kann der Glaube spannend vermittelt werden und das in einer Zeit, in der Kirche nicht gut dasteht? Sie werden sich der einen oder anderen kritischen Rückfrage der Jugend stellen müssen. Haben Sie dann den Mut davon zu berichten, was Sie persönlich motiviert im Boot Jesu zu bleiben. Ermöglichen Sie Diskussion und Austausch, aber auch Momente spiritueller Besinnung. Es scheint mir, dass wir diese Seite den Jugendlichen zu wenig zutrauen: Still werden, nachdenken über das Wort Gottes, beten.
    In einem Boot zu sitzen, bedeutet nicht zuletzt Gemeinschaft. Unterstützen Sie die Kinder und Jugendlichen, dass diese Gemeinschaft auch im Großen erfahrbar wird, indem Sie sich vernetzen und den Blick über den Tellerrand der Schule hinaus eröffnen: ich denke an das große Taizé-Treffen in Rostock dieses Jahr oder an den Weltjugendtag in Lissabon, die große Ministrantenwallfahrt nach Rom. Schulpastoral kann hier ein wichtige Brücke sein, wo unsere Gemeinden die Kinder oft leider nicht mehr erreichen.

    Liebe Mitchristen,
    wie man in ein Gespräch, eine Begegnung – und Sie wissen es selbst am besten – auch in eine Schulstunde oder einen Gottesdienst einsteigt, ist nicht unbedeutend. Davon hängt ab, ob alles folgende gelingt oder eher nicht. Deswegen wünsche ich Ihnen nicht nur für heute einen guten Start, sondern für Ihren Auftrag in der Schule Pastoral immer wieder den richtigen Einstieg. Und: Lassen Sie Jesus Christus zuerst immer wieder bei sich selbst einsteigen, denn nur so werden alle ihre Einstiege gelingen können.
  • Predigt zum Fronleichnamsfest 2022 / St. Marien-Dom / Hamburg / 16. 06. 2022

    Es gilt das gesprochene Wort!

    Jedes Jahr am 16. Oktober wird der Welttag des Brotes begangen. Auch das heutige Fest ist für uns Christen wie ein solcher Welttag des Brotes.
    Dabei legt die Liturgie heute insbesondere einen Schwerpunkt auf das eucharistische Brot, auf die heilige Kommunion, den Leib des Herrn; sie legt aber auch einen Schwerpunkt auf das alltägliche Brot, wie uns das Evangelium dieses Festtages vor Augen führt.

    Brot ist kostbar – das eine, wie das andere!
    Gerade die letzten Wochen führen uns vor Augen, wie wertvoll Brot ist. Es ist ein Skandal, dass der Weizenexport als Kriegswaffe missbraucht wird und in manchen Teilen der Welt Hungersnöte drohen. Die Preise gehen derart in die Höhe, dass mancher sich ein gutes Brot gar nicht mehr leisten kann. Denken Sie an den guten Geruch und Geschmack des Brotes, der aus einer Bäckerei hervorgeht. Brot ist in unserer Kultur ein Grundnahrungsmittel für alle.

    Auch das eucharistische Brot ist uns wertvoll: wir beugen davor die Knie, wir bewahren es in kostbaren Gefäßen und in einem Tabernakel auf, bei dem das ewige Licht brennt. Durch schönen Blumenschmuck wird diese Kostbarkeit widergespiegelt und gewürdigt. Mit diesen Zeichen bringen wir uns Dank zum Ausdruck.

    Brot ist essbar!
    Brot ist nie nur dazu da, dass es in einem Regal oder einer Theke liegt und am Ende verdirbt; auch das Brot des Altares ist nicht nur zur Verehrung und zum Anschauen da, sondern zum Essen, zum Verzehren und damit zum Leben. Brot ist Speise – das tägliche Brot wie die Eucharistie. Christus sagt: „Nehmt und esst!“. Er will sich uns einverleiben. Dabei sind eigentlich wir es, die in ihm aufgehen.

    Brot ist teilbar!
    Wenn Menschen miteinander befreundet sind, sprechen wir gerne vom: „Kumpel“. Dieser Begriff leitet sich vom lateinischen „cum pane“ ab. Ein Kumpel ist daher im wahrsten Sinne des Wortes jemand, mit dem wir das Brot teilen. Da, wo wir das nicht tun, neigen wir zur Eigen-Brötlerei. Es ist also offenbar ein tiefer Unterschied, ob ich mein Brot für mich allein esse oder es mit anderen teile.

    Die beiden Jünger auf den Weg nach Emmaus erkennen den Auferstandenen endgültig in dem Moment, in dem er ihnen das Brot bricht. Christus, ja Gott selbst, lässt sich für uns „aufbrechen“. In der Folge sollen und können wir uns füreinander aufbrechen lassen. Gerade jetzt braucht es mehr Kumpanen als Eigenbrötler!
    Fronleichnam: unser Fest des Brotes: kostbar, essbar, teilbar. Dieses Fest feiern wir nahezu jeden Tag am Altar und mitten im Leben. So sind wir reich beschenkt, werden genährt und wachsen durch die Kommunion in die Gemeinschaft der Kirche, die Communio. Amen.
  • Predigt zur Verabschiedung der Karmeltinnen / Karmelkloster / Hamburg-Finkenwerder / 11. 06. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort


    Liebe Schwester Maria, liebe Schwester Miriam, liebe Schwester Katharina,
    Schwestern und Brüder,

    von außen betrachtet kann man die Geschichte dieses Karmelklosters sehr schnell erzählen. Im Advent 1999 wurde es gegründet, heute, am 11. Juni 2022, wird es geschlossen. Äußerlich gesehen sind das kaum mehr als 20 Jahre. Verglichen mit einer 2000-jährigen Kirchengeschichte eine recht überschaubare Episode.

    Zwischen diesen beiden Eckdaten kann und muss man allerdings viel einpassen. Zuallererst die Schwestern, die in diesen gut zwei Jahrzehnten hier gelebt haben: Sie drei bis zum Schluss, aber auch frühere Priorinnen wie Schwester Theresia oder Schwester Immaculata oder die Seniorin Schwester Veronika, die im hohen Alter von 95 Jahren während der Coronapandemie hier verstarb. Zeitweise lebten Sie hier mit neun Schwestern.

    Ich weiß, dass Sie, liebe Schwestern, sich hier auf Finkenwerder von Anfang an eingebracht haben. In die Kultur vor Ort, bei Konzerten, beim Jahrmarkt, und nicht zuletzt auch in die Ökumene mit der evangelischen Gemeinde. Gerne spricht man hier auf der Elbinsel von „unseren Schwestern“. Mit ihrem Ordensgewand gehörten sie zum Erscheinungsbild von Finkenwerder.

    Sie liegen hier mittendrin: mit der Fähre ist man leicht aus der Hamburger Innenstadt hier. Mein verehrter Vorgänger, Erzbischof Ludwig Averkamp, muss gerade im Ruhestand diesen Weg fast wöchentlich zurückgelegt haben. Hinaus auf die Insel, wo eine große Flugzeugfabrik an Obstplantagen grenzt. Und mittendrin: ein Karmel. Viele hatten im Laufe der letzten Jahre sicher das Gefühl, aus der Stadt herauszukommen und hier in Stille ein wenig Abstand vom Alltag zu suchen. Nicht nur die Kirche, sondern das Kloster und vor allen Dingen das Gästehaus stand in diesen Jahren unzähligen Menschen offen.

    Aber Sie, liebe Schwestern, haben nicht nur Türen geöffnet und Räume zur Verfügung gestellt, sondern Sie haben Ihr Leben geöffnet. Ich weiß von vielen, die hier mit Ihnen ins Gespräch gekommen sind – und keineswegs über Nebensächlichkeiten! In einem Karmel geht es in aller Regel um existenzielle Fragen, um die Grundfragen des Lebens: Woher komme ich? Warum gibt es mich? Wozu bin ich da? Was ist die große Perspektive meines Lebens? Im Gespräch werden Sie mit vielen hier, im Karmel von der Menschwerdung, um diese Fragen gekreist sein. Dabei wird es ja nicht nur um Seine, also Jesu Menschwerdung gegangen sein, sondern auch um die Menschwerdung von vielen Menschen.

    Und es ist noch etwas, was diesen Ort so wertvoll macht: Sie haben nicht einfach nur mit Anderen geredet und Ihnen Antworten ins Ohr oder den Kopf gesetzt. Sie haben Gäste empfangen und diese Gäste an Ihrem Glauben und ihrer Frömmigkeit teilnehmen lassen, bei den vielen Gottesdiensten hier in der Kirche, bei der Feier der heiligen Messe, beim Stundengebet oder auch an den Stillen Tagen und Exerzitien, die hier Menschen in der Tradition des Theresianischen Karmel gemacht haben – und aus der Tradition des Karmel ganz besonders auch am „Inneren Beten“. Dann kam man in der Kirche oder im Saal zusammen, setzte sich oder kniete sich bequem hin und verweilte eine längere Zeit im stillen, persönlichen Gebet. Hier, wie auch in vielen anderen Karmelklöstern, kommen die Brüder oder Schwestern morgens und abends einfach zusammen und verweilen zum Beispiel eine Stunde lang im stillen Gebet. Dabei geht es um eine innere Hinwendung des Menschen zu Gott, nicht nur rational, sondern ganzheitlich. Johannes vom Kreuz spricht von einem „liebenden Aufblick zu Gott“. Es geht um Kontemplation, d. h. sich im Blick Gottes wiederzufinden und dies wie eine gute Gewohnheit durch den Alltag beizubehalten. Dieses Innere Beten ist dann nicht bloß eine Form von Frömmigkeit, sondern geradezu ein Habitus, der das ganze Leben prägt: die Entscheidungen, die Arbeiten und Herausforderungen des Alltags, das Urteilen und Empfinden. Frömmigkeit ist eine Einstellung für das ganze Leben. Der Mensch ist in allen Lebenslagen fromm oder er ist es nicht. Vielleicht brauchen wir so etwas wie eine Mystik des Alltags, von der ich glaube, dass man sie hier einüben durfte. Der Mystiker lebt in einer ständigen Beziehung, Freundschaft zu Gott, selbst dann, wenn er sie nicht erfährt, sich in der „Nacht des Sinnenbereiches“ befindet. Für einen solchen Menschen ist klar: solo dios basta. Gott allein genügt. Er oder sie wird versuchen, sich ein ganzes Leben lang in der „inneren Burg“ aufzuhalten.

    Dabei werden mit Sicherheit auch die vielen Fragen und Zweifel ihren Raum gehabt haben, die inneren Nöte, die Erfahrungen von so vielen Menschen, die sich nicht nur an der Kirche reiben, sondern an Gott selbst, denen alles fad und trocken wird, die meinen, nicht mehr beten zu können. Vielleicht haben sie das erlebt, was der Heilige Johannes vom Kreuz im 16. Jahrhundert als „dunkle Nacht“ betitelt.

    Dabei ist im Laufe der Jahre eine richtige Karmelfamilie entstanden aus vielen Frauen und Männern, die in dieser Tradition weiterdenken, weiterleben und weiterarbeiten möchten. Zu diesem Familien- oder Freundeskreis zählen dann natürlich auch die großen Gestalten des Karmel: Theresia von Avila, Johannes vom Kreuz, die heilige Theresia von Lisieux, Edith Stein und viele andere mehr. Edith Stein bringt in ihrer Kreuzeswissenschaft zum Ausdruck: „Unser Ziel ist die Vereinigung mit Gott, unser Weg der gekreuzigte Christus, das Einswerden mit ihm im Gekreuzigtwerden“. Aber für den Karmel ist klar, dass es nie nur um eine subjektive, individuelle Frömmigkeitsbeziehung zwischen Gott und der einzelnen Seele geht, es geht auch um eine Haltung der Geschwisterlichkeit.

    Liebe Schwestern,
    ich bin traurig, dass Sie gehen! Ich bin aber erleichtert, dass Sie so klar und mutig entschieden haben. Ich bin aber heute vor allem zutiefst dankbar. Ich bin Gott dankbar, der Ihre Wege von Hainburg (im Bistum Mainz) nach Hamburg geführt hat! Stellvertretend für Ihre ganze Gemeinschaft möchte ich Ihnen danken für all das, was Sie hier getan, durchbetet, erfahren, erlitten, aber auch geschenkt bekommen haben, was sie weitergegeben und mit anderen geteilt haben. Vergelts Gott! Ich wünsche Ihnen Gottes reichen Segen für Ihre persönliche Zukunft als Karmelitinnen, wo auch immer Ihr Weg Sie hinführen mag. Vielleicht wird er Sie zu einem ähnlichen Projekt und Experiment führen, wie dies hier in Hamburg der Fall war. Dass Sie das damals gewagt haben und 20 Jahre gelebt haben, dafür sind wir Ihnen nicht nur von Herzen dankbar, sondern dies ist ein Schatz, der nicht nur zum Erzbistum Hamburg, sondern zu vielen Menschen einfach dazugehört und ihr Leben äußerst wertvoll macht – ein Schatz, den es nicht zu vergessen gilt. Amen.
  • Predigt beim ökumenischen Gottesdienst aus Anlass der Konstituierung des Schleswig-Holsteinischen Landtages / Landtag Kiel / 07. 06. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort!


    Sie kennen Harry Potter. Und wenn Sie Harry Potter kennen, dann kennen Sie auch den Stein der Weisen. Der Stein der Weisen ist ein sagenumwobener Stoff, ein Material, mit dem jedes Metall in Gold verwandelt werden kann. Außerdem erzeugt er ein Elixier, das demjenigen, der es trinkt, Unsterblichkeit gewährt. Wie es nun mal so ist, produziert der Stein der Weisen in der Welt von Harry Potter aber nicht nur Reichtum und Unsterblichkeit, sondern auch viel Ärger. Aber diese kleine Fantasie – so einen Stein der Weisen zu haben, um manche Sorgen loszuwerden, dürfte sowohl im privaten Umfeld als auch im Bereich von Politik, und Gesellschaft eine überaus angenehme Vorstellung sein.

    Als Christen können wir leider – oder besser; Gott sei Dank! - nicht auf einen Stein der Weisen zurückgreifen, auf ein Ding, das uns „auf Knopfdruck“, wie wir belieben, Superkräfte verleiht. Wir sind als Menschen gefordert, wir haben einen Verstand, den wir nutzen sollten, und viele andere Begabungen, die wir in den Dienst von Mensch und Gesellschaft stellen wollen.

    Nein, wir haben keinen Stein der Weisen, wir kennen aber die Weisheit Gottes. Es ist seine Schöpfungsweisheit, das Maß und die Ordnung, ja der Sinn, der in dieser Schöpfung wiederzufinden ist. In Jesus Christus hat diese göttliche Weisheit unter uns Menschen Wohnung genommen. Dieser Logos, dieser Sinn ist in Jesus Fleisch, Mensch, eben konkret geworden. Je weiter die Offenbarung voranschreitet, umso deutlicher wird, dass Gott diese Welt und uns Menschen immer tiefer durchdringen möchte – durch seine Weisheit.

    Gerade haben wir Pfingsten gefeiert und eine der Gaben, die dem Heiligen Geist zugeschrieben werden, ist die Gabe der Weisheit. Aber auch die ist nicht zu verstehen wie so ein „Stein der Weisen“. Der Heilige Geist ist Person und kein Ding. Unser Verhältnis zu ihm ist nicht sachhaft, sondern personal, persönlich. Ich kann mich für ihn öffnen, mich berühren lassen, mich von diesem Geist bewegen und leiten lassen. Der Geist Gottes mit seiner Weisheit will uns im Hier und Heute zurüsten, damit wir unsere Welt, das Werk Gottes, in seinem Sinne, weiter voranbringen.

    Als Abgeordnete des 20. Landtages von Schleswig-Holstein stehen für Sie verschiedene Themen auf der Agenda: Ganz obenauf sind dies sicherlich die Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung. Dann ist weiterhin die Bewältigung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen im Fokus, ferner die Unterstützung von ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine oder das Bemühen in der Energiepolitik um eine gelingende Energiewende und die damit verbundenen neuen Technologien, z.B. Künstliche Intelligenz. Hier will Schleswig-Holstein sogar Vorreiter werden! Oder weiter die Überlegungen für ein LNG-Terminal in Brunsbüttel, um nur einige der Herausforderungen zu nennen.

    Was, wenn wir nun die Bitte des Königs Salomo auf die Politikerin, den Politiker von heute übertrügen? Auf Sie, liebe Abgeordnete! Wenn wir also, genau wie in der Schriftstelle aus dem Buch der Weisheit, beten: „Herr, sende sie, die Weisheit, vom (heiligen) Himmel (…), damit sie bei uns sei (…) alle Mühe mit uns teile und uns besonnen leite“? Was bedeutete dies für die Bildung der neuen Regierung, das Bewältigen der Pandemie und der Flüchtlingskrise? Welche Konsequenzen ergäben sich für die Energiewende im Energiewendeland Nummer eins?

    Hier im „echten Norden“ sind Sie winderprobt und Vorreiter in der Windenergie.
    Der Geist Gottes, den wir an Pfingsten eben noch gefeiert und empfangen haben, wird u.a. auch als Wind- oder Sturmesbrausen symbolisiert. Diesen frischen Wind göttlicher Weisheit wünsche ich Ihnen und dem ganzen Bundesland bei allen anstehenden Herausforderungen. Gehen Sie mit seiner Kraft im Rücken in diese 20. Legislaturperiode. Amen.
  • Predigt am Pfingstsonntag / Hamburg / St. Marien-Dom / 05. 06. 2022
    Liebe Schwestern und Brüder,

    Vor kurzem haben wir in Deutschland wieder die ökumenische Woche für das Leben begangen. In jedem Jahr setzt sie einen anderen Akzent. Mal geht es um das Ende des Lebens, um das menschenwürdige Sterben, mal um den Anfang des Lebens. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt auf Menschen, die an Demenz erkranken. Leider ist diese Erkrankung auf dem Vormarsch, sodass wahrscheinlich jeder von uns jemanden kennt, der davon betroffen ist.

    Es ist eine schleichende Krankheit, die sich offenbar nach und nach herausbildet. Am Anfang sind es eher Störungen des Kurzzeitgedächtnisses. Menschen werden zunehmend vergesslich. Da macht sich jemand zum Herausgehen fertig und weiß dann aber gar nicht mehr, wohin er eigentlich gehen wollte. Oder da legt sich jemand ganz viele kleine Notizzettel hin, um sich an dieses und jenes zu erinnern. Aber es will nicht gelingen. Das Langzeitgedächtnis verschwindet, aber auch ganz normale, einfache kleine alltägliche Fertigkeiten wollen einfach nicht mehr gelingen, die man Kaffee kocht oder die Schnürsenkel bindet …

    Liebe Schwestern und Brüder,
    mit Demenzkranken umzugehen ist sicher nicht leicht. Auch darüber zu reden, ist herausfordernd. Manchmal sind wir sehr unbeholfen und sagen über einen Menschen, der dement ist: der ist geistig nicht ganz da. Das liegt dann auch gar nicht so weit von diesem lateinischen Fachbegriff Demenz weg. De-mens bedeutet wörtlich: vom Geist weg, eben geist-los. Er oder sie lebt nicht auf der Höhe des Geistes. Von geistigen Höhenflügen kann überhaupt nicht mehr die Rede sein.

    Ich habe manchmal den Eindruck, dass nicht nur einzelne Menschen dement sein können, sondern ganze Landstriche, eine ganze Gesellschaft, die Kirche. Wenn in Europa Krieg herrscht, wenn Flüchtlinge vom Bildschirm verschwinden, wenn die Opfer des Missbrauchs vergessen und übersehen werden - und die Aufzählung könnten wir leicht fortsetzen -, dann hat das alles auch mit Vergesslichkeit, mit Vergessenheit zu tun. Es ist geradezu ein de-mentes Verhalten.

    In der Theologie, in unseren Glauben können wir das heute an Pfingsten ziemlich leicht übersetzen und mit dem Heiligen Geist in Verbindung bringen. Immer wieder haben Theologen über die Geist-Vergessenheit geklagt. Und wer den Heiligen Geist vergisst, der ist geistlos, ungeistig, ungeistlich. Dann ist es eben keine De-mens, sondern eine De-Spiritualisierung, eine Entspiritualisierung, eine geistliche Kraftlosigkeit. Der Heilige Geist ist das Therapeutikum, das Heilmittel gegen diese Vergesslichkeit, diese Geistlosigkeit.

    Jemand der dement ist, der vergisst seine Vergangenheit. Ihm mangelt es an Zukunft, und am Ende lebt er auch nicht mehr in der Gegenwart, sondern wie abwesend. Jemand der geist-los lebt, wird eine eingeschränkte, verengte Sicht auf sein Umfeld haben.
    Der Heilige Geist dagegen gibt uns den weiten Horizont. Jesus sagt von ihm: er wird euch an alles erinnern. Der Heilige Geist hält uns in Kontakt mit dem Anfang der Kirche, mit diesem geistvollen Anfang von Pfingsten, mit diesem Christus, der selber ganz auf den Heiligen Geist hin lebte und diesen Geist seiner Kirche eingehaucht hat. Der Heilige Geist hält in uns die lange Tradition unserer Kirche wach. Er verweist auf die Schätze dieser Kirche, aber er öffnet uns auch die Augen für die dunkelsten Schattenseiten dieser langen Geschichte. In diesem Sinne führt er uns in die Wahrheit ein, so weh das auch tun mag.

    Wenn der Heilige Geist uns erinnert, dann ist das mehr als ein historisches Bewusstsein. Erinnern, dass sagt das deutsche Wort, führt nach innen. Es wird in die Mitte meines Lebens, in das innerste meines Menschseins. Und der Heilige Geist führt mich in das Innerste Gottes hinein, in die Beziehung zwischen Vater und Sohn. Mit dem Geist des Vaters und des Sohnes bin ich getauft, in diesen Geist förmlich hineingetaucht. Und beides hängt zusammen: das Innerste Gottes und mein Innerstes. Der Heilige Geist will meine persönlichsten Regungen und Gefühle, meine Hoffnungen und Enttäuschungen, meine Erwartungen und Frustrationen, meine Freude und mein Leid berühren. Er will all dies heilen, stärken und kräftigen.

    Wir könnten ganz profan sagen: Hier geht‘s ums Eingemachte. Sehr viel sensibler ausgedrückt bedeutet dies: es geht um den innersten Kern meines Lebens, dieser Welt, dieser Kirche, dieses Gottes. Es geht, um es mit einem alten Wort zu sagen: um die Seele. Die Welt, dieses Land braucht eine Seele; eine seelenlose Kirche – das ist eine Horrorvorstellung. Ein seelenloser Mensch, dem wollen wir lieber nicht in die Fänge geraten. Dieser Tage hat mir in einem Gespräch ein Sohn von seiner Mutter, die an Demenz erkrankt ist, berichtet. Es sei für ihn so schrecklich, beobachten zu müssen, wie sie Schritt für Schritt ihren Charakter verliert, man könnte sicher auch sagen ihre Seele. Sie ist nicht mehr sie selbst. Der Heilige Geist will uns Christen eine Seele geben, eine Prägung, einen Charakter. Deswegen sprechen wir auch bei der Firmung von einem unauslöschlichen Prägemal, das uns das Sakrament verleiht, einem character indelebilis. Gott haucht uns in der Firmung sozusagen seinen Charakter ein, er gibt uns seine Prägung. Die charakterisiert uns dann.

    Und dann können wir von innen heraus handeln und agieren. Dann wächst etwas aus einem sehr tiefen Fundament. Dann können wir eintreten für die Menschen, können wir Ihnen zur Seite stehen und sie begleiten. Dann ist das aber nicht aufgesetzt, sondern zutiefst verankert und Ausdruck einer inneren Haltung, Ausdruck unseres Glaubens daran, dass Gottes Geist nicht die Puste ausgeht, sondern dass er auch kräftig im Hier und Heute weht.

    Pfingsten ist das Fest gegen jede menschliche, weltliche und kirchliche Demenz. Der Heilige Geist das Heilmittel schlechthin. Bei Kranken heißt es oft, dass sie medikamentös gut eingestellt sein sollen. Stellen wir uns nicht nur heute, sondern tagtäglich auf Gottes Geist ein!
  • Predigt zum Hochfest Christi Himmelfahrt / Hamburg / St. Marien-Dom / 26. 05. 2022
    Liebe Schwestern und Brüder,

    mit dem Himmel verbinden wir viele positive Vorstellungen. Manch schöne Erfahrungen sind für uns geradezu himmlisch; andere träumen vom siebten Himmel der Liebe, oder von einem Himmel voller Geigen, wieder andere tanzen in den Himmel hinein. Oder wenn uns jemand zur Hilfe kommt, sagen wir schlicht und einfach: Dich schickt der Himmel.

    Etwas kritischer sieht es schon aus, wenn etwas unerwartet vom Himmel fällt – ich frage mich, wie die Menschen im Ukrainekrieg heute über den Himmel denken, wenn Geschosse plötzlich von oben niederfallen und ihre zerstörerische Wirkung entfalten.

    Wenn wir heute Himmelfahrt feiern, geht es nicht einfach um das da oben. Die Auffahrt Jesu in den Himmel ist keine romantische Ballonfahrt oder abenteuerliche Weltraumexpedition.
    Mit Himmel bezeichnen wir Christen schlicht und einfach den Bereich Gottes. Wer im Himmel ist, der ist bei Gott angekommen. Christi Himmelfahrt meint also seine Heimkehr, seine Ankunft bei seinem Vater.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    wenn in manchen Familien das erste Kind das Abitur ablegt oder studiert oder sonst ein herausragendes Ziel erreicht, dann ist das eine Ehre für die ganze Familie. Mit Christus ist die Menschheit im Himmel, bei Gott angekommen. Es ist eine Ehre für uns alle. Das sage ich besonders auf dem Hintergrund all der Menschen, die nicht die Erfahrung des Ankommens machen können, die suchen und fragen, die mühsam den Weg durch ihr Leben finden müssen und erstrecht der über 100 Millionen Schwestern und Brüder, die weltweit als Migranten fern ihrer Heimat leben.

    Christus ist derjenige, der den Himmel für uns Menschen öffnet. In einem unserer Weihnachtslieder singen wir Jahr für Jahr: „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis“ (GL 247, 4). Jesus Christus ist sozusagen der Himmelsöffner. Seine Mission ist es, dass unser irdisches Leben nicht gegen die Wand fährt, sondern durchlässig wird auf Gott hin. Schon bei seiner Taufe im Jordan öffnet sich der Himmel; bei seinem Tod am Kreuz zerreißt der Vorhang des Tempels entzwei und gibt damit symbolisch den Weg zu Gott hin frei.
    An Christi Himmelfahrt geht es also auch um unsere Zukunft, um unsere Heimat bei und in Gott. Mit der Himmelfahrt Christi ist unser Leben ein für alle Mal eben nicht gescheitert, sondern ans Ziel gekommen und erfüllt. Unsere Zukunft liegt in der Gemeinschaft mit Gott, im Einssein mit ihm, im Ankommen bei ihm. Der frühchristliche Theologe Tertullian ruft geradezu begeistert aus: „Seid nur getrost, Fleisch und Blut, denn mit Christus habt ihr Raum in Gott gefunden“. Wir sind zum Himmel unterwegs! Es ist ein gutes Gefühl, dass sich der Himmel über unsere Erde wölbt. Gott sei Dank, ist uns der Blick nach oben eingeschrieben. Ja, wir haben einen Platz nicht nur bei Gott, sondern in Gott. Jeder einzelne ist hinein genommen in das göttliche, dreifaltige Leben und Lieben Gottes. Wenn Jesus selber uns verspricht, uns vorauszugehen und eine Wohnung für uns vorzubereiten, dann ist diese Wohnung oder besser gesagt: diese Bleibe in Gott selber vorbereitet. Sie wartet darauf, von uns an– und eingenommen zu werden. Gott selber ist der Raum, der Himmel, in dem für jeden von uns ausreichend Platz ist, sodass wir sein können.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    der Blick nach oben ist keine Weltflucht und erst recht keine Weltverachtung. Christen sind Liebhaber der Menschen, der Erde und des Lebens. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute ganz bewusst den „Himmel auf Erden“. Damit meine ich nicht, dass alle Ihre Wünsche hier erfüllt oder gar übererfüllt sein könnten. Damit meine ich vielmehr die Erfahrung der Gemeinschaft mit Gott, der Verbindung, der Beziehung mit ihm.
    Himmel auf Erden kann da werden, wo Christen Zeugen der Liebe Gottes sind und darüber sprechen. Himmel auf Erden kann da werden, wo Christen himmlisch leben. Himmel auf Erden kann da werden, wo Christen beten und im Gebet mit Gott eins sind.

    Deswegen beten wir gerade in diesen Tagen um den Heiligen Geist, das Kostbarste, was Gott uns geben kann. In diesem Geist ist Gott uns nahe und in ihm sind wir fähig, Gottes Willen zu tun - im Himmel und auf Erden, bis an ihre Grenzen.

    In diesem Sinne: Was schaut ihr auf zum Himmel? Ja, behalte dieses Ziel im Auge, freut euch drauf, aber vollzieht gleichzeitig die Bewegung Jesu vom Himmel auf die Erde immer wieder nach und lasst den „Himmel auf Erden“ anfanghaft entstehen, bis die Erde selber bei Gott zum Himmel wird. Das heutige Fest gibt nicht auf alle unsere Fragen eine Antwort. Es vermittelt uns aber eine Haltung, nämlich die der Hoffnung und der Zuversicht, der Perspektive, aus der heraus wir leben und das Leben auf dieser Erde geradezu himmlisch ausgestalten dürfen. Amen.
  • Predigt in der Osternacht / St. Marien-Dom / Hamburg / 17. 04. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort!

    Liebe Schwestern und Brüder,

    die Karwoche und das Osterfest sind voller Veränderungen, Entwicklungen. Diese Tage haben überhaupt nichts Statisches, sondern eher etwas Fließendes. Es geht von einem zum anderen, Schlag auf Schlag. Vielleicht kann man diese Tage von Palmsonntag bis heute am besten begreifen mit der Überschrift: Wandlung.

    Als erstes sehe ich die Wandlung im Rahmen des letzten Abendmahles Jesu. Er feiert einen vertrauten Ritus, nämlich das Pessachmahl. Aber er gibt ihm einen ganz neuen Sinn: Brot und Wein sind nicht bloß Materie, sondern werden hier zum ersten Mal zu Leib und Blut Christi: das ist mein Leib für euch – das ist mein Blut für euch: Das bin ich für euch. Von daher ist für uns wie für unsere Vorfahren im Glauben die Wandlung ein fester Begriff als wichtigster Moment der Messfeier. Brot und Wein, die wir zum Altar bringen, werden in jede Eucharistiefeier zu Leib und Blut Christi. Deswegen ist das „Amen“ bei der Kommunion so wichtig. Es bedeutet schlicht und einfach: Ja, ich glaube das. Ich bekomme hier nicht ein Plätzchen gereicht, sondern Christus selbst.

    Die Karwoche geht weiter mit einer nächsten Wandlung: Christus stirbt am Karfreitag am Kreuz. Es ist nicht einfach ein Sterben, das er über sich ergehen lässt, nicht einfach eine Hinrichtung ohne jeden Sinn. Er gibt seinem Sterben und seinem Tod eine tiefe Ausrichtung: Er verwandelt sein Sterben in Hingabe, seinen Tod in Liebe: Der größte von allen ist immer derjenige, der sein Leben hingibt, aus Liebe für Freund und Feind.

    Mit dieser Wandlung des Todes in Liebe ist fast schon die nächste Wandlung eingeleitet: die Wandlung vom Tod in Leben. Da, wo die Liebe hinkommt, verändert sie alles, denn Liebe heißt Leben. Liebe verwandelt jeden Tod in Beziehung und verleiht ihr Lebendigkeit. Christus bringt die göttliche Liebe in den Abgrund des Todes, also genau dahin, wo sie eigentlich nicht ist. Und damit verwandelt er den Tod in Leben. Das ist Ostern.

    Damit sind die Wandlungen keineswegs zu Ende. Es geht weiter. Der Auferstandene begegnet Frauen und Männern, er geht auf sie zu und stößt damit die Wandlung von uns Menschen an.

    Wandlung gehört zu unserem Leben und zu unserem Glauben selbstverständlich dazu. Im Gegenteil, wo sich nichts mehr verändert, da geht alles ein. Wer sich nicht mehr verändert, der erstarrt oder stagniert. Allein unser menschlicher Organismus wandelt sich in unserem Leben vielfach, die Körperzellen unterliegen einem Austausch, der Mensch entwickelt sich von der Kindheit über die Jugend zum Erwachsenen. Diese Veränderungen sind nicht bloß ein Automatismus; sie geschehen in der Begegnung, sie werden ausgelöst und begleitet von unseren Mitmenschen. Der jüdische Philosoph Martin Buber bringt es auf die Formel: Ich Werden am Du.

    Das gilt selbstverständlich auch für unsere geistliche, unsere religiöse Entwicklung. Wir werden erst zu dem glaubenden Menschen, der wir sein sollen, am Du unserer Mitglaubenden und natürlich am Du Gottes. In der Begegnung mit ihm geschieht unsere Wandlung.

    Die Jünger, die sich damals am Karfreitag verkrochen hatten, werden in der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn zu mutigen Zeugen. Die, die am Karfreitag alles aufgegeben hatten, schöpfen Zuversicht. Die, für die alles zu Ende war, beginnen mit dem Auferstandenen neu. So wird Kirche. Kirche ist nicht das unveränderliche Gebäude, auch nicht das unveränderliche Gebäude des Glaubens im übertragenen Sinn. Kirche ist immer eine Bewegung durch die Zeit und damit immer in Wandlung begriffen.

    Last but not least geht es an Ostern auch um die Wandlung der Welt. Wie sehr würden wir uns wünschen, dass der Krieg in der Ukraine zum Frieden gewandelt würde! Aber das wird nur gehen, wenn Einzelne, wenn Menschen sich verwandeln lassen. Ich halte es für überwältigend, wie das Volk der Ukrainer, das militärisch dem russischen bei weitem unterlegen ist, sich verteidigt und zum Beispiel eine Stadt wie Kiew bisher nicht erobert werden konnte. Ich hoffe, dass der Krieg zu einem Ende kommt, dass die schrecklichen Kriegsverbrechen eingestellt werden und die Würde des Menschen respektiert wird. Das wird sicher nur gehen, wenn alle Beteiligten sich verändern, sich verwandeln lassen – am besten in der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn, der vor uns hintritt und uns begrüßt mit den Worten: Der Friede sei mit dir!
  • Impuls an der fünften Station des Lübecker Kreuzwegs / Lübeck / 15. 04. 2022
    Zusammenhalt - unter diesem Leitwort sind wir unseren Kreuzweg heute gegangen. An den einzelnen Stationen haben wir dies bedacht: was uns trennt, was uns verbindet, wo unsere Verantwortung liegt. Aus der Sicht eines Mediziners, einer Verantwortlichen für den Bereich Pflege und eines Sprachwissenschaftlers.

    Es ist der Kreuzweg ganz vieler: der Ukrainer, der Geflüchteten aus der Ukraine und vielen anderen Ländern dieser Erde, auf gefährlichsten Routen, ohne jeden Schutz, gerade der Kinder und Jugendlichen und vor allem der Frauen. Es ist der Kreuzweg derer, die unter Corona leiden, im physischen, aber auch im psychischen Sinne....

    Zusammenhalt – unter diesem Leitwort können wir Jesu Kreuzweg begreifen. Er hält zusammen, er ist geradezu der Zusammenhalt.

    Jesus hängt am Kreuz, nicht allein, sondern zwischen zwei anderen. Seine Arme sind weit ausgespannt: nach rechts und nach links. Er will zusammenhalten, er will verbinden gerade da, wo Leid isoliert, wo Positionen gegeneinanderstehen, wo Perspektiven aneinander vorbeigehen. Jesus stärkt die Solidarität, die Verbundenheit, die Zusammengehörigkeit. Von seinem Kreuz geht die Botschaft des Füreinanders aus, der gegenseitigen Hilfsbereitschaft. Wir sind einander zugehörig und verpflichtet. Hatte Kain noch die verräterische Frage stellen können: „Bin ich denn der Hüter meines Bruders?", so gibt die Kreuzesszene eine eindeutige Antwort: Ja, der Mensch neben mir und um mich herum kann und darf mir nicht einerlei sein, nicht gleichgültig, sondern ist mir Schwester und Bruder, und ich bin es für ihn und für sie. Miteinander sind wir Mitmenschen, jeder einzelne ein unverwechselbares Ebenbild Gottes. Es ist nicht nur die Pflicht, die uns miteinander verbindet; viel stärker ist die Liebe, die wir empfangen und die wir schenken dürfen. Diese Liebe spüre ich in den weit ausladenden geöffneten Armen Jesu am Kreuz.

    Das ist die horizontale Dimension; dazu kommt die Vertikale:

    Jesus ist ausgespannt zwischen Himmel und Erde, er hängt dazwischen, er will oben und unten miteinander verbinden. Schon bei seiner Geburt sangen die Engel über der Krippe: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden". Doch vor wenigen Tagen, beim Einzug Jesu in Jerusalem jubelten die Menschen ihm mit den Palmzweigen zu und riefen: „Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe!" (Lk 19,38). Himmel und Erde sollen in Jesus zusammengehalten werden. Dafür steht das Kind in der Krippe, dafür steht der Gekreuzigte auf Golgotha.
    Zusammenhalt: Das zeigt Jesus am Kreuz. Zusammenhalt: das ist die Botschaft, die von jedem Kreuz an uns ergeht.

    Herr Jesus,
    du verbindest uns untereinander.
    Du verbindest Himmel und Erde.
    Lass uns dich in jedem Kreuz, das Menschen tragen, wiederfinden.
    Gib uns die Kraft, selber mehr zusammen zu führen und zusammen zu halten, als zu spalten und zu trennen.
    Sei Du der Zusammenhalt in allem und zwischen allen.
  • Predigt am Gründonnerstag / St. Marien-Dom / Hamburg / 14. 04. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort!

    Liebe Schwestern und Brüder,

    wir gehen jetzt mit Jesus in die letzten Stunden seines irdischen Lebens. Wir erinnern uns an den letzten Abend, eine letzte durchbetete Nacht am Ölberg und schließlich den schmerzhaften Kreuzweg durch die Gassen Jerusalems bis hin zur Stätte der Kreuzigung.

    Letzte Stunden sind oft mindestens genauso bedeutsam wie erste Stunden. Anfänge und Enden haben es in sich. Die letzten Stunden Jesu vermitteln sein Erbe, sein Vermächtnis, seine Hinterlassenschaft. Es geht um das, was bleibt, was uns von ihm erhalten bleibt.

    Er verteilt in dieser letzten Stunde nicht irgendwelche Dinge; er verteilt nicht das Barvermögen unter den Erben; er überreicht nicht einen dicken Wälzer mit klugen Worten. Der Gründonnerstag lebt von ganz schlichten, einfachen und deswegen wohl so anrührenden, nachhaltigen Zeichen.
    Christus feiert mit seinen Jüngern das Pessachmahl. Er reiht sich in eine ganz lange Tradition seines jüdischen Volkes ein. Er feiert, was Juden bis heute begehen: die Erinnerung an den Auszug aus der Sklaverei in Ägypten und dabei das Mahl mit ungesäuertem Brot und Wein. Diesem Zeichen verleiht er einen vollständig neuen Charakter, indem er zu dem Brot schlicht und einfach hinzufügt: „Das ist mein Leib für euch“. Und ebenso machte er es mit dem Wein: „Das ist mein Blut für euch“. Damit werden Brot und Wein zu Zeichen Jesu, zu sakramentalen Zeichen, zu Sakramenten: ein schlichtes Zeichen, ein klares Wort mit der Zusage: Das bin ich für euch – so bin ich bei euch- so bleibe ich mitten unter euch.

    Wenn uns die Feier dieses Abendmahles, oder wie wir später sagen: der Eucharistie, der heiligen Messe als Kirche so wichtig ist, dann nicht, um eine Tradition zu retten oder einen kirchlichen Betrieb sicherzustellen, sondern um Jesu Auftrag fortzusetzen: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ und zu wissen: Unter diesen Zeichen, bei diesen Handlungen ist ER mitten unter uns, hier und heute.

    Das zweite Zeichen dieses letzten Abends Jesu mit seinen Jüngern ist mindestens genauso bedeutsam: die Fußwaschung. Gottes Sohn, der an Weihnachten Mensch geworden ist, geht hier in die Tiefe des Menschseins hinab. Er tut den Dienst, den der letzte, jüngste Sklave zu tun hatte, einen sehr erniedrigenden Dienst: anderen die Füße zu waschen. Jesus versteht das als Beispiel. Wir müssen es also nicht eins zu eins umsetzen, sondern vielmehr fragen, wie ich Jesu Absicht heute verwirklichen kann: Dem anderen zu dienen, um seiner selbst willen, in den kleinsten Kleinigkeiten. Es ist die Karriere nach unten; der Weg zum letzten Platz. Dort stellt sich der Herr selber hin, dort will er uns stehen sehen.

    Beide Zeichen ergänzen sich: das sakramentale Mahl und die Fußwaschung. Beide sind Zeichen von Jesu unendlicher Liebe. Von beidem leben wir und beides dürfen wir empfangen: die Eucharistie am Tisch des Altars und den Liebesdienst auf den Straßen dieser Welt, da wo heute die Füße der Menschen der Reinigung und der Pflege bedürfen. Das eine ohne das andere greift zu kurz; beides zusammen hat große Kraft und stillt die Sehnsucht der Menschen und gibt ihnen genau das, wovon wir alle leben: Das ist nichts weniger als Gottes unendliche Liebe.
  • Predigt zur Chrisammesse / St. Marien-Dom / Hamburg / 11. 04. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort!

    Liebe Mitbrüder im diakonalen, priesterlichen und bischöflichen Dienst,
    liebe Schwestern und Brüder!

    Die letzten Wochen und Monate sind nicht nur eine Krise der Weltpolitik, eine Krise für Frieden und Gerechtigkeit, eine humanitäre Krise für Millionen von Menschen, die ungerechtfertigter-weise ihr Land verlassen müssen und als Flüchtlinge woanders und auch hier bei uns in Deutschland Zuflucht suchen. Es entwickelt sich immer mehr auch eine Handelskrise, eine Wirtschaftskrise und nicht zuletzt auch eine Energiekrise: an der Tankstelle sind die Preise zwischenzeitlich drastisch gestiegen; das Speiseöl war in manchen Supermärkten gar nicht mehr zu finden; und auch die Kosten für Heizung und warmes Wasser, für die Fahrt zur und von der Arbeit nach Hause werden deutlich steigen.

    Vielleicht sind die letzten Wochen, aber auch die Zeit der Pandemie für viele Menschen sozusagen eine persönliche Energiekrise: Woraus beziehe ich die Kraft, die ich benötige, um all das zu bewältigen? Auch für manchen Seelsorger und manche Seelsorgerin sind es herausfordernde Zeiten: Wo ist meine Energiequelle?

    Die Ölmesse will und kann uns darauf eine Antwort geben.

    „Der Herr hat mich gesalbt“ – das ist die Erfahrung Jesu in der Synagoge von Nazareth. Die Salbung geht von keinem Geringeren aus als von Gott selbst. Es ist Gottes Tat und es ist Gottes Gabe. Gott gibt nie etwas, sondern teilt sich selber. Es ist seine Energie, die wir empfangen, „Gottes Kraft und Weisheit“ (1 Kor 1,24).

    In der Salbung berührt Gott selber mich. Es geht hier nicht um einen kraftvollen Ritterschlag, es geht nicht um eine großartig inszenierte Krönung oder eine andere machtvolle, ja gewaltvolle Geste. Es geht um eine sehr sensible und persönliche Berührung, eine die unter die Haut geht, die eindringt – aber ohne Gewalt.

    Der Herr hat mich gesalbt, dich und mich, uns alle: in Taufe, Firmung, Weihe und ganz besonders in der Krankheit. Es ist eine Salbung, die bleibt; eine Zusage, die nie zurückgenommen wird. Sie steht ein für alle Mal. Darauf kann ich mich verlassen – gerade in der Krise, in der Krise der Kirche, der Gesellschaft und meiner sehr persönlichen.

    Der Herr hat mich gesalbt, und in einem Atemzug fügt Jesus an: Er hat mich gesandt. Salbung ist immer Sendung. Zu den Armen, den Gefangenen, den Blinden, den Zerschlagenen, den Gefesselten, den Trauernden … Es ist der Auftrag, Freudenöl zu bringen statt Öl ins Feuer zu gießen.

    Als einzelne Christen, als gesandte und beauftragte Priester und Diakone und Seelsorger haben wir diese Sendung. Es ist die Sendung Gottes, die wir selber erfahren haben und die wir jetzt weitergeben dürfen. Wir sind Gesalbte und haben den Auftrag, andere zu salben, genauso sensibel und zärtlich wie Gott selber.

    Viele Menschen erwarten genau das von uns. Es scheint, dass es heute mehr denn je auf diese sehr persönliche und einfühlsame Form der Begegnung ankommt. Die Zeit großer Massenveranstaltungen und riesiger Aktionen scheint nicht zu sein. Ich denke an die Geflüchteten, die jetzt dieses Freudenöl brauchen oder an die Menschen, die bei OutInChurch zusammenkommen. In der Begegnung mit ihnen habe ich spüren können, wie sehr sie von ihrer Kirche eben keinen her-ablassenden Blick erwarten, sondern ein Zeichen der Unterstützung. Ich denke auch an die Ge-schichte des einen oder anderen, der an diesem Osterfest die Taufe ersehnt und damit die Salbung von Gott empfängt. Ich denke an die vielen an Leib und Seele verletzten Menschen in unserer Gesellschaft, aber auch mitten in unserer Kirche und leider Gottes auch durch uns in dieser Kirche Verletzten, die nichts dringender ersehnen als Balsam für die Seele.

    Diese Chrisammesse führt uns sinnenfällig vor Augen, dass Gott sein Wirken nicht eingestellt hat. Er handelt auch heute – er handelt an jedem von uns – er will handeln durch uns, damit sich der wohltuende Duft seiner göttlichen Salbung gerade jetzt weiter ausbreitet.
  • Impuls zu Palmsonntag 2022 / Hamburg / 10. 04. 2022
    Am 24. Februar dieses Jahres ist das russische Militär in die Ukraine eingedrungen. Endlose Militärkolonnen mit scharfem Geschütz, das nicht zurückschreckt vor Wohnungen und Häusern, Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern, bis in die Zentren der Städte hinein, nach Kiew, Lemberg, Odessa, Mariupol und wie sie alle konkret heißen.

    Militärparaden, die in manchen Ländern zur Erinnerung an frühere große Siege gehalten werden, sind keineswegs harmlos. Wir sehen jetzt mitten in Europa, wo es hinführt, wenn sie auf scharf gestellt werden, wenn gezündet wird. Das Spiel mit dem Feuer ist nicht ungefährlich!

    Auch die Antike kannte solche Paraden, kannte den Streitwagen, das Militär – das hat es offenbar zu allen Zeiten gegeben und das gibt es bis in die Gegenwart. Da muten die oft inszenierten Staatsbesuche früherer Zeiten geradezu als harmlos an. Wenn zum Beispiel Könige kamen und mit militärischen Ehren und großem Pomp empfangen wurden.

    Aber all das hatten schon die Zeitgenossen Jesu und all das müssen wir heute als Hintergrund für den Einzug Jesu nach Jerusalem bedenken. Jesus liefert ein Gegenbild, einen Kontrast, wie er deutlicher nicht sein kann.

    Jesus kommt mit nichts, noch nicht einmal mit ein paar Habseligkeiten wie viele der Geflüchteten in diesen Tagen.

    Sein Einzug scheint spontan, jedenfalls nicht inszeniert und geplant. Sein Einzug ist friedlich. Jesus wählt damit einen anderen Ansatz als die politischen Machthaber seiner Zeit.

    Er sitzt auf einem Esel, einem Nicht-Kriegs-Tier. Der Esel steht für Demut. Es ist kein störrischer, sondern ein ganz junger, bereitwilliger Esel. Vor ihm braucht man keine Angst zu haben. Im Gegenteil: Dieser Esel trägt friedlich die Lasten, er ist ein Lasttier.

    Fast fühlt man sich an eine Zeichnung aus Rom erinnert: In der ehemaligen Wachstube der kaiserlichen Garde auf dem Palatin in Rom ist eine Karikatur des Kreuzes an die Wand gekritzelt: ein Kreuz, an dem ein Mensch hängt mit einem Eselskopf. In der Rüstung eines römischen Legionärs kniet ein Soldat vor diesem Kreuz. Und der Text daneben sagt: „Alexamenos (dem seine Kameraden durch diese ironische Kritzelei ihre Verachtung bekundet haben) betet seinen Gott an." Sein Glaube an Jesus Christus war in ihren Augen eine Eselei, eine lächerliche Torheit. Noch weiter gedacht lautet die Botschaft: Ein Gott, der sein Schicksal in die Hand von Menschen gibt, ist ein Esel. Auf gut Deutsch: Jesus reitet nicht nur auf einem Esel, sondern er ist selber ein Esel.

    Wenn wir heute am Palmsonntag, wie die Menschen damals, Jesus auf dem Esel zujubeln und unsere Palmzweige dazu schwenken, dann ist das in diesem Jahr eine ausdrückliche Friedensdemonstration. Es ist ein Aufruf, den Frieden immer mehr in diese Welt zu bringen. Denken wir nicht nur jetzt beim Einzug in die Kirche an den Esel, sondern immer wieder. Haben wir keine Scheu, in den Fußstapfen Jesu weiterzugehen – ganz im Sinne des demütigen, sanftmütigen Esels, der den Frieden verkörpert.
  • Impuls zum Aschermittwoch / St. Marien-Dom / Hamburg / 02. 03. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort!

    „Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider!“ (Joel 2, 13)

    In den vergangenen Tagen sind mir Menschen mit einem Herz, das förmlich zerrissen ist, begegnet: ich denke an eine Reihe von Gesprächen mit Frauen und Männern aus der Ukraine, die hier in Hamburg leben. Wenn sie in diesen Tagen von ihren Verwandten und Freunden aus der Heimat sprechen, dann spüre ich ein gebrochenes Herz. Einige waren den Tränen nahe, andere haben sich bei ihren Erzählungen förmlich mit ihrer Hand ans Herz gefasst. Mich hat das sehr bewegt. Wahrscheinlich ist mir deswegen dieser kleine Vers aus dem alttestamentlichen Buch Joel ins Auge gesprungen: „Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider!“
    Die Fastenzeit geht vom Herzen des Menschen aus und damit von seinem Zentrum. Vielleicht darf man auch die Aufforderung Jesu im heutigen Evangelium: „Du aber geh in deine Kammer“ nicht bloß auf irgendein Hinterzimmer beziehen, wo es still ist, sondern auf die Kammer unseres Herzens. In dieser Kammer, in unserem Herzen sind wir ganz bei uns selbst. Ein guter, ja der beste Ausgangspunkt für die nächsten 40 Tage.

    Die Kleider sind äußerlich. Das Herz ist innerlich. Die Fastenzeit begnügt sich nicht mit der Einhaltung äußerer Formen und Verhaltensweisen. Die Fastenzeit beginnt mit der Bekehrung unseres Herzens. Die Fastenzeit will nicht irgendetwas ändern, sondern uns selbst. Deswegen setzt sie an unserer zentralsten Stelle an. Sie will Verkleidungen, jede Routine und allen Formalismus durchbrechen.
    Ein zerrissenes, ein gebrochenes, ja ein blutendes Herz, wie wir manchmal Deutschen sagen, ist ein verletztes Herz, auf alle Fälle: ein offenes Herz. Und auf keinen Fall ein steinernes, kaltes Herz, vor dem die Propheten immer wieder warnen.

    Die Fastenzeit will unser Herz berühren lassen von Gott und unseren Mitmenschen. Dem gebrochenen und zerrissenen Herzen geht das Leid der anderen nahe. Es ist sensibel für die Mitmenschen. Mit einem solchen Herzen im Hintergrund ist alles, was wir in diesen 40 Tagen tun und uns vornehmen, innerlich abgedeckt und gefüllt.
  • Predigt zum 27. Jahrestag der Gründung des Erzbistums Hamburg / St. Marien-Dom/Hamburg / 07. 01. 2022
    Es gilt das gesprochene Wort!

    Liebe Schwestern und Brüder,

    gestern, am Fest der Epiphanie, Heilige drei Könige, endete das Evangelium der heiligen Messe mit dem wichtigen Satz: Sie zogen auf einem anderen Weg heim in ihr Land. Ich möchte heute noch einmal daran anknüpfen.

    Die Magier bleiben also nicht an der Krippe stehen und schlagen dort ihre Zelte auf. Sie treten den Heimweg an und kehren in ihr eigenes Land, ihre eigene Welt zurück. Das ist für uns im Erzbistum Hamburg eine eindeutige Botschaft: Hier im Norden Deutschlands sind wir hingestellt. Hier liegt unser Auftrag, hier machen wir die wichtigsten und besten Erfahrungen unseres Lebens, hier ist für uns „heiliger Boden“ (Ex 3, 5).
    Der Evangelist betont dann eigens, dass die Magier „auf einem anderen Weg“ wieder heimkehren. Konkret heißt das: Ihr Weg führt nicht über den Palast des Herodes. Diese Station hat sich schon auf dem Hinweg als falsch erwiesen. Jetzt kehren sie nicht über diese Station zurück.

    Vielleicht darf man diese Formulierung „auf einem anderen Weg“ auch viel allgemeiner verstehen: Sie kehren anders nach Hause zurück, verändert, ja verwandelt. An der Krippe haben sie im neugeborenen Kind das gefunden, was sie gesucht haben. Diese Begegnung hat sie verändert und verwandelt. Sie gehen eben nicht mehr so von der Krippe weg, wie sie hingekommen sind, sondern mit neuen, mit anderen Erfahrungen. Eigentlich muss jede Begegnung uns immer ein Stück weit verändern. Die Begegnung mit einem König, mit dem Messias, mit Gott selbst kann nie folgenlos bleiben. Sie verändert immer. Wer Gott begegnet, sollte immer anders davongehen, wie er hingekommen ist. Es sei denn, der Mensch verschließt sich in sich selbst und schottet sich gegen Gottes Liebe ab. Dann passiert gar nichts.

    Für die Drei ist ein neuer Horizont eröffnet worden, sie haben ein neues Bild von Gott gefunden. Er ist eben nicht nur derjenige, der über allem steht, der der Größte ist, der Allmächtige, der Starke. In Jesus schlägt Gott einen neuen und anderen Weg ein. Es ist der Weg der Erniedrigung, der Kleinheit, eben der unterste Weg, wie in später der Franzose Charles de Foucauld nennt.
    Von diesem Gott können die Magier fortan erzählen; die Erfahrungen, die sie an der Krippe gemacht haben, die können sie nun weitertragen. Wovon das Herz voll ist, davon läuft der Mund gleichsam über (vgl. Lk 6, 45).
    Wer dem Kind in der Krippe begegnet, der wird nicht nur davon erzählen, nein, er wird selber versuchen, diesen untersten Weg im eigenen Leben selber zu gehen, ihn fortzusetzen, die Liebe, die in Kind in der Krippe spürbar wird, weiterzuleben, sich dafür einzusetzen, dafür zu wirken und zu arbeiten.

    Liebe Schwestern und Brüder,
    in diesem weihnachtlichen Tagen kommen auch wir zum Kind in der Krippe. Immer wieder kommen wir zum Mann, der am Kreuz hängt. Die Begegnung mit ihm will auch uns verwandeln. Auch wir gehen dann anders wieder von ihm weg, als wir zu ihm hingekommen sind.

    Versuchen wir, Gott im Kleinen zu suchen, in den Alltäglichkeiten, indem was man allzu leicht überhören und übersehen kann, in der Stille, und natürlich in den Kleinen unter uns, die nicht groß herauskommen, um die kein Aufsehen gemacht wird, die im Schatten leben, an den Rändern. Von diesen Gotteserfahrungen im Kleinen, die wir persönlich gemacht haben, zu erzählen, das ist Aufgabe einer missionarischen Kirche. Aus diesen Erfahrungen heraus unser Leben zu gestalten und Gottes Liebe im Alltag in die Tat umzusetzen, das ist unsere Überzeugungskraft.

    Ich wünsche am heutigen Geburtstag unseres Erzbistums allen, dass sie zu Jesus hin finden, ihm immer wieder persönlich begegnen und dann verändert zurückkommen und als Christen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg leben.
  • Predigt zum Jahreswechsel 2021/22 / St. Marien-Dom/Hamburg / 31. 12. 2021
    Es gilt das gesprochene Wort!

    Liebe Schwestern und Brüder,

    im vergangenen Jahr haben wir wieder besondere Erfahrungen mit der Zeit gemacht. Durch die Phase des Lockdown im Besonderen und die Corona-Pandemie im Allgemeinen wurden wir förmlich ausgebremst. Vor allem junge Menschen fühlen sich geradezu betrogen, Ihnen werde die Jugend oder zumindest ein Teil davon geraubt. Und das ging so urplötzlich los und dauert nun gefühlt und tatsächlich schon so lange und wird wahrscheinlich auch noch nicht so schnell zu Ende gehen. Alle werden wohl der Feststellung zustimmen, dass die Zeit aus den Fugen geraten sei. Es wird lange dauern, bis sie wieder in ihren Rhythmus gefunden haben wird. Hatten wir vor der Pandemie oft keine Zeit, aber dennoch unsere Zeit im Griff, scheint es jetzt umgekehrt: Sie hat uns im Griff und ist immer schwieriger zu gestalten.

    Ich persönlich habe im vergangenen Jahr eine eigene Erfahrung mit meiner Lebenszeit gemacht. Die Veröffentlichung des Gutachtens über die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln am 18. März unterteilt mein Leben gewissermaßen in eine Zeit davor und danach. Ich hatte Papst Franziskus meinen Rücktritt angeboten. Der Papst hat mir daraufhin eine Aus-Zeit bis zu seiner endgültigen Entscheidung gewährt.

    Plötzlich standen von einem Tag auf den anderen keine Termine mehr in meinen Kalender. Entschleunigung in ihrer reinsten Form: von Hundert auf Null! Wie lange diese Auszeit wohl dauern würde, das war bis zum Ende nicht abzusehen. Meine Zeit ging in diesen Monaten nicht so sehr in die Breite, in die Vielfalt der Termine und Verpflichtungen, sondern eher in die Tiefe. Ich denke zum Beispiel an die 30-tägigen Exerzitien im Geiste des heiligen Ignatius, die ich machen konnte, und viele andere persönliche Erfahrungen, die ich in dieser Zeit vor allem über mich selber gewinnen durfte. Ich möchte heute die Gelegenheit nutzen, allen zu danken, die mir in diesen Monaten auf sehr persönliche Weise nahe und beigestanden sind.

    Liebe Schwestern und Brüder,

    wenn man so in der Mitte seines Lebens angekommen ist, dann ist es eigentlich die Zeit, zu wirken, etwas aufzubauen, Spuren zu hinterlassen, etwas zu gestalten. Mir hat 2021 dagegen sehr deutlich gemacht, dass mein Leben vorüber geht, dass es vergänglich ist. Ich kann die Zeit und das, was ich in ihr mache, nicht festhalten, erst recht nicht verlängern. Das ist uns oft sonnenklar im Hinblick auf die anderen. Ich denke zum Beispiel an den Tod meines Vaters im September 2021. Sein Tod ist nicht ohne Auswirkung auf mein Leben. Es ist eine Botschaft an mich: auch ich bin vergänglich und am Ende wird auf meinem Grab mein Leben schlicht und einfach eingefangen sein mit dem Geburtsdatum und dem Todestag, den ich heute noch nicht kenne.

    Diese wesentliche Erfahrung zeigt mir: Jeder einzelne Augenblick ist kostbar, unwiederbringlich, unwiederholbar, einzigartig und einmalig. Die Kostbarkeit des Augenblicks spiegelt wie in einem kleinen Punkt die Kostbarkeit dessen wider, was wir Christen ewiges Leben nennen. Das ewige Leben ist pure Gegenwart, ein immerwährender Augenblick, ein ständiges jetzt. Das findet sich in diesen kleinen Augenblicken unseres Lebens wieder, die für uns so wichtig sind. Wir könnten auch umgekehrt sagen: in diesen kurzen Augenblicken bereitet sich die Ewigkeit vor, die ein ständiger Augenblick ist.

    Vor kurzem fiel mir im Matthäusevangelium der Ratschlag Jesu auf: „Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug an seiner eigenen Plage“ (6,34). Ein mittlerweile hochbetagter Bischof aus der Schweiz (Peter Henrici) hat daraus für sich persönlich abgeleitet, dass es darauf ankommt sich „durchzuwursteln“. Damit meinte er: Man muss sich auf jede neu stellende Aufgabe und auf jedes neue Problem einstellen und die richtige Antwort finden. „Die Kirche fährt ja nicht wie ein Auto auf einer vorgezeichneten Straße; sie ist ein Schiff, das versuchen muss, in den wechselnden Windrichtungen und Strömungen die Richtung auf sein Ziel je und je so gut wie möglich festzuhalten. Anders gesagt: es ging nicht darum, ein Projekt zu verwirklichen, sondern Probleme zu lösen. Aus einer Problemlösung ergab sich dann manchmal auch ein Projekt“. Vielleicht darf ich zu diesem Ratschlag des Schweizer Bischofs hinzufügen, dass jeder Tag nicht nur seine eigene Plage hat, sondern immer auch seine eigene Freude. Vielleicht sind genau das die Sterne auf unserer Schiffsreise, die am Himmel funkeln.

    Liebe Schwestern und Brüder,

    für das Jahr 2022 wünsche ich Ihnen, dass wir die Zeit miteinander teilen. Damit verbinde ich die Hoffnung, dass wir Zeit miteinander verbringen, dass wir Zeit füreinander haben. Wir brauchen gar nichts Mitbringen an Geschenken oder Gedanken, sondern einfach einander Zeit schenken.

    Die Zeit miteinander zu teilen, d. h. für mich aber auch, dass wir diese Zeit, in der wir leben, miteinander teilen. Wir können es uns als Kirche nicht erlauben, an der Zeit vorbei zu leben. In dieser Hinsicht haben wir keine Zeit zu verlieren. Wir stehen in der Zeit und glauben an einen Gott, der die Zeit mit uns teilt. Teilen wir die Erfahrungen dieser Zeit, wie sie ist: Corona, die Klimakrise, die Situation unserer Kirche ohne Schönfärberei, den Synodalen Weg in Deutschland und in der ganzen Weltkirche, die Sorgen der Migranten auf dem Mittelmeer und wo auch immer, die Angst der Menschen in der ganzen Welt vor Krieg und Terror, den Hunger nach Nahrung und Sinn …

    Wer weiß, welche Zeit-Erfahrungen wir 2022 machen werden? Entscheidend ist, dass wir in die Tiefe gehen und Erfahrungen machen, die unser Leben bestimmen, prägen und zum Guten wandeln, und diese miteinander teilen.
  • Predigt zur Christmette / St. Marien-Dom / Hamburg / 24. 12. 2021
    Es gilt das gesprochene Wort


    Liebe Schwestern und Brüder,

    auf den ersten Seiten der Bibel finden sich im Alten Testament die Erzählungen über die Anfänge: der Anfang von Himmel und Erde, den Anfang des Menschen. In diesen Anfang gehört auch die berühmte Erzählung vom Paradies mit dem Lebensbaum in der Mitte, von Adam und Eva, von der Schlange und dem berühmten Apfel. Der eine schielt auf den andern, jeder windet sich und redet sich heraus (vgl. Gen 3).

    Im Deutschen kennen wir dieses Wort: heraus-reden. Mir ist es vor einigen Tagen geradezu sinnenfällig vor Augen gekommen, als ich ein Wort des 2017 verstorbenen Benediktinerabtes Odilo Lechner las, der von sich sagt: „Wie oft habe auch ich dem Herrn und anderen Menschen Treue versprochen und habe mich, wenn es ernst wurde, verdrückt, habe weggeschaut, mich ’heraus‘ geredet.“ Dabei hat er dieses ‚heraus‘ ganz bewusst in Anführungszeichen gesetzt und mir damit deutlich gemacht, was hier passiert: herausreden d. h. sich aus der Verantwortung stehlen, so tun, als gehe es einen gar nichts an, als hätte man noch nie davon gehört. Wer sich heraus-redet, der will mit der Sache nichts zu tun haben, der steckt eben nicht drin. Er bleibt draußen vor und ist nicht mittendrin.

    Weihnachten heißt eben nicht sich herausreden oder heraushalten, sondern legt die Gegenrichtung ein: immer tiefer hereinkommen, drin sein. Wir feiern heute einen Gott, der sich bewusst entschieden hat, in diese Welt hineinzugehen und in das Leben des Menschen einzusteigen. Dieser Gott steht zum Menschen und stellt sich deswegen an seine Seite. Weihnachten heißt: Gott steht zu mir. Menschwerdung Gottes bedeutet: Gott steht zu jedem Menschen, zu mir, zu meiner Geschichte, zu dem Auf und Ab meines Lebens. Wir glauben an einen Gott, der sich uns gegenüber nicht herausredet nach dem Motto: Dich kenne ich nicht, mit dir habe ich nichts zu tun. Gott stellt sich an Weihnachten an unsere Seite, er wird unser Bruder und sagt uns: Wir gehören zusammen, wir sind ein Team.

    Dieser Gott redet hinein in mein Leben. Er hat eine Botschaft für mich, ein Wort, einen Gedanken, der mich meint, der nur für mich da ist und für sonst niemand. Weihnachten kennt auch diese leise Seite, die mich auf den Grund meines Herzens, meiner Seele verweist, in der Gott ganz still mit mir kommunizieren möchte. Wenn Gott sich hineinredet in mein Leben, dann bedeutet es für mich, dass ich tiefer hineinhöre in mich selbst und dabei seine Stimme hören kann. Die Hl. Katharina von Genua (+1510) sagt kurz und bündig: „Mein tiefstes Ich ist Gott“. Echtes geistliches Leben fängt immer innen und zumeist ganz unten an.
    Aber Weihnachten ist nicht nur eine Sache zwischen Gott und mir, in vertrauter Zweisamkeit. Weihnachten verlangt von mir, dass ich immer tiefer hinein höre in diese Welt, in die Gott hinein spricht. Weihnachten heißt hineinzuhören in die Welt, um Gottes Stimme aus ihr heraus zu hören. Weihnachten heißt zu hören auf das Weinen und Wimmern der ganz Kleinen, der Schwachen, der Jungen und Alten, derer, die vom Missbrauch betroffen sind und auf die wir lange überhaupt nicht gehört haben. Weihnachten heißt zu hören auf die Nöte derer, die sich mit Corona infizieren, Delta, Omikron oder welcher Variante auch immer und jetzt keinen Atem mehr haben. Weihnachten heißt hören auf die, die sich sorgen, wie es mit ihrem eigenen Leben, aber auch mit diesem Planeten weitergeht. Weihnachten heißt hören auf die Stimme der Migranten, weltweit mehr als 280 Millionen Menschen …

    Gegen jedes ‚Heraus‘ setzen wir an Weihnachten ein ‚Hinein‘, gegen jedes Reden ein Tun, Weihnachten meint also nicht: herausreden, sondern: hinein tun. Es geht darum, die Liebe in die Welt hinein zu tun. Es kommt also nicht darauf an, zu der Inflation von Worten noch unzählige mehr hinzuzufügen, sondern sie mit Leben füllen, sie in die Tat umsetzen, sie Wirk-lichkeit werden lassen.

    Weihnachten gibt uns eine Richtung vor: Hinein-tun statt Heraus-reden. Ich wünsche Ihnen von Herzen diese Ausrichtung für das diesjährige Weihnachtsfest!
  • Predigt zur Pfarreigründung St. Knud / Kirche St. Ulrich zu St. Peter Ording / 28. 02. 2021
    Es gilt das gesprochene Wort



    Liebe Schwestern und Brüder,



    sowohl die Lesung als auch das Evangelium haben uns heute Morgen in die Höhe mitgenommen. Hoch auf einen Berg. Ich vermute, wären diese Schrifttexte aus dem Alten und aus dem Neuen Testament heute nicht an der Reihe, dann wären sie wahrscheinlich von Ihnen hier nicht ausgewählt worden. Die Gegend, in der wir hier sind, ist doch ziemlich flach und Berge gibt es hier nicht. Die höchsten Erhebungen sind die Uwe-Düne auf Sylt oder der Sandesberg mit etwas über 50 m. Ansonsten ist das hier Marschland, Geest. Hier gibt es Halligen, hier gibt es Inseln, hier ist es platt, hier braucht es Sperrwerke, aber eben keine Seilbahnen, um irgendwie auf Berge zu kommen. Überall in den katholischen Gottesdiensten ist am zweiten Fastensonntag von diesen beiden Bergen die Rede und deswegen will ich Sie mitnehmen auf diese Berge.



    Manchmal ist es ja ganz gut, wenn man sozusagen aus der flachen Ebene ein wenig nach oben geht auf die Berge. Im Übrigen wirbt man hier ja damit, dass wir ganz oben in Deutschland sind und deswegen können Sie das als neue Gemeinde ja auch sein. Ganz oben auf diesen beiden Bergen, von denen hier die Rede ist. Im Alten Bund war es der Berg Morija. Abraham soll seinen Sohn darbringen, opfern. Die Geschichte gewinnt eine Dramatik bis hin zu dem Punkt, dass er schon das Messer gezückt hat, den Jungen opfern will, d. h. er hält Gott nichts vor. Er gibt ihm alles und Gott sei Dank greift der Engel ein. Diese Geschichte aus dem Buch Genesis ist sehr verschieden gedeutet worden, aber eine der wichtigsten Deutungen dürfte wohl darin bestehen, dass Gott kein Menschenopfer will. Es gab wohl damals im Umfeld Israels andere Kulte, die haben Kinder, die haben Menschen geopfert für Götter und genau das will Gott nicht. Das will er auch heute nicht. Kein Mensch darf einen anderen Menschen opfern. Kein Mensch darf einen anderen Menschen fertig machen und gegen sein Leben vorgehen, sondern das Leben hat einen Wert, den wir von Gott bekommen haben und den wir nur Gott zurückgeben können.



    Liebe Schwestern und Brüder, dieser Abraham ist ein Mensch des Vertrauens. Sein Vertrauen geht bis an die Spitze. Er vertraut diesem Gott. Dieses Vertrauen geht dann soweit, dass Gott auf eine ganz wunderbare Art und Weise eingreift. Ganz lapidar sagt die Erzählung, dass sich da ein Widder im Gestrüpp verheddert hat. Dann wird der Widder an Stelle des jungen Isaak geopfert. Für mich ist dieser Widder wie ein Vorausbild auf Jesus. Sie kennen das aus der Feier der Heiligen Messe. Unmittelbar vor der Kommunion beten und singen wir immer das Lamm Gottes. In der Eucharistiefeier ist es nicht ein Widder, sondern ein Lamm. Damit ist für mich dieser Widder, der sich da verheddert, ein Vorausbild auf das Lamm Gottes, auf Jesus Christus, der sich sozusagen verheddert im Gestrüpp der Welt. Dieser Jesus wird einer von uns. Er kommt auf diese Erde. Er lebt sich hier ein und er geht in das ganze menschliche Leben ein. Er teilt es mit uns. Er verirrt sich sozusagen in die Dunkelheit dieser Welt. Ein schönes Bild für einen Gott, der gekommen ist, um Menschen zu erlösen und zu befreien und der deswegen keine Grenzen kennt, der sich nicht schont und sich nicht zurückhält, sondern der aufs Ganze geht. Diesen Gott, den dürfen Sie hier erfahren, dürfen Sie feiern, den dürfen Sie verkünden. Ich finde das schon etwas Großartiges und vielleicht müssen sie noch ein bisschen tiefer darüber nachdenken und es immer mehr an sich herankommen lassen, was es bedeutet, an einen Gott glauben zu können, der in Jesus ganz in die Geschichte und Geschicke dieser Welt und des Menschen sich einlässt. So sehr, dass er sich verheddert. Das tun wir nicht gerne. Wir wollen immer marschieren, freiwillig ohne Grenzen. Aber Gott erniedrigt sich so sehr, dass er sich auf das Schicksal dieser Erde und des Menschen einlässt. Und zwar so sehr, dass er sich verheddert. Vielleicht denken Sie mal daran, wenn Sie sich mal wieder verheddern. Gott ist dann mitten dabei und verheddert sich in Ihr Leben hinein.



    Liebe Schwestern und Brüder, dieses Lamm Gottes nimmt uns dann mit auf den anderen Berg. Vom Berg Morija gehen wir jetzt auf den Berg Tabor. So wird er jedenfalls genannt, den Berg der Verklärung. Das Evangelium sagt, es sei ein sehr hoher Berg. Es ist offenbar einiges zu überwin-den, um diese Erfahrungen zu machen, die die Jünger auf dem Berg gemacht haben. Christus, und dann fehlen dem Evangelisten eigentlich die Worte, Christus so hell, so weiß, wie kein Bleicher das auf Erden machen kann. Das will doch wohl heißen: Weißer, heller, strahlender als Menschen sich das ausmalen oder machen können. Das will zeigen: Die Möglichkeiten dieses Jesus gehen über das Menschenmaß hinaus. Sie sind viel größer und wir wissen kaum, wie wir das beschreiben sollen, wie wir das ausdrücken sollen. Wir haben im Deutschen diesen Begriff für dieses Evangelium von der Verklärung, Christus wird verklärt. Aber vor diesem Begriff gehen wir ehrlich gesagt wieder in Deckung, weil wir sagen: verklärt - wer will das schon sein. Oder in der Sprache der Jugendlichen gibt es ein neues Wort, wenn man von jemandem sagt, dass er nicht mehr so alle ganz getrost beisammen hat, dann sagen Jugendliche manchmal, der sei ziemlich verstrahlt. Mir ist ein Begriff aus der Feder von Papst Benedikt XVI. in die Hände gefallen. Er hat einmal gesagt, es geht hier um die Durchlichtung. Jesus ist durchlichtet. Ein Wort, dass es eigentlich gar nicht gibt, aber das deutlich machen soll, das Licht Gottes leuchtet durch diesen Christus durch und dieses göttliche Licht macht ihn so hell, wie Menschen sich das gar nicht vorstellen oder wie sie das gar nicht machen können.



    Schwestern und Brüder, der Petrus ist offenbar ganz hilflos. Manchmal ist ja besser zu schweigen, nichts zu sagen, nichts von sich zu geben, nichts zu schreiben, sondern einfach zu staunen, sich überwältigen zu lassen. Die Äußerung „Lasst uns doch hier drei Hütten bauen“, die zeugt von großer Hilflosigkeit. Ich dachte mir, eigentlich ein gutes Wort auch für eine neue Pfarrei, für Sie, lieber Pfarrer Gouèn, für den Kirchenvorstand und für das ganze Team, für alle hier in der Pfarrei. Ihr Ziel darf nicht sein, neue Hütten zu bauen. Ich glaube nämlich nicht, dass weder die Kirche noch der Glaube von Hütten lebt. Es ist schön, dass wir so eine wunderbare Kirche St. Ulrich hier haben und verschiedene andere in diesem pastoralen Raum. Aber ich glaube, Kirche lebt mehr von Erfahrungen wie dieser Durchlichtung und nicht von Hütten, die wir drum herum bauen. Manchmal habe ich den Eindruck, wir sind immer ganz schnell dabei Hütten zu bauen, aber die Durchlichtung fehlt und dann haben wir manchmal ziemlich leere Hütten. Deswegen würde ich euch ans Herz legen, immer wieder auf den Berg Tabor zu gehen, d. h. immer wieder Christus nahe zu kommen und zwar dem verklärten, dem erleuchteten, dem leuchtenden Christus und sich von seiner Nähe und Gegenwart erfüllen und anrühren zu lassen. Dann mal abwarten, was passiert und was das pastoral und was das für die Arbeit bedeutet. Aber bitte nicht, „wir bauen erst mal eine Hütte und dann wird das geistliche und religiöse Leben schon laufen“. Ich glaube, es läuft eher umgekehrt. Das Evangelium von dem Berg Tabor, das fordert uns sozusagen auf, Christus in die Mitte zu stellen. Theologen sagen dann gerne: christozentrisch sein. Dieses Evangelium legt uns nahe, in die Mitte der Kirche gehört auf jeden Fall Christus. Das ist der innere Punkt. Das ist der innere Punkt einer Gemeinde, das ist der innere Punkt eines jeden von Ihnen und wenn der Punkt nicht da ist, dann drehen Sie sich um ein Nichts. Dann ist da eine Leere, eine Hülle oder irgendetwas, aber jedenfalls nicht Christus. Gehen Sie also immer wieder auf den Berg, gehen Sie dem Christus entgegen und versuchen Sie immer wieder in seine Nähe zu kommen, christozentrisch zu sein. Christus in die Mitte. Christus im Zentrum. Das ist die Richtung von Kirche. Das ist die Richtung von Glauben. Wenn Sie das tun, dann wird das auch Ihr Miteinander verändern. Das Evangelium erzählt, wie Mose und Elia mit oben auf dem Berg sind, aber dann sind sie auch schon wieder weg und am Ende steht nur Christus in der Mitte und dann gehen die Jünger den Berg mit Christus herunter und sie fragen ihn, was denn das heißt, von den Toten aufzuerstehen. Wenn Sie so wollen, ist dieser Abstieg und diese Wanderung wie ein Glaubensgespräch. Die besten Glaubensgespräche führen wir vielleicht auch nicht in unseren Pfarrheimen und Gemeindehäusern, dann wenn sie auf dem Programm stehen, sondern die besten Glaubensgespräche führen wir mitten im Leben. Vielleicht wenn man am Strand spazieren geht, vielleicht bei einer Wallfahrt. Ich erinnere mich noch daran, als wir vor einigen Jahren eine Schöpfungswallfahrt, damals mit Ministerpräsident Albig, in Sankt Peter Ording gestartet haben. Einfach im Gehen entwickeln sich Glaubensgespräche und im Gehen entwickelt sich vieles in unserer Kirche. Ehrlich gesagt, wann haben Sie sich zum letzten Mal mit der Frage beschäftigt, was das denn sei, von den Toten auferstehen? Wenn Sie sich mit der Frage beschäftigen, dann ist diese neue Pfarrei St. Knud auf einem ziemlich guten Weg. Dann wird sie auch viele andere Herausforderungen bestehen in der Ökumene, in der Bewahrung der Schöpfung, in der Tourismuspastoral mit den vielen Gästen, die hier zu Ihnen kommen, für die Kinder, für die Jugendlichen, für die Senioren, für die nicht deutschen Muttersprachler usw. Immer da, wo Christus in die Mitte gerückt ist, Christus im Zentrum ist und wo unser Miteinander sich um Christus dreht, da sind wir auf einem guten Weg.



    Liebe Schwestern und Brüder, Verklärung ist für uns ein schwieriges Wort und wir wissen kaum damit umzugehen. Vielleicht hilft uns weiter, dass unsere orthodoxen Mitchristen, die Griechen, für Verklärung Christi ein eigenes Wort haben. Die Griechen sprechen in ihrer Liturgie von der Metamorphose, der Metamorphose Christi, also der Verwandlung. Auch wenn mein Biologieunterricht schon ein bisschen her ist, Metamorphose gehört zum menschlichen Leben. Metamorphose ist ein Prozess, das ganze Leben lang eine einzige Veränderung. Wir haben heute zwar die Pfarrei gegründet, aber jetzt geht es erst richtig los. Also bitte nicht jetzt zurücklehnen und sagen „wir haben's geschafft und jetzt sind wir auf dem Papier eine Pfarrei und damit ist alles gelaufen und geritzt“. Von wegen: Jetzt geht‘s los, jetzt geht‘s los auf Morija, auf Tabor hin, Christus in die Mitte und miteinander im Glaubensgespräch wie die Jünger damals. Für diesen Weg wünsche ich allen in dieser Pfarrei, die hier leben, die hier Urlaub machen, die hier herkommen, hier arbeiten Gottes reichen Segen und ich wünsche Ihnen, dass Sie reich werden an Erfahrungen und dass Sie in diesen Gesprächen immer neue Entdeckungen machen. Bitte bleibt im Gespräch nicht nur unter Euch, sondern katholische Kirche muss eine Kirche sein, die im Gespräch ist mit allen. Die Kirche gehört eben als Player in diese Landschaft dazu und deswegen soll und darf sie im Gespräch sein mit der Politik, mit der Wirtschaft, mit Erziehung und Bildung, mit Kultur, mit dem Tourismus, mit allen Facetten des menschlichen Lebens. Also nie Selbstgespräche führen, sondern Glaubensgespräche mit Christus in der Mitte und mit vielen anderen. Dann werden wir die Entdeckung machen, dass die anderen vielleicht viel mehr vom Glauben an Gott in sich tragen als wir meinen. Seien Sie eine Kirche, die wirklich gastfreundlich ist und das meine ich im doppelten Sin-ne. Gerade hier, wo wir so viele Touristen haben, müssen unsere Türen immer geöffnet sein. Umgekehrt ist es aber auch wertvoll, wenn wir Gast sein dürfen im Leben der anderen. Deswegen kann ich Euch nur wünschen, dass Ihr möglichst oft eingeladen werdet in die verschiedenen Zusammenhänge und sagen Sie dann nicht zu schnell ab. Dann fehlt nämlich jemand am Tisch, dann fehlt Glaube. Dann kommt dieses Gespräch, das wir im Evangelium gelesen haben, gar nicht zustande. Seien Sie also eine gastfreundliche Kirche, die andere einlädt und die dankbar dafür ist, dass sie von anderen eingeladen wird. Das ist nämlich etwas sehr Wichtiges und Großartiges.



    In diesem Sinne Gottes Segen für den Weg in die neue Pfarrei, Gottes Segen für diesen Weg, in die Metamorphose. Lassen Sie sich überraschen, welche Verklärung, welche Entwicklungen, welche Veränderungen bei Ihnen allen in der nächsten Zeit vonstatten gehen. Daran können Sie merken, ob Sie auf dem Weg des Evangeliums sind oder vielleicht noch nicht so ganz.

    Amen.
  • Impuls zum Aschermittwoch 2021 / Hamburg / 17. 02. 2021
    Tagtäglich hören wir seit einem Jahr, wie viele Menschen sich mit dem Corona Virus in unserem Land infiziert haben. Meist hören wir auch eine zweite Zahl: Die Zahl derer, die täglich an diesem Virus sterben. Es sind hohe Zahlen und hinter jeder Zahl steht ein einzelner Mensch, einer von uns. Die Lage ist ernst – im wahrsten Sinne des Wortes: todernst.



    Heute beginnen wir die Fastenzeit mit dem Aschermittwoch. Der Name dieses Tages sagt es uns schon: Asche wird zum Kennzeichen dieses Tages. Asche ist vergangene Schönheit, verletztes Leben, flüchtiges Überbleibsel. Asche ist Zeichen des Todes.



    Angesichts der Corona-Pandemie wird uns heute ganz schlicht und einfach ein wenig Asche auf das Haupt gerieselt. Anders als das uns bekannte Aschenkreuz dürfte dies der alte, ursprüngliche Ritus des Aschermittwochs sein. Dieses Zeichen will uns deutlich machen: Leben heißt sterben. Wenn ein Mensch geboren wird, kann man nicht sagen, was aus ihm wird, wie lange er leben wird, ob er Großes schafft und berühmt wird oder eher ein Nischendasein führt. All das bleibt offen und ein Geheimnis. Aber eines lässt sich sagen: Jeder, der geboren wird, wird sterben. Leben heißt sterben. Der heilige Augustinus sagt zutreffend: Der Tod ist wie eine Krankheit, mit der man sich bei der Geburt ansteckt.



    Das, was wir gerne vor uns herschieben und verdrängen, das rückt uns die Corona-Pandemie tagtäglich vor Augen. Das will uns der jährliche Aschermittwoch in Erinnerung rufen: Dein Leben hier ist endlich. Es ist aber nicht nur diese nackte Tatsache, die uns der Aschermittwoch neu bewusst machen will. Es ist eine Perspektive, mit der wir alles anschauen können, mit der wir uns selbst und unser Leben anschauen können. Wenn du weißt, dass du sterben musst – egal wann das der Fall ist – dann schau dein Leben vom Tod aus an: Wie möchtest du gelebt haben? Was willst du getan haben? Wie willst du dastehen? Was soll die Summe deines Lebens sein? Die Fastenzeit gibt uns Gelegenheit, ab jetzt genauso zu leben.
  • Festtag der Gründung des Erzbistums Hamburg / St. Marien Dom / Hamburg / 07. 01. 2021
    Es gilt das gesprochene Wort





    Liebe Schwestern und Brüder,



    seit dem vergangenen Jahr führt die UNESCO das europäische Bauhüttenwesen als „immaterielles Kulturerbe“. Ob nun der Kölner Dom, die Kathedrale von Reims oder der Mailänder Dom: Sie alle sind architektonische Meisterwerke von Weltrang und ziehen stets Millionen von Besuchern aus der ganzen Welt an. Solche alten, monumentalen Bauwerke, so schön sie auch sind, sind auch ewige Baustellen. Um diese in Stand zu halten, braucht es das ganze Jahr über ein Team aus Spezialisten vor Ort. Dafür gibt es seit dem Mittelalter fest eingerichtete Gemeinschafts-Werkstätten an den Gebäuden, die sogenannten Bauhütten.

    Diese Tradition der Bauhütten reicht bis in das zwölfte Jahrhundert zurück. Damals führte man sämtliche Werkstätten zusammen, um die gewaltigen gotischen Kathedralen zu bauen. Nun hat leider (oder vielleicht: Gott sei Dank) unser Sankt Mariendom, der zu den kleineren und jüngeren Kathedralen zählt, keine eigene Dombauhütte. Gäbe es noch den alten, weitaus größeren katholischen Dom hier in Hamburg, wäre dies sicher ganz anders. Aber vielleicht kann uns am heutigen Festtag eine solche Dombauhütte einen Wink für unser Erzbistum geben.



    Auf einer solchen Hütte arbeiten viele Menschen mit unterschiedlichen Professionen zusammen: der Architekt, der Steinmetz, der Schreiner, der Glaser, der Dachdecker, der Restaurator und viele andere mehr. Jeder von ihnen sorgt mit seiner Sachkenntnis dafür, dass der Bau gelingen kann und vorankommt. Was für die Dombauhütte gilt, das gilt für die Kirche im Gesamten: Sie ist ein Bauwerk, eine Baustelle, auf der viele tätig sind. Jeder Einzelne hat seine Begabung, seine Fähigkeiten, sein Charisma.



    Das Besondere einer Dombauhütte besteht darin, dass nicht jeder vor sich her arbeitet, gleichsam isoliert, sondern dass die verschiedenen Werkstätten zusammenarbeiten, voneinander wissen, sich aufeinander abstimmen und gemeinsam an dem einen Dom arbeiten. Modern würden wir eine solche Dombauhütte als Kompetenzzentrum bezeichnen. Was für eine einzelne Dombauhütte gilt, gilt auch für die vielen Dombauhütten in Frankreich, in Deutschland wie in Aachen, Bamberg, Soest, Freiburg, Ulm, Köln bis hin zum Nidarosdom in Trondheim untereinander: Die Hütten standen und stehen in engem wissenschaftlichen Austausch, sie haben keine Geheimnisse vor einander, sondern sie lernen voneinander.

    Auch dies gilt für die Kirche und damit auch für unser junges Erzbistum Hamburg: Wir haben viele Kompetenzen – wie auf einer Dombauhütte sollen sie in ein lebendiges Spiel miteinander kommen. Das Ganze kann nur gelingen, wenn wir uns füreinander öffnen und unsere Begabungen miteinander teilen. Es geht also um Kooperation untereinander. Dazu braucht es die Grundhaltung einer gesunden Demut: Ich bin eben nicht alles und das Ganze, sondern ein Teil von ihm und in ihm, genauso wie die anderen auch. Es ist das Miteinander der Gemeinden und Pfarreien in unserer Diözese, es ist aber auch das Miteinander in der einen großen Weltkirche, in Verbundenheit mit dem Papst, mit unserer Partnerdiözese in Iguazú in Argentinien, mit unseren Nachbardiözesen in der Metropolie, mit den Diözesen in Skandinavien, unseren nördlichen Nachbarn.



    Liebe Schwestern und Brüder!



    Die Menschen auf den Bauhütten waren sich im Klaren, dass ihre Ideen erst viele Generationen später Wirklichkeit würden. Die meisten haben nie die Vollendung ihrer Arbeit erreicht. Sie haben die fertige Kathedrale nicht zu Gesicht bekommen. Aber sie lebten aus dieser Hoffnung, aus dieser Vision. In der Kirche unserer Tage erleben wir auch eher das Unvollkommene, das Unvollendete, die Bruchstücke, übertragen: die Skandale und die Krisen. Aber das ist nicht der gesamte Blick auf die Kirche, im Gegenteil es ist sehr gefährlich, wenn man nur diese eingeschränkte Sicht hat. Zur Gesamtperspektive gehört auch die Hoffnung, gehört die Vollendung, gehört die Zukunft, die wir alle noch vor uns haben. Kirche besteht nicht nur aus der Vergangenheit, die sie hinter sich hat, die sie aber auch mit sich herumschleppen muss; Kirche ist nicht nur die Gegenwart, die immer am herausfordersten ist. Zur Kirche gehört auch immer die Zukunft, die Gott uns verheißen hat und die wir alle noch vor uns haben. Deswegen besteht auch die Geschichte unserer jungen Erzdiözese nicht nur aus 25 Jahren, die wir hinter uns haben, und aus den Herausforderungen, in denen wir jetzt stecken. Zur Geschichte des Erzbistums Hamburg gehört auch die Zukunft, die Gott uns bereiten will. Diese Zukunft hat sogar ein Übergewicht, sie ist viel stärker als Vergangenheit und Gegenwart zusammen.



    Vielleicht kann uns das eine Erzählung vor Augen führen: Vor langer Zeit, an einem Nachmittag verlässt ein einzelner Reisender die sicheren Mauern einer mittelalterlichen Stadt. Als er etwa eine Meile vom Stadttor entfernt war, sieht er in der Ferne drei Männer langsam auf sich zukommen. Alle drei schieben eine Schubkarre vollbepackt mit Ziegelsteinen vor sich her. Als der erste Mann heran kommt, fragt ihn der Reisende: „Was machst du da?“ Verärgert über diese Frage, antwortet der müde Mann: „Ich schiebe eine mit Ziegelsteinen beladene Schubkarre!“ Als der zweite Mann näher kommt, stellt ihn der Reisende dieselbe Frage. Er erhält jedoch eine andere Antwort: „Ich habe Frau und Kinder, sie müssen essen und ich muss arbeiten, damit sie etwas zu essen haben.“ Der Reisende geht auf den dritten Arbeiter zu und fragt ihn: „Was machst du da?“ Er bleibt stehen, stellt die Schubkarre ab und schaut den Fragenden an. In seinen Augen sieht der Reisende nicht nur Erschöpfung und Müdigkeit. Er entdeckt einen Anflug von Stolz und Würde. „Was ich mache? Ich baue eine Kathedrale!“



    Liebe Schwestern und Brüder, alle drei machen die gleiche Schwerstarbeit, aber mit einer ganz anderen Einstellung. Je mehr Sinn und Perspektive man in dieser schweren Arbeit sieht, umso sinnvoller wird man sie erfahren, umso mehr Energie kann man für sie aufbringen. Ich wünsche uns im Erzbistum Hamburg heute, am 26. Geburtstag unserer wieder gegründeten Diözese, diese großartige Vision von Kirche bzw. vom Aufbau des Reiches Gottes, Ziegel für Ziegel, Werkstatt für Werkstatt in Kooperation und Demut, für die Zukunft unserer Kirche.
  • Hochfest der Erscheinung des Herrn / Hamburg / 06. 01. 2021
    Es gilt das gesprochene Wort!



    Liebe Schwestern und Brüder,



    „Ich habe Angst“ – diesen Satz höre ich in diesen Tagen immer wieder. Es ist natürlich die Angst, sich am Virus zu infizieren, aber auch die Angst um die eigenen Familienangehörigen und den Freundeskreis, die Angst um die berufliche Existenz und vieles andere mehr.



    Angst gehört zu unserem Leben – nicht erst seit Corona. Angst ist ein ständiger Begleiter, in allen Altersphasen, für Kinder wie für betagte Leute, an der Arbeitsstelle, im Privatleben und in der Freizeit, im Hinblick auf die Gesundheit. Manchmal ist es die Angst, zu kurz zu kommen oder überfordert zu werden…

    Die Angst gehört zu den Grundstimmungen des Menschen. Er muss sie gar nicht erst erlernen. Fast wie einen Grundsatz stellt Jesus fest: „In der Welt habt ihr Angst“ (Joh 16,33). Als Jesus mit seinen Jüngern in einen Sturm auf hoher See geriet, sagt er zu ihnen: „Warum habt ihr solche Angst?“ (Mk 4,40). Da stand die Angst den Jüngern förmlich ins Gesicht. Denken wir schließlich an die angstvollen Stunden Jesu im Garten Gethsemane in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag. Auch Jesus hatte Angst.



    Manche versuchen ihre Ängste zu verdrängen, andere lassen sich von ihren Ängsten geradezu lähmen und zerstören. Angst ist so etwas wie die Alarmanlage der Seele – also nicht nur schlecht, sondern im Gegenteil: wichtig, ja lebenswichtig für den Menschen.



    Auch das heutige Fest hat es mit der Angst zu tun. Es ist die Angst des Königs Herodes und ganz Jerusalems auf die Nachfrage der Sterndeuter aus dem Osten, wo denn der neugeborene König geboren sei. Es ist die Angst des Herodes vor einem anderen, vor einem jüngeren und mächtigeren König, die Angst um das eigene Königsein, um die eigene Machtposition; es ist die Angst Jerusalems, also der etablierten Religion um ihre eigene Zukunft. Deswegen geht durch Herodes und Jerusalem ein Erschrecken hindurch; deswegen versucht er mit den Sterndeutern einen heimlichen Pakt zu schließen und sie zu seinen Spitzeln zu machen. Die Angst führt schließlich dazu, dass er den Befehl zum Kindermord in Bethlehem erteilt. Herodes und Jerusalem gehen schlecht mit ihren Ängsten um, werden immer enger und eifersüchtiger.

    Ganz anders die Sterndeuter aus dem Osten: Als Menschen werden auch sie Angst gekannt haben. Aber diese Ängste gewinnen bei ihnen nicht die Oberhand und das Oberwasser. Sie scheinen gut mit ihren Ängsten umgehen zu können.



    Die Sterndeuter sind Menschen, die aufbrechen, die sich auf eine neue Spur begeben und die sich auch durch die Umtriebe des Königs Herodes von dieser Spur nicht abbringen lassen. Sie lassen sich also durch ihre Ängste nicht zurückhalten und sie lassen sich durch einen Herodes auch keine besondere Angst einjagen. Es sind also Menschen, die sich auf etwas Neues und etwas Unbekanntes einlassen.

    Im Laufe ihrer Reise orientieren sie sich ganz an dem Stern am Himmel. Als sie aber in Bethlehem angekommen sind, haben sie sich voll und ganz auf das Kind konzentriert. Sie huldigen ihm, fallen nieder und schenken ihm, was sie mitbringen. Mit diesen Gesten setzen die Sterndeuter einen Akt des Vertrauens. Hier vertrauen sie sich ganz diesem Kind an und legen ihr Schicksal in seine Hände. Dieses Vertrauen heißt Glauben.



    Papst Johannes XXIII. hat einmal gesagt: „Wer glaubt, zittert nicht“. Man könnte auch sagen: Wer glaubt, der weiß mit seiner Angst umzugehen, der vertraut eben nicht allzu sehr auf sich alleine und sich selbst, sondern setzt sein Vertrauen ganz und gar auf Gott. Diesen Glaubensakt vollziehen die Sterndeuter, indem sie vor dem Kind niederknien und es anbeten.



    Offenbar verändert diese Begegnung die Sterndeuter so sehr, dass sie auf einem anderen Weg wieder in ihre Heimat zurückkehren. Sie haben also keine Angst vor Herodes, sondern brechen neu auf und machen sich auf den Weg. Sie wissen, dass sie bei diesem Kind und in seiner Liebe voll und ganz geborgen und aufgehoben sind. Das nimmt ihnen die Angst vor dem Neuen und vor dem Anderen. Dieses Vertrauen setzt sie in Bewegung.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    die Sterndeuter aus dem Osten sind uns gerade am Beginn des neuen Jahres gute Wegbegleiter, vor allen Dingen auch angesichts der Gesamtsituation, in der wir stecken. Sie wollen uns Mut machen und zeigen uns, wie wir gut mit unseren Ängsten umgehen, indem wir nämlich voll und ganz auf die Liebe Gottes vertrauen und den Mut haben, in diese Liebe einzuwilligen.
  • Predigt in der Jahresschlussmesse / St. Marien-Dom / Hamburg / 31. 12. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!



    Predigt von Erzbischof Stefan in der Jahresschlussmesse

    am 31. Dezember 2020





    Liebe Schwestern und Brüder,



    „Dinner for one“ - am heutigen Abend wird dieser Film wieder im Fernsehen laufen, wie jedes Jahr. Aber in diesem Jahr wird das „Dinner for one“ nicht nur im Fernseher laufen, sondern auch vor dem Fernseher, in den Wohnzimmern, in unseren Wohnungen und Häusern: Dort wird es dann zugehen wie bei Miss Sophie und ihrem Butler James. Die Gesellschaft zum Feiern ist ganz schön geschrumpft. Und vielleicht haben viele den Eindruck, dass dies nicht erst heute der Fall ist, sondern dass die letzten Monate wie ein einziges „Dinner for one“ waren.



    Wir leben seit März in einer sehr außergewöhnlichen Situation, deren Ende und Ausgang wir noch gar nicht absehen können, auch wenn mit dem Impfstart, zuerst der Schwächsten und der Herausgefordertsten in unserer Gesellschaft, jetzt Hoffnung aufkeimt. Wir leben in einer ungewissen Zeit, in einer Zeit des Umbruchs; es wird deutlich, wie wenig wir die Zukunft planen können, geschweige denn im Griff haben und darüber entscheiden können. Ich selbst (und viele von Ihnen) sind bisher nicht erkrankt. Aber wir wissen auch: Das könnte schon morgen anders sein! Wir spüren in dieser Zeit besonders die Verwundbarkeit, die Zerbrechlichkeit unseres Lebens; wir sind eben nicht vollkommen immun. Auch wenn wir jetzt eine Mund – und Nasenbedeckung tragen, Corona hat uns in gewisser Weise die Masken genommen. Die Pandemie führt uns aber ebenso die Kostbarkeit des menschlichen Lebens vor Augen, seine Würde und den Einsatz so vieler dafür, für den ich nur danken kann.



    Zu den Erfahrungen der letzten Monate gehören für viele von uns die physische Distanz und da-mit auch oft die soziale Distanz, fast wie beim Dinner for one. Meine eigenen Eltern haben mir vor kurzem gesagt: „Wenn das so weitergeht, werden wir zu Einsiedlern“. Viele Menschen haben seit Wochen und Monaten ihre Freunde und Bekannten, ja ihre eigenen Familienangehörigen nur aus der Distanz erfahren, vielleicht per Telefon oder Skype, oder ganz klassisch per Brief. Aber der direkte Kontakt, ja ein Umarmen, ein Sich-Begegnen, das man noch spüren und greifen kann, das fällt seit Wochen und Monaten aus. Wir wissen, dass es vor allen Dingen gerade jungen und alten Menschen besonders zu schaffen macht, von den langfristigen Folgen ganz zu schweigen.



    Es war ein Jahr, in dem wir die Erfahrung machen mussten: „fällt aus“. Vieles fand nicht statt, in unserem kirchlichen Leben, allem voran viele Feste, viele Treffen und Ereignisse. Am 7. Januar konnten wir hier im Dom noch einen großen Festgottesdienst zum 25-jährigen Bestehen unserer Erzdiözese feiern. Seitdem ist der Dom nie mehr so voll gewesen. Ähnlich ist es in den Gemeinden und Verbänden und vielen Gruppierungen unseres Bistums. Wenn dieses und jenes wegfällt, ausfällt, rückt in den Blickpunkt das, was bleibt, was dennoch stattfinden kann – wenn auch ganz anders. Manches wird digitalisiert, z.B. durch eine Videokonferenz ersetzt. Man greift bewusster zum Telefonhörer oder schreibt wieder (mit Hand) einen Brief, nimmt sich Zeit für Kontakte, die sonst nicht oder nur kurz ausfallen. Ich mache die Erfahrung: manches ist nicht, dafür anderes umso intensiver.



    Besonders deutlich wurde all das für mich in diesem Jahr durch eine vollkommen veränderte Sakramentenspendung: die Erstkommunionfeiern waren ganz anders, viele Brautpaare haben innerlich darunter gelitten, dass ihre Hochzeit verschoben werden musste oder vielleicht gar nicht stattgefunden hat oder nur im kleinsten Kreis. Große Änderungen hat die Praxis der Firmspendung in unserem Erzbistum erfahren. Weil eben nicht so viele in unseren Kirchen zusammen-kommen dürfen, musste die Zahl der Firmgottesdienste erweitert werden. In einer Pfarrei unsere Erzdiözese fanden allein 17 Gottesdienste zur Firmung statt, immer mit ganz kleinen Gruppen. In einer anderen Pfarrei wurde die Firmung im Freien gefeiert, sodass doch eine größere Anzahl von Gläubigen zusammenkommen konnte. In vielen Pfarreien fand die Firmung nicht in einer Eucharistiefeier statt, sondern in einem Wortgottesdienst. Ich bin dankbar, dass neben Weihbischof Eberlein und mir viele Priester aus unserem Erzbistum das Sakrament der Firmung in diesem Jahr den Jugendlichen und Erwachsenen gespendet haben. Mir ist es wichtig, gerade die jungen Menschen zu begleiten und zu erreichen. Viele haben 2020 erfahren, dass die herkömmlichen Wege der Vorbereitung abrupt unterbrochen wurden, wir mussten andere Wege der Katechese und des Feierns finden. Oft wurde mir gesagt und ich habe es selbst auch so erfahren: es ist durchaus konzentrierter, wesentlicher, inniger. Diesen Weg gehen wir 2021 weiter.



    Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel nennen, an dem wir feststellen können, wie sehr sich das kirchliche Leben, besonders der Gottesdienst, verändert hat: Im Lockdown im Frühjahr hatten wir unsere Kirchen immer offen, aber wir konnten zeitweise keinen gemeinsamen Gottesdienst fei-ern. Wer hätte sich vor einem Jahr vorstellen können, dass wir uns Ostern nicht versammeln können! Seit Mai kommen wir in überschaubaren Gruppen zusammen, viele bleiben weg und finden andere Gottesdienstformen. Etwas, das offenbar sehr vielen zu schaffen macht, ist die Art und Weise, wie wir seitdem die Gottesdienste feiern: eher schlicht, hoffentlich kürzer, und natürlich immer auf Distanz und mit Mund- und Nasenschutz. Und dann müssen wir auf den Gesang verzichten. Singen kann man vielleicht noch zu Hause unter der Dusche oder wenn man alleine ist, aber wegen des Ausstoßes der Aerosole geht es im Gottesdienst nicht. Hier wird deutlich, dass der Gesang nicht nur einfach eine Verzierung ist, sondern ein wesentlicher Bestandteil der Liturgie. „Wer singt, betet doppelt“ - dieser Satz wird schon dem alten Kirchenvater Augustinus zugeschrieben, auch Martin Luther soll ihn geäußert haben. Beim Singen singen wir gleichsam unseren Glauben aus unserem Innern heraus. Wir singen ihn Gott entgegen und wir singen ihn miteinander. Es ist eben etwas ganz anderes, ob ich allein vor mich her singe oder ob wir gemeinsam in ein Lied einstimmen. Der gemeinsame Gesang weitet sozusagen unser Miteinander bis hinein in die himmlische Liturgie. Im Singen bringen wir gleichsam das Unsagbare zum Ausdruck. Es wird sicher auch noch dauern, bis wir wieder kräftig miteinander singen können. Ich hoffe, dass dieser Tag eines Tages wieder da ist.





    Liebe Schwestern und Brüder,

    so skurril das „Dinner for one“ auch sein mag, vielleicht ist es doch gut, es heute wieder einmal anzuschauen und sich von Miss Sophie ein wenig inspirieren zu lassen. Sie lässt sich jedenfalls das Feiern nicht nehmen, sie lässt sich die Freude nicht nehmen. Auch wenn heute Abend viele Plätze leer bleiben und wenn dieses Silvester und dieses neue Jahr ganz anders ausfallen als alle Jahreswechsel zuvor: Weder Trauer noch Furcht sind die richtigen Wegbegleiter für den Übergang ins neue Jahr, sondern Mut, Vertrauen, Zuversicht und Hoffnung. Gott sei Dank feiern wir in un-seren Kirchen nicht ein „Dinner for One“, sondern das Gedächtnis des letzten Abendmahles. Christus lädt uns immer wieder an seinen Tisch, seine Einladung steht – auch im neuen Jahr! Die Weihnachtsbotschaft der Engel „Fürchtet euch nicht!“ will mit uns über den Jahreswechsel in das Jahr 2021 mitgehen. Wenn wir auch nicht wissen, was alles kommt und wie es kommt, eines steht fest: ER geht mit uns alle Wege dieses neuen Jahres!
  • Predigt am ersten Weihnachtsfeiertag / St. Marien-Dom / Hamburg / 25. 12. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!





    (Schrifttexte: Jes 52, 7-10; Hebr 1,1-6; Joh 1, 1-18)



    Liebe Schwestern und Brüder,



    „In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken“ – mit kleinen Satz hat mir jemand aus unserem Erzbistum vor einigen Wochen schon die Idee für diese Weihnachtspredigt im wahrsten Sinn des Wortes zu-gesprochen, ohne dass er das damals bemerkt hätte. Aber bei mir war sofort die Verbindung zum Weihnachtsfest da, als er das zu mir sagte: „In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken“. Gemeint sind die schwierige Situation um und mit Corona, die Situation der Kirche und auch die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs und noch vieles andere mehr. Ein ehrliches Wort: „In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken.“ Wer das sagt, der möchte das Schicksal des anderen nicht teilen, der möchte eben nicht mit ihm tauschen wollen.



    Unsere deutsche Sprache kennt interessanterweise viele Redensarten um die Haut. Dabei geht es offenbar um den ganzen Menschen, und nicht nur ein Körperteil. Manch einer fühlt sich in seiner Haut nicht wohl, manchmal sind wir in Situationen, in denen wir uns unserer Haut erwehren oder die eigene Haut retten wollen. Ein anderes Mal fahren wir förmlich aus der Haut oder es gibt Menschen, die partout nicht aus ihrer Haut herauskommen. Von treuen und aufrichtigen Menschen sagen wir, dass sie eine „ehrliche Haut“ nicht nur haben, sondern sind. Die Haut ist das größte Organ des Menschen. Über sie nehmen wir Sinnesreize von außen wahr. Ich denke an Menschen, deren Haut verletzt ist, wie meinem Vater, dem vor kurzem ein Stück Haut entnommen werden musste, oder wie die Kinder, die ich am Nikolaustag in unserem Kinderkrankenhaus besucht habe, die unter besonders schweren Hautverletzungen wie etwa Verbrennungen leiden. Die Haut ist ein sehr sensibles Organ. Mitleid haben wir mit Menschen, die nur noch Haut und Knochen sind.



    Liebe Mitchristen,



    Johannes meditiert in seinem Evangelium das Weihnachtsgeschehen. Er spricht dabei nicht von der Heiligen Familie, den Hirten oder den Königen. Der Evangelist Johannes bringt Weihnachten auf den Punkt, wenn er sagt: Das Wort ist Fleisch geworden. Das schließt ein: Das Wort ist einer von uns geworden mit Haut und Haaren. Nichts anderes meint der Gottesname Immanuel: Gott ist nicht bloß unter uns, sondern ganz mit uns, einer von uns - mit Haut und Haaren! In seinem berühmten Weihnachtslied „Zu Bethlehem geboren“, sagt Friedrich von Spee: „Dich wahren Gott ich finde in meinem Fleisch und Blut.“



    Weihnachten geht unter die Haut – und damit meine ich nicht bloß die Emotionalität dieser wichtigen Tage, gleichsam die berühmte sprichwörtliche Gänsehaut. Weihnachten geht unter die Haut, weil Gott uns unter die Haut geht, unter die Haut eines konkreten Menschen wie Sie und ich.



    Weihnachten sagt mir: Gott steckt in der Haut jedes Menschen. Der Mensch, der ich bin, ist Jesus Christus auch gewesen. Deswegen kann ich nicht groß genug von den anderen und von mir selbst denken.

    Wenn es wirklich stimmt, dass das Wort Fleisch geworden ist, mit Haut und Haaren, dann heißt das auch: Diesem Gott gehen wir unter die Haut. Wir sind ihm eben nicht gleichgültig, er empfindet Mitgefühl für uns, Solidarität. Er fühlt nicht nur wie wir, sondern er fühlt mit uns. Einer der bewegenden Sätze aus meinem Theologiestudium heißt für mich: Nichts Menschliches ist Gott fremd. Der Gott, an den ich glauben darf, weiß um alles - aus ureigenster Erfahrung.



    Schwestern und Brüder,



    dieser Gott steckt in unserer Haut und er bringt sich nicht irgendwie in Sicherheit. Am Ende ist dieses kleine Kind der Mann am Kreuz, dessen Haut von Nägeln durchbohrt wird, der bis auf die Haut entblößt ist, der geschunden und geschlagen wird.

    Ganz am Schluss des Johannesevangeliums steht wieder eine Begebenheit, die unter die Haut geht – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ich meine das Evangelium von dem sogenannten ungläubigen Thomas. Er sagt fest entschlossen: „Ich glaube nicht, wenn ich nicht die Male der Nägel sehe und meine Hände in seine Seite legen kann“. Das Evangelium lässt es offen, ob er das wirklich tut. Die Kunst ist aber voll von vielen Bildern, auf denen der Apostel Thomas seine Finger in die Seite Jesu hineinlegt. Thomas geht sozusagen unter die Haut. In Jesu Haut sind wir geborgen wie unter einem Schutzdach.



    Vielleicht darf man die großartige Meditation über die Geburt Jesu am Anfang des Johannesevangeliums, wie wir sie eben als Evangelium gehört haben, und die Begegnung des auferstandenen Christus mit dem Apostel Thomas ganz am Ende des Johannesevangeliums wie zwei Brennpunkte dieses vierten Evangelisten betrachten.



    „In Deiner Haut möchte ich nicht stecken“ so sagt man. Weihnachten zeigt uns, dass Gott ganz anders dachte und ganz anders handelte. Er steckt in unserer Haut – Gott sei Dank! - bis hin zu den Wundmalen, die auch der auferstandene Christus an seinem Leib trägt. An der Begegnung mit dem Apostel Thomas wird aber auch das Gegenteil deutlich: wir stecken in seiner Haut. Offenbar bedeutet genau das zu glauben: „Thomas, reiche deinen Finger her und sieh meine Hände an und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du? Selig, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20, 27ff).
  • Predigt zur Christmette / St. Marien-Dom / Hamburg / 24. 12. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern, liebe Brüder,



    wie in jedem Jahr habe ich auch diesmal wieder zahlreiche Weihnachtsgrüße erhalten mit vielen aufmunternden Worten und guten Wünschen, gerade in der jetzigen Situation. Gerne lese ich diese Grüße und schaue mir auch die Motive an, die ich auf den Karten finde. Sie sind ganz unter-schiedlich. Aus den vielen Karten möchte ich eine herausgreifen, die mir besonders aufgefallen ist: Eine tiefschwarze, an deren unteren Rand ich die typischen Zeichen eines cm-Maßes fand, Sie wissen schon, diese kleinen Striche für jeden Millimeter. Das hat meine Neugier geweckt; man konnte die Karte auffalten, und sie ist -wie mir mein Gefühl sagte- genau 1 m 50 lang, also diese berühmten 1,50 m, die wir jetzt allenthalben internalisiert haben. Neben dem weihnachtlichen Gruß findet sich auf dieser Karte am einen Ende das Weihnachtsgeschehen mit Maria, Josef und dem Kind und am anderen Ende, eben 1,50 m entfernt, die drei Könige die noch auf ihrem Weg zum Neugeborenen sind. Ein interessantes Motiv: Weihnachten, aber mit Abstand!



    Diese Weihnachtskarte bringt sehr anschaulich zum Ausdruck, was wir seit Monaten leben: Über-all und selbstverständlich auch in unseren Kirchen halten wir 1,50 m Abstand. Die Kontaktbeschränkungen sind eindeutig, sie schmerzen gerade in diesen Tagen viele. Diese Beschränkungen werden noch einmal getoppt durch das Gebot der Kontaktbeschränkungen, ja der Kontaktlosigkeit. Die Fiebertemperatur wird z.B. jetzt kontaktlos gemessen, an den Supermarktkassen sind wir aufgefordert, kontaktlos zu bezahlen, Pakete werden uns kontaktlos übermittelt, zur Begrüßung winken oder nicken wir uns nur zu und versagen uns jede Berührung. Unsere Sternsingeraktion soll zu Beginn des neuen Jahres kontaktlos stattfinden.



    Ich frage mich, ob gerade diese Abstandsregeln und diese Kontaktbeschränkungen die nachhaltigsten Einschränkungen und damit auch Veränderungen für uns Menschen durch die Corona-Pandemie sein werden. Der Mensch ist doch auf Kontakt aus, er braucht die Berührung, er braucht die Begegnung. Es trifft uns besonders, wenn wir uns solche Kontakte jetzt versagen müssen. Es fehlt etwas zutiefst Menschliches. Es geht uns Entscheidendes ab!



    Ein geradezu skurriles Bild konnte ich vor einigen Tagen in einer großen Zeitung sehen: In Coronazeiten nahm eine erwachsene Frau ihre alte Mutter in den Arm – aber zwischen den beiden war ein Plastiktuch, wenn auch sehr dünn, es zeigt aber, wie ungewöhnlich jetzt vieles ist. Und diese Beschränkungen und Kontaktverbote gehen ja noch weiter in unseren Altenheimen, in unseren Krankenhäusern, zu unseren Mitmenschen in anderen Ländern und Städten, hin zu den Migranten und Flüchtlingen oder den Seeleuten, die auf ihren Schiffen in Quarantäne festsitzen und eben nicht zu ihren Angehörigen nach Hause dürfen und und und und. Menschen leiden nicht nur unter dem Virus, es geht nicht nur um unser „nacktes Leben“, sondern auch um die menschlichen, seelischen und sozialen Folgen dieser Epidemie. Mit dem Verstand ist jedem klar, wie wichtig all diese Kontaktbeschränkungen für uns gerade jetzt sind, aber mit dem Herzen sind sie nur sehr schwer auszuhalten. Wir sind ja Menschen mit Leib und Seele!





    Liebe Schwestern und Brüder,

    auf diesem Erfahrungshintergrund, den wir jetzt machen, ist die Botschaft von Weihnachten etwas ganz anderes und etwas ganz Besonderes:



    Gott bleibt uns nicht auf Abstand; er ist kein kontaktloser Gott, nicht unnahbar. Weihnachten heißt: Gott kommt uns Menschen und zwar jedem einzelnen Menschen ganz nahe, indem er genauso wird, wie wir sind: Mensch. Er überwindet jede Distanz, auch die letzten 150 Zentimeter noch.



    Dieser menschgewordene Gott bleibt von unserem menschlichen Leben und Schicksal nicht un-berührt, nicht schadlos, nicht aseptisch rein, er bleibt nicht in einer sicheren, vollkommenen Quarantäne, nein, der menschgewordene Gott lässt sich von unserem Leben anstecken. In seiner Geburt als Mensch nimmt er das ganze menschliche Leben an, er übernimmt es und „infiziert“ sich so mit allem, was unser Leben ausmacht, auch mit Krankheit und Tod; dieses neugeborene Kind in der Krippe trägt wie jedes neugeborene Menschenkind den Keim des Todes mit seiner Geburt schon in sich. Es ist keine Märchengestalt, der all das nichts anhaben kann. Jesus Christus immunisiert sich uns Menschen gegenüber nicht, sondern geht das volle Risiko des menschlichen Lebens ein, er geht es bewusst ein, weil er zutiefst einer von uns sein möchte, damit wir werden wie ER.



    Und genau darin liegt unsere Hoffnung begründet: Indem Jesus unser ganzes Leben mit uns teilt, es annimmt – bis zum Tod, verändert er es. Indem er am Ende herabsteigt in den Tod, haben wir die Hoffnung, dass der Tod zum Leben gewandelt wird.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    auf manchen alten Krippendarstellungen, nicht so modern wie die Weihnachtskarte, die ich in diesem Jahr erhalten habe, sieht man das neugeborene Christkind nicht einfach direkt auf dem Stroh ruhen, sondern genau betrachtet liegt das neugeborene Kind auf einem weißen Tuch, so wie wir das jetzt bei der heiligen Messe auf dem Altar verwenden und darauf Brot und Wein stellen, die Gaben, die wir dann als Leib und Blut Christi empfangen. Die alten Maler wollen damit zum Ausdruck bringen: Wenn du die Eucharistie, die heilige Messe mitfeierst und zur Kommunion kommst, dann empfängst du Christus, das in der Krippe liegende Kind, selbst. Er will dich heilen und gesunden lassen. Die Eucharistie wurde deswegen von früh an als Medikament, als Heilmittel, als Arznei verstanden und Christus als Arzt oder Apotheker gesehen. Er hat die richtige Medizin für uns, ja er ist dieses Therapeutikum selbst. Ignatius von Antiochien bezeichnet die Kommunion folglich als „Arznei der Unsterblichkeit, als Gegengift gegen den Tod“ und ein Jesuit unserer Tage spricht von der „lebensnotwendigen Injektion“.



    Wenn auch Weihnachten in diesem Jahr ganz anders ist, wenn wir auf Abstand bleiben (müssen) und auf die kommende Impfung hoffen dürfen, das Entscheidende dieses Festes ist: Gott will für dich da sein, dich stärken und heilen wie eine Arznei, wie eine „lebensnotwendige Injektion“. Er ist dir näher, als du denkst, näher, als du dir selbst bist!
  • Predigt zur Beauftragung neuer schulpastoraler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Erzbistum Hamburg / Kleiner Michel zu Hamburg / 26. 11. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort



    Predigt von Erzbischof Stefan Heße bei der Heiligen Messe zur Beauftragung neuer schulpasto-raler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Erzbistum Hamburg

    am 26. November 2020 im kleinen Michel

    (Evangelium: Lukas 10,1-9)





    Liebe Schwestern und Brüder,

    die Heilige Schrift ist kein Geschichtsbuch aus fernen Zeiten. Sie ist zu jeder Zeit das lebendige Wort Gottes. Dieses Wort ereignet sich, es lebt, es wird fortgesetzt. Das spüren wir besonders heute bei Ihrer Beauftragung für den schulpastoralen Dienst.



    Damals waren es 72 Jünger, die Jesus ausgewählt hat. Dabei betont der Evangelist ausdrücklich, dass es sich um „andere“ Jünger handelt, die Jesus auswählte. Und zu diesen anderen gehören Sie dazu!

    Diese Jünger sendet er an all die Orte, die er eigentlich selber besuchen möchte. D. h., der Jünger kommt im Namen des Meisters selbst. Oder um es anders zu sagen: Sie stehen in seinem Namen da. Sie gehen ihm voraus bzw. ER folgt Ihrem Wirken nach.



    Diese Gruppe, zu denen Sie sich zählen dürfen, geht in Städte und an andere Orte. In der Pastoraltheologie sprechen wir mittlerweile von sogenannten „Andersorten“. Im Rahmen der Entwicklung der pastoralen Räume im Erzbistum Hamburg sprechen wir daher nicht nur von Pfarreien und Gemeinden, sondern immer wieder auch bewusst von Orten kirchlichen Lebens. Für mich zählen unsere Schulen zu diesen Orten kirchlichen Lebens. Hier ereignet sich Kirche, hier setze ich, setzen wir als Erzbistum Hamburg auf Sie.

    Die Schule als Ort kirchlichen Lebens ist in der jetzigen Situation stark in der öffentlichen Diskussion. Immer wieder wird darüber diskutiert, unter welchen Bedingungen heute Schule stattfinden kann, wie die Schülerinnen und Schüler, natürlich aber auch Lehrerinnen und Lehrer an diesem wichtigen Ort vor dem Covid-Virus geschützt sind. Wie geht Schule unter den Bedingungen der Distanz? Wechselnde Lerngruppen: ja oder nein? Hybridunterricht? Maskenpflicht: für wen? Wie lange und unter welchen Bedingungen können unsere Schulen offen bleiben? Welche Quarantäneregeln greifen für positiv getestete Schüler und Schülerinnen?



    Wir denken hierbei an 10 bis 11 Mio. Schüler und Schülerinnen in Deutschland, plus ihre Familie und fast 800000 Lehrer und Lehrerinnen. Sie verbringen einen wesentlichen Teil ihres Lebens in der Schule bzw. der Schulgemeinde.



    An der Schule erleben wir wie in einem Fokus den Wandel unserer Gesellschaft überhaupt, etwa hin zum digitalen Unterricht. Was braucht es dazu an Voraussetzungen technischer, aber auch pädagogischer Art? Wie wird die Digitalität das Schulleben und unser Leben im Ganzen verändern? Wir sehen es an unseren Städten und Gemeinden, die einer großen Veränderung unterliegen. Dieser Veränderung müssen wir uns auch als Kirche stellen.



    Jesus gibt seinen Jüngern einen ziemlich klaren und eindeutigen Auftrag. Sie sollen an diese Orte gehen und eines sagen und vermitteln, nämlich: „Friede sei mit euch“. Oder anders gesagt: „Das Reich Gottes ist euch nahe“. Der Friede ist immer der göttliche Friede, der umfassende Shalom, das Reich des Friedens. Deswegen sind Friede und Reich Gottes fast austauschbar. Die Botschaft mag heute eine neue Form annehmen und auf eine ganz andere Art und Weise zu vermitteln sein. Aber die Botschaft als solche bleibt: Wir alle sind gerufen, das Reich Gottes anzukündigen, das längst im Begriff ist zu wachsen und den Frieden zu bringen, den Christus uns hinterlassen hat.



    In einem schulpastoralen Papier, das wir gerade in dieser Woche noch einmal unter den Bischöfen in einer Videokonferenz diskutiert haben und das bald veröffentlicht werden soll, heißt es, dass wir eine humane Schule als Ziel vor Augen haben. Da, wo wir Gott den Weg bereiten, seinen Frieden, seine Liebe, seine Gerechtigkeit, wo all das Göttliche in die Zeit einbricht und wir ihm die Tore offenhalten, da wird es wirklich menschlich. Das Humanum gibt es nur auf der Grundlage des Divinum, Göttliches und Menschliches gehören zusammen. Romano Guardini sagt ganz schlicht: „Wo Gott seinen Ort in der Welt verliert, verliert ihn auch der Mensch.“ Wir Christen glauben viel-mehr: Wo Gott ganz ein-fach Gott ist, kann der Mensch voll und ganz Mensch sein!



    Gott geht in aller Regel sehr sensibel mit uns Menschen um. Er will den Menschen nicht überwältigen oder gar zwingen, sondern er wirbt immer um seine Freiheit. Um es mit einem Bild zu sagen: Er steht an der Tür und klopft, aber er tritt die Tür nicht ein und verschafft sich niemals mit Gewalt Einlass. In unserem Evangelium heißt es ganz schlicht und einfach: „Wenn man euch aufnimmt“. Es hängt also alles daran, dass uns geöffnet wird, dass der Mensch mit seinem freien Willen bereit ist, der Botschaft Gottes und seinen Frieden und seiner Gerechtigkeit den Weg zu bereiten. Schulpastorale Arbeit darf nie mit Gewalt geschehen, darf nie missbräuchlich sein, sondern setzt immer auf die Freiheit des Einzelnen. Der langjährige Pariser Erzbischof Kardinal Jean-Marie Lustiger brachte es in ein sprechendes Bild: „Die menschliche Persönlichkeit lässt sich nicht wie Stahl schmieden. Die dem Menschenherzen eingeschriebene Freiheit sorgt für Überraschungen…“



    Liebe Schwestern und Brüder,



    ich wünsche Ihnen Gottes Segen für Ihren neuen Dienst in der Schulpastoral zugunsten so vieler, der Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, der Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, also zugunsten der ganzen Schule. Gehen Sie immer mit Freude und bewusst an diesen Ort kirchlichen Lebens. Bringen Sie selber Gottes Frieden und sein Reich mit. Respektieren Sie die Freiheit jedes Menschen. Gott segne Sie und Ihren wertvollen Dienst.
  • Predigt zum Nils-Stensen-Gedenken / Propsteikirche Sankt Anna in Schwerin / 25. 11. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    Papst Franziskus hat vor kurzem an zwei wichtige Ereignisse erinnert: seit 50 Jahren gibt es diplomatische Beziehungen zwischen der europäischen Gemeinschaft und dem Heiligen Stuhl als ständiger Beobachter beim Europarat; auch wurde in diesem Jahr der 70. Jahrestag der Schuman-Erklärung begannen. Dabei geht es um die Überwindung der durch beide Weltkriege entstandenen Feindschaften auf dem europäischen Kontinent.



    Am Ende seines Schreibens ruft der Papst die Schutzheiligen Europas an: Benedikt, Cyrill und Methodius, Birgitta von Schweden, Katharina von Siena und Theresia Benedicta vom Kreuz, also Edith Stein, die vor ihrer Bekehrung auch in Hamburg weilte.



    Sicher hätte Papst Franziskus auch einen Seligen wie Niels Stensen hinzufügen können. Er ist zwar kein Patron Europas im erklären Sinn, aber ein wirklicher Europäer. Das beweist allein die Route, die er durch den europäischen Kontinent bereist hat: geboren in Dänemark, Student in den Niederlanden, dann schließlich in Frankreich und Italien und wiederum an verschiedenen Orten in Deutschland, bis hierhin nach Schwerin wo er am 25. November 1686 verstorben ist und seine Reliquien in der Krypta verehrt werden.

    Aber Nils Stensen ist nicht nur aus diesen äußeren Gründen ein europäischer Mensch, sondern er denkt geradezu europäisch. Ich will versuchen dies an drei Punkten deutlich zu machen, die für ihn und uns von Bedeutung sind.



    1. Geschwisterliches Miteinander

    Europa ist ein Kontinent aus sehr vielen verschiedenen Staaten. Das hat Stensen auf seinen Reisen erfahren. Es geht eben zu wie in einer echten Familie: Wir gehören alle zusammen, aber jeder von uns ist unterschiedlich. Diese Unterschiede sollten wir nicht übersehen und erst recht nicht versuchen, sie auszulöschen. Gerade diese verschiedenen Traditionen bilden den Reichtum Europas. Aber wir werden die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen niemals allein bewältigen können, sondern immer nur gemeinsam. Das wird auch gerade in dieser Zeit in und durch Corona deutlich: Es betrifft alle und jeden. Eine Lösung finden wir nur in einem großen Miteinander! Machen wir uns also auf den Weg zu einer größeren Geschwisterlichkeit.



    2. Menschenfreundlicher Umgang

    Ein zweiter Gedanke: „die Originalität Europas liegt vor allem in seinem Menschenbild“ . Der Mensch ist kein Gegenstand, kein Ding. Er stellt an sich einen Wert dar, er hat eine Würde, die ihm keiner nehmen darf und kann. Deswegen gilt es, das Leben in jeder Phase zu schützen, von der Empfängnis bis zum letzten Atemzug. Herr über Leben und Tod sind nicht wir Menschen, sondern nur Gott selbst. Deswegen braucht es einen durch und durch menschenfreundlichen Umgang untereinander, gerade gegenüber den Schwächeren. Hierbei denke ich besonders an die Migranten. Ich bin mir sicher, dass Nils Stensen als Mediziner und als Migranten auf großen europäischen Routen um diesen Respekt vor jedem einzelnen Menschen wusste.



    3. Offen für Transzendenz

    Wir alle wissen um die Säkularisierung in unserem Land. Wo wüsste man das nicht besser, als im Osten Deutschlands wie hier in Mecklenburg, wo gerade einmal 20 % der Menschen getauft sind. Der Anteil der Katholiken liegt bei etwa 3 %: also ein sehr säkulares Terrain. Gerade hier leben wir als Christen, hier bekennen wir unseren Glauben, hier geben wir Zeugnis. Wir sollen so etwas sein wie die Hefe im Teig oder – um ein anderes Bild zu wählen: wie die Seele im Leib. Das können wir nur sein, wenn wir als Christen Christus in die Mitte rücken. Das ist unsere Kraftquelle. Daraus empfangen wir selbst und daraus sollen wir anderen weitergeben. Nils Stensen hat das hier vorgelebt und in seiner Tradition wollen wir es fortsetzen.



    Seliger Nils Stensen, bitte für uns in Mecklenburg, für uns im ganzen Erzbistum Hamburg und für uns in Europa! Amen
  • Predigt am Todestag der Lübecker Märtyrer / Propsteikirche Herz Jesu in Lübeck / 10. 11. 2020
    Es gilt das gesprochen Wort!





    Liebe Schwestern und Brüder,



    die Corona-Pandemie prägt unser Leben mehr und mehr. Sie verändert es umfassend und nach-haltig: unser Zusammenleben, unsere Wirtschaftsbeziehungen, die Kultur, die Bildung ... Und natürlich auch das kirchliche Leben.



    Grob betrachtet spüren wir, dass der Radius unseres Lebens kleiner wird, die Rahmenbedingungen enger. Viele Menschen in unserem Land fühlen sich dabei zunehmend eingeschränkt. Manche von ihnen gehen auf die Straße und machen ihrem Unmut Luft, vor einiger Zeit in großer Zahl in Berlin und am vergangenen Wochenende in sehr fragwürdiger Weise in Leipzig. Sie fühlen sich in ihrer Freiheit eingeschränkt. Sie meinen, mit all diesen Beschränkungen, mit den auferlegten Grenzen, nicht mehr frei atmen und sich nicht mehr frei bewegen zu können.



    Das führt mich zu unseren Märtyrern: Ihr Lebensradius wurde stets enger, immer kontrollierter, bis eben hinein in die Gefängniszelle von ein paar Quadratmetern, ohne Aussicht – im wörtlichen, wie im übertragenen Sinne. Die Umstände im Gefängnis waren alles andere als behaglich. Ganz zu schweigen vom Prozess, dem Todesurteil und der Vollstreckung: Also eine umfassende Einschränkung und Eingrenzung, eine radikale Isolation, Quarantäne und Fixierung - ohne Freiheit.



    In dieser Situation schreibt Kaplan Johannes Prassek in sein Neues Testament einen entscheiden-den Satz: „Wer sterben kann, wer will den zwingen.“

    Oft macht Angst den Menschen enger, kleiner, sodass er nur noch auf seine Defizite starrt und in seiner Angst förmlich erstarrt. Aus diesem Wort von Johannes Prassek spricht eine ganz andere Sicht der Dinge: nicht Enge, sondern Weite; nicht Erstarren, sondern Lebendigkeit; nicht das ganz Kleine, sondern das Große! Er erlebt seine Gefängniszelle offenbar nicht als ein „immer weniger“, sondern geradezu als ein Tor, als eine Öffnung zu einer viel größeren Freiheit.



    Es ist offenbar zu allererst die Freiheit von Erniedrigung, von Beschämung, von äußeren Angriffen, von der Unterwerfung unter dem Willen anderer, von der Ausbeutung, sicher auch die Freiheit von Minderwertigkeit, die Freiheit von Dingen, von allen Bezwingungen und Zwängen, äußeren und inneren. Und es ist die Freiheit von der Macht des Todes, die seinem Leben nach vorne hin keine Grenze setzt, sondern ein Tor, einen Zugang zum Leben in Fülle, an das er glaubt und auf das er hofft. Wenn der Mensch von alldem frei ist, dann wird er frei für etwas ganz Neues, dann wird in ihm die Freiheit zu einem neuen Leben geboren.

    Johannes Prassek wusste es: Der Mensch lebt immer in der Gefahr, die Freiheit des anderen zu beschneiden, sie ihm zu rauben, ja sie zu zerstören. Auch der gläubige Mensch ist vor dieser Freiheit keineswegs gefeit! Aber ganz anders Gott: Gott ist frei und Gott macht frei. Es bewegt mich immer wieder von neuem, wenn ich bei der Firmspendung die Gläubigen zu einem stillen Gebet für die Firmbewerber auffordere. Dann wird es in der Kirche ganz still und ich bitte darum zu beten, oft für ganz junge Menschen, von denen dann der liturgische Text sagt: Sie sind in ihrer Taufe von der Schuld Adams befreit. In unserer Taufe sind wir in diese neue Freiheit hineingeboren worden und haben sie geschenkt bekommen. Unser Leben ist dann ein Ringen, sich einerseits von dem, was diese Freiheit behindert, immer wieder zu lösen: die Freiheit von, um schließlich zu einer Freiheit für zu kommen.



    Papst Johannes Paul II. hat bei seinem Deutschlandbesuch 1996 eine ergreifende Rede am Brandenburger Tor gehalten, in der er uns diese Freiheit vor Augen stellte. Ausgerechnet am Brandenburger Tor, das mindestens von zwei Ideologien besetzt wurde: Das Tor wurde von ihnen zu einer Mauer gemacht und damit pervertiert. Im Angesicht dieses symbolhaften Ortes sagt uns der Papst: Die Freiheit hat einen Namen: Jesus Christus. Sein Leben ist ein einziges Frei-sein von, und ein Frei-sein für, nämlich für Gott und die Menschen. Von diesem Christus sagt uns der Heilige Paulus: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Gal 5,1).

    Wir haben also diese Freiheit empfangen und zugleich den Auftrag, sie ein Leben lang zu bewahren und zu gestalten, eine Freiheit in Verantwortung, vor Gott und den Menschen. Deswegen hat es etwas geradezu Befreiendes am Ende unseres Lebens im Tod vor dem Gericht Gottes zu stehen.

    Die Märtyrer wussten offenbar um diese Perspektive und sie haben sie sich durch die harten Rahmenbedingungen nicht nehmen lassen, sondern immer wieder darum gerungen. Auf sie trifft zu, was Kardinal Reinhard Marx gleich zu Beginn seines jüngsten Buches über die Freiheit sagt: Wenn man einem Christen begegnet, sollte man den Eindruck haben: Sieh an, ein freier Mensch!



    Franz Jägerstätter, der als Kriegsdienstverweigerer im Zweiten Weltkrieg wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, hat, als der Anwalt ihn noch in der Todeszelle zum Unterschreiben drängen will, damit er so seine Freiheit erhalten würde, ganz ruhig geantwortet: „Aber ich bin doch frei!“

    Ich glaube, an den vier Märtyrern und an vielen anderen Zeugen unseres christlichen Glaubens konnte man und kann man das sehen: Sieh an, ein freier Mensch. Ich hoffe, dass man es auch jetzt und hoffentlich sogar gestärkt durch die derzeitigen Corona-Erfahrungen von uns sagt: Sieh an, ein freier Mensch, denn Christus hat uns zur Freiheit befreit.
  • Predigt zu Allerseelen in der Domkirche St. Marien / Hamburg / 02. 11. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!



    Liebe Schwestern, liebe Brüder,



    die alten Griechen sprachen vom Hades, die Juden vom Scheol. Sie meinten damit das Reich der Toten. Hier gelangt ein Verstorbener hin. Hades und Scheol sind nicht zu verwechseln mit dem Paradies, mit dem Himmel. Im Gegenteil, sie sind sehr traurige Orte, Orte der Verlassenheit, der Einsamkeit. Es sind Orte ohne jede soziale Beziehung, die pure Isolation, eine vollkommene Quarantäne. Hier besteht überhaupt keine Kommunikation mehr. Es mag sein, dass die Nähe der Verstorbenen untereinander sogar überaus groß ist, aber sie haben keinen Kontakt miteinander, keinen Austausch.



    Darüber hinaus ist dieses Totenreich charakterisiert durch eine Kommunikationssperre zu Gott hin. Es gibt keine Anbetung. Es gibt keinen Lobpreis. Für Gott ist im Reich des Todes kein Platz. Hier ist der Mensch nur noch ein Schatten seiner selbst; es ist nicht nur der biologische Tod, sondern vielmehr auch der soziale Tod, um den es hier geht. Der Mensch hört im eigentlichen Sinne auf, Person zu sein, denn eine Person lebt ja gerade aus dem Kontakt der Gemeinschaft und der Kommunikation.



    Vielleicht leben wir gerade in diesen Tagen in einer Zeit, in der viele Menschen in gemeinschaftlicher Perspektive leiden, geradezu am sozialen Sterben leiden; sie befinden sich sozusagen wie im Reich des Todes, weil ihre Kommunikation erheblich eingeschränkt, ja vielleicht sogar unmöglich ist. Sie sind und sie leben eben nicht in Gemeinschaft: Du magst alles haben, was man zum Leben so braucht, aber das Entscheidende fehlt dir: Gemeinschaft, Begegnung, Austausch, Kommunikation. Manch einer mag sagen: Ich bin irgendwie nur ein Schatten meiner selbst, das ganze Leben kommt mir wie ein Schatten vor.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    in unserem Glaubensbekenntnis sprechen wir aus, dass Jesus in das Reich des Todes hinabgestiegen ist. Das Kreuz ist also noch nicht einmal der letzte Tiefpunkt, an den Jesus anlangt, sondern das Reich des Todes geht noch eine Etappe weiter in die Tiefe hinein. Jesus, der Zeit seines Lebens immer wieder zu Gott als seinem lieben Vater gebetet und gerufen hat, der ihn mit Abba anredete, der ruft am Kreuz aus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Da ist schon etwas von dieser Kommunikationslosigkeit zu spüren. Christus macht also selber die Erfahrung der Verlassenheit, der Isolation und geht als solcher zu den Toten. Er solidarisiert sich mit den Toten, und zwar im tiefsten Sinne des Wortes: er kommt nicht einfach zu ihnen als der Lebendige, dem all das nichts anhaben könnte, sondern die Solidarität geht so tief, dass er als Toter in das Reich des Todes eintritt. Durch diese Solidarität konnte er die Isolation aufbrechen und verwandeln.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    das gibt uns Hoffnung für unsere Verstorbenen: Wir glauben daran, dass sie aus der Isolation ihres Todes durch den Tod Jesu Christi herausgeholt werden. Deswegen gedenken wir heute ihrer und aller Verstorbenen.

    Das gibt uns aber auch Hoffnung für uns Lebende, gerade in diesen Tagen: Wir helfen einander nicht ausschließlich dadurch, dass einige wenige Starke, denen das Virus nichts anhaben könnte, sich um die Schwachen kümmern und sie unterstützen. Wir helfen einander auch und gerade dann, wenn die Hilflosen, die, die an ihre Grenzen geraten, die Kraftlosen, wenn sie in all ihrer Schwäche und Gebrochenheit solidarisch sind mit denen, denen es genauso ergeht.



    Ein niederländischer Schriftsteller sagt: „In unserer Zeit brauchen wir keine Unterstützung, sondern Solidarität.“

    Allerseelen ruft uns diese Solidarität des toten Christus mit allen Toten ins Gedächtnis. Allerseelen 2020 ruft uns zur Solidarität mit allen Menschen auf. Gott sei Dank gibt es diese Solidarität gerade in diesen Tagen in überaus großem Maß. Wir brauchen sie, um zu heilen.





    (Die Predigt ist inspiriert von Gedanken des philippinischen Kardinals Luis Antonio Tagle aus seinem jüngst erschienen Buch „Gott. Vom Wagnis der Hoffnung“. Kardinal Tagle wiederum greift hierin Gedanken aus der Karsamstagstheologie des Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar auf.)
  • Predigt zu Allerheiligen in der Domkirche St. Marien / Hamburg / 01. 11. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!



    Liebe Schwestern und Brüder,



    je länger die Coronapandemie uns in Beschlag nimmt, umso mehr vermissen wir, was für uns zum Leben einfach dazugehört und wichtig ist: es ist allem voran die erfahrene und gelebte Gemeinschaft. In diesen Zeiten leiden viele Menschen unter Isolation, unter Quarantäne, unter Abgeschiedenheit, unter mangelnden Kontakten und Begegnungen. Es ist gerade nach den jüngsten Verordnungen eine Zeit des ausgesprochenen physical distancing, aber für viele auch und vor allem des social distancing.



    Heute an Allerheiligen können und sollen wir uns in Erinnerung rufen, dass in unserem Glaubensbekenntnis die Gemeinschaft steht, die Communio. Nachdem wir in unserem Credo den Glauben an den Vater, Sohn und Heiligen Geist bekennen, bringen wir im Schlussteil des Glaubensbekenntnisses sozusagen die Wirkungen oder die Geschenke dieses Dreifaltigen Gottes ins Wort. Eine davon ist die Gemeinschaft der Heiligen, also nicht einfach nur die Heiligen oder das Heilige, sondern ausdrücklich die Gemeinschaft der Heiligen und des Heiligen, die communio sanctorum.



    Ein Blick auf diese Gemeinschaft kann uns gerade in dieser Zeit der Coronapandemie guttun.



    Mit unserer Lesung aus dem letzten Buch der Bibel, der Geheimen Offenbarung, wagen wir einen Blick auf diese große, unzählbare, vielfältige Schar der Heiligen, sozusagen ein Himmel voller Heiliger. Heiligkeit ist offenbar nicht eine Gabe für den Einzelnen, sondern drängt dazu, geteilt und mitgeteilt zu werden.

    Der Kalender eines Jahres hält an jedem einzelnen Tag einen und manchmal sogar mehrere Heilige zum Gedächtnis bereit. In der Liturgie der Kirche feiern wir diese Heiligen tagtäglich im Stundengebet und in der heiligen Messe. Gerade in diesen Zeiten wird mir deutlich, diese Heiligen sind uns nicht fern, sie sind unsere Schwestern und Brüder. Ja, der heilige Paulus bringt einmal zum Ausdruck, dass wir Mitbürger und Hausgenossen der Heiligen sind. Sie sind unsere Freunde, sie sind unsere Nachbarn, unsere Mitmenschen. Wir leben als Kirche in einer Gemeinschaft zusammen. Deswegen finde ich es faszinierend, dass diese Heiligen aus allen Altersschichten sind, ganz junge und hochbetagte. Es sind Menschen aus unserem Land, aus Europa, aus jedem Kontinent, aus der ganzen Welt. Es sind Frauen und Männer, Getaufte und Gefirmte und Geweihte. Manche haben Werke hervorgebracht oder einen Orden gegründet, andere eher verborgen gelebt. Die einen wurden verfolgt und haben für ihren Glauben leiden müssen, andere haben ein Leben lang treu ihren Glauben gelebt mitten im Alltag.



    Communio sanctorum, Gemeinschaft der Heiligen, meint, wenn man es ganz wörtlich aus dem Lateinischen ins Deutsche überträgt, auch die Gemeinschaft am Heiligen. Es meint die Gemeinschaft mit dem heiligen Gott, er ist der einzig Heilige, der Heilige schlechthin. Gott will uns an seiner Heiligkeit Anteil geben. Wir haben diese Heiligkeit empfangen in unserer Taufe, wir empfangen sie immer neu und immer tiefer in jeder Eucharistie, die wir feiern. Gott will uns an seiner göttlichen Lebens– und Liebesgemeinschaft teilnehmen lassen. Gott ist immer gemeinschaftsbildend und gemeinschaftsstiftend.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    die Gemeinschaft der Heiligen steht uns also nicht einfach gegenüber und ganz weit von uns entfernt. Wir gehören in diese Gemeinschaft schon hinein. Tag für Tag haben wir an dem Heiligen Anteil. Wenn wir dieses Heilige, dieses Heil, diese Schönheit aufnehmen und ergreifen, dann wird auch unsere Welt und Zeit ein wenig heiler, ja heiliger. Allerheiligen lenkt also nicht nur den Blick auf den Himmel voller Heiligen, sondern auch auf eine Erde voller Heiliger und voller Heiligkeit.
  • Predigt des Erzbischofs Dr. Stefan Heße in der Chrisammesse / St. Marien-Dom / Hamburg / 15. 10. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!



    (Evangelium: Lukas 10,25-37)



    Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder!



    Fratelli tutti - so hat Papst Franziskus seine dritte Enzyklika, eine ausgesprochene Sozialenzyklika überschrieben. Er träumt von dem großen Wir aller Menschen. Jeder von uns kann und soll dazu seinen eigenen Beitrag einbringen.



    Im zweiten Kapitel dieser Enzyklika meditiert Papst Franziskus über das Gleichnis vom barmherzigen Samariter aus dem zehnten Kapitel des Lukasevangeliums, das wir gerade wieder gehört haben.

    Da liegt dieser unter die Räuber gefallene Mensch am Boden, verletzt, hilflos, allein… Ganz schnell fallen mir viele solche am Boden liegende Menschen ein: Ich denke gerade jetzt an die alten und kranken Menschen, die besonders unter Einsamkeit leiden, an die, die allein sterben müssen. Ich denke an diejenigen, die mit der augenblicklichen Situation nur schwer fertigwerden, deren Leben eingeschränkt, ja in besonderer Art und Weise begrenzt ist, die wie gelähmt sind, regungs- und bewegungsunfähig. Ich denke an diejenigen, die sich um ihre Existenz sorgen, die nicht wissen, wovon sie selber und ihre Angehörigen leben sollen. Ich denke besonders an die Schwächsten unserer Gesellschaft, die jetzt am stärksten bedroht sind.

    Ich sehe in den verletzten Menschen auch uns selber, unsere Kirche, die vielen Haupt – und Ehrenamtlichen, die nicht wieder hochkommen, um sich weiter eigenständig fort zu bewegen. Im Verletzten dürfen wir uns auch selber entdecken, unsere Wunden, unsere eigene Verwundbarkeit. Solche Wunden können oft sehr wehtun.



    An diesem Verletzten aus dem Gleichnis gehen die einen vorbei, ausgerechnet ein Gesetzeslehrer und Levit, vielleicht sogar mit guten Beweggründen; einer aber bleibt stehen und schaut genauer hin, ausgerechnet ein Fremder, ein Mensch aus Samarien. Es gibt nur diese Alternative: weg-schauen und weitergehen oder aufmerksam sein und stehen bleiben, ja sich über den Verletzten beugen und sich ihm zuwenden.

    Der Evangelist beschreibt das Handeln dieses barmherzigen Samariters mit einer Fülle von Worten: er sieht, er hat Mitleid, er geht hin, er verbindet die Wunden, er versorgt den Verletzten und übergibt ihn schließlich in die Herberge und zahlt sogar für ihn. Und mittendrin heißt es: Er goss Öl auf die Wunden. Er will also die Wunden pflegen, den Kranken heilen, ihn stärken, ihn nicht nur sehen, sondern sogar im umfassenden Sinn versehen. In alldem und im Salben mit dem Öl geht es um Zuneigung, Beziehung, Sorge. Ein Bild für eine Kirche in Beziehung, wie wir sie im Erzbistum Hamburg leben wollen; ein Urbild für Seelsorge, die auch den Leib umfasst.



    Dieses Evangelium passt deswegen sehr gut in unsere Corona-Zeit und zu dieser Ölweihemesse.

    Ich möchte allen Priestern und Diakonen ganz herzlich danken für ihren Dienst bei der Spendung der Sakramente, wenn sie zum Beispiel unsere Täuflinge mit dem Chrisam salben. Ich danke besonders allen Mitbrüdern, die in diesen Wochen und Monaten uns Bischöfen helfen das Sakrament der Firmung zu spenden. Ich denke auch an alle, die die Krankensalbung feiern, manchmal unter ganz besonderen Rahmenbedingungen. Jede einzelne Salbung ist nicht nur ein Ritus, sondern ein Zeichen der Begegnung, der Berührung eines konkreten Menschen, seiner Biographie und damit auch seiner Wunden. Es ist der barmherzige Samariter, Christus selbst, der diese Beziehung zum einzelnen durch unser Mittun aufbauen möchte.



    Den Dienst der Salbung tun wir aber nicht nur, wenn wir das geweihte Öl benutzen, wir tun es auch im übertragenen Sinn. Diesen lebenswichtigen Dienst tun wir auch in unserer Verkündigung, gerade in dieser Zeit, wo wir auf Gott verweisen und ihn wach halten. Verkündigung erschöpft sich nicht in klugen und gewandten Worten, wie der heilige Paulus einmal sagte, sondern sie ist immer mit dem eigenen Leben und dem eigenen Glauben verbunden. Deswegen möchte ich ausdrücklich allen danken, die sich immer wieder, oft Woche für Woche, ja Tag für Tag der geistlichen Herausforderung der Verkündigung Gottes und seines Wortes unterziehen, egal ob wir das auf analoge oder jetzt auch vermehrt digitale Art und Weise tun.

    Schließlich tun wir diesen Dienst der Salbung und der Heilung auch immer dann, wenn wir mit Menschen im Gespräch sind, wenn wir nicht an ihnen vorüber gehen, sondern stehen bleiben und sie und ihr Leben in den Blick nehmen und vielleicht ein gutes Wort für Sie bereit haben. Gerade in dieser Corona Zeit sind die persönliche Begegnung, das Für-einander-da-sein und schließlich die konkrete Tat der Liebe, der Dienste des Samariters, den wir heute fortsetzen.



    Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder,



    lange wurde die Ölmesse am Morgen des Gründonnerstags gefeiert, genau des Tages, an dem wir am Abend bei der Fußwaschung hören: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben“. Mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter hat Jesus uns ein solches Beispiel ans Herz gelegt. Versuchen wir seinen Weg in dieser bewegenden Zeit fortzusetzen. Amen.

  • Predigt für die Beauftragung von Frau Quinchiguango / Hamburg / 18. 09. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!



    Liebe Schwestern und Brüder!

    Liebe Frau Quinchiguango, ich darf Sie in diesem Gottesdienst als Gemeindereferentin im Erzbistum Hamburg aussenden.



    Als wir vor einigen Monaten miteinander ein Gespräch führten, haben Sie ein wunderbares Bild gebraucht, das ich bis heute nicht vergessen habe. Ihre Berufung, Ihre Sendung als Gemeindereferentin haben Sie in dieses Bild gebracht: Ich will ein Evangelium auf zwei Beinen sein.



    Ein Evangelium auf zwei Beinen, das heißt für mich zunächst einmal, das Evangelium bekommt Hand und Fuß, es bekommt Arm und Bein. Oder um es anders zu sagen: Das Evangelium wird Fleisch. Es ist eben nicht etwas Rein-Geistiges, eine Lehre, Gedanken, Ideen. Nein: das Evangelium ist konkret. Es wird in meinem Leben sozusagen verkörpert. Es gewinnt in meinem Leben Gestalt.



    Und dann: Ein Evangelium auf zwei Beinen, das schreit nach Bewegung. Die Beine sind zur Fortbewegung, zum Gehen da. Offenbar lässt sich das Evangelium nicht im Stillstand leben, sondern in der Bewegung. Sie, liebe Frau Quinchiguango, haben eine weite Bewegung, einen weiten Weg bereits hinter sich. Sie sind vor einigen Jahren von Ecuador nach Österreich gekommen und dann schließlich nach Deutschland hier ins Erzbistum Hamburg. Sie haben sich auf einen weiten Weg gemacht und waren die erste aus Ihrer Familie, die ein Abitur erwarb und folglich auch die erste, die ein theologisches Studium absolvierte. Sie sind auf dem Weg bereits in Hamburg gewesen, vor allem in der Gemeinde St. Elisabeth. Aber Sie sind jetzt auf eine neue Etappe Ihres Weges getreten in der Pfarrei Heilige Katharina von Siena in Langenhorn, Norderstedt, Ochsenzoll und Henstedt-Ulzburg. Und dabei ist Ihr Weg beileibe nicht zu Ende. Ihr Weg geht Tag für Tag weiter von sich zum Nächsten, zu den Menschen, zu denen Sie nun gesandt werden, denen Sie das Evangelium bringen dürfen zu allererst durch Ihr Leben und dann – so meint es der Heilige Franz von Assisi – wenn nötig auch noch mit Worten.



    Liebe Schwestern und Brüder, damit wir das Evangelium verkörpern können, damit wir es weitergeben und weitertragen können, müssen wir auch immer wieder zum Evangelium zurückkehren. Wir müssen an das Evangelium Jesu Christi anknüpfen. Deswegen die Frage an jeden von uns: Worin besteht im Hinblick auf mein Leben mein Evangelium? Was ist jetzt die Botschaft der Freude, die gute Nachricht, die Gott mir schenkt?



    Wir müssen uns ein Leben lang vom Evangelium ansprechen, ermutigen und gleichsam ernähren lassen, ein Leben lang das Wort Gottes als Frohe Botschaft vernehmen, die mir jetzt in dieser konkreten Situation gilt.

    Wenn ich wissen will, worin mein Evangelium besteht, dann muss ich meine Armut kennen, meine Schwäche, auch meine Sünde. Dann muss ich wissen, wo Gott jetzt eingreifen muss. Deswegen: Bevor wir als Evangelium auf zwei Beinen uns auf den Weg machen, bleiben wir ruhig stehen, setzen wir uns hin, knien wir uns vielleicht auf diese Beine, um unser Leben diesem Evangelium entgegenzuhalten. Wenn wir unser Leben für das Evangelium öffnen, dann wird die Frohe Botschaft genau da hineinfallen, wo Gott sie uns heute schenken möchte. Das ist die beste Voraussetzung, dass wir nicht Parolen, nicht Allgemeinheiten verkünden, sondern dass wir in unseren Gemeinden, und dass erst recht alle Seelsorger, das Evangelium so verkünden, dass es in unser Leben trifft und uns in unserer jeweiligen Situation betrifft. Versuchen wir alle so Evangelium auf zwei Beinen zu sein.

  • Predigt zur Priesterweihe von Bruder Lukas Boving aus dem Benediktinerkloster Nütschau am Fest der Kreuzerhöhung / Bad Oldesloe / 14. 09. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort



    Liebe Schwestern und liebe Brüder, liebe benediktinischen Mitbrüder aus Nütschau,

    lieber Bruder Lukas,



    heute feiern wir das Fest Kreuzerhöhung. Wie der Name sagt, steht das Kreuz im Mittelpunkt, ja, es wird erhöht, d.h., es wird verherrlicht, es wird in seiner Heilsbedeutung angeschaut und verehrt. Eigentlich ist das große Kreuzfest im Laufe des Kirchenjahres immer der Karfreitag. In jeder Karfreitagsliturgie wird das heilige Kreuz von den Gläubigen verehrt. Sie treten Einzeln nach vorne, schauen auf das Kreuz, machen eine Kniebeuge oder Verneigung.



    Heute an Kreuzerhöhung feiern wir hier die Priesterweihe von Bruder Lucas. Jede Priesterweihe steht unter dem Zeichen des Kreuzes. Gleich am Ende der eigentlichen Weihehandlung bei der Überreichung von Brot und Wein spreche ich Bruder Lukas ein Wort zu, das jeder Priester bei seiner Weihe hört: „Stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes“. Das Kreuz führt uns in die Mitte, die Tiefe und nicht zuletzt die Schönheit des priesterlichen Dienstes.



    Der Blick auf das Kreuz Jesu ist immer auch der Blick auf das Kreuz der Menschen. Jesus hat ja bewusst nicht nur sein Kreuz getragen, sondern das Kreuz der ganzen Welt. Seit einigen Monaten steht über der Welt, und zwar der ganzen Welt, ein besonderes Kreuz: das Corona Kreuz. Corona durchkreuzt förmlich unser Leben. Da werden Pläne durchkreuzt: Ich denke zum Beispiel bei Schülern: Junge Menschen, die ein Jahr im Ausland verbringen wollten, um ihren Horizont zu erweitern – Corona macht das unmöglich. Oder: Existenzen werden durchkreuzt – Menschen, die vielleicht gerade erst angefangen haben und sich etwas aufgebaut haben, stehen jetzt vor den Scherben und dem Ruin ihrer Geschäfte. Es werden Beziehungen durchkreuzt: Menschen, die sich sonst immer wieder gesehen haben, leben jetzt in Distanz; selbst Begrüßung und die normalsten menschlichen Gesten werden außer Kraft gesetzt und am Ende: Es wird auch Leben durchkreuzt, Menschen sterben. Gott sei Dank nicht so viele, wie am Anfang befürchtet wurde, aber wenn man im eigenen Umfeld um jemanden weiß, der durch Corona verstorben ist, dann spürt man dieses Kreuz besonders.



    Dieses Coronakreuz trifft nicht nur diesen oder jenen, sondern es steht über der ganzen Welt. Es kann jeden treffen.



    Das Kreuz ist nicht nur Zeichen für die Not des Menschen. Das Kreuz Christi ist zugleich Zeichen von seiner Liebe. Es ist ein Zeichen dafür, dass Christus bleibt, dass er mitten in diesem Leid gegenwärtig ist, dass er dieses Leid bis zum Schluss aushält. Der Apostel Paulus bringt immer wieder zum Ausdruck, dass zum Christentum die „Torheit des Kreuzes“ gehört. Wir glauben also nicht an einen Gott, der unberührt ist vom Schmerz der Welt und der Menschen, der sich schadlos hält, der in Sicherheit lebt. Wir glauben an einen Gott, der sich selber in die Kreuze der Welt hineinspielt, der eine Standortverlagerung vornimmt und sich an die Kreuze dieser Welt bindet, ja festnageln lässt. Wir glauben an einen Gott, der das Kreuz aushält, ja er hält auch mein Kreuz aus! Gott sei Dank!



    Dieses Sich-Festnageln an das Kreuz ist sozusagen die Probe aufs Exempel für die Kühnheit und Größe der Liebe, die Gott uns schenkt in seinem Sohn. Damit ist das Kreuz nicht nur ein Zeichen unserer menschlichen Kreuzerfahrungen, es ist gleichzeitig ein Zeichen für den Gekreuzigten, der sich an die Kreuze dieser Welt bindet, für seine Liebe, die die Kreuze dieser Welt umwandeln möchte. Die Passion wird so zum Ostersieg, die Wunden werden verklärt, der Tote lebt. Es ist diese, unzerstörbare Liebe, die seit dem Kreuz Jesu, seit dem Karfreitag vor 2000 Jahren in jedem Kreuz dieser Welt präsent sein will.



    Der Kreuzweg Jesu, wie ihn die Heilige Schrift schildert, aber auch wie wir ihn in den 14 Kreuzwegstationen immer wieder betrachten, zeigt uns, dass in allem Leid der Kreuzträger Jesus nicht allein ist. Da gibt es nach alter Tradition die so genannten weinenden Frauen von Jerusalem, die in ihren Tränen ihr Mitleid mit Jesus zum Ausdruck bringen. Da gibt es eine Frau wie Veronika, die einen kleinen Liebesdienst erweist und dem Kreuzträger einfach ein Tuch hinhält. Da gibt es einen Mann wie Simon, der von den Soldaten gezwungen wird, das Kreuz mitzutragen. Er will es vielleicht gar nicht, aber er tut es. Das Kreuz kann man nicht allein tragen. „Stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes“, d.h., dann lass dir auch ein wenig helfen bei deinem Kreuz. Hilf nicht nur den anderen, sondern nimm auch ihre Hilfe für dich an! Jeder Priester braucht solche Menschen. Das kann die eigene Mönchsgemeinschaft sein, in der man lebt, das können gute Freunde oder Familienangehörige sein, das sind Menschen aus unseren Gemeinden und auch darüber hinaus. Vielleicht gibt es auch bei uns manchen Simon, der uns diesen Liebesdienst erweist, ohne dass er es will oder um die genauen Zusammenhänge weiß.



    Wenn Sie, lieber Bruder Lukas, heute die Priesterweihe empfangen und es gleich heißen wird: „Stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes“, dann meint das: Stelle dich an die Seite der vielen Kreuze dieser Tage; stelle dich unter die Liebe des gekreuzigten Christus und schließlich: tragen wir miteinander das Kreuz, der eine als Helfer des anderen.
  • Predigt zur Priesterweihe von Diakon Bork und Diakon Nowaczyk / St. Marien-Dom / Hamburg / 12. 09. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Lesung Jes 61, 9-11; Evangelium Joh 2, 1-11



    Liebe Schwestern und Brüder, liebe Weihekandidaten,

    lieber Diakon Ulrich Bork, lieber Diakon Simon Nowaczyk!



    Mit dem Evangelium von der Hochzeit zu Kana haben Sie nicht nur einen wunderbaren Text aus dem Neuen Testament herausgegriffen, sondern eine programmatische Aussage darüber getroffen, wie Sie beide in den priesterlichen Dienst hineingehen wollen. Es ist zwar eine Hochzeitsfeier, und die würden wir wegen des Zölibatsversprechens, das Sie schon bei Ihrer Diakonenweihe abgelegt haben, auf den ersten Blick gar nicht mit der Priesterweihe in Verbindung bringen, ich glaube aber, dass in diesem Bericht über das erste Zeichen, das Jesus tut, gleichsam Programmatisches für Jesus selber, für die Kirche, für das Reich Gottes und nicht zuletzt für den priesterlichen Dienst zu finden ist, zu dem Sie beide heute geweiht und gesandt werden.



    Das Erste, was ich lese: Es findet ein Fest statt, ein Hochzeitsfest. Wie es das Wort sagt: Hoch-Zeit. Es gibt- Gott sei Dank- im Leben nicht nur Tief-Zeiten und Tiefpunkte, sondern auch das genaue Gegenteil, selbst mitten in dieser Coronazeit. Ihre Weihe ist nicht nur für Sie und Ihre Angehörigen und Freunde, sondern für das ganze Erzbistum Hamburg eine echte Hoch-Zeit – und dazu gibt es noch viele andere mehr.



    Sowohl Maria als auch ihr Sohn Jesus und einige Jünger sind mit bei diesem Fest in Kana dabei. In unserer Welt finden viele Dinge statt, auch in diesen Zeiten gibt es vieles, was stattfindet. Jesus, Maria und die Jünger sind dabei. Sie schließen sich also nicht aus, sie sagen nicht ab, sondern sie sind dabei und feiern mit dem Hochzeitspaar. Der Platz der Kirche ist an der Seite der Menschen! Der Platz eines Priesters ist an der Seite der Menschen und mitten in ihrem Leben. Das ruft uns nicht erst Corona in Erinnerung.



    Nur wenn wir an der Seite der Menschen sind, wenn wir mitten in ihrem Leben sind, wenn wir dabei sind, können wir auch Anteil am Leben der Menschen haben. Nur weil Maria an diesem Fest teilnimmt und weil sie offenbar eine sehr aufmerksame Frau ist, erfasst sie die prekäre Situation: „Sie haben keinen Wein mehr“.



    Als Priester bitte ich Sie, dabei zu sein. Schließen Sie sich nicht ab und auch nicht ein! Leben Sie nicht in einer Blase! Lassen Sie sich gerne einladen von anderen. Teilen Sie das Leben der Menschen und nehmen Sie es aufmerksam wahr, ganz wie Maria. Vielleicht gelingt es Ihnen dann auch, das Leben der Menschen in Ihr Gespräch mit Jesus einfließen zu lassen, also ganz einfach das Leben, wie es ist, ins Gebet zu nehmen.



    Das Zweite: Das Wunder geschieht in vielen kleinen Schritten; es geschieht gar nicht so sehr auf der Bühne, sondern eher hinter den Kulissen: Da werden Krüge mit Wasser gefüllt, das soll einer schöpfen, dann soll er es bringen, dann gilt es zu schmecken und wiederum wahrzunehmen, was passiert ist. Viele kleine Schritte, aber von großer und tiefer Bedeutung.



    Priesterliches Leben ist oft sehr alltägliches Leben, viele kleine Schritte, ganz unspektakulär, man könnte sagen: Das tägliche Einerlei. Und auch Sie als Priester werden – wie man so sagt – auch nur mit Wasser kochen. Aber es ist gerade das Alltägliche, das Christus nimmt, und zum Zeichen werden lässt. Und es wird für Sie das schlichte Brot und ein paar Tropfen Wein sein, die zum Zeichen von Christi Gegenwart werden. Es wird das Wasser des Alltags sein, in dem Christus lebendig wird. Es werden die dünnen Wasser Ihres Lebens und des Lebens der Menschen dieser Zeit sein, die zu dem guten Wein gewandelt werden sollen.



    Der belgische Kardinal Suenens hat einmal davon gesprochen, dass das Leben des Christen nicht aus lauter tollen und faszinierenden Gedichtversen besteht, das Leben des Christen ist nicht Lyrik, sondern Prosa. Oder ein erfahrener Priester brachte es für sich auf die Formel: Christliches Leben besteht mehr aus Schwarzbrot als aus Sahnekuchen.



    Jesus Christus hat diese alltäglichen Dinge, das ganz Normale, das ganz Einfache und Schlichte nicht übersehen und deswegen können wir sie nicht hoch genug einschätzen. Er will aus dem Wasser Ihres Lebens guten Wein werden lassen. Jeder von Ihnen beiden weiß aus eigener Erfahrung durch den eigenen Berufungsweg um die kleinen und großen Krüge, die Sie im Laufe des Lebens bereits mit Wasser gefüllt haben und ihm zur Verwandlung hingehalten haben. Tun Sie das auch als Priester weiter; denken Sie von dem Kleinen nicht zu klein, sehen Sie es als verborgenen Schatz, als Perle mitten im Acker der Welt!



    Und schließlich ein Drittes: Derjenige, der für das Festmahl verantwortlich war, soll am Ende ab-schmecken. Er schmeckt einen guten Wein, viel besser als der erste, der aufgetischt wurde. Es bleibt für ihn ein Geheimnis, warum dieser gute Wein bis jetzt zurückgehalten wurde und zuerst der weniger gute Wein ausgeschenkt wurde. Es heißt ausdrücklich: Er wusste nicht, woher der Wein kam.



    Auch ein Priester ist und bleibt jemand, der oft genug die Erfahrung macht, ja machen muss, nicht zu wissen, warum etwas wie geschehen ist. Der Priester und jeder Christ stehen letztlich vor Gottes Geheimnis. Wehe dem, der alles weiß und für den es kein Geheimnis mehr gibt! Seien Sie im guten Sinn bescheidene Priester, mit einer gewissen Demut, seien Sie ehrlich und aufrichtig! Vor allem seien Sie staunende Menschen, die sich beschenken lassen und Ihr Staunen in Lob und Dank Gott gegenüber zum Ausdruck bringen. Das Staunen weitet unseren Lebenshorizont ungemein.



    Liebe Mitbrüder,

    Sie beginnen Ihren priesterlichen Dienst heute, indem Sie dabei sein wollen, indem Sie alltäglich viele kleine Schritte gehen und in dem Sie so bescheiden sind, dass Sie Gott mehr zutrauen als sich selbst. Ich wünsche Ihnen, dass Ihr Leben reich wird an Zeichen, in denen Gott sich zu erkennen gibt, in denen das Reich Gottes mitten unter uns beginnt. Werden Sie bitte keine Priester, die immer und immer wieder darüber klagen, was uns alles mangelt und was alles nicht geht, sondern die aus der Fülle des angebrochenen Reiches Gottes leben. Übrigens: einer der Kirchenväter hat meines Wissens gesagt, dass der neue Wein auf der Hochzeit zu Kana so reichhaltig war, dass wir heute immer noch davon trinken. Der Wein von Kana wird auch Ihnen als Priester nicht ausgehen. Bleiben Sie dabei.



    Amen.
  • Predigt bei der ersten Sitzung des neugewählten Priesterrates / Hamburg / 26. 08. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Mitbrüder im neugewählten Priesterrat,



    es ist schon der zweite Priesterrat, den ich im Erzbistum Hamburg erleben darf. Ich darf Ihnen danken, dass Sie für dieses Gremium kandidiert haben und dass Sie diese Wahl auch angenommen haben. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit in den nächsten fünf Jahren.



    Vielleicht finden wir heute am Beginn der neuen Sitzungsperiode einige wichtige Impulse für un-sere Arbeit aus der Oration der 21. Woche im Jahreskreis, in der wir jetzt stehen. Vielleicht haben Sie diese noch vom vergangenen Sonntag in Erinnerung oder aber in dieser Woche wieder einmal gesprochen:



    „Gott, unser Herr, du verbindest alle, die an dich glauben, zum gemeinsamen Streben. Gib, dass wir lieben, was du befiehlst, und ersehnen, was du uns verheißen hast, damit in der Unbeständigkeit dieses Lebens unsere Herzen dort verankert seien, wo die wahren Freuden sind. Durch Christus unseren Herrn.“



    Da ist zu allererst das Wort vom Streben. Gewöhnlich haben wir negative Assoziationen bei einem Streber: Streber sind weder in einer Schulklasse noch in einem Betrieb gerne gesehen. Dahinter steckt eine gewisse Verbissenheit oder eine Ellbogenmentalität; ja vielleicht sogar eine Rücksichtslosigkeit, die die anderen übersieht.



    Wenn auch der Streber negativ besetzt ist, das Streben gehört zum Menschen. Der Mensch strebt Ziele an, er ist zielstrebig – und das ist etwas durch und durch Gutes. Ein Mensch, der keine Ziele mehr hat und sie auch nicht mehr anstrebt, verkümmert.



    Der Mensch strebt über sich hinaus. Wir Christen sind der Überzeugung: Der Mensch strebt auf Gott zu. Ich denke dabei manches Mal an die gigantische Architektur des Kölner Domes mit seiner Höhe und Weite. Ich denke an die großen Strebebögen und das ganze Strebewerk. Die gotische Kathedrale ist ein Zeichen für das auf Gott hin streben. Und der Mensch, der in diesem Dom ist, merkt unwillkürlich, dass er auf etwas Größeres hin strebt.



    Der Priester lebt dieses, sich auf Gott ausrichten, auf ihn hin streben Tag für Tag. Sein Leben wird zu einem großartigen Kunstwerk von vielen Strebebögen, immer weiter und immer höher hinaus Gott entgegen. Und sicher muss das Strebewerk unseres eigenen Lebens immer wieder erneuert und korrigiert werden, fast so wie die Steine am Kölner Dom die einer permanenten Erneuerung bedürfen.



    Das Gebet spricht nicht einfach vom Streben, sondern vom gemeinsamen Streben. Alle Gläubigen sollen in ihrem Streben auf Gott hin sich verbinden. Dahinter steckt ein schönes Bild von Kirche: Auf dem Weg zu Gott kannst du nie allein unterwegs sein, sondern nur in Gemeinschaft mit den anderen Gläubigen, weil du vom Glauben der anderen lebst und die anderen von deinem Glauben. Hier ist der eine dem anderen eine wirkliche Stütze.



    Mich drängt es danach, dieses Bild auf das Presbyterium zu übertragen, auch wenn ich weiß, dass es hängt und die Realitäten oft anders sind. Aber auch der Priester glaubt und lebt nie für sich alleine, sondern immer in Gemeinschaft. Deswegen ist es eine der wichtigsten Aufgaben eines Priesterrates, zusammen mit dem Bischof, die Priesterschaft im Blick zu behalten und sich zu vereinen, im Streben auf Gott hin gemeinsam zu handeln. Wir sind nicht nur eine Gemeinschaft von Kollegen, sondern eine Gemeinschaft von solchen, die gemeinsam glauben und gemeinsam handeln wollen in dieser Kirche. Das Zeugnis der Kirche wird umso klarer und überzeugender sein, wenn das gemeinsame Streben nach außen hin sichtbar ist. Ich wünsche mir für die neue Arbeitsperiode des Priesterrates, das wir gemeinsam die Anliegen des Klerus des Erzbistums Hamburg im Blick haben, gerade in einer Zeit, wo sich vieles ändert und verwandelt und dass wir zum Wohle aller Geistlichen und aller Gläubigen zu einem gemeinsamen Streben finden.



    „Gott, unser Herr, du verbindest alle, die an dich glauben, zum gemeinsamen Streben.“ Lasst uns diese Einheit immer wieder neu erbitten, denn offenbar können wir sie nicht selber machen son-dern müssen sie stets neu erbeten.
  • Predigt zu Fronleichnam 2020 / Hamburg / 11. 06. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort.





    Liebe Schwestern und Brüder,



    in diesem Jahr fällt die Fronleichnamsprozession aus – leider: Keine prächtigen Züge durch unsere Städte und Dörfer, keine Blasmusik, keine Blumenteppiche, keine Altäre, keine festlichen Lieder.

    Das ist auch für uns hier in Hamburg ein großer Verzicht. Jahr für Jahr zieht eine stattliche Fronleichnamsprozession durch das Sankt-Georgs-Viertel, nahe dem Hauptbahnhof. Manchmal sieht man den Menschen am Straßenrand, in den Cafés und Restaurants, am Fronleichnamsabend förmlich an, wie sie erstaunt sind, dass es so etwas im 21. Jahrhundert, mitten in der Großstadt Hamburg immer noch gibt. Das hätten sie nicht gedacht. Multikulti trifft hier zusammen, eine bunte Gesellschaft, Menschen aus vielen, vielen Nationen.



    Deswegen ist es sehr hilfreich, dass die Liturgie dieses Fronleichnamsfestes uns auf eine ganz andere Prozession verweist, von der wir eben in der Lesung aus dem Buch Deuteronomium gehört haben. Sie kommt beileibe nicht so prächtig daher wie unsere Fronleichnamsprozessionen; sie ist ganz anders. Es ist der Zug des Volkes Israel durch die Wüste, also durch eine lebensferne, ja sogar lebensfeindliche Umwelt, durch einen gefährlichen Raum. Es ist die Rede von Nattern und von Skorpionen, und jeder von uns kann sich vorstellen, wie bedrohlich die Wüste für den Menschen werden kann, wenn er nicht mehr weiß, wo er ist, wenn er Hunger und Durst spürt.

    Für das Volk Israel ist diese Wüstenwanderung ein Schlüsselereignis seiner Geschichte. Es wandert aus dem Sklavenhaus in Ägypten heraus, durch die Wüste, durch das Meer ins Gelobte Land hinein. Es ist die Befreiung des Volkes Israel schlechthin. Diese alte Erzählung könnte uns gerade in diesen Corona-Zeiten weiterhelfen.



    Kommt sich nicht in dieser Zeit der eine oder andere von uns wie in der Wüste vor? Da ist sozusagen nichts drum herum; Corona fährt unser Leben ziemlich herunter. Vieles, was wir vorher wie selbstverständlich genommen haben, fällt weg: Beruf und Schule, Kita, Sport, Kultur, Feste, Urlaub, Sitzungen, Vorträge…



    Liebe Schwestern und Brüder, ich habe zum Pfingstfest alle Katholiken in unserem Erzbistum Hamburg angeschrieben und sie gebeten, mir doch zurückzuschreiben, zu mailen, irgendwie zu erzählen, wie sie diese Zeit erleben. Ich bekomme viele Rückmeldungen, für die ich sehr dankbar bin.



    Einer ist dankbar für die Nachbarn, die einige Besorgungen übernehmen; andere freuen sich über Anrufe oder Briefe. Einige trauern über den Tod des Ehepartners und haben gerade eine tröstende Umarmung oder wenigstens einen Händedruck vermisst. Corona macht die schmerzliche Trennung von anderen Menschen nur noch bewusster. Da berichtet eine 96jährige Dame von ihrem Geburtstag: Sie hat ihn auf dem Balkon gefeiert; die Gäste habe im Hof gesungen und Luftballons aufsteigen lassen. Ich könnte Ihnen noch vieles erzählen.



    Wenn ich es auf einen Begriff bringen sollte, was all diese Rückmeldungen miteinander verbindet, dann ist das klar: Beziehung. Wir sehnen uns nach Beziehung und vermissen sie jetzt in der gewohnten Weise sehr.



    Wir Menschen sind Beziehungswesen. Wir brauchen Beziehungen, Freundschaften, Nähe, Kontakte. Wir brauchen sie nicht nur als Empfangende, sondern wir leben auch davon, dass wir solche Beziehungen schenken.



    Das Gemälde von Sieger Köder zeigt uns auch eine bunte Gesellschaft, Junge und Alte, Frauen und Männer, Schwarze und Weiße, In-Sich-Gekehrte und Aufgeweckte, Traurige und Frohe, selbst einen Narr. Das Bild regt meine Sehnsucht nach einer solchen Gemeinschaft an, nach einer Vielfalt von Begegnungen, aber auch einer Tiefe. Eigentlich würde ich mich gerne zu ihnen an den Tisch setzen. Da wäre noch Platz für Sie und mich!



    „Das Mahl mit den Sündern“ hat der Künstler sein Bild betitelt. Der Schlüssel zu dem Bild ist ein wenig versteckt: Ganz unscheinbar sehen wir am unteren Bildrand geöffnete Hände. Es wirkt so, als würden die sieben Personen genau auf den schauen, der unsichtbar am Tisch sitzt, sich öffnet und das Brot austeilt. Geöffnete Hände und ausgeteiltes Brot, das führt mich am heutigen Fronleichnamsfest zum Gründonnerstag zurück, zu jenem allerletzten Mahl, das Jesus feiert: „Mein Leib, mein Blut – das bin ich – für euch“.



    Dargestellt meist als Festtafel mit Jesus in der Mitte, umrahmt von seinen Jüngern zu beiden Seiten. Hier aber ist es radikal anders. Hier schauen wir als Bild-Betrachter mit den Augen Jesu auf diese bunte Tischgemeinschaft. Wir dürfen seine Perspektive einnehmen, mit seinem Blick auf die Menschen schauen, mit seinen Ohren ihre Geschichten hören.



    So ist in diesem Bild eine doppelte Blickrichtung und Perspektive verdeutlicht: Die Menschen schauen Jesus Christus an und er schaut auf die Sieben und lädt sie ein. Kurz vor dem Ende seines irdisch-menschlichen Lebens lädt er zum versöhnenden gemeinsamen Essen ein. Wie sehnen wir uns in diesen Monaten der Entbehrungen nach solch einem Fest am gemeinsamen Tisch, an dem jeder und jede seinen und ihren Platz hat. Gerade in diesen Tagen denke ich an den Menschen aus Afrika, rechts im Bild, und der erinnert mich an George Floyd, der ums Leben gekommen ist, Kein einziger Mensch darf unterdrückt werden, sondern hat seinen ihm von Gott eröffneten Platz in dieser Welt! Das ist ein Trost für uns heute und ein Hoffnungsbild gerade für unsere Zeit.



    Am Ende des heutigen Gottesdienstes werde ich Sie mit der Hostie, dem gewandelten Brot, in der Monstranz segnen. Wir können keine große Prozession halten, aber ich werde mit der Monstranz zuerst zur Domschule gehen. Das setzt sich dann in der Kita fort, im Dom und um den Dom herum mit der Domgemeinde und den fremdsprachigen Missionen bis zum Abend. Es geschieht dann, was das Bild zeigt: Christus schaut uns an; wir schauen ihn an. Wir haben einander im Blick. Das ist eucharistische Anbetung!



    Amen.
  • Hirtenwort des Erzbischofs zur Fronleichnamswoche 2020 / Hamburg / 10. 06. 2020
    Liebe Schwestern und Brüder!



    Gerne würde ich mich mit einem ganz anderen Thema heute an Sie wenden, doch Corona beherrscht weiterhin fast unser ganzes Leben. Deswegen kann und will ich nicht an Corona vorbei.

    Das Coronavirus ist nach wie vor sehr ernst zu nehmen; es ist kein Fake, sondern echt und unter Umständen echt lebensgefährlich! Und leider ist es auch noch bis auf eine unbestimmte Zeit real. Das Virus geht nicht einfach weg. Ich möchte allen meinen Dank ausdrücken, die gerade jetzt ihren Beitrag zu einem sehr umsichtigen Umgang leisten, um sich und andere zu schützen. Ich danke auch besonders allen Helferinnen und Helfern in unseren Gemeinden für ihren unermüdlichen und auch kreativen Einsatz!

    Das Virus hat schon vieles verändert. Wir alle spüren deutliche Einschnitte. Manche sprechen sogar von einer Epochenzäsur. Unser Leben ist Mitte März total runtergefahren (worden): Seitdem herrscht kein normaler Alltag mehr in Familie, Schule, Beruf, Gesellschaft und natürlich auch Kirche. Das betrifft unser Land, Europa und den gesamten Globus.



    Wir gehen auf Distanz, leben auf Abstand zu unseren Mitmenschen. Besuche in Altenheimen und Krankenhäusern sind sehr eingeschränkt; der Abschied von Verstorbenen ist zum Teil nicht möglich. Wie viel Nähe und Distanz braucht bzw. erträgt der Mensch?



    Wir machen die Erfahrung, dass wir längst nicht alles im Griff haben. Für viele eine wirklich existenzielle Herausforderung.

    Immer wieder heißt es, nach Corona werde nichts mehr so sein, wie es war. Wir müssen uns jetzt etwas eigentlich Selbstverständliches in Erinnerung rufen: Nie ist etwas in Gegenwart und Zukunft, wie es in der Vergangenheit einmal war.



    Geschichte wiederholt sich nicht einfach. Die Zukunft liegt offen vor uns. Corona lässt uns auf eine sehr harte Art spüren, dass wir längst nicht (mehr) alles planen können – erst recht nicht nach unseren Vorstellungen. Auch wenn das Planen schwer möglich ist, können wir dennoch unsere Zeit gestalten. Das geht am besten, indem wir sehr bewusst im Heute leben, nur im Heute leben. Das immermehr, -höher und -weiter geht offenbar nicht mehr! Es hat sogar etwas Zerstörerisches an sich. Das jetzt gedrosselte Tempo unseres Lebens, die Entschleunigung, könnte zu einem intensiveren, erfüllteren Leben führen, in größerer Einheit mit unseren Mitmenschen und der ganzen Schöpfung, freilich verbunden mit einer Reduzierung unserer Ansprüche.

    Langsam fährt alles wieder ein wenig hoch; wir lernen gerade, mit dem Virus zu leben. Deswegen ist es mir sehr wichtig, dass wir unsere Erfahrungen miteinander teilen. Das habe ich mit meinem Pfingstbrief an Sie bereits angeregt. Dazu erreichen mich viele sehr herzliche und bewegende Rückmeldungen. Bitte tauschen auch Sie sich darüber aus, was Sie erleben. Teilen Sie Ihre Erfahrungen miteinander: Wie ergeht es Ihnen? Was bemerken Sie? Welche Veränderungen stellen Sie fest? Was könnte es für uns alle bedeuten? Wir brauchen diesen Austausch, um schrittweise zu lernen und gemeinsame Lösungen zu finden. Polarisierungen in Gesellschaft wie Kirche helfen uns nicht!



    Für heute möchte ich im Zusammenhang mit dem Fronleichnamsfest ein paar Gedanken mit Ihnen teilen, die mir in dieser Zeit im Hinblick auf unsere Gottesdienste gekommen sind. Gerade die Feier der Liturgie ist für uns ja zentral.

    Über Wochen ist in unseren Kirchen der öffentliche Gottesdienst ausgefallen – aus gutem Grund, nämlich um einander zu schützen und Infektionsketten zu unterbrechen.

    Gott sei Dank waren vielerorts die Kirchen geöffnet. Und es wurde auch die Eucharistie gefeiert. Priester und einige wenige haben sie begangen – stellvertretend für alle.



    Viele Priester haben in dieser Zeit Gottesdienste gestreamt; meine kleine Kapelle im Bischofshaus wurde in der Fasten- und Osterzeit zum „Fernsehstudio“. Täglich um 11 Uhr habe ich die Messe gefeiert. Viele Menschen haben über das Internet mitgefeiert, und so ist von Woche zu Woche eine echte Gottesdienstgemeinde entstanden.

    Ich habe mich dabei nie allein gefühlt, sondern in einer großen Gemeinschaft von Gläubigen und Betenden; ich möchte nicht nur den Geistlichen danken, die dies vor Ort ebenso getan haben, sondern auch den Gläubigen, die zu Hause mitgefeiert haben.



    Wenn wir von Gottesdienst sprechen, meinen wir oft die Messe. Sie ist, wie das II. Vatikanische Konzil betont, „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (LG 11). Daneben gibt es noch viele andere Gottesdienstformen. Ich weiß um Paare und Familien, die ihr Gebetsleben zu Hause intensiv miteinander gestaltet haben. Um ein Kreuz oder eine Ikone versammelt haben Gläubige gesungen, gebetet und in der Heiligen Schrift gelesen, gerade an den großen österlichen Feiertagen. Das sind vollwertige Hausgottesdienste, nicht bloß Ersatzformen. Hier ist etwas Wichtiges gewachsen, das wir in Zukunft weiterführen könnten. Wenn im Berufsalltag jetzt vieles von zu Hause aus geschieht – bei allen Belastungen, die damit verbunden sind, wenn Kinder z. B. zu Hause beschult werden: Warum nicht auch das Haus als Kirchort neu entdecken, gleichsam eine Homechurch, z. B. mit dem Familiengebet oder dem Hausgottesdienst!



    Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Bischofskirche in Hamburg, der Gemeindekirche vor Ort und der Hauskirche in Ihren Wohnungen und Häusern. Gerade in solchen Krisen, wie wir sie jetzt erleben, stützen die verschiedenen Ebenen der einen Kirche einander.



    In dieser Zeit der Corona-Pandemie kommt mir ein geradezu prophetisches Wort von Papst Franziskus aus dem Jahr 2013 in den Sinn. Der Heilige Vater sagt: „Die Kirche braucht dringend die Lunge des Gebets … Sagen wir also nicht, dass es heute schwieriger ist; es ist anders.“ (EG 262 f.) Ich bin mir sicher: Wenn wir Christen auf dem Lungenflügel des Gebetes und Gottesdienstes stark sind, werden wir es auch auf dem Flügel der Tat und der Nächstenliebe sein. Dann können wir hinausgehen und an der Seite derer sein, die am existenziellen Rand leben und leiblich, seelisch, sozial oder geistlich verwundet sind. Ich bin dankbar, dass in diesen Wochen viele neue kreative Wege der Solidarität und des Miteinanders entstanden sind und beschritten wurden.



    Hilfreich ist es sicher, wenn die bisher schon gewachsenen vielfältigen digitalen Angebote klug weiterentwickelt werden. Die Digitalisierung ergreift jetzt auch die Pastoral von Gemeinde und Bistum in bisher ungeahntem Maß. Wie könnenSie, liebe Mitchristinnen und Mitchristen, auch auf digitalem Weg gut unterstützt und im Glauben gestärkt werden?



    Aus dem Hamburger St. Marien-Dom übertragen wir seit Anfang des Monats von Montag bis Freitag um „fünf nach zwölf“ ein zehnminütiges Mittagsgebet im Internet. Ich lade Sie zu dieser kurzen Unterbrechung des Alltags auf Gott hin herzlich ein.

    Mittlerweile können wir wieder in unseren Pfarreien öffentlich und gemeinsam Gottesdienst feiern; es ist und bleibt sicher auch noch geraume Zeit ungewohnt: mit Mund-Nasen-Schutz, auf Abstand, ohne Gesang. Es ist aber besser als nichts! Es könnte uns in aller Schlichtheit in die Tiefe der Liturgie hineinführen.

    Erst wenn man etwas vermisst, erkennt man ja seinen Wert.



    Der besondere Wert unserer Gottesdienste, vor allem der heiligen Messe, liegt in der gemeinsamen Feier. Wir feiern Gottesdienst miteinander, und nicht nebeneinander. Das heißt: Keine und keiner von uns glaubt für sich allein! Wir sind eine große Kirche, ja eine Weltkirche. Ich lebe vom Glauben der anderen und sie von meinen Glauben. Einer ist für den Glauben des anderen mitverantwortlich.

    „Corona“ zeigt uns, wie zerbrechlich unser Leben ist. Deswegen ist gerade jetzt das gebrochene Brot der Eucharistie wichtiger denn je. In der Feier der Brotbrechung, wie die Messe ursprünglich genannt wurde, greift Christus unsere menschliche Gebrochenheit auf und will uns gerade in Zeiten wie diesen stärken und nähren. In dem kleinen Stückchen Brot schenkt er uns die Fülle des Lebens, sich selbst. Jede Messe ist die Feier des Lebens, des Sieges der Auferstehung über den Tod.



    Da, wo es möglich ist, bitte ich, die oft weiträumigen Kirchen für das persönliche Beten oder die eucharistische Anbetung offen zu halten. Dabei geht es mir nicht einfach um eine zusätzliche neue pastorale Aktion. Ich glaube, unsere Kirchen sind ein Alleinstellungsmerkmal. Sie laden zum Betreten, Verweilen und Dasein ein. Im Gebet Gott einfach Gott sein lassen und sich seinem unfassbaren, unausschöpflichen Geheimnis anvertrauen! Nicht zuerst etwas machen, sondern einfach nur da sein.



    Liebe Schwestern und Brüder!



    Es wächst in diesen Monaten längst etwas heran. Das Wort des Propheten Jesaja passt ziemlich gut auf unsere Situation: „Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?“ (Jes 43,19) Hier wächst eine neue, ganz andere, möglicherweise tiefere Form von Gottesbeziehung und Glaubensgemeinschaft, von Spiritualität und Communio.



    Gehen wir zuversichtlich in Gottes Zukunft mit uns! Ich bin überzeugt, wir können gestärkt jeden neuen Tag durchleben.



    Gott segne Sie, Ihre Familien und Häuser, Ihre Gemeinden!

    Es behüte Sie in dieser Zeit der dreifaltige Gott: der + Vater und der + Sohn

    und der + Heilige Geist. Amen.

    Ihr

    + Erzbischof Stefan

  • Predigt zum Pfingstfest 2020 / St. Marien-Dom / Hamburg / 31. 05. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!



    Liebe Schwestern und liebe Brüder,



    vor einigen Tagen habe ich mein Pfingstbild 2020 entdeckt: Morgens beim Lesen der Zeitung fiel mein Blick auf ein Bild im Feuilleton[1]: Ein modernes Kirchenfenster, gerade erst im letzten Herbst eingebaut. Ein warmes Blau und immer wieder einzelne weiße Felder. Vielleicht Fußspuren?



    Beim näheren Heranschauen und erst recht beim Lesen erfahre ich des Rätsels Lösung: Es sind Röntgenaufnahmen; Lungenaufnahmen, zum Teil von Gemeindemitgliedern zur Verfügung gestellt, die ein Künstler auf die blauen Glasscheiben gedruckt hat.

    Gerade ein paar Monate sind sie in der Kirche Heilig Kreuz in München eingebaut und gewinnen jetzt in Zeiten von Corona eine unglaubliche Aktualität.

    Hunderte von Lungenflügeln und kein Bild gleicht dem anderen. Ein Ausdruck der Einzigartigkeit des Menschen.



    Mir kommen die ersten Seiten der Bibel, mit dem großartigen Schöpfungshymnus in den Sinn: „Da formte der Herr den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“ (Gen 2, 7). Die Materie wird mit Leben erfüllt.

    Der Atem gehört zum Menschsein dazu. Unser Leben beginnt mit dem ersten Atemzug und reicht hier auf Erden bis zum letzten Atemzug. Wenn der Mensch in Atemnot gerät, wenn sein Atemrhythmus durcheinander gerät, wenn er kurzatmig wird oder gar schwach auf der Brust, ist das für ihn nicht gut. Corona trifft den Menschen deswegen an einer sehr empfindlichen Stelle. Menschen müssen jetzt z.T. intensiv versorgt werden. Beatmungsgeräte müssen her. Selbst Genesene müssen das Atmen wieder lernen.



    In diesen Corona-Zeiten verbietet es sich, jemanden anzuhauchen, ihm allzu nahe zu kommen. Im Gegenteil: Wir setzen uns einen Atemschutz, eine Mund-Nasenmaske auf. Umso herausfordernder, vielleicht sogar anstößiger kommt uns in diesen Zeiten das Bild der Schöpfung in den Sinn: Gott bläst den Atem in die Nase. Oder eben das Pfingstbild: Der Auferstandene Christus tritt nicht nur in den Kreis seiner verängstigten Jünger ein und sagt ihnen mal eben: „Hallo!“, sondern er haucht jeden Einzelnen an.

    Was geschieht da genau?



    Christus haucht seinen Atem aus. Er stellt das Atmen nicht einfach ein oder gibt es auf, er behält seinen Lebensatem nicht einfach für sich und platzt gleichsam daran. Er haucht ihn aus.



    Das Johannes-Evangelium sagt vom Tod Jesu: „Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist“ (Joh 19, 30). Hier ist also die Rede vom letzten Atemzug Jesu und da Tod und Auferstehung, Passion und Ostern zusammengehören, wird uns am Pfingstfest sozusagen die Richtung dieses Atems aufgezeigt: Christus haucht aus; er übergibt seinen Lebensatem und haucht ihn den Jüngern ein (Joh 20, 22). An ihnen ist es jetzt, diesen Lebensatem des Auferstandenen aufzunehmen und einzuatmen, sozusagen bis in die letzten Lungenflügel, um das Pfingstbild aus der Münchener Kirche wieder aufzugreifen, bis in die letzten Lungenflügel hinein, diesen Atem eindringen zu lassen.



    Schwestern und Brüder,



    die Sensibilität, wie wir gerade in diesen Corona-Zeiten mit dem Atem umgehen, macht uns deutlich: Atem ist sehr persönlich. Er ist geprägt. Unter Umständen kann uns der Atem eines mit dem Virus Infizierten sehr gefährlich werden. Auch der Atem Jesu ist nicht neutral, eben nicht aseptisch, erst recht nicht harmlos. Es ist sein Atem, der Geist Jesu, den wir empfangen. An Pfingsten atmen wir diesen Geist Jesu in uns ein. Wer Pfingsten feiert, der lässt sich auf diesen Geist Jesu ein, den Geist der Liebe, den Geist der Gerechtigkeit, den Geist der Vergebung und Versöhnung. An Pfingsten werden wir von Jesu Geist erfüllt.



    Und schließlich: Menschliches Leben lebt von einem gesunden Rhythmus zwischen dem Ein- und dem Ausatmen. Und genau so ist es mit dem christlichen Leben: Wir atmen Jesu Geist in uns ein und wir atmen ihn im Leben aus. Wir geben damit den Geist Jesu in die Welt hinaus, eben diesen Geist der Liebe.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    ich habe zu Pfingsten an alle Gläubigen in unserem Erzbistum geschrieben und nach ihren Corona-Erfahrungen gefragt. Tag für Tag bekomme ich schon jetzt viele Antworten. Das freut mich sehr. Lassen Sie mich Ihnen zwei pfingstliche Erfahrungen weitersagen:



    Die erste ist sozusagen ein Einatmen: Da schildert mir jemand, dass gerade der Verzicht auf den gemeindlichen Gottesdienst für ihn zu einer neuen Gebetserfahrung geführt hat. „Für mich war Corona bisher wie Exerzitien. Ich habe das persönliche Beten neu entdeckt“.



    Und das zweite, eine Erfahrung des Ausatmens:

    „Wenige Tage nach dem sogenannten Lockdown, sprach mich meine Nachbarin an. Sie bat mich, drei Briefe für sie im nahegelegenen Pflegeheim abzugeben. Sie ist nicht gut zu Fuß. Die Briefe hatte sie an drei Menschen geschrieben, die sie nicht kannte. Die Verteilung sollte über die Pflegeleitung erfolgen und drei Menschen, die jetzt besonders einsam waren, erfreuen. Es entwickelten sich daraus zwei „Brieffreundschaften“. Mittlerweile sprechen sie sich mit dem Vornamen an und sie erzählen sich gegenseitig etwas aus dem Leben. Ich bekam jetzt auch Lust, etwas dergleichen zu tun. Briefe an Unbekannte schreiben, ist aber nichts für mich. Ich telefoniere lieber. Also habe ich mir die Namen und Telefonnummern ehemaliger Kolleginnen und Kollegen herausgesucht. Vor vielen, vielen Jahren hatte ich einen Chef, der mittlerweile über 80 Jahre alt sein musste. Die Telefonnummer stimmte noch. Wir haben beim ersten Kontakt über eine Stunde telefoniert – über Corona gesprochen, die letzten Jahre und natürlich auch über die gemeinsame Vergangenheit. Mittlerweile telefonieren wir etwa alle zwei Wochen miteinander. Meine ehemalige Sekretärin habe ich auch erreicht. Es sind spannende Gespräche und liebevolle Kontakte gegen die Einsamkeit. Und es wird weitergehen. Ich habe noch mehr Namen und Telefonnummern …“



    Liebe Schwestern und Brüder,



    diese Fenster aus München vor Augen mit den Abbildungen der Lungenflügel, die warten eigentlich nur darauf, verlebendigt zu werden und durchweht zu werden. Lassen wir uns heute am Pfingstfest den Geist Jesu von neuem einhauchen, ihn aufnehmen und in unserem Leben in die Welt verbreiten.



    Frohe, gesegnete Pfingsten! Amen.
  • Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren / Hamburg / 08. 05. 2020
    „Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt“ – mit diesen eindringlichen Worten wandte sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer ersten und bislang einzigen direkten TV-Ansprache an die Bürgerinnen und Bürger, um in Zeiten der Corona-Pandemie zur Besonnenheit und Verständnis für die Maßnahmen zu appellieren.



    Der Zweite Weltkrieg – mag er schon 75 Jahre her sein – ist in unserer Geschichte immer noch ein starker Bezugspunkt. Das Gedenken an die Ermordeten und Gefallenen, an die Verwundeten und Traumatisierten, an die Vertriebenen und Leidenden vergeht nicht – egal in welcher Zeit und in welcher Situation wir uns als Gesellschaft befinden. Als 1945 die Waffen schwiegen, kostete dieser Krieg in Europa und Fernost mindestens 55 Millionen Menschen das Leben - die meisten davon waren Zivilisten. An die 12 Millionen Menschen suchten vor und nach Kriegsende eine neue Heimat oder sie wurden vertrieben.



    Die Spuren dieses Krieges sind auch nach 75 Jahren nicht verschwunden. Wir können Sie noch immer sehen: An den Zeitzeugen mit ihren eindrücklichen und erschreckenden Erzählungen, an deren Nachfahren, die mit der familiären Vergangenheit in ihrer Gegenwart konfrontiert wurden, an unseren Städten, deren Narben noch sichtbar sind und an unserer je eigenen Sensibilität für diesen Teil der deutschen Geschichte. Bis heute denken wir an den 8. Mai 1945 – an den Tag der Befreiung – wie ihn der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner historischen Rede zum 40. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkrieges bezeichnete.



    Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fängt mit dem 8. Mai 1945 an. Und dabei denke ich auch an die Geschichte des Erzbistums Hamburg. Ich denke dabei an die Nachkriegsmenschen und oft auch Nachkriegskinder, die im Wesentlichen dieses Erzbistum mit aufgebaut haben und an vielen Stellen das katholische Gemeindeleben initiiert haben. Aber ich denke auch an die Teilung Deutschlands, die das Kriegsende ebenso mit sich brachte. Das Erzbistum Hamburg besteht zu fast gleichen Flächen im ehemaligen Osten und Westen Deutschlands. Seit 25 Jahren sind wir eine Diözese. Das konnten wir in diesem Jahr dankbar feiern.



    Die Welt und besonders Europa erinnert mit vielen Gedenkveranstaltungen an das Ende des Zweiten Weltkrieges. Europa erinnert dabei an seine Geschichte, die auch sehr mit einem Neuanfang zu tun hat. Europa ist nicht nur ein Kontinent, sondern eine Gemeinschaft, die sich in guten wie in schlechten Zeiten solidarisch zu zeigen hat. Dass sehen wir in der großen Flüchtlingsfrage, aber auch in der gerade auszuhaltenden Corona-Pandemie. In all diesen und noch kommenden Fragen und Krisen stehen wir alle in einer globalen Verantwortung. Solch eine Zeit überstehen die Staaten nicht alleine, sondern nur zusammen.



    An das Ende des Zweiten Weltkrieges muss immer wieder erinnert werden. Frieden ist nicht selbstverständlich und die Achtung der Menschenwürde leider auch nicht. Das zunehmende Erstarken des Antisemitismus muss uns mehr und mehr warnen und in uns einen Alarm auslösen. Stehen wir gerade auch als katholische Kirche weiter für die Verantwortung des 8. Mai ein, auch nach 75 Jahren und gerade in dieser für uns außergewöhnlichen Zeit.
  • Ostergruß des Erzbischofs / Hamburg / 11. 04. 2020
    Liebe Schwestern und Brüder im Erzbistum Hamburg!



    Noch vor wenigen Wochen hätten wir vieles von dem, was wir jetzt erleben, für vollkommen unmöglich gehalten. Wer von uns hätte sich vorstellen können, dass ein Virus die ganze Welt in seinen Griff bekommt? Dass wir das Osterfest ganz anderes feiern müssen? Oder, dass die Wirtschaft herunterfährt, dass der Verkehr zu Wasser, zu Land und in der Luft förmlich erliegt? Mittlerweile sind wir schon fast an das Homeoffice oder Homeschooling gewöhnt. Konferenzen werden vom heimischen Schreibtisch durch Telefon- bzw. Videokonferenzen geführt. Den Sonntagsgottesdienst können wir an den Bildschirmen oder Radios mitfeiern. Und noch weitere kreative Ideen müssen in Zeiten von Corona umgesetzt werden. Vor kurzem schien vieles noch unmöglich – jetzt sind wir schon fast dran gewöhnt.



    Ostern ist das Fest des Unmöglichen. Für die ersten gläubigen Christen war mit dem Tod Jesu am Karfreitag alles aus und ihre Hoffnung wurde begraben. Unmöglich, dass es weitergehen sollte. Weil es so unmöglich war, brauchten sie lange Zeit, bis sie es begriffen haben. Maria von Magdala sieht einen Gärtner vor sich und erkennt in ihm nicht Jesus wieder. Den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus geht es ähnlich: Sie sehen einen Fremden, der mit ihnen zusammen den Weg beschreitet, der ihnen offenbar ganz sympathisch ist, aber wer er ist, das halten sie im Traum nicht für möglich. Und so braucht es bei jedem der Zeugen seine Zeit, bis die Schuppen von den Augen fallen und das Unmögliche wirklich wird, dass nämlich der tote Christus lebt. Um diese neue Wirklichkeit zu beschreiben, wird das Wort von der Auferstehung geprägt. Einer, der tot im Grab liegt, steht auf und erweist sich damit als lebendig.



    Liebe Schwestern und Brüder, unser Glaube lebt davon, dass wir nicht nur bei unseren menschlichen Möglichkeiten stehen bleiben. Das wäre viel zu wenig und zu einfach. Nein, es geht darum, dass unsere menschlichen Möglichkeiten durch die Unmöglichkeiten Gottes überboten und aus-geweitet werden. In meinem Bischofsspruch heißt es treffend: Bei Gott ist alles möglich. Das trifft zu allererst auf das Ostergeheimnis zu. Deswegen kann man mit Fug und Recht in Anlehnung an Charles de Foucauld Gott den „Meister des Unmöglichen“ nennen.



    Dieser Meister des Unmöglichen ist auch in unserer Kirche am Werk. Davon bin ich fest überzeugt. Ohne ihn wäre diese Kirche längst in den kleinen menschlichen Möglichkeiten untergegangen. Aber mit Gott wird diese Kirche immer wieder seinen göttlichen Möglichkeiten entgegenführt, die für uns so unmöglich und unrealistisch scheinen. Ostern lädt uns dazu ein, den Meister des Unmöglichen in Kirche und Welt, in unser persönliches und gemeinsames Leben hereinzulassen. Vielleicht ist ja all das, was wir jetzt an Unmöglichkeiten erleben und, was sozusagen über Nacht möglich wurde, ein Vorgeschmack auf das, was Gott noch mit uns vor hat.



    In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, Ihren Familien, Ihren Hausgemeinschaften gerade in dieser Corona Pandemie Gottes reichen Segen und das Vertrauen, dass wir diese unmögliche Zeit schaffen werden. Ein gesegnetes und frohes Osterfest!
  • Impuls zum Gründonnerstag / Hamburg / 09. 04. 2020
    „Tut dies zu meinem Gedächtnis“. Jesus feiert mit seinen Jüngern das sogenannte letzte Abendmahl. Merkwürdig, dass wir es gerne als das „Letzte“ bezeichnen, denn es ist alles andere als das Letzte. Durch den Auftrag Jesu „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ wird dieser Feier eine grandiose Zukunft eröffnet, die kein Ende kennt.



    Vor einigen Wochen wurde im Fernsehen die letzte Sendung der Lindenstraße gezeigt. Nach fast 35 Jahren war die 1758. Episode die letzte. Jetzt ist es vorbei und die Lindenstraßenfans sind traurig.

    Die Geschichte des „letzten Abendmahls“ ist nicht vorbei – auch nach 2000 Jahren nicht! Jesus hat sich an die Feier selber gebunden und zugesagt: Wo immer ihr dies in meinem Namen tut, bin ich mitten unter euch, bin ich gegenwärtig in den Zeichen von Brot und Wein. Für uns Katholiken heißt dies: ein Sakrament, eben ein Zeichen der Gegenwart Gottes mitten unter uns. Gott bindet sich an dieses Zeichen. Er bindet sich an unser Handeln und er bindet sich förmlich in unser Handeln hinein.



    In diesem Jahr der Coronapandemie kommt mir die Bedeutung dieser Aufforderung Jesu erst so recht zu Bewusstsein. Das „Tun“ ist in diesem Jahr nicht möglich. Die öffentlichen Gottesdienste sind untersagt und die Priester feiern in aller Stille das letzte Abendmahl in den Kirchen. Und die Vielen, die Jahr für Jahr kommen, sind in diesem Jahr nicht dabei. Vielleicht ist die Mitfeier einer Heiligen Messe in den modernen Medien oder am Fernseher ein kleiner Ersatz, aber wirklich nur ein Ersatz. Immerhin – mögen manche denken – besser als nichts! Wenn wir auch jeden Tag Eucharistie feiern, aber am Gründonnerstag, am Tag des letzten Abendmahls, es ausgerechnet an diesem Tag nicht tun zu können, das schmerzt sehr. Trotzdem: Es ist keine eucharistielose Zeit. Im Einklang der Vorsichtsmaßnahmen können wir uns auf andere Art und Weise ein wenig behelfen.



    „Tut dies zu meinem Gedächtnis“. Mir hilft in diesem Jahr sehr, dass der Evangelist Johannes gar nicht vom letzten Abendmahl spricht. Jedenfalls nicht direkt. Aber er überliefert etwas anderes, das Jesus am letzten Abend seines Lebens tut, nämlich die Fußwaschung. Er kniet sich vor seine zwölf Apostel hin und wäscht ihnen allen die Füße. Damit setzt er ein Zeichen der Liebe, die bereit ist, sich ganz auf den anderen einzulassen. Ich bin sehr dankbar, dass in diesen Tagen eine große Solidarität in unserem Land zu spüren ist, dass Menschen die Liebe tun. Im Hinblick auf die Eucharistiefeier, die viele in diesen Tagen so schmerzlich vermissen, könnten wir einfach sagen: Wir leben eucharistisch. Wir tun die Eucharistie. Wir setzen sie sozusagen im Dienst der Liebe fort.



    Die Messe endet in der lateinischen Sprache mit der Aufforderung: „Ite missa est“ Geht, ihr seid geschickt. Wir könnten sagen, die Messe endet mit einem großen Doppelpunkt, nämlich das, was wir gefeiert haben, im Alltag fort- und umzusetzen.



    Ich habe manchmal den Eindruck, dass für mich die Messe mit einem Schlusspunkt endet. Viel-leicht besteht nach den vielen Eucharistiefeiern, die ich im Laufe meines Lebens feiern durfte, gerade jetzt noch viel stärker der Impuls, mein Leben noch viel eucharistischer zu gestalten und die Messe im Alltag fortzusetzen.

  • Besinnung zum Palmsonntag, 5. April 2020 / Hamburg / 05. 04. 2020
    Besinnung zum Palmsonntag, 5. April 2020



    Zuerst habe ich es im Fernsehen gesehen: Menschen in Italien stehen abends auf ihrem Balkon oder am Fenster und applaudieren. Sie klatschen für alle, die in der Corona-Zeit alles geben, was sie können: die Ärzte, die Pflegerinnen und Pfleger, die Menschen an den Kassen in den Supermärkten, die Lastkraftfahrer, die uns weiterhin mit Lebensmittel aus Krisenregionen beliefern, die Politikerinnen und Politiker, die Verwaltungen …



    Mittlerweile erlebe ich es das auch hier im St. Georgs-Viertel in Hamburg. Abends um 21.00 Uhr versuche ich am Fenster zu sein, zu hören und selber denjenigen Applaus zu spenden, die in unsrem Land Unglaubliches leisten: im Gesundheitssystem, in unseren Schulen, in den Krankenhäusern und Altenheimen, nicht zuletzt in den Hospizen, in unseren Nachbarschaften, in unseren Kommunen und auch in unseren Pfarrgemeinden …



    Das Klatschen ist eine Urgebärde des Menschen. Kleine Kinder machen es schon. Erwachsene führen es fort: Ich denke an Konzerte, bei denen zum Dank geklatscht wird. Mir kommt so mancher spontane Beifall in den Sinn zur Freude über etwas Gelungenes und aus Wertschätzung für die Menschen, die es zuwege gebracht haben.



    Ob am Palmsonntag die Menschen geklatscht haben? Das Evangelium sagt es nicht ausdrücklich. Aber warum nicht. Klatschen, singen, jubeln und eben die Zweige, die sie von den Bäumen genommen und abgerissen haben, mit denen sie Jesus zugejubelt haben, all das passt zusammen.



    In diesem Jahr ist es uns nicht vergönnt, am Palmsonntag im Gottesdienst den feierlichen Einzug Jesu zu erleben und ihn mit unseren Palmwedeln, die oft von den Kindern so prächtig geschmückt und geschwenkt werden, zu begleiten. Vielleicht wird in diesem Jahr auch sogar manches Kreuz ohne Palmzweig bleiben. Es könnte ein sehr sprechendes Zeichen sein, eines das auf uns selber zurückweist. Es kommt auf unser Zujubeln, auf unser Klatschen, auf unsere Einstellung an. Es kommt auf unsere Hände und Füße, auf unsere Stimmen, eben auf unsere Freude und unsere Begeisterung an. Wir sind gefordert, ganz, mit all unseren Sinnen – nicht nur am Palmsonntag, son-dern an jedem einzelnen Tag.



    All die Zweige, die heute geschwenkt werden, haben eine Richtung, einen Bezugspunkt: nämlich den, der auf dem Esel reitet. Diesen Jesus, der nicht hoch zu Ross kommt, sondern eine eindeutige Klasse tiefer, eben „nur“ auf einem Esel. Der Esel, der nicht so prächtig und erst recht nicht so schnell daherkommt wie ein Pferd, der aber belastbar scheint und dann – wenn er nicht gerade störrisch ist – Ausdauer hat.

    Ausdauer, Bescheidenheit – das braucht der, der auf dem Esel nach Jerusalem hineinreitet; aber noch mehr braucht er Liebe für seine Mission, die ihrer Erfüllung entgegengeht. „Da er die Seinen liebte, liebte er sie bis zur Vollendung“. Das feiern wir in der Heiligen Woche!



    In Oberammergau steht vor dem Festspielhaus eine Skulptur die den Ritt Jesu am Palmsonntag nach Jerusalem darstellt. Die dortigen Festspiele finden dieses Jahr nicht statt, sondern werden verschoben. Unser Ostern ist nicht verschiebbar. Es findet statt – dieses Mal aber ganz anders als sonst. Es beginnt am Palmsonntag mit dem Einzug, dem Hineinreiten Jesu. Es ist der Ritt nicht nach Jerusalem, sondern zu mir, in mein Leben. In diesen Tagen will ich Ihnen ganz besonders versuchen hereinzulassen als denjenigen, der bereit ist, mich zu lieben bis zur Vollendung.



    In den vergangenen Tagen habe ich ein kleines Gebetskärtchen erhalten, das in einer unserer Gemeinden im Erzbistum Hamburg ausliegt. Darauf steht: „Es gibt nichts, womit Jesus nicht fertig wird.“ Dieses Vertrauen habe ich gerade am Beginn dieser Karwoche. Es ist seine Liebe – eben sei-ne Passion, seine Leidenschaft, mit der er alles erfüllen möchte.
  • Predigt für Aschermittwoch / St. Marien-Dom zu Hamburg / 26. 02. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern und Brüder,



    in vielen Gegenden Deutschlands, vor allen Dingen im Süden, hat man am gestrigen Abend den sogenannten Kehraus, den närrischen Kehraus begangen. Das meint den sogenannten Raus-schmeißer, den letzten Tanz, mit dem dann die Karnevalveranstaltungen schließen.

    Laut Duden hat der Kehraus auch wirklich was mit dem Hinauskehren zu tun. Da kann man erfah-ren, dass die langen Ballkleider der Frauen förmlich hinauskehren sollten und damit die Karnevals-zeit von der Fastenzeit abheben.



    Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht ist das eine erste wichtige Dimension der Fastenzeit, das Hinauskehren. Was gibt es in meinem Leben, was raus muss, was ich selber hinauskehren sollte, wovon ich mich befreien und lösen könnte. Ich glaube, es gibt nicht nur diesen einen Kehrausabend, sondern die Fastenzeit als Ganze ist eine Zeit, in der wir hinauskehren.



    Und dann schließlich ein Zweites: das Einkehren. Gerade in der Fastenzeit finden in unseren Gemeinden immer wieder sogenannte Einkehrtage statt. Interessant ist, dass wir diese Tage nicht einfach nur als Besinnungs- oder Exerzitientage bezeichnen, sondern ganz schlicht und einfach als Einkehrtage. Nach dem Herauskehren geht es hier um das Einkehren: Ich kehre bei mir selber ein. Ich halte mit mir Einkehr. Nicht zu vergessen: Ich kehre bei Gott ein, bzw. er kehrt bei mir ein.

    Wenn wir Menschen auf einer Wanderung unterwegs sind, dann freut man sich Einkehr halten zu dürfen. Bei einem Picknick auf der Wiese oder in einem guten Gasthaus. Wir Menschen können nicht leben ohne einzukehren. Einzukehren bei Gott, bei und selbst und bei anderen.



    Schließlich eine dritte Dimension der Fastenzeit: das Umkehren. Es weist darauf hin, dass unser Leben nicht immer direkt dem Ziel entgegenführt. Dass wir manchmal auf Wegen unterwegs sind, die uns sogar vom Ziel kräftig ablenken. Dass wir auf falschen Wegen versuchen zu gehen. Deswegen lädt uns die Fastenzeit ein: Kehr um! Gib deinem Leben wieder eine Ausrichtung auf Gott, auf seine Gebote und auf seine Weisungen.

    Liebe Schwestern und Brüder, die vierzig Tage, die wir heute beginnen, wollen uns wirklich einladen, immer wieder einen Kehraus zu halten und dann wieder Einkehr zu begehen und nicht zuletzt auch Umkehr.
  • Hirtenwort anlässlich des Ansgarfestes 2020 / Hamburg / 08. 02. 2020
    Liebe Schwestern und Brüder!



    „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!“ (HEBR 13,2) Was wie ein Spruch aus einem Abreißkalender klingt, ist eine der wichtigsten Tugenden in der Heiligen Schrift: die Gastfreundschaft.



    Im Alten Testament ist die Begegnung des Abraham und seiner Frau Sara mit drei ­Fremden das Paradebeispiel für Gastfreundschaft. Drei fremde Männer kommen zu ­ihnen. Abraham begrüßt sie und begegnet ihnen mit Offenheit und Großzügigkeit, ohne zu wissen, wen er vor sich hat. Er bietet den Männern Wasser an, lässt frisches Brot backen und sogar ein junges Kalb zubereiten. Seine Gastfreundschaft ist ohne Absicht, vielmehr ganz überschwänglich. Und am Ende hinterlassen die Gäste ihm sogar mehr, als er ihnen geben konnte. Unversehens verkehren sich die Rollen: Die Gäste werden zu Gastgebern. Sie geben Abraham und Sara eine Zukunftsperspektive. Sie verkünden dem bis dahin ­kinderlosen Paar die gute Nachricht, dass Sara im nächsten Jahr ein Kind bekommen ­werde. So wird aus der Begegnung mit dem Fremden eine unerwartet große Bereicherung des eigenen Lebens.



    Im Lateinischen gibt es übrigens für Gast und Gastgeber nur ein Wort: hospes. Es ist ein Kennzeichen dafür, dass sowohl der Gastgeber als auch der Gast einander bereichern und beschenken. Von Gastfreundschaft profitieren alle.



    Liebe Mitchristen!



    Die Szene des Gastmahls bei Abraham ist auf dem Altarbild in unserer katholischen ­Kirche St. Michael auf Helgoland zu sehen. Es passt genau dorthin, wo Tag für Tag viele Menschen zu Gast sind. Die Insulaner sind ihre Gastgeber. Es passt auch gut in unsere ­Kirche: Hier sind wir alle Gäste bei Jesus Christus und als Gemeinde können wir uns in der Gastfreundschaft für viele Besucher beweisen. Damit meine ich nicht nur die Kirche auf Helgoland, sondern unsere gesamte Erzdiözese. Gastfreundschaft gehört zum guten Stil unserer Kirche auf allen Ebenen und an allen Orten. Sie sollte nicht nur in Urlaubsorten selbstverständlich sein, sondern überall und für jeden. Gastfreundschaft prägt unseren Lebensstil als Christen durch und durch.

    Wenn man das Wort Gast hört, dann mag der eine an einen Hotelgast denken und der andere an einen netten Abendbesuch. Gastfreundschaft geht tiefer: Das griechische Wort für Gastfreundschaft ist philoxenie. Es leitet sich ab von phileo (ein Freund sein) und xenos (der Fremde); Gastfreundschaft meint also die Liebe zum Fremden, ist eine Freundschaft mit dem Fremden. Mit anderen Worten: Gastfreundschaft bedeutet, mit Freundlichkeit und Liebe dem Fremden, dem Neuen, dem Gegenüber zu begegnen, sie oder ihn herzlich willkommen zu heißen und aufzunehmen.



    In Zeiten, in denen es noch kein ausgebautes Hotelwesen gab, etwa in der biblischen Zeit eines Abraham, war Gastfreundschaft überlebenswichtig. Hospize waren Orte der Sicherheit. Über Jahrhunderte waren die Klöster Stätten der Gastfreundschaft. In den letzten Jahren hat diese lebensrettende Bedeutung der Gastfreundschaft eine ganz neue Aktualität gewonnen in der Aufnahme vieler Geflüchteter in unserem Land. Ich danke ausdrücklich allen, die sich in unseren Kirchengemeinden, aber auch in unseren Kommunen für sie einsetzen und im tiefsten Sinn des Wortes gute Gastgeber sind. Ich wünschte, ich müsste jetzt nicht die Fremdenfeindlichkeit erwähnen, die es leider auch gibt.



    Gastfreundschaft ist die innere Haltung unserer Kirche, keine Randerscheinung. Die Offen­barung Gottes in Jesus Christus ist ja nicht nur eine Mitteilung, sondern vielmehr eine personale Begegnung. Deswegen kann der Inhalt unseres christlichen Glaubens nie von seiner Form gelöst werden.



    So kann und soll sich an unserer gelebten Gastfreundschaft unser Glauben selber zeigen. Es kommt nicht von ungefähr, dass Jesus immer wieder bei den Menschen zu Gast war, sein erstes Zeichen wirkt er als Gast auf der Hochzeit zu Kana. Immer wieder lädt er die Menschen zu sich, in sein Leben ein: „Kommt und seht!“



    Für mich ergeben sich einige sehr konkrete Punkte, wie wir, wie Sie Gastfreundschaft weiterdenken und weiterleben können:



    1. Wir alle sind Gäste auf dieser Erde. Eines unserer bekanntesten Begräbnislieder beginnt mit: „Wir sind nur Gast auf Erden“. Es stammt aus einer der dunkelsten Zeiten unserer deutschen Geschichte. Im Nationalsozialismus wollte der Autor auf unsere endgültige Heimat bei Gott verweisen. Wir gehen dem himmlischen Gastmahl mit Gott und unseren Lieben entgegen. Damit wird alles andere relativiert, aber keineswegs unbedeutend. Das hat Konsequenzen für unser Hier und Jetzt, für unseren ­Umgang mit dieser Welt, den Dingen und unserem ganzen Leben. Es macht leicht und gelöst, ja es befreit. Es hat auch Auswirkungen auf unseren Umgang mit der Schöpfung, die wir lediglich anvertraut bekommen haben und unseren Nachfahren verantwortlich weitergeben sollen. Wir alle haben auf dieser Erde einen Gaststatus. Bitte verhalten wir uns wie gute Gäste.



    2. Christus lädt uns immer wieder zu sich ein. Wir dürfen seine Gäste sein. Greifen wir diese göttliche Einladung beherzt auf! Er will uns an seiner Seite wissen, wir können auf ihn hören und im Gottesdienst mit ihm Mahl halten. Wir dürfen einfach in aller Stille bei ihm sein.

    Umgekehrt gilt aber auch: Der Herr will in unserem Leben zu Gast sein. Er lädt sich zum Beispiel in das Leben des Zöllners Zachäus ein oder bei Martha von Bethanien: „Heute muss ich bei dir zu Gast sein!“ Ganz in diesem Sinn heißt es in einem bekannten Tischgebet: „Komm Herr Jesus, sei unser Gast!“



    3. Unsere Kirchengemeinden erhalten viele Einladungen. Sie dürfen an zahlreichen ­Veranstaltungen teilnehmen, bei Projekten und Aktionen in unseren Städten und Kommunen mitwirken. Viele freuen sich, wenn wir ihre Gäste sind. Sie erwarten uns, und sie erwarten etwas von uns. Freuen wir uns, dass wir dazugebeten werden. Das ist beileibe keine Nebensächlichkeit. Es wäre schön, wenn unsere Gemeinden auf diese ­Bitten mit ­Zusagen und Einsatz antworten könnten.



    4. Seien wir schließlich selber gute Gastgeber in unseren Pfarreien und an allen Orten kirchlichen Lebens. Gehen wir auf unsere Gäste, Besucher, auf die Unbekannten und Fremden zu. Seien wir einladend mit unserem ganzen Wesen! Begrüßen wir sie herzlich und seien wir selber zugänglich (vgl. Pastoraler Orientierungsrahmen II., 5). Es muss uns immer zu denken geben, wenn wir in unseren Gemeinden kaum oder gar keine Gäste mehr sehen, wenn sie sich nicht willkommen fühlen. Dies zu ändern, ist zuerst eine Frage der Einstellung und des Herzens, und zwar unserer Einstellung. Oft werden wir durch unsere Gäste reich beschenkt. Wir sind nicht mehr nur ihre Gast­geber, sondern dürfen in ihrem Leben zu Gast sein.



    Liebe Schwestern und Brüder, Gastfreundschaft ist stets absichtslos. Sie will dem ­anderen einen Raum bieten, in den er eintreten und zum Freund werden kann. Hierbei geschieht, was der kürzlich verstorbene Münsteraner Theologe Johann Baptist Metz sagt: Dabei „müssen wir uns vergessen können, zurücktreten, damit der andere in seiner Einmaligkeit bei uns wirklich ankomme. Wir müssen ihn reinlassen können, ihn freigeben in seiner Eigenart, die uns oft aufschreckt und zur schmerzlichen Verwandlung ruft. Denn das Geheimnis des Lebens erschließt sich nicht der Selbstgefälligkeit, sondern der schöpferischen Gegenseitigkeit.“ Seien wir als Kirche im Erzbistum Hamburg wirklich eine Kirche in Beziehung zu Gott und den Menschen. Leben wir die Aufforderung des Hebräerbriefes konkret und alltäglich: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!“

    Gott segne Sie und alle, mit denen wir uns gastlich verbinden!



    Dr. Stefan Heße

    Erzbischof von Hamburg





    Fürbitten



    Guter und liebender Gott, Dir bringen wir heute unsere Bitten:



    v Guter und liebender Gott, wir alle sind nur Gäste auf dieser Erde.

    Wir bitten dich, stärke uns als Gemeinschaft, dass wir füreinander Verantwortung tragen und wir bereit sind, für unsere Mitmenschen und für die Bewahrung Deiner Schöpfung bedingungslos einzustehen.



    v Guter und liebender Gott, du lädst uns immer wieder zu Dir ein und wir dürfen Gast in Deinem Haus sein.

    Wir bitten dich, stärke unsere Herzen und lass uns wach werden für Dein ­Evangelium, damit wir es im Alltag leben und bezeugen können.



    v Guter und liebender Gott, du möchtest, dass wir Salz der Erde und Licht der Welt sind.

    Wir bitten dich, stärke unsere Taten, dass sie Licht werden, das für andere leuchtet, und Salz, das deine Botschaft schmackhaft macht.



    v Guter und liebender Gott, durch Deine Menschwerdung bist du mit Leib und Seele eine Beziehung zu uns Menschen eingegangen.

    Wir bitten dich, stärke uns, dass wir eine gelebte Gastfreundschaft in unseren ­Gemeinden praktizieren, in der wir wirklich eine Kirche in Beziehung zu Dir und den Menschen sein können.



    v Guter und liebender Gott, wir gehen Deinem himmlischen Gastmahl und unseren Verstorbenen entgegen.

    Wir bitten dich, stärke uns in dieser Zuversicht und lass uns mit unseren Lieben an diesem himmlischen Mahl teilhaben.



    Wir denken an die Brüder und Schwestern in unseren evangelischen/katholischen/­orthodoxen Nachbargemeinden und in der Gemeinschaft der ganzen Christenheit.

    Gott, lass uns lebendig erfahren, dass wir zusammengehören: in Gebet und Fürbitte,

    in Leben und Dienst, in Freude und Leid.

    Du führst deine Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit. Dir sei Lob und Ehre jetzt

    und in Ewigkeit.

    Amen

    (ÖKUMENEGEBET IM GEIST DES HL. ANSGAR)

  • Predigt am Fest der Heiligen Drei Könige / St.Marien-Dom zu Hamburg / 06. 01. 2020
    Es gilt das gesprochene Wort!



    Liebe Schwestern und Brüder,



    Ende dieses Monats wird in der katholischen Kirche in Deutschland etwas starten, was es bisher nicht gegeben hat, mit dem die einen viele Hoffnungen und die anderen eine Reihe von Befürchtungen verbinden. Ich meine den Synodalen Weg der Kirche in Deutschland. Dieser ist damals bei unserer Bischofskonferenz in Lingen geboren worden, als wir noch einmal auf die verheerenden Ergebnisse der sogenannten MHG-Studie geschaut haben, der Studie über den sexuellen Miss-brauch innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland. Da war die Frage: Was machen wir und wie machen wir das? In all den Überlegungen und Gedanken tauchte dann die Idee eines gemein-samen, eines synodalen Weges auf, den die ganze Kirche gehen soll. Im Laufe der Zeit wurde dies in eine gewisse Form gegossen und am Ende dieses Monats wird die erste große Synodalversammlung im Bartholomäus Dom in Frankfurt mit etwa 200 Gläubigen aus ganz Deutschland stattfinden. Alle Bischöfe, aber auch Frauen und Männer aus den Diözesen und aus den Verbänden. Aus unserem Bistum werden wir zu viert vertreten sein. Weihbischof Eberlein, meine Wenigkeit, Pastor Otto aus Lübeck als Vertreter für unseren Priesterrat und Frau Professorin Heiden aus Kiel.



    Liebe Schwestern und Brüder, als ich das Evangelium von Epiphanie von den drei Königen las, und dann ein wenig an diesen Start des Synodalen Weges in Frankfurt dachte, ist mir aufgefallen, dass sich bei den drei Magiern aus dem Morgenland einiges finden lässt, was ich mit Synodalität und mit dem Synodalem Weg verbinde. Vielleicht kann man sagen, dass diese drei Könige Prototypen eines Synodalen Weges sind. In vielen Seiten der heiligen Schrift findet man Elemente eines solchen Weges.



    Vielleicht schauen wir im Hinblick auf den Synodalen Weg in Deutschland einmal das heutige Evangelium genauer an. Als erstes fällt mir der Stern auf. Die Drei kommen nicht direkt beim Jesuskind an der Krippe an, sondern sie werden vermittelt durch ein Zeichen am Himmel; durch einen besonderen Stern. Auf ihn werden sie aufmerksam. Manchmal frage ich mich, ob wir heute ebenso aufmerksam wären und einen solchen Stern sehen würden. Oder ob die vielen Lichter, die in unseren Städten leuchten, uns in ihrer Helligkeit sogar den Blick auf einen solchen Stern verstellen würden und, ob wir nicht am Ende blind dafür wären. In Matthäus Kapitel 13 gibt es ein schönes Wort, das aus Jesaja entlehnt ist, da heißt es: „Sie sehen und sehen doch nicht. Sie hören und hören doch nicht.“ Könnte es sein, dass wir es im Laufe der Zeit verlernt haben, was die Heiligen Drei Könige noch konnten? Dass sie gesehen und wirklich gesehen und sie gehört und wirklich gehört haben. Sie werden auf ein Element aus der Natur, aus dem Leben, aufmerksamen und sie greifen dies auf. Ich wünsche uns für den Synodalen Weg, dass wir eine wache Aufmerksamkeit haben. Christen sollten nie Menschen sein, die die Welt mit Brettern zunageln, sondern Christen sind immer Menschen mit einem wachen Blick und einem hellen Ohr für die Zeichen der Zeit. Die Könige haben gesehen und gedeutet. Interessanterweise heißen sie ja Sterndeuter. Also sie haben diese Phänomene wahrgenommen.



    Das ist das Erste und Wichtigste und dann haben sie eine Botschaft daraus gezogen und das heißt für sie aufbrechen, sich auf den Weg machen. Bei allem was bei uns geschehen ist, habe ich den Eindruck, dass wir jetzt an einen Punkt angelangt sind, wo wir als Kirche sagen: „Jetzt müssen wir aufbrechen.“ Die Drei Sterndeuter verlieren auf ihrem Weg irgendwann das Licht des Sterns aus den Augen. Aber sie bleiben nicht sitzen und beenden das ganze Unternehmen, sondern sie machen etwas zutiefst Menschliches. Sie fragen sich durch. Sie fragen in Jerusalem nach. Sie fragen gelehrte Leute: „Wir haben diesen Stern gesehen, wo kann das hingehen, wie geht das weiter?“ Sich durch das Leben fragen, durch die Welt, durch die Zeit. Vielleicht ist das auch etwas Wichtiges, was wir von den Heiligen Drei Königen lernen und übernehmen können.



    Doch bei aller Euphorie, muss auch vor manchen Gefahren und Klippen gewarnt werden. Und da mögen sich alle Skeptiker des Synodalen Weges einklinken und zu Wort melden: Herodes verfolgt ganz andere Absichten. Gott sei Dank kommen die Drei dann bei dem Kind in der Krippe an. Sie fallen nieder, sie beten an und sie legen ihren ganzen Reichtum dem Kind zu Füßen. Das ist sozusagen der Höhepunkt dieses Weges. Deswegen darf unser Synodaler Weg nicht kleiner ansetzen, nicht billiger werden. Er darf nicht auf das Moment der Anbetung und der Ehrfurcht vor Gott verzichten. Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass das Gebet und die Gottesdienste nie nur ein Rahmenprogramm sein dürfen, sondern sie sind etwas ganz Wesentliches. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir uns dafür viel zu wenig Zeit nehmen. Die Anbetung, die die größte Geste der Freiheit und der Demut vor Gott ist, die brauchen wir immer und immer wieder. Ich wünsche mir, dass der Synodale Weg nicht auf der Strecke bleibt, nicht auf dem Weg stecken bleibt, sondern dass wir immer wieder an diesen Zielpunkt kommen und wie die Drei niederfallen, huldigen und anbeten. Ich glaube, dass unsere Kirche immer dann auf einem guten Weg ist, wo sie genau das tut, wo wir das tun: niederfallen, huldigen und anbeten.



    Dann ist das Spannende, dass unsere drei Könige den richtigen Weg nach Hause finden. Jetzt um-schiffen sie die Gefahr, die von Herodes ausgeht. Sie gehen auf einem anderen Weg nach Hause. Dabei umgehen sie die Gefahr, der ihr Weg ausgesetzt ist und sie wiegen sich in Sicherheit. Aber in diesem Satz, „sie kehren auf einem anderen Weg heim in ihr Land“, steckt für mich auch drin, dass sie anders zurückkehren, als sie gekommen sind. Verändert. Ich glaube, dass diese Begegnung mit dem Kind uns Menschen immer verändert. Dass wir liebevoller von dort weggehen, dass wir erfüllter weggehen, dass wir reicher weggehen. Mutter Teresa hat einmal gesagt, „Ohne Jesus wären wir viel zu arm.“ Deswegen beten unsere Schwestern im Geiste von Mutter Teresa hier in Hamburg mitten in St. Pauli viele Stunden am Tag in ihrer kleinen Hauskapelle vor dem Tabernakel. Weil sie wissen, nur aus dieser Begegnung heraus können wir den Armen etwas mitgeben. Nicht nur etwas mitgeben, sondern sie können ihnen das Wichtigste geben, was es gibt: Christus. Bei unserem Synodalen Weg hoffe ich, dass wir nach allen Beratungen, bei allem Gebet erneuert, reicher, liebevoller zurückgehen in unsere Arbeit, in unsere Diözesen, in die Zukunft hinein.

    Liebe Schwestern und Brüder, in Köln, wo ich herkomme, da ist es klar, dass man heute die Heiligen Drei Könige feiert. Deswegen ist es sicher gut, dass wir diese Christuszeugen um ihre Fürsprache bitten für unseren Weg. Sie haben einen ganz wesentlichen Weg gepackt, ein Synodaler Weg mit allem Auf und Ab. Bitten wir die Drei um ihre Fürsprache für den Weg der katholischen Kirche in Deutschland – den vor uns liegenden Synodalen Weg. Amen.
  • Silvesterpredigt 2019 / St. Marien-Dom zu Hamburg / 31. 12. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern, liebe Brüder,



    in wenigen Stunden geht das Jahr 2019 zu Ende; ich nehme eine Reihe von Erinnerungen vom alten in das neue Jahr mit hinüber: Ich denke an den Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame, ich sehe vor mir Greta Thunberg, die eine ganze Generation von Menschen wachrüttelt für unsere Schöpfung. Ich bin dankbar für 30 Jahre deutsche Einheit gerade in einer Diözese, die aus Schleswig-Holstein und Hamburg und Mecklenburg besteht. Ich sehe unsere katholische Kirche in Deutschland vor mir mit der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs, mit der Bewegung Maria 2.0 und dem synodalen Weg, der gerade erst in den Startlöchern steht. Sie mögen dies ergänzen durch Ihre Erinnerungen und Bilder von 2019.



    Es wird deutlich: ein Jahr voller Bewegung, voller Veränderung: weltweit – in unserem Erzbistum und auch sehr persönlich. Leben ist immer geschichtlich und dynamisch; es kennt Aufbrüche, Umzüge, Veränderungen und manchmal Abbrüche.

    Man kann den Eindruck haben, dass es nicht nur ein paar äußerliche Veränderungen sind, sondern dass wir geradezu in einem epochalen Wandel stehen, ablesbar vor allem an der zunehmenden Globalisierung, der Digitalisierung und der weltweiten Migration.



    Bitte: Suchen wir in all den Bewegungen nicht einfach nach Schuldigen, denen wir den „schwarzen Peter“ zuschieben für das, womit wir uns selber schwertun. Reden wir unsere Zeit weder einfach schlecht noch einfach schön! Im Gegenteil: Wir sind in diese Zeit hineingestellt, ohne dass wir sie uns ausgesucht hätten. Papst Franziskus ruft uns in Erinnerung: Wir sind „gewürdigt“, hier und heute zu leben. Deswegen ist unser erster Angang der Dank für diese Zeit, diesen Ort, diese Menschen, diese Schätze und diese Herausforderungen. Dank gerade an einem Tag wie Silvester!



    Unser zweiter Angang: Gott findet sich in dieser Zeit. Gerade in diesen weihnachtlichen Tagen feiern wir, dass Gott in Jesus Christus unser Zeitgenosse geworden ist. Der Jesuit Alfred Delp weist uns darauf hin: „Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort. Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir oft gesucht haben.“ Das schrieb er am 17. November 1944 – es trifft auch auf den 31. Dezember 2019 zu und darüber hinaus.



    Vor einigen Wochen konnte ich hier in Hamburg den Film „Die zwei Päpste“ anschauen. Er malt eine Begegnung zwischen Papst Benedikt XVI und seinem Nachfolger in Castel Gandolfo aus. Dabei finden die beiden in ihrer Unterschiedlichkeit zueinander. Der Autor lässt den einsamen Pontifex Benedikt grübeln: „Ich spüre Gottes Gegenwart nicht mehr, ich höre Gottes Stimme nicht mehr: Ich brauche ein spirituelles Hörgerät.“ – also nicht ein Hörgerät vom Hörgeräteakustiker, sondern die innere, geistliche Fähigkeit, auf die Zeit und die Menschen so zu hören, dass mir Gottes Stimme daraus entgegenspricht.



    Dann der dritte Angang: ich kann und will auf diese Stimme antworten – antworten, indem ich die Chancen auslote und ergreife, indem ich handle: Was geht? Was geht nicht? Der Papst ermuntert uns immer wieder, Prozesse in Gang zu setzen, also nichts Statisches, das wir errichten, sondern Prozesse, also Bewegungen – und unsere Kirche ist zuallererst eine Bewegung, keine Institution! Die ersten Christen nannte man noch schlicht und einfach: „Anhänger des neuen Weges“ (Apg 9,2).



    Liebe Schwestern und Brüder, in wenigen Tagen werden wir zu Beginn eines neuen Jahrzehnts am 7. Januar 2020 den 25. Geburtstag unseres Erzbistums feiern können. Mein Geburtstagswunsch für unser Bistum: immer neue Glaubensprozesse mit einem Gott, der unser Zeitgenosse ist; tiefe Beziehungen untereinander in unseren Gemeinden und Verbänden, in unseren Kitas und Schulen und überall, wo Christen leben; und weitere Beziehungen mit möglichst vielen Menschen, mit denen wir in dieser Zeit zusammenleben dürfen und uns diese eine Welt teilen.
  • Weihnachtspredigt 2019 / St. Marien-Dom zu Hamburg / 24. 12. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern und Brüder,



    möglich war es, aber jetzt wird es Realität: der Austritt eines Mitgliedsstaates aus der Europäischen Union. Doch Großbritannien hat sich dafür entschieden. Im Juni 2016 stimmte eine knappe Mehrheit der britischen Stimmbürger in einer Referendumsabstimmung für den EU-Austritt ihres Landes. Seither beherrscht das Thema Brexit die britische Politik und die internationalen Nachrichten. Nach vielen Austritts-Aufschüben soll Großbritannien die EU nun bis zum 31. Januar 2020 verlassen. Möglich soll dies der sogenannte Brexit-Deal machen. Deal oder No Deal – diese Frage hat uns in den letzten Wochen und Monaten in Atem gehalten. Die Vertragspartner einigten sich auf diesen Deal, jetzt hat auch das britische Parlament diesem Deal zugestimmt.



    Vom Brexit Deal zum Green Deal. Es erscheint fast unmöglich, aber es ist eine Riesenchance: Als erster Kontinent soll Europa bis 2050 klimaneutral werden. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Europäische Kommission ihren europäischen Green Deal vorgestellt, eine äußerst ehrgeizige Maßnahme. Durch zeitlich gestaffelte Maßnahmen hat der Green Deal ein Ziel: den Erhalt unserer natürlichen Umwelt. Ein Deal, der allen zugutekommt, aber der auch alle herausfordert.



    Deal – dieses Wort taucht immer mal wieder auf. In den Medien, in der Politik und auch in unserem Alltag. Es geht um ein Geschäft, das verschiedene Vertragspartner miteinander schließen. Es ist ein Handel, ein Tausch. Am Beginn allen wirtschaftlichen Denkens und Handels steht der Gedanke des Tauschens. Einen Handel treiben die Menschen schon immer. Das ist keine Erfindung der Neuzeit.



    Dieses Handeln und Aushandeln zwischen Menschen, dieses Geschäftemachen, dieser Handelsverkehr hat schon vor vielen hundert Jahren die Phantasie der Theologen angeregt, das Weihnachtsfest als einen Deal zu bezeichnen, als einen Austausch, einen Handelspunkt. Auf Lateinisch klingt das dann sehr vornehm: ad-mirabile commercium oder sogar sacrum commercium, ein heiliger Tausch. Doch damit ist aber kein Tausch in unserem Verständnis gemeint. Es geht nicht um die Formel 1:1 und nicht nach dem Motto: Wie du mir so ich dir. Das Tauschgeschäft, das Gott an Weihnachten eingeht, verzichtet auf jede Form von Gegenleistung. Dieser Handel will den Menschen nicht über den Tisch ziehen und ausbeuten. Nein, es ist ein ganz selbstloser Tausch.



    Zu allererst will dieser Gott, der heute Mensch wird, da sein, wo wir sind. Dieser Gott tauscht die Seiten. Er kommt aus seiner Herrlichkeit auf diese Erde. Er will unser Leben teilen, unsere Freude und Hoffnung, aber auch unsere Angst und unsere Unsicherheit. Sein Wohnort ist nicht mehr ein göttlicher Palast, nicht mehr der Himmel, sondern er bindet sich an die armselige Krippe und an das harte Kreuz. Er sagt nicht nur: Ich möchte da sein, wo ihr seid, sondern er tut es. Er tritt auf unsere Seite. Er tauscht sich für uns ein.

    Dabei bleibt er nicht einfach ein Gegenüber, vor dem alle in Ehrfurcht erstarren, sondern er wird unser Mitmensch. Er wird unser Bruder, unser Freund. Er bringt Gottes frohe Botschaft, Gottes Liebe, Gottes Leben zu uns und er will es mit uns teilen. Er will es in den Austausch mit uns Menschen bringen. Ich denke an die Heilungen. Ich denke an die faszinierenden Predigten, die er gehalten hat. Ich denke an die Wunder, die er gewirkt hat und nicht zuletzt an die Vergebung, die er geschenkt hat. Im letzten gibt er sich selber und darin gibt er uns Gott – und das nur, damit wir empfangen, damit wir aufnehmen.



    Und dieser Tausch geht noch weiter. Gott rückt nicht nur an Weihnachten auf unsere Seite. Gott teilt nicht nur das Leben mit uns, sondern er will uns in sein Leben hinüberführen. Der Heilige Irenäus von Lyon (ca. 115 - 202) erklärt: „Dazu wurde der Logos Mensch, damit der Mensch Sohn und Tochter Gottes wird.“ Das ganze Leben Jesu ist ein Herabsteigen. Damit hat Gott nichts sehnlicher im Sinn, als dass wir unser irdisches Leben öffnen für sein himmlisches. Und dass wir es in unserem Sterben mit seinem göttlichen Leben austauschen können.



    Liebe Schwestern und Brüder, wie der Brexit-Deal aussehen wird, wissen wir nicht. Ob der Green-Deal wirklich funktioniert, wissen wir wohl erst 2050. Aber dass wir vom göttlichen Tausch heute schon profitieren, dass dieser Tausch wirklich ein gelungener Tausch ist, dürfen wir in der Liturgie, im Gottesdienst erleben. Denn hier lebt dieser Tausch weiter, geschieht er.



    Gottes selbstloser Tausch, den er mit der Menschwerdung seines Sohnes eingeht, kann für uns ein guter Deal sein, wenn wir uns darauf einlassen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie etwas von dem, was Sie von Gott empfangen, was Gott Ihnen schenken möchte, austauschen mit anderen in Gesprächen, in Begegnungen, im Feiern.

    Amen.
  • Ansprache von Erzbischof Stefan zur Vorstellung der Ergebnisse der Geistlichen Unterscheidung / St. Marien-Dom Hamburg / 09. 11. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern und Brüder,



    vor 30 Jahren wurde Deutschland wieder vereint; nichts war mehr wie zuvor. In dieser Zeit wurde unser Erzbistum errichtet. 2020 wird die Erzdiözese Hamburg ihren 25. Geburtstag fei-ern können. Vor etwas mehr als 4 Jahren wurde ich nach Ludwig Averkamp und Werner This-sen der dritte Erzbischof von Hamburg. In dieser Zeit gab es in unserem Land große Umbrü-che. Deutschland wurde zum Beispiel zum Zielland von Migrationsbewegungen.

    In den wenigen Jahren, in denen ich jetzt Ihr Bischof sein darf, hat sich auch für die Kirche in Deutschland vieles verändert: Finanz- und Missbrauchsskandale haben das Vertrauen vieler Menschen erschüttert. Der Umgang mit Macht und Fragen der Sexualität wie auch die Themen Zölibat und Frauenpriestertum werden von vielen nicht erst seit der MHG-Studie mit Nachdruck gestellt. Im Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland ab 1.Advent hoffen viele auf weiterführende Antworten. Andere erwarten gar nichts mehr. Viele sind enttäuscht und haben unserer kirchlichen Gemeinschaft den Rücken gekehrt. Sie trauen uns ein-fach nicht mehr zu, authentisch Zeugnis von unserem Glauben an Gott abzulegen.



    Es ist nicht leicht in dieser Zeit, Christ zu sein und als Kirche zu leben; es ist aber wahrscheinlich auch nicht schwerer als zu anderen Zeiten; erst recht ist es nicht unmöglich. Frei heraus möchte ich bekennen: Ohne diese Kirche, ohne die Glieder dieser Kirche – und damit meine ich die Heiligen und die Sünder gleichermaßen – hätte ich und hätten wahrscheinlich viele von uns nie den Glauben kennengelernt. Dafür bin ich dankbar. Ihn zu bezeugen mit unserem ganzen Dasein, mit unserer ganzen Präsenz im Hier und Heute, mit allen Fasern unseres Lebens, das ist unser aller Auftrag.



    Jede Zeit muss den Glauben von neuem in ihre Gegenwart übersetzen. Keiner kann den Glauben einfach wie ein Ding von seinen Vormüttern und Vorvätern übernehmen, sondern er und sie muss ihn sich zu eigen machen, muss versuchen, ihn im eigenen Leben zum Klingen zu bringen. Jeder einzelne ist selber das ureigenste Instrument der Evangelisierung. Es kommt zuerst auf uns, nicht auf etwas an.

    Dabei ist es nicht nur der Glaube, den wir in das Leben übersetzen, sondern es ist auch das Leben, mit dem wir uns dem Glauben annähern. Glauben und Leben gehören wechselseitig zusammen, und Veränderung gibt es nicht nur im Leben, in der Welt, beim Menschen, son-dern auch in der Kirche, im Glauben.

    Vor gut drei Jahren haben wir hier im Mariendom unseren Erneuerungsprozess gestartet. Damals und auch darüber hinaus bis heute beten viele Menschen in unserer Diözese ganz schlicht und einfach: „Herr, erneuere deine Kirche und fange bei mir an.“ Erneuerung der Kirche ist immer auch Erneuerung von mir selber. Die gerade beendete Amazonassynode fächert Erneuerung und Bekehrung in mehrfacher Hinsicht auf. Es geht um die persönliche Dimension, aber auch um die pastorale, ökologische und kulturelle.

    Im Laufe der letzten drei Jahre haben wir in unserer Erzdiözese schon viel erreicht. Der Prozess der Entwicklung unserer Pastoralen Räume ist soweit fortgeschritten, dass von den 28 bereits jetzt 17 Pfarreien gegründet werden konnten.



    Wir haben einen Pastoralen Orientierungsrahmen, den ich am 3. Februar 2018, dem Fest des Heiligen Ansgar, in Kraft setzen konnte. Zuvor haben viele Menschen aus unserer Diözese in einem partizipativen Prozess daran mitgearbeitet. In diesem und im nächsten Jahr besuche ich unsere Pfarreien und versuche einzelne Aspekte dieses Orientierungsrahmens bewusst zu machen und die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Manche Gemeindemitglieder bereiten sich auf diese Begegnungen so vor, dass sie den Pastoralen Orientierungsrahmen alleine oder miteinander lesen. In Schleswig-Holstein sagte einmal jemand bei einer solchen Begegnung: „Es steht mehr drin, als ich gedacht habe. Und das ist richtig gut.“ Ich glaube, wir könnten noch viel mehr aus diesem Rahmen schöpfen. Der Pastorale Orientierungsrahmen bringt die Vision einer „Kirche in Beziehung“ für unser Erzbistum ins Wort. Er ist Programm für unser Handeln. Ich wünsche mir, dass sich viele von uns mit ihm auseinandersetzen und ihn auch anderen bekannt machen.

    Nachdem unter Leitung unseres Generalvikars von den Fachabteilungen des Generalvikariates gemeinsam mit einer Unternehmensberatung die wirtschaftliche Situation unseres Erzbistums erhoben wurde, haben wir im Dezember 2017 die grundlegenden Daten für unseren Wirtschaftlichen Orientierungsrahmen vorgestellt. Er steckt unsere finanziellen Handlungsmöglichkeiten ab.



    So denken wir die pastorale und wirtschaftliche Seite zusammen. Wirtschaft ohne Pastoral ergibt keine Kirche, sondern ein Unternehmen. Aber viele pastorale Tätigkeiten haben eine wirtschaftliche Komponente. Gleichzeitig dürfen wir die Pastoral nicht allein von wirtschaftlichen Fragen abhängig machen. Andere Länder zeigen uns, dass Kirche auch mit wenigen Finanzmitteln sehr lebendig sein kann. Die Veränderung unserer Kirche ist für mich keineswegs nur Risiko oder gar nur Verlust, sondern vielmals Chance und Aufbruch.

    Um diese zwei Bereiche miteinander zu verbinden, habe ich versucht, all die Erfahrungen mit den Gläubigen unseres Bistums der vergangenen Jahre in einen Prozess der Geistlichen Unterscheidung mitzunehmen. Hinzu sind elf Gläubige unseres Bistums gekommen, die alle unterschiedliche Perspektiven eingebracht haben. Für die Ratschläge im Sinne der Geistlichen Unterscheidung bin ich ihnen sehr dankbar. Trotz all unserer verschiedenen Blickwinkel haben wir Vorschläge entwickelt, bei denen wir uns als Gruppe sehr einig waren. Das war für mich ein wichtiges Signal: Wir haben intensiv diskutiert, uns dabei ausgiebig zugehört und sind begleitet vom Gebet zu konkreten Ergebnissen gekommen, die wir gemeinsam tragen. Neben dem pastoralen und dem wirtschaftlichen Orientierungsrahmen haben uns außerdem die unter breiter Beteiligung erarbeiteten pastoralen Indikatoren geholfen, die den pastoralen Orientierungsrahmen nochmal für uns geschärft haben. Die entstandenen umfangreichen pastoralen und wirtschaftlichen Empfehlungen für die einzelnen Betätigungsfelder des Bistums habe ich mir als Bischof zu eigen gemacht. Daraus ergeben sich für mich folgende Schwerpunkte für unser Erzbistum.



    Seelsorge



    Die Territorialseelsorge, sprich die Seelsorge auf dem Gebiet der Pfarreien, wird weiterhin das Rückgrat unserer pastoralen Arbeit bleiben. Die Gemeinden bilden sich als konkrete Gemein-schaften von Menschen durch eine regelmäßige, wenn auch nicht mehr in allen Fällen wöchentlich stattfindende sonntägliche Eucharistiefeier. Die festliche Feier der Sakramente und Sakramentalien, v.a. von Taufe, Buße und Beerdigung, hat hier ihren Ort. Das Vorhandensein eines eigenen Kirchengebäudes ist nicht unbedingt konstitutiv für das Gebet und den Gottesdienst. Wo wir Kirchen haben, sollten sie möglichst oft geöffnet sein und zum Verweilen einladen.

    Die Gemeinden bilden wichtige Anknüpfungspunkte für viele unserer Arbeiten. Alle unsere Gemeinden dienen der Sammlung um den Herrn und untereinander, aber auch der Sendung. Jede Gemeinde hat eine Mission. Jeder Christ ist eine Mission, wie Papst Franziskus immer wieder betont. Noch wichtiger als bisher wird dabei die Verbindung mit der Kategorialseel-sorge sein. Das sind die pastoralen Angebote, die sich an bestimmte Zielgruppen richten. Alle Seelsorgerinnen und Seelsorger aus diesem Bereich werden daher zukünftig einem Pastoralen Raum zugeordnet und ihre Angebote stärker vor Ort verankert.

    Die Anzahl unserer hauptamtlichen pastoralen Mitarbeitenden sinkt, viele der einzelnen Be-reiche der Kategorialseelsorge wird es allein deshalb zukünftig nicht mehr im gewohnten Umfang geben können. Im Rahmen der Geistlichen Unterscheidung haben wir die verschiedenen Bereiche in der Seelsorge in den Blick genommen und je eigene Konsequenzen gezogen.



    Unabhängig von der sinkenden Zahl an Hauptamtlichen wird die Pastoral zukünftig viel stärker als heute vom Ehrenamt geprägt sein. Hier sind verschiedene Maßnahmen zur Förderung anzustoßen. Für die Hauptamtlichen bedeutet dies: Sie werden besonders in der Begleitung und Betreuung dieser Ehrenamtlichen gebraucht. Für eine gute Ehrenamtsarbeit sind Glaubenserfahrung und ein Glaubenswissen notwendig. Denn nur wer seinen Glauben kennt, lebt und feiert, kann darüber ins Gespräch kommen, kann auch andere für die Sache Gottes begeistern, kann wahrhaft missionarisch tätig sein. Aus der Taufe und Firmung heraus sollen so alle in der Kirche ihre Charismen entfalten können, unterstützt durch Hauptamtliche. Dazu braucht es Formen der Gemeinschaft; ich denke an lebendige Glaubens-, Bibel oder Gebets- wie auch Familienkreise und sicher auch neue Formen an den Orten kirchlichen Lebens, in den geistlichen Gemeinschaften und den Orden. Hierzu gehört auch, dass sowohl Pfarrer als auch andere Seelsorgende vermehrt von administrativen Tätigkeiten entlastet werden, indem die Anstellung von Verwaltungskoordinatorinnen und -koordinatoren gefördert wird.



    Große Veränderungen wird es in unseren Gemeinden vor allem im Bereich der Immobilien geben. Wir wissen, dass die hohen Unterhaltungskosten für Immobilien die Pfarreien dazu zwingen werden, viele Standorte aufzugeben. Das ist oftmals schmerzhaft, aber schärft auch den Blick dafür, wo es wirklich Gebäude braucht, um den Kern der christlichen Botschaft in Wort und Tat zu verkünden. Dazu gibt es mit der Vermögens- und Immobilienreform ein eigenes Projekt, welches bei der Entwicklung des pfarrlichen und diözesanen Immobilienbestands unterstützt. Welche Immobilien brauchen wir an welchen Orten, um unserem Auftrag nach-zukommen? Welche können wir abgeben oder umnutzen, um uns zu entlasten? Es ist jetzt schon absehbar, dass wir in unserer Diözese und in den Pfarreien zukünftig deutlich weniger Gebäude für die Pastoral zur Verfügung haben werden. Wir dürfen aber nicht vergessen: Die Qualität unserer Arbeit und die Glaubwürdigkeit von uns als Christen hängt nicht an unseren Gebäuden. Das A und O sind die lebendigen Steine.



    Wir werden daher für die Pfarreien finanzielle Anreize setzen, sich von Immobilien zu trennen. Die bereits diskutierte Anpassung des Zuweisungswesens hat meine Zustimmung. Dabei ist es mir wichtig, dass die besonderen Bedürfnisse von flächengroßen Pfarreien nicht zu kurz kommen.

    Im Mittelpunkt des Pastoralen Orientierungsrahmens stehen die Menschen, die Begegnung mit ihnen und mit Gott. Wir sind Kirche in Beziehung (oder wir sind nicht Kirche). Dazu gehört auch, dass der Austausch zwischen den fremdsprachigen und deutschsprachigen Gemeinden stärker gefördert wird. Die fremdsprachigen Gemeinden machen einen großen Teil unseres Bistums aus. Hier gibt es noch viel Potenzial für Wachstum neuer Beziehungen und gegenseitiger Bereicherung. Denn bei allen Unterschieden verbindet uns der gemeinsame Glaube. Wir brauchen mehr Miteinander anstatt Nebeneinander.



    Caritas



    Die Caritas ist eine wichtige Dimension kirchlichen Handelns, hier wird das Evangelium nicht nur in Wort, sondern vor allem durch die Tat verkündet und erreicht gerade die Menschen, die gesellschaftlich am Rand stehen. An ihr wird sichtbar, was es bedeutet, eine Kirche zu sein, die in die Welt geht und dort Christus sucht und findet, wo man ihn zunächst nicht vermuten würde. Die caritative Arbeit ist daher ein gutes Beispiel, wie ich mir unser Bistum wünsche, das jenseits eigener Schutzräume in der Welt wirksam wird.

    Aufgrund dieser wichtigen Bedeutung der Caritas wird die Arbeit weiterhin mit Nachdruck unterstützt. Trotz rückläufiger Finanzressourcen im Erzbistum wird die Höhe der Caritaszuschüsse daher gleich bleiben, sogar unter Berücksichtigung der Inflation. Das setzt voraus, dass sich die Caritas in den kommenden Jahren noch besser aufstellt.

    Über das Bestehende hinaus wird im Bereich der Caritas zusätzlich die spirituelle und pastorale Begleitung der Mitarbeitenden gestärkt. Dazu kommen zusätzlich Kooperationen mit Pfarreien, Gemeinden und anderen Orten kirchlichen Lebens. Pastoral und Caritas werden so zu-künftig enger verknüpft.



    Kitas



    Die Kitas unseres Bistums sind eine starke Brücke in die Gesellschaft und gerade an pastoralen Orten ohne weitere kirchliche Strukturen ein wesentlicher Anker. Trotz unserer Finanzsituation halten wir an allen Kita-Einrichtungen fest. Aus dem Prozess der Geistlichen Unterscheidung ist zudem hervorgegangen, was bereits im diözesanen Rahmenleitbild für katholische Kindertageseinrichtungen verankert ist: Gerade die religionspädagogische Qualifizierung der Erzieherinnen und Erzieher soll intensiviert werden. Insbesondere betrifft dies deren Spiritualität, denn vor allem dank dieser können sich unsere Kitas inhaltlich von anderen Trägern abheben. Wie auch bei der Caritas leben Kitas davon, dass Erziehende eine christliche Spiritualität leben und weitergeben. Diese wird daher weiter individuell entwickelt und gefördert.



    Schulen



    Die Reform des katholischen Schulsystems ist ein Beispiel dafür, wie es auch unter äußerst schweren finanziellen und logistischen Rahmenbedingungen gelingen kann, einen für das Erzbistum ungemein wichtigen Bereich neu auszurichten. Die Konzentration auf - zusammen mit den Schulen der Bernostfitung - jetzt insgesamt 17 Schulstandorte ermöglicht es, unsere Schulen über das Rahmenleitbild und die damit verbundenen Investitionen von mehr als 130 Millionen Euro nachhaltig und für die Zukunft wettbewerbsfähig weiterzuentwickeln. Zudem ist das in der Geschichte unseres Bistums bislang einmalige Einwerben von 7,5 Millionen Euro durch Fundraising-Aktivitäten für die sogenannten Moratorienschulen – gemeint sind die ka-tholische Sophienschule und die katholische Schule Harburg – ein echter Erfolg. Zeigt sie doch, dass viele Menschen bereit sind, sich in hohem Maße dann für ihre katholische Kirche zu engagieren, wenn diese gut arbeitende und wirkende Einrichtungen finanziell nicht mehr alleine tragen kann. Auch dafür gilt an dieser Stelle allen mein ausdrücklicher Dank!

    Beim Engagement des Erzbistums im Bereich Schule wird sich der Blick zukünftig noch stärker auf das Wirken an all den anderen Schulen richten, zum Beispiel durch die Förderung von Schulseelsorge und Religionsunterricht. Das schulische Rahmenleitbild gibt dazu bereits heute wertvolle Impulse.



    Bildung



    Auch jenseits der Schulen, Kitas und Pfarreien engagieren wir uns als Kirche im Norden für Bildung. Die Arbeit der verschiedenen Bildungsstätten und Tagungshäuser sowie die Ordens-angebote müssen aber besser aufeinander abgestimmt werden. Dazu werden die Träger-schaften gebündelt und die Verwaltungen vereinheitlicht. Wir brauchen ein Gesamtkonzept für all unsere Bildungsangebote, sowohl organisatorisch als auch inhaltlich. Dazu gehört es auch, sich für ökumenische Trägerschaften zu öffnen.

    Besonders wichtig werden zukünftig Häuser sein, die mit ihrer inhaltlichen Ausrichtung ein spirituelles Profil haben. Vorbildhaft sind hier vor allem die ordensgetragenen Häuser mit ihren Angeboten. Diese werden weiterhin unterstützt. Trennen werden wir uns allerdings von einigen Beleghäusern, die nicht gut ausgelastet sind und deren Angebote z.T. auch von nicht-kirchlichen Betreibern gemacht werden können.

    Unsere Bildungsangebote sollen sich gewiss nicht auf theologische Fragen beschränken, aber es muss deutlich sein, dass die Beziehung zu Gott und damit die missionarische Dimension des Pastoralen Orientierungsrahmens im Mittelpunkt steht. Dieses Spezifikum soll sichtbar sein, von der Jugend- bis zur Seniorenarbeit. Für langfristige Finanzierungsentscheidungen ist solch ein Profil von zentraler Bedeutung.

    Mit Blick auf die geschilderte Bedeutung des Ehrenamtes kommt unserer Bildungsarbeit auch eine Verantwortung zu: Welche Aus- und Fortbildungen können angeboten werden?

    Durch diese inhaltliche Fokussierung und eine konsequente Nachverfolgung von Qualitätskriterien soll es in angepassten Strukturen möglich sein, den Bereich weiterzuentwickeln. Dies gilt auch, wenn die Angebote insgesamt gesehen nicht umfangreicher als heute finanziert werden können.



    Verwaltung



    So wie sich das gesamte Erzbistum verändert, so muss sich auch die Verwaltung verändern. Ziel muss es sein, die zukünftigen Aufgaben und Schwerpunkte bestmöglich zu unterstützen. Ich verstehe die Verwaltung dabei als Dienstleister der Betätigungsfelder. Die Verwaltung muss sich dabei natürlich immer möglichst effizient aufstellen, um diesen Auftrag zu erfüllen. Es braucht eine gute Kommunikationskultur innerhalb unseres Generalvikariates, aber auch zwischen Pfarreien und dem EGV. Dabei werden Kooperationen mit anderen Bistümern not-wendig sein. Andererseits werden wir ständig abwägen müssen, ob eine Leistung zentral o-der besser vor Ort, z.B. in den Pfarreien geleistet werden kann und soll. Und drittens müssen wir auch durch eine stringente Kostenkontrolle unser Ausgabeverhalten steuern. Beispiels-weise haben wir bereits in den Aufbau eines Controllings investiert, um die Planung und Kon-trolle der vorhandenen Ressourcen besser steuern zu können.

    Zukünftig wird es im Generalvikariat einen Verwaltungsdirektor/in geben, der/die gerade die wirtschaftlich-verwaltenden Abteilungen koordiniert.



    Umweltschutz



    Mir geht es auch um einen neuen Umgang miteinander und der Umwelt, um eine neue Bis-tumskultur. Seit vielen Jahren ist uns als Menschheit bekannt, dass unsere Art des Lebens die Ressourcen der Welt überproportional verbrauchen. Seit einigen Monaten wird in Deutsch-land insbesondere von jungen Menschen dafür demonstriert, dass aus dieser Erkenntnis Taten folgen. Die sensiblen Ökosysteme werden durch CO2-Emissionen, Plastikproduktion und Oberflächenversiegelungen aus ihrem Gleichgewicht gebracht. Die Folgen werden auch in unserem Bistum, dem im übrigen tiefstgelegensten aller deutschen Diözesen, zu spüren sein: sei es durch den Meeresspiegelanstieg oder durch extremere Wetterereignisse wie Dürre und Starkregen. Unsere Lebensgrundlagen werden hier massiv in Frage gestellt.

    Als Christen bewegt uns hier nicht nur der Eigenwert der Schöpfung Gottes, für die wir Verantwortung übertragen bekommen haben, sondern auch die Konsequenzen des Klimawandels für die ärmsten Schwestern und Brüder weltweit. So schreibt auch Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato Si: „Besonderen Dank verdienen die, welche mit Nachdruck darum ringen, die dramatischen Folgen der Umweltzerstörung im Leben der Ärmsten der Welt zu lösen.“ (S. 16) Er vergleicht weiterhin die Welt mit einem gemeinsamen Haus, das wir gemein-sam aufbauen und schützen müssen. (S. 15) Das Haus zu schützen kann nur dann gelingen, wenn wir unsere Art des Lebens und Wirtschaftens ändern. Nicht das materielle Wachstum ist für uns entscheidend, sondern ein Wachstum an Gemeinschaft, Barmherzigkeit mit den Armen und so ein Wachstum in der Liebe Gottes.

    Wir werden daher konkrete Maßnahmen entwickeln, um ressourcenschonender zu leben. Die-se dürfen aber keine Feigenblätter sein, die nur symbolhaft wirken, sondern sie müssen aus einer Grundhaltung erwachsen, die die Bewahrung der Schöpfung zu einem Kernanliegen macht. Umweltpapier oder Ökostrom sind dabei gute erste Schritte, aber gewiss nicht alles.



    Jugendliche



    Zum Kern der christlichen Botschaft gehört die Wertschätzung jedes einzelnen Menschen. So werden wir uns stärker ausrichten nach denen, die bisher zu wenig Raum in unserem Denken einnehmen. Junge Menschen zeichnen sich durch besonderen Mut und frische Ideen aus, sie haben einen anderen Zugang zu der Welt und Gott wie Menschen meines Alters. Sie nicht nur als Adressaten unseres Handelns zu verstehen, sondern als elementaren Teil unserer Gemein-schaft, ist mir ein besonderes Anliegen. Es gibt keine Verkündigung des Evangeliums ohne Einbeziehung der Adressaten. Das, worum es in der Verkündigung geht, ist in ihnen längst lebendig. Die Jugendarbeit zusammen mit der Sakramentenkatechese und einer breiten Berufungspastoral verdienen breiteren Einsatz und sind in allen Pfarreien unverzichtbar.



    Medien



    Zwar nicht nur auf junge Menschen beschränkt, rückt hier auch das Thema Medien in den Vordergrund. Diese müssen wir noch stärker als Wege der Kommunikation der Botschaft Jesu verstehen. Denn mit der zunehmenden Mobilität und Verflüssigung der Gesellschaft geht auch ein verändertes Glaubensleben der Menschen einher. Die Räume der Begegnung verändern sich, Gemeinschaften werden z. B. auch in digitalen Medien kultiviert. Die Aufmerksamkeit für neue Medien muss sich auch in der Energie zeigen, die wir dort investieren.



    Geschlechtergerechtigkeit



    Trotz Fortschritten in den letzten Jahren gibt es weiterhin viel Arbeit im Bereich der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Auch hier wünsche ich mir eine Kultur, in der die Gleichheit aller Menschen vor Gott sich auch im kirchlichen Handeln und Denken ausdrückt. Das gilt insbesondere für die Besetzung von Leitungsstellen. Grundsätzlich steht hier unsere Haltung im gegenseitigen Umgang im Mittelpunkt.



    Solidarität



    Zuletzt möchte ich, was unsere Kultur betrifft, noch den Blick auf die Armen in unserer Gesell-schaft werfen, der allzu oft verloren geht. Im Pastoralen Orientierungsrahmen wird bei den missionarischen Ausrichtungen von einer aufsuchenden Bewegung gesprochen: Wir gehen zu den Menschen, die am Rand stehen und die es schwer haben. Gemeint ist damit vor allem die Solidarität mit den Armen. Ich wünsche mir daher auch eine Kultur der Bescheidenheit und Demut. Christ zu sein, ist v.a. eine Frage des Stils, des Lebensstils, in dem sich unser Glaube artikuliert. Christen stehen für Solidarität und bemühen sich um den Zusammenhalt der Gesellschaft. Über das Fragment hinaus suchen sie stets nach dem Ganzen. Christen denken über die Welt hinaus auf Gott. Wir glauben an den offenen Himmel!



    Weiterarbeit



    Mein Wunsch ist nun, dass unsere Überlegungen zur Zukunft unserer Erzdiözese in die Tat umgesetzt werden. Ich übergebe die weitere Ausarbeitung an unseren Generalvikar. In seiner Verantwortung wird es liegen, die entsprechenden Abteilungen unseres Generalvikariates oder andere Gruppen zu beauftragen und ab jetzt regelmäßig konkrete Arbeitsergebnisse den dafür verantwortlichen Gremien unserer Diözese vorzulegen. Ich denke hierbei vor allem an den Diözesanpastoralrat, den Wirtschaftsrat, den Priesterrat sowie das Konsultorenkollegium.



    Mir ist es ein großes Bedürfnis, heute allen dankzusagen, die sich in den vergangenen Jahren immer und immer wieder eingebracht haben mit ihren Ideen, Gedanken und Fragestellungen und nicht zuletzt auch mit ihrer Zeit und Kraft. Danke für Ihr Engagement für unsere gesamte Erzdiözese! Danke auch noch einmal dem 11er Kreis, der mir seinen Ratschlag gegeben hat im Sinne der geistlichen Unterscheidung.

    Die Projektphase des Erneuerungsprozesses ist abgeschlossen. Die Umsetzungsphase beginnt. Jetzt haben wir Leitlinien, die im Regelbetrieb und in den bestehenden Gremien unserer Diözese weiterbearbeitet und umgesetzt werden sollen. Dafür Gottes reichen Segen!

  • Predigt an Allerheiligen / St. Marien-Dom / Hamburg / 01. 11. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern und Brüder,



    unsere Lesung aus der Geheimen Offenbarung, dem letzten Buch der Bibel, lässt uns am heutigen Allerheiligenfest einen Blick in den Himmel tun, gleichsam einem Blick in die Gemeinschaft der Heiligen hinein. Es ist in der Lesung die Rede von einhundertvierundvierzigtausend, die vor dem Throne Gottes stehen. Das ist natürlich eine symbolische Zahl. Zwölf mal zwölf mal zehn mal zehn macht einhundertvierundvierzigtausend. Zwölf ist die Symbolzahl für das erwählte Gottesvolk und zehn steht für seine Vollständigkeit. Es geht um eine unzählbare Gruppe, wie es dann auch später im Text heißt. Eine unzählbare Schar von Heiligen steht vor Gott.



    Das, was alle diese miteinander verbindet, ist ein gemeinsames Zeichen. Es ist ein Siegel, das sie tragen. Von vier Engeln ist die Rede und schließlich von einem fünften, der kommt und diese unzählbare Gruppe mit dem Siegel des lebendigen Gottes versieht.

    Das Siegel ist zunächst ein Zeichen des Schutzes. Wer dieses Siegel trägt, dem passiert nichts, der ist gerettet, der ist beschützt und sicher.



    Darüber hinaus ist das Siegel ein Zeichen der Zugehörigkeit. Es ist fast wie mit einem Brandzeichen, das ein Tier trägt und bei dem man dann weiß, wer der Besitzer ist. Wer das Siegel des lebendigen Gottes trägt, der gehört nicht mehr sich selbst, sondern der ist Gott zugehörig, der gehört ganz Gott.

    Und schließlich: Dieses Siegel ist nicht nur ein oberflächliches und äußeres Zeichen, sondern es dringt in uns ein. Es dringst in die Heiligen ein. Es hinterlässt Spuren. Es vermittelt sozusagen die Nähe und die Kraft des lebendigen Gottes. Er bleibt uns nicht äußerlich, sondern er wird innerlich. Die Kraft Gottes geht in diese Schar der Heiligen hinein und gibt ihnen alles, was sie benötigen.



    Liebe Schwestern und Brüder, die Heiligen sind solch gesiegelte Menschen. Sie gehören zu Gott, sie sind bei ihm sicher und sie leben aus seiner Kraft.



    Das gilt auch für uns, die wir getauft sind. Der Heilige Paulus sagt einmal, dass jeder, der getauft ist, das Siegel des Heiligen Geistes trägt. Wer also getauft ist, der steht unter Gottes Schutz. Wer getauft ist, der gehört längst nicht mehr sich selbst, sondern Gott. Und wer getauft ist, der lebt aus der Kraft Gottes.

    Vielleicht müssen wir dieses Siegel öffnen. Vielleicht kann auch ein weiteres Zeichen uns die Dimension dieser Besiegelung deutlich machen. Ich vergleiche es immer gerne mit einem Wasserzeichen, das auf einem wertvollen Papier zu sehen ist oder bei unseren Geldscheinen. Das Wasserzeichen ist Symbol für die Echtheit des Geldes und für das gute Papier. Man muss sozusagen das Papier und Geld gegen das Licht halten, um das Wasserzeichen zu erkennen. Vielleicht müssen auch wir uns immer wieder gegen das Licht Gottes halten, um zu erkennen, dass wir sein Siegel in uns tragen und dass wir dadurch geschützt, auserwählt und für ihn geschaffen sind. Und wenn wir Heilige werden wollen, dann gilt es aus der Kraft dieser Besiegelung Tag für Tag zu leben.
  • Predigt im ökumenischen Gottesdienst am Tag der Deutschen Einheit / St. Nikolai, Kiel / 03. 10. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern und Brüder,



    die Spuren des Christentums hier oben im Norden gehen bis in das 9. Jahrhundert zurück. Dennoch sind unsere beiden Kirchen die Evangelische wie die Katholische von ihrer Struktur her noch recht jung. Die evangelisch lutherische Nordkirche wurde 2012 gegründet, das katholische Erzbistum Hamburg feiert nächstes Jahr seinen 25. Geburtstag. Recht besehen sind die Nordkirche und das Erzbistum Früchte der Deutschen Einheit. Mit dem Wegfall der innerdeutschen Grenze war die Frage aufgerufen, wie geht es strukturell hier oben mit der Kirche weiter.



    Wir sind nicht nur junge Kirchen, sondern wir sind fast auf dem gleichen Territorium. Nordkirche und Erzbistum sind fast deckungsgleich. Das bringt es für mich als katholischen Bischof mit sich, dass ich sehr viel unterwegs bin und dabei immer wieder zwischen den verschiedenen Regionen unserer Erzdiözese hin- und herreisen muss. Unser Erzbistum umfasst fast drei Bundesländer. Hamburg, Schleswig-Holstein und den mecklenburgischen Teil von Mecklenburg-Vorpommern. Es ist eine der wenigen Diözesen in Deutschland mit einem großen Teil im Westen und einem sehr großen Teil im Osten.



    Wenn ich über die A 24 fahre, komme ich stets neu an einem Schild vorbei, das für mich von großer Bedeutung ist. An der ehemaligen Grenzübergangsstelle zwischen Ost- und Westdeutschland wird an einer touristischen Informationstafel mit einem eindrücklichen Piktogramm und der Aufschrift „Ehemalige innerdeutsche Grenze 1945-1990“ an die über vierzigjährige Teilung Deutschlands erinnert und hingewiesen. Wenn ich daran vorbeifahre, kommen in mir Erinnerungen hoch. Ich denke zurück an meine eigene Zeit als Schüler und Student und an einige Reisen in den Osten Deutschlands und in den Osten Europas. Ich denke an die Transitstrecke, an die Grenzkontrollen und an vieles Trennende mehr.



    Heute am Tag der Deutschen Einheit kommt mir dieses Schild auch wieder vor Augen. Die freie Fahrt zwischen den einzelnen Bundesländern ist heute erfreulicherweise so selbstverständlich, über vierzig Jahre lang war diese Fahrt aber nur unter vielen Schwierigkeiten möglich und viele Menschen verloren beim Versuch, diese Trennung zu überwinden, ihr Leben. Ich bin dankbar, dass wir einen solchen Feiertag begehen können, Anfang Oktober in unmittelbarer Nähe zu Erntedank. Beides sind große Dankestage. Ich erinnere mich an das, was mir in meinem Leben geschenkt worden ist. Ich denke an so wunderbare Gaben wie Einheit und Frieden. Ich denke aber auch an die Herrlichkeit der Natur und der ganzen Schöpfung. Ich schmecke die Früchte und ich höre das Zwitschern der Vögel. Ich sehe voller Bewunderung das Schaffen des Menschen und seine Errungenschaften. Ich gebe all dem in meinem Herzen Raum. Mein Herz wird wie ein großer Resonanzraum und lässt all das widerhallen.



    Ich kann am heutigen Tag für all das Danke sagen. Ich weiß, dass ich das allermeiste nicht mir selbst zu verdanken habe, sondern anderen, und als Christ einem, der alles zusammenhält.



    Ich schaue in Demut und Bescheidenheit auf all das, weil ich weiß, dass es noch nicht fertig ist, dass die Vollendung noch aussteht und dass noch viel geschehen muss. Als der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn gefragt wurde, was nach dem Zusammenbruch des Kommunismus käme, antwortete er: „Eine sehr, sehr lange Zeit der Heilung.“ Ja, ich glaube, sie ist im vollen Gange, diese Zeit der Heilung, des Wachsens, des Reifens, der Erneuerung.
  • Predigt in der Eucharistiefeier zur Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz / Fulda / 26. 09. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort



    Evangelium: Lukas 9,7–9



    Liebe Schwestern und Brüder,



    Herodes, genauer gesagt Herodes Antipas, also nicht der König Herodes, war Tetrarch von Galiläa und damit der Landesherr Jesu. Er hatte dieses Amt über eine sehr lange Zeit inne, von 4 vor Christus bis 39 nach Christus. Dieser Herodes war eine schillernde Persönlichkeit. Das merken wir auch am heutigen Evangelium. Er tritt uns vor Augen als jemand, der neugierig ist, aufgeschlossen, der Jesus bewusst sehen will, der ihn kennenlernen möchte und der sich fragt: Wer ist denn dieser Jesus?

    Viele Jahre später, beim Prozess gegen Jesus, tritt Herodes wieder auf den Plan. Auch da gibt es diese Interessiertheit. Herodes stellt viele Fragen. Insgeheim hofft er, Wunder zu erleben, Zeichen, irgendetwas Staunenswertes. Und dann kippt die Neugier des Herodes um in Spott und Hohn. Schließlich lässt er Jesus den Mantel umlegen, in dem er nur noch verhöhnt wird.



    Liebe Schwestern und Brüder, Herodes stellt uns einiges vor Augen. Ein Erstes: Er will Jesus sehen. Aber was oder wen will er sehen? Geht es ihm um die äußere Gestalt oder geht es ihm um diese Zeichen, um Aufsehenerregendes, um etwas Spektakuläres? Wenn ich Jesus sehen möchte und ich glaube, dieser Wunsch steckt auch in uns drin, will ich dann jemanden sehen oder will ich eher etwas sehen? Will ich eine Person sehen oder etwas von und an ihr? Ein Zweites: Einen Menschen, eine Person sehen zu wollen, kann nie bedeuten, ein Objekt in den Blick zu nehmen. Deswegen lernt man einen Menschen auch nicht kennen, wenn man ihn noch so genau von außen anschaut. Es braucht ein inneres Sehen. Es braucht ein inneres Verhältnis zu einem Menschen, um ihn zu erkennen, um sein Persongeheimnis ein wenig zu lüften.



    Deswegen nützt es gar nichts, Jesus von außen zu sehen, seine Gestalt, seine Größe, seine Haare, seine Hände und vieles andere mehr. Um Jesus wirklich kennenzulernen, kann es nur eines geben: ihn zu begleiten, mit ihm zu gehen, sich mit ihm auf den Weg zu machen.

    Als die Jünger Jesus kennenlernen wollen und herausfinden wollen, wo er lebt, wo er wohnt, da gibt er ihnen nur die Antwort: Kommt und seht. Das heißt: Kommt, geht mit und dann werdet ihr etwas sehen. Deswegen besteht Jüngerschaft im Mitgehen und es ist aufschlussreich, dass das Lukasevangelium wie ein Reisebericht verfasst ist, wie eine Weggeschichte. Jesus ist auf dem Weg und andere schließen sich diesem Weg an und darauf erkennen sie ihn.

    Herodes kommt mir vor wie ein Mann, der an den Start, geht aber diesen Weg nie beginnt. Wie jemand, der an der Startposition verharrt und nie aufbricht.



    Liebe Schwestern und Brüder, der hl. Gregor von Nyssa predigt einmal über Mose und bringt darin einen wichtigen Gedanken auf den Punkt: „Gott nachfolgen, wohin er auch führt, ist: Gott sehen.“ Und wenn wir das vom Alten Testament auf das Neue übertragen, dann müssen wir sagen: Christus nachfolgen, das heißt, Christus sehen.

    Vielleicht noch einen Gedanken dieses Heiligen, den er in diesem Zusammenhang äußert. Wer nachfolgt, schaut auf den Rücken dessen, dem er nachfolgt – vielleicht nicht immer, aber auch. Für mich heißt das: Unser Sehen bleibt immer auch unscharf, begrenzt, bruchstückhaft, unabgeschlossen. Es fordert sozusagen auf, immer noch einmal genauer hinzuschauen und tiefer zu sehen. Nachfolge geschieht in diesem Wechselspiel zwischen Sehen und Nichtsehen. Zwischen Sehen und immer noch tiefer sehen wollen.



    Liebe Schwestern und Brüder, ich habe die Hoffnung, dass wir uns auf diesen Weg machen. Jesus tiefer zu sehen, dass wir darin wieder neu und stärker aufbrechen, ganz im Gegensatz zu Herodes. Ich bin der Überzeugung, je tiefer wir uns in Jesus Christus einsehen, umso transparenter können wir Jesus sichtbar und berührbar machen in dieser unserer Zeit. Meine Hoffnung ist nicht, dass zu allererst die Kirche ansehnlicher dasteht: Meine Hoffnung ist, dass wir uns in Christus einsehen und wir ihn ein wenig mehr aufscheinen lassen können und sichtbarer machen können in dieser Welt für die Herodes-Typen unserer Tage.
  • Statement von Erzbischof Dr. Stefan Heße / Hamburg / 11. 06. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort



    Wo steht das Erzbistum Hamburg in seinem Erneuerungsprozess?



    Sehr geehrte Damen und Herren,



    ich bedanke mich sehr, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind und wir Ihnen heute - wenige Wochen vor der Sommerpause - einen Einblick geben können, wo das Erzbistum Hamburg in seinem doch sehr umfangreichen Erneuerungsprozess steht.



    Mit einer Auftaktveranstaltung am 12. November 2016 hier nebenan im St. Marien-Dom haben wir unseren Erneuerungsprozess begonnen. Es ging und geht dabei um zwei Fragen: Wie wollen wir in Zukunft unsere Sendung, unseren Auftrag als katholische Kirche im Norden erfüllen? Bei dieser Frage geht es um Inhalte. Und zweitens: Wie können wir diesen Auftrag mit den wirtschaftlichen Mitteln erfüllen, die uns zur Verfügung stehen? Hier geht es um Geld.



    Sie alle haben wahrscheinlich die Prognose zur Entwicklung der Kirchenmitglieder zur Kenntnis genommen, die die Freiburger Universität vor einigen Wochen vorgelegt hat. Für das Erzbistum Hamburg prognostiziert die Studie einen Rückgang der Kirchenmitglieder um 40 Prozent bis zum Jahr 2060. Das bedeutet auch einen Rückgang der Kirchensteuermittel. Diese Beiträge unserer Mitglieder sind und bleiben unsere wesentliche Einnahmequelle. Aber wir werden künftig zum einen auch auf andere Quellen angewiesen sein. Und zum anderen müssen wir unseren schmerzhaften Sanierungskurs fortsetzen. Dazu später von Herrn von Waldenfels mehr.



    Der Erneuerungsprozess des Erzbistums Hamburg ist heute nicht abgeschlossen. Aber nach gut zweieinhalb Jahren ist es möglich, eine Zwischenbilanz zu ziehen und zu skizzieren, wie es weitergeht.



    In mehreren Bistumstagen und in vielen, vielen kleineren Gruppen haben sich mehrere hundert haupt- und ehrenamtlich engagierte Menschen an der inhaltlichen Diskussion beteiligt. Das erste Ergebnis dieser Beratungen ist der Pastorale Orientierungsrahmen, den ich Anfang Februar 2018 veröffentlicht habe. Dort sind Impulse festgehalten, wie wir in Zukunft Kirche sein wollen.



    An diesen Impulsen ist dann wieder in zahlreichen Gruppen weitergearbeitet worden. Das Ergebnis sind sogenannte pastorale Indikatoren, die Ihnen hier auch vorliegen. Ich habe eine Gruppe von elf Menschen aus unserem Erzbistum berufen, die mit mir in diesen Wochen in Form einer „geistlichen Unterscheidung“ die Ausgabenfelder im Erzbistum mit den Indikatoren vergleicht und in der zweiten Jahreshälfte zu einer Gewichtung kommt: Welcher Ausgabenbereich erhält wie viel Prozent der Haushaltsgelder? Diese Weichenstellung wird dann schrittweise bis 2030 in der Haushaltsplanung des Erzbistums umgesetzt.



    Parallel zu diesem grundsätzlichen Prozess sind in den vergangenen Jahren auch Einzelprojekte verfolgt worden:



    - Im Projekt Caritas ist aus den vier rechtlich eigenständigen Caritasverbänden in Hamburg, Mecklenburg, Schleswig-Holstein und auf Bistumsebene ein einziger Caritasverband errichtet worden. Die bis dahin sehr kleinteilige Struktur ist dadurch aufgelöst worden. Aufgaben können jetzt besser verteilt und viele Dienste besser unterstützt werden. Es ist also eine Strukturveränderung, die die Wirksamkeit der Caritasarbeit hier im Norden erhöht.



    - Für den Bereich der Kindertagesstätten bieten wir den Pfarreien, die Träger einer Kita sind, an, die Betreiberschaft für ihre Kita zu übernehmen. Dies soll die Pfarrei vor Ort entlasten. Das heißt: Die Pfarrei bleibt Träger der Kita, das Erzbistum übernimmt die personellen, wirtschaftlichen und operationellen Entscheidungen. Bis heute hat die Hälfte der 58 Kitas in Trägerschaft von Pfarreien dieses Angebot angenommen. Inhaltlich haben wir darüber hinaus zum ersten Mal ein Rahmenleitbild für unsere Kindertagesstätten erarbeitet.



    Sehr stark beschäftigen wir uns seit über anderthalb Jahren – vor allem in der Stadt Hamburg – mit dem Thema Schulen. Sie alle kennen die Diskussion. Ich möchte kurz darauf eingehen, weil sich am Schulbereich Fragen ablesen lassen, die uns auch in anderen Bereichen des Erzbistums jetzt schon beschäftigen und auch noch beschäftigen werden.



    Wir haben uns im Januar 2018 schweren Herzens vor dem Hintergrund unserer finanziellen Situation dazu entscheiden müssen, in Zukunft nicht alle 21 Schulen hier in Hamburg weiterzuführen. 13 Schulen werden wir weiterführen und profiliert weiterentwickeln. Dafür werden wir in den kommenden Jahren mehr als 100 Millionen Euro investieren. Den detaillierten Bau- und Sanierungsplanungen ist ein partizipativer Prozess vorgelagert, der die verschiedenen Bezugsgruppen an den jeweiligen Standorten einbindet. Das sind neben den Lehrern, Schülern und Eltern auch die Vertreter der Pfarreien. Sieben Standortteams sind bereits an der Arbeit.



    Sechs Schulen werden auslaufen. Das war eine sehr schwere und schmerzhafte Entscheidung. Ich muss sagen, dass wir dabei die Aufgabe der Partizipation, der Beteiligung der Betroffenen, nicht sehr gut bewältigt haben. Es ist auf der anderen Seite auch eine völlig neue Situation, vor der das Erzbistum steht: Zum ersten Mal in seiner Geschichte wächst es nicht, sondern muss schrumpfen.



    Für zwei weitere Schulen – in Barmbek und in Harburg – bemühen wir uns weiter um Menschen, die uns finanziell helfen, diese Schulen weiterzuführen und zukunftsfähig aufzustellen. Als Erzbistum können wir das aus unserem Etat nicht mehr leisten. Deswegen führen wir Gespräche mit potentiellen externen Kooperationspartnern. Und die ersten Gespräche zumindest für eine der beiden Schulen sind vielversprechend.



    Ich freue mich, dass es auch vor Ort Initiativen gibt, die mithelfen wollen, Geld für die Weiterführung ihrer Schulen zu sammeln. Das ist ein erstes Beispiel für professionelles Fundraising, das wir künftig stärker bei uns etablieren wollen. Denn wie schon erwähnt: Die Kirchensteuereinnahmen werden unsere wichtigste Finanzierungsquelle bleiben. Aber sie allein werden nicht ausreichen. Wir werden auch professionell zumindest für konkrete Projekte - wie jetzt die Fortführung der beiden Schulen - Spenden einsammeln müssen. Sie werden in den nächsten Tagen die öffentlichen Spendenaufrufe in der Stadt sehen. Ich werde beide Schulen besuchen und bei dieser Kampagne unterstützen.



    Wie ich schon sagte, haben wir bei der Sanierung des Schulbereichs nicht immer alles richtig gemacht - aber dadurch auch sehr viel gelernt. Daher wollen wir zum Beispiel bei der Immobilienreform noch stärker auf Beteiligung setzen. Insgesamt ist das Thema eine ebenso große - wenn nicht größere Herausforderung wie der Schulbereich: Wir müssen unseren Immobilienbestand reduzieren.



    Um Ihnen zu zeigen, dass wir in puncto Beteiligung gelernt haben, möchte ich dies für den Immobilienbereich etwas detaillierter darstellen.



    Zur Strukturierung und Bewältigung dieser großen Herausforderung haben wir eine Steuerungskommission als zentrales Gremium eingesetzt. Sie besteht aus 12 Personen und ist paritätisch mit Mitgliedern der Pfarreien (ein Pfarrer und ein ehrenamtlich engagierter Mensch aus jedem Bistumsteil) sowie sechs Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus unserer Verwaltung besetzt.



    In den kommenden Tagen finden in Hamburg, Mecklenburg und Schleswig-Holstein Regionalveranstaltungen statt. Sie sollen die breitere Beteiligung der Pfarreien an diesem Reformprozess sicherstellen. Auf den Veranstaltungen werden die von der Steuerungskommission entwickelten Verfahrensschritte und Handlungsoptionen vorgestellt und Feedback im Rahmen der Regionalveranstaltungen sowie im Nachgang in den Pfarreien eingeholt. Die Rückmeldungen aus den Pfarreien sollen in die Gesamtempfehlung der Steuerungskommission einfließen, die dem Generalvikar und mir vorgelegt wird.



    Angesichts der wirtschaftlichen Schieflage haben wir immer gesagt: Alle Bereiche des Erzbistums stehen auf dem Prüfstand. Es wäre vor diesem Hintergrund unredlich, einen Bereich oder eine Option von einer solchen Überprüfung auszuklammern. Wir prüfen allerdings sehr genau, was verantwortbar ist. Dieser intensive Prozess läuft seit geraumer Zeit und ist noch nicht abgeschlossen.



    Neben den Schulen und dem Immobilienbestand nehmen wir auch unsere Krankenhäuser in den Blick.



    Dies soll von mir als Überblick über unsere Situation zunächst reichen.
  • Osterpredigt 2019 / St. Marien-Dom Hamburg / 21. 04. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern und Brüder,



    die Kathedrale Notre-Dame in Paris stand Anfang der Woche in Flammen. Nicht nur für die Bewohnerinnen und Bewohner von Paris und die Franzosen überhaupt, sondern auch für uns ein schrecklicher Anblick, der einem förmlich die Sprache verschlägt. Dieses alte, würdige, harmonische, wohlproportionierte, künstlerisch höchst wertvolle und wunderbare Gotteshaus brennt. Luftbilder der Kathedrale zeigen den brennenden Dachstuhl – von oben wie ein Kreuz, das in Flammen steht. Einfach schrecklich!



    Liebe Schwestern und Brüder, vor vierzig Tagen haben wir die Fastenzeit begonnen – nicht mit einem Feuer, sondern mit Asche. Der erste Tag der Fastenzeit ist der Aschermittwoch. Seit den ersten Jahrhunderten der Christenheit gibt es den Ritus, sich Asche auf das Haupt streuen zu lassen oder ein Aschenkreuz auf der Stirn zu tragen. Wir haben die Fastenzeit begonnen mit dem Zeichen der Vergänglichkeit. Alles geht dahin, alles wird einmal vergangen sein und zerbröselt wie feiner Staub, wie Asche.



    Aber die Fastenzeit will uns nicht einfach nur auf die Vergänglichkeit stoßen. Sie fragt uns auch etwas: Liegt unter dieser Asche Glut oder ist wirklich alles nur noch Asche? Auch in Notre-Dame waren es manche Glutnester, die die Feuerwehrleute in Atem hielten. Ein Glutnest, das unter der Asche ist, kann eine Brandstelle wieder zum Brennen bringen. Sind wir als Kirche nur noch Asche? Bin ich als Christ wirklich nur Asche? Oder gibt es da die Glut, gibt es da etwas, was zum Brennen bringt?



    Liebe Schwestern und Brüder, heute ist die Fastenzeit zu Ende und Ostern beginnt. Ostern beginnt nicht mit einem Ascheritus, sondern mit einem Feuer. Das Osterfeuer macht mitten in der Nacht, mitten im Dunkeln alles hell. Nach dem furchtbaren Brand in Paris wird mir in diesem Jahr deutlich, das Osterfeuer ist nicht harmlos. Feuer ist nie harm- oder gefahrlos. Feuer hat es in sich. Es trägt eine große Kraft in sich.

    Und das Osterfeuer wird für mich in diesem Jahr zu einem ganz wichtigen Symbol. Einerseits verbrennt etwas, das Holz, und andererseits erstrahlt ein helles, ein loderndes, ein warmes Feuer, das uns Licht gibt. Größer können die Gegensätze nicht sein. Da vergeht etwas und da wird etwas eröffnet. Da verbrennt etwas und da wird Licht gespendet. Das Osterfeuer ist ein Symbol für Christus, der stirbt und im Tod aufersteht. Beides liegt ineinander. Der Tod wird zum Leben. Andersherum gilt, ein Holzhaufen, der nicht verbrennt sondern verrottet, ist schon tot. Die Schweizer Benediktinerin Silja Walter hat diesen Zusammenfall von Sterben und Leben in einem ihrer Gedichte auf wunderbare Weise ins Wort gebracht. In einem einzigen Satz fasst sie es zusammen: „Ich sterb mich lebendig.“



    Liebe Schwestern und Brüder, beim Osterfeuer geht es nicht nur um ein mehr oder minder großes Feuer vor unseren Kirchtüren. Das Osterfeuer will in uns brennen, in jedem von uns. Die bei-den Jünger, die dem Auferstandenen am Ostermontag auf ihrem Weg nach Emmaus begegnen, die spüren etwas davon. Er unterhält sich mit ihnen. Jesus erklärt ihnen alle möglichen Zusammenhänge und schließt ihnen die Bibel auf. Und während er das tut, haben sie ein warmes, wohliges Gefühl. Sie sagen von sich: Brannte uns nicht das Herz? Das ist das Osterfeuer in mir, das brennende Herz, das von Gott entflammt ist. Deswegen ist Christus auf die Erde gekommen, um Feuer zu legen, um Menschen zu entflammen, um sie zu entzünden. Und er sagt: Wie froh wäre ich, es würde brennen!



    Schwestern und Brüder, ich wünsche Ihnen dieses österlich brennende Herz der Emmausjünger. Ich wünsche Ihnen, dass Sie unter der Asche des alltäglichen Lebens dieses Osterfeuer neu finden und entfachen können. Manchmal ist es schwierig, dieses Feuer in seiner ganzen Kraft zum Brennen zu bringen und zu erhalten. Aber in der knisternden Begegnung mit dem Auferstandenen dürfen wir immer neue Erfahrungen im Glauben machen. Es ist kein Zufall, dass am Ende der Osterzeit, an Pfingsten Feuerzungen auf die Jünger herabkamen.



    Ostern will in uns die Flamme des Glaubens lichterloh zum Brennen bringen. Ostern will, dass wir dieses Feuer nicht für uns behalten, sondern dass wir es weitergeben und andere damit anstecken. „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst“, soll der heilige Augustinus es ausgedrückt haben. Wir haben das am Anfang dieser Osternacht alle erlebt. Die kleine Flamme der Osterkerze hat durch die Weitergabe der Flamme des Osterfeuers den ganzen Kirchraum ausgefüllt. „Wenn auch ihr Licht sich in die Runde verteilt hat, so verlor es doch nichts von der Kraft seines Glanzes.“



    Lassen Sie uns gemeinsam brennen! Frohe Ostern!

  • Worte des Erzbischofs beim Statio des Lübecker Kreuzwegs / Lübecker Kreuzweg / 19. 04. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort!





    „Dann flochten sie einen Kranz aus Dornen. … Heil dir, König der Juden!“, verspotten sie ihn. Diese Szene erinnert mich an einen sehr eindrücklichen Moment in der Kathedrale Notre-Dame de Paris. Als am Montagabend die Nachricht von der brennenden Kathedrale kam, musste ich unweigerlich an die Dornenkrone Jesu denken. Denn die Dornenkrone wird in Notre-Dame aufbewahrt und verehrt. Vor Jahren habe ich an einem Gottesdienst teilgenommen, bei dem sich die Beter nacheinander unter diese Dornenkrone stellen konnten. Auch wenn es nur ein kurzer Augenblick war, ist er hängen geblieben. Natürlich habe ich keine Folter und Kreuzigung erlebt. Aber in diesem Moment unter der Dornenkrone fühlte ich mich dem Gekreuzigten sehr nah.



    „Was die Welt zusammenhält.“ Auch bei diesem Leitwort des heutigen Kreuzweges denke ich an Notre-Dame. Die Nachricht von der brennenden Kathedrale hat viele Menschen bewegt und ein Gefühl der Verbundenheit erzeugt – nicht nur bei Katholiken und nicht nur bei Franzosen, sondern Menschen weit über Konfessions- und Landesgrenzen hinaus. [Die evangelischen Hauptkirchen in Hamburg haben Trauer geläutet…] Es ist nicht das gemütliche Lagerfeuer, das die Menschen verbunden hat, sondern die katastrophal zerstörende Wirkung des Feuers. Natürlich ist dieses gemeinsame Schweigen und Gedenken nur eine Momentaufnahme. Der Alltag stellt sich sehr schnell wieder ein. Aber für mich ist es ein Hinweis darauf, was die Welt zusammenhält. Es ist die Fähigkeit des Menschen zu lieben und mitzufühlen. Was die Welt demgegenüber zerreißt, sind Hass und Gleichgültigkeit. „Ans Kreuz mit ihm!“



    Die Liebe hält die Welt zusammen. Die Liebe ist die Energie des Universums, wie der Jesuit und Geologe Teilhard de Chardin schreibt. Die Liebe hält alles zusammen, ja selbst die Elementarteilchen hätten schon eine Neigung zur Vereinigung. Und diese Liebe ist im Letzen nichts anderes als Christus selber. „Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen.“ (Kol 1,16) Christus ist die Liebe, aus der alles kommt und auf die hin alles strebt. Er ist die Liebe, die alles zusammenhält. Das verdichtet sich am Karfreitag noch einmal sehr stark. Dem Hass und der Verurteilung begegnet er mit Annahme und Hingabe. Den Menschen, der von Gott wegrennt in den Tod, holt er zurück ins Leben.

    Bei dem Feuer in Notre-Dame ist die Dornenkrone Christi gerettet worden. Sie ist ein Symbol für die sich hingebende Liebe, die die Welt zusammenhält und erlöst. Wenn wir auch an diesem Karfreitag wieder unter dem Kreuz stehen, stehen wir auch unter der Dornenkrone. Sie lädt uns ein, der verbindenden Liebe zu folgen, mit bedingungsloser Liebe die Welt zu verändern.

  • Predigt zum Gründonnerstag / St. Marien Dom Hamburg / 18. 04. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort!



    (Ex 12,1-8.11-14; 1Kor 11,23-26; Joh 13,1-15)



    Liebe Schwestern und Brüder,



    wenn wir schon mal etwas vergessen, dann ist uns das oft peinlich. Schwieriger wird es, wenn wir dauernd etwas vergessen. Dann steht irgendwann ein Besuch beim Arzt an. Ganz bedrohlich ist es, wenn ein Mensch überhaupt sein Gedächtnis verliert. Alle haben wir Angst vor der Krankheit namens Demenz, weil sie offenbar mit dem Gedächtnisverlust einhergeht.



    Gedächtnisverlust ist nicht nur eine Krankheit. Es gab Zeiten, da haben Machthaber bewusst die Erinnerung an vergangene Generationen ausgemerzt. Bei den Römern war es eine schändliche Strafe, wenn die Erinnerungen an Personen beseitigt wurden: Damnatio memoriae – Verdammung des Andenkens. Einige Diktaturen haben das weitergeführt.



    Ohne Gedächtnis, ohne Erinnerung sind wir dem Moment ausgeliefert. Es gibt dann kein Vorher und kein Nachher mehr. Es fehlt sozusagen der Zusammenhang, der rote Faden in unserem ganzen Leben in unserer Kultur, in unserer Welt. Lernen ist nicht mehr möglich. Deswegen ist die Erinnerungskultur in unserem Leben so wichtig. Deswegen haben wir Gedenkstätten und Denkmäler. Deswegen gibt es Museen und Gedenktage, Gedenkfeiern und Jahrestage, an denen wir uns an Vergangenes erinnern.

    Die jüdische Kultur ist voll von solcher Erinnerung. Immer wieder heißt es im Alten Testament: Erinnere dich. Eben in unserer Lesung: Halte diesen Gedenktag. Oder im Psalm 103,2: „Preise den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Wie selbstverständlich reicht diese Erinnerungskultur vom Judentum in das Christentum weiter. Beim Bericht vom letzten Abendmahl baut Jesus das Erinnern zweimal ein: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“



    Für die Juden und auch für uns Christen ist dieses Sich-zurück-erinnern aber nicht einfach ein Schwelgen in der Vergangenheit. Es ist viel mehr. Es ist, als würden die Dinge jetzt passieren. In einer alten Pessach-Haggada heißt es: „Jeder, der jetzt mitfeiert, betrachte sich als einer, der jetzt aus Ägypten auszieht. Denn es heißt: Du sollst deinem Sohne an diesem Tag sagen: Darum geschieht dieses, weil Gott mir wohlgetan, als er mich aus Ägypten führte. Nicht unsere Vorfahren alleine hat der Hochgelobte Heilige erlöst, sondern er hat auch uns mit ihnen erlöst; daher heißt es: Auch uns hat er von dort weggeführt, um uns in das Land zu bringen, welches er unseren Urvätern zugeschworen hat.“ Für gläubige Juden ist der Exodus aus Ägypten nicht ein lang zurückliegendes Ereignis. Die Befreiung geschieht jetzt. Wenn sie Pessach feiern, dann ziehen sie mit ihren Vorfahren gemeinsam aus der Sklaverei hinaus in die Freiheit.



    Auch wir Christen feiern Gottesdienst in diesem Jetzt. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt über die Feier unserer Liturgie, besonders die Feier der Heiligen Messe: „Sooft das Kreuzesopfer, in dem Christus, unser Osterlamm, dahingegeben wurde, auf dem Altar gefeiert wird, vollzieht sich das Werk unserer Erlösung.“ (Lumen Gentium 3).



    Die Eucharistie ist keine Erinnerung an längst vergangene Zeiten. Sie hält nicht nur die Erinnerung an schon Geschehenes wach. Die Eucharistie macht gegenwärtig. Heute und hier geschehen Leiden, Sterben und Auferstehen Christi. Heute und Hier vollzieht sich unsere Erlösung. Deswegen werden am Gründonnerstag die Einsetzungsworte, die sogenannten Wandlungsworte, ein wenig verändert. Da heißt es dann nicht einfach: Am Abend vor seinem Leiden nahm Jesus das Brot in seine Hände, sagte Dank usw. Heute Abend schiebe ich ein: „Das ist heute.“ Es ist also nicht nur eine Erinnerung, sondern ein aktuelles Geschehen, das jetzt hier passiert.



    Liebe Schwestern und Brüder, das Gedenken geschieht hier und heute und gleichzeitig nimmt uns dieses Feiern aus dem Hier und Heute mit hinein in das Jetzt Gottes. Im Bericht über das Leiden und Sterben Jesu bittet der reumütige Schächer am Kreuz zur Rechten: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Und dann erfährt er die Antwort: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du im Paradies sein.“ Das Gedenken verbindet uns mit der Vergangenheit. Gleichzeitig löst es diese Vergangenheit in der Gegenwart als Realität ein und führt uns hinein in die unendliche Zukunft Gottes.



    So wichtig auch unser Gedenken ist, wichtiger noch ist Gottes Gedenken an uns. „Er denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat“, singt Maria und Zacharias bekennt, Gott hat „an seinen heiligen Bund gedacht“ (Lk 1,54,55,72). Über jedem von uns steht die Zusage Gottes: „Ich vergesse dich nicht.“ Deshalb brauchen wir selbst den Verlust unseres Gedächtnisses nicht zu fürchten.
  • Missa chrismatis / St. Marien-Dom Hamburg / 15. 04. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitbrüder,



    nach der Chrisamsalbung bei der Taufe oder Priesterweihe reinigt sich der Geistliche erst einmal die Hände – meist mit einem Wattebausch. Die Öle, die gleich geweiht werden, man bekommt sie nur schwer ab. Wir können das Öl nicht mal eben wegwischen. Wir kennen das auch von zu Hause. Hat man Öl an den Händen, hilft kein Abtrocknen, sondern nur Seife. Öl haftet.

    Was im Alltag manchmal lästig ist, ist bei dem Öl, das wir heute weihen, ein schönes Symbol. Es lässt sich so leicht nicht wegwischen, es will bleiben. Die heiligen Öle sind ein Zeichen gegen das Vergessen, gegen die Gewöhnung und gegen die Abnutzung.



    1. Der immerwährende Glanz der Salbung

    Wir alle sind in der Taufe mit dem Chrisamöl gesalbt worden. Auch dieses Öl ist selbstverständlich irgendwann eingezogen oder abgewaschen. Aber das Eigentliche der Taufe bleibt, die Zusage Gottes ‚Du bist mein geliebtes Kind‘. In der Taufliturgie heißt es: „Du wirst nun mit dem heiligen Chrisam gesalbt; denn du bist Glied des Volkes Gottes und gehörst für immer Christus an, der gesalbt ist zum Priester, König und Propheten in Ewigkeit.“ Diesen Glanz des Chrisams, diese Taufgnade können wir nie verlieren. Deswegen scheut sich auch der Apostel Paulus nicht, die Christen als Heilige zu bezeichnen – obwohl er nur allzu gut um ihre und auch seine eigenen unheiligen Seiten weiß. Durch die Salbung mit dem Öl sind wir alle Könige, Priester und Propheten. Nicht mehr Juden oder Christen, nicht mehr Sklaven oder Freie, nicht mehr Männer oder Frauen. Nicht mehr Herkunft, Lebensstand oder gesellschaftliche Position sind das erste, sondern unsere Würde und Einheit in Christus. Die Salbung in der Firmung bekräftigt die Taufsalbung und befähigt zu einem christlichen Leben.



    Auch am Anfang unseres priesterlichen Dienstes steht die Salbung mit dem Chrisam. Der Priester repräsentiert Christus selbst. Von Anfang an gibt es in unserer Kirche diese Christusrepräsentanz. Und es braucht sie immer und immer wieder. Nicht damit es uns Priestern besser geht, sondern um der Menschen willen. Wir dürfen den Christusdienst in der Kirche tun: allen voran die Eucharistie feiern, den Glauben verkünden und in der Diakonie des Alltags umsetzen. Es ist ein erfüllender Dienst. Und ich hoffe und bete, dass es auch in Zukunft Menschen gibt, die sich für diesen Dienst bereithalten.



    Am Anfang steht dieser Glanzpunkt, der uns geschenkt wird. Es tut gut, sich an diesen Glanzpunkt zu erinnern und ihn ab und an ein wenig aufzufrischen. Der große Geigenbauer Martin Schleske sagt: „Es ist ein subtile Form des Unglaubens, wenn man sich an das, was man glaubt, gewöhnt hat…. In der Gewöhnung ist die Seele ohne Hoffnung und der Geist ist ohne Fragen“.



    2. Das Öl der Freude

    Im Stundengebet begegnet uns regelmäßig Psalm 45, 8: „darum hat Gott, dein Gott, dich gesalbt mit dem Öl der Freude wie keinen deiner Gefährten“. Die Salbung schöpft aus der Fülle Gottes und damit aus der Fülle seiner Freude. Wir tauchen ein in diese umfassende Freude Gottes. Es ist die Freude von Ostern, aus der wir leben. Die Salbung gibt uns Anteil an dieser Freude und sie fordert uns auf, Diener der Freude zu sein, selber die frohe Botschaft weiterzusagen, das Mahl der Freude, die Eucharistie immer wieder zu feiern und das Lob der Freude immer wieder anzustimmen.



    3. Die Kraft der Salbung

    Auch in schwierigen Situationen oder auf den letzten Metern unserer irdischen Existenz bekommt das Öl in der Krankensalbung noch einmal eine Bedeutung als stärkendes Zeichen.



    Die Krankensalbung erinnert uns an die therapeutische Wirkung des Öles. Es ist Balsam für Körper und Seele und Geist, lindernd und heilsam für unsere äußeren und inneren Verletzungen. Christus ist es letztlich, der uns salbt, uns in diesen Situationen beisteht.

    Mir macht das – gerade in der Karwoche – noch einmal bewusst: Christus ist nicht Mensch geworden, weil alles in Ordnung ist auf Erden und in unserem Leben oder auch in unserer Kirche– im Gegenteil. Gerade in diesen Situationen macht das Öl deutlich, dass wir im Letzten nicht verloren sind. Der, dem wir nachfolgen, folgt uns nach. Er ist der Arzt oder Apotheker, den wir auf jeden Fall befragen sollten!



    Wenn ich an die heilsame Wirkung denke, verbinde ich das gerade in diesen Tagen auch mit der Hoffnung auf Heilung und Linderung vor allem für die Menschen, die durch die Kirche, durch gesalbte Menschen die verletzt wurden!
  • Predigt zur Diakonweihe von Szymon Nowaczyk / St. Marien-Dom zu Hamburg / 06. 04. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort!



    (Schrifttexte: 1 Kor 13, 1-13; Joh 15, 9-17)



    Liebe Schwestern und Brüder,

    lieber Weihekandidat Szymon Nowaczyk,



    wir stehen in einer sehr herausfordernden Zeit. Viele Gläubige aus unseren Gemeinden, aber auch viele Seelsorger berichten mir, dass es zurzeit nicht einfach und angenehm ist, Christ, ja Katholik, zu sein und sich als solcher zu zeigen. Gerade die vielen aufgedeckten Missbrauchsfälle in unserer Kirche, die die sogenannte MHG-Studie an den Tag gebracht hat und die ein persönliches und systemisches Versagen in unserer Kirche deutlich macht, sind Grund für diese Anspannung und Schwierigkeiten, Enttäuschungen, manchmal auch Wut und Frustration. Das kann und darf an niemandem von uns spurlos vorübergehen. Im Gegenteil: Es muss eine aufrüttelnde, eine verändernde Wirkung haben.



    In diese Situation sind Sie, lieber Szymon Nowaczyk, als Diakon hineingestellt. Es gehört zur Wirklichkeit als Diakon mitten in dieser Welt und mitten in dieser Zeit.



    In der frühen Kirche wurde der Diakon gewöhnlich als das Auge des Bischofs oder sogar Auge Gottes aufgefasst: das Auge nimmt wahr, es sieht – der Diakon verfügt über das Sehen von Menschen und Zusammenhängen. Ein Diakon mit geschlossenen Augen ist ein Widerspruch in sich. Er sollte sie immer wieder aufreißen und hinschauen auf die Sorgen und Nöte der Menschen, gerade der Armen, derer am Rand und derer ganz unten, besonders der Kleinen und derer, die man allzu leicht übersehen kann.

    Durch Menschen wie Sie wird das diakonische Profil unserer Kirche gewahrt und lebendig. Sie sehen und handeln.



    Lieber Simon Nowaczyk,

    Sie stehen nicht nur im Hier und Heute, sondern als Diakon stehen Sie auch im Jetzt Gottes. Der Diakon ist zuallererst ein Mann des Gebetes. Einer, der sich Tag für Tag Zeit nimmt und diese Gott schenkt. Einer, der seine Gegenwart für die Ewigkeit Gottes öffnet, einer, der im Jetzt Gottes stehen kann und dadurch Ruhe und Ausrichtung im Alltag findet. Ich bitte Sie, nehmen Sie dieses Versprechen, das Sie heute ablegen, ein Mann des Gebetes, ein Mann der Innerlichkeit zu werden, sehr ernst. Es geht ja darum, sich der Gegenwart Gottes bewusst zu sein und darin zu verbleiben. Das Stundengebet, aber auch die Bibelmeditation, die Zeit der Anbetung, der Rosenkranz oder welche Formen Sie auch immer finden und wählen werden, all diese Formen sind Hilfe, um in Gottes Gegenwart zu verweilen. Bleiben Sie in dieser Gegenwart, dann bleiben Sie –wie Christus uns im Evangelium bittet- in Gottes Liebe.



    Damit sind wir auch bei der Lebenswahl, die Sie heute treffen. Sie versprechen die Ehelosigkeit – um des Himmelreiches Willen, um Gottes Willen. Ihre Entscheidung, ganz in Gottes Gegenwart zu stehen und zu leben, wird in der zölibatären Lebensweise konkret. Sie gewinnt eine leibhaftige Dimension und fordert Sie ganz ein. In Zeiten, wo über den Zölibat diskutiert wird und, wo wir auch über alternative Formen nachdenken dürfen wir auch den Wert dieser Form nicht kleinreden. Hier wird deutlich, dass unser Glaube Hand und Fuß annimmt, dass unser Glaube konkret wird und dass sich dies leibhaftig bei uns, in der Lebensform, auswirkt. Der Zölibat will nicht das Einzelgängertum fördern, er will und soll nicht dazu führen, dass wir verschrobene Gestalten werden. Der Zölibat will das Leben, gerade das geistliche Leben lebendig halten, bei dem, der ihn lebt, und all denen, für die er gelebt wird.



    Und deswegen ist die Kombination so wichtig. Die zölibatäre Lebensweise hängt unmittelbar zusammen mit der geistlichen, mit Ihrem ganz konkreten Gebetsleben, mit Ihrem Stehen im Jetzt Gottes und sie hängt zusammen mit der Liebe zu den Menschen, die um Sie herum sind und mit denen Sie zusammen leben. Ich glaube auf diese Art und Weise kann man ein zufriedener, ein ausgeglichener Diakon sein.



    Lieber Szymon, ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft gerade in dieser Zeit!
  • Grußwort zur Verabschiedung von Landesbischof Dr. h.c. Gerhard Ulrich / Schwerin / 09. 03. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort





    Sehr geehrter Herr Landesbischof Ulrich, lieber Bruder in Christus,



    Sie sind älter als ich, sind größer und haben mehr Kinder. Sie fiebern beim HSV mit – mich lässt Fußball kalt.



    Seit rund vier Jahren tun wir gemeinsam – es klingt etwas technisch – „kirchenleitenden“ Dienst hier im Norden. Sie schon länger als evangelischer Landesbischof, ich fast auf den Tag genau seit vier Jahren als katholischer Erzbischof. Uns beiden ist es wichtig, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen – bei unseren halbjährlichen Ökumenischen Bischofstreffen, bei vielen Veranstaltungen und Gottesdiensten, insbesondere beim Christusfest 2017, im Gedenkjahr der Reformation: „Erinnerung heilen - Jesus Christus bezeugen“[1] war ein Leitgedanke in dem Jahr. Erlauben Sie mir, dass ich den Spieß zu Ihrem heutigen Abschied ausnahmsweise umdrehe. Ich möchte einmal Unterschiede zwischen uns suchen.



    Das scheint einfach zu beginnen, eben so: Sie sind älter als ich, sind größer und haben mehr Kinder. Sie fiebern beim HSV mit – mich lässt Fußball kalt. Aber sind das gravierende Unterschiede? Mein Haar war auch schon dunkler und dichter und nähert sich in Farbe und Fülle dem Ihren an. Sie kommen aus Hamburg, ich komme aus Köln. Aber beide sind wir doch in Großstädten aufgewachsen. Sie Polizistensohn, ich Bäckersohn; aber wir beide dadurch aus bodenständigen Familien. Ich bin nach Hamburg gezogen, sie aus Hamburg weggezogen; verantwortlich sind wir als Bischöfe aber beide aber für den ganzen Norden – mit dem Unterschied, dass Ihre Herde flächenmäßig und zahlenmäßig größer ist als meine. Sind das alles schon große Unterschiede? Sind nicht hier auch die Gemeinsamkeiten größer?



    So einfach ist das mit dem Finden wesentlicher Unterschiede wohl doch nicht. Da fällt mir ein: Sie sind evangelisch, ich katholisch! Hier können wir viele Unterschiede finden – und haben das Jahrhunderte lang routiniert eingeübt. Sie tragen im Gottesdienst schwarz, ich meist farbige Gewänder. Ihre Chefin ist die Synode, meiner der Papst. Sie feiern Reformationstag und ich Allerheiligen. Und so könnte ich diese Liste noch weiter fortführen über die bekannten „heißen Eisen“ der Ökumene wie dem Amtsverständnis oder dem Abendmahl bzw. der Eucharistie. Aber selbst hier ahnen wir, nein wir wissen, die Unterscheide sind nicht das Wesentliche, sondern die Gemeinsamkeiten sind weit größer. „Gemeinsam Gottes Liebe und Gerechtigkeit in Wort und Tat verkünden“ – dieses Versprechen haben Sie mir vor vier Jahren bei meiner Weihe mit auf den Weg gegeben. Gemeinsam den Auftrag Christi erfüllen, den unser Herr der Kirche gab: Das Evangelium, die frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu bezeugen und allen Menschen zu verkünden. Ich durfte erleben, wie Sie in diesen gemeinsamen Jahren Wort gehalten haben. An dieser Stelle möchte ich Ihnen meinen aufrichtigen Dank ausdrücken!

    Ein letzter Unterschied, lieber Bruder Ulrich, möchte ich dann doch noch nennen: Sie gehen in den Ruhestand, ich darf weitermachen! Wir sind Bischöfe in einer Zeit, die sich sehr schnell verändert. Veränderungen gab es schon immer, aber ihre Geschwindigkeit nimmt zu. Für euch evangelische Schwestern und Brüder bedeutete das unter anderem die Gründung der Nordkirche. Wir Katholiken stecken gerade mitten in unserem Erneuerungsprozess. Uns beide, lieber Bruder Ulrich, verbindet darin eines: in den Veränderungen die Chancen für die Aufbrüche und Erneuerungen sehen zu wollen.



    „In einer hören Welt mag es anders sein, aber hier unten heißt Leben sich wandeln, und vollkommen zu sein, sich oft gewandelt haben.“[2] Dieser Satz von John Henry Newman gibt den inneren Sinn der Veränderung an: dem Streben nach Vollkommenheit – als Christen dürfen wir sagen, der innere Sinn der Veränderung ist die Nachfolge Christi. Im Hier und Heute müssen wir Christ-sein und Kirche-sein – in den Umständen, in die wir gestellt sind und mit den Mitteln und Wegen, die uns gegeben und gezeigt werden.



    Hier unten – wir Nordlichter sollten lieber „oben“ sagen – heißt Leben sich wandeln, und vollkommen zu sein, sich oft gewandelt haben. Für Sie steht mit dem Ruhestand die nächste Wandlung an. Ich bin mir sicher, dass die Nachfolge Christi, der Sie Ihr ganzes Leben gewidmet haben, auch weiter die innere Richtung der Veränderung sein wird. Dabei braucht es– wie im Gedenkjahr 2017 – die ein oder andere Heilung der Erinnerung, vor allem aber das fröhliche Feiern und Bezeugen unseres gemeinsamen Herrn! Dazu meine herzlichsten Segenswünsche!



    So engagiert wie Sie waren – und damit relativiert sich noch der letzte Unterschied ein Stück weit – werden Sie vermutlich einen Ruhe-Stand im eigentlichen Sinne nur schwer erreichen. Aber die verdiente Entspannung und ruhigen Stunden mit Ihrer Familie wünsche ich Ihnen sehr. Um dem Abschalten etwas nachzuhelfen, haben wir im Erzbistum Hamburg beschlossen, Ihnen zwei Gutscheine für das Schleswig-Holstein Musik Festival 2019 zu schenken. Was ich Ihnen außerdem wünsche, entnehme ich dem Alten Testament. Im Buch Rut heißt es: „Der HERR, der Gott Israels, zu dem du gekommen bist, um dich unter seinen Flügeln zu bergen, möge dir dein Tun vergelten und dich reich belohnen.“ (Rut 2,12)

  • Hirtenwort zum Hochfest des hl. Ansgar / St. Marien-Dom zu Hamburg / 03. 02. 2019
    Es gilt das gesprochene Wort



    Lesung: Jes 61,1–3a; 1 Kor 2,1–10a / Evangelium: Mk 16,15–20



    Liebe Schwestern und Brüder,



    seit etlichen Jahren beginne ich jeden Morgen mit dem gleichen Ritual. Bevor ich aufstehe, bekreuzige ich mich und spreche: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Ich beginne also jeden Tag mit dem dreifaltigen Gott.

    Am Beginn eines jeden Tages steht für mich das, was in der Taufe, also am Beginn unseres christlichen Lebens steht: Ich gehöre zum dreifaltigen Gott, zum Vater, zum Sohn und zum Heiligen Geist. Auch jeden Gottesdienst beginnen wir mit dem Kreuzzeichen und bekennen uns damit zu unserem Gott. Der dreifaltige Gott ist der Dreh- und Angelpunkt unseres christlichen Glaubens, ja unseres ganzen Lebens.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    was uns Christen mit einigen anderen Religionen verbindet, ist der Glaube an den einen Gott. Die Dreifaltigkeit des einen Gottes ist demgegenüber die Glaubenswahrheit, die nur Christen kennen. Wir glauben damit nicht an drei Götter, sondern an einen einzigen Gott in drei Personen. Unser Glaubensbekenntnis spricht deshalb zuerst vom Vater, später vom Sohn und schließlich vom Heiligen Geist.

    Ich gebe zu, es ist für mich nicht einfach, die Dreifaltigkeit zu verstehen und zu erklären. Das hat aber auch sein Gutes: Gott ist letztlich ein Geheimnis, dem wir unser Leben lang auf der Spur bleiben. Aber er hat sich uns mitgeteilt und tut es bis heute. Die Bibel ist voll von Erfahrungen von Menschen, denen Gott sich zuwendet. Für uns ist Gott nicht irgendein Gedanke oder eine abstrakte Theorie. Menschen erfahren ihn immer wieder: in der Geborgenheit des Vaters, in der Begleitung, Vergebung und Erlösung durch den Sohn und im Heiligen Geist als innerer Kraftquelle.



    „Gott ist die Liebe“ (1 Joh 4,16) heißt es im ersten Johannesbrief. Der dreifaltige Gott, der Gott in drei Personen, ist Liebe. Liebe ist immer ein Beziehungsgeschehen. Liebe braucht ein Gegenüber. Und vollkommene Liebe schließt sich nicht ein, sondern öffnet sich für andere, möchte über sich hinauswachsen. Das zeigen Freunde, die sich gemeinsam für andere engagieren, oder Paare, die Kindern ein Zuhause schenken. Liebe wird tiefer, wenn ich sie teile.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    im Herbst 2017 habe ich über WhatsApp eine Umfrage gestartet: „Was ist für euch Glück?“ Mir ging es um die kleinen Glücksmomente im Alltag und um die großen Linien im Leben, die uns glücklich machen. Mehr als hundert Menschen haben mir viele berührende Glücksmomente und Glücksfaktoren zurückgeschrieben. Eines ist mir dabei aufgefallen: Für die meisten Menschen hängt Glück mit Beziehungen zusammen. „Freunde“ und „Meine Familie“ schrieben einige, oder auch: „Glück ist für mich, einen Menschen gefunden zu haben, bei dem ich mich zu Hause fühle.“ Ein anderer antwortete: „Glück bedeutet für mich, bedingungslos geliebt zu werden.“ Es sind die Beziehungen, die unser Leben kostbar machen. Sie tauchen alles in ein ganz besonderes Licht.



    Gott, unser Schöpfer, ist in sich selbst als Vater, Sohn und Heiliger Geist eine Beziehung der Liebe. Er wirkt nie anders als in dieser Gemeinschaft und will nichts sehnlicher, als Gemeinschaft zu stiften. Uns Menschen hat er nach seinem Bild geschaffen – als Beziehungswesen. Er gibt unseren menschlichen Beziehungen ein Vorbild. Denn seine Liebe ist nicht ein Brauchen, sondern ein Schenken. Jeder Missbrauch und vor allem jeder sexuelle Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ist darum das Gegenteil von dem, wozu Gott uns geschaffen hat. „Wahre Liebe fordert nicht, wahre Liebe gibt. Sie ist ein Entgegenkommen, ein Geben, aber auch ein Annehmen. Wahre Liebe ergreift nicht Besitz, sondern gibt Freiheit.“ (Marie von Ebner-Eschenbach zugeschrieben)



    Liebe Schwestern und Brüder,

    das heutige Evangelium am Fest des heiligen Ansgar bildet den Abschluss des Markusevangeliums. Der auferstandene Christus gibt seinen Jüngern noch einen letzten Auftrag, um dann in den Himmel aufzufahren: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ (Mk 16,15) Dieser Auftrag ist uns Christen ins Stammbuch geschrieben. Wir sollen uns nicht in uns selbst einschließen, sondern hinaus in die Welt gehen und der ganzen Schöpfung das Evangelium verkünden.

    Was dieser Auftrag für uns als katholische Kirche im Norden heute heißt, will der Erneuerungsprozess im Erzbistum Hamburg auf den Weg bringen. Am Sankt-Ansgar-Tag des letzten Jahres habe ich den Pastoralen Orientierungsrahmen für unser Erzbistum in Kraft gesetzt. Er fußt auf dem dreifaltigen Gott, der Liebe, der Beziehung ist. Er geht davon aus, dass auch wir, die wir auf seinen Namen getauft sind, eine „Kirche in Beziehung“ bilden – eine Kirche in Beziehung zu Gott, zu seiner Schöpfung und zu den Menschen, mit denen wir zusammen leben. Ich glaube, wir leben diese Beziehung bereits. Sie darf aber nie stehen bleiben. Hier gilt das Gesetz allen Wachstums: Was nicht wachsen will, das schrumpft.



    Ich möchte Ihnen daher einige Fragen mit auf den Weg geben, die Sie in diesem Jahr und besonders in der kommenden Fastenzeit begleiten können:

    • Jemand wird umso mehr Christin und Christ, je mehr sie und er sich die Beziehung des dreifaltigen Gottes schenken lässt. Wie kann ich den dreifaltigen Gott zum Mittelpunkt meines Lebens werden lassen? Wie lässt sich diese Beziehung in unseren Gemeinden verlebendigen und erneuern?

    • Jemand wird umso menschlicher, je echter sie und er Beziehungen und Freundschaften schenkt und annimmt. Freundschaften sind nie selbstverständlich und auch nicht einfach da. Wie steht es um die Beziehung zu meinen Schwestern und Brüdern? Was bedeuten sie mir? Wie pflegen wir diese Beziehungen in unseren Gemeinden und an unseren Lebensorten, in unserem ganzen Erzbistum konkret? Begegnen wir einander in Liebe und Freiheit? Warum wollen manche Beziehungen einfach nicht gelingen?

    • Die ganze Schöpfung ist ein Beziehungsgeschehen. Was wir hier im Norden tun, wirkt sich auch woanders aus. Und: Wir Menschen sind selbst Teil der Schöpfung. Was bedeutet mir die Beziehung zur Schöpfung? Wie gehe ich mit ihr um?



    Liebe Schwestern und Brüder,

    ich möchte nicht nur über Gott reden, sondern mit ihm. Deshalb schließe ich mit einem Gebet des heiligen Augustinus. Es steht auch in unserem Gotteslob.

    „Groß bist du, Herr, und über alles Lob erhaben. Und da will der Mensch dich preisen, dieser winzige Teil deiner Schöpfung. Du selbst regst ihn dazu an; denn du hast uns zu dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir. Sag mir in der Fülle deiner Erbarmung, mein Herr und mein Gott, was du mir bist! Sag zu meiner Seele: Dein Heil bin ich. Sag es so, dass ich es höre!“ (GL 6,2)



    Liebe Schwestern und Brüder,

    zum heutigen Fest des heiligen Ansgar, unseres Bistumspatrons, grüße ich Sie herzlich. Ich freue mich, dass wir gemeinsam hier im Norden Kirche des dreifaltigen Gottes sind!



    Es segne Sie und Euch alle der dreifaltige Gott:

    Der + Vater und der + Sohn und der + Heilige Geist!

  • Predigt zum Jahresschluss / St. Marien-Dom/ Hamburg / 31. 12. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern und Brüder,



    in dieser Nacht geht das Kalenderjahr 2018 zu Ende. Jeder von uns hat das gleiche Kalenderjahr erlebt, die gleiche Zeit hinter sich. Aber jeder von uns hat sie anders erlebt. Für den einen konnte dieses Jahr nicht schnell genug vorbeigehen. Für den anderen rast die Zeit viel zu schnell dahin. Wie wir unsere Lebenszeit, wie wir die Zeit eines Jahres erleben und erfahren, hängt wohl zu-nächst davon ab, was in dieser Zeit passiert. Ist es eine Zeit, die dahindümpelt und die von uns als leer oder langweilig empfunden wird? Oder ist es eine Zeit, die prallvoll ist mit Herausforderungen, mit Anfragen, mit Entwicklungsschritten, mit Veränderungen?



    Mein Vorgänger, Erzbischof Werner Thissen, hat vor einigen Wochen seinen 80. Geburtstag gefeiert. Er hat sich dazu in ein Kloster zurückgezogen und die Tagebücher aus seinen vielen Lebensjahren mitgenommen und gelesen. Er ist zwar nicht zu Ende gekommen. Ich finde das aber eine sehr gute Idee, nicht nur die Tage zu zählen, sondern darauf zu schauen, was in diesen Tagen geschieht und wie sich unser Leben gestaltet und verändert.



    Vielleicht ist das, was er da getan hat, genau das, was von Maria nach der Geburt Jesu berichtet wird: Sie lässt die einzelnen Ereignisse bei der Geburt nicht an sich vorbeischreiten, hakt sie ab und dann sind sie weg, sondern es heißt ausdrücklich, dass sie alles in ihrem Herzen bewahrte und darüber nachdachte. Vielleicht ist das Herz das eigentliche Tagebuch des Menschen, in dem er die Erfahrung seines Lebens festhält.



    Liebe Schwestern und Brüder, der Jahreswechsel will uns ausdrücklich zu solch einem Herzenstagebuch einladen. Er hält die Zeit ja nicht an. Sie bleibt nicht stehen. Aber wir können uns viel-leicht ein wenig zurücklehnen und wie Maria darüber nachdenken.



    Liebe Schwestern und Brüder, wenn ich auf das Jahr 2018 zurückschaue, dann denke ich in aller-erster Hinsicht an die großen Herausforderungen im Hinblick auf die Veränderungen im Schulbereich im Erzbistum Hamburg, die im Januar 2018 verkündet wurden. Das war ein großer Einschnitt, der vielen wehgetan hat und den wir sicher anders und besser hätten kommunizieren können und müssen. Ich denke aber auch an den September dieses Jahres, wo die Studie über den sexuellen Missbrauch in der Kirche Deutschlands vorgestellt wurde. Hier bei uns im Erzbistum hat parallel dazu der Generalvikar eine Pressekonferenz gehalten, um die diözesanen Ergebnisse der Studie vorzustellen. Das Ergebnis ist traurig. Für den Zeitraum von 1946 bis 2014 wurden fast vierzigtau-send Akten in unseren deutschen Diözesen ausgewertet. Darin sind 3677 Kinder und Jugendliche als Betroffene von sexuellem Missbrauch dokumentiert. In unserem Erzbistum gibt es 33 beschuldigte Priester, davon wurden fünf rehabilitiert. Die Spitze eines großen Eisberges!



    Wenn ich auf 2018 schaue, dann denke ich an die Diskussionen unter uns deutschen Bischöfen über die Frage des Kommunionempfangs in konfessionsverbindenden Ehen. Ich denke an die Auseinandersetzungen um Menschen auf der Flucht, besonders im Mittelmeer. Ich denke an die internationalen Pakte zu Migration und Flucht. Ich denke an die kürzliche Umweltkonferenz in Katowice. Mir kommt daneben auch in den Sinn die Gründung unseres diözesanen Caritasverbandes. Ich denke an die großartige Messdienerwallfahrt mit fünfhundert Ministrantinnen und Ministranten aus unserer Erzdiözese nach Rom. Ich erinnere mich an die Jugendsynode, die drei Wochen in Rom mit dem Papst tagte, an der nicht nur Bischöfe, sondern zum ersten Mal auch Jugendliche aus aller Welt beteiligt waren. Und schließlich will ich noch unsere Diözesanwallfahrt nach Lübeck auf den Spuren der Lübecker Märtyrer nennen, die wir im Juni mit vielen Gläubigen aus allen Regionen unserer Erzdiözese gefeiert haben.



    Schwestern und Brüder, das sind viele Ereignisse in Kirche und Welt. Wahrscheinlich kann jeder von Ihnen noch viele andere persönliche dazulegen, die mindestens genauso prägend waren. Wir können mit dem Jahreswechsel 2018 abschließen. Wir können um Verzeihung bitten. Wir können neu beginnen und uns für die Zukunft Neues vornehmen. Wir können aus den Erfahrungen von gestern Konsequenzen für das Morgen ziehen.



    Was gibt unserem Leben eigentlich Gewicht? Was ist im Blick auf 2018 gewichtig, wertvoll, bedeutsam gewesen? Was könnte 2019 für uns entscheidend werden? Die Zeit und der Zeitenlauf an sich sicher nicht; dass etwas in unserem Leben passiert, schon eher. Entscheidend sind die Beziehungen, die wir in unserem Leben gestalten, ja die unser Leben ausmachen. Der Mensch lebt von der Erfahrung des Angenommen-Seins, von Zuwendung und Geborgenheit, von Menschlichkeit und Erbarmen. Leben ist Beziehung; Kirche ist Beziehung: Beziehung zwischen Gott und Mensch und der Menschen zueinander.



    Diese weihnachtlichen Tage zeigen uns das wie kaum eine andere Zeit im Jahr: Menschen feiern miteinander, sie besuchen sich. Und: Gott geht diesen Weg der Beziehung von Anfang mit! Noch ehe Jesus zur Welt kommt, macht sich Maria auf zu Elisabeth. Die beiden Frauen verstehen sich (ohne Worte). Das Magnifikat entspringt ihrer Begegnung und Beziehung. Jesus wird schließlich in die menschliche Gemeinschaft hineingeboren und wächst als Mensch unter Menschen, in menschlichen Beziehungen auf.



    Menschliches Leben ist immer ein dynamischer Prozess, ein Weg des Sich-Anvertrauens, des Sich-Auseinandersetzens, der Zuneigung, des Aufeinander-Zugehens. „Am wichtigsten unter der Sonne sind die Beziehungen“ . Ich wünsche Ihnen, dass Sie 2019 die Beziehungsgeschichte Gottes mit uns Menschen fortsetzen in Ihrem persönlichen Leben und Glauben und dass das neue Jahr für Sie reich wird an guten Begegnungen!
  • Predigt am Weihnachtsfest 2018 / St. Marien-Dom zu Hamburg / 24. 12. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern und Brüder,



    Anfang Dezember fand hier in Hamburg der CDU Bundesparteitag statt. Ein Programmpunkt war die Wahl der oder des neuen Bundesvorsitzenden. Zuvor sind die drei aussichtsreichsten Kandidaten durch das ganze Land getourt und haben sich auf Regionalkonferenzen vorgestellt: Wer steht für welche Position? Wer geht wie weit? Wer ist wie nah an der Kanzlerin oder setzt sich von ihr ab? Wer wagt es, sich wie weit aus dem Fenster zu lehnen in seinen politischen Ansichten? Häufig eine politische Gratwanderung.



    Liebe Schwestern und Brüder, das Weihnachtsfest ist keine Regionalkonferenz. Im Gegenteil, es hat einen universalen Charakter. Aber Weihnachten geht es auch um das Position-beziehen. Es geht an Weihnachten um die Frage: Wo steht Gott?

    Wo steht Gott? Ich versuche mir das vorzustellen: Gott lehnt sich aus dem Fenster. Er verlagert seinen Schwerpunkt. Er lehnt sich ganz weit heraus und schlägt sich auf die andere Seite. Gott verlagert den Schwerpunkt von seiner ewigen Herrlichkeit auf diese Erde. Gott verlagert seinen Schwerpunkt zu uns, indem er selber zum Menschen wird. Gott steht auf der Seite der Menschen. Ja, Gott steht auf meiner Seite. Die heilige Theresia von Avila leitet aus dieser Schwerpunktverlagerung eine Konsequenz für ihr Leben ab: Gott und ich sind immer die Mehrheit.



    Liebe Schwestern und Brüder, wenn Gott sich so aus dem Fenster lehnt, dann will er uns ermutigen, das Gleiche zu tun. Aus der Frage, wo Gott steht, wird die Frage: Wo stehen wir? Jesus wird nicht müde, seine Zuhörer immer wieder darauf zu verweisen, ihr Leben nicht im Stillen, im Kleinen, im sicheren Kämmerlein zu bewahren, sondern ihr Leben ins Spiel zu bringen, ihr Leben einzusetzen. Weihnachten fordert uns dazu auf, Position zu beziehen und zwar für den Menschen. Weihnachten fordert uns dazu auf, uns auf die Seite des Menschen zu stellen, damit unsere Welt menschlicher wird. Das geschieht nur durch eine Standortverlagerung. Das kann nur da geschehen, wo ich mich in den anderen hineinversetze, wo ich mich auf ihn zubewege, wo ich ihm vertraue und mich für ihn einsetze.



    Weihnachten fordert uns noch zu einer zweiten Standortverlagerung auf. Weihnachten fordert uns auf, uns gegenüber Gott aus dem Fenster zu lehnen, auf ihn zu vertrauen, ihn zum Schwerpunkt unseres Lebens zu machen, eben das Leben nicht selber zu hüten und zu bewachen, retten und vollenden zu wollen. Daran würden wir immer scheitern. Stattdessen darf ich mein eigenes Leben mit allen Kräften gestalten und gleichzeitig mich vertrauensvoll in Gottes Hände legen. Es ist immer beides zugleich: gestalten und vertrauen. Es ist nicht fifty-fifty – also ich gebe die Hälfte und die andere Hälfte legt Gott dazu – sondern es sind zweimal einhundert Prozent. Ich versuche mit ganzer Kraft, die Verantwortung für mein Leben zu übernehmen und versuche gleichzeitig mit ganzer Kraft, auf Gott zu vertrauen. Zweimal die ganze Kraft, zweimal einhundert Prozent.



    Zu meiner Priesterweihe vor über fünfundzwanzig Jahren habe ich mir ein Wort gewählt, das das letzte Wort Jesu am Kreuz ist: „Herr, auf dich vertraue ich. In deine Hände lege ich mein Leben.“ Jesus, der die Standortverlagerung Gottes in Person ist, hat hier auf Erden Tag für Tag sein Leben gestaltet und zugleich auf seinen himmlischen Vater vertraut. Vielleicht können uns das neugeborene Kind wie auch der Christus am Kreuz helfen, dass wir uns an diesem Weihnachten und in der folgenden Zeit mehr und mehr aus dem Fenster unseres Lebens hinausbewegen auf andere Menschen zu und auf Gott zu. Gesegnete Weihnachten!
  • Ökumenischer Gottesdienst zu Beginn des CDU-Bundesparteitages / Hamburger Michel / 07. 12. 2018
    Liebe Schwestern und Brüder,



    viele von Ihnen, gerade die Delegierten, bringen sich immer mit ihrem ganz persönlichen Leben und ihren Kräften ins Spiel des öffentlichen Lebens. Sie nehmen ihre persönliche Verantwortung wahr und sie delegieren sie nicht ins Unverbindliche weg. Das braucht die Gesellschaft und dafür bin ich Ihnen von ganzem Herzen dankbar.



    Sie stehen aber nicht nur ganz persönlich da, mit Ihrer je eigenen Verantwortung, sondern als Delegierte sind Sie Menschen, die von anderen gesandt werden, die ein Mandat haben. Sie merken dann oft genug, wie schwierig es ist, sozusagen zwischen allen Seiten stehen zu müssen, z. B. von der Basis etwas dem Parlament zu vermitteln und umgekehrt, Beschlüsse wiederum an die Basis weiterzugeben und dort zu kommunizieren. Da wird man manchmal zerrieben in ganz existentieller Art und Weise.



    Vielleicht können Sie sich deswegen auch ganz gut hineinversetzen in diesen Johannes den Täufer, von dem wir gerade im Evangelium gehört haben. Johannes der Täufer ist auch ein Mensch mit einem Mandat. Vielleicht nicht ganz so eines, wie viele von Ihnen tragen. Johannes der Täufer ist ein Delegierter, er ist ein Gesandter. Der heilige Augustinus hat das sehr pointiert in einer Predigt zum Ausdruck gebracht und kommentiert, wenn er sagt: „Johannes ist die Stimme, aber Christus das Wort.“ Man könnte sagen, Johannes ist nur Stimme und eben nicht Wort, aber was wäre das Wort ohne Stimme? Das Wort an sich ohne Stimme würde gar nicht zum Durchbruch kommen. Keiner würde es wahrnehmen, keiner würde es hören. Und eine Stimme ohne Wort, das wäre ein weiteres hohles Wort, von dem wir, weiß Gott, ziemlich viele haben. Beides gehört also zusammen: Stimme und Wort. Johannes als Mandatsträger dieses Wortes, als der Delegierte des Wortes Gottes.



    Ich lade Sie ein, dieses Wort immer wieder wahrzunehmen, dieses Wort Gottes. Gönnen Sie sich nicht unbedingt den Luxus, sondern viel mehr das Lebenselixier, als Mitglieder der CDU dieses Wort an sich heranzulassen. Vielleicht hilft da der kluge Rat von Frère Roger aus Taizé: „Es kommt nicht auf die Masse an, sondern eher auf die Intensität.“ Vielleicht jeden Tag ein wenig in diesem Wort, das sich in der Heiligen Schrift verdichtet, lesen und genau das herausnehmen, was Sie in Ihrer konkreten Situation anspricht und angeht. Sozusagen Gottes Wort für Sie persönlich im Hier und im Jetzt. Denn dieses Wort ist nicht nur allgemeine Botschaft, die mit großen Lautsprechern durch die Welt posaunt würde, sondern es ist eine persönliche, eine konkrete Botschaft Gottes an jeden Einzelnen von uns.



    Und hören Sie auf dieses Wort, das weiter verbreitet und weiter gesprochen wird durch Menschen. Hören Sie auf dieses Wort mitten im Alltag des Lebens, auf das Wort der ganz Kleinen, der Schwachen, derer, die kein Dach über dem Kopf haben und auf dem Weg sind, auf die Menschen auf der Flucht und Migration, besonders auf die, die Schleusern und Menschenhändlern zum Opfer fallen. Und hören Sie auf das Wort, das aus dem Leben von Menschen herausspricht gerade am Ende in Alter und Krankheit und in den großen Herausforderungen des Lebens, wenn die Kräfte des Menschen schwinden.



    Viele Ihrer Vorhaben spiegeln wider, dass Sie auf diese Stimme hören. Aber oft ist es schwierig, in den vielen Stimmen dieser Zeit die konkrete Stimme herauszuhören. Seien Sie als Politikerin oder Politiker zuallererst immer Hörende.



    Und schließlich hören wir auf die Stimme der Schöpfung, von der ich manchmal den Eindruck habe, dass Sie uns anwimmert und sie dann fleht, dass wir auf sie hören. Der heilige Franz von Assisi war ein Mensch, der mit der Schöpfung auf Du und Du lebte. Und deswegen konnte er vom Bruder Mond oder der Schwester Wasser und von der Erde überhaupt als einem Geschwisterkind reden und denken. Hören wir auf diese Schöpfung, die wie ein Geschwisterkind uns immer wieder ansprechen möchte und gewinnen möchte.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    der Heilige Johannes der Täufer ging nicht auf die Plätze und der Märkte der Stadt, sondern rief seine Zuhörer heraus in die Wüste. Offenbar hat er selber genau dort gelebt. Vielleicht brauchen wir manchmal solche Wüstenzeiten, Zeiten, in der wir auf die Stille lauschen. Das kann man nur, wenn man so eine kleine Wüste um sich hat. Das brauche ich, das brauchen Sie. Der Advent bietet uns dazu Gelegenheit. Wenn wir dann gehört haben und uns eingehört haben, dann können wir still werden sein für das Wort. Ich bitte Sie, seien Sie als Politikerin und Politiker große Hörerinnen und Hörer und dann Stimme für das Wort wie Johannes. Die klare und eindeutige Stimme für Gottes Wort braucht gerade unsere Zeit.!
  • Predigt zum Christ König Sonntag und zum Gedenktag an Niels Stensen / Propsteikirche St. Anna / Schwerin / 25. 11. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Liebe Schwestern und Brüder,



    in den vergangenen Tagen bin ich auf ganz verschiedene Art und Weise mit dem Thema König und Macht in Berührung gekommen.



    Ich denke zurück an die Visitation in Lübeck Anfang des Monats, bei der ich u.a. auch die Kindertagesstätten besucht habe. Hier begegneten mir Kinder, denen es eine Freude war, in königlichen Gewändern zu spielen und wie ein König oder eine Prinzessin daher zu stolzieren. Ich denke an den kleinen Jungen, der just am Tag des Besuches seinen Geburtstag feiern konnte und wie auf einem kleinen Thron in der Runde seiner Gruppe saß und dabei natürlich eine Geburtstagskrone auf dem Kopf trug.



    Ganz anders sind die Erfahrungen, die ich in den letzten Tagen bei der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in Bad Godesberg machen konnte. Hier wurde über den Missbrauch in unserer katholischen Kirche diskutiert, in aller Schärfe und aller Offenheit. Es ist in unseren eigenen Reihen in den letzten Jahrzehnten – so das Ergebnis der MHG-Studie – zu Miss-brauch gekommen, zu Gewalt und Machtmissbrauch, aber auch in großem Maße zu sexuellem Missbrauch vor allen Dingen an Kindern und Jugendlichen. Wir haben miteinander über Maßnahmen diskutiert, um darauf zu reagieren, um vorzubeugen, um Kinder und Jugendliche zu schützen und den Betroffenen zu helfen. Da ist noch viel zu tun. Nach meinem Dafürhalten sind wir gerade erst am Anfang. Wer meint, wir würden es mit ein paar Maßnahmen lösen können, der irrt. Ich gehe davon aus, dass diese Aufgabe mich in meinen 20 /25 Jahren, die ich, so Gott will, als Erzbischof von Hamburg tätig sein darf, ganz und gar einfordern werden. Es ist eine Daueraufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Deswegen können wir das Thema nicht wegdrücken, sondern müssen uns stellen und in unserer Kirche Räume schaffen, in denen wir darüber sprechen können, ja lernen, anfangen darüber zu sprechen.



    Gott sei Dank liefert uns der heutige Christ König Sonntag ein Evangelium, das eine ganz andere Sprache spricht. Es ist ein Abschnitt aus den Passionsberichten. Hier geht es nicht um einen König auf einem glanzvollen Thron mit Garnisonen in Saus und Braus, sondern hier steht Christus vor Pilatus. Pontius Pilatus stellt ihm die Frage: „Bist du nun ein König oder nicht?“ Jesu Antwort ist unmissverständlich: „Ja, ich bin ein König.“



    Aber dieser König gleicht so gar nicht den Königen und Prinzessinnen, die wir vor Augen haben o-der in den Illustrierten wiederfinden. Dieser König steht mit einer Dornenkrone da, mit gefesselten Händen, alles andere als machtvoll. Dieser König hält keine schallenden Reden, sondern ist eher schweigsam, still und sagt ein paar wesentliche klare Sätze. Dieser König steht da. Er lässt sich nicht in die Knie zwingen, sondern steht aufrecht. Wahrscheinlich wird sich Pilatus in seinen Thron gefläzt haben. Jesus aber steht aufrecht ihm gegenüber. Das ist für mich ein Zeichen seiner Würde und seiner Geradlinigkeit.



    Liebe Schwestern und Brüder, in unserer Propsteikirche Herz Jesu in Lübeck ist diese Szene in einer Bronze von Hans Dinnendahl dargestellt. Aber der Künstler hat noch eine Figur hinzugefügt. Gleich hinter Christus im Rücken steht noch ein Weiterer, einer von dem man sagt, er habe die Gesichtszüge, eines der Lübecker Märtyrer. Dieser Mensch könnte auch die Gesichtszüge des seligen Niels Stensen haben, dessen Gedächtnis wir hier heute in Schwerin feiern. Da könnte auch ein Platz für uns sein. Alle unsere Seligen und Heiligen und wir mit ihnen stehen in den Fußstapfen Jesu. Wir sollten uns nicht zu sehr an den Thron des Pilatus heranschleichen und zu seinen Thronassistenten werden. Unser Platz ist hinter dem Christ König Jesus. Und das ist der König in der Passion und der König am Kreuz. Vielleicht lehren uns die jetzigen Ereignisse dort immer mehr hinzufinden. Amen.
  • Ansprache bei Gedenkstunde für die Opfer der Kriege und Gewaltherrschaft am Volkstrauertag / Landtag Kiel / 18. 11. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort





    Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Schlie,

    sehr geehrter Herr Dr. Klug,

    sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Sütterlin-Waack,

    sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

    sehr geehrter Bischof Magaard,

    sehr geehrte Damen und Herren,



    es ist schon etwas Besonderes, die Gedenkrede zum Volkstrauertag ausgerechnet 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg hier in Kiel halten zu dürfen. Der Kieler Matrosenaufstand und seine Bedeutung für die Geschichte sind in den letzten Wochen nicht nur hier an dieser Stelle, sondern bundesweit gewürdigt worden und endlich – so muss man es fast sagen – wieder in den Blick gerückt. Im November 1918 verbreitet sich hier von Kiel und anderen Häfen aus die Revolution schnell im Deutschen Reich. Alle 22 gekrönten Häupter treten zurück oder werden abgesetzt. Am 9. November wird die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. bekanntgegeben und die Republik ausgerufen. Am 11. November vor hundert Jahren schließlich unterzeichnet Matthias Erzberger den Waffenstillstand, der die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs beendet.



    2018 ist voller Jahrestage von Krieg und Frieden, von Gewalt und Neuaufbruch: Vor 400 Jahren begann der Dreißigjährige Krieg. Vor 80 Jahren ereigneten sich die Novemberpogrome. Vor 75 Jahren verfasste der Kreisauer Kreis um das Ehepaar von Moltke die „Grundsätze für die Neuordnung“ Deutschlands nach dem Kriege. Vor 65 Jahren kam es zum Waffenstillstand im Koreakrieg. Vor 50 Jahren schlugen Truppen des Warschauer Paktes den Prager Frühling nieder. Und so weiter – wir kennen diese Zahlen. Die bittere Realität ist: Die Jahrestage werden zahlreicher. Bald werden wir – werden die Menschen, die zu uns flüchten – den zehnten Jahrestag des Beginns des Syrienkrieges erleben. Ich hoffe inständig, dass es zuvor Frieden geben wird.



    Sehr geehrte Damen und Herren,



    Krieg und Gewalt hinterlassen Spuren im Kalender – aber zuerst Spuren in Menschen und Gesellschaften. Daher halte ich es für wichtig, dass wir in Deutschland alljährlich den Volkstrauertag begehen. Wir trauern um die Menschen, die die Folgen von Unfrieden, von Ideologien und Verfolgungen zu tragen hatten und haben. Der jährliche Volkstrauertag will das Gedenken verstetigen. Wir schließen die Trauer nicht ab. Im Gegenteil: Wir kultivieren sie sogar. Wir haben sie uns verordnet, pflegen sie wie die Grabstätten. Auch heute noch, da das persönliche Kriegserleben in unserem Land immer weniger im Vordergrund steht. Ich kenne es – Gott sei Dank – nur aus den Erzählungen in der Familie: Meine Mutter ist 1942 in einem Bunker geboren und mein Vater war mit seiner Familie im Bergischen Land bei Köln evakuiert. Demgegenüber ist Krieg für einige Menschen auch heute eine Realität – etwa für die deutschen Soldaten, die im Ausland eingesetzt sind. Über hundert sind seit den 199er Jahren verstorben. Kriegserleben ist auf einmal ganz nah gekommen mit den Geflüchteten, die bei uns Schutz suchen. Die Erlebnisse, von denen diese Menschen erzählen – Menschenhandel, Missbrauch, Vertreibung, Zerstörung – das bewegt viele. Bei Älteren kommen Erinnerungen hoch. Die Jüngeren sind auf einmal hautnah mit dieser Wirklichkeit konfrontiert, die ihnen eigentlich unbekannt ist.



    Dennoch erinnern wir heute nicht nur, wir trauern. Das macht deutlich: Die Toten sind keine zufälligen oder unvermeidbaren Opfer, keine Betroffenen von Unfällen oder Naturkatastrophen, keine sogenannten Kollateralschäden. Ursachen für ihre Tode waren und sind der menschliche Unwille und die menschliche Unfähigkeit zum Frieden, nicht zuletzt aufgeheizt durch Ideologien wie den Nationalismus. Die Toten mahnen uns nicht nur, sie fehlen auch. Wir trauern, weil offene Lücken bleiben: Menschen fehlen und damit ihre Kinder und Kindeskinder. Fragen bleiben: Warum? Was wäre wenn? Die heutige Gedenkveranstaltung und sehr sinnbildlich das Bücken und das Verneigen bei Kranzniederlegungen sind ein Zeichen der Demut: „Wir haben verstanden.“ und „Nie wieder.“



    Sehr geehrten Damen und Herren,



    „Suche Frieden“, unter diesem Motto stand der Katholikentag im Frühjahr dieses Jahres. Angesichts der zahlreichen Kriegs- und Friedensjahrestage hat das Vorbereitungskomitee ganz bewusst diesen Titel gewählt – nicht zuletzt auch deshalb, weil der Katholikentag in Münster stattgefunden hat. Also der Stadt, in der neben Osnabrück vor 370 Jahren der Westfälische Frieden geschlossen wurde. Für mich persönlich war wieder neu beeindruckend, im Friedenssaal des historischen Rathauses in Münster zu stehen und mir vorzustellen, dass dort der langersehnte Frieden geschlossen wurde. „Pax sit – Es soll Frieden sein“, beginnt der ausgehandelte Vertragstext. Es sollen ein immerwährender Friede sein und wahre und aufrichtige Freundschaft herrschen: Darauf haben sich die Vertragsparteien geeinigt. Im Letzten war es weniger die Müdigkeit nach dreißig Jahren Krieg, als der erwartete Nutzen eines Friedens, eine wachsende Kompromissbereitschaft sowie die gemeinsam getragenen Wertvorstellungen, die den Westfälischen Frieden ermöglicht haben. Ich frage mich, was diese Wertvorstellungen waren? Und vor allem: Was dient dem Frieden heute?



    Sicherlich lassen sich solche Wertvorstellungen nicht auf einen einzigen Punkt bringen. Aber ich möchte heute gerne eine Fähigkeit hervorheben, die mir besonders wichtig erscheint: das Mitfühlen. Zwei Aspekte möchte ich benennen:



    Ein erster Aspekt: Mitfühlen ist nicht Empathie. Empathie ist nur ein erster Schritt zum Mitfühlen. Mitgefühl will nicht nachempfinden, sondern nach vorne schauen; will nicht passiv empfinden, sondern aktiv sorgen. Die Hirnforschung sagt, Mitgefühl ist trainierbar. Es kostet mich zwar etwas, mich für Mitgefühl zu entscheiden, aber je öfter ich diese Entscheidung fälle, desto leichter fällt es mir. Ich gebe zu, das kann durchaus anstrengend und unbequem sein. Eine Journalistin brachte es vor kurzem auf den Punkt: „Das anhaltende Mitfühlen lernt der Mensch ‚im Sturm der Zeit‘: beim Erste-Hilfe-Einsatz in einem bundesdeutschen Bahnhofsviertel, bei einer Dresdener Podiumsdiskussion, auf Schulhöfen, an ausgefransten Stadträndern, in der U-Bahn, beim Verteilen von Kleidern an Flüchtlinge, an Kneipentresen, und und und“ Mitfühlen – so könnte man feststellen – ist schon eine der großen Lektionen im Kindergarten – und dennoch ein Leben lang einzuüben.



    Ein zweiter Aspekt: Mitgefühl ist nicht Mitleid, sondern passiert auf Augenhöhe, bedeutet Anerkennung. Wer Mitgefühl lebt, macht dem anderen deutlich: Du bist ein Mensch mit Würde Wir gehören als Menschen zusammen, sind im Letzten eine Familie. Dein Anderssein ist für mich keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung. Denn erst dadurch, dass du anders bist als ich, lerne ich mich durch dich selber besser kennen. Wir erleben das alle in unserem Alltag: Durch neue Bekanntschaften eröffnen sich uns ganz neue Horizonte. Der Umzug in eine andere Stadt und Umgebung bringt uns unsere eigene Herkunft neu zu Bewusstsein. Im Engagement für und mit anderen bin ich letzten Endes selber oft der Beschenkte. Andersherum gilt: „Wer sich verschließt, der wird auch sich selbst nie kennen lernen.“ Damit ist Mitgefühl „die Grundlage einer gelingenden sozialen Kultur. Sie ist das Bindemittel. Ohne Mitgefühl kein Miteinander.“ Mitgefühl ist ein Gegenmittel gegen den vielbeklagten gesellschaftlichen Riss, der durch unser Land geht, der durch Europa geht, ja durch unsere Welt. Es ist ein Gegenmittel gegen Angst, Neid, Hass und Aggression. Mitgefühl dient dem Frieden.



    Sehr geehrte Damen und Herren,



    der November ist nicht nur der ‚Totenmonat‘, wir begehen auch andere Jahrestage: Im November feiern wir den Heiligen Martin und die Heilige Elisabeth von Thüringen. Wir gedenken der Hinrichtung der Lübecker Märtyrer – in diesem Jahr vor 75 Jahren. Martin, Elisabeth und die vier Lübecker Märtyrer geben bis heute ein Beispiel davon, was es heißt, Mitgefühl zu leben, den anderen nicht zuerst als Fremden oder Konkurrenten, sondern als Mensch mit der gleichen Würde zu sehen. Der Heilige Martin gab die Hälfte seines Mantels dem Bettler. Die Heilige Elisabeth verteilte Brot an Arme und hat sich um deren medizinische Versorgung gekümmert. Die Lübecker Märtyrer hielten im Nationalsozialismus mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg und kümmerten sich um polnische Zwangsarbeiter.



    Auch das Engagement vieler Menschen heute in unserem Land und weltweit wie beispielsweise des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge unter dem Leitwort „Versöhnung über den Gräbern“ machen mich zuversichtlich: Mitgefühl kann wachsen, unser Bewusstsein als Menschen zusammenzugehören kann wachsen – und damit: Frieden kann wachsen.
  • Predigt zum 75. Todestag der Lübecker Märtyrer / Propsteikirche Herz Jesu zu Lübeck / 10. 11. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort!





    (Lesungstexte: 1, Sam 8; Röm 13,1-8a; Mt 22,15-21)



    Liebe Schwestern und Brüder,



    die Pharisäer wollen Jesus eine Falle stellen. Die ganze Situation wird dadurch noch ein bisschen perfider, dass sie selbst den Plan aushecken, aber dann ihre unteren Chargen schicken, um die Falle sozusagen aufzubauen. Sie schicken ihre Schüler, die sich mit Jesus abgeben sollen. Sie selbst wollen diese Arbeit nicht ausführen. Klar ist, die Falle soll zuschlagen und Jesus stellen, letztlich dafür sorgen, dass er beseitigt wird und zum Tode verurteilt werden kann. Sie wollen ihn aus dem Verkehr räumen, weil er ihnen nicht in den Kram passt.

    Es fällt nicht schwer, diese Situation des Evangeliums auf unsere vier Lübecker Märtyrer zu beziehen, auch wenn wir 75 Jahre danach leben und es nur noch wenige Zeitzeugen gibt, die die Märtyrer kennengelernt haben und aus eigenem Erleben von der damaligen Zeit und den Umständen wissen. Wir können uns durch die vielen Aufarbeitungen, durch die Dokumentationen und nicht zuletzt auch durch unsere Gedenkstätte, hier in der Propstei, aber auch in der Lutherkirche hier in Lübeck, ein Bild machen davon, dass auch die vier Märtyrer in einer ähnlichen Situation wie Jesus waren. Man wollte sie stellen, man wollte ihnen eine Falle stellen, in die sie hineintapsen, um sie dann zu schnappen und aus dem Weg zu räumen. Die Falle sollte sie endgültig zu Fall bringen.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    ich finde es bemerkenswert, dass Jesus diese Bedrohung so nah an sich heranlässt. Ich bin mir sicher, dass er von Anfang an die Absicht durchschaut hat, aber er bannt sie nicht in Bausch und Bogen, sondern bleibt als der Sohn Gottes der Mensch schlechthin, der Mensch, der sich bis in die letzte Tiefe erniedrigt. Zu dieser Tiefe gehört es, sich dieser Anfrage, dieser Falle, dieser Herausforderung zu stellen. Mich bewegt immer wieder, dass Jesus diese Situation in seinem Leben nicht ausklammert. Es beginnt mit seiner Geburt im Stall von Bethlehem, die gleich den Herodes auf den Plan ruft. Es ist die Menschlichkeit seines öffentlichen Wirkens, die Anlass zu Fragen, zu Zweifel und zu Ablehnung gibt. Es sind gerade die letzten Stunden, in denen er vor Pilatus steht, verleugnet wird und am Kreuz bis in die Gottverlassenheit hineinfällt. Sein Leben ist nicht einfach beschaulich schön, abgeschieden, einfach und sorglos, sondern permanent herausgefordert und angefragt. Zu unserem christlichen Glauben gehört, dass Christus dies aushält.

    Für unsere vier Märtyrer hier in Lübeck ging es auch um das Aushalten. Sie waren keineswegs naiv und wogen sich in Sicherheit. Jeder von ihnen wusste um die Gefahr, die ihm drohte. Er stand mittendrin. Und alle vier haben diese Situation schlussendlich ausgehalten. Mich hat sehr bewegt, vor einigen Tagen im Rahmen der Visitation, in der Lutherkirche gewesen zu sein, in der Kirche, wo Karl-Friedrich Stellbrink seine berühmte Palmsonntagspredigt gehalten hat. Die Spitzel saßen im Kirchenraum. Man hat mir die Bänke gezeigt, wo das gewesen sein muss. Stellbrink ist nach dem Gottesdienst in die Sakristei gekommen und hat schon gleich von ihnen gesprochen. Ihm war das bewusst und er hat es getragen. Wahrscheinlich sind gerade diese Stunden und Tage für ihn eine schwere Prüfung und eine Zeit des Aushaltens gewesen. Und von Johannes Prassek wissen wir, dass man ihm geraten hat: „Lehn dich bei deinen Predigten nicht so deutlich aus dem Fenster.“ Aber auch Prassek hat das ausgehalten und ist vor dieser Herausforderung nicht zurückgeschreckt.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    ich glaube, dass dieses Moment des Aushaltens, des nicht vor der Realität fliehen, sich nicht in irgendwelche Sonderwelten zurückzuziehen, ein ganz wichtiges Moment unseres Glaubens ist. Im Moment wird es für mich sehr deutlich, durch die sogenannte MHG-Studie über den sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche in Deutschland. Hier kommt eine schmerzhafte Wahrheit über unsere Kirche ans Tageslicht. Vieles, was bisher verdeckt war, tritt an die Oberfläche. Das, was verschwiegen und vertuscht worden ist, sprechen wir aus und wir fangen gerade erst an. Ich bin der Überzeugung, dass für die nächsten Jahre, ja Jahrzehnte, das Thema der Aufarbeitung schlechthin für unsere Kirche sein wird. Dieses Thema nicht kleinzureden und wieder wegzudrücken, darauf kommt es an, es vielmehr auszuhalten und durchzuhalten. Das wird entscheidend sein, um daran zu wachsen und zu reifen und sich der Herausforderung zu stellen. Deswegen bin ich dankbar, dass wir nicht nur auf der Bischofskonferenz so intensiv darüber diskutiert haben, sondern auch in verschiedenen Kreisen unserer Erzdiözese: im Erzbischöflichen Rat, im Diözesanpastoralrat mit der Laienvertretung unserer Erzdiözese, im Priesterrat und sicher in vielen Kreisen in unseren Gemeinden.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    die Pharisäer fragen Jesus, ob es erlaubt ist, dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht. Das Zahlen von Steuern könnte ihm den Vorwurf einbringen, ein Freund der Besatzungsmacht, also der Rö-mer, zu sein. Das Verweigern der kaiserlichen Steuer hätte dazu geführt, ihn bei der römischen Besatzungsmacht anzuklagen. Er war also wirklich in eine Klemme geraten. In eine Klemme zwischen den ganz Frommen, die für die Sache Gottes stehen und nichts anderes kennen und den eher Liberalen, die es mit dem Gesetz nicht so genau nahmen und mit der Besatzungsmacht zusammenarbeiteten. In dieser Klemme muss Jesus Partei beziehen – so die Auffassung der Heuchler.



    Aber Jesu Antwort ist souverän. Steuern zu zahlen ist für Jesus kein Problem, denn das bedeutet keine Vergöttlichung des Staates oder des Kaisers. Nur da, wo sich Kaiser und Könige oder andere Herrscher göttliche Ansprüche anmaßen, da darf man ihnen nicht gehorchen. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“, wie die Apostelgeschichte sagt (Apg 5,29 b) und wie es auch auf dem Grabstein von Karl-Friedrich Stellbrink festgehalten ist. Wenn man Gott Gott sein lässt und ihm den ersten Platz einräumt, dann ist klar, dass der Mensch höchstens der zweite ist. Und dann ordnen sich die Dinge, dann entsteht Freiraum für die Gestaltung dieser Welt und unseres politischen, gesellschaftlichen und sozialen Zusammenlebens.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    Jesus lässt sich die Münze zeigen und schaut darauf. Vielleicht hilft auch uns ein Blick auf die Münze. Jede Münze hat ihren Wert durch das Material aus dem sie ist, aber ihren eigentlichen Kurs-wert bekommt sie erst durch die Prägung, die auf ihr zu sehen ist. Eine Münze ohne Prägung ist wertlos, aber eine mit Prägung wird zu einem Zahlungsmittel von unter Umständen hohem Wert. Denken wir an Golddukaten oder Ähnliches. Jeder von uns ist geprägt – und zwar nicht nur durch seine Erziehung oder durch die Umstände, in denen er aufwächst und lebt. Jeder Christ ist geprägt durch Christus. Jeder Christ ist Ebenbild Gottes und trägt Gottes Bild in sich. Jeder von uns ist wie eine Münze, die den unendlichen Wert Gottes in sich trägt. Das wussten unsere vier Märtyrer. Und deswegen haben sie sich für das Leben und jeden Menschen eingesetzt, egal ob alt oder jung, ob von hier oder aus der Fremde, ob arm oder reich. Jeder Einzelne ist Gottes Ebenbild und trägt deswegen einen unendlichen Wert. Und das dürfen wir auch 75 Jahre nach ihrem Martyrium niemals vergessen.
  • Predigt zum 100jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit Polens / St. Marien-Dom/Hamburg / 09. 11. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort!





    Sehr geehrter Herr Generalkonsul,

    liebe Schwestern und Brüder,



    ich freue mich außerordentlich, heute mit Ihnen diesen Gedenk- und Dankgottesdienst zum 100jährigen Gedächtnis der Unabhängigkeit Polens zu feiern.



    Gerne erinnere ich mich daran, dass ich als Student vor vielen Jahren zum ersten Mal in Polen war und seinerzeit sehr beeindruckt war von der Frömmigkeit der Polen. Es war ein Sonntagmorgen und aufgrund unseres Reiseprogramms besuchten wir schon recht früh die Heilige Messe, die bis auf den letzten Platz voll war. Natürlich will ich nicht vergessen den großen polnischen Papst, Johannes Paul II., dem ich als Seminarist begegnen durfte. Er war ein Mann, der aus einer tiefen Frömmigkeit herauskam aber gleichzeitig auch sehr politisch dachte. Sicher war ihm dies in die Persönlichkeit hineingelegt, wenn ich daran denke, wie er bereits als junger Priester agierte, als Professor und später als Bischof. Bemerkenswert finde ich immer wieder die große Geste, dass er am Heiligen Abend die Christmette in Nowa Huta feierte, in der Stadt ohne Gott, und den Gottesdienst unter freiem Himmel hielt, selbst in bitterer Kälte.



    In diesem Jahr durfte ich mit Pfarrer Bystron zusammen einige Tage in Danzig und Pelplin verbringen, für die ich sehr dankbar bin.



    Der heutige Tag, der 9. November wird oft als der Schicksalstag der Deutschen genannt. An diesem Tag kam es zu Ereignissen, die die deutsche Geschichte prägten: Die Abdankung des Deutschen Kaisers vor 100 Jahren, die Novemberpogrome im Jahr 1938 und der Mauerfall im Jahre 1989, um nur einige zu nennen.



    Ich freue mich vor allem deshalb über unseren gemeinsamen Gottesdienst, weil ein gemeinsames Gedenken für uns heute im Gegensatz zu Früher selbstverständlich ist. Das Auf-und-ab der deutschen Geschichte ist oftmals eng – und leidvoll – mit der des polnischen Volkes verbunden. Im Ersten Weltkrieg existiert Polen faktisch nicht. Es war aufgeteilt auf das Deutsche Reich, auf Österreich-Ungarn und Russland. Polen kämpften in allen drei Armeen im Ersten Weltkrieg. Immer wieder gab es Bestrebungen nach polnischer Autonomie und Souveränität. Im Jahr 1918 geschah das, womit kaum jemand gerechnet hatte: alle drei Mächte, die Polen unter sich aufgeteilt hatten, brachen zusammen. Reichskanzler Max von Baden verkündet die Abdankung des Deutschen Kaisers und Philipp Scheidemann ruft vom Fenster des Reichstagsgebäudes die Republik aus. Kurz darauf reist der deutsche Generalgouverneur aus Warschau ab und am 11. November erreichte Polen schließlich nach 123 langen Jahren der Fremdherrschaft die Unabhängigkeit. Sie verdankt sich zu gleichen Teilen äußeren Umständen und einer Selbstbefreiung. Doch wir alle wissen, damit war die Unabhängigkeit noch nicht für immer errungen. Das polnische Volk musste nicht zuletzt durch uns Deutsche leidvoll erfahren, dass Freiheit stets neu gegen Ideologien errungen werden muss. Umso dankbarer dürfen wir sein, dass Polen heute Teil eines freien, vereinten und friedlichen Europas ist.



    Aber was heißt denn eigentlich Freiheit? Was macht Freiheit aus? Der große polnische Papst Johannes Paul II. hat es sehr provokant formuliert: „Freiheit bedeutet Selbsthingabe.“ Das mag uns nicht recht einleuchten. Ist nicht Freiheit das höchste Gut? Ist nicht ohne Freiheit alles nichts? Wie kann er als Pole sagen, dass die Freiheit, die so leidvoll errungen, dass die eigentliche Freiheit die Selbsthingabe ist? Der Apostel Paulus bekennt in unserer heutigen Lesung: „Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“ Jesus Christus ist der Grund und das Bild unserer Freiheit. Aus Freiheit und aus Liebe zu uns Menschen ist er Mensch geworden und hat sich für uns hingegeben. Er hat uns aus der Knechtschaft des Bösen befreit und befreit uns immer wieder aus Verstrickungen von Schuld. Er befähigt uns, ohne Sorge unsere Freiheit hinzugeben. Denn erst in der Hingabe werden wir selber und damit wirklich frei. Die Entscheidung für Gott nimmt dem Leben nichts von seiner Freiheit und Schönheit. Die Entscheidung für ein zölibatäres Leben oder für eine Ehe sind nicht das Ende der Freiheit, sondern erst der Anfang einer viel größeren. Die Hingabe wird aber auch konkret, wenn ich an die große Bereicherung denke, die Sie als Gläubige mit polnischen Wurzeln in unseren Pastoralen Räumen und in den Missionen darstellen. Ihr unermüdliches Engagement für die Katechese, Ihr Einsatz in unseren Gemeinden und nicht zuletzt Ihr ständiges Gebet machen mich sehr dankbar. Ich wüsste nicht, was die Kirche von Hamburg ohne Sie wäre.



    Was im persönlichen Leben gilt, gilt auch gesellschaftlich und politisch. Die Nationen Europas werden nicht dadurch freier, dass sie sich gegeneinander abschotten. Erst das Miteinander macht Frieden und Entwicklung möglich. Besonders deutlich wird das an der polnischen, an Ihrer Bereitschaft zur Versöhnung gegenüber uns Deutschen. Mich beeindruckt immer wieder ein Satz aus dem Aufruf der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder von 1965. 20 Jahre nach den leidvollen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges schreiben sie: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“



    Wir feiern heute den Weihetag der Lateranbasilika in Rom. Sie ist die Mutter und das Haupt aller Kirchen des Erdkreises – so Ihr Ehrentitel. Wir feiern also nicht irgendeinen Weihetag einer Kirche in Rom. Sondern dieses Fest zu Ehren unserer gemeinsamen „Mutter“ macht deutlich, dass wir als katholische Christen eine große Familie bilden – über alle Länder- und Kulturgrenzen hinweg. Ich bin darum der Überzeugung: Wir haben als Kirchen eine besondere Verantwortung für die Versöhnung und das Miteinander unter den Völkern. Wir dürfen für die Überzeugung einstehen, dass sich Freiheit nicht im Gegeneinander, sondern im Miteinander verwirklicht – im Miteinander mit Gott und den Menschen.
  • Predigt zur Sendungsfeier der neuen Pastoralreferenten / St. Marien-Dom/ Hamburg / 22. 09. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort



    Lesungstexte: 2 Tim 4,1-5; Ev: Mk 16,14a15-20





    Liebe Schwestern und Brüder,



    eigentlich müsste ich heute gar nicht predigen. Wir haben gerade den Auftrag Jesu aus dem Markusevangelium gehört: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ Das ist ein sehr klarer Auftrag, an dem es höchstens zu deuteln gibt, wie wir ihn angehen. Aber auch das Wie ist schon beantwortet: Wir sind hier zusammengekommen, um drei junge Menschen für diesen Dienst zu beauftragen. Dass Sie, Frau Altendorf, Herr Dr. Anbergen und Herr Dr. Bender, heute hier sind, ist sozusagen die Fleisch gewordene Predigt zu diesem Evangelium. Heute werden drei Menschen ausgesandt, das Evangelium zu verkünden. Sehr sinnfällig wird das, wenn ich Ihnen gleich das Evangeliar überreiche.



    Natürlich können wir fragen, warum müssen wir Christen eigentlich in die ganze Welt hinausgehen? Leben wir nicht in der Welt? Unser St.-Marien-Dom hier ist doch keine katholische Insel? Christen gibt es auf der ganzen Welt, in jedem Land. Was heißt also hinausgehen? Ich glaube, heute in die ganze Welt hinaus zu gehen heißt, sich auf das ganze Leben der Menschen einzulassen. Sich auf die Vielfalt des Lebens einzulassen mit seinen grandiosen Höhenflügen und seinen tiefsten Abgründen – bis zu den existentiellen Rändern, von denen Papst Franziskus immer wieder spricht und auf die er unermüdlich hinweist. Sie, liebe Pastoralreferenten, machen ja nicht irgendeinen Job, machen nicht irgendwelche Angebote, sitzen nicht nur in Besprechungen – all das ist es vielleicht auch. Aber zu allererst lassen sich in den Dienst nehmen, von Christus zu den Menschen senden und wie er in die existenziellen Fragen des Menschen hineinnehmen.



    Ich bin dankbar, dass wir in unserer Kirche hauptamtliche „Laien“ im pastoralen Dienst haben. So sehr ich persönlich von meinem Weg als zölibatär lebender Priester überzeugt bin, halte ich in der gleichen Weise Ihren Lebensstand in der Seelsorge für notwendig. Sie sind als Christen andere Ansprechpartner als Priester und Diakone. Ihr Dienst ruht auf dem Apostolat der Laien, das in Taufe und Firmung grundgelegt ist und eigene Charismen umfasst. Sie sind mit oder ohne Familie ganz in der Welt, ganz im Leben vieler Menschen. Sie kennen die Spannung und das Austarieren zwischen Beruf und Familie. Sie kennen die Frage, was tun, wenn die Kinder krank sind, wenn Betreuung ausfällt und so weiter. Und sie wissen eben auch, was es heißt, in all dem Alltäglichen des Lebens als Christen den Glauben zu finden, ja gerade den Alltag als Ort des Glaubens wahrzunehmen.



    Verkündigung ist keine Sache allein für Hauptberufliche. Das Leben von jede und jedem, unsere Erfahrungen sind Orte des Glaubens, sind Ausgangspunkte für Glaube. Von Franz von Assisi stammt die Aufforderung: „Verkünde das Evangelium. Wenn nötig, nimm Worte dazu.“ Leben und Glauben sind keine Gegensätze, sondern der Alltag ist der Ort der Gotteserkenntnis und des Gottesdienstes. Christus selber ist es, der in die ganze Welt hinausgegangen ist. Er ist Fleisch geworden und hat das ganze Leben des Menschen angenommen mit jeder Faser, hat sich unsere Existenz zu Eigen gemacht. Jeden Höhepunkt und jeden Tiefpunkt durchleben wir mit und in ihm. In diese Dynamik sind wir als Christen, sind Sie als Pastoralreferenten hineingenommen. Und diese Dynamik kann und wird auf andere ausstrahlen.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    Verkündigung ist keine Einbahnstraße. Verkündigung ist immer ein Beziehungsgeschehen – ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch und Mensch und Mensch. Vor kurzem berichtete die Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ von einem Ordensmann, der den polnischen Priester und Philosophen Józef Tischner im Krankenhaus besucht hat, in dem dieser wegen einer schweren Kehlkopferkrankung lag. Der Ordensmann stellt Tischner die Frage: „Wie leben?“ Der schwerkranke Philosoph entgegnet ihm: Nicht „Wie?“, sondern „Mit wem?“. Nicht das Wie ist wichtig, sondern das Wer bzw. Mit wem. Das gilt im hohen Maße auch für die Verkündigung. Das persönliche Glaubensleben ist wichtig – und ich bitte Sie, liebe Pastoralreferenten, das in Ihrem Dienst nicht zu verlieren. Auch eine gute Ausbildung und Weiterbildung sind wichtig. Mit ihrem Studium und der anschließende Berufseinführung sind sie sehr gut auf ihren Dienst vorbereitet. Aber das entscheidende ist jetzt, das nicht isoliert für sich zu leben, sondern mit den Menschen. Mit den Menschen den Glauben zu leben, das kann vieles vereinfachen, das kann aber auch immer wieder zur Anfrage werden. Nur ein angefragter Glaube ist ein reifer Glaube. Ich bin dankbar, dass wir diese Perspektive auch in unserem Pastoralen Orientierungsrahmen verankert haben: „Als Kirche mitten in der Welt hören, entdecken und lernen wir. Wir hören, was Menschen bewegt. Mit ihnen suchen wir nach Spuren der Präsenz Gottes. Wir lernen gemeinsam mit ihnen, das Evangelium der Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit Gottes zu leben.“



    Mit wem gehen wir? Mit wem gehen Sie? Liebe Frau Altendorf, lieber Herr Dr. Anbergen und Herr Dr. Bender, die heutige Sendungsfeier bekräftigt auch noch einmal das, was in der Taufe und der Firmung grundgelegt wurde: Gott geht mit Ihnen! Er nimmt Sie in den Dienst und darum will er sich auch für Sie in den Dienst nehmen lassen.
  • Medienempfang / Hamburg / 17. 09. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort



    Sehr geehrte Damen und Herren,



    ich begrüße Sie herzlich zu unserem diesjährigen Medienempfang.



    Ich freue mich, dass Pater Hagenkord den Weg aus Rom geschafft hat, vor Jahren hatte ein Streik der Alitalia ihren Besuch verhindert, heute sind Sie da, wir freuen uns auf die Neuigkeiten aus Rom. Die Medienarbeit wurde umgebaut und auch sonst ist viel los im Vatikan. Ich bin gespannt, was Sie uns berichten können.



    Im letzten Jahr hat uns ein mächtiger Sturm hier fast vom Dach gefegt. Heute können Sie hoffentlich ungestört und angeregt miteinander und mit mir in Kontakt kommen.



    Themen gibt es viele. Die römischen Themen habe ich angedeutet. Auch in Hamburg und im Erzbistum haben wir für Schlagzeilen gesorgt. Ich danke Ihnen ausdrücklich, dass Sie unsere Entscheidungen so intensiv in Ihrer Berichterstattung begleitet haben, kritisch begleitet haben.



    Wie Mitte Januar bekannt gegeben, stehen wir vor einem großen bilanziellen Schuldenberg. Den wollen und können wir nicht den nächsten Generationen überlassen. Das wäre unfair. Die Experten sagen uns, dass wir dies bewältigen können, wenn wir jetzt entscheidend handeln. Deshalb müssen wir auch weiterhin manch schmerzliche Entscheidung treffen.



    Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass das Erzbistum Hamburg nicht nur aus Hamburg besteht, sondern auch noch Schleswig-Holstein und Mecklenburg umfasst.

    Wir werden also einen Ausgleich schaffen, der alle Bereiche umfasst. So schwer das für manche auch zu verstehen ist.



    In der Frage der Schulen in Hamburg ist es mir wichtig, dass wir die Entscheidung, die wir bald zu den drei Moratoriumsschulen treffen werden, mit den Gremien besprechen. Es bleibt für mich aber dabei, dass wir im Rahmen unserer Erneuerung 13 Schulen gut ertüchtigen können, um auch in Zukunft gute Schulen anbieten zu können. Bei den drei anderen brauchen wir finanzielle Unterstützung.



    Den Weg der Sanierung und Erneuerung müssen wir weitergehen. Und ich möchte betonen, dass wir mit dem Schulthema in Mecklenburg und Hamburg die größten Brocken sofort angegangen sind. Mit dem neuen Wirtschaftsrat, der sich in der nächsten Woche konstituieren wird, haben wir eine Beteiligung von Vertretern aus allen Pfarreien und Pastoralen Räumen am Tisch. Er ist damit zugleich ein Forum, die Interessen der drei Regionen und der vielfältigen Formen kirchlichen Lebens auszutarieren. Dieses Austarieren soll nicht im luftleeren Raum geschehen. Im Februar werden wir bei einem Bistumstag über die pastoralen Kriterien entscheiden, die für die Aufstellung unseres Wirtschaftsplans ab 2020 wichtig sind. Die Leitfrage ist immer: Was ist für uns als katholische Kirche im Norden im Rahmen unserer Möglichkeiten heute dran?



    In der nächsten Woche bei der Vollversammlung der Bischofskonferenz werden wir über die Ergebnisse der Studie zum sexuellen Missbrauch beraten, die wir als Bischöfe in Auftrag gegeben haben. Ich kenne die ganze Studie noch nicht. Die ersten Zahlen lassen mich aber schon erahnen, was wir als Bischöfe mit Scham und Trauer wahrnehmen müssen: Es hat sehr viele Betroffene gegeben, Priester waren Täter, sie sind manchmal einfach versetzt, ihre Untaten vertuscht worden. Hier haben kirchliche Verantwortliche auf allen Ebenen Schuld auf sich geladen und den Betroffenen dadurch zusätzlich Leid zugefügt. Ich hoffe, dass wir in der Vollversammlung zu einschneidenden und verbindlichen Entscheidungen kommen, die gemeinsam mitgetragen werden. Ein „Weiter so“ kann es nicht geben. Vorschnelle Versprechungen helfen aber auch nicht weiter. Das war nicht die Absicht, als wir die Studie in Auftrag gegeben haben. Zurückreichend bis 1945 wurden Personalakten durchleuchtet, um belastbare Zahlen aus dem Hellfeld zu haben und genauer zu erfahren, ob es strukturelle und systemische Ursachen beim Missbrauch gegeben hat. Ohne Einzelheiten zu kennen, werden wir uns Gedanken machen müssen über Fragen von Macht und Hierarchie, über die Sexualethik, über strengste Auswahlkriterien in unseren Seminaren sowie über unsere Verfahren. Seit 2010 steht das Thema Kinder- und Jugendschutz oben auf der Tagesordnung. Im Erzbistum gibt es daher eine intensive Präventionsarbeit durch die Schulung vieler tausend kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

    Das Gespräch mit Betroffenen findet statt, auch ich persönlich führe Gespräche. In Neubrandenburg hatten wir einen besonders schweren Fall von Missbrauch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Vor den Sommerferien war ich bei einer Gemeindeversammlung dort. Ich habe angekündigt, dass wir externe Experten mit einer Aufarbeitung beauftragen werden.



    Nun lenke ich den Blick auf Pater Bernd Hagenkord, er ist Jesuit und einer der drei Chefs von Vatikan News, worin ja das alterwürdige Radio Vatikan aufgegangen ist:



    Drei weltkirchliche Versammlungen stehen an, die Papst Franziskus angeregt hat, die ihm am Herzen liegen:

    Die Jugendsynode im Herbst, das Treffen der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zum Thema Missbrauch im Februar und im Herbst 2019 die Amazonas-Synode. Die Erwartungen an die Beratungen und die Reform der Kurie sind hoch.



    Ich freue mich, dass wir Sie heute hier als Redner haben:



    Was ist los ist Rom, lieber Pater Hagenkord?
  • Predigt zur Gründung des neuen Diözesancaritasverbandes / Kath. Kirche St. Andreas Schwerin / 08. 09. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort





    Liebe Schwestern und Brüder,

    sehr geehrte Damen und Herren,



    wir feiern heute Mariä Geburt, den Geburtstag von Maria, der Mutter Jesu. Es gibt vermutlich kaum katholischere Feiertage als Marienfeste. Deswegen passt der heutige Feiertag zum heutigen Festakt: Es gibt kaum etwas Katholischeres als die Caritas. Damit meine ich nicht, dass es Caritas, dass es tätige Nächstenliebe nur auf katholisch gäbe. Im Gegenteil: Katholische Kirche gibt es nur mit Caritas, nie ohne. Die Kirche ist nicht nur – etwas salopp sagt – für den Kontakt zwischen Gott und Mensch zuständig, sondern auch für den von Mensch zu Mensch. Jesus hat in seinen Verkündigung immer wieder deutlich gemacht, Gottesdienst ohne Dienst am Nächsten kann es nicht geben. Gottesliebe und Nächstenliebe sind zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb ist der Diözesancaritasverband ja auch nichts völlig neues. 1861 begann die Geschichte der verfassten Caritas im Norden mit der Gründung eines Waisenhauses im Hamburger Viertel St. Georg. Die damalige Kapelle des Waisenhauses ist der Ursprung unserer heutigen Domkirche. Weitere Gründungen folgten in Schleswig-Holstein und 1946 schließlich auch in Mecklenburg.



    Ich möchte mit meinem Hinweis auf Maria keine ökumenischen Untiefen beschreiten. Aber ich bin überzeugt, dass das heutige Marienfest aus einem zweiten Grund gut zu unserem Anlass passt. Maria, so wie sie im Neuen Testament in Erscheinung tritt, ist ein sprechendes Bild für unsere Caritas. Sie ist eine unbekannte Frau in einem kleinen Dorf am Rande des römischen Reiches. Aber genau sie bringt den Sohn Gottes zur Welt. Das wirklich bedeutende geschieht nicht immer auf der großen Bühne – vermutlich sogar sehr selten. Nachdem Maria mit Jesus schwanger geworden ist und merkt, welche Wunder Gott an ihr vollbringt, singt sie: „Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter. … Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“ (Lk 1,46f,52f). An Maria wird deutlich, dass Gott auf der Seite der Menschen steht, die am Rand sind, an der Seite der Namenlosen und Hilfsbedürftigen.



    Als Priester bin ich verpflichtet, dieses Gebet von Maria jeden Abend zu beten. Dieses Gebet erinnert uns jeden Abend daran, dass es die Kirche wie Gott halten muss; dass auch die Kirche genau auf der Seite stehen muss, auf der auch Gott steht: auf der Seite der Benachteiligten. Die Kirche muss Hilfe sein für die Suchenden und Anwältin für die Stimmlosen. Das ist zum einen meine persönliche Aufgabe als Christ. Caritas ist das persönliche Engagement, die persönliche Hinwendung zum Nächsten. Das ist aber auch Aufgabe der ganzen Kirche. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass wir Sie, die verbandliche Caritas haben. Mit Ihnen wirken wir verbindlich und professionell, mit und für die Menschen – und nicht zuletzt in die Gesellschaft und Politik hinein. Beide Dimensionen – das persönliche und das verbandliche, das ehrenamtliche und hauptamtliche Engagement – schließen sich nicht aus. Im Gegenteil, sie gehören zutiefst zusammen.



    Vor kurzem hat ein Kunsthistoriker gesagt: „Die Welt wird nicht durch die Erledigung des Notwendigen gestaltet, sondern durch das Mehr über das Notwendige hinaus.“ Das gilt nicht nur für die Kunst. Ich bin der Überzeugung, Ihr Engagement in der Caritas ist nicht einfach nur ein Job, eine Dienstleistung, nicht einfach nur Hilfe oder Beratung. Die konkrete Zuwendung zum Menschen macht immer auch deutlich: „Du hast Würde!“. „Mein Beruf ist, die Würde des Menschen zu pflegen.“ hat es eine Pflegerin Ihrer evangelischen Schwesterorganisation, der Diakonie, auf den Punkt gebracht.



    Liebe Schwestern und Brüder, Maria war nicht allein. Sie hatte Josef an ihrer Seite. Josef, der Vater Jesu, sagt in der ganzen Bibel kein einziges Wort. Wir wissen auch sonst fast nichts über ihn. Er gehörte nicht zur Oberschicht, war nicht reich und hatte keine gesellschaftlich bedeutende Stellung. Und wie schon Maria ist er auserwählt, der „Ziehvater Jesu“ zu sein. Wir haben es gerade in Evangelium gehört: Ein Engel erscheint ihm im Traum und sagt ihm: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet ist vom Heiligen Geist.“ (Mt 1,20) Josef bietet Jesus ein Zuhause und lehrt ihm vermutlich seinen Beruf. Auch wie Josef ist die Caritas: Menschen vorbehaltlos annehmen und lehren. Lehren aber nicht die Menschen, sondern die Kirche! Sie sind gewissermaßen das Auge der Kirche für die Nöte der Menschen heute. In unserem Pastoralen Orientierungsrahmen haben wir uns als Erzbistum verpflichtet, menschennah, aufsuchend und solidarisch zu sein. Bei Ihnen können wir als ganzes Erzbistum lernen, wie das geht.



    Maria und Josef sind bei allem verbindenden sehr unterschiedlich – wie auch die vier ehemaligen Caritasverbände. Aber zusammen ergänzen sie sich und ziehen den Sohn Gottes groß! Das ist mein Wunsch heute an den neuen Diözesancaritasverband, dass Sie zusammenwachsen und gemeinsam weiter wachsen. Ich möchte Sie ermutigen, weiter nah bei den Menschen zu sein, sich immer neu in den Dienst nehmen lassen, wo sie gebraucht werden. Und ich möchte vor allem noch eines sagen: Vielen, vielen Dank!

  • Sommerfest in Schwerin – Anregung für die Predigt / Schwerin / 04. 09. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort





    Sehr geehrte Damen und Herren,

    liebe Schwestern und Brüder,



    immer wieder gerne lese oder höre ich die Schöpfungsgeschichten aus der Bibel. Gerade jetzt im Spätsommer im Übergang zum Herbst können wir den Reichtum und die Schönheit der Schöpfung sehen und bestaunen. Wir mussten in diesem Jahr aber leider einmal mehr erkennen, wie bedroht diese Schöpfung ist. Und noch eines: Wie sehr wir von ihr abhängen. Innerhalb von 15 Jahren haben wir zwei für unsere Verhältnisse extreme Dürren erlebt. Hier in Mecklenburg-Vorpommern etwa lagen die Ernteeinbußen der verschiedenen Getreidesorten zwischen 20 und 30 %.



    Zu Beginn unserer Andacht haben wir die Schönheit der Schöpfung besungen und gleichzeitig wissen wir um ihre Zerbrechlichkeit. Der Klimawandel ist ja nur ein, wenn auch das bedrohlichste Phänomen der Veränderungen. Hinzu kommen noch Bodenerosion, Rückgang der Artenvielfalt… – von den Folgen auf den Menschen und das menschliche Zusammenleben ganz zu schweigen. Papst Franziskus hat angesichts dieser Entwicklungen ein Schreiben unter dem Titel Laudato si´ veröffentlicht. Laudato si´ ist ein Zitat aus dem Sonnengesang, einem Gebet seines Namenspatrons, des heiligen Franziskus von Assisi. Ganz bewusst hat sich der Papst Franziskus nach dem Heiligen Franziskus benannt. „Gelobt seist du, mein Herr, mit all deinen Geschöpfen“. Und dann zählt der heilige Franziskus auf: Gelobt seist du für Schwester Sonne, für Bruder Mond, für Bruder Wind, für Schwester Wasser…



    Was mich an diesem Lobgesang bewegt, ist seine Sicht auf die Schöpfung. Die Schöpfung ist nicht unser Feind oder ein reines Gegenüber, das wir in den Griff bekommen müssten. Die Schöpfung ist unsere Lebensgrundlage, ja wir selber sind Teil von ihr. Entsprechend schreibt Papst Franziskus, dass wir uns um das „gemeinsame Haus“ sorgen müssen. Wir leben als Menschen alle auf der gleichen Erde, teilen uns ein Haus. Das heißt auch: Die Probleme dieser Welt sind komplex und miteinander verbunden. Klimawandel ist nicht einfach nur Klimawandel, Klimawandel ist auch Fluchtursache und so weiter. Gemeinsam können wir Lösungen finden und umsetzen. Die gute Nachricht ist: Gott traut uns das zu. Er hat uns die Freiheit gegeben, aktiv zu werden und zu handeln. „Gott, der Herr nahm den Menschen und gab ihm Wohnsitz im Garten Eden, damit er ihn bearbeite und hüte.“, haben wir gerade in der Lesung gehört.



    Ich bin dankbar, dass wir heute Nachmittag hier zusammen gekommen sind. Ein Stück weit wird dadurch unser gemeinsames Engagement für das gemeinsame ‚Haus‘ Mecklenburg-Vorpommern erlebbar: gemeinsam als Kirchen, als politische Institutionen, als Schulen und Hochschulen, als Zivilgesellschaft und als Wirtschaft. Wir wenden uns gegen alle Rufe nach Ausgrenzung und gesellschaftlicher Spaltung, wie sie derzeit etwa in Chemnitz laut werden und verurteilen Übergriffe wie in Wismar. Nur Gemeinsam können wir ein Haus zum Wohl aller aufbauen und erhalten.
  • Predigt zur Bischofsweihe von Pater Dr. Heiner Wilmer SCJ / Dom zu Hildesheim / 01. 09. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort!



    (1 Sam 3,1-10; 2 Kor 1,18-24; Mt 11,25-30)





    Liebe Schwestern und Brüder!

    Lieber Bischof Heiner!



    Samuel war offenbar kein Emsländer. Wir haben von ihm gerade in der ersten Lesung gehört. Er wird nachts gerufen und antwortet direkt: Ja, hier bin ich. Und sofort rennt er los. Für einen Emsländer wie dich, lieber Heiner, unvorstellbar – spricht der Volksmund euch neben Bodenständigkeit und Trinkfestigkeit doch eine gute Portion Sturheit zu. So hast du nach deiner Wahl zum Bischof auch erst einmal dem Papst gemailt, was du tun sollst. Schließlich hast du Ja gesagt. Viel-leicht gehört auch dieses Vertrauen in den Weg der Kirche zu deiner emsländischen Herkunft.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    ich glaube, ich spreche für uns alle, wenn ich sage: Danke, dass du Ja gesagt hast. Danke, dass wir heute deine Weihe und Einführung als Bischof von Hildesheim feiern dürfen. Es ist spannend, aber auch herausfordernd, heute Bischof zu sein. Viele Aufgaben warten auf dich: Hirte sein in der Diaspora, in einem großen Flächenbistum, mutig und visionär sein angesichts knapper Finanzen, klar und bestimmt sein in der Aufklärung und der Bekämpfung sexuellen Missbrauchs, Menschen Mut und Halt zu vermitteln in Zeiten großer Unsicherheiten und auch von Ausschreitungen, wie uns gerade die vergangenen Tage in beschämender Weise zeigen. Auch zu all diesen konkreten Herausforderungen gibst du heute dein Ja.



    Liebe Mitchristen, die Lesungen des heutigen Tages bleiben nicht beim Ja des Samuel, beim Ja der Menschen stehen. „In Ihm ist da Ja verwirklicht.“ (2 Kor 1,19) In Ihm, das heißt in Jesus Christus, ist das Ja Wirklichkeit geworden. Paulus setzt Jesus Christus und dieses Ja in eins: Er, Jesus Christus, ist das Ja. Jesus Christus gibt uns nicht nur sein Jawort oder sein Ehrenwort, sondern er ist es in Person. Er selber ist das große, ganze und klare Ja. Eben kein Nein und auch nicht ein Jein. Das Bedeutende unseres christlichen Glaubens besteht darin, dass Gott diese Welt nicht verneint, dass er ihr gegenüber nicht indifferent und gleichgültig bleibt, oder auch nur hin- und hergerissen. Wir Christen glauben an einen Gott, der ein ganzes Ja zu seiner Schöpfung und zum Menschen sagt – sogar wenn sie sich von ihm entfernen.



    Wir sind feierlich in den Dom eingezogen und am Portal durch die altehrwürdige Bernwardstür gegangen. Dieses wunderbare Kunstwerk erinnert uns an das Ja Gottes zur Welt, zur Schöpfung, zum Menschen, zur Kirche, zu uns. Es erinnert uns freilich auch an den Menschen, der zu Gott nein sagt. Adam und Eva, die Prototypen der Menschheit, trennen sich von Gott. Die ersten Menschen sind nicht zufrieden mit ihrem Menschsein im Paradies. Sie wollen sein wie Gott, was Menschen aber nie sein können. Dennoch lässt Gott die Menschheit nicht fallen. Er holt sie in Christus zurück und bringt sie sich selber näher. Die Mission Jesu Christi besteht darin, dass Nein der Menschen umzuleben in ein einziges, wirkmächtiges Ja.



    Lieber Bischof Heiner, du wirst noch sehr häufig durch das Bernwardsportal in den Hildesheimer Dom einziehen dürfen. Sei dir dann immer bewusst, in welchem großen Horizont und in welchem großartigen Rahmen dein bischöflicher Dienst und deine ganze Diözese stehen. Sie stehen unter dem Jawort Gottes zu allen Menschen, das Christus gelebt hat, von der Geburt bis zum Tod am Kreuz und darüber hinaus. Du selber bist zu allererst von Gott bejaht.



    In diese großartige Geschichte trittst du nun besonders ein. Die vielen Stationen deines Lebens – das Emsland, Freiburg, Paris, Rom, Toronto, New York, Bonn – sie bekommen eine neue Station: Hildesheim und das Bistum Hildesheim mit seiner weiten Ausdehnung zwischen Cuxhaven und dem Harz, mit seiner langen Geschichte von Kaiser Ludwig dem Frommen bis Bischof Norbert. Denke bei deinem Dienst immer daran: Nicht nur das Domkapitel hat dich gewählt und zu dir ja gesagt. Nicht nur der Heilige Vater hat dich ernannt, sondern der Horizont ist viel größer. Gott sagt zu dir ja. Gott sagt zu dir ein ganzes Ja als Bischof von Hildesheim.



    Liebe Mitchristen, weil das Ja Gottes der Ausgangspukt aller unserer Tätigkeiten und Aktionen ist, ist es wichtig, dass wir heute feiern. Bischof Heiner ist vor ein paar Monaten gewählt und ernannt worden. Seitdem hat er sich vorgestellt, ist mit Jugendlichen gepilgert und hat sich vertraut gemacht mit seinem neuen Bistum und seiner neuen Aufgabe. Aber der Beginn deines Dienstes geschieht nicht, indem du, lieber Heiner, in einem Zimmer des Generalvikariates einen Vertrag unterschreibst. Der Bischof und alle anderen Amtsträger der Kirche sind nicht Verwaltungsdirektoren einer NGO, nicht Präsidenten einer Bewegung oder Manager eines Religionskonzernes, vor allem und zuerst sind sie Zeugen des Evangeliums, ja Zeugen des gekreuzigten und auferstandenen Christus! Die Apostel bezeugen gerade die Identität des Jesus, der am Kreuz gestorben ist, mit dem auferstandenen Christus, der sich ihnen immer wieder gezeigt hat. Dafür haben sie ihr Leben eingesetzt und sogar verschenkt. Dafür stehen die Apostel, dafür stehen die Bischöfe. Deswegen beginnt dein Dienst hier und heute mit einem Fest, dem Fest des liebevollen Sterbens und der glorreichen Auferstehung Jesu, die wir in der Hl. Messe begehen. Und deswegen bildet die Eucharistie immer den unhintergehbaren Beginn all unseres kirchlichen Tuns.



    Lieber Heiner, diese Eucharistie ist verbunden mit deiner Bischofsweihe. Gleich wirst du nach den Fragen der Bereitschaft hier vor dem Altar auf dem Boden liegen: ausgestreckt, flach und ohne weichen Teppich. Ein erwachsener Mann gibt sich diese Blöße. Vielleicht wird in diesem Gestus am ehesten deutlich, was der heilige Paulus einmal so ausdrückte: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ Ja, wir dürfen uns vor Gott diese Blöße geben. Wir müssen nicht den starken Mann markieren. Im Gegenteil: Diese Situation ist Gottes große Chance, dein Leben ganz anzunehmen, es zu verwandeln, es zu prägen. Es ist seine große Chance, von nun an ganz in deinen Worten, ganz in deinen Taten, ganz in deinem Leib, ganz in deinem Leben präsent zu sein. Der eine Hirt der Kirche nimmt sich Heiner Wilmer, um ihn so zu prägen, dass er in seinem Sinne Hirte des Bistums Hildesheim sein kann.



    Die Insignien des Bischofs drücken das aus. Die Mitra, die deinen Kopf bedeckt, soll all dein Denken im Denken Christi beheimatet wissen. Der Bischofsstab, den du tragen wirst, ist nach oben geöffnet mit drei Zungen. Er erinnert an die Dreifaltigkeit und soll dich erinnern, den ‚Draht‘ zu ihr, gleichsam den Draht nach oben zu halten. Und das Kreuz, das du trägst, gleicht dem Symbol der Herz-Jesu-Priester, deren Mitglied du seit dem 19. Lebensjahr bist. Es ist ein Kreuz mit einem Herz. Das Herz Jesu soll dein Herz prägen und verwandeln. In der Herz-Jesu-Litanei beten wir: „Bilde unser Herz nach deinem Herzen“. Die Bischofsweihe will dich ganz umbilden, ganz prägen, ganz wandeln in das Urbild des Bischofs, in Jesus Christus. Sei ein Bischof nach seinem Herzen. Wie du bisher ein Herz-Jesu-Priester warst werde ab heute ein Herz-Jesu-Bischof, der das Herz am rechten Fleck hat – für Gott und die Menschen.
  • Grußwort zu 25 Jahren Heinrich-Theissing-Institut / Schwerin, Schleswig-Holstein-Haus / 31. 08. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort



    Sehr geehrte Frau Ministerin Hoffmeister,

    sehr geehrte Frau Dr. Petschulat

    sehr geehrte Damen und Herren,



    in seinem Buch „Gott ist jung“ schreibt Papst Franziskus drei Sätze, die wie maßgeschneidert für unseren heutigen Festanlass sind: „Der Mensch entfremdet sich von sich selbst, wenn er seine Wurzeln nicht mehr spürt. Er selbst und eine Gesellschaft sind dann verwurzelt, wenn sie Geschichts- und Gemeinschaftsbewusstsein haben. Ohne Geschichte, ohne Erinnerung lässt sich nicht leben.“



    Das Heinrich-Theissing-Institut geht genau dieser Aufgabe nach. In der wissenschaftlichen Erforschung der Vergangenheit der Katholischen Kirche hier in Mecklenburg begeben Sie sich gewissermaßen auf die Suche nach den Wurzeln der kirchlichen Formen heute. Sie leisten mit Ihrer Arbeit, mit Veranstaltungen und Publikationen einen bedeutenden Beitrag zu einem guten Geschichtsbewusstsein und Gemeinschaftsbewusstsein in Mecklenburg. In meinen nunmehr dreieinhalb Jahren als Erzbischof hier im Norden konnte ich mich – und das meine ich positiv – von der eigenen Identität des Mecklenburger Katholizismus überzeugen. Sie ist geprägt von einer extremen Diaspora-Situation mit einer langen und reichen Geschichte: angefangen bei der Christianisierung im Mittelalter, über einen Niels Stensen in Schwerin, über westfälische, rheinische oder fränkische Aufsiedlungen Anfang des 20. Jahrhunderts, über das mutige „Durchhalten“ auch der vertriebenen Katholiken im Sozialismus, bis hin zur Prägekraft des Katholizismus in den Umbrüchen während und nach der Wende. All das verdient großen Respekt und ist der Erinnerung würdig. Erinnert werden muss aber auch an die Schattenseiten der Kirchengeschichte in Mecklenburg, die sich – man denke an den furchtbaren Missbrauch – in unheilvoller Weise mit einigen Ortsnamen verbunden hat.



    „Der Mensch entfremdet sich von sich selbst, wenn er seine Wurzeln nicht mehr spürt“, so Papst Franziskus. Ich widerspreche dem Papst nur ungern, möchte aber zumindest eine Einschränkung vornehmen. Die Metapher „Wurzel“ zu verwenden, hat auch etwas Hierarchisches, Vereinnahmendes. Das Bild der Wurzel heißt ja, dass der Baum ohne sie nicht leben kann. Von Wurzeln kann sich der Baum nicht trennen. Denn Wurzeln sind grundlegend lebensspendend. Und natürlich: Ohne unsere Vergangenheit wären wir nicht hier. Gleichzeitig müssen wir uns hüten, in der Vergangenheit gefangen zu sein. Das Christentum ist nicht in erster Linie eine historische Tradition, sondern es ist Beziehungsgeschehen mit Christus selber. In der jeweiligen Gegenwart, im Hier und Heute will Christentum gelebt werden. Natürlich traditionsbewusst, aber eben nicht traditionalistisch. Gerade deswegen bin ich dankbar, dass die historische Betrachtung der Geschichte Mecklenburgs an einem wissenschaftlichen Institut stattfindet.



    Ein Satz, der das für mich auf unnachahmliche Weise zusammenfasst ist ein Zitat aus dem Römerbrief des Heiligen Paulus: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ Nicht wir tragen die Wurzel, sondern die Wurzel trägt uns. Das heißt doch: Wir wissen um unsere Wurzeln. Wir wissen darum, wo wir herkommen, in allem Positiven wie Negativem. Aber wir müssen diese Wurzel nicht aufrechterhalten, sondern diese Wurzel hat uns dahingeführt, wo wir heute stehen. Auf diesem Fundament müssen wir leben und tun, was heute dran ist in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Wir müssen nicht immer das ewig Gleiche weiterführen und bewahren, sondern lebendig nach vorne gehen.



    Gerade die Stabilität unserer Herkunft, unseres Glaubens ermöglicht uns, die Freiheit und die Offenheit im Hier und Jetzt zu nutzen und kreativ zu sein als Kirche. Gerade wenn wir im Glauben gefestigt sind, können wir gelassen das Alte, wenn es denn sein muss, auch ein Stück hinter uns lassen und Neuland unter den Pflug nehmen. Denn nur in der Lebendigkeit wird die Tradition bewahrt. Wir müssen im Sinne unseres Pastoralen Orientierungsrahmens fragen: Was ist heute dran? Wo sind wir heute als Kirche hin gerufen? Wo sind wir aufgefordert Zeugnis zu geben? Mit wem müssen wir uns heute vernetzen? Mit wem müssen wir solidarisch sein? Wer lehrt uns, wie heute Kirche geht? Wie wachsen wir als Erzbistum Hamburg weiter zusammen?



    Bischof Wanke hat uns im letzten Jahr hier in Schwerin aufgefordert: „Lasst uns neugierig bleiben, was Gott mit uns Katholiken im Osten vorhat und Mithelfer sein für Wege in veränderter Zeit.“ Ich habe in diesen Prozess ein großes Vertrauen, dass der Heilige Geist uns trägt und die Wege der Zukunft weist. Und insofern – davon bin ich überzeugt – wird auch dem Heinrich-Theissing-Institut die Arbeit nicht ausgehen. Ich bin gespannt, was das Institut einmal über unsere jetzige Epoche schreiben wird, welche Deutungen es vornimmt, welche Wege getragen haben werden.



    Ich danke allen haupt- wie ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, allen Freunden und Förderern für Ihr Engagement und wünsche Ihnen für Ihr weiteres Wirken Gottes reichen Segen!



    Gemeinsam mit Ihnen freue ich mich jetzt auf die Buchvorstellung durch den Autor Dr. Georg Diederich. Es schließt die Reihe „Kirche unter Diktaturen“ ab und vervollständigt die Chronik der katholischen Kirche in Mecklenburg.
  • Sommerfest in Kiel – Begrüßung durch Erzbischof Dr. Stefan Heße / Erzbischöfliches Amt Kiel / 29. 08. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort





    Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Schlie,

    sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages und des Schleswig-Holsteinischen Landtages,

    sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierung,

    sehr geehrte Frau Präsidentin des Landesrechnungshofes,

    lieber Bruder Magaard,

    sehr geehrte Damen und Herren,

    liebe Schwestern und Brüder!

    Ganz besonders möchte ich heute Abend auch unseren Ehrengast Dr. Rudolf Seiters begrüßen!



    Es waren bewegende Bilder, die wir letzte Woche sehen konnten. Von Montag bis Sonntag fanden in einem nordkoreanischen Ressort erstmals seit fast drei Jahren wieder Familienzusammenführungen statt. Seit über 60 Jahren sind Nord- und Südkorea mittlerweile voneinander getrennt. Die Teilnehmer des Familientreffens waren entsprechend alt, viele jenseits der 80. Mir persönlich haben diese fremden Bilder noch einmal gezeigt, wie dankbar wir für unsere deutsche Wiedervereinigung sein dürfen und auch, wie selbstverständlich sie uns mittlerweile geworden ist.



    Man mag denken, dass wir uns bei der Einladung und Themenfindung im Jahr vertan haben. Denn die großen Festivitäten sind ja erst 2019 zum 30. Jahrestag des Mauerfalls und dann 2020 zum Jahrestag der Wiedervereinigung. Aber die deutsche Einheit ist nicht vom Himmel gefallen. Es gab Ereignisse, Bewegungen, einen Weg zum 9. November 1989. Jemand, der diesen Weg kennt und damals die Ereignisse in der ersten Reihe mitbekommen hat und in kritischen Momenten entscheiden musste, war Rudolf Seiters. Er stand neben Hans-Dietrich Genscher in Prag auf dem Balkon und neben Helmut Kohl am Brandenburger Tor. Vieles hat er vorbereitet und begleitet. Und nach dem 9. November 1989 hat er viele Situationen erlebt, die sich derzeit unter anderen Vorzeichen wiederholen: den Zuzug vieler Flüchtlinge, die Ängste der Menschen, die Hoffnungen und die Problematik und Sorge, wie unser Land das alles bewältigen kann. Es ist wirklich erstaunlich, wie sich die Szenen ähneln. Wir sind gespannt auf persönliche Erzählungen gewissermaßen aus dem Nähkästchen 1988/1989, aber auch auf Ihre Bewertung. War das, was 1988/1989 entschieden worden ist, richtig? Haben die Prognosen gestimmt? Würden Sie heute Dinge ganz anders entscheiden?



    Die jährlichen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober erinnern von ihrem Charakter her oftmals eher an Familienfeiern. Wir kennen in Deutschland – Gott sei Dank – keine pompösen Militärparaden in der Hauptstadt zum Nationalfeiertag. Unsere Geschichte macht uns demütig. Vor kurzem hat eine Hamburger Reederei mit einem arabischen Unternehmen fusioniert. Der Slogan unter dem die Fusion steht, heißt „better.united“. Ich glaube, dieses schlichte Wort können wir auch über die deutsche Wiedervereinigung stellen. Natürlich waren die Bundesrepublik und die DDR keine Reedereien. Aber das Motto finde ist sehr treffend: better.united, „besser vereint“ und „vereint besser“. Das ist es, was wir heute, fast 30 Jahre danach aus vollsten Herzen sagen dürfen: Wir sind froh, dass wir wieder zusammen sind. So ist es besser. Zumindest meiner Wahrnehmung nach sind die kritischen Stimmen, was die deutsche Wiedervereinigung betrifft deutlich zurückgegangen. Zwar wird überlegt, die Arbeit der Treuhand aufzuarbeiten. Und natürlich gibt es auch Verlierer der Wende und bei vielen das Gefühl der Abgehängtheit. Aber im Ganzen erlebe ich doch ein großes Maß an Dankbarkeit und selbstverständlicher Zusammengehörigkeit.



    Die Schleswig-Holsteiner haben die Grenze, aber auch die neuen Chancen und Möglichkeiten hautnah erlebt. Viele erinnern sich bestimmt noch an den erst sehr verschlafenen Ort Schlutup, durch den sich nach dem Mauerfall lange Autoschlangen zogen. Auch die sehr nahe Grenze im Lauenburgischen haben sicherlich viele noch gut vor Augen. Sie, Herr Landtagspräsident, werden als Lauenburger/Möllner davon berichten können.



    Wir als Erzbistum sind ein Kind der deutschen Einheit und haben uns damit aus Ihrem Bistum, Herr Seiters, dem Bistum Osnabrück verabschieden müssen. Seitdem haben wir beim Zusammenwachsen Höhen und Tiefen erlebt. ‚Einheit‘ ist für mich auch geistlich ein sehr schöner Gedanke. Ich persönlich als Bischof und wir als Kirche verstehen uns im Dienst an der Einheit der Menschen: der Menschen untereinander und der Menschen mit Gott. Als katholische Kirche im Norden verbinden wir viele gesellschaftliche Schichten in unseren Gemeinden, verbinden Stadt und Land mit all den Herausforderungen, natürlich Ost und West, sowie Menschen aus 200 verschiedenen Nationalitäten. Und bei all dem möchten wir immer wieder die Begegnung und die Einheit mit Gott ermöglichen. In seiner ersten Enzyklika Evangelii Gaudium schreibt Papst Franziskus einige unter dem Stichwort „Die Einheit wiegt mehr als der Konflikt“. Beim ersten Lesen der Überschrift dachte ich seinerzeit: Ja, irgendwie stimmt das natürlich. Einheit ist besser als ein Konflikt. Aber reden wir nicht eher von Verschiedenheit und vom Wert der Unterschiedlichkeit? Ich bin überzeugt, beides ist wichtig. Ich möchte den Wert der Vielfalt nicht ansatzweise relativieren. Im Gegenteil: Denn es geht nicht um Einheitlichkeit sondern um Einheit. Wohin eine ideologisch gewollte Vereinheitlichung führt, mussten die Menschen im Osten vier Jahrzehnte erleben. Einheit will nicht Gleichmachung, sondern möchte Unterschiede als bereichernde Ausgangspunkte für einen gemeinsamen Weg sehen: better.united eben. Ich bin überzeugt, dass gilt auch für die Integration von Zuwanderern und Geflüchteten in unserem Land. Wenn wir es schaffen, den anderen Menschen in seiner tiefgründigsten Würde zu sehen, so Papst Franziskus, dann werden bei Unterschieden und selbst im Konflikt Einheit und Gemeinschaft möglich. Das Bild für Einheit schlechthin ist Jesus selber: Er vereint in sich „Himmel und Erde, Gott und Mensch, Zeit und Ewigkeit“. (EG 229) In ihm sind wir als Schwestern und Brüder über Alters-, Gemeinde-, Konfessions-, Länder- und Kulturgrenzen hinaus eins.



    Ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen. Ich freue mich auf einen anregenden Vortrag zur Deutschen Einheit durch unseren heutigen Ehrengast und danke auch Herrn Landtagspräsident Schlie für sein Grußwort. Ich wünsche allen fruchtbare Gespräche und ganz praktisch auch ein Stück weit die Erfahrung der bereichernden Einheit untereinander.
  • Gedenkfeier „75 Jahre Operation Gomorrha“ / Hauptkirche St. Michaelis, Hamburg / 22. 07. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort





    Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Tschentscher,

    sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Duden,

    sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

    sehr geehrte Vertreter des konsularischen Corps,

    sehr geehrte Bischöfin Fehrs,

    meine sehr verehrten Damen und Herren,





    75 Jahre ist die Operation Gomorrha nun vergangen. 75 Jahre ist es her, dass unsere Stadt Hamburg in Schutt und Asche lag. Wir haben gehört, wie tief sich diese Wunde in die Stadt und das kollektive Gedächtnis eingegraben hat. Mir stellt sich darum die Frage, wie gehen wir heute mit diesen Ereignissen um? Wie gehen wir mit unserem Gedenken um? Die meisten von uns heute Anwesenden – wie ich selber – haben den Krieg Gott sei Dank nicht selber erlebt, kennen die Ereignisse aus Büchern oder von Zeitzeugen, wie sie heute auch unter uns sind. Wie und warum erinnern wir und geben wir Erinnerung weiter? Erlauben Sie mir, Ihnen dazu heute einige Impulse aus der Bibel zu geben. Die Bibel ist – wenn man so will – ein großes ‚Erinnerungsbuch‘ der Geschichte Gottes mit den Menschen. Sie hat ein sehr vielfältiges, ja teils paradoxes Verständnis von Gedenken und Erinnerung. Drei Punkte möchte ich gerne benennen.



    Ein erster Punkt: Alleine im Alten Testament begegnet uns die Aufforderung zum Gedenken über 160 mal. Im Neuen Testament beim letzten Abendmahl fordert Jesus seine Jünger auf: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (Lk 22,19) Der Bibel ist eine sehr bewusste Erinnerungskultur wichtig: sowohl des Positiven, der Taten Gottes und dem Vertrauen und der Lebensbejahung der Menschen als Zuversicht für heute, als auch des Negativen, menschliches Versagen und Schuld als Negativbeispiel für heute. Das Gedenken, die Erinnerung wollen Orientierung geben für heute. Wir müssen die Vergangenheit erinnern, um Menschen mit Zukunft zu sein. Ja, wir erinnern die Opfer und Toten und bezeugen damit ihre unverlierbare Würde.



    So gedenken wir heute der Opfer der Zerstörung unserer Stadt. Gleichzeitig wissen wir, Deutschland ist an diesen Opfern nicht unschuldig. Es war die nationalsozialistische Ideologie, ja genauer gesagt, die Menschen in Deutschland, die ihr zuhauf gefolgt sind, die diesen furchtbaren Krieg ausgelöst haben. Das hat letztlich auch den Feuersturm über Hamburg hereinbrechen lassen. Wir wollen es nicht mit Friedrich Nietzsche halten, der sagte: „Selig sind die Vergesslichen, denn sie werden auch mit ihren Dummheiten fertig.“ Nein, wir wollen nicht vergessen, wollen nicht Schuld relativieren. Wir wollen, wie es das Mahnmal St. Nikolai als Gebäude tut, die Wunde offenhalten als Mahnung für heute: Gedenke Mensch, zu was du fähig bist.



    Ein zweiter Impuls: Neben dem starken Gebot zum Erinnern gibt es ein schönes Sprachbild Jesu, das zum Vergessen auffordern könnte: „Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“ (Lk 9,62) Den Apostel Paulus prägt die gleiche Radikalität: „Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist.“ (Phil 3,13) Wie passt das mit dem Gebot zum Gedenken zusammen? Ich glaube, diese Aufforderung, nach vorne zu schauen, meint nicht eine Geschichtsvergessenheit oder, noch schlimmer, Geschichtsklitterei. Im Gegenteil: Es mahnt die Lebensnotwendigkeit der Versöhnung an.



    Sehr eindrücklich begegnet mir diese Haltung bei Richard Howard, dem Domdekan von Coventry während des Zweiten Weltkrieges. Coventry wurde zweieinhalb Jahre vor Hamburg von deutschen Bombern zerstört. In einem wenig später aus den Ruinen seiner Kirche übertragenen Weihnachtsgottesdienst ruft Domdekan Howard, der allen Grund zu Hass und zur Klage hätte, zu Frieden und Versöhnung auf. Wir dürfen in Deutschland zutiefst dankbar sein, dass uns nach all dem, was unser Land über Europa, ja die Welt gebracht hat, nach dem Krieg die Hand zur Versöhnung ausgestreckt wurde. Symbolisch festgehalten in den zahlreichen Nagelkreuzen, die von Coventry in die Welt und eben auch nach Deutschland verschickt wurden. Eines befindet sich auch im Mahnmal St. Nikolai.



    Versöhnung ist kein billiges „Passt schon!“, sondern ein tiefes Vergeben und gemeinsam nach vorne schauen. Dankbar dürfen wir auch dafür sein, dass in aller Schuld und in allem Leid auch der Keim einer neuen Versöhnung der Konfessionen gelegt wurde. In diesem Jahr erinnern wir auch der Hinrichtung der Lübecker Märtyrer vor 75 Jahren hier in dieser Stadt. Drei katholische Priester und ein evangelischer Pastor haben im Nationalsozialismus ökumenische Verbundenheit im Dienst der Menschen gelebt und dafür mit ihrem Leben bezahlt.



    Sehr geehrte Damen und Herren,



    die Bibel kennt das Gebot zum Erinnern, die Bibel kennt den Blick nach vorne und sie kennt noch ein Drittes: Sie kennt Gott, der gedenkt. Psalm 8 besingt die Größe Gottes und die Würde des Menschen: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ (Ps 8,5), fragt der Beter Gott. Gott gedenkt des Menschen. Er vergisst ihn nicht, auch nicht im Tod. Dieser Gedanke gibt uns eine tiefe Hoffnung, eine Hoffnung für all die Toten, derer wir gedenken und die wir schmerzlich vermissen. Eine Hoffnung in all der Verstrickung von Schuld und die Hoffnung, dass Versöhnung möglich ist – auch in den zahlreichen Kriegsgebieten der Gegenwart. Es ist die Hoffnung, dass das letzte Wort nicht Gomorrha, sondern Coventry ist.
  • Predigt beim Ökumenischen Gottesdienst anlässlich des Hansetages / Rostock / 24. 06. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort!



    Liebe Schwestern und Brüder,

    wenn ich die Seligpreisungen hören, und ich höre sie oft, dann denke ich immer wieder: Ein starker Text! Aber für unsere heutige Wirklichkeit, hier in Deutschland? Wir leben hier im Frieden. Viele leben im Wohlstand. Als Christen werden wir nicht verfolgt … Mich beschleicht immer mehr das Bild von einer Insel der Glückseligen, auf der wir leben.



    Hinter den Grenzen sind Unfrieden, Verfolgung und Trauer Realität – wenn wir ehrlich sind, dann auch innerhalb der Grenzen, bei uns. Daneben gibt es viele Spannungen, die unsere Gesellschaft durchziehen: Wie gehen wir mit dem Anderen, mit dem Fremden um? Geben wir ihm hier Platz? Oder weisen wir ihn an den Grenzen ab? Viele Menschen haben ihre Ängste. In der Diskussion um den Brexit verschieben sich die Grenzen. Ja, sie verhärten sich. Offenbar sind wir alle doch weit davon entfernt, „grenzenlos glücklich zu sein.“ Die Realität scheint nur ein sehr begrenztes Glück bereit zu halten.



    In diesem Kontext höre ich unsere Seligpreisungen aus der Bergpredigt. Ja, in diesem Kontext höre ich überhaupt in das Evangelien hinein. Und mir wird deutlich: Das Evangelium ist kein Gesetz. Es ist auch kein Programm, erst recht keine Vorschrift oder einfache Organisationsanweisung. Nein, das Evangelium ist eine Person: Jesus. Damit ist das Evangelium ein Ruf, ein Anruf an jeden von uns. Das Leben des Christen verlangt, auf Jesu Ruf eine persönliche Antwort zu finden.



    Dieser Ruf hat in den Seligpreisungen seinen typischen Ausdruck. Aber Jesus hat uns in den Seligpreisungen nicht ein Rezept an die Hand gegeben, das man nun wortwörtlich zu befolgen hätte.

    Ich glaube, in den Seligpreisungen spricht Jesus zu allererst über sich selbst. Der Mensch, der hinter den Seligpreisungen steht, ist kein anderer als Jesus selbst. Dieser Jesus Christus kennt keine Grenzen. In ihm ist jeder Mensch als Gottes Geschöpf und Ebenbild Teil einer großen Menschheitsfamilie. Dieser Jesus Christus geht so weit, dass er Grenzen einreißt. Die Grenze zwischen Gott und Mensch ist nicht mehr unüberwindlich, sondern in seiner Menschwerdung kommen Gott und Mensch zusammen und gehen einen unauflöslichen Bund ein. Gott selbst wird Mensch und er kommt uns entgegen und ist uns nah. In ihm bricht das Reich Gottes an, das Land ohne jede Grenzen.



    Am Ende seines Lebens lässt er sich wiederum nicht begrenzen, sondern er haucht seinen Geist aus und erfüllt damit die ganze Welt und ist als der Auferstandene bleibend mit der Menschheit verbunden und eins. Paulus sagt sogar im Neuen Testament daraufhin: Er, Christus, hat das Trennende, die Wand, der Feindschaft niedergerissen.



    Liebe Schwestern und Brüder, Jesus lebt uns dieses grenzenlose Glück vor und er will, dass wir daran teilhaben. Das lässt sich nicht einfach machen und herstellen, sondern das können wir nur sein lassen. Lassen wir uns deshalb als Christen von neuem von dieser grenzenlosen Glückseligkeit Jesu Christi beschenken. Richten nicht wir von uns aus Grenzen ihm gegenüber auf, sondern bitten wir ihn herein in unser Leben. Dann werden wir grenzenlos glücklich sein. Dann können wir dieses grenzenlose Glück in unserem Alltag leben, über alle Grenzen hinweg: Über die Konfessionsgrenzen hinweg. Über Sprachgrenzen hinweg. Über Länder- und Währungsgrenzen hinweg. Über Altersgrenzen hinweg. Über Kulturgrenzen hinweg, ja sogar über Glaubensgrenzen hinweg. Amen.
  • Predigt zur Diözesanwallfahrt in Lübeck / Lübeck / 23. 06. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort!



    „Ihr werdet meine Zeugen sein“



    Liebe Schwestern und Brüder,



    seit der Himmelfahrt Jesu steht über dem Leben von uns Christen die Überschrift: „Ihr werdet meine Zeuge sein!“ Es ist das Wort des auferstandenen Christus an seine Jünger vor seiner Himmelfahrt. Er kehrt zum Vater heim und gibt uns in diesem einen Satz Entscheidendes mit auf den Weg: „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.“



    In diesem Satz ist jedes Wort wichtig. Ich will kurz darauf eingehen:



    Wichtig ist zuallererst das Hauptwort: Zeuge



    Ein Zeuge wiederholt nicht etwas, das andere ihm vorsagen. Ein Zeuge ist auch nicht einfach ein Sachverständiger, der von einer Sache möglichst viel Ahnung hat durch Studium und Lektüre. Ein Zeuge ist auch nicht zu verwechseln mit einem Informanten, der eine Information weitergibt. Nein, der Zeuge hat etwas gesehen und gehört. Der Zeuge macht eine eigene Erfahrung und genau die gibt er weiter.



    So hat der Unfallzeuge den Unfall selber gesehen und bezeugt ihn. Der Zeitzeuge ist jemand, der in einer Zeit drinsteht und darüber bereitwillig Auskunft gibt. Der Glaubenszeuge ist einer, der seinen Glauben nicht nur kennt, sondern der ihn lebt, der etwas von Gott erfahren hat und genau das bezeugt.



    Schon die gemeinsame Synode der Diözesen Deutschlands, die sogenannte Würzburger Synode hat in den 70er Jahren schlicht und einfach gesagt: „Christsein heißt … Zeuge sein.“



    Das zweite bedeutsame Wort: Ihr

    Jesus Christus spricht hier nicht den einzelnen an: Du wirst, sondern er spricht in der Mehrzahl: „Ihr werdet Zeuge sein“. Dieses Wort passt auf die zwölf Apostel damals. Schon im Alten Testament galt die Auffassung, eine Sache müsse durch zwei oder drei Zeugen bestätigt werden (vgl. Dtn 19, 15 bzw. 2 Kor 13, 1). Es gilt also offenbar nicht nur: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen“, sondern auch: Nur zwei, drei, viele sind gemeinsam meine Zeugen. Von den ersten Christen hat man gesagt: „Seht, wie sie einander lieben“. Zeugenschaft ist nichts Individuelles, sondern etwas Gemeinsames, ist immer kirchlich.



    Wir verehren die Lübecker Märtyrer, genauer: die vier Märtyrer gemeinsam. Jeder von uns kennt dieses berühmte Wort über sie: „Sag niemals drei, sag immer vier“. Die vier geben gemeinsam Zeugnis – in ihrem Sterben, aber auch in ihrem Leben. Es ist offenbar so, dass man nicht allein Zeuge sein kann; man kann es immer nur gemeinsam. Johannes Prassek, Eduard Müller, Hermann Lange und Karl-Friedrich Stellbrink sind miteinander Christi Zeugen. Sinnbildlich kommt dies in der großen Märtyrerkerze zum Ausdruck mit ihren vier Dochten. Die vier Flammen verschmelzen zu einer großen.



    Schließlich ein drittes wichtiges Wort, das Verb: Ihr werdet sein.

    Darin steckt die Zusage: „Ihr werdet“, nicht: „Ihr sollt, ihr müsst…“, nein, „Ihr werdet“ es sein! Man ist offenbar nicht Zeuge allein durch das Tun oder das Re-den, sondern durch das Sein, durch unser Da-Sein und So-Sein. Ja, unser ganzes Sein, unser ganzen Leben, wir mit unserem ganzen Person-Sein sind seine Zeuge. Das heißt dann auch nicht nur in einer bestimmten Phase, in bestimmten Abschnitten unseres Lebens, sondern ganz und immer.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    genau heute vor 75 Jahren sind die vier zum Tode verurteilt worden; am 10. November 1943, abends nach 18.00 Uhr sind sie dann im Dreiminutentakt in Hamburg unter der Guillotine getötet worden. Sie sind in ihrem Sterben Zeugen. Sie lassen sich, bevor sie auf das Schafott steigen, noch das Kreuz anreichen, ein Heiligenbild oder sie verabschieden sich mit der festen Zuversicht: Auf Wiedersehen im Himmel! Damit sind sie an dieser ganz wichtigen Stelle im Tod Zeugen für ihren Glauben an den Auferstandenen und die Auferstehung.



    Dieses Zeugnis leuchtet schon in ihrem Leben auf. Man kann es nicht auf den Moment des Todes einschränken, sondern es überstrahlt ihr ganzes irdisches Leben. Das, was mir in der Gedenkstätte unter unserer Propsteikirche hier in Lübeck in der neuen erweiterten Ausstellung auffällt, sind neben den Dingen, die man direkt mit den Geistlichen verbindet wie ein Messgewand, ein Kreuz, die Bibel und ähnliches, ganz alltägliche Dinge des Lebens. Da sehen wir eine Kamera. Da ist die Hängematte eines der Geistlichen zu sehen, ein Musikinstrument … Und manche Fotos, die man von ihnen betrachten kann, zeigen sie als aufgeschlossene lebensfrohe Menschen. Sie sind Zeugen des Lebens, Zeugen des Leben-schenkenden Gottes mitten in ihrem alltäglichen Tun.



    Und deswegen stehen sie aufseiten der Menschen. Sie bezeugen ihren Glauben mitten im Alltag zusammen und vor ihren Zeitgenossen. Zwei Gruppen möchte ich herausheben aus ihrem seelsorglichen Wirken. Das sind einerseits die Jugendlichen, denen sich die Geistlichen zuwenden auf Fahrten und in Gruppen-stunden, und andererseits die polnischen Zwangsarbeiter, denen sie seelsorglich zur Seite standen, indem sie ihnen die Beichte abnahmen oder sie auf die Hochzeit vorbereiteten, so dass nach dem Krieg eine ganze Menge von ihnen hier in Lübeck geheiratet haben.



    Liebe Schwestern und Brüder, „Ihr werdet meine Zeugen sein“. Die vier Lübecker Geistlichen sind das in ihrer Zeit vor 75 Jahren gewesen – im Leben und im Sterben. Heute sind wir gemeint und dran. Wir sind es hier und heute mit unserem ganzen Sein und in Gemeinschaft. Die Märtyrer wollen uns dabei helfen.



    Was macht mein Leben froh und reich? Was sind meine Hängematte, in der ich gelassen ausspanne? Mein Musikinstrument, mit dem ich meine Gefühle aus-drücke? Meine Kamera, mit der ich die Welt entdecke? Worin drückt sich meine Lebensfreude und Weltgewandtheit aus?



    Und wer sind die Menschen, für die ich mich besonders einsetze, denen ich Zeuge sein darf? Was für die Lübecker Geistlichen die Jugendlichen und die ausländischen Mitmenschen waren – wer ist das für mich? Sind es meine Nachbarn, die eigene Familie, Menschen am Rande unserer Gesellschaft, Menschen in Not, Menschen auf der Flucht, Menschen mit Einschränkungen?



    Liebe Schwestern und Brüder, ihr werdet meine Zeugen sein! Nur der Zeuge zeugt im Glauben. Nur der Zeuge über-zeugt! Amen.

  • Predigt zum Fronleichnamsfest / Hamburg / 31. 05. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort!



    (Lesungen: Ex 24,3-8; Heb 9,11-15; Mt 14,12-16.22-26)



    Liebe Schwestern und Brüder,



    „Wo ist der Raum …?“ für die Feier des Paschamahles. Das Evangelium spricht von einem „gro-ßen Raum im Obergeschoss“. Wer einmal in Jerusalem war, dem wird tatsächlich ein großer Abendmahlssaal gezeigt.



    Dieser schon an sich große Raum ist im Laufe der Zeit immer größer geworden. Er wurde ausge-weitet. Was in diesem Raum gefeiert wurde, das Paschamahl, die erste Eucharistie wird ausge-weitet in alle Räume und Zeiten dieser Erde.



    Schwestern und Brüder, damit meine ich nicht einfach, dass man die Eucharistie an jedem Ort feiern kann, dass die Kirche ausgeweitet ist in alle Länder, dass wir die Messe feiern in der Natur, dass sie wie selbstverständlich mit Jugendlichen auf einer Ferienfahrt im Freien gefeiert werden kann, dass sie auf den Gipfeln der Berge bei den Bergmessen gehalten wird oder dass gefangene Priester, wie etwa unsere Lübecker Märtyrer, sie unter ganz einfachen Umständen im Gefängnis begangen haben. Wenn die Eucharistie alle Zeitenräume durchdringt und in alle Zeitenräume aus-geweitet wird, dann nicht nur rein äußerlich, sondern existenziell. Mir persönlich ist das aufge-gangen beim letzten Satz unseres Evangeliums. Ich zitiere ihn: „Nach dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg hinaus.“ Aus dem Abendmahlssaal treten sie hinaus und – wenn Sie so wollen – ist das die erste Fronleichnamsprozession. Vielleicht können wir auch sagen, die erste Etappe einer groß angelegten Fronleichnamsprozession. Diese Etappe reicht vom Ölgarten bis Golgota. Wir wissen alle, dass in diesem Ölgarten Jesus mit seinem Vater ringt. Er versucht von ganzem Herzen in Got-tes Willen einzuwilligen. Wir wissen alle, dass dieser Ölgarten der Ort der schlafenden Jünger ist. Wir wissen, dass es der Ort des Verrates ist. Wir wissen, dass es Nacht ist. Diese erste Etappe einer weltweiten Fronleichnamsprozession führt in die existentiellen Nächte unserer Welt. Die Zusage Jesu aus dem Abendmahlssaal „mein Leib für euch“ und „mein Blut für euch“ wird ausgeweitet in alle Dimensionen des menschlichen Lebens bis in die letzte Tiefe hinein. Durch diese erste wichtige Etappe will Christus uns sagen: Ich bin bei euch. Keine Nacht kann so dunkel sein, dass ich nicht mittendrin wäre.



    Dann folgt eine zweite Etappe der umfassenden großen Fronleichnamsprozession. Die Prozession stoppt nicht auf Golgota, hört mit dem Tod Jesu und den Nächten nicht auf. Sondern nach der Nacht des Todes geht die Ostersonne auf und überstrahlt alles. Die zweite Etappe dieser großen Fronleichnamsprozession ist für mich der Weg des auferstandenen Christus mit den beiden Jün-gern nach Emmaus. Christus holt sie aus der Nacht heraus. Er lässt sie über die Finsternis ihres Le-bens erzählen. Er tastet sich sensibel an sie heran, findet Widerhall in ihren brennenden Herzen und gibt sich schließlich im Brotbrechen zu erkennen. Jede Fronleichnamsprozession ist ein Em-maus-Gang. Christus will uns aus den Nächten hinausführen in den hellen Tag, in das schöne und gute Leben in ihm.







    Liebe Schwester und Brüder, damit ist die Fronleichnamsprozession noch nicht zu Ende. Nach dem Brotbrechen, brechen die Jünger selber auf und gehen zu den anderen Jüngern. Mit dem Herrn im Herzen setzen sie diese große Prozession in einer dritten Etappe fort. Es ist der Aufbruch in den Alltag.



    Es ist ein großes Zeichen, wenn wir mit unserer Prozession über die Straßen von Hamburg ziehen. Über die Wege, wo wir ansonsten alltäglich unterwegs sind. Über die Straßen, wo wir mit unseren Autos, Fahrrädern und Bussen unterwegs sind. Wo wir einkaufen, wo wir zum Arzt gehen, wo wir unseren Alltag organisieren und gestalten. Wo wir einander begegnen, miteinander sprechen und uns austauschen. Da, wo das Leben spielt, ist diese dritte Etappe der Fronleichnamsprozession. Erinnern Sie sich immer wieder daran, wo wir heute unterwegs sind. Vielleicht kann Ihnen über das Jahr hin immer wieder einmal in den Sinn kommen: Hier sind wir doch mit unserer Prozession hergegangen. Und dann setzen Sie in Ihrem Alltag diese Prozession fort.



    Liebe Schwestern und Brüder, der Raum für die Prozession an Fronleichnam ist unser Leben, ist die ganze Welt, ist jede Zeit. Unsere Fronleichnamsprozession geht vom Abendmahlssaal in Jeru-salem aus durch jeden Zeitraum bis in die Ewigkeit. Sie ist nicht nur ein altes frommes Ritual, son-dern ein Bild für unser ganzes Leben. Amen.

  • Predigt am Pfingstsonntag 2018 zum ZDF-Fernsehgottesdienst / Kiel, Propsteikirche St. Nikolaus / 20. 05. 2018
    Liebe Schwestern und Brüder,



    manchmal lockt mich der Gedanke: Wäre ich doch damals dabei gewesen! Wäre ich doch damals bei Jesus und seinen Jüngern gewesen am See von Genezareth, in Kafarnaum, am besten gleich in Nazareth und natürlich in Jerusalem. Wäre ich doch dabei gewesen, als Jesus dort gelebt hat und das alles passiert ist, was uns die Evangelien überliefern – von seiner Geburt bis zu seinem Tod.



    Vielleicht beschleicht ja auch Sie der Gedanke, einfach einmal die Zeit zurückdrehen und sich hineinzuversetzen in die Situation von damals. Aber warum eigentlich? Auch ich möchte Jesus direkt begegnen und diesen Glauben und diese Begeisterung der Apostel haben, von denen die Lesungen uns heute berichten.



    Liebe Schwestern und Brüder, so faszinierend und verlockend der Gedanke auch ist, Gott geht einen anderen Weg. Gott will uns nicht dazu veranlassen, die Zeit zurückzudrehen und uns in die Vergangenheit hineinzuversetzen. Nein, Gott geht den Weg in die Gegenwart, in jede Gegenwart.



    Wenn wir heute Pfingsten feiern, dann denken wir nicht nur an ein Ereignis von vor zweitausend Jahren damals in Jerusalem zurück. Wenn wir heute Pfingsten feiern, wenn wir hier Pfingsten feiern, dann aus der Gewissheit, dass Gott seinen Heiligen Geist immer wieder sendet wie den Jüngern an Pfingsten auch uns hier und heute.



    Wenn Gott uns seinen Heiligen Geist immer wieder sendet, dann geht es uns nicht anders und erst recht nicht schlechter als den Aposteln vor zweitausend Jahren. Wenn Gott seinen heiligen Geist sendet, dann kann jeder Mensch eine direkte, eine unmittelbare Beziehung zu Gott haben. Dann ist er uns heute genauso nah wie den Gläubigen von damals.



    Pfingsten, die Ausgießung des Heiligen Geistes, das ist nicht einfach die Vermittlung von Gaben, von Kraft, von Stärke, von Mut, von Gottesfurcht, von Weisheit und wie wir die Gaben des Heiligen Geistes nennen. Wir bestellen an Pfingsten nichts bei Gott und lassen uns auch heute nicht von ihm beliefern. Gott kommt vielmehr von sich aus auf uns zu. Er kommt auch nicht mit etwas, sondern er bringt sich selber. Der Heilige Geist ist nicht irgendeine Gabe, sondern der Heilige Geist ist Gott selber. Der Heilige Geist ist Gott in uns.



    Liebe Schwestern und Brüder, Papst Franziskus hat kürzlich in einem Interview gesagt: „Gott ist jung. Er ist immer neu“. Gott kommt nicht in die Jahre, wird nicht verstaubt oder abgestanden. Er ist jung, er ist lebendig, weil er stets Gegenwart ist, stets präsent, immer im Jetzt. „Er ist immer eine Überraschung“ . Er liebt das Neue. Er kann träumen, er ist leidenschaftlich und beziehungsreich .



    Papst Franziskus stellt in dem Interview einen wichtigen Zusammenhang her. Zunächst sagt er: „Gott ist jung“. Dann etwas später: „Die Kirche ist jung“. In der Tat gehört das zusammen: Der junge, jugendliche, frische, lebendige Gott und die ebenso junge, lebendige Kirche, ja der lebendige Mensch schlechthin.



    Auch in unserem Leben gibt es immer wieder das Neue. Jeder einzelne Augenblick in unserem Leben ist einmalig. Jetzt ist der nächste Augenblick noch gar nicht da. Und gleich ist der letzte Moment schon wieder vorbei. Recht betrachtet besteht unser Leben aus lauter kleinen, immer neuen Augenblicken. Jeder einzelne Augenblick ist für uns eine Chance: Wir können den einzelnen Augenblick für etwas Großes öffnen oder verschließen. Wir haben das in der Hand. Als Christen können wir in jedem neuen Augenblick unseres Lebens die Neuheit und Frische Gottes hereinlassen oder eben nicht.



    Liebe Schwestern und Brüder, in einigen Wochen werden wir hier im Erzbistum Hamburg eine große Diözesanwallfahrt nach Lübeck begehen. In Lübeck verehren wir vier Geistliche als Märtyrer. Es sind drei katholische Kapläne und ein evangelischer Pastor. Sie haben sich in den Wirren des Dritten Reiches zusammengetan und bei aller Trennung der Konfessionen vieles gemeinsam gemacht. Ihr Interesse galt der Jugend. Sie haben sich um die ausländischen Zwangsarbeiter gekümmert, obwohl das strengstens verboten war. Sie haben Unrecht beim Namen genannt und sich für die Würde des Menschen eingesetzt. Schließlich wurden sie verhaftet und in einem Schauprozess auf das persönliche Einlenken Adolf Hitlers hin zum Tode verurteilt. Am 10. November 1943 sind diese Lübecker Geistlichen in Hamburg im Gefängnis unter der Guillotine kurz nach 18.00 Uhr binnen weniger Minuten ums Leben gekommen. Die Quellen berichten, dass das Blut dieser vier Märtyrer ineinanderfloss.



    Unser jetziger Papst Franziskus hat vor vielen Jahren als Jesuitenpater Hamburg besucht und hier einige Kinder getauft und dabei das Zeugnis dieser Märtyrer aus dem Norden kennengelernt. Seitdem geht ihm das nicht aus dem Sinn und immer, wenn ich mit ihm zusammen komme, erinnert er an dieses großartige Zeugnis des Blutes und der Ökumene der Märtyrer.



    Schwestern und Brüder, diese Vier haben es vorbildlich gelebt, in viele neue Augenblicke ihres Lebens immer wieder Gottes Geist hereinzulassen. Aus diesem Geist heraus haben sie mutig gesprochen. Aus diesem Geist heraus haben sie entschieden gehandelt. Aus diesem Geist heraus haben sie Gottesdienst gefeiert und gebetet. Aus diesem Geist heraus haben sie gedacht und sich nicht kleinkriegen lassen. Und aus diesem Gottesgeist heraus ist auch der letzte Augenblick ihres Lebens, der Tod, in Leben verwandelt worden.



    Liebe Mitchristen, wahrscheinlich kennen auch sie solche überzeugenden Gestalten unseres Glaubens. Pfingsten lädt uns dazu ein, es ihnen gleich zu tun. Eben nicht in die Vergangenheit und genauso wenig in die Zukunft auszuweichen, sondern in der Gegenwart zu leben. Christen sind Protagonisten der Gegenwart, weil Gottes Geist in dieser Zeit wirkt. Amen.
  • Predigt zur Priesterweihe von Florian Edenhofer und Henric Kahl / Hamburg, St. Marien-Dom / 19. 05. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort!



    (Schrifttexte: Apg 20,17-18a. 28-32; 36, Röm 12,4-8; Joh 17,6a. 11b-19)



    Liebe Schwestern und Brüder,

    lieber Florian, lieber Henric!



    Die Erwartungen an Priester in der heutigen Zeit sind groß und sie sind vielfältig. Man erwartet einen Priester, der gut predigen kann. Andere wünschen sich einen, der eine ansprechende Liturgie feiern kann, der über die Fähigkeit verfügt, gut zu singen. Wieder andere führen die Jugend ins Feld. Die Priester müssen sich um die jungen Leute kümmern und einen Draht zu ihnen haben. Andere wollen die Alten und Kranken nicht vernachlässigt wissen. Auch hier muss der Seelsorger zur Stelle sein und den Nerv treffen können. Wieder andere wünschen sich einen guten Wegbegleiter, der ihnen gerade in Krisenzeiten oder vor großen Entscheidungen zur Seite steht. Schließlich sollte der Priester auch leiten können, eine Gemeinde zusammenführen können, ihr eine Richtung geben können und und und … v0n Hausmeistertätigkeiten und Entertainerqualitäten ganz zu schweigen.



    Am meisten höre ich aber, dass Priester Menschen sein sollen, die selber mit beiden Beinen im Leben stehen, also Lebenserfahrung haben und viele Kontakte zu anderen Menschen. Sie sollen wissen, was im Leben vor sich geht. Der Priester soll jemand sein, wie Papst Franziskus kürzlich gesagt hat, der Sinn für die Wirklichkeit hat . Der Priester soll nicht weltfern oder weltfremd sein, auch nicht irgendwie über dem Boden der Tatsachen schweben, sich abschotten und zurückziehen. Er soll nah am Puls der Zeit sein und nah an den Menschen, eben mitten in der Wirklichkeit.



    Liebe Weihekandidaten, eure Lebenswege haben euch über manche Umwege heute hier her geführt. Vielleicht waren es gar keine Umwege, sondern Wege, derer sich Gott bedient, um euch anzusprechen, denn „Gott umarmt uns mit der Wirklichkeit“. Gott umarmt euch mit der Wirklichkeit eures Lebens, mit den einzelnen Etappen, die es dort gibt. Dadurch hat er euch eine Richtung gegeben, hat er euch angesprochen und hierher geführt.



    Eure Studienerfahrungen aber vielleicht noch mehr die Erfahrungen in der Alten- und Krankenpflege, beim Militär und in der Hochschulpastoral – all das sind ganz wichtige Berührungspunkte mit der Wirklichkeit des menschlichen Lebens. Ich hoffe und wünsche, dass ihr Priester mitten in der Wirklichkeit bleibt. Eure Weihe heute ist ja nicht das Ziel eures Weges, sondern eine wichtige Etappe, die euch weiter in die Wirklichkeit führt. Ihr werdet viele schöne Momente mit den Menschen erleben, aber etwa auch in der Beichte viele Grenzen aushalten müssen.



    Dabei geht es mir nicht nur darum, die Wirklichkeit zu kennen, sondern diese Wirklichkeit auch anzunehmen, ja geradezu zu umarmen und zu lieben. Es geht nämlich nicht nur um die Kenntnis von Fakten, sondern um die Annahme des menschlichen Lebens in dieser Wirklichkeit.



    Viele von Ihnen kennen die bemerkenswerte Begegnung des heiligen Franz mit dem Aussätzigen. Der junge Francesco ist diesem Aussätzigen vor den Toren seiner Heimatstadt Assisi begegnet – und ihm bewusst ausgewichen. Er hatte Angst vor dem Kontakt, er hat einen Bogen darum gemacht. Es brauchte Zeit, bis sich sein Leben so gewandelt hatte, dass er auf diesen Aussätzigen zugehen, ihn umarmen und sogar küssen konnte.



    Liebe Schwestern und Brüder, in diese Richtung sollte es bei uns Christen und auch bei uns Priestern gehen: Die Wirklichkeit anzunehmen und sie zu umarmen und so zu lieben, wie der Heilige Franziskus.

    Deswegen betet Jesus in unserem heutigen Evangelium: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst“ (Joh 17, 15). Im Gegenteil, Jesus will uns tiefer in die Welt hereinführen und das heißt, tiefer in die Begegnung mit der Welt und den Menschen. Damit führen wir seinen Weg fort. Denn Jesus Christus ist in diese Welt gekommen, um ihr Schicksal zu teilen. Er hat diese Welt angenommen und ist nicht zum Scheinmensch geworden, sondern wirklich und ganz. Erlösung geschieht – wie ein Theologe unserer Tage einmal sagte – nicht durch Simulation, nicht durch Schein, sondern durch Assimilation, also durch Annahme und Übernahme. Letztlich ist das Kreuz, über das in diesen Tagen in unserem Land diskutiert wird, das Zeichen der Annahme dieser Wirklichkeit in seiner ganzen Tiefe und Härte. Der Gekreuzigte ist jemand, der sich in diese Wirklichkeit voll und ganz assimiliert. In diesem Sinne haben die frühen Kirchenväter den Satz geprägt: Was nicht angenommen wird, kann auch nicht erlöst werden. Erst die Annahme ermöglicht Heilung.

    Liebe Weihekandidaten, gleich werdet ihr aus meiner Hand den Kelch und die Hostienschale erhalten. Als Priester werdet ihr fortan immer wieder, ja täglich die heilige Messe feiern. In jeder Eucharistie feiern wir, dass Christus die Wirklichkeit unseres Lebens voll und ganz angenommen und geteilt hat. Brot und Wein im Kelch sind Ausdruck des menschlichen Lebens, das Christus selber angenommen hat. Brot und Wein werden wirklich zur Gegenwart Christi in der Liturgie und in dieser Welt. Wir sprechen von der Realpräsenz. Zur Annahme der Wirklichkeit gehört also nicht nur, die Spuren Gottes in unserem Leben zu erkennen und das menschliche Leben wirklich anzunehmen. Es gehört noch ein Zweites dazu: Fest daran zu glauben und sich sicher zu sein, dass Christus diese Wirklichkeit längst angenommen hat und uns immer wieder mit seiner göttlichen Kraft in ganz schlichten Zeichen begegnet. Wenn wir das immer wieder feiern und glauben, dann brauchen wir vor der Wirklichkeit nicht zu fliehen. Wir brauchen keine Angst zu haben, sondern dann dürfen wir ihr trauen.



    Lieber Florian, lieber Henric, dieses Vertrauen wird euch mal besser mal schlechter gelingen. Ihr werdet in eurem Dienst auch immer wieder an eure Grenzen stoßen und euch vielleicht fragen, „Reicht das? Bin ich der richtige dafür?“ Da ist gut zu wissen, dass Christus die Wirklichkeit nicht nur irgendwie allgemein angenommen hat oder nur die anderen annimmt. Nein, jeden von uns nimmt Christus an und wir dürfen uns darum erst recht auch selber annehmen.
  • Predigt zur Priesterweihe von Frater Christoph Tobias Brandt und Frater Augustinus Johannes Hildebrandt / St. Sophien / Hamburg / 28. 04. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort!



    (Schrifttexte: 1 Kor 1,18-25; Mk 1,14-20)



    Liebe Schwestern und Brüder!



    Wenn ich in Ihre Lebensläufe hereinschaue, liebe Weihekandidaten, dann fällt mir auf, dass Sie beide im Laufe Ihres Lebens immer wieder einmal den Ort verlagert haben. Beide stammen Sie im Grunde genommen aus dem heutigen Erzbistum Hamburg. Frater Christoph ist in Mölln in der Nähe von Neubrandenburg aufgewachsen und Frater Augustinus stammt direkt hier aus Hamburg. Stu-dien- und Berufsorte sind für Sie entscheidend: Göttingen, Münster und Erfurt, aber auch andere Klöster wie Meschede oder Münsterschwarzach. Schließlich Ihre zum Teil gemeinsame Geschichte im Orden der Dominikaner verbunden mit Orten wie Worms und Mainz, aber auch Vechta und Freiburg.



    Alle diese Orte sind nicht unbedeutend. Sie sind nicht zufällige Aneinanderreihungen verschiede-ner Lokalitäten, gleichsam Stationen von Weltenbummlern.



    Es ist schon beeindruckend, dass die erste Frage in der Heiligen Schrift im Buch Genesis sich an Adam und damit an jeden Menschen richtet: „Wo bist du?“ (Gen 3,9) Mit allen Orten verbinden wir die Geschichte unseres Lebens. Und als Christen die Geschichte unseres Glaubens und unsere per-sönliche Heilsgeschichte. Meine persönliche Heilsgeschichte verbirgt sich in meiner Lebensge-schichte. Sie ist gleichsam ungetrennt und unvermischt darin präsent. Oder um es theologischer auszudrücken: Die Lebensgeschichte ist ein Transzendental der Heilsgeschichte.



    Schwestern und Brüder, viele von uns haben noch vor Augen, dass Papst Johannes Paul II. bei sei-nen vielfältigen Reisen als erstes bei einem Auslandsbesuch auf den Boden niederfiel und ihn küss-te. Für ihn war klar, dieser Boden ist heiliger Boden. In diese Erde hat Gott seine Geschichte einge-schrieben. In diesem Land geschieht Heilsgeschichte, auch wenn es auf dem ersten Blick gar nicht danach aussieht.



    Jeder Ort, jede Niederlassung, in die Sie zukünftig gesandt werden, ist zu allererst Gnadenort, ist zu allererst Heilsort. Da hat Gott schon längst seine Fußspuren hineingesetzt und wahrscheinlich be-steht unser Auftrag nur darin, diese Spuren, in die – wie Franziskus von Osuna es einmal gesagt hat – im Laufe der Zeit viel Schnee hineingefallen ist, wieder neu auszuprägen



    Liebe Mitbrüder, gleich werden Sie vor der Priesterweihe auch auf dem Boden liegen. Verlieren Sie bitte nie die Bodenhaftung, denn Sie werden Priester Jesu Christi, der auf dieser Erde seine Spuren hinterlassen hat.



    Vielleicht wird es manchmal schwierige Situationen in Ihrem priesterlichen Dienst geben, wo Sie merken, dass sie herunterkommen, dass Sie gedrückt sind, dass Sie sich wie am Boden liegend vor-kommen, oder dass Sie soweit herunterkommen, wie Christus bei der Fußwaschung seiner Jünger. Erinnern Sie sich dann immer an Ihre heutige Weihe und an dieses auf dem Boden liegen, der nie nur der Kalte und Steinige ist, sondern immer auch der, in den das Weizenkorn hineingeworfen wird, damit es aufgeht und blüht.



    Die Priesterweihe, die Sie heute empfangen, ist gleichsam eine Standortverlagerung. Ihr Standort, Ihr Dienstort ist gar nicht mal zu allererst eine konkrete Straße oder eine konkrete Postleitzahl. Ihr Dienstort ist zu allererst eine Person. Der Meister, der die Jünger am See von Galiläa ruft, wie wir eben im Evangelium gehört haben. Er ruft sie nicht in ein Lehr- oder Bethaus, wie das bei den da-maligen Rabbinern die Regel war. Dort ging man für eine gewisse Zeit hin und dann ging man seine eigenen Wege. Christus ruft sie zu allererst in seine persönliche Nähe. Die Frage der Jünger „Wo wohnst du?“ wird beantwortet durch „Kommt und seht“. Mindestens zwei ausdeutende Riten der Priesterweihe bringen das auf sehr sensible Art und Weise zum Ausdruck. Zum einen werden Sie beim Gehorsamsversprechen Ihre Hände in meine legen. Ich nehme Ihr Versprechen entgegen als Vertreter der Kirche. Ihr Standort ist diese Kirche. Und noch einmal mehr und tiefer der Christus dieser Kirche. Deswegen tragen wir bei der Messfeier ein Messgewand. Lateinisch einfach Casula. Die Casel oder die Casula ist keine große Casa, sondern eine kleine Casula, gleichsam ein kleines Häuschen. Wir ziehen es über den Kopf und sind dann vollständig darin eingehüllt. Das ist Ihr Haus, das ist Ihre Bleibe. Genauer gesagt, Christus ist Ihre Bleibe. Da sind Sie zu Hause, er ist Ihr Standort.



    Und wenn dem so ist, dass Christus unser Standort ist, dann möchte ich schließen mit diesem schönen Bild der Johannesminne, das mir vor kurzen noch einmal beim Begräbnis von Kardinal Lehman in Mainz deutlich geworden ist. Es ist sein Totenbild, aber auch ein Bild, das ihn Zeit seines Lebens begleitet hat. Der Jünger Johannes ruht an der Seite des Meisters. Er hört auf seine Herztöne. Er legt seinen Kopf in Jesu Schoß. Er nimmt gleichsam das Innere Jesu auf und schaut mit Jesu Blick nach vorne und wird dadurch der Lieblingsjünger schlechthin. Nicht nur der Lieblingsjünger des Meisters, sondern der Jünger, dessen Programm die Liebe ist. Und genau dieser Johannes be-kommt vom Kreuz her Maria als Mutter anvertraut. Hier entsteht eine neue Beziehung. Unser Standort ist im eigentlichen Sinn kein Ort, sondern Beziehung. Die Beziehung zu Christus und die Beziehung in Kirche und Welt. Genau diese Beziehungen geben unserem Dienst als Priester ihre entscheidende Tiefe. Sie erfüllen uns. Und sie sind die Mission, mit der wir unterwegs sind. Amen

  • Osternacht 2018 / Hamburg/ St. Marien-Dom / 01. 04. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort.





    Liebe Schwestern und Brüder,



    „Dieser Winter hat die wenigsten Sonnenstunden seit langem.“, konnte man das ein oder andere Mal in den vergangenen Monaten in Hamburg hören. Doch dann kam plötzlich der Umschwung: Vielleicht erinnern Sie sich noch an die kalten Tage Ende Februar dieses Jahres. Es war so kalt wie lange nicht mehr. Aber viele waren froh, denn es war auch so hell und strahlend war wie lange nicht mehr. Nach den lagen Wintertagen, die nicht enden wollten, wurde es zwar bitterkalt aber endlich auch wieder hell. Der Frühling konnte nicht mehr weit sein.



    Der Gegensatz von dunkel und hell prägt auch unseren Ostermorgen: Die dunkle Nacht und das hell brennende Osterfeuer; die dunkle Kirche und das eine Licht der Osterkerze; der dunkle Raum und dann die vielen kleinen Lichter in unseren Händen. Licht und Schatten – Finsternis und Erleuchtung – hell und dunkel. Beide Seiten gehören zusammen – im Leben wie im Glauben. Wer Licht will, muss die Finsternis zulassen. Erst der Kontrast macht vieles deutlich.



    Deswegen hat die erste Lesung aus dem Buch Genesis wieder jenen Schöpfungshymnus angestimmt über die Erschaffung von Himmel und Erde. Der erste Schöpfungswerk besteht in der Scheidung zwischen Finsternis und Licht: „Finsternis lag über der Urflut … Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht.“ (Gen 1,2-5) Jeden Tag erleben wir dieses Schöpfungswerk, wenn die Sonne aufgeht und wenn sie untergeht.



    Es erinnert auch an die vielen Finsternisse und Lichtmomente in unserem Leben und damit auch an die Finsternis, die durch die Nacht des Todes Jesu in die Welt hereingebrochen ist. Vom Tod Jesu heißt es in der Passion ausdrücklich: Von der sechsten bis zur neunten Stunde herrschte eine Finsternis (vgl. Lk 23,44 f). Wenn der Tod das Leben derart finster macht, dann ist Ostern, ist Auf-erstehung, genau das Gegenbild von Finsternis. Deswegen begegnet der Auferstandene vielen am Morgen in der Dämmerung. Dann, wenn das Licht aufgeht. Ja, er selber ist dieses Licht: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12) Ostern durchbricht den Wechsel von Licht und Finsternis. Die Auferstehung Jesu verbürgt die Ewigkeit des göttlichen Lichts, das dem Menschen leuchtet.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    unsere Vorfahren haben in unseren Kirchen Fenster eingebaut. Das Material Glas ist lichtdurchlässig und lässt die Strahlen erleben. Das Licht ist wohl eine der ursprünglichsten Formen der Erfahrung Gottes. Viele von Ihnen kennen das Richterfenster aus dem Kölner Dom. Der Künstler Gerhard Richter hat ein Fenster aus lauter kleinen Rechtecken in unterschiedlichsten Farben geschaffen. Es ist eine einzige Symphonie des Lichtes. Und wenn durch dieses Fenster das Licht erstrahlt, dann können wir selber in diesem Licht stehen. Dann erfahren wir etwas von dem, was der heilige Johannes beschreibt: „Gott ist Licht. Und Finsternis ist nicht in ihm.“ (1 Joh 1,5)



    Gott will uns nicht ‚hinters Licht führen‘, wie es sprichwörtlich heißt, sondern das Gegenteil: Er will uns selber ins Licht stellen. Das mag uns zunächst blenden, vielleicht sogar schmerzen und man muss sich daran gewöhnen. Aber wer einmal in dieses Licht gestellt ist, kann hoffentlich nur schwer davon lassen – ähnlich wie der warme und helle Sonnenschein nach dem dunkelgrauen Winter.

    Durch die Kirchenfenster können wir das Licht erfahren als etwas, was wir nicht machen können, sondern das wir stets nur einlassen und strahlen lassen können. Wenn wir uns selber einfach in diesen Lichtglanz stellen, in die Strahlen, die durch ein Kirchenfenster hereinkommen, in die Sonnenstrahlen an kalten Wintertagen oder an schönen Sommertagen, dann können wir vielleicht etwas erspüren von dem, was Paulus den Ephesern sagt: „Einst ward ihr Finsternis, jetzt seid ihr durch den Herrn Licht geworden.“ (Eph 5,8) Gott selber stellt uns ins rechte Licht. Wir selber dürfen in seinem Licht licht, das heißt durchlässig und offen werden und Christus durch uns strahlen lassen. Ja noch mehr: Wir können aufrichtig sein und uns mühen, die Dinge bei Lichte, ja in seinem Lichte zu betrachten, nicht auf Hate Speech zu setzen oder auf Fake News hereinzufallen.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    bei der Feier der Taufe empfangen die Täuflinge nicht nur das weiße Kleid und die Salbung mit dem Chrisamöl, sondern auch eine Taufkerze. Viel wichtiger als die Kerze selber ist das Licht dieser Kerze. Es wird an der Osterkerze entzündet und ihm überreicht: „Empfange das Licht Christi.“ Der Täufling selber wird zum Lichtträger. Der Täufling selber ist die Kerze, die durch Christus hell brennt. Christus ist das innere Feuer, das in uns niemals erlöschen kann. In dieses Feuer, in dieses Licht dürfen wir uns an Ostern wieder neu stellen. Und dieses Feuer reichen wir einander weiter, der eine dem anderen. So sind wir Brüder und Schwestern eines Gottes, der Licht ist und will, dass wir statt Finsternis selber Licht sind und bleiben.





  • Predigt zum Gründonnerstag / Hamburg/ St. Marien-Dom / 29. 03. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort.



    Lesungstexte: Ex 12,1-8.11-14; 1Kor 11,23-26; Joh 13,1-15.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    „Meine Füße, meine Füße!“ Ein Priester berichtet von der Taufvorbereitung eines afghanischen Flüchtlings, der gerne Christ werden möchte. Für Erwachsene, die sich auf die Taufe vorbereiten, gibt es einen längeren Weg, der auch verschiedene Stärkungsriten umfassen kann. Einer dieser Riten ist die Salbung mit Katechumenenöl: Der Priester spricht die Worte „Es stärke dich die Kraft Christi, des Erlösers, der lebt und herrscht in alle Ewigkeit.“ Dann salbt er dem Taufbewerber die beiden Hände. Aber dem jungen Mann aus Afghanistan ist das nicht genug: „Meine Füße, meine Füße!“, bittet er den Priester. Seine Füße haben den Mann aus dem kriegsgebeutelten Land über die Gebirge in die Freiheit und Sicherheit gerettet. Auch sie sollen gesalbt werden.



    Der Wunsch des Täuflings macht deutlich: Der Leib ist nicht nur für unser Leben zentral, er ist es auch für unseren Glauben. Das Christentum ist eine leibhaftige Religion. Sie flieht nicht vor dem Leib, so begrenzt er oft auch ist. Sie verachtet den Leib nicht. Das Christentum versucht aber auch den Leib nicht zu vergötzen und überzubewerten. Gott hat den Menschen als Einheit von Leib und Seele geschaffen. Wir haben nicht nur einen Körper, wir sind unser Leib.



    Der Leib wird sogar Ort unserer Erlösung. Jesus, der Sohn Gottes, tritt aus Gottes unendlicher Liebe und Herrlichkeit heraus und nimmt einen menschlichen Leib an. „Caro salutis est cardo – Das Fleisch ist der Angelpunkt des Heils“ , hat es das frühe Christentum auf den Punkt gebracht. Gott wird Mensch und das heißt: Gott wird leibhaftig. Er wird berührbar. Er wird greifbar. Er lässt sich ein auf die Spanne eines leibhaftigen Lebens von der Geburt bis zum Tod. Ganz konkret können wir diesen Leib fest machen an dem Datum der Geburt, an Weihnachten im Kind in der Krippe, bis hin zum Tod am Karfreitag am Kreuz.



    In diesem Leib spricht Gott sich selber aus, lebt in Beziehung zu den Menschen. Alles Göttliche wird übersetzt auf die Ebene eines leibhaftigen Lebens. Der Leib Jesu Christi ist der Ort, an dem Gott uns begegnen möchte. Der Leib Jesu Christi und damit der Leib Gottes ist die Verbindung zu uns. Gott kommuniziert mit uns nicht von Geist zu Geist, sondern leibhaftig. Jesus fügt seiner Botschaft immer wieder leibhaftige Zeichen hinzu. Vor allen Dingen wenn er den Leib des Menschen berührt und heilt. Es sind die Kranken, es sind die Leidenden, es sind die Kleinen, an den Rand gedrängten, es sind die Ausgestoßenen, es sind die Sünder und Zöllner, um deren Leben er keinen Bogen macht, sondern das er konkret annimmt und berührt. Ja, auch uns lädt er ein, unsere Leiblichkeit anzunehmen – eine nicht immer leichte Aufgabe.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    der heutige Gründonnerstag steht auch im Zeichen der Füße, der Leiblichkeit. Christus berührt, wäscht, reinigt, die Füße seiner Jünger. So wie wir es gleich zeichenhaft auch tun werden. Und noch eines passiert am Gründonnerstag: Der Leib gewinnt am letzten Abend Jesu eine ganz besondere Bedeutung. Jesus feiert mit seinen Jüngern das Passahmahl. Er greift dabei alte Riten auf, wie den Becherritus und den Brotritus. Aber er gibt ihnen einen neuen Sinn. Zwei entscheidende Elemente fügt er ein, beim Brot die Zusage: „Das ist mein Leib.“ und beim Becherritus: „Das ist mein Blut.“ Er sagt nicht „Das bedeutet…“ oder „Das ist wie…“. Nein, er sagt: „Das ist…“



    Daraus entwickelt sich die zentrale Feier unseres Glaubens, die Eucharistie. Sie ist sozusagen das Sakrament der Sakramente schlechthin. Deswegen feiern wir sie jeden Tag. In dem Brot und in dem Wein wird Christus leibhaftig greifbar und berührbar über die Zeiten hinweg. Christus will nicht rein ideell, metaphorisch, auf einer abstrakten Ebene unter uns bleiben, sondern er ist leibhaftig, konkret, gegenwärtig durch die Zeiten hindurch bei uns. In der Eucharistie durchdringt sein Leib sich mit unserem Leib. Es kommt zur Verbindung und Einheit, zu Heilung und Annahme. Die Philosophin und Mystikerin Edith Stein drückt das in einem Gedicht aus:



    „Dein Leib durchdringt geheimnisvoll den meinen,

    Und Deine Seele eint sich mit der meinen:

    Ich bin nicht mehr, was einst ich war.“



    (Aus: Stein, Edith: „Ich bleibe bei Euch…“ In: ESGA)



    Und schließlich, liebe Schwestern und Brüder, ein Gedanke gewissermaßen nach vorne: In unserem Glaubensbekenntnis bekennen wir die Auferstehung der Toten. Damit ist im strengen Sinn die Auferstehung des Fleisches gemeint, die Auferstehung des Leibes. Leib meint hier mehr als Körper. Leib meint den ganzen Menschen in seiner Konkretheit, seiner Individualität und seinen Beziehungen. Wir schauen in der Eucharistie heute schon ein wenig nach vorne und wir freuen uns darauf, selber von Angesicht zu Angesicht dem auferstandenen Christus leibhaftig begegnen zu dürfen. Noch einmal Edith Stein:



    „Du kommst und gehst, doch bleibt zurück die Saat,

    Die Du gesät zu künft’ger Herrlichkeit,

    Verborgen in dem Leib von Staub.“



    Die ersten Jüngerinnen und Jünger mussten sich da langsam herantasten. Der positive Blick auf die Leiblichkeit und die Auferstehung des Fleisches waren damals keine allgemein anerkannte Vorstellung – im Gegenteil. Vielleicht müssen auch wir das wieder neu lernen und vielleicht bietet sich uns diese Chance in diesem Jahr. Versuchen wir über den Leib, Christus an diesen Kar- und Ostertagen ein wenig näher zu kommen: Christus, der unser Menschsein angenommen hat; dem Leib Christi, den wir in der Eucharistie empfangen und schließlich unseren eigenen Leib, der zur Auferstehung der Toten gerufen ist. Gerade deshalb ist es manchmal hilfreich, wenn uns Menschen wie der junge Afghane ganz unverkrampft darauf hinweisen. Amen.
  • Predigt von Erzbischof Stefan zur Missa Chrismatis / Hamburg/ St. Marien-Dom / 26. 03. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort





    Liebe Schwestern und Brüder,

    liebe Mitbrüder im Priester- und im Diakonenamt,



    das Erkennungszeichen von uns Christen ist das Kreuz, eines unserer ursprünglichsten ‚Logos‘. Deswegen tragen viele von uns ein Kreuz an einer Kette. Deswegen haben viele Diakone und Priester am Revers ein Kreuz angesteckt. In unseren Wohnungen hängen die Kreuze, in unserer Liturgie verwenden wir sie. In der Kunst gibt es großartige Kreuzesmeisterwerke: In der evangelischen Nikolaikirche in Kiel ist ein riesiges Kreuz und ein ähnliches großartiges Triumphkreuz im Schweriner Dom. Es gibt das Barlachkreuz in unserer Lübecker Propstei und das Kreuzfenster in der Edith-Stein-Kirche in Hamburg-Neuallermöhe. Vielleicht haben Sie jetzt alle ein oder Ihr Kreuz vor Augen, von dem Sie sagen: „Das begleitet mich mein Leben lang. Das sagt mir etwas.“ Vielleicht braucht man ein Kreuz, mit dem man auf Du und Du geht.



    Mich beschäftigt das in diesen Tagen sehr. Mir hat vor kurzem jemand geschrieben: „Bei der Bischofsweihe hast du das Schmuckkreuz umgelegt bekommen. Aber es ist etwas anderes, das Kreuz auf den Schultern tragen zu müssen.“ Und natürlich kennen wir alle das Wort Jesu: „Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lk 9,23). Offenbar hat jeder seine Kreuz. Mir fiel gestern noch ein Wort des heiligen Albert in die Hände, der einmal sagt: „Das Maß [des] Auftrags im Dienste Christi ist jeweils das Maß des Kreuzes, das [wir] zu tragen haben.“ Jeder von uns hat daran Anteil.



    Ich erinnere mich noch gut an meine Priesterweihe vor nun fünfundzwanzig Jahren. Wir waren damals ein wenig überrascht, weil Kardinal Meisner in Köln einen ‚Eigenritus‘ einbaute, vor dem uns vorher niemand gewarnt hatte: Wir traten vor den Bischof, um den Kelch und die Hostien-schale zu empfangen. „Empfange die Gaben des Volkes für die Feier des Opfers.“, wird dann dazu gesprochen. Und es endet mit der Aufforderung: „…stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes.“ Dann passierte Folgendes: Plötzlich zückte der Erzbischof ein kleines Kreuzchen und überreichte es jedem einzelnen und irgendwie wusste man nicht, wohin damit. Man hatte ja noch den Kelch und die Hostienschale in den Händen, man war nervös und alles wackelte. Wohin jetzt mit dem Kreuz? Man fängt an zu kramen und versteckt es unter der Albe. Aber dieses Kreuz von Hans Dinnendahl, ein kleines, begleitet mich seitdem und liegt immer auf meinem Schreibtisch. Jeden Tag schaue ich darauf und jetzt ein bisschen mehr als sonst.



    „Stell dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes.“ Beim Nachdenken ist mir aufgegangen: Das Kreuz ist nicht nur etwas Schweres, ist nicht nur eine Last. So verstehen wir das ja oft. Jeder hat sein Kreuz. Hinter dem Kreuz steckt mehr. „Stell dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes“, das heißt zunächst: Du musst gar nichts tragen. Du musst auch gar nichts opfern, sondern steh einfach da und öffne dich für das, was vom Kreuz ausgeht.



    Unter dem Kreuz beginnt die Kirche. In einem unserer Gebete in der Messe beten wir: „Gott, unser Vater, deine Kirche … feiert den Tod deines Sohnes, aus dessen Seitenwunde sie hervor-gegangen ist.“ Also bevor wir etwas tun, bevor wir etwas tragen, bevor wir etwas machen, sind wir Empfänger. Und deswegen gilt es, dass wir uns öffnen für das, was vom Kreuz auf uns über-kommen soll und will. Durch Maria, die unter dem Kreuz steht – sozusagen als Sinnbild der Kirche – und die sich öffnet für den Strom, der vom Kreuz auf sie hinabfließt, bringt die Kunst das zum Ausdruck. Auf dem Fuß meines Primizkelches ist genau diese Szene angedeutet. Sie erinnert mich jeden Tag neu daran: Bevor du etwas tust, empfängst du und bist du. Vor allem Tun kommt das Sein und das Da-sein. Dieses Sein ist nichts als Geschenk, nichts als Gnade. Gott gibt alles und da-mit fängt Kirche an. Längst bevor wir etwas machen, bevor wir pastoral tätig werden, ist Kirche. Sie war vor uns und sie wird auch nach uns sein. Nicht, weil wir so toll wären – wir sind zwar nicht unwichtig. Aber viel wichtiger ist er, der alles grundiert und der seine Kirche nie allein lässt. Stell dich unter dieses Geheimnis. Öffne dich dafür. Empfange das jeden Tag neu.



    Sich unter das Kreuz stellen kann man, indem man darauf schaut und den Gekreuzigten ansieht. Das ist der Anfang. Aber dann kann man sich umdrehen und sozusagen mit dem Blick des Gekreuzigten auf die Menschen und die Welt schauen. Das Kreuz lädt uns ein, den Blickwinkel Jesu auf-zugreifen, wie er zu schauen, seinen Liebesblick aufzunehmen und selber mit diesem Liebesblick auf die Menschen zu sehen. Vielleicht brauchen wir ein ganzes Leben, um diesen Blick zu erlernen: Nicht die Augen zu verschließen, obwohl wir vieles gar nicht ertragen könnten. Auch nicht wegschauen, sondern ansichtig sein, einen klaren Blick haben. In einem Gebet heißt es sinngemäß: ‚Gib mir deinen Blick, Herr. Gib mir deinen Blick der Liebe, so wie du ihn am Kreuz gehabt hast und dein ganzes Leben.‘ Wenn wir aus dieser Liebe selber leben und uns in diesen Blick einüben, dann stehen wir nicht allein unter dem Kreuz des Herrn, sondern dann kann es uns gelingen, unter den vielen anderen Kreuzen zu stehen, die in unserer Welt aufgerichtet sind. Überall stehen sie – kleine und große. Sie sind immer wieder unangenehm. Aber ich glaube, unsere Aufgabe als Kirche und erst recht als Seelsorger besteht doch darin, unter dem Kreuz der Menschen zu sein. Der Papst fordert uns dazu immer wieder auf: ‚Geht an die Ränder, geht an die Peripherie!‘ Er meint ja nicht die Geografie, sondern die existentiellen Ränder. Das sind diese Kreuze. Da zu stehen und solidarisch zu sein mit und für die Menschen in ihren Kreuzessituationen. Theologisch sagen wir Proexistenz, ein schönes Wort – eine große Wirklichkeit.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    hier in unserem Dom und in vielen Kirchen ist jetzt das Kreuz verhüllt. Das lädt uns dazu ein, es neu auszupacken. Das lädt uns dazu ein, es neu anzuschauen und es neu sehen zu lernen. Des-wegen wünsche ich Ihnen allen in diesen Tagen, die besonders intensive Tage sind, dass Sie sich – egal ob Sie nun zum Priester geweiht sein mögen oder nicht – dass Sie alle sich unter das Geheimnis des Kreuzes stellen. So wie das in der Priesterweihe ausgedrückt wird und wir das erfahren haben, als wir dieses kleine Kreuz in die Hand gesteckt bekamen: Stell dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes und empfange. Sieh dich ein in seinen Liebesblick und schau mit diesem Blick in die Welt und auf die Menschen – auch auf dich selbst. Und dann versuche bei dem einen oder anderen Kreuz auszuhalten und zu stehen wie Maria und Johannes. Stell dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes. Amen.

  • Predigt bei der Frühjahrsvollversammlung der DBK in Ingolstadt / Ingolstadt / St. Moritz Kirche / 21. 02. 2018
    Es gilt das gesprochene Wort



    (Mittwoch der 1. Fastenwoche, Schrifttexte: Jona 3,1-10; Lk 11,29-32)



    Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitbrüder im Bischofsamt,

    wann hat Sie, wann hat Euch das letzte Mal etwas getroffen. Ich meine nicht einen Trauerfall oder die Nachricht von einer Krankheit. Sondern ich meine, wann hat Sie etwas im positiven Sinne getroffen? Zum Beispiel ein Satz, ein Moment, ein Gedanke, eine Begegnung oder ein Erlebnis, das auf mal die Dinge in einem neuen Licht erscheinen lässt oder Zusammenhänge ganz neu erhellt – ja, vielleicht sogar ein Moment von innerer Umkehr.



    Einen solchen Moment hatte der vor rund 20 Jahren verstorbene Philosoph Josef Pieper. Als junger Philosophie- und Jurastudent ist Pieper in den 1920er Jahren mehrmals auf der Burg Rothenfels zu Gast, einem der Zentren der katholischen Jugendbewegung. Bei einer Werkwoche im Sommer 1924 hält der Priester und Philosoph Romano Guardini eine improvisierte Ansprache. Pieper kann sich später nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern. Aber ein Gedanke aus Guardinis Vortrag trifft den jungen Studenten so stark, dass er daraus seine ganze Doktorarbeit entwickelt und davon letztlich sein ganzes weiteres Denken und Arbeiten beeinflusst wird.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    auch im heutigen Evangelium geht es um ein Sich-treffen-lassen, oder besser gesagt: um das Gegenteil. Lukas berichtet, dass immer mehr Menschen zu Jesus kommen. Aber Jesus freut sich nicht über ihr Interesse, sondern fällt ein klares und eindeutiges Urteil: „Diese Generation ist böse.“ Sie fordern Zeichen, obwohl sie schon längst eines haben: Jesus selber. Er ist das Zeichen. Jesus wirft seinen Zuhörern vor, dass selbst die Bewohner von Ninive – also im damaligen Verständnis ‚Heiden‘ –sich nach der Predigt des Jona bekehrt haben. Aber „diese Generation“, verweigert sich seiner Botschaft und fordert weiterhin Zeichen. Könnte es diese Verweigerungshaltung sein, die Jesus zu diesem harschen Urteil führt? Könnte es sein, dass diese vielen Menschen, die um ihn herum sind, sich letztlich ihm und seiner göttlichen Wirklichkeit verweigern und deswegen böse sind?



    Liebe Schwestern und Brüder,

    der Satz, beziehungsweise das Wort, das Josef Pieper so getroffen hat, ist uns nicht überliefert. Ja, er selber konnte sich nicht mehr recht daran erinnern. Er hat versucht, es zu umschreiben und stellt diesen Gedanken seiner Doktorarbeit voran: „Die Wirklichkeit ist das Fundament des Ethischen. Das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße. Wer das Gute wissen und tun will, […] muss absehen von seinem eigenen […] und hinblicken auf die Wirklichkeit.“

    Das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße: wer Gutes tun und wissen will, muss seinen Blick auf die Wirklichkeit richten. Ja, man könnte fast sagen auf die wirkliche Wirklichkeit. Denn die Wirklichkeit dieser Welt, unseres Lebens, ja meines Lebens ist Gott, ist Gottes liebender Blick, sind seine Verheißungen und Zusagen. Er hat diese Welt gut geschaffen, will uns Gutes und denkt groß von uns Menschen – von jedem einzelnen.

    Das Böse wäre demgegenüber das Verfehlen der Wirklichkeit. Das Böse nimmt die Wirklichkeit als Ganze nicht ernst. Das Böse blendet aus. Das Böse lässt Teile nicht zu. Das Böse betreibt ein Versteckspiel. Es traut Gott nichts Gutes zu. Es verweigert sich der Wirklichkeit.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    am Beispiel der Menschen aus Ninive macht Jesus deutlich: Der Zeitpunkt zur Umkehr ist jetzt. Wir sollen uns treffen lassen. Jesu Botschaft vom Reich Gottes, soll für die Menschen damals, soll für uns heute alles in dein neues Licht rücken. Er will, dass die Menschen die Realität sehen: der Menschensohn ist da, das Reich Gottes ist nahe.

    Jesus Christus selber ist alles andere als ein Wirklichkeits-Verweigerer. Er nimmt die menschliche Wirklichkeit voll und ganz an und bringt sich in sie ein. Er wird einer von uns. Sein Weg führt immer tiefer in die Wirklichkeit hinein. Das ist der Gang zwischen der Inkarnation an Weihnachten und dem Kreuzestod am Ende der Passion. Christus verweigert sich nicht dieser Wirklichkeit, sondern er wird ein Teil von ihr und verwandelt sie zur Wirklichkeit Gottes.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    wir stehen noch am Beginn der Fastenzeit. Es ist noch nicht zu spät, diese Fastenzeit zu nutzen und etwas daraus zu machen. Es wäre lohnend, in dieser Fastenzeit immer tiefer in die wirkliche Wirklichkeit unseres Lebens zu finden. Ich meine die Wirklichkeit Gottes, für die wir uns Tag für Tag in Schweigen, Gebet, Besinnung, Gottesdienst öffnen können. Ich meine auch die Wirklichkeit dieser Welt, die wir Tag für Tag immer mehr annehmen und durchdringen können, ganz konkret im Schicksal von Menschen, so wie Jesus sich ihnen zuwendet. Und ich meine unsere eigene Wirklichkeit mit unserer Größe, aber auch mit unseren Begrenzungen.



    Erinnern Sie sich an dieses schöne Wort Josef Piepers: „Das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße.“ Hoffentlich trifft uns nicht ein ebenso hartes Wort wie damals die Menschen: „Diese Generation ist böse.“ Sondern hoffentlich steht über unserem Leben, über unserer Kirche: Diese Generation ist gut, sie ist wirklichkeitsgemäß. Sie ist offen für die liebende Wirklichkeit Gottes und lässt sich von ihr treffen. Braucht es mehr Vorsätze für die Fastenzeit?
  • Hirtenwort des Erzbischofs zur Veröffentlichung des Pastoralen Orientierungsrahmens / Hamburg / 04. 02. 2018
    (Evangelium vom 5. Sonntag im Jahreskreis B: Mk 1,29-39)



    Liebe Schwestern und Brüder im Erzbistum Hamburg,

    es muss für Simon Petrus ein merkwürdiger Moment gewesen sein, von dem das heutige Evangelium berichtet: Erst wird er von Jesus gerufen und folgt ihm auf Schritt und Tritt nach. Er erlebt mit, wie Jesus von Scharen umringt wird und Kranke rund um die Uhr heilt. Doch dann, an einem Morgen, steht Jesus in aller Frühe auf und geht allein an einen einsamen Ort. Er geht einfach weg, ohne ein Wort zu sagen, – er, für den die Jünger gerade erst alles stehen und liegen gelassen haben und dem sie begeistert folgen. Sofort suchen sie ihn und finden ihn bei nichts anderem als dem Beten. Sie halten ihm vor, dass alle ihn suchen. Doch Jesus rechtfertigt sich nicht. Stattdessen blickt er nach vorne, denn er hat eine Mission: „Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen.“ (Mk 1,38)



    Liebe Schwestern und Brüder,

    ich beobachte hier wie auch an anderen Stellen im Evangelium einen Dreiklang bei Jesus: Er heilt - er betet - er bricht auf.



    Jesus verkündet die frohe Botschaft und lässt dies die Menschen auch spüren; dann ist er immer wieder der stille Beter. Dafür nimmt er sich offenbar ausgiebig Zeit. Er geht in die Einsamkeit und stellt sich in Gottes Gegenwart. Aber er bleibt nicht lange an ein und demselben Ort, sondern bricht wieder auf und ist unterwegs in andere Dörfer und Städte. Das ist seine Mission, auf Deutsch, seine Sendung. Auf diese Mission nimmt Jesus seine Jünger mit.



    Dieser Einladung zur Nachfolge verdanken wir unseren Glauben. In diesen Tagen feiern wir das Fest des Heiligen Ansgar, unseres Bistumsgründers. Er hat sich im neunten Jahrhundert von Frankreich kommend in den Norden aufgemacht, um das Evangelium zu verkünden. Im Laufe der Kirchengeschichte haben es ihm viele gleich getan. Heute ist der Aufbruch, sind das Loslassen und Losgehen unser Auftrag. Das muss nicht gleich eine weite Reise bedeuten. Das beginnt in unserem Alltag, in Gemeinde, Familie, Freundschaft, Beruf.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    „Herr, erneuere deine Kirche und fange bei mir an“. Mit dieser Bitte haben wir vor rund eineinhalb Jahren unseren Erneuerungsprozess begonnen. Die wirtschaftliche Lage unseres Erzbistums ist sehr schwierig. Zur Abwendung größerer Schäden sind weitreichende Entscheidungen notwendig. So mussten wir bereits die Aufgabe einiger Schulen beschließen. Wir mussten das tun, obwohl dort gute Arbeit gemacht wird und sie wertvolle pastorale Orte sind. Das verletzt und empört viele Menschen. Die Entscheidungen schmerzen – auch mich.



    Gleichzeitig träumen wir von einem Aufbruch, einer Lebendigkeit unserer Gemeinden und Orte kirchlichen Lebens. Ich bin überzeugt: Wir können hier im Norden eine lebendige Kirche sein, eine Kirche mit einer Mission – auch mit weniger finanziellen Mitteln. Wir müssen darum alles, was wir künftig verändern, auf dieses Ziel, auf unsere Sendung hin gestalten. Dazu haben wir in den letzten Monaten einen Pastoralen Orientierungsrahmen geschrieben: einen Rahmen, der unserem Aufbruch und unserer Mission Richtung gibt.



    Ich habe mich bewusst für das Wort Rahmen entschieden. Der Text ist kein Generalplan für alles und jeden im Erzbistum. Im Gegenteil: Jede und jeder hat eine individuelle Berufung. Ich bin dankbar für diese große Vielfalt. Der Rahmen sagt darum, wie wir unseren Aufbruch weiter gestalten wollen, nämlich gott- und menschennah, aufsuchend, vernetzend, weltkirchlich und solidarisch.



    Der Dreiklang von Heilung, Besinnung und Aufbruch, von dem das heutige Evangelium berichtet, prägt auch unseren Orientierungsrahmen. Mit Jesus wollen wir den Menschen nahe sein. Wir wollen uns nicht in unseren Gebäuden verstecken, sondern rausgehen zu den Menschen am Rand, mit ihnen leben und von ihnen lernen. Wie Jesus wollen wir uns immer wieder Zeiten nehmen, in denen wir uns für Gott öffnen und unserer Berufung nachspüren. Mit Jesus wollen wir aufbrechen, uns mit anderen vernetzen und solidarisch in der Einen Welt am Wachsen des Reiches Gottes mitwirken.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    viele Gläubige aus unseren Diözesangremien, aus unseren Pastoralen Räumen, aus den Verbänden und Einrichtungen haben am Pastoralen Orientierungsrahmen mitgearbeitet. Ich möchte allen dafür ganz herzlich danken! Die Arbeit an diesem Rahmen hat zu zahlreichen Begegnungen und Glaubensgesprächen geführt und damit schon den Geist der Erneuerung geatmet.



    Ich lade Sie ein, unseren Pastoralen Orientierungsrahmen zu lesen, zu diskutieren und zu leben: in Ihren Gemeinden und den Orten kirchlichen Lebens, in Ihren Verbänden, der Caritas, unseren Schulen und KiTas, ja in möglichst vielen Kreisen unseres weiten Erzbistums. Er ist die Grundlage für unseren Aufbruch und damit auch für die wirtschaftliche Ausrichtung in den nächsten Jahren.



    Wir haben eine Sendung, gehen wir weiter!



    Dazu segne uns alle der allmächtige und barmherzige Gott:

    der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.



    Hamburg am Fest des Hl. Ansgar, dem 3. Februar 2018

    + S t e f a n

    Erzbischof von Hamburg
  • Ökumenische St. Ansgar-Vesper in Hauptkirche St. Petri / Hamburg / 03. 02. 2018
    Uns Christen verbindet alle miteinander der Glaube an den dreifaltigen Gott. Wir beginnen unsere Gebete „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes“. Wir lassen sie oft einmünden in ein „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Hl. Geist“.



    Wir sind getauft „im den Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes“.

    Ansgar hat hier im Norden im 9. Jahrhundert den Glauben an den dreifaltigen Gott verkündet. Er hatte davor derart hohen Respekt und Ehrfurcht, dass er in seinen Pigmenta immer wieder vom „unaussprechlichen Namen der Dreifaltigkeit“ redet.



    Gehen wir diesem Namen der Dreifaltigkeit heute ein wenig auf die Spur. Ein paar Anregungen dazu.



    Wir glauben an Gott, den Vater.



    Wir glauben an einen Gott, von dem das Leben ausgeht und zu dem es wieder zurückführt. Wir glauben an einen Gott, der jeden Einzelnen gewollt hat und immer wieder neu will. Wir glauben an einen Gott, für den wir Menschen nicht bloß einer von Milliarden auf dieser Erde sind, sondern der uns im Blick hat, der uns liebt und in seiner Liebe Tag für Tag trägt. Johannes bringt das auf den Punkt: „Gott ist die Liebe“ (1Joh 4,16). Wer an Gott glaubt, stellt sein Leben in eine universelle, alles umfassende Perspektive, er weiß sich davon getragen und umfangen.



    Mit diesem Glauben an die Liebe Gottes wollen wir dieser Stadt, unserem ganzen Land, ja Europa eine Seele geben. Wir wollen uns also nicht als Kirchen selber darstellen und möglichst gut verkaufen, sondern Christen tun alles, um Gott zum Leuchten zu bringen. Um seine Liebe nicht unter einem Scheffel zu verbergen, sondern zum Strahlen zu bringen.



    Christen glauben nicht einfach nur an das Universelle, an die umfassende Perspektive Gottes, sondern Christen wissen darum, dass diese universelle Liebe konkret geworden ist in Jesus Christus, deswegen heißen sie Christen.



    Wir glauben an Jesus Christus, Gottes Sohn.



    Christen leben in den Fußstapfen Jesu Christi und versuchen sie weiter in die Zeit hin einzuprägen. Dazu braucht es nicht große Taten und bestaunenswerte Dinge, sondern Christsein vollzieht sich im Alltag. Christsein vollzieht sich im Konkreten. In der Spur Jesu Christi wollen wir ansprechbar, berührbar, einladend, empfänglich sein. Wir wollen unseren Glauben demütig, aber selbstbewusst leben – als Einzelne, wie als Gruppe und als Glaubensgemeinschaft. Zur Demut gehört auch, dass wir offen sind, von anderen und mit anderen zu lernen. Denn – wie Paulus es sagt sind wir Diener der Freude und nicht Herren über den Glauben (vgl. 2Kor 1,24).



    Wir glauben an den Hl. Geist.



    Der Hl. Geist erinnert uns an alles, was Jesus Christus getan und gesagt hat (vgl. Joh 14,26). Er ist das „lebendige Gedächtnis der Kirche“ (vgl. KKK 1099). Mit Gottes Geist kommt es zu keinem Gedächtnisverlust oder Vergessen, sondern Gott bleibt gegenwärtig.

    Im Gegenteil, der Hl. Geist ist unser „innerer Lehrer“, wie Augustinus sagt. Er lehrt uns nicht einfach von außen und gibt uns immer neuen input, sondern er kommt von innen. Er sorgt für die innere Übereinstimmung zwischen Gott und uns.



    Liebe Schwestern und Brüder, dieser Glaube an den dreifaltigen Gott lebt in uns und verbindet uns untereinander. Wir sagen Ansgar für die Vermittlung dieses dreifaltigen Glaubens dank.
  • Silvesterpredigt 2017 / Hamburg/ St. Marien-Dom / 31. 12. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort



    Liebe Schwestern und Brüder,



    das Jahr 2017 wird für viele von uns verbunden bleiben mit dem Gedenken an die Reformation vor 500 Jahren. Wir haben als Erzbistum Hamburg mit der Nordkirche dieses Gedenken in verschiedenen Gottesdiensten und Begegnungen begangen und vor allem Christus gefeiert. Wie viele bin ich dankbar, dass wir dieses Gedenken nicht in einem Gegeneinander begangen haben, sondern in einem Miteinander. Bei allem, was uns unterscheidet und trennt, ist das Gemeinsame immer größer. Es ist der eine Glaube an den dreifaltigen Gott, es ist das Bekenntnis zu Jesus Christus und seinem Heiligen Geist, der in dieser Welt lebt und wirkt, was uns miteinander verbindet. Wir leben in einer Stadt, in der nur noch etwa vierzig Prozent der Menschen Christen sind (also die Mehrheit nicht). Wir müssen darum einander stärken und miteinander die frohe Botschaft unseres christlichen Glaubens aussprechen und leben. Das gilt nicht nur für uns Katholiken zusammen mit den Protestanten. Das gilt auch für die vielen kleineren christlichen Gemeinschaften hier in unserer Stadt wie etwa die orthodoxen Christen oder die orientalischen Christen, die auf ihrer Flucht zu uns gekommen sind und nicht zuletzt für die zahlreichen Freikirchen. Auf der Grundlage des Gemeinsamen können wir dann auch das betrachten, was uns unterscheidet: das Verständnis der Kirche, die Auffassung über das Amt, das Abendmahl bzw. die Eucharistie und die Sakramente überhaupt.



    Dass es immer noch so viele unterschiedliche, ja getrennte christliche Kirchen und Konfessionen gibt, zeigt doch, dass die Einheit beileibe noch nicht erreicht ist und die Reform bzw. Reformation noch nicht an ihr Ziel gekommen ist. Re-form bzw. Re-formation heißt doch wörtlich übersetzt: wieder in Form kommen. Gemeint ist, wieder in die Ursprungsform zu kommen, also in die Form Jesu Christi. Denn wir Christen sind sein Leib, wie Paulus sagt. Da haben wir noch viel vor uns. Wir werden in diesem Leben nie an ein Ende kommen. Wir müssen ernst nehmen, dass wir Menschen immer hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben, dass wir sogar gegen unsere Möglichkeiten handeln. Wenn es so etwas gibt wie Schuld und Sünde, dann bedürfen wir immer der Reform, der Umkehr. Deswegen spricht das Zweite Vatikanische Konzil von der Ecclesia semper reformanda bzw. genauer von der Ecclesia semper purificanda, der Kirche, die immer gereinigt und geheilt werden muss. Hierbei denke ich nicht nur an die Schuld, für die jeder Einzelne von uns eine Verantwortung trägt, sondern auch die Schuld, die auf der Kirche als Ganzes lastet. Es ist einfach schrecklich, in den vergangenen Wochen von den vielen Missbräuchen an Kindern und Jugendlichen zu hören, die in Australien geschehen sind. Reform und Reformation bringen es also immer mit sich, in Buße die eigene Schuld nicht zu verschweigen, um Vergebung zu bitten, niemals die Hoffnung aufzugeben, nach vorne zu schreiten und immer wieder von neuem zu beginnen.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    zum Weihnachtsfest hat mir ein Mitbruder, mit dem ich studiert habe, einen Gruß geschickt. Er schreibt: „Weihnachten feiern wir die ganz große Reformation der Welt und des Menschen.“ Die eigentliche Reformation hat wohl nicht 1517 stattgefunden, sondern schon bei Christi Geburt. Der eigentliche Reformator ist Jesus Christus selbst. Er will den Menschen wieder in die Form zurückführen, in der Gott ihn gedacht hat. Er tut das nicht mit Worten, sondern er tut das durch sein ganzes Leben. Er lebt uns vor, wie Gott den Menschen gedacht und gewollt hat.

    Reform wird sich also immer an Jesus Christus orientieren müssen. Sie wird letztlich auch immer nur durch und mit ihm geschehen. Papst Franziskus spricht in Evangelii gaudium sogar von einer Revolution: „Der Sohn Gottes hat uns in seiner [Menschwerdung] zur Revolution der zärtlichen Liebe eingeladen.“



    Liebe Schwestern und Brüder,

    das Jahr 2018 wird uns im Erzbistum Hamburg aufgrund unserer wirtschaftlichen Schieflage eine Reihe von Reformen, vielleicht sogar Revolutionen bescheren. Liebgewordene Formen, vertraute Strukturen – vieles davon werden wir nicht halten können, weil uns einfach das Geld dafür fehlt. Heute stehen diesbezüglich noch keine Entscheidungen fest. Wir werden aber in den ersten Monaten des neuen Jahres zu Entscheidungswegen kommen und auch konkrete Entscheidungen fällen müssen. Manches davon wird uns schwerfallen – Ihnen und mir selber auch.



    Die Gestalt der Kirche hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gewandelt. Es gibt nicht die eine Gestalt von Kirche, die über die Jahrhunderte immer gleich bliebe. Die Gestalt unserer Kirche kann, ja sie muss sich wandeln mit der Zeit, in der sie steht. Denn der konkrete Mensch ist immer die Orientierung für unser kirchliches Leben und Tun. Aber der Auftrag unserer Kirche dabei, das was sie ausmacht, das Wesentliche, das gilt es zu erhalten. Ja, das gilt es immer stärker in den Bick zu nehmen. Könnte es nicht sein, dass in dieser Situation uns manches aus den Händen genommen wird, damit Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist stärker in die Mitte gerückt werden? Ich jedenfalls bin mir sicher: Egal wie die äußere Gestalt unserer Kirche aussieht – und wenn man in die Weltkirche hineinschaut, dann sieht man, dass es in anderen Ländern ganz ganz anders geht – eines das trägt uns: Christus, der zur Welt gekommen ist, der in unserer Kirche lebt und wirkt, der mit seinem Wort und seinen Sakramenten mitten unter uns ist, der uns alles gibt, was wir brauchen – nämlich sich selbst. Er lädt uns ein, ihm mehr und mehr gleichförmig zu werden. Mit ihm auf dem Weg und mit ihm als Ziel: Dann geht nichts schief! Dann sind wir auch in Zukunft Kirche für die Welt. Amen.
  • Weihnachtspredigt 2017 / Hamburg/ St. Marien-Dom / 24. 12. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort





    Liebe Schwestern und Brüder,



    gleich dreimal betont der Evangelist Lukas, warum sich Josef mit seiner schwangeren Frau Maria auf den Weg macht: Nämlich „um sich eintragen zu lassen“ (Lk 2,3). Vielleicht denken Sie jetzt an manchen Behördengang, an Formulare, an Warteschlangen, an Dokumente, die man dabei haben muss, an Gebühren, an Bürgerämter und Büros, an Meldezentren und nicht zuletzt an Ihre Steuererklärung…Für die meisten einfach nur lästig! Gut, wenn man es hinter sich hat.



    Sicher auch eine Last für Maria und Josef, einfache, unbedeutende, eben kleine Leute, ohne Privilegien. Zudem eine werdende Mutter: hochschwanger – da macht man für gewöhnlich keine weiten Wege mehr. Sie tun, was von ihnen verlangt wird, was alle tun (müssen). Sie lassen sich registrieren - erst im Laufe der Zeit registrieren sie selber, was hier geschieht!



    Es geschieht – wie Lukas sagt – zum allerersten Mal, dass Kaiser Augustus den ganzen Erdkreis in Steuerlisten eintragen lässt. Er bezieht den ganzen Erdkreis, also die damals bekannte Welt ein. Augustus will wissen, woran er ist. Er bestimmt und kein anderer. Augustus will wissen, über wen er herrscht, wie viele ihm zu Füßen liegen und ihm huldigen. Er will nicht nur einen einigermaßen guten Überblick haben, sondern die Lage in seinem Reich vollständig überblicken. Ordnung muss schließlich sein! Deswegen braucht er diese Erfassung in Listen. Es sind politische und fiskalische Gründe, die das junge Paar in Erwartung zum Aufbruch nötigen.



    Wir dürfen annehmen, dass mit dem Namen Josefs und Marias auch der Name Jesus in die Steuerliste eingetragen wird. Jesus wird mit diesem Eintrag in die Liste existent. Er wird staatlich erfasst. Er wird in der Verwaltung existent. Gemäß dem lateinischen Grundsatz: Quod non est in actis non est in mundo. ‚Was nicht in den Akten ist, ist nicht in der Welt‘.



    Ich habe geradezu den Eindruck, das Kind kommt zu einem Zeitpunkt auf die Welt, damit es noch auf dieser Liste erscheint. Das neugeborene Jesuskind darf auf dieser Liste offenbar nicht fehlen.



    Mit dem Namen Jesus von Nazareth wird auf diese Steuerliste die Bedeutung Jesu für die ganze Welt und die ganze Menschheit eingeschrieben. Jesus heißt übertragen „Heil“. Ganz exakt übersetzt: Gott ist unser Heil. Das ist es, was auf der Liste, ja was im Leben der Menschheit nicht fehlen kann und darf: Gott ist Heil. Gott ist Erlösung. Gott ist Rettung.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    Jesus auf der Liste des Augustus stellt mich vor die Frage: Habe ich ihn auf der Liste meines Lebens? Habe ich ihn für mich auf dem Schirm, auf dem Bildschirm meines Lebens? Taucht er in den vielen digitalen und analogen Listen und Dokumenten auf? Die besonderen Umstände bei der Geburt Jesu bedeuten für mich: Jesus will in meinem Leben dabei sein. Er will vorkommen. Er will mitmachen. Er will für mich und dich Heil, Heiland, Heilung, Erlöser, Befreier, Retter sein. Das heißt, er will die Bilanz deines Lebens ins Positive wenden.



    Jesus lässt sich in diese Steuerliste eintragen und er bezahlt seine Steuern: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört“ (Mk 12,17), antwortet er denen, die ihn fragten, ob man denn überhaupt Steuern zahlen dürfe. Jesus bezahlt sogar eine Steuerlast in einem viel umfassenderen Sinne. Er löst in seinem ganzen Leben und Sterben die Schuld ein, die wie eine schwere Steuerlast auf der ganzen Menschheit ruht. Er ist bereit, die ganze Summe zu zahlen. „Er hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben“ (Kol 2,14). Weil Jesus unsere Schuld getragen hat, weil er sie selber auf sich gezogen hat, nimmt er sie von uns weg und schenkt uns damit sein Heil, das unser Heil werden soll. Deswegen kann die Bilanz unseres Lebens nie negativ ausfallen. Sein Heil überwiegt immer alles Unheil. Er macht aus jedem Minus ein Plus.



    Liebe Schwestern und Brüder,



    es gibt Listen, auf denen man gerne steht, und andere, auf denen man sich lieber nicht finden will. Geheime Listen oder sog. Schwarze Listen – aber auch Listenplätze, bei denen man sogar ziemlich weit oben stehen will.



    Jesus steht auf der Liste dieser Welt. Und wir: wir stehen auf seiner Liste. Zu seinen Jüngern sagt er einmal: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind (vgl. Lk 10, 20). Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, spricht vom Buch des Lebens, von dieser Liste, auf der die verzeichnet sind, die das ewige Leben erhalten. Jesu heilendes und erlösendes Kommen in die Welt, symbolisch sein Eintrag in der Steuerliste des Augustus, ist das Pfand für unseren Eintrag im Buch des Lebens.
  • Gedenkrede zum Volkstrauertag / Hauptkirche St. Michaelis / 19. 11. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort



    [1. Friedensnote 1917 – Wieder Brüder werden]

    „Soll die zivilisierte Welt zu einem Leichenfeld werden? Und wird das blühende und ruhmreiche Europa, wie von einer allgemeinen Torheit überwältigt, dem Abgrund zustreben und die Hand gegen sich selbst wenden zum Selbstmord?“



    Sehr geehrte Damen und Herren,



    mit diesen Fragen appellierte Papst Benedikt der XV. vor hundert Jahren, im August 1917, an das Gewissen der Kriegsparteien des Ersten Weltkriegs. Das sinnlose Morden des Krieges dauerte schon drei Jahre. Er hoffe, so der Papst, „dass dieser ungeheure Kampf, der jeden Tag mehr als unnützes Gemetzel erscheint, möglichst bald aufhört.“ Leider blieb diese Friedensinitiative des Papstes folgenlos, wie viele andere auch. Die Stimmung in den kriegsführenden Ländern war extrem aufgeheizt. Ein Verständigungsfrieden war nicht möglich. Erst ein Jahr und tausende Tote später kam es 1918 zum Waffenstillstand. Aber weniger aus Einsicht, als aus Erschöpfung.



    An Ideen zur Überwindung des Krieges mangelte es freilich auch damals schon nicht. Benedikt XV. sagt in seiner Friedensnote, „dass an die Stelle der physischen Gewalt die moralische Macht des Rechtes“ treten muss. „Statt Waffen braucht es eine friedensschaffende Schiedsgerichtsbarkeit.“ Zudem forderte der Papst die allseitige Abrüstung, die Freiheit der Verkehrswege und Meere, die Erlassung der Kriegsschulden sowie die gegenseitige Rückgabe besetzter Gebiete. All das würde nicht nur den Krieg beenden, sondern auch zu nachhaltigem Fortschritt führen. Der Papst sagt ganz klar, was er mit seinem Aufruf bezweckt: Er will nicht aufhören, „sowohl die kriegführenden Völker als auch ihre Regierungen zu ermutigen, wieder Brüder zu werden.“

    „…wieder Brüder werden…“, oder heute gesprochen „…wieder Geschwister werden…“ Das scheint mir die zentrale Mahnung der Toten zu sein, derer wir heute gedenken: Menschen, lasst euch nicht entzweien. Führt nicht Krieg gegeneinander, sondern bewahrt gemeinsam den Frieden.



    Wir sind als Menschheit eine Familie, wir alle teilen die gleiche Würde. Als Christ möchte ich sagen, wir sind alle Kinder Gottes. Aber auch wenn viele Christen und nicht zuletzt Bischöfe in ihrer patriotischen Kriegsbegeisterung zwischen 1914 und 1918 diese Geschwisterlichkeit vergessen hatten, war sie auch im Ersten Weltkrieg nicht ganz verloren. Am Heiligen Abend 1914 und 1915 kommt es an einigen Frontabschnitten zu Feuerpausen und spontanen Weihnachtsfeiern. Menschen schießen aufeinander, feiern zusammen und schießen wieder aufeinander. Hat der Krieg jemals seine Absurdität so deutlich gezeigt, wie an diesen Abenden?



    [2. Volkstrauertag – Trauer und Gedenken heute]



    Meine sehr geehrten Damen und Herren,



    wir begehen heute den Volkstrauertag. Wir trauern um die Menschen, die die Folgen der Entzweiung und des Unfriedens, von Ideologien und Verfolgungen zu tragen hatten und haben. Der Volkstrauertag ist etwas Eigenartiges: Wenn ein uns naher Mensch verstirbt, gilt es die Trauer auszuhalten. Dann kommt ein Prozess in Gang, in dem die Trauer nach und nach abnimmt und in das Leben integriert wird oder auch ganz verschwindet. Das ist menschlich und das habe ich als Seelsorger immer wieder erlebt.



    Der Volkstrauertag als institutionelles Gedenken will dagegen etwas anderes. Wir schließen die Trauer nicht ab. Im Gegenteil: wir kultivieren sie sogar. Wir haben sie uns verordnet, pflegen sie wie die Grabstätten. Jährlich trauern wir als Bürger der Bundesrepublik Deutschland einen Tag. Auch heute noch, da das persönliche Kriegserleben in unserem Land immer weniger im Vordergrund steht. Meine Mutter ist zwar 1942 in einem Bunker geboren und mein Vater war mit seiner Familie im Bergischen Land bei Köln evakuiert; und natürlich erleben auch heute Menschen Krieg – etwa die deutschen Soldaten, die im Ausland eingesetzt sind. Über hundert sind seit den neunzehnhundertundneunziger Jahren verstorben; oder auch zugewanderte Mitbürger, die durch Krieg oder Verfolgung Ihre Heimat verlassen mussten. Aber die Breite unserer Gesellschaft hat wie ich selber – Gott sei Dank – keinen Krieg persönlich erlebt.



    Dennoch erinnern wir heute nicht nur, wir trauern – immer noch. Das macht deutlich: Die Opfer, um die wir trauern: Die Toten sind keine zufälligen oder unvermeidbaren Opfer, keine Betroffenen von Unfällen oder Naturkatastrophen, keine sogenannten Kollateralschäden. Ursachen für Ihre Tode waren und sind der menschliche Unwille und die menschliche Unfähigkeit zum Frieden, nicht zuletzt aufgeheizt durch Ideologien wie den Nationalsozialismus. Die Toten mahnen uns nicht nur, sie fehlen auch. Wir trauern, weil offene Lücken bleiben: Menschen fehlen und damit ihre Kinder und Kindeskinder. Fragen bleiben: Warum? Was wäre wenn?



    Die heutige Gedenkveranstaltung und sehr sinnbildlich das Bücken und das Verneigen bei den Kranzniederlegungen im Vorfeld: Sie sind ein Zeichen der Demut, „Wir haben verstanden.“ und „Nie wieder.“ Die Last der Geschichte lässt die aufrechte Haltung für einen Moment vergessen. Wer trauert und gedenkt, der bleibt nicht gleichgültig. Ich bin darum überzeugt: Der Trauernde geht einen ersten Schritt zum Frieden. Wer Schuld und Verlust anerkennt und wer die Erinnerung daran wachhält, den kann das Heute nicht kalt lassen.



    Nicht von Ungefähr engagiert sich der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge für die Friedensbildung in Schulen oder auf Freizeiten. Die Versöhnung über den Gräbern und die Pflege des Angedenkens der Toten waren und sind für den Volksbund ein erster Schritt zu einer umfassenderen Friedensarbeit. Sie ist selbst auf unserem Kontinent bis heute nötig. Die Staaten Europas präsentieren sich gegenwärtig eher als eine zerrüttete Familie. Eine Familie, die noch dazu Ihren Verwandten südlich des Mittelmeeres und im Nahen Osten oft genug die kalte Schulter zeigt. Ich denke dabei an die zahlreichen Flüchtlinge, die ihr Leben verloren haben. Auch Ihrer gedenken wir heute. So heißt es im Totengedenken: „Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung.“



    [3. Papst Franziskus – Wo beginnt Frieden?]



    Meine sehr geehrten Damen und Herren,



    Viele Soldaten des Ersten Weltkriegs haben noch zu einem friedlichen Nebeneinander gefunden: im Tod, in Gräbern unter grünem Rasen und weißen Kreuzen. Im Tod sind sie auf zynische Art friedlich vereint. Soweit darf es doch nicht mehr kommen – darin sind wir uns eigentlich alle einig! Seit der Friedensnote von 1917 engagiert sich jeder Papst für den Frieden, für den „einzig wahren Weg menschlichen Fortschritts“ . Wie notwendig das auch heute ist, zeigen uns die Nachrichten. „Soll die zivilisierte Welt zu einem Leichenfeld werden?“ Diese Frage von 1917 stellt sich nach wie vor: etwa im Hinblick auf den Terrorismus, der Entgrenzung aller Leichenfelder, oder in schier endlosen kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Der jetzige Papst, Franziskus, spricht mittlerweile von einem „dritten Weltkrieg in Abschnitten“ . Man denke nur an Nordkorea oder den Jemen. Auch er wird darum nicht müde, die Geschwisterlichkeit aller Menschen zu betonen und die globale Gleichgültigkeit anzuprangern. Aber wie beginnen Frieden und Geschwisterlichkeit? Wo fängt Frieden an?



    [Persönlich] Es gibt den Satz: Der Frieden beginnt vor der eigenen Haustür. Aber das stimmt nicht. Er beginnt nicht einmal im eigenen Haus. Die Trauer als ein Schritt zum Frieden weist uns den Weg: Der Frieden beginnt in meinem Herzen – oder er beginnt nicht. Papst Franziskus sagt auf seine provokante Art, der grundlegende Kampf findet in unserem Herzen statt. Tagtäglich ringen wir doch um die richtigen Entscheidungen. Die Linie zwischen Gut und Böse, zwischen Richtig und Falsch, zwischen Anteilnahme und Gleichgültigkeit: Sie verläuft nicht zwischen Gruppen, Geschlechtern, Religionen oder Ethnien, zwischen Einheimischen oder Zugewanderten. Sie verläuft zuerst durch jeden Menschen. Das müssen wir ehrlich anerkennen. Denn wer um seine eigene Begrenztheit und Fehlbarkeit weiß, der kann auch andere Menschen neben sich akzeptieren und teilt nicht nach Gut und Böse ein. Als Christ darf ich sagen: Wir sind von Gott bejaht und angenommen.



    Wir brauchen Anerkennung nicht zuerst selber zu suchen, sondern wir dürfen friedlich leben, uns zurücknehmen, dem anderen Menschen Raum geben. Dann kann echte Geschwisterlichkeit, kann Frieden zwischen Menschen wachsen.



    [Gesellschaftlich] Den Frieden zu leben, kann manchmal bedeuten, noch einen Schritt weiter zu gehen; nicht nur, dem anderen Raum zu geben, sondern ihm die Hand zur Versöhnung entgegenzustrecken, auf Böses mit Gutem zu antworten, nicht gleichgültig zu werden. Denn ich bin überzeugt: Die Geschwisterlichkeit ist auch für unsere vielfältige Gesellschaft fruchtbarer als die Entzweiung. Ein Konflikt kann nur Ausgangspunkt eines gemeinsamen Prozesses ein. Frieden ist damit mehr als die Abwesenheit von Krieg. Er ist das Engagement für den gemeinsamen Fortschritt, der alle mitnimmt.



    [International] Globalisieren wir darum nicht die Gleichgültigkeit, sondern die Geschwisterlichkeit. Die Haltung der Geschwisterlichkeit, die Bereitschaft, sich selbst zurückzunehmen und die Hand auszustrecken: Das sollten sich Menschen, Gesellschaften wie Staaten zu eigen machen. Es ist ein guter Humus, auf dem Frieden gedeihen kann. Vor hundert Jahren mahnte Papst Benedikt XV. die Völker Europas, wieder zu Brüdern zu werden. Vor zehn Tagen haben der Bundespräsident und der Französische Präsident gemeinsam das erste deutsch-französische Museum zum Ersten Weltkrieg im Elsass am Hartmannsweilerkopf eingeweiht. Diese Geste der wahrlich nicht selbstverständlichen deutsch-französischen Freundschaft stimmt mich zuversichtlich: Geschwisterlichkeit kann wachsen – in Europa und in der Welt. 



    (Zitiert aus: Papst Benedikt XV.: Dès les débuts: Note an die Staatsführungen der kriegführenden Länder vom 1. August 1917. Zitiert aus: Ernesti, Jörg: Papst Benedikt XV. Papst zwischen den Fronten. Freiburg 2016, S. 263-266

    Botschaft von Papst Paul VI. zum ersten Weltfriedenstag am 1. Januar 1968.

    Botschaft von Papst Franziskus zur Feier des Weltfriedenstages 1. Januar 2016.)









    TOTENGEDENKEN



    Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg,

    an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.



    Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben,

    der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder

    danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und

    Flüchtlinge ihr Leben verloren.



    Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden,

    weil sie einem anderen Volk angehörten,

    einer anderen Rasse zugerechnet wurden,

    Teil einer Minderheit waren oder deren Leben

    wegen einer Krankheit oder Behinderung als

    lebensunwert bezeichnet wurde.



    Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand

    gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,

    und derer, die den Tod fanden, weil sie an

    ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.



    Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage,

    um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung,

    um die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten und

    anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben

    verloren.



    Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt

    gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind.



    Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten und

    teilen ihren Schmerz.



    Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung

    auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern,

    und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den

    Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.
  • Predigt zum Gedächtnis der Lübecker Märtyrer / Propsteikirche Herz Jesu in Lübeck / 10. 11. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort



    (Schrifttexte: Offb 7,9-17; Röm 14,7-11; Lk 11,14-23)



    „Sie haben sich sogar den Saal angesehen, in dem Ihr Vater verurteilt worden war?“, wurde kürzlich Klaus von Dohnanyi in einem Interview über seinen Vater Hans und dessen Widerstand gegen das Naziregime gefragt. „Ja, ich habe mir das angesehen, diesen gut bürgerlichen „Gerichtssaal“ im KZ Sachsenhausen“(1). Dabei setzt von Dohnanyi das Wort „Gerichtssaal“ bewusst in Anführungszeichen. Dort mag alles Mögliche geschehen sein, aber gerichtet nach Gesetz und Recht wurde mit Sicherheit nicht.



    Vom 22. bis 24. Juni 1943 trat der Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freislers Stellvertreter, dem Senatspräsidenten Wilhelm Crohne zusammen. Auch diesen Gerichtssaal des Lübecker Christenprozesses müssen wir in Anführungszeichen setzen. Dieser Prozess war kein Prozess nach Recht und Gesetz, sondern eine Farce. Die Farce bestand darin, dass das Urteil schon längst feststand. Es war von Hitler persönlich festgesetzt worden als Rache gegen seinen Erzfeind Bischof von Galen aus Münster. Die Farce war ein Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Farce war demonstrativ spürbar in den gelangweilten Richtern: Der eine las Zeitung, der andere schrieb Postkarten. Die Farce gipfelte in übelsten und lautstarken Beschimpfungen gegenüber den Angeklagten. Die Farce war, dass alle, die anfänglich ihre Bedenken äußerten, schließlich schwiegen und mitspielten. Der Prozess spottete allen Regeln der juristischen Kunst, er war ein einziges abgekartetes Spiel. Der Zweitverteidiger, der spätere Lübecker Bürgermeister und Landtagspräsident Dr. Walther Böttcher sagte deshalb, er habe nie wieder in seiner Berufslaufbahn einen so unwürdigen Prozess erlebt.



    Liebe Schwestern und Brüder, der Römerbrief, aus dem wir eben gehört haben, spricht auch von einem Prozess, von einer Gerichtsverhandlung: „Wir werden alle einmal vor dem Richterstuhl Gottes stehen“ (Röm 14,10). Diese Verhandlung stelle ich mir ganz anders vor als den Lübecker Christenprozess. Für mich ist das endzeitliche Gericht nicht wie ein Schlussstrich, den man unter eine lange Zahlenkette zieht. Gericht ist nicht Abrechnung. Gericht heißt nicht hier ein Minus und da ein Minus und noch ein Minus dazu und vielleicht hier und da mal ein ganz kleines Plus. Schon gar nicht ist es eine Inszenierung, eine Show, die ein schon feststehendes Urteil auf die Bühne bringen und den Angeklagten erniedrigen soll.



    Gericht meint wohl zu allererst, dass der Mensch im Angesicht Gottes die Wahrheit über sich selbst erkennt. Was er im Laufe seines Lebens gesucht hat, was er versucht hat, was ihm mehr oder minder gelungen ist, das steht ihm im Gericht Gottes offen vor seinem Angesicht. Der Mensch erkennt sich selber im Angesicht Gottes. Das ist eigentlich das wirklich Läuternde, was auch wehtun kann: Ich erkenne mich selber und ich erkenne schmerzhaft, wo und wie ich hinter mir selber und Gottes Plan her bin. An Gottes unbegrenzter Zuwendung und Liebe erkenne ich, wie begrenzt meine Liebe war. Ich werde neu aus-gerichtet auf Gott hin.



    Insofern hat das Gericht mir der Wahrheit zu tun. Deswegen ist es nicht von ungefähr, dass Pilatus dem verhafteten Jesus die alles entscheidende Frage stellt: „Was ist Wahrheit?“ Diese Wahrheit über jeden Einzelnen und über die ganze Welt steht nur einem Einzigen zu, Gott selbst. Steht deswegen die Skulptur vom Prozess Jesu vor Pilatus, die Hans Dinnendahl geschaffen hat, vor der Konche in unserer Lübecker Märtyrerkrypta und ihrem Goldgrund? Deutet dieser Goldgrund nicht auf die Ewigkeit und damit auf Gott selbst hin, vor dem letztlich alles menschliche Richten und Gerichtet-werden sich verantworten muss? Ist das nicht auch der Sinn, warum in unseren Gerichtssälen für gewöhnlich Kreuze hängen oder leider Gottes mancherorts hingen?



    Aber das Kreuz im Gerichtssaal deutet wahrscheinlich noch auf etwas anderes hin, nicht nur auf die Verantwortung vor Gott selbst, sondern auf etwas, das uns in dieser Situation des Gerichts viel Trost geben kann. Der, der uns da richtet, ist eben nicht nur unser Richter, sondern er ist gleichzeitig unser Fürsprecher, der, der uns auf-richtet. Er ist der, der unsere Menschennatur voll und ganz kennt, der um die Größe und Schwäche des menschlichen Lebens weiß. Es ist der, der uns deutlich macht: Das Gericht Gottes ist keine Geheimhaltungssache, geschieht nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern ist transparent. Vor allem ist es transparent in seinen Kriterien: Das einzige Kriterium ist die praktizierte Liebe.



    Liebe Schwestern und Brüder, wie der Römerbrief sagt, werden wir alle vor diesem Richterstuhl Gottes einmal erscheinen müssen. Wann das für den Einzelnen der Fall ist, weiß keiner von uns. Der Römerbrief zieht deswegen Konsequenzen für das Hier und Heute: „Wer bist du, dass du über deinen Nächsten richtest?“ Überlass das Richten Gott allein, spiel dich nicht zum Richter auf! Sei lieber jemand, der andere auf-richtet. Sei wie die vier Lübecker Geistlichen jemand, der Arme, Leidende, Ausgegrenzte aufrichtet. Dann wirst du selber nicht krumm und eingeschüchtert, sondern kannst aufrecht stehen. Amen.





    (1) Vgl. „Ich weiß nicht, ob die heutige Generation so tapfer wäre“, Interview Matthias Wyssuwa: Frankfurter Allgemeine, Magazin Oktober 2017, 69-71.
  • Predigt zum Allerheiligenfest / St. Marien-Dom Hamburg / 01. 11. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort





    Zu den Feierlichkeiten zum Reformationstag haben wir Hamburger katholischen Bischöfe uns aufgeteilt. Weihbischof Dr. Jaschke besuchte die Feierlichkeiten hier in Hamburg, Weihbischof Eberlein war in Schleswig, ich selber bin nach Rostock gereist.



    Nach dem Gottesdienst in der dortigen Marienkirche fand noch ein Festakt in der Nikolaikirche statt. Unter anderem mit einigen szenischen Theateranspielungen. Dabei kamen reformatorische Gestalten in den Vordergrund. Natürlich Martin Luther, aber auch Johannes Bugenhagen und: Joachim Slüter. Slüter kam 1517 nach Rostock und war dort der erste evangelische Prediger. Er predigte in der Rostocker St. Petri Kirche auf Niederdeutsch und wurde durch die Herausgabe des ältesten bekannten plattdeutschen Gesangbuches 1525 weit über die Grenzen Mecklenburgs bekannt.



    In diesem kurzen szenischen Anspiel von gestern hat ein Schauspieler meisterhaft die Idee Slüters aufgegriffen. Er hat das Evangelium vom reichen Fischfang zur Gemeinde auf Plattdeutsch vorgetragen und darüber gepredigt. Oft sprechen solche Übertragungen besonders an.



    Neben mir saß der evangelische Bischof von Maltzahn, der mir zuflüsterte, dass er selber vor Jahren einmal die Seligpreisungen – also unser heutiges Evangelium – auf Plattdeutsch gehört habe und ihm dies einen ganz neuen Zugang eröffnet hat.



    Liebe Schwestern und Brüder, die Übersetzung der frohen Botschaft in unsere Muttersprache ist wohl etwas, was wir gar nicht hoch genug einschätzen können.



    Wenn wir heute die Heiligen feiern und ihrer gedenken, dann möchte ich mit Bezug auf die Reformation sagen: Heilige sind Übersetzer.



    Die Heiligen übersetzen das Evangelium nicht in Plattdeutsch, Chinesisch, Spanisch, Französisch oder welche Sprache auch immer. Die Heiligen übersetzen die frohe Botschaft in den Alltag. Sie übertragen das Wort Gottes ins Leben. Damit sind Heilige immer alltagstaugliche Menschen. Sie sind nicht für Galerien, Museen, Vitrinen oder Podeste bestimmt, sondern sie stehen mit beiden Beinen mitten im Leben. Das zeigt eine Elisabeth von Thüringen oder eine Mutter Teresa genauso gut wie die kleine Thérèse von Lisieux, die im dortigen Kloster ihre Liebe zu Gott im Gebet über-strömen ließ.



    Die Schrift „Communio sanctorum - Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen“ aus dem Jahr 2000 ist aus einer bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der vereinigten evangelischen Kirche Deutschlands hervorgegangen. Darin heißt es ausdrücklich: „Der heilige Mensch … ist eine lebendige Auslegung der Botschaft des Evangeliums. In ihm wird das Gottesheil auch menschlich und geschichtlich konkret. Er ist dergestalt Zeuge Christi geworden, dass uns der Herr in ihm begegnet“ (CS 240).



    Liebe Schwestern und Brüder, wer so wie die Heiligen in den Alltag übersetzen möchte, muss auf beiden Seiten zu Hause sein. Der muss das Vokabular sowohl Gottes als auch der Menschen in- und auswendig kennen, sonst kann er nicht übersetzen. Wir kennen das, wenn wir unterwegs sind in einem fremden Land, dessen Sprache wir nicht können. Vielleicht sind uns nur ein paar Vokabeln bekannt. Damit kommt man am Ende nicht weit. Erst wenn man auf beiden Seiten möglichst gute Sprachkenntnisse hat, wird es zu einer guten Übersetzung kommen.



    Die Heiligen sind dabei Übersetzer zu beiden Seiten hin. Sie übersetzen Gott in das Leben des Alltags und der Menschen und umgekehrt übersetzen sie den Alltag und führen ihn immer wieder zu Gott hin.



    Und damit ergibt sich etwas sehr Originelles. Solche Übersetzungen sind immer originell und individuell. Ein guter Übersetzer kann aus einem reichen Vokabular schöpfen. Der kann Dinge wunderbar umschreiben. Er hat eben nicht nur ein Wort, sondern viele zur Verfügung, um ein und dieselbe Sache auszudrücken. Deswegen sind die Heiligen als Übersetzer ganz individuelle Persönlichkeiten. Jeder von ihnen übersetzt die frohe Botschaft auf seine persönliche Art und Weise in seine Gegenwart. Umgekehrt findet er seine persönliche Form, den Alltag zu Gott zu übersetzen. Deswegen sind die Heiligen in aller Regel gar keine einfachen Persönlichkeiten, sondern eher kantige, eckige, ausgeprägte Persönlichkeiten.



    Liebe Schwestern und Brüder, in diesem Jahr, 500 Jahre nach der Reformation, wird mir deutlich: Wir Christen brauchen Heilige. Wir Christen brauchen Menschen, die übersetzen können. Allerheiligen heute gibt uns den Impuls, selber solche Übersetzer zu werden. Amen.
  • Predigt zur Diakonen- und Priesterweihe / St. Ignatius von Loyola, Rom / 10. 10. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort!



    (Schrifttexte: 1 Sam 3,1-10; 2 Kor 4,1-2.5-7; Joh 17,6a.11b-19)



    Liebe Schwestern und Brüder, liebe Weihekandidaten,



    die Geschichte vom jungen Samuel ist bewegt mich immer wieder. Dreimal ruft Gott ihn und er reagiert darauf. Am Anfang gelingt es ihm noch nicht so gut. Der Schrifttext nennt dafür den entscheidenden Grund: „Samuel hatte nämlich den Herrn noch nicht kennengelernt“ (1 Sam 3,7).



    Den Herrn kennenlernen. Gott kennenlernen. Oder aus neutestamentlicher Perspektive: Jesus kennenlernen – darum geht es. Das steht im Zentrum Ihrer heutigen Weihe. Was ist Ihr Auftrag als Diakon und Priester.



    Im Mai 2007 bekennen die Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik im brasilianischen Aparecida: „Jesus kennenzulernen, ist das beste Geschenk, das einem Menschen zuteilwerden kann. Ihm begegnet zu sein, ist das Beste, was uns in unserem Leben passieren konnte. Ihn durch Wort und Tat bekannt zu machen, ist uns eine große Freude“.



    Vor einigen Jahren sind mir lateinamerikanische Seminaristen begegnet, die vermutlich von diesem Text inspiriert waren. Im Laufe des Gespräches sagten sie: „Wir sind zwar nicht die Besten, aber wir gehen für die beste Botschaft der Welt!“



    Liebe Weihekandidaten, in Ihren Familien, in Ihren Gemeinden, in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, im Seminar und im Studium und in vielen anderen Zusammenhängen haben Sie diese beste Botschaft, Jesus selber, kennengelernt. Sie haben davon gehört, Sie haben Vorbilder erlebt, Sie haben darüber geredet, Sie haben sie durchdacht. Sie haben nicht zuletzt jahrelang Theologie studiert, also die Lehre von Gott. Sie kennen – um unser Evangelium aufzugreifen – Gottes Namen. Und gleichzeitig müssen Sie bekennen: „Ich kenne dich, Gott, längst nicht genug. Ich kenne dich nie ganz.“ Es bleibt in der Kenntnis Gottes immer ein Rest, etwas Unerklärliches. Auch wenn Sie schon viel von Gott erfahren und kennengelernt haben, Sie werden Ihr Leben lang bleiben wie der junge Samuel. Denn Gott bleibt immer größer als meine Kenntnis. Er bleibt für mich immer ein Geheimnis. Unser Leben als Christen und auch unser Leben als Diakone und Priester wird in dieser Spannung zwischen kennen und nicht kennen, noch nicht kennen, nicht genügend kennen, bestehen bleiben. Wehe, diese Spannung löst sich einseitig auf. Dann geht gehörig etwas schief. Bewahren Sie sich diese Spannung, diese spannungsvolle Einheit, die gewiss in manchen Situationen gar nicht so leicht auszuhalten ist.



    Liebe Brüder und Schwestern, Kennen ist nicht bloß ein rationaler Vorgang, sondern Gott zu kennen, will unser ganzes Menschsein einschließen. Die Kenntnis Gottes wie auch die Kenntnis eines anderen Menschen geht über unseren Verstand und unser Herz. Deswegen trifft der heilige Augustinus den Nagel auf den Kopf: „Was man nicht kennt, kann man nicht lieben“ . Kennen ist mit Lieben austauschbar. Wer jemanden wirklich kennen möchte, der wird nicht umhin kommen, ihn zu lieben. Und nur wer jemanden wirklich liebt, der wird ihn auch wirklich kennen.



    Deswegen bewirkt Theologiekenntnis gar nichts, wenn sie bloß intellektuell und rational aufgefasst wird. Sie kann Flügel bekommen und wird mich beflügeln. Aber erst dann, wenn ich sie in mein ganzes Leben integriere und wenn sie mich zur Liebe führt, zur Liebe Gottes und zur Liebe von Menschen. Deswegen ist es sicher ein wertvoller Tipp, dass all das, was wir theologisch aufgreifen, zum Gebet werden sollte und damit in das Liebesgespräch zwischen Gott und uns einfließt.



    Liebe Weihekandidaten, den Herrn kennen, das gewinnt in Ihrer heutigen Diakonen- bzw. Priesterweihe eine ganz besondere Dimension. Im Geschenk der Weihe schenkt Christus sich Ihnen selber. Er prägt sich Ihnen in Ihr Leben ein. Sie müssen also fortan nicht krampfhaft Gott und sich selber zusammenbringen. Sie müssen erst recht nicht etwas herbeiholen, sondern Sie brauchen lediglich zu entfalten, was Sie heute empfangen. Nicht Sie prägen sich heute etwas ein (im Studium mussten Sie sich genug einprägen). Nein, Christus prägt sich Ihnen ein und sagt Ihnen zu, dass er diese Prägung niemals zurücknehmen wird. Von daher bitte ich Sie, im Namen der ganzen Kirche und aller Gläubigen: Bringen Sie dieses Geschenkt Tag für Tag zum Ausdruck.



    Liebe Weihekandidaten, seien Sie wirkliche Kenner – Kenner Gottes, die sich allerdings stets bewusst bleiben, dass sie Gott nicht in der Tasche haben; seien und bleiben Sie Liebende und seien und werden Sie immer neu Bekenner! Hören Sie nie auf, Gott kennen zu lernen, dann werden auch andere durch Sie Gott kennenlernen können. All das kommt in dem Wort von Aparecida wie in einem Brennpunkt zusammen: „Jesus kennenzulernen, ist das beste Geschenk, das einem Menschen zuteilwerden kann. Ihm begegnet zu sein, ist das Beste, was uns in unserem Leben passieren konnte. Ihn durch Wort und Tat bekannt zu machen, ist uns eine große Freude“.
  • Grußwort von Erzbischof Heße anlässlich des Medienempfangs / Hamburg / 05. 10. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort



    Sehr geehrte Damen und Herren,



    ich begrüße Sie heute zu unserem Medienempfang, den wir anlässlich des Tags der Sozialen Kommunikationsmittel geben.



    Ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.

    Ganz herzlich begrüße ich Herrn Professor Alexander Filipovic, der gleich zu uns sprechen wird.



    Sehr geehrte Damen und Herren,

    gestern hat sich noch einer Ihrer Kollegen für das heutige Treffen entschuldigt. Er mailte mir: „Leider kann ich am Medienempfang nicht teilnehmen, da ich Donnerstag/Freitag ausgerechnet im Erzbistum Köln und bei der Deutschen Bischofskonferenz Termine habe“ – umso mehr freue ich mich, dass Sie heute hier sind- aber Ihr Kollege schrieb dann weiter: „In jedem Fall scheint mir der Ausgang der Wahl – wie auch die Rede des Bundespräsidenten zum Tag der deutschen Einheit- deutlich zu machen, dass es zu dem Thema weiter dringenden Bedarf gibt“.

    In diesem Punkt wird bei Ihnen sicher Konsens bestehen!



    Was leben wir in einer spannenden politischen Zeit!

    Nun werden in Deutschland nach der Bundestagswahl vom 24.9. die Weichen neu gestellt, die in Gespräche zur Bildung einer neuen Regierung laufen.



    Ich hoffe, dass zukünftig im neuen Bundestag faire Debatten möglich sind.

    Nicht zuletzt wird es auf den neuen Bundestagspräsidenten ankommen und seine Fähigkeit, sachlich und klug zu leiten, den Politik- und Debatten-Stil auf einem hohen Niveau zu fördern.



    In den vergangenen Tagen und Wochen versuchen viele in der bundesdeutschen Wirklichkeit eine Haltung zur neuen politischen Situation zu gewinnen.

    Und es wird deutlich, dass eine klar formulierte Ablehnung der Positionen allein nicht ausreicht.



    Zur Haltung muss auch eine Streitbereitschaft und wo möglich auch eine Gesprächsbereitschaft kommen. Denn wenn es stimmt, dass in Teilen der Bevölkerung die Wahl als Protest gesehen wurde, dann besteht nach meiner Ansicht die Möglichkeit, im Diskurs und Gespräch Bewusstsein zu verändern. Das wird jedoch nicht nur auf der argumentativen, rationalen Ebene gefordert sein, sondern genauso auf der affektiven Ebene wie der konkreten Tat. Es braucht: Hirn, Herz und Hand!



    Für die Politik bedeutet dies, dass eben nicht ganze Landstriche, wie wir sie auch in unserem Bistum haben, quasi abgeschrieben werden dürfen. „No Future“ führt halt auch zu einer radikalisierten Einstellung.



    Es zeigt sich aus meiner Sicht als besondere Aufgabe in diesen Zeiten des Aufschwungs und der Quasi-Vollbeschäftigung, dass die Frage der sozialen Gerechtigkeit und des Ausgleichs zuerst angegangen werden müssen.



    Für das strittige Thema der Flüchtlingspolitik hoffe ich, dass wir mit den politischen Parteien in einem Grundkonsens bleiben, nämlich dass die Menschen in Not Vorrang haben, ohne Ober-be-grenzung oder Ausgrenzung der Person nach Herkunft und Nationalität. Die in unserem Grundgesetz formulierte Menschenwürde (jedes einzelnen Menschen) ist und bleibt die verbindliche Messlatte!



    Als Flüchtlingsbischof sage ich es deutlich: Wir wollen nicht nachlassen in unserem Einsatz für die Menschen, die sich aus vielerlei Gründen auf den Weg gemacht haben. Wir dürfen nicht nachlassen. Dankbar bin ich allen, die sich hierbei oft bis zum Rand Ihrer Kräfte engagieren!



    Klar ist für mich auch, dass nicht alle, die zu uns nach Deutschland gekommen sind, hier bleiben können. Rückführungen lassen sich nicht ausschließen. Das haben wir deutschen Bischöfe von Anfang an gesagt. Aber sie müssen auf jeden Fall menschenwürdig und verantwortlich vollzogen werden.



    Und wenn wir Integration ernstnehmen für die Menschen, die bei uns bleiben können, dann kann diese natürlich am besten in der Familie oder Teilfamilie gelingen.



    Ich hoffe, dass sich die Parteien in den Verhandlungen zu einer neuen Regierung davon leiten lassen, eine zukunftsorientierte Politik im Blick zu haben, die den ganzen Menschen in den Mittelpunkt stellt, sei er nun hier geboren oder hier auf welchem Weg auch immer angekommen.



    Ich glaube, dass es Zeit ist für Menschen, die vernunftbegabt, mit heißem Herz, aber auch kühlem Kopf auf den Zusammenhalt unserer Gesellschaft setzen.

    Nicht die Lauten, nicht die Vereinfacher und nicht die Vereinheitlicher, sondern die, die konstruktiv reden und handeln, in gelassener Ernsthaftigkeit, differenziert und bereit zu echtem Dialog, die sollten Konjunktur haben.



    Dabei wird es auch um die Frage gehen, was unsere Gesellschaft zusammenhält und worauf sie aufbaut. Dass wir als Kirche unsere Stimme deutlich einbringen und für unsere Sicht von Welt und Mensch im Licht Gottes und seiner Frohbotschaft einstehen, ist und bleibt unser Auftrag.



    Ich habe großes Vertrauen in die Medien und ihre Vertreter.

    Sie, die Sie als Journalisten tätig sind, haben eine große Verantwortung, sind in diesen anscheinend unsicher werdenden Zeiten diejenigen, die die kleine Welt um uns, aber auch die große Welt erklären können müssen.



    Für Ihren Einsatz danke ich Ihnen, gerade auch für die gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit im vergangenen Jahr.



    Und nun bitte ich Sie, lieber Professor Filipovic, um Ihren Impuls.
  • Predigt zum 75. Geburtstag von Bischof Norbert Trelle / Dom zu Hildesheim / 09. 09. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort



    Schrifttexte: 1 Kor 3, 5-13a; Joh 21, 15-19





    Liebe Schwestern und Brüder,

    liebe Mitbrüder im Geistlichen Amt,

    lieber Bischof Norbert,



    bei deiner Bischofsweihe vor 25 Jahren hast du dir ein Wort des Apostels Paulus als bischöflichen Leitspruch gewählt: Fundamentum est Christus Jesus! Er stammt aus dem 3. Kapitel des 1. Korintherbriefes: „Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus“(V. 11). Ich bin mir sicher, dass du diese vier lateinischen Worte in ihrem Gesamtzusammenhang siehst. Deswegen gehört für dich mit größter Sicherheit auch der nächste Satz des Apostels Paulus sozusagen in deinen bischöflichen Leitspruch hinein: „Ob aber jemand auf dem Grund mit Gold, Silber, kostbaren Steinen, mit Holz, Heu oder Stroh weiterbaut: Das Werk eines jeden wird offenbar werden…“ (V. 12f).



    Liebe Schwestern und Brüder,

    auf der einen Seite das klare, feste und tiefe Fundament – aber auf der anderen Seite das Weiterbauen, die Baustelle, das Unfertige. Beides gehört zusammen. Es gab lange Zeiten in unserer Kirche, da haben wir nur das Fundament im Blick gehabt und gemeint, dass dieses Fundament schon mit dem fertigen Haus übereinstimmt. Und umgekehrt wird es wohl kaum möglich sein, die einzelnen Stockwerke eines Hauses zu bauen, ohne ein tiefes und festes Fundament darunter zu haben. Das Eine wird ohne das andere nicht gehen.

    In deinen 75 Lebensjahren, in 25 Bischofsjahren, davon über 10 hier in Hildesheim, und nicht zuletzt in fast 50 Priesterjahren (im nächsten Jahr darfst du dein Goldenes Priesterjubiläum begehen): in dieser langen Zeit, wirst du immer und immer wieder den Baucharakter, die Baustelle Kirche, die Baustelle Diözese, die Baustelle Pfarrei und nicht zuletzt auch die Baustelle deines eigenen Glaubens erlebt und manchmal glücklich oder ein anderes Mal als belastend erlebt haben. Es ist ja etwas Schönes, wenn sich etwas entwickelt und wenn wir etwas gestalten dürfen, wenn wir bauen können. Aber jede Baustelle hat auch ihre Unbill, sie führt zu Einschränkungen – denken Sie nur an die leidigen Baustellen auf unseren Straßen – oder jede Baustelle führt unweigerlich zu Lärm und Schmutz – denken Sie nur an den Staub, der sich überall zwischensetzt.

    Wer heute in unserer Kirche Mitglied ist, wer heute glauben will und wer heute Verantwortung in dieser Kirche übernimmt, der muss wissen, er wird auf der Baustelle eingesetzt. Wir arbeiten auf dem Bau! Und das Besondere: Wir können die Kirche als Gesamtes nicht schließen, alles zurechtbauen und dann die große Eröffnung begehen. Nein, die Kirche ist eine Dauerbaustelle, bei laufendem Betrieb mit ständig notwendigen Entscheidungen und Änderungen.



    In meinen Sommerferien konnte ich in der Nähe von Bergamo in Norditalien den Heimatort von Papst Johannes XXIII. besuchen, den kleinen Ort Sotto il Monte. An jenem Sommertag waren nur wenige Besucher in diesem Ort, sodass die Verkäuferin im Info-Laden sich ein wenig für uns Deutsche Zeit nehmen konnte und wir versucht haben, einander zu verständigen. Dafür sprang am Ende dann noch ein großer Bildkalender mit lauter Fotos von Papst Johannes XXIII. heraus. Viele davon kommen einem bekannt vor. Eines dieser Fotos hat mich allerdings besonders angesprochen: Es zeigt den stämmigen Johannes in seiner Zeit als Bischof auf einer Baustelle. Er tänzelt geradezu über ein paar Bretter und verschafft sich einen Überblick über das, was dort geschieht. Es hat etwas Leichtes an sich, wie Angelo Roncalli sich auf dieser Baustelle bewegt. Ich finde es sehr sympathisch, dass die Autoren des Kalenders ihn nicht beim Festgottesdienst gezeigt haben, wo die Kirche oder das Pfarrheim, das dort gebaut wurde, eingeweiht wird, sondern: Der Bischof und spätere Papst geht auf die Baustelle.



    Lieber Norbert,

    in den vielen Jahren bist du auf unzähligen Baustellen gewesen, nicht zuletzt auch auf der Baustelle eures Hildesheimer Domes, der vor einigen Jahren saniert wurde. Du bist auch auf vielen anderen Baustellen gewesen und zeichenhaft dafür steht deine Tätigkeit als Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz. Wer sich um Migranten und Flüchtlinge kümmert – und das gerade in der jetzigen Zeit – der weiß, dass sich das Leben nicht unbedingt in vornehmen Palästen abspielt, sondern, dass es sehr bruchstückhaft und ziemlich gefährlich, ziemlich schmutzig und ziemlich zugig zugehen kann; dass Einem auf den vielen Baustellen des Lebens auch viele Gefahren drohen, die unter Umständen das Leben kosten können. Und wer dich ein bisschen kennt, der weiß, dass du selber dich nie gescheut hast, solche Baustellen zu besuchen, weil du Zeit deines Lebens immer so nüchtern, so ruhig und „normal“ geblieben bist, dass du selber weißt, dass dein eigenes Leben auch der Veränderung unterliegt und wie eine Baustelle ist. Wir sind mit unserem Leben nie fertig, sondern wir vertrauen darauf, dass am Ende Einer das vollenden wird, was wir begonnen haben. Deswegen ist es etwas sehr Tröstliches, dass bei jeder Priesterweihe im Weiheritus dafür gebetet wird, dass Gott vollenden möge, was wir Menschen beginnen. Und bezeichnenderweise taucht genau dieses Gebet bei jedem katholischen Begräbnis wieder auf. Wir brauchen uns also gar nicht aufzuregen über diese Baustellen, sondern wir müssen damit rechnen, dass wir nie fertig werden, dass unser Leben, dass die Kirche permanente Baustelle ist und bleibt.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    trotzdem kommen in uns die Fragen auf: Warum kann es nicht mal gut sein? Warum ist nicht einmal einfach alles fertig? Warum können wir uns nicht ein für alle Mal gemütlich ins Warme setzen? Warum reicht oder zählt nicht mehr das, was wir einmal mit so viel Engagement geschaffen haben? Ich muss in diesem Zusammenhang an ein Wort denken, das Papst Franziskus seit Beginn seiner Amtszeit oft erwähnt: die Zeit ist wichtiger als der Raum. Die Zeit meint Fülle, Horizont, Prozess, Veränderung, Wachstum, Entfaltung, Offenheit – so unsicher und anstrengend das manchmal ist. Der Raum bietet natürlich Sicherheit, aber er ist auch Beschränkung, Begrenzung, Selbstbestätigung, Abgeschlossenheit. Die Zeit ist wichtiger als der Raum. Das Leben von uns Menschen und der Kirche ist kein endgültiges Abhaken einer ToDo-Liste: Jetzt habe ich das und das erledigt, Baum gepflanzt, Haus gebaut … Jetzt bin ich fertig. Nein, es ist wichtiger, so Franziskus, „Prozesse in Gang zu setzen anstatt Räume zu besitzen.“ (EG 223).

    Den wichtigsten Prozess hat Christus selbst in Gang gesetzt; es ist der Prozess der Liebe, von der unser Evangelium im Dialog zwischen Jesus und Petrus spricht: „Liebst Du mich?“ Liebe ist ein Prozess, in dem wir permanent wachsen können, einer, der nie aufhört. Es ist der allerwichtigste Prozess unserer Kirche!

    Lieber Bischof Norbert, ich danke Dir dafür, dass Du Dich auf diesen Prozess eingelassen hast und bis heute einlässt. Und bei allem, was mit dem 75. Geburtstag eines Bischofs verbunden sein kann, höre in diesem Prozess niemals auf. Gottes Segen!
  • Predigt zur heiligen Messe mit dem Opus Dei / St. Marien-Dom / Hamburg / 06. 06. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort





    Liebe Schwestern und Brüder,



    die Pharisäer kommen zu Jesus, um ihm eine Falle zu stellen. Eine Falle soll zuschnappen. Sie will das Gegenüber dingfest machen. Sie will ihn nicht wieder herauslassen, sondern festsetzen. Jesus soll eingeengt werden. Man will sein Wirken eingrenzen, abkürzen und im Letzten beenden.



    Jesus geht aber nicht in diese Falle hinein. Die Falle schnappt nicht zu. Im Gegenteil: Jesus Christus gibt den Pharisäern eine Antwort von großer Weite und Grundsätzlichkeit. Eine Antwort, die auch für uns heute überaus hilfreich und lehrreich ist: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört!“ (Mk 12,17).



    Jesus baut ein Gegensatzpaar auf: Gott und Kaiser. Wir könnten vielleicht auch sagen: Gott und die Welt. Oder: Das Reich Gottes und irdische Staaten. Vielleicht deutet sich hier auch schon das Ge-gensatzpaar Kirche und Welt an. Aber es kann ja wohl nicht darum gehen, diese beiden Teile fein säuberlich voneinander zu trennen, sozusagen Gott aus der Welt herauszuhalten und die Welt von Gott abzutrennen. Es kann aber auch nicht wie bei einer Firma darum gehen, wer an meinem Le-ben die Mehrheitsanteile hält. Es wäre schon skurril, die beiden Bereiche derart voneinander zu trennen. Etwa wenn man sagen würde, 51% Gott und 49% Kaiser bzw. Welt und das versehen mit allen möglichen Börsenschwankungen. Nein, es geht hier nicht um Trennung, sondern um ein Zueinander. Die beiden Größen des ‚Gott-Gehörens‘ und des ‚Kaiser-Gehörens‘ sind aufeinander verwiesen.



    Vielleicht kann uns der heilige Paulus ein wenig weiterhelfen. In seinem ersten Korintherbrief fin-den sich mehrere markante Sätze, in denen er über das „Gehören“ spricht. Versuchen wir dem ein wenig nachzugehen.



    „Alles gehört euch“ (1 Kor 3,22). Paulus predigt eben keine Weltabgewandtheit oder sogar Welt-flucht. Paulus weiß, dass die Christen mitten in der Welt sind und leben. Paulus weiß darum, dass die Welt Schöpfung Gottes ist. Dass letztlich alles in dieser Welt von Gott gut geschaffen ist. Des-wegen soll und muss der Mensch diese Schöpfung verantwortlich gebrauchen. Er soll sie nicht missbrauchen und ausbeuten, sondern er trägt ihr gegenüber eine Verantwortung.



    Der heilige Josemaría Escrivá de Balaguer kann ohne Abstriche sagen: „Es ist unglaublich, wie glücklich man in dieser Welt sein kann“( Josemaría Escrivá, Die Spur des Sämanns 296. Gleichzeitig weiß der heilige Josemaría auch um die Verantwortung, die wir Menschen, die wir Christen ge-genüber dieser Welt haben. Er nimmt gleichsam prophetisch einen Gedanken des Zweiten Vatika-nischen Konzils aus der Pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute vorweg, wenn er sagt: Den Christen „bewegen die Sorgen aller Menschen“( Josemaría Escrivá, Die Spur des Sämanns 303). Das Zweite Vatikanische Konzil wird im Gaudium et spes Nr. 1 etwas umfang-reicher ausführen: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jün-ger Christi.“



    Von dem „Alles gehört euch“ geht Paulus noch einen Schritt weiter: „Ihr gehört nicht euch selbst“ (1 Kor 7,19). Ich besitze mich also nicht selber. Ich bin nicht der Eigentümer meines Lebens. Zwei Gründe führt Paulus dafür an: Erstens: Jeder Mensch ist um einen teuren Preis erkauft, näm-lich durch das Blut Christi. Und Zweitens: In uns wohnt Gottes Geist. Damit deutet sich schon an, dass wir einem anderen gehören. Wieder Paulus: „Ihr aber gehört Christus“. Und diesen Gedan-ken führt er schließlich folgerichtig noch einmal weiter: „Christus gehört Gott“ (vgl. 1 Kor 3,23). Wir gehören also dem dreifaltigen Gott: Wir sind von ihm gewollt, befreit und begnadet.



    Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir also Gott gehören, dann ist das der umfassende Horizont unseres Lebens. Mit Gott kann man nicht kleinkariert umgehen und ihn in Segmente des Lebens und der Welt verbannen, sondern Gott bleibt der umfassende Horizont unserer ganzen Existenz. Deswegen bleibt uns gar keine andere Möglichkeit, als ihn immer wieder neu „an die Spitze und in den Mittelpunkt“(Josemaría Escrivá de Balaguer, Im Feuer der Schmiede 678) zu stellen, wie der Heilige Josemaría sagt.



    Kommen wir noch einmal auf die Falle zurück, die die Pharisäer Jesus stellen wollen. Sie wollen letztlich das Eine von dem Anderen getrennt wissen und gegeneinander ausspielen. Jesus trennt nicht, sondern ordnet zu. Jesus setzt Gott und sein Reich an die Spitze und in den Mittelpunkt und von dort aus weiter. Von Gott her sollen alle Bereiche erfüllt und verwandelt werden. Von Gott her soll alles durchtränkt und durchsäuert werden.



    Und damit muss es auch keinen Gegensatz zwischen Kirche und Welt geben. „Es ist nicht wahr, dass ein Leben als guter Katholik und als loyales Glied der bürgerlichen Gesellschaft sich widespre-chen. Ebenso wenig können Kirche und Staat zusammenstoßen, wenn sie ihre legitime jeweilige Autorität zur Erfüllung der ihnen von Gott aufgetragenen Sendung ausüben“( Vgl. Josemaría Escrivá, Die Spur des Sämanns 301). Ja, Kirche und Welt kann man unterscheiden und muss man unterscheiden, aber nicht trennen, feinsäuberlich voneinander abschneiden und fixieren, sondern in einer gegenseitigen Verwiesenheit sehen: von Gott her. Amen.
  • Ökumenischer Pfingstmontag in Schwerin / Schwerin / 05. 06. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort



    Liebe Schwestern und Brüder,



    vor einigen Monaten stand hier auf dem Marktplatz in Schwerin noch der Weihnachtsmarkt. Seit einiger Zeit gehört zu diesem Weihnachtmarkt auch eine Krippe. Im vergangenen Jahr geschah es, dass Besucher sich diese Krippe anschauten und dann meinten: Jetzt bemächtigen sich auch noch die Christen des Weihnachtsfestes!



    Liebe Schwestern und Brüder,



    in einer Gesellschaft, wo so viel Unkenntnis über das Weihnachtsfest besteht, das ja mit Händen zu greifen ist mit dem Kind in der Krippe, muss es uns nicht wundern, dass die Botschaft des Pfingstfestes für viele kaum zu fassen ist. Pfingsten ist weniger konkret und damit auch schwieriger zu verstehen. Es ist ein langes Reisewochenende, aber nur das?



    Pfingsten und der Heilige Geist, um den es geht, können wir nicht so einfach greifen. Was wir aber einfach sehen und beschreiben können ist, was mit Menschen passiert, die vom Heiligen Geist ergriffen werden. Die Lesung aus der Apostelgeschichte gerade macht das sehr sprechend deutlich: Die vom Heiligen Geist erfüllten Apostel gehen aus sich heraus, werden lebendig und verstehen einander.



    Unser Glaubensbekenntnis sagt vom Heiligen Geist, dass er „Herr ist und lebendig macht“. Das Wirken des Geistes ist dynamisch, schöpferisch, befreiend, lebensbejahend. Pfingsten feiern heißt darum nicht, sich einfach an diese Geistsendung zu erinnern. Im Gegenteil: Pfingsten ist heute. Heute schenkt uns Gott seinen Geist, heute belebt er uns. Der Geist erfüllt und belebt uns sogar so sehr, dass er uns zum ‚Überlaufen‘ bringt. Dieser besondere Gottesdienst ist dafür ein sprechendes Bild: wir verlassen die Kirche und verkünden Gottes Wort auf dem Marktplatz.



    Die Lebendigkeit des Heiligen Geistes müssen wir Christen auch in unserem Alltag ausstrahlen. Papst Franziskus bringt es in seiner bildhaften Sprache auf den Punkt: Die Christen dürfen „nicht ständig ein Gesicht wie bei einer Beerdigung haben.“ (EG 10). An anderer Stelle sagt der Papst, Wir Christen sollten nicht aussehen, als hätten wir gerade in eine saure Zitrone gebissen. Wir Christen sind keine Pessimisten oder Unglückspropheten. Sondern wir dürfen lebendig sein, aus uns heraus gehen und uns engagieren.

    Das ist nicht immer leicht. Wer aus sich heraus geht, trifft wie die Jünger auf eine plurale Welt mit vielen Sprachen, Kulturen, Ethnien etc. Aber Gottes Geist hilft uns Menschen, einander zu verstehen: „denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.“ (Apg 2,6), berichtet die Apostelgeschichte. Gottes Geist hebt die Unterschiedlichkeiten der Menschen nicht auf. Aber er ermöglicht ein Zugehen aufeinander und echte Verständigung. Er entfernt nicht alle Barrieren, aber er hilft uns, sie zu überwinden.

    Heute, wo viele Menschen zu uns geflohen sind, wird uns die Unterschiedlichkeit der menschlichen Sprachen und Kulturen noch einmal bewusster. Manchmal kommt es zu einem Sprachengewirr, zu gegenseitigem Nicht-Verstehen oder auch gar nicht erst zu Kommunikation miteinander, sondern übereinander. Viele Menschen sind verunsichert und empfinden die zunehmende kulturelle Vielfalt eher als eine Bedrohung denn als Herausforderung oder Chance. Gerade jetzt müssen wir Christen geisterfüllte Menschen sein, die raus gehen und zur Verständigung beitragen.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    ich bin überzeugt, auch die Fahrt, die die Ökumene in den letzten 100 Jahren aufgenommen hat, ist ein Geschenk des Heiligen Geistes. Wir sind uns als Kirchen theologisch und vor allem als Christen menschlich näher gekommen. Wir sind aus uns heraus gegangen, um uns gegenseitig zu verstehen. Unsere Verständigung in der Ökumene kann vielleicht auch ein Modell für unsere Gesellschaft sein. Denn trotz aller (noch) bleibenden Differenzen verstehen wir uns als zusammengehörig.

    Ich bin zutiefst dankbar, dass wir die 500 Jahre Reformation nicht als ein Fest der Abgrenzung und Spaltung feiern, sondern dass wir gemeinsam Christus feiern: „In ihm sind wir schon eins.“ (Ökumenisches Bischofswort) Deswegen ist das Reformationsjubiläum als Christusfest kein Endpunkt, sondern ein Schritt in Richtung Zukunft. Wir feiern, was uns vor aller Verschiedenheit zusammen führt und führen wird: Jesus Christus selber, der uns seinen Heiligen Geist schenkt. Ich bin überzeugt: das gemeinsame Feiern und Beten und nicht zuletzt das gemeinsame Engagement, wie etwa in der Telefonseelsorge und in vielen anderen Bereichen, werden uns weiter zusammen führen.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    Pfingsten ist schwer zu fassen. Aber Pfingsten erfasst uns: uns als Christen, als Gemeinden und Konfessionen. Der Heilige Geist erfüllt uns auch heute, macht uns lebendig, führt uns heraus und zusammen. Wir dürfen uns auf diese Dynamik einlassen und wie die Apostel an Pfingsten aus unseren Obergemächern heraus auf die Straßen gehen. An unserem Leben, an unserer Gemeinschaft kann die Gegenwart und Wirkmächtigkeit des Heiligen Geistes sichtbar werden. Amen.
  • Predigt zu Christi Himmelfahrt / St. Marien-Dom / Hamburg / 25. 05. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort!



    Liebe Schwestern und Brüder,



    geht, lehrt, tauft … Mit diesen Worten sendet Jesus seine Jünger aus. Er gibt ihnen einen Auftrag, den sogenannten Missionsbefehl. Gott sei Dank fangen wir in unseren Breiten gerade damit an, diesen Auftrag Jesu wieder neu zu hören und zu entdecken. Lange Zeit hat man ihn fast verschämt verschwiegen und sozusagen unter der Decke gehalten.



    Unser Eintreten für den Glauben wird aber nur überzeugend sein, wenn wir auch den allerletzten Satz des heutigen Evangeliums an uns herankommen lassen. Es ist der letzte Satz des Matthäusevangeliums überhaupt. Oft haben letzte wie erste Sätze eine tiefe Bedeutung. Der allerletzte Satz heißt also: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt. 28,20).



    Ist das nicht ein Widerspruch? Christus verabschiedet sich, er fährt in den Himmel auf, er kehrt sozusagen sich von dieser Welt ab – und verspricht uns dennoch alle Tage bei uns zu sein? Wie kommt das zusammen? Ganz schnell sind wir dabei, vom heiligen Geist zu reden, den Beistand, den er uns senden wird.



    Liebe Mitchristen, Jesus Christus kehrt in die Ewigkeit Gottes heim. Und Ewigkeit meint nicht einfach „immer“. Ewigkeit meint vielmehr dauernde Gegenwart. Romano Guardini sagt in seinem berühmten Werk „Der Herr“: Ewigkeit meint das reine „Da“ und „Nun“. Ewigkeit ist also das reine Jetzt. Diese Dimension des Ewigen kommt nicht irgendwann auf uns zu, wenn wir einmal sterben, sondern das Neue durch Jesu Geburt und Menschwerdung, aber auch durch sein Sterben und Auferstehen besteht genau darin, dass unser ganzes menschliches Leben von dieser Ewigkeit getragen und durchflutet wird. Zeit und Ewigkeit sind also nicht mehr zwei unabhängige Größen oder zwei Dimensionen, die gegeneinander stehen, sondern sie gehören zusammen. Als wir vor 40 Tagen die Osternacht gefeiert haben, wurde am Beginn der Osternacht die Osterkerze bereitet und die einzelnen Zahlen bezeichnet. Dabei habe ich gebetet: „Sein [Christi] ist die Zeit und die Ewigkeit“. Unser konkretes Jahr 2017 ist eingetaucht in Gottes Ewigkeit. Gottes Ewigkeit wirkt sich aus an jedem Tag des Jahres 2017.



    Jesus Christus geht also nicht nur in diese Ewigkeit ein, sondern er lässt uns daran teilhaben als seine permanente Gegenwart, als sein Dasein, sein Jetzt. Deswegen scheint mir sein Hinauffahren zum Himmel direkt zusammenzuhängen mit dieser grandiosen Zusage an uns: Ich bin bei euch. Als der Ewige ist er präsent und einfach da. Die Himmelfahrt und diese Zusage an uns sind wie zwei Seiten ein und derselben Medaille, nämlich Gottes Präsens und Ewigkeit, sein Nun, sein Da, sein Jetzt.



    Liebe Schwestern und Brüder, nur wer aus dieser Gewissheit lebt, der wird auch ein Missionar, eine Missionarin für Gott, für den Glauben sein können. Der wird das auf eine gelassene Weise sein können. Und er wird es in einer tiefen Weise sein, nicht bloß oberflächlich mit einer Aktion nach der anderen. Wer aus dieser Gewissheit schöpft, der wird auch die Höhen und Tiefen seines eigenen Lebens anders sehen als derjenige, der diese Gelassenheit nicht oder noch nicht besitzt. Der wird umgehen können mit Schicksalsschlägen und Rückschlägen, und der wird Gottes Gegenwart genauso entdecken in dem Schönen und Herrlichen, in dem Himmlischen, das wir auch immer wieder erleben dürfen.



    Seid gewiss, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt. Amen.
  • Statement Erzbischof Stefan Heße zum kirchlichen Engagement anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg / Hamburg / 27. 04. 2017
    Als Christen engagieren wir uns aus unserem Glauben heraus. Der christliche Glaube ist persönlich, aber nie privat. Die Entscheidung für den Glauben ist persönlich. Aber das Glaubensleben wird damit nicht ins „stille Kämmerlein“ verwiesen. Das Engagement der Christen ist keine Privatsache. Wir glauben an die Menschenfreundlichkeit Gottes. Und wir sind davon überzeugt, dass diese Menschenfreundlichkeit Gottes auch in unserem Handeln zum Ausdruck kommen muss.

    „Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ So spricht Jesus nach dem Johannes Evangelium über sein Selbstverständnis als guter Hirte der Menschen.

    Das Leben in Fülle: Wie viele Menschen sind weit entfernt von einer solchen Perspektive für ihr Leben?

    Das Gegenbild zu einem Leben in Fülle formuliert Papst Franziskus in seinem wohl provokantesten Satz: „Diese Wirtschaft tötet.“ Das Wort aus seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ ist zur Schlagzeile geworden für eine Kritik an der absoluten Autonomie der Märkte.

    Wir sagen: Menschen dürfen nicht ausgegrenzt und wie Müll behandelt werden. Die Wirtschaft muss die Würde jedes Menschen beachten und auf das Gemeinwohl ausgerichtet sein.

    Das sind keine neuen Aussagen. Sie prägen die Katholische Soziallehre von Anfang an.

    Und in der Ökumene der Kirchen ist bereits in den 1980er Jahren ein Konziliarer Prozess entstanden. Zentrale Ziele sind Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung.

    Ein Thema liegt mir besonders am Herzen. In der Deutschen Bischofskonferenz bin ich mit den Fragen der Flüchtlingshilfe befasst. Natürlich in Deutschland. Aber die globale Herausforderung des Themas Flucht ist nicht zu übersehen.

    Weltweit sind mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Die meisten sind Vertriebene im eigenen Land oder leben in den Flüchtlingscamps der Nachbarstaaten. Nicht wenige aber machen sich auch auf den Weg in weit entfernte Länder.

    Ohne eine politische Lösung der Konflikte in Syrien, Irak und auch in Teilen Afrikas kann es keine Überwindung der Fluchtursachen geben. Es ist dringend notwendig, friedensstiftende Maßnahmen in den Herkunftsländern zu unterstützen.

    Zur nachhaltigen Fluchtursachenbekämpfung gehören nicht zuletzt auch faire Handelsbeziehungen, Bildungs- und Arbeitsperspektiven in den Herkunftsländern sowie wirksamer Klimaschutz.

    Um der Probleme Herr zu werden, bedarf es größerer Anstrengungen und vermehrter gemeinsamer Bemühungen der Staatengemeinschaft.

    Aber gerade im vergangenen Jahr scheint eine gegenläufige Entwicklung Fahrt aufgenommen zu haben. In den westlichen Ländern, die über Jahrzehnte hinweg als Stützen eines kooperativen internationalen Systems in Erscheinung getreten sind, macht sich Müdigkeit breit und ein Gefühl der Überforderung angesichts der Gefahren und Probleme.

    Die Vorstellung, man solle sich auf sich selbst (und nur auf sich selbst!) besinnen, sich auf niemand anderen verlassen und der Welt den Rücken zukehren, gewinnt an Boden. Was sonst bedeuten der starke Zuspruch für rechtspopulistische Bewegungen (auch in Deutschland), die Entscheidung der britischen Bevölkerung für den Austritt des Landes aus der EU und der Sieg des „America first“-Kandidaten Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl in den USA?

    Diese Ereignisse haben eines gemeinsam: den Willen zum Rückzug aus gemeinsamer internationaler Verantwortung und die Konzentration auf die eigenen Probleme und Interessen. Stets bläst der Wind dabei den Flüchtlingen und Migranten besonders ins Gesicht. Sie drohen als erste Opfer des neuen nationalstaatlichen Revivals und nationalistischer Stimmungen zu werden.

    Der G20-Gipfel ist ein sichtbarer Ausdruck der Globalisierung. Der Gipfel muss auch ein Schritt werden in der Entwicklung globaler Verantwortung. Auch wenn es aktuell nationale Interessen wieder stärker betont werden, darf es kein Zurück auf dem Weg zur Entwicklung einer globalen Verantwortung geben.

    Ich halte es für sehr wichtig, dass es diese Gipfeltreffen gibt. Sie bieten immer auch die Chance, mehr für den Erhalt der Lebensgrundlagen aller Menschen zu tun und das Leben der benachteiligten Menschen zu verbessern.

    Deshalb formulieren wir unsere Hoffnungen und Erwartungen an die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.

    Ich bin überzeugt davon, dass die Staats- und Regierungschefs dieser Länder das Antlitz der Erde verändern können. Zum Besseren.

  • Predigt am Ostersonntag im St. Mariendom (Evangelium: Joh 20,1-18) / Hamburg / 16. 04. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort!



    Liebe Schwestern und Brüder,



    Maria von Magdala geht in vielen kleinen Schritten ihren persönlichen Osterweg: zum Grab hin, um zu salben – durch das leere Grab – und die Deutung des Engels – in der Begegnung mit dem vermeintlichen Gärtner – und schließlich im Erkennen des Auferstandenen, der sie beim Namen ruft …



    Nachdem Maria diesen schmerzvollen und schwierigen Weg gegangen ist, ja gleichsam errungen hat, steht am Ende das Wort Jesu: „Halte mich nicht fest“.



    Jetzt, da sie ihn erkannt hat, da sie ihn endlich gefunden hat, da die beiden wieder zusammen sind, kommt eine neue Härte und Herausforderung auf Maria von Magdala zu: „Halte mich nicht fest“ – Lass mich los! Als wären die schwierigen Glaubensschritte, die sie bis dahin gegangen ist, nicht schon genug, muss sie jetzt einen noch viel größeren Schritt wagen, nämlich Jesus vollends loszulassen.



    „Halte mich nicht fest!“ Damit soll Maria von Magdala den Menschen Jesus loslassen, den Altbekannten, den sie von früher her kennt. Christus will sich ihr ja gerade nicht zeigen als jemand, der wieder in sein früheres, irdisches Leben zurückgekehrt wäre. Auferstehung meint ja gerade nicht, dass alles wird wie früher. Im Gegenteil, Auferstehung ist etwas Neues, ist das neue Leben, das all unsere Erwartungen und Hoffnungen unendlich übersteigt.



    „Halte mich nicht fest!“ Der Auferstandene selber ist nicht zu fassen. Man kann ihn zwar berühren. Er ist ganz leiblich. Aber er ist gleichzeitig auch viel mehr. Er ist überhaupt nicht mehr an die Gesetze des Leibhaften, an Raum und Zeit gebunden.



    Der Auferstandene ist nicht zu fassen. Man kann sich nur von ihm erfassen lassen. Deswegen erklären noch so viele Fakten die Auferstehung nicht – weder das leere Grab noch die Wundmale. Sie sind hilfreich und nötig. Faktenwissen allein aber macht noch kein Ostern. Ostern ist Begegnung, und zwar unverfügbare Begegnung: Sie wird greifbar in dem Dialog zwischen Jesus und Maria. Erst als die beiden einander beim Namen anreden, geschieht österliche Erkenntnis: „Maria“ – „Rabbuni“.



    Wer sich so vom Auferstandenen erfassen lässt, gerät geradezu aus der Fassung. Er kann aufbrechen; es hält ihn nichts mehr zurück, er muss von dem berichten, was er selber erlebt hat. Jetzt kann Maria von Magdala Jesus loslassen und zu den Jüngern gehen: „Ich habe den Herrn gesehen“ (Joh 20,18). Hier wird im Johannesevangelium das einzige Mal das Wort „evangelisieren“ gebraucht. Maria verkündet, sie evangelisiert. Evangelisieren ist etwas anderes als Worte machen, Reden halten. Wer evangelisieren möchte, der muss etwas erfahren haben, der hat sich erfassen lassen. Wer evangelisiert, teilt die Erfahrung seiner Begegnung mit dem Auferstandenen. Der wird sozusagen selber zum lebendigen Wort, das er anderen weitergibt. Wer so evangelisiert, stiftet selber Beziehung, in der der Auferstandenen unsichtbar mittendrin ist und alles österlich umgestaltet.



    Liebe Schwestern und Brüder, ich wünsche Ihnen an diesem Osterfest eine ähnlich intensive Erfahrung, wie Maria von Magdala sie durchgemacht hat. Dann können auch Sie evangelisieren. Dann nimmt unsere Kirche Fahrt auf.



    Vor drei Jahren, bei seiner Rede im Europaparlament, sprach Papst Franziskus davon, dass er von Europa „den Gesamteindruck der Müdigkeit, der Alterung“ hat. Mit der Erfahrung einer Maria Magdalena werden wir und wird Europa wieder munter, gewinnt es an Schwung und Jugendlichkeit, gerät es in Bewegung .In diesem Sinne: Frohe und gesegnete Ostern!
  • Predigt in der Osternacht im St. Mariendom zu Hamburg (Evangelium: Mt 28,1-10) / Hamburg / 15. 04. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort!



    Liebe Schwestern und Brüder,



    fast zweitausend Jahre ist Ostern her. Wir feiern es immer noch. Wir feiern es sogar als das größte und höchste unserer christlichen Feste. Unser Feiern ist nicht nur eine schöne Erinnerung, sondern wir vergegenwärtigen, „ver-heutigen“ uns Tod und Auferstehung Christi. „Dies ist die Nacht…“ hat der Diakon im Exsultet gesungen. Wir sind dabei nicht allein, sondern diese Nacht feiern wir weltweit, in diesem Jahr sogar mit allen Konfessionen an ein und demselben Ostertermin. (Das wird uns erst in neun Jahren wieder geschenkt).



    Wir feiern dieses Osterfest – obwohl vor zweitausend Jahren beim ersten Ostern niemand dabei war. Es gibt keine Zeugen für den Vorgang der Auferstehung. Keiner war direkt dabei. Keiner hat daneben gestanden. Niemand hat es gesehen und erlebt. Offensichtlich ist die Auferstehung selbst überhaupt kein Vorgang, den man dokumentieren, vielleicht fotografieren, filmen oder irgendwie festhalten könnte.



    Das, was wir festhalten, feststellen, ja sogar ins Bild bringen können, das sind die vielfach bezeugten Begegnungen des auferstandenen Jesus mit Frauen und Männern. Es ist zum Beispiel Maria Magdalena, von der wir gehört haben oder Petrus. Es sind die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Es sind sogar einmal mehr als fünfhundert Brüder (und Schwestern) zugleich. Also eine große Zahl von Menschen, die nicht die Auferstehung an sich, aber den lebendigen Christus erlebt haben, den wir dann den Auferstandenen nennen.



    All diese Männer und Frauen hatten mit allem Möglichen gerechnet, nur nicht damit, dass einer, der tot war, wieder leben könnte. Sie hatten eigentlich das Kapitel mit Jesus längst abgeschlossen. Die einen trauerten und beweinten sein und ihr Schicksal. Die anderen machten sich davon und kehrten wieder in ihren ursprünglichen Lebensalltag zurück.



    Und genau da tritt der Auferstandene in ihr Leben.



    Verzweiflung, Leiden, Sterben und Auferstehen: Was der Herr durchlebt hat, zeichnet auch seine ersten Zeuginnen und Zeugen aus. Jeder von ihnen muss seinen eigenen Karfreitag und sein eigenes persönliches Osterfest erleben und erfahren: Die Wachen fallen wie tot zu Boden. Die Frauen müssen durch Todesangst hindurch. Sein Tod wird für sie noch einmal dramatisch erfahrbar dadurch, dass die Leiche nicht mehr aufzufinden ist. Sie trauern und weinen, sie suchen oder geben auf.



    Liebe Schwestern und Brüder, ich habe den Eindruck, dass Jesu Karfreitag und Jesu Ostern sich bei den ersten Zeugen und Zeuginnen geradezu wiederholt. Sie erleben ihre ganz persönliche Ölbergstunde, ihren ganz persönlichen Karfreitag und ihr ganz persönliches Osterfest. Und das offenbar nicht nur ein einziges Mal, sondern immer wieder in ihrem Leben. Christ sein heißt, immer wieder in der Spannung von Karfreitag und Ostern zustehen.



    In diesen Tagen erleben wir die Dramatik des Karfreitags in den Anschlägen auf koptische Christen in Ägypten, in den Anschlägen von St. Petersburg und Stockholm. Ich denke auch an eine Familie aus unserem Erzbistum, die ganz aktuell den Tod des Familienvaters betrauern und verkraften muss. Das sind nur einige der „Karfreitage“ von heute.



    Wir erleben aber auch den Ostersonntag. Wir erleben, dass über dem Dunkel des Karfreitags die Sonne des Ostermorgens aufleuchtet. Ich denke an das Gespräch mit jemandem aus unserer Diözese, der – gar nicht so alt – eine schwere Krankheit durchmachen musste. Als ich ihn fragte, ob ihm seine Krankheit Angst macht und er gleichsam mit einem Damoklesschwert über dem Haupt durchs Leben gehe, sagte er mir frank und frei: „Ich wundere mich über mich selbst. Diese Angst habe ich nicht. Ich habe keine Angst vor dem Tod, der Glaube stärkt mich“.



    Oder ich denke an die Erwachsenen, die in dieser Osternacht getauft werden – einer davon in diesem Gottesdienst hier im Dom. Das sind Menschen, die etwas von der Lebendigkeit Jesu Christi erfahren haben und in deren Leben der Glanz von Ostern aufleuchtet.



    Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht ist es gut, dass vor zweitausend Jahren keine Fotos gemacht oder Videos gedreht wurden, die man heute bei YouTube einstellen würde. Es kommt nämlich auf jeden Einzelnen von uns an. Wir sind keine Zuschauer der Auferstehung. Wir stehen in der Kette der Zeugen von damals bis heute mitten drin. Wir bezeugen, dass Christus über jedem Karfreitag als der Auferstandene erscheint. Wir geben das Zeugnis von damals weiter. Aber wir haben auch unsere eigenen einzigartigen Glaubenserfahrungen und erleben immer wieder die Spannung von Karfreitag und Ostern im eigenen Leben.



    Amen.
  • Predigt zum Gründonnerstag / St. Marien-Dom zu Hamburg / 13. 04. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort





    Das letzte Abendmahl in der Darstellung von Leonardo da Vinci – jeder von uns kennt es. Da Vinci hat es zwischen 1495 und 1498 für das Dominikanerkloster in Mailand geschaffen. Ein langer Tisch, in der Mitte Christus und rechts und links neben ihm die zwölf Jünger.

    Im Laufe der Zeit ist dieses Cenacolo, dieses letzte Abendmahl, immer wieder von anderen Künstlern verfremdet worden. Jetzt haben sich Schüler der Designschule München im Flur ihrer Schule zu einem Abendmahl versammelt nach der Idee von Leonardo da Vinci. Das Magazin zur „Munich Creative Business Week 4.-12.3.2017“ veröffentlichte dazu einen Beitrag unter dem Titel „Last SMS“.

    Wir sehen – ganz in der Tradition Leonardo da Vincis – in der Mitte Christus. Aber er wirkt allein und schaut vor sich in die Leere. Zur Rechten und zur Linken von ihm jeweils die zwölf Jünger zu zweit oder zu dritt – beschäftigt mit ihren Laptops, ihren Tablets und Smartphones, unterwegs in den sozialen Medien.

    So tragisch dieses Bild auch wirkt, denn zwischen Jesus und diesen zwölf Jüngern besteht keine Kommunikation, das Bild schlägt aber das entscheidende Thema des letzten Abendmahles an. Es geht um Kommunikation. Es geht um Beziehung. Es geht um Austausch. Es geht aber nicht um eine Kommunikation über moderne soziale Medien. Die Jünger sind im Jetzt, aber nicht im Hier. Sie gucken, was jetzt woanders los ist. Dabei vergessen sie den, der hier auf sie wartet. Christus will direkt mit ihnen in Kommunikation kommen.

    Wie macht er das?

    Zunächst steht er auf. Es hält ihn also nicht auf seinem Platz. Er bleibt nicht einfach sitzen, unbeweglich und festgenagelt. Er verlässt seinen Platz. Er macht sich auf den Weg, um in Kommunikation zu gelangen.

    Dann ein Zweites: Er legt sein Gewand ab und bekleidet sich mit einer Leinenschürze. Auf den Boden zu ihren Füßen geht er herunter. Er kniet sich hin und schaut zu seinen Jüngern auf. Neben der äußeren Standortverlagerung kommt es hier zu einer ganz wichtigen inneren. Einer, die sich durch das ganze Leben Jesu hindurchzieht. Schon seit seiner Menschwerdung verlässt er die Herrlichkeit Gottes im Himmel und ent–äußert sich.

    Er will schließlich ganz herunter. Er will sich nützlich machen. Er will ihnen einen Dienst tun. Er will sie von ihrem Schmutz und Dreck befreien. Um ihnen das deutlich zu machen, wählt er keine Worte, sondern eine einfache aber kraftvolle Geste. Er wäscht Ihnen die Füße. Er macht sich selber zum ‚sozialen Medium‘, durch das die Jünger Gott begegnen: Gott, der sich dem Menschen mit all seinen Abgründen liebend und heilend zuwendet.



    Liebe Schwestern und Brüder, Petrus ist auf diese Form der Kommunikation überhaupt nicht eingestellt. Im Gegenteil: Er wehrt sie ab und verweigert sich. Vielleicht macht ihm das Sich-klein-machen Jesu, seine eigenen Abgründe bewusst. Petrus muss diese Kommunikation Jesu erst lernen. Er muss sie verstehen. Nur wenn er sie verstanden hat, wird er selber auf diese Art und Weise kommunizieren können. Denn Jesus will, dass auch wir, dass seine Kirche diesen Weg der Kommunikation beschreitet: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr genauso handelt“. Als Christen müssen wir aufstehen, unseren Platz verlassen. Wir müssen allen Dünkel ablegen und heruntergehen, um den anderen zu dienen und zu helfen. Wir müssen zu Medien Gottes in der Welt werden.

    Das Bild der Designschüler aus München kann uns ermuntern, diesen Kommunikationsweg zu gehen, damit wir nicht allein mit uns selber kommunizieren, sondern in Kommunikation mit Christus leben und mit unseren Brüdern und Schwestern und allen Menschen.
  • Predigt in der Chrisammesse / St. Marien-Dom in Hamburg / 10. 04. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort





    Liebe Brüder und Schwestern,

    vor allen Dingen liebe Mitbrüder im Priester- und Diakonenamt,



    in dieser Fastenzeit ist mit mir das Thema Gebet durch die einzelnen Wochen gegangen. Am Samstag vor dem 1. Fastensonntag durfte ich hier im Mariendom, wie in jedem Jahr, die Taufbewerber zu den Initiationssakramenten an Ostern zulassen. Im Anschluss an den Gottesdienst habe ich ihnen im Ansgarhaus ein Gebet- und Gesangbuch, unser Gotteslob, geschenkt. Ich hoffe, dass dieses Buch zu einem Gebrauchsgegenstand für sie wird und sie beim Beten und Singen unterstützt. Einige Woche später habe ich hier im Dom mit einem jungen Mann gesprochen – ich habe davon bereits bei der Bischofsweihe von Horst Eberlein erzählt – der die große Sorge hat, dass unsere Kirche derart verwaltet wird, dass kein Raum und keine Zeit mehr zum Beten bleibt. Wörtlich: „Ich habe Angst vor einer Kirche, in der man nicht mehr beten kann und in der man das Beten nicht mehr lernt“. Und dann war da noch der Film „Silence“, den ich mir hier in Hamburg in einem Kino im Schanzenviertel angeschaut habe: Er berichtet von der Christenverfolgung im Japan des 17. Jahrhunderts. Das Land hatte sich damals gegen alle westlichen Einflüsse abgeschottet und damit wurden in kürzester Zeit die Missionserfolge zunichte, die portugiesische Jesuiten, angefangen mit Franz Xaver (1506-1552) erzielt hatten. Der Film geht unter die Haut – nicht nur wegen der Grausamkeiten, die die Christen erleiden mussten, sondern er geht auch unter die Haut, weil er in diesen Grausamkeiten einen Einblick in das Innenleben der letzten Christen und Missionare eröffnet. Einer der Jesuiten ist irgendwann kurz vor der Verzweiflung und fragt: „Die Last dieses Schweigens Gottes ist furchtbar. Bete ich einfach ins Nichts?“ Damit sind wir schon mitten im Beten Jesu im Ölgarten in der Nacht zu Karfreitag angelangt.



    Liebe Mitbrüder, bei der Weihe der vier Diakone am 1. April habe ich, wie immer bei der Diakonenweihe, wie bei jedem Einzelnen von uns, bei den Bereitschaftsfragen auch die nach dem Gebet gestellt: „Seid Ihr bereit, aus dem Geist der Innerlichkeit zu leben, Männer des Gebetes zu werden und in diesem Geist, das Stundengebet als euren Dienst zusammen mit dem Volk Gottes und für dieses Volk, ja für die ganze Welt treu zu verrichten?“



    Liebe Mitbrüder, jeder von uns könnte seinen diakonalen oder priesterlichen Dienst unter dem Blickwinkel des Gebetes sehen und beschreiben. Vielleicht müssten wir viel öfter miteinander darüber reden und uns von unseren Erfahrungen erzählen. Unser Diakon- und Priestersein ist auch eine Gebetsgeschichte mit vielen Mühen und Höhen, aber auch mit manchen Tiefen. Die Erfahrung dieses Jesuiten aus Japan, der in das Nichts hineinspricht, gibt es auch in unserem Leben. Sie taucht nicht erst in der Situation der Verfolgung auf. Manchmal ist sie ziemlich zermürbend und schwierig zu tragen.



    Immer wieder spüre ich aber, wie wir aus dem Gebet leben. Das Gebet ist gleichsam der Atem unseres Christseins, unseres Diakonseins, unseres Priesterseins. Es stimmt, was Huub Oosterhuis in seinem Lied „Ich steh vor dir mit leeren Händen“ zum Ausdruck bringt: „Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete“. Ohne Beten werden wir atemlos. Lassen wir das Beten zeitweise sein, kann es zu Atemrhythmusstörungen kommen. Aber mit Beten und im Beten – wie es auch immer aussehen mag – atmen wir tief durch: ein und aus. Und immer wieder neu: ein und aus.



    Diese Ein- und Ausatmen versetzt uns in eine lebendige Beziehung zu Gott, egal wie wir unser Gebet trinitarisch auch ausrichten. Ob wir uns nun direkt an den „Allmächtigen Gott“, an den Vater selbst wenden, oder ob wir „durch Christus, unseren Herrn“ beten oder im Heiligen Geist: Wir treten in das dreifaltige Beziehungsgeschehen Gottes ein. Wir nehmen sozusagen in unserem Beten am trinitarischen Dialog, an diesem Gespräch zwischen Vater und Sohn im Heiligen Geist teil. So bescheiden uns unsere Gebete oft vorkommen, erstrecht wenn wir den Eindruck haben, es bringt alles nichts, selbst mit unserem Schweigen treten wir in dieses göttliche Beziehungsgeschehen, in diese göttliche Liebe ein. Und umgekehrt: Gott tritt in unser Leben ein.



    Gebet ist also Beziehung, ist Beziehungspflege.



    So setzt das Gebet uns auch in Beziehung zu anderen und zueinander. Oft beten wir nicht allein, sondern miteinander. Wir beten nicht bloß für uns, sondern für andere. Wir beten stellvertretend für sie. Unser Beten ist immer ein Beten für die ganze Welt. Deswegen bin ich dankbar, dass gerade in den Psalmen des Stundengebetes alle möglichen menschlichen Erfahrungen auftauchen und sie in das Gebet einfließen. Unsere Fürbitten atmen die Weite des ganzen Kosmos.



    Die Erfahrung von Dietrich Bonhoeffer stimmt: „Wo ein Volk betet, da ist Kirche. Und wo Kirche ist, da ist nie Einsamkeit“. (zitiert bei Eberhard Bethge, Zwischen Finkenwalde und Tirpitzufer, 18)



    Liebe Mitbrüder, mir ist es ein Anliegen, dass unsere Pfarreien und Orte kirchlichen Lebens zu allererst Räume des Gebetes sind. Gönnen Sie sich und den anderen Zeiten des Gebetes bei den Konferenzen, bei den Teamgesprächen, bei den Versammlungen, bei den Gremiensitzungen. Öffnen Sie unsere Gotteshäuser für das persönliche Beten des Einzelnen, aber auch für das gemeinschaftliche Beten. Die Eucharistie ist Quelle und Höhepunkt allen kirchlichen Tuns. Aber da-mit ist sie nicht das einzige liturgische Tun der Kirche. Im Gegenteil: Sie soll und muss eingewoben sein in ein intensives Gebetsleben. Nur so wird sie gut vorbereitet und nur so kann sie ihre Wirkung entfalten. Unsere Kirche hat einen reichen Gebetsschatz. Den sollten wir nicht verstecken, sondern zum Glänzen bringen, die vielen Formen von Gebet, die die Kirche kennt: das Stunden-gebet, der Rosenkranz, die Anbetung, den Lobpreis, der Kreuzweg, das Ewige Gebet, Nightfever und vieles vieles mehr.



    Liebe Mitbrüder, bei der Konferenz der Spirituale, die vor einigen Wochen hier in Hamburg tagte, hat mich sehr bewegt die Äußerung eines Mitbruders, der etliche Jahre als Wissenschaftler gearbeitet hat und nun als Spiritual wirkt. Er erzählte sehr persönlich von seiner Schwester, die ihm, dem Priester, vor einiger Zeit noch einmal gesagt hat: „Einen Priester beten zu sehen, stärkt mich als Christin ungemein“. Vielleicht darf ich ganz im Sinne dieser Frau ergänzen: Mit einem Priester, mit einem Diakon, mit einem anderen Christen gemeinsam wirklich zu beten, das ist eine ungeheure Kraftquelle. Ich wünsche Ihnen dazu den nötigen Mut für sich selbst und die Ermutigung für die Gläubigen und unsere Gemeinden.



  • Predigt zur Diakonenweihe am 1. April 2017 / St. Marien-Dom in Hamburg / 01. 04. 2017
    (Schrifttexte: 1 Sam 3,1-10; Apg 6,1-7b; Mt 9,35-38)



    Liebe Schwestern und Brüder,

    liebe vier Weihekandidaten,



    Sie haben für den heutigen Gottesdienst Worte aus der Heiligen Schrift ausgewählt, die es in sich haben. Ich möchte nur einen – für mich – zentralen Satz aus der Apostelgeschichte herausgreifen.



    Die ganz junge Kirche kommt an ihrem Anfang zu einer für sie zentralen Erkenntnis: „Es ist nicht Recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen“ (Apg 6,2).



    Da sind die ersten Christen gerade mal ein paar Jahre unterwegs, bis ihnen auffällt, dass sie Gottes Wort vernachlässigen. Gott sei Dank sagen sie das so frank und frei. Sie wissen, die Kirche und jeder einzelne Christ lebt von jedem einzelnen Wort, das aus Gottes Mund kommt. Deswegen können wir dem Wort Gottes gar nicht genügend Raum gewähren.



    Die junge Kirche hält auch der Kirche von Hamburg im Jahr 2017 sozusagen einen Spiegel vor das Gesicht: Wie hältst du es denn heute mit dem Wort Gottes? Könnte es sein, dass das Wort Gottes auch in deiner Mitte, Kirche von Hamburg, vernachlässigt wird? Vernachlässigt in dem Sinne, dass man diesem Wort nicht mehr allzu viel zutraut? Dass man ihm wenig Raum gibt? Dass seine Kräfte nachlassen? Weil wir vielleicht bessere und noch tollere Worte haben? Nachlassen in dem Sinne, dass wir den Wert dieses Wortes heruntersetzen? Dass wir es nachlassen wie im Schlussverkauf? Vielleicht, dass wir mit diesem Wort nachlässig umgehen? Oder nachlässig in dem Sinne, dass wir dieses Wort hinten ansetzen, es zurücklassen, im Stich lassen, übergehen, einfachhin liegen lassen und damit Schritt für Schritt vergessen? Fridolin Stier übersetzt den Vers in seinem neuen Testament: „Lasst das Wort Gottes nicht liegen“. Man kann es offenbar liegen lassen wie einen Schirm, den man vergisst.



    „Es ist nicht Recht, dass Wort Gottes zu vernachlässigen …“ Wenn wir das Wort Gottes vernachlässigen, dann läuft in dieser Kirche nichts. Dann läuft es zumindest nicht richtig herum. Dann werden wir nicht in die richtige Richtung geführt. Dann geht es der Kirche nicht gut!



    Die junge Kirche hat damit ein Grundgesetz für Kirche überhaupt formuliert. Es ist nicht möglich, ohne und am Wort Gottes vorbei Kirche zu sein. Und deswegen ist es auch unmöglich, Diakon zu werden ohne das Wort Gottes.



    Liebe Mitbrüder, gleich nach der Weihe werden Sie als ein ausdeutendes Zeichen des Weiheritus von mir das Evangelienbuch in die Hand bekommen – das Wort Gottes. Dieser kleine aber wichtige Ritus macht deutlich: Du, Georg, Hendrik, Florian und Werner, du vergisst das Wort Gottes niemals.



    Schade, dass Sie am vergangenen Samstag bei der Weihe unseres neuen Weihbischofs nicht dabei sein konnten, weil Sie schon in Ihren Exerzitien waren. Ein sehr eindrückliches Zeichen der Bischofsweihe besteht darin, dass der neugeweihte Bischof nicht nur das Evangelienbuch in die Hand überreicht bekommt wie Sie, sondern dass zwei Diakone es über ihm auffalten und er darunter wie in einem Zelt, wie in einem Häuschen geborgen ist und leben darf. Ein schönes Zeichen, das bedeutet, wohne im Wort Gottes. Sei im Wort Gottes zu Hause wie ein guter Hausvater. Jesus vergleicht einmal die Schriftgelehrten mit einem Hausherrn, der aus seinem reichen Vorrat Neues und Altes hervorholt (Mt 13,52). Bewegen Sie sich in der Heiligen Schrift wie in Ihrem zu Hause. Kennen Sie sich darin aus und lernen Sie Gottes Wort immer mehr und immer tiefer kennen und schätzen. Pflegen Sie dazu täglich die Lesung aus der Heiligen Schrift, das Meditieren, die wissenschaftliche Entfaltung und nicht zuletzt die Kontemplation.



    Wenn Sie so im Wort Gottes zu Hause sind, dann wird es Ihnen auch nicht allzu schwer sein, dieses Wort zukünftig als Diakon zu verkünden im Glaubensgespräch, in der Katechese, im Unterricht und vor allen Dingen auch in der Predigt im Gottesdienst. Eine Ihrer vornehmsten Aufgaben wird zukünftig ja darin bestehen, dass Sie in der Heiligen Messe die Frohe Botschaft werden vorlesen und dann und wann auch auslegen dürfen. Sie vollziehen damit die Diakonie des Wortes (vgl. 2. Vatikanisches Konzil, LG 29,1).



    Wenn Sie zukünftig das Wort Gottes verkünden, dann werden Sie gerade am Anfang aber hoffentlich auch, wenn Sie als Diakon und Priester einmal in die Jahre kommen, diesem Dienst immer wieder neu Aufmerksamkeit schenken und sich überlegen, wie Sie es am besten machen können. Es braucht eine gute Vorbereitung. Es braucht eine Kenntnis der Methoden der Verkündigung. Es braucht Esprit. Es braucht hier und da neue Ideen – und vor allem braucht es den Heiligen Geist. Papst Paul VI. hat in seinem Dokument über die Evangelisierung in der Welt von heute Evangelii Nuntiandi (1975) den Heiligen Geist als den „Erstbeweger der Evangelisierung“ bezeichnet. Sie wollen ja in der Verkündigung nicht nur Worte machen, kluge und gute. Sondern wenn Sie verkündigen, dann soll heute geschehen, was damals begann: Dass nämlich Gott sich mit dem menschlichen Wort verbindet und darin wirkt. So soll in Ihrem Wort Gott wirken. Und deswegen braucht es diesen „Erstbeweger“, der alle Ihre Worte von innen her durchdringt und Ihnen die Kraft gibt, die wir als Menschen gar nicht haben, sondern die nur aus Gottes Kraft kommen kann.



    Wer im Wort Gottes zu Hause ist, und wer daraus das Wort Gottes predigt und verkündet, der wird nicht umhin kommen, das Wort Gottes auch zu leben. Das Wort Gottes steht nicht neben unserem Leben. Dann würden wir es vernachlässigen. Das Wort Gottes steht mitten drin und es will sich mit unseren Worten und vor allen Dingen Taten verbinden. Es will in unsere Werke übergehen und aus ihnen heraus sprechen. Vielleicht kennen Sie jenes berühmte Gebet aus der Münsteraner Kirche St. Ludgeri. Dort hängt ein Kreuz, von dem im Zweiten Weltkrieg die Füße und die Arme abgerissen und zerstört wurden. Dabei steht ein Gebet:



    Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun.

    Er hat keine Füße, nur unsere Füße, um Menschen auf seinen Weg zu führen.

    Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen, um Menschen von ihm zu erzählen.

    Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe, um Menschen an seine Seite zu bringen.

    Wir sind die einzige Bibel, die die Öffentlichkeit noch liest.

    Wir sind Gottes letzte Botschaft in Taten und Worten geschrieben.



    Liebe Diakonanden, vernachlässigt das Wort Gottes nicht, sondern seid in ihm zu Hause! Verkündet dieses Wort! Setzt dieses Wort ins Leben um. Amen.
  • Bischofsweihe von Weihbischof Eberlein / Hamburg / 25. 03. 2017
    Es ist gerade einmal 14 Tage her, dass ich hier im Mariendom mit einem jungen Mann ins Gespräch gekommen bin. Neben seinem Beruf bleibt ihm noch viel Zeit, in der er sich u.a. ganz bewusst als Christ engagieren möchte. Er tut dies in einem sozialen Brennpunkt und in einer Gebetsgruppe mit anderen jungen Leuten. Schließlich meinte er: „Herr Bischof, ich habe Angst vor einer Kirche, die organisiert wird wie von Managern, die einem Apparat gleicht. Ich habe Sorge vor einer Kirche, in der man nicht beten lernt und auch nicht beten kann…“



    Liebe Schwestern und Brüder, ich kann die Sorge dieses jungen Menschen verstehen und ich weiß, dass es viele gibt, die sie mit ihm teilen.



    Kirche ist kein Apparat. Sie ist auch nicht einfach eine Institution. Kirche erschöpft sich nicht in ihren Funktionen. Sie ist mehr als eine soziologisch fassbare Größe.



    Kirche ist zu allererst Person.



    Heute, am 25. März, also neun Monate vor dem Weihnachtsfest, feiern wir den Ursprung dieser Kirche. Er liegt in der Stunde von Nazareth, von der wir gerade im Evangelium gehört haben. Gott geht in freier Initiative auf einen Menschen zu, auf Maria, und verheißt ihr die Geburt eines Sohnes. Dabei will Gott Maria in dieses Geschehen mit einbeziehen. Er will sie beteiligen. Er achtet ihre Freiheit und respektiert ihre Entscheidung. Gott nimmt das Ja-Wort, jenes Fiat: „Mir geschehe“ der Gottesmutter voll und ganz ernst. So wird sie in Gottes Pläne integriert und zur ersten Mitarbeiterin Gottes in seiner Kirche.



    In dieser marianischen Stunde liegt der Ursprung von allem, was in zweitausend Jahren Kirchengeschichte geschehen ist. In dieser Stunde liegt auch der Kern dessen, wie Kirche im Erzbistum Hamburg gelebt und gestaltet werden kann, nämlich nicht anders als damals. Kirche wird nicht gemacht, sondern sie wird geschenkt. Kirche wird nicht produziert, sondern sie wird in Jesus Christus geboren. Kirche wird nicht organisiert, sondern sie wird gelebt. Kirche entwickelt sich nicht in Strukturen und Apparaten, sondern in Menschen und Personen. Kirche können wir nicht machen, sondern Kirche können wir nur sein – wie Maria.

    Liebe Schwestern und Brüder, ich bin dankbar, dass am ersten Fastensamstag in diesem Jahr hier vor dem Altar in unserem Mariendom eine Reihe von erwachsenen Männern und Frauen sich vor der Gemeinde bereit erklärt haben, die Sakramente der Taufe, der Firmung und der Eucharistie zu empfangen. Sie sind hier vor den Altar getreten, haben hier vorne gestanden und jeder von ihnen hat in seiner ganz persönlichen Art gesagt: „Ich bin bereit“. Heute in einer Woche werden vier Männer wieder vor diesem Altar stehen und um die Diakonenweihe bitten. Jeder einzelne von ihnen wird wieder auf persönliche Art und Weise vor der Bistumsgemeinde bekennen: „Ich bin bereit“. Heute ist es Propst Horst Eberlein, der als neuer Weihbischof für unsere Diözese vor diesem Altar steht und sein unverwechselbares „Ich bin bereit“ spricht.



    Wozu ist der neue Weihbischof bereit?



    Er ist bereit für Gott, der sich auch heute der Kirche von Hamburg schenkt. Die Stunde von Nazareth ist ja längst nicht beendet, sondern sie geht weiter und setzt sich fort durch die Jahrhunderte und Jahrtausende. In jeder Zeit will Gott sich von neuem schenken, wie damals in der Stunde von Nazareth an Maria. Deshalb hat unser neuer Weihbischof als seinen bischöflichen Wahlspruch ein Gebet des seligen Bischofs Nils Stensen gewählt: „Jesus, sei mir Jesus“ – „Jesus, sis mihi Jesus“. In der Mitte seines Dienstes steht Jesus, der Mensch geworden ist und der auch heute immer wieder um unsere Bereitschaft wirbt, wie damals bei Maria.

    Lieber Weihbischof Horst, als Propst in Schwerin konntest Du Dich in den letzten Jahren noch mehr mit Niels Stensen auseinandersetzen. Du konntest dich gleichsam – ohne dass es Dir bewusst war oder dass Du es wolltest – in deinen zukünftigen Dienst als Bischof einüben. Das Sterbegebet des seligen Niels Stensen „Jesus, sei mir Jesus“ wird für Dich zum Lebensgebet. Unser aller Leben und Sterben, unser Sein oder Nichtsein als Kirche hängt einzig und allein davon ab, ob wir diesem Jesus trauen, ob wir ihm zutrauen, dass er stets neu unser Jesus in unserer Geschichte, im persönlichen Leben wie auch als Kirche von Hamburg ist und bleibt.



    Aber, lieber Weihbischof, Du bist nicht Bischof für Dich selbst. Keiner wird berufen für sich, sondern immer für die anderen. Deswegen ist damals Maria nach der Stunde von Nazareth aufgebrochen zu ihrer Verwandten Elisabeth, wo es in der berühmten Heimsuchung nicht nur zur Begegnung der beiden Frauen, sondern auch der beiden Kinder Jesus und Johannes im Mutterschoß kommt. Und Maria bricht ihr ganzes Leben lang immer wieder auf, selbst unter das Kreuz ihres Sohnes hin und in den Pfingstsaal hinein. Für Dich, lieber Horst, wird sich Dein Arbeitsbereich als Weihbischof wesentlich erweitern in unsere große Erzdiözese hinein. Aus Mecklenburg kommend wirst du neue Gemeinden, neue pastorale Räume und viele neue Menschen kennenlernen vor allem in Hamburg und Schleswig-Holstein. Ihnen darfst Du, wie Maria, Jesus bringen, Jesus weitersagen, Jesus feiern in den Gottesdiensten und Sakramenten. Das II. Vatikanische Konzil sagt in seinem Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche: „Bei der Erfüllung ihres Lehramtes sollen die Bischöfe den Menschen die Frohbotschaft Christi verkünden; das hat den Vorrang unter den Hauptaufgaben der Bischöfe“ (CD12). Noch prägnanter sagt es der Heilige Augustinus in einer Predigt über sein Bischofsamt: Ich bin Ausspender, kein Eintreiber! Aus dem „Jesus, sis mihi Jesus“ wird ein „Jesus, sis nos Jesus“ – „Jesus, sei uns Jesus“.



    Schwestern und Brüder, gleich nach der Bischofsweihe, die durch Handauflegung und Gebet gespendet wird, wird unser Weihbischof die Insignien seines neuen Amtes empfangen.



    Er wird von nun an einen Ring tragen: Den Ring der Treue zu diesem Gott, der ihn persönlich ruft und erwählt. Der Ring soll Dich immer an diese persönliche Nähe erinnern. Es ist der Ring von Bischof Heinrich Theissing, der Dich vor 40 Jahren zum Priester geweiht hat. Er hat ihn am Ende des II. Vatikanischen Konzils erhalten. Dieser Ring ist nicht nur ein Zeichen der Treue zu Christus, sondern er stellt Dich auch in die Kontinuität der über 2000 Jahre Kirchengeschichte. Er ist Auftrag, mit dem Blick des II. Vatikanischen Konzils auf die Welt und die Menschen zu schauen und zuzugehen.



    Dann wirst Du als Zeichen des Bischofs beim feierlichen Gottesdienst eine Mitra, die Bischofsmütze, tragen. Sei darunter stets gut behütet von dem Gott, der Dich hierher geleitet hat und der Dich auch in Zukunft gewiss nie verlassen wird.



    Und schließlich erhältst Du den Bischofsstab. Du übernimmst ihn von Bischof Theodor Hubrich. Ein schlichter Holzstab, in dessen Krümme der Gute Hirt und ein Schaf zu sehen sind. Das erste Schaf, dem sich dieser Hirt zuwendet, bist Du selber. Und danach kannst Du selber Hirte sein für die vielen Glieder seiner Herde in unserem Erzbistum und für die vielen, die nicht mehr oder noch nicht dazu gehören. Am Stab kannst Du Dich festhalten. Im sogenannten Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe (vom 22. Februar 2004) heißt es (unter Nr. 36): „Das Gebet ist für den Bischof wie der Stock, auf den er sich auf seinem täglichen Weg stützt“. Leg den Stab des Gebetes nie aus Deinen Händen. Bleibe stets in der Zwiesprache mit dem guten Hirten. Sei wie der selige Niels Stensen, ein betender Bischof, denn im Gebet bleiben wir stets in der Stunde von Nazareth drin. Und aus dem Gebet gewinnen wir die Kraft, wie Maria in Ort und Zeit hinauszugehen und anderen Menschen die Frohe Botschaft zu verkünden. Der Bischof und alle anderen Amtsträger der Kirche sind nicht Verwaltungsdirektoren einer Organisation, nicht Präsidenten eines Konzerns und auch nicht Manager einer Religionsbewegung. Sie sind vor allem und immer wieder Zeugen des Evangeliums. So ist und bleibt die Kirche in allen ihren Gliedern persönlich wie in Nazareth und wir gehen hoffnungsvoll in die Zukunft.
  • Vortrag im Anschluss an den ökumenischen Gottesdienst / Itzehoe / St. Ansgar / 01. 03. 2017
    „Fasten, wozu?“ - Neue Zugänge zum Fasten



    1. Fasten liegt im Trend und scheint gesund zu sein. Die FAZ brachte am 1. Januar 2017 einen Artikel unter der Überschrift „Der Hunger ist ein Tyrann, dem wir trotzen sollten“ . Die Autorin berichtet von acht amerikanischen Abenteurern, die ein mögliches Leben auf dem Mars simuliert haben. Dafür haben sie zwei Jahre in einem abgeschotteten Kuppelbau mit einem eigenen Ökosystem gelebt und mussten sich selber mit Ackerbau und Viehzucht versorgen. Pannenbedingt wurde das Essen bald knapp, aber alle acht haben durchgehalten. Das Ergebnis: Sie waren alle schlanker aber nicht mangelernährt. Die Blutwerte waren wie die von kleinen Kindern. „Die Fastenkur wirkte wie ein Jungbrunnen für die Teilnehmer.“

    Wissenschaftler empfehlen, um diesen Effekt im Alltag zu erreichen, das intermittierende Fasten, also zeitweilige Essenspausen: „mehrere Tage im Monat, einen bis zwei Tage in der Woche, jeden zweiten Tag oder 14 bis 18 Stunden am Tag.“ Manche Krebsforscher ergänzen mit Fastenempfehlungen sogar ihre Krebstherapie. Unter Hunger geht der Körper an die Reserven und baut wohl zuerst schädlich Zellen ab, da die meist schwächer sind.



    2. Was durch Gesundheitsforschung und -trends (bspw. das umstrittene Heilfasten) neu in den Blick kommt, war schon lange Teil unserer Frömmigkeitstradition: Askese des Mönchtums, Fastenzeit etc. Auch die katholische Tradition, außerhalb der Fastenzeit (mittwochs und) freitags etwa auf Fleisch zu verzichten, hat mit dem Veggie Day Konjunktur – auch wenn der meist leider nicht auf einem Freitag liegt.

    In Zeiten, in denen die Pflege der eigenen Gesundheit immer wichtiger wird, scheinen die Erkenntnisse zur gesundheitsfördernden Wirkung des Fastens genau zu passen. Es spricht nichts dagegen, dass Fasten gesund ist. Aber wenn uns unsere Suche nach Gesundheit im Fasten mehr und mehr einnimmt (‚Gesundheitswahn‘), dann erreichen wir eher das Gegenteil von dem, worum es beim Fasten wirklich geht.



    3. Der Verzicht und das Weniger der Fastenzeit sind ja nicht Selbstzweck, sondern Ausdruck einer inneren Bewegung auf Christus. Die Fastenzeit, die Österliche Bußzeit – bzw. Passionszeit, wie unsere evangelischen Schwestern und Brüder sie nennen – ist die Vorbereitungszeit auf die Osterfeier. Die alte Kirche erweiterte die ursprünglich für die Taufbewerber gedachte Vorbereitung auf die Gesamtgemeinde mit Fasten, Gebet, Buße und Almosen bzw. „sozialem Engagement“, wie man heute sagen würde.

    Wir nehmen in diesen vierzig Tagen unser Leben neu in den Blick. Oder vielleicht besser: Wir stellen unser Leben unter den Blick Gottes, um uns neu auf ihn auszurichten. Als Christen vergegenwärtigen wir uns wieder das, was wir in der Taufe empfangen haben und was wir seit dem sind: neu in Christus. Die mit Weihwasser beträufelte Asche, mit der wir am Beginn der Fastenzeit bezeichnet werden, ist ein symbolischer Ausdruck dafür: Zum einen sind wir endlich („zum Staub kehrst du zurück“) und müssen daher jetzt umkehren. Zum anderen ist Asche in früheren Zeiten als Reinigungsmittel verwendet worden und erinnert uns daran, unser Leben „zu reinigen“. Die Zielrichtung dieser Umkehr und ‚Reinigung‘ macht das Weihwasser deutlich, das an unsere Taufe erinnert. Wir sind eben nicht nur vergänglicher Staub, sondern gleichzeitig auch unverlierbar Kinder Gottes.



    4. Fasten als Weniger. Das „Weniger“, der Verzicht ist wohl das, was die meisten Menschen – auch über die Kirchen hinaus – mit der Fastenzeit verbinden: Keine Süßigkeiten, kein Alkohol, keine Zigaretten, kein Fleisch etc. Seit einiger Zeit liegt auch der Verzicht auf Medien im Trend: WhatsApp-Fasten, Facebook-Fasten, Fernseh-Fasten etc.

    Wir reduzieren äußere Dinge wie Essen, Medien etc., um zum Inneren zu gelangen. Reduzieren bzw. Reduktion kommen vom lateinischen reducere, dt. zurückführen. Wir machen, essen, konsumieren weniger, leben aber dafür intensiver. Ignatius von Loyola sagt, „nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge, sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von innen.“ Man könnte auch sagen, wir bewegen uns in der Fastenzeit von der Weite des vielen in die Tiefe des weniger.

    Das Weniger hat dabei auch einen ‚pädagogischen Effekt‘: Der konkrete Verzicht und die damit verbundenen Gegensatzerfahrung kann Ostern intensiver erlebbar machen. Wer in den Wochen vor Ostern verzichtet und dann an Ostern das Fasten beendet, verstärkt dadurch das spirituelle Miterleben der Dynamik von Leid, Tod und Auferstehung Jesu Christi.

    Wir stellen allzu gute Gewohnheiten wie etwa die Schokolade am Abend für sieben Wochen zurück oder lösen uns von falschen Bindungen an unsere Smartphone-Apps. „Alles ist mir erlaubt – aber nicht alles nützt mir. Alles ist mir erlaubt – aber nichts soll Macht über mich haben.“ (1Kor 6,12), sagt Paulus. Dieser tiefere Sinn sollte auch bei unserer Auswahl, was wir konkret fasten, leitend sein: Was macht mich frei? Was tut mir gut? Was führt mich in die Tiefe? Was öffnet mich für andere? Das Weniger ist dann vielleicht eher ein Loslassen als ein Verzicht.



    5. Fasten als Mehr: mehr Ich. Das „mehr Ich“ klingt zunächst missverständlich. Geht es nicht gerade darum, von mir loszulassen? Umkehr und Erneuerung beginnen bei mir und nicht bei anderen. Deshalb dürfen wir auch uns selber in dieser Zeit in den Blick nehmen: unsere Schattenseiten, Sünden wie auch unsere Träume, (ungehobenen) Talente etc.

    Die Fastenzeit kann die Gelegenheit sein, Körper und Seele wieder in Einklang zu bringen. „Tu deinem Leib etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen“ (Teresa von Avila): Sport, Spaziergang, gesundes Essen, Lesen, Freunde anrufen, etc. Für Familien mit kleinen Kindern ist das sicher oft schwierig. Aber vielleicht bietet die Fastenzeit die Gelegenheit, sich neu bewusst zu machen, dass wir neben bzw. in familiären und beruflichen Rollen immer auch Glaubende und Liebende sind.

    Die ehrliche Begegnung mit uns selber kann uns öffnen für die wirkliche Begegnung mit Gott.



    6. Fasten als Mehr: mehr Gott. In der Bibel steht ein Fasten meist vor Gottesbegegnung oder dem Aufbruch in die Mission bzw. zu anderen. Wenn unser Fasten ein Weniger an zeitraubenden Dingen ist (Medien etc.), können wir Gott einladen diese Zeit zu füllen und uns von ihm erneuern zu lassen.

    Mögliche geistliche Elemente dieser Erneuerung: Die in der Taufe besiegelte Umkehr wird neu vollzogen in der Reflexion des eigenen Lebens und der Versöhnung mit Gott. Hier hat auch das Sakrament der Versöhnung, die Beichte, seinen Ort. Lesen der Bibel/eines bestimmten Buches mit der Frage „Gott, was willst du mir heute sagen?“ Gebet in den verschiedenen Formen. Betrachtung von Ikonen. Lesen geistlicher Texte... Wichtig ist auch hier nicht so sehr ein quantitatives mehr, sondern ein qualitatives: Gott Aufmerksamkeit schenken, meine Beziehung zu ihm erneuern.



    7. Fasten als Mehr: mehr Nächster. Fasten ist auch ein Mehr bspw. an echter Zeit und Aufmerksamkeit für Familie/Freunde sowie an Engagement und Gaben für Bedürftige. Jes 58,6f: „Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen? Bedeutet es nicht, dem Hungrigen dein Brot zu brechen, obdachlose Arme ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deiner Verwandtschaft nicht zu entziehen?“

    Fasten hat auch eine soziale bzw. politische Dimension, indem es ein Zeichen für Solidarität mit anderen ist (Bsp. Hungermärsche, Fastensuppeessen, Misereor-Fastenaktion). Das beliebter werdende Fasten aus ökologischen Gesichtspunkten (40-tägiger Verzicht auf Auto oder Plastik) erweitert diese Dimension noch.



    8. Fasten als (Lebens)Haltung der Frei- und Selbstwerdung. Das Weniger und die verschiedenen Mehr’s der Fastenzeit schließen sich nicht aus, sondern gehören im richtigen Maß zusammen. Man könnte sagen, Fasten ist eine Grundhaltung, die ich als Mensch einnehme. Unser deutsches Wort Fasten hängt mit dem englischen fasten zusammen. Wir kennen es aus dem Flugzeug: Fasten seatbelts! Das Fasten will uns festigen, verankern, festmachen in Gott.



    9. Beispiel Bruder Klaus. In diesem Jahr ist nicht nur 500 Jahre Reformation, sondern auch 600 Jahre Nikolaus von Flüe. Nikolaus wurde 1417 als Bauernsohn in Schweizer Kanton Obwalden geboren. Er bewirtschaftet einen stattlichen Hof und bekommt mit seiner Frau Dorothea zehn Kinder, wird Richter und Ratsmitglied. Mit 50 Jahren entschließt er sich – geführt von einer Vision – die Familie und seine Ämter zu verlassen und ein asketischer Einsiedler zu werden. Sein ursprünglicher Plan, auszuwandern, verwirklicht sich nicht. Stattdessen baut er durch eine Vision geleitet eine Klause in einer Schlucht hinter seinem Hof. Dort lebt er die letzten 20 Jahre seines Lebens und ernährt sich nur von der Eucharistie. Der Mystiker wird bewundert für seine Spiritualität und geschätzt für seinen Rat – auch bei politischen Vermittlungen.

    Sehr bekannt ist ein Betrachtungsbild, das ihm für seine Einsiedelei geschenkt wurde. „In diesem Bilde betrachtete Bruder Klaus das eine und dreifaltige, unermessliche Wesen Gottes. Er nannte das Bild ‚mein Buch‘, worin er (als Analphabet) lerne und die Kunst der Glaubenslehre zu verstehen suche. Hauptbestandteil des Bildes sind die beiden Kreise in der Mitte: der innere mit dem Gottesantlitz und der äußere, der durch drei auslaufende und drei einlaufende Strahlen mit dem Innern verbunden ist. Die sechs um die Kreise angeordneten Medaillons reden von den Großtaten der Liebe Gottes (von unten in der Mitte im Uhrzeigersinn): Verkündigung, Geburt Jesu, Schöpfung, Passion, Kreuzestod und Eucharistie. Die vier Ecken sind mit den Evangelistensymbolen ausgefüllt.“

    Ich möchte, wenn ich Bruder Klaus als Beispiel anführe, nicht für das Verlassen von Partnern und Kindern werben. Aber Bruder Klaus macht mit seinem Einsiedlerleben hinter seinem Hof eines deutlich: „Er brauchte – auch das vielleicht symbolisch – nicht in die Ferne schweifen, um seiner Bestimmung zu folgen, sondern einfach knapp neben dem Gewohnten in die Tiefe gehen.“ Ein Sinnbild für die Fastenzeit: Nicht immer sind radikale Schnitte nötig, sondern genauso wichtig ist es, dem Alltag Tiefe zu verleihen. Fasten muss nicht heißen, alles von heute auf morgen zurück zu lassen, sondern das Leben aus der Begegnung mit Christus neu gestalten zu lassen.



    10. Fasten und Ökumene. Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zur Reformationsgeschichte und zur heutigen ökumenischen Bewegung. Die (in der damaligen Situation durchaus berechtigte) reformatorische Kritik an der Werkgerechtigkeit wirkt bis heute nach. Vor allem für die Reformation um Calvin und Zwingli war das Fasten ein zentraler Punkt. Zwingli: „Kein Christ ist zu den Werken, die Gott nicht geboten hat, verpflichtet. Er darf also zu jeder Zeit jegliche Speise essen.“ Entsprechend kam es in Zürich am 1. Fastensonntag des Jahres 1522 zum berühmten Wurstessen. Ich habe gelesen, dass es als symbolischer Ausdruck der reformatorischen Umwälzungen für die Schweiz ein analoges Ereignis wie für Deutschland der Wittenberger Thesenanschlag war.

    Wir begehen den 18. Ökumenischen Aschermittwoch. Ich bin dankbar, dass wir heute Abend den Aschermittwoch ökumenisch begehen können. Die theologische und v. a. auch menschliche Annährung zwischen den Kirchen findet so auch Ausdruck im konkreten gemeindlichen Leben vor Ort. Wir haben uns als Konfessionen gegenseitig geholfen, dem Fasten in der richtigen Art und Weise auf der Spur zu bleiben. Durch die Reformation wurden wir Katholiken angestoßen, uns dem eigentlichen Sinn des Fastens bewusst zu machen. Unsere Evangelischen Geschwister konnten es dann für sich wiederentdecken – etwa durch die in den 1980er gegründete Aktion „7 Wochen ohne“. Heute auch Aktion „7 wochen anders leben“ des ökumenischen Vereins Andere Zeiten mit Impuls-Briefen, Internetforum etc., als Einladung diese Zeit bewusst zu leben.



    11. Konkrete Tipps. Zum Schluss möchte ich Ihnen noch ein paar konkrete Tipps vorstellen, die mir bei Fasten hilfreich erscheinen: Nehmen Sie sich etwas Konkretes vor und schreiben es ggf. auf, evtl. in Form eines Fasten-Tagebuchs. Überfordern Sie sich nicht. Das Vorhaben einer radikalen Lebenswende verläuft meist im Sande. Lieber kleine, aber konkrete Schritte gehen. Wenn Vorhaben gebrochen werden, einfach neu anfangen und vllt. fragen, warum. Sparsam sein mit Ausnahmen. Sie müssen sich anderen ggü. nicht rechtfertigen, erzählen Sie einfach von Ihrer Freude an den 40 Tagen. Überlegen Sie sich, was nach der Fastenzeit bleibt. Bei echten Abhängigkeiten hilft keine Fastenzeit, sondern nur professionelle Unterstützung. Fasten kann man nur selber wollen, nicht aber anderen verordnen.



    Und: Wir können uns einfach Gott in dieser Zeit besonders anvertrauen. Von Bruder Klaus stammt ein Gebet, das wir in der Fastenzeit immer wieder sprechen können: „Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir. Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert zu dir. Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu Eigen dir.“



    12. Ich wünsche Ihnen, dass Sie die kommenden vierzig Tage (die Sonntage als ‚Osterfeste‘ sind natürlich ausgenommen) intensiver und freier auf Karfreitag und Ostern und damit auf unseren Herrn selber zugehen können. Die Fastenzeit ist keine Bürde, sie ist eine Chance!
  • Predigt anlässlich der Eröffnung der St. Ansgar-Woche / St. Marien-Dom zu Hamburg / 29. 01. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort



    (Lesungen: Zef 2,3; 3,12-13; 1 Kor 1,26-31; Mt 5,1-12a)





    Liebe Schwestern und Brüder,



    heute beginnen wir unsere Ansgarwoche. Der Vorbereitungskreis hat im Jahr des Reformationsgedenkens das Motto gewählt „Luther entdecken“. Viele Veranstaltungen, Diskussionen und nicht zuletzt auch Gottesdienste wollen Impulse von Martin Luther aufgreifen. Aber sie wollen nicht bei Martin Luther stehen bleiben, sondern sie wollen sich von ihm anregen lassen. Papst Benedikt XVI. hat im September 2011 bei seinem Besuch im Augustinerkloster Erfurt im kleinen Kreis an den Glaubensweg Martin Luthers erinnert: „Auf diesem Weg ging es ihm ja nicht um dieses oder jenes. Was ihn umtrieb, war die Frage nach Gott, die die tiefe Leidenschaft und Triebfeder seines Lebens und seines ganzen Weges gewesen ist“. Es ist also die Gottesfrage, in der sich nicht nur das Erbe der Reformation, sondern unser ganzes Christsein verdichtet – heute 500 Jahre danach in einer globalisierten und zunehmend säkularisierten Welt.



    Ähnliche Erfahrungen hat es in der Geschichte des Volkes Gottes immer wieder gegeben. Die Lesung aus dem kleinen Buch Zefanja aus dem Alten Testament führt uns in eine Zeit zurück, in der das Nordreich Israels untergegangen war. Für Jerusalem sieht die Zukunft finster aus. Zefanja nennt diese Realität schonungslos beim Namen. Er weiß auch, dass viele diese Situation ausnutzen und zu Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft beitragen. Aber er fordert dazu auf, niemals vor Macht und Gewalt zu kapitulieren. Im Gegenteil: Das Volk Israel soll seine Hoffnung nicht verlieren und auf nichts und niemand anderes vertrauen, als auf Gott allein.



    Der Apostel Paulus setzt diesen Gedanken in der zweiten Lesung geradezu fort: „Seht doch auf eure Berufung“. Gott beruft in seinem Volk jeden Einzelnen. Dabei scheint er zu allererst nicht auf Leistungen und Qualitäten abzuheben. Sondern er hat eher die Schwachen im Blick, die Kleinen, die Zurückhaltenden, die am Rand Stehenden, die, die vielleicht am allerwenigsten von einer eigenen Berufung durch Gott ausgehen. Paulus nennt uns auch den Grund: Keiner soll sich selber rühmen. Berufung ist Gottes freies Geschenk, ohne dass ich es selber machen oder auch nur erwarten dürfte. Deswegen ist die richtige Antwort darauf nicht Eigenlob oder Selbstüberheblichkeit, sondern Dank und Gotteslob.



    Schwestern und Brüder, diese beiden Lesungen sind geradezu die Steilvorlage für das Evangelium von den Seligpreisungen. Zefanja und auch Paulus gehen von einem demütigen und armen Volk aus, von Menschen, die bescheiden auf sich selber schauen und alles von Gott erwarten. Genau diese Menschen preist Jesus selig. Er preist sie aber nicht deshalb selig, weil sie trauern, gewaltlos sind, hungern und dürsten. Er preist nicht ihre Mittellosigkeit und ihre Verfolgungssituation an sich. Er preist sie, weil Gott Ihre Bedürftigkeit sieht und füllen möchte. Jesus weiß, dass hinter der Not Menschen stecken, die sich von Gottes Seligkeit beschenken, durchdringen und verwandeln las-sen.



    Schwestern und Brüder, die Gesellschaft aber nicht erst sie, sondern auch die Kirche lebt davon, dass es Menschen gibt, die die Bergpredigt leben. Ich hoffe, dass die kommenden Tage uns dazu helfen, Luther zu entdecken. Aber wir dürfen auch unseren Bistumspatron Ansgar wieder neu entdecken. Mit Sicherheit hat er als Mönch, als Missionar und als Bischof hier im Norden versucht, den Geist der Seligpreisungen und des Gottvertrauens zu leben und zu verkünden.

    Amen.
  • Predigt anlässlich des 22. Gründungstages des Erzbistums Hamburg / St. Marien-Dom zu Hamburg / 07. 01. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort.





    Liebe Schwestern und Brüder,



    genau heute vor 22 Jahren am 7. Januar 1995 wurde das Erzbistum Hamburg gegründet und der erste neue Erzbischof Ludwig Averkamp hier im Mariendom eingeführt. Es trifft sich gut, dass wir heute am Geburtstag das Fest der Taufe Jesu feiern und damit selbstverständlich auch an unsere eigene Taufe erinnert werden. Wir werden damit an den Ursprung unseres Christseins zurückgeführt. Unser Christsein beginnt mit unserer Taufe. Die Taufe ist uns schlicht und einfach geschenkt worden. Bei aller Vorbereitung, die gut und sinnvoll ist, und bei aller Nachbereitung, die auf die Taufe im Laufe des Lebens folgen soll: Unsere Taufe ist und bleibt ein Geschenk. Wir können es nicht erwerben, wir haben keinen Anspruch darauf, wir können es nicht durch Leistung sozusagen erzwingen. Die Taufe ist und bleibt immer gratis. Mir persönlich wird das sehr sinnfällig deutlich, wenn ein kleines Kind getauft wird, ein Baby, das noch gar nichts kann. Ihm wird die Taufe einfach geschenkt.



    Seit meiner Taufe ist mir klar: Mein Leben steht unter der unverbrüchlichen Zusage der Liebe Gottes. Das, was wir an der Taufe Jesu Christi erkennen können, geschieht auch in unserer Taufe. Die Stimme aus dem Himmel sagt auch zu jedem Täufling wieder neu: Du bist mein geliebtes Kind!



    Zu dieser Liebeserklärung steht Gott immer und auf jeden Fall! Er wird sie nie und nimmer zurück-nehmen – komme, was da wolle.



    In diesem Anfang liegt eine derartige Kraft, die es sich lohnt im Laufe des Lebens zu entfalten. Es kommt mir so vor, als sei in dem kleinen Anfang der Taufe die ganze Kraft eines christlichen Lebens wie eingefaltet. Dieses Potential sollte nicht in der Ecke liegen, unbenutzt, unverbraucht, sondern es sollte förmlich entfaltet werden wie ein frisch gebügeltes Taschentuch. Wir sollten es nicht machen wie mit den Taschentüchern unserer Vorfahren, die reich bestickt und schön verziert sind und die wir, weil sie so schön sind, am liebsten in der Schublade oder im Schrank liegen lassen. Das, was da förmlich eingefaltet ist, sollte entfaltet werden – Stück für Stück – Tag für Tag.



    Vor kurzem habe ich ein Gespräch mit einem ausländischen Priester führen können, das mich sehr bewegt hat. Dieser Mitbruder hat zunächst einen ganz anderen Weg eingeschlagen und einen Beruf erlernt, in dem er einige Jahre tätig war. Immer hat ihn irgendwie seine Herkunft belastet. Nicht unbedingt die einfachen Verhältnisse, aus denen er stammt, sondern vielmehr die Tatsache, dass er seinen Vater nie kennenlernen konnte, weil er sozusagen in einem, wie man das heute aus-drückt, One-Night-Stand gezeugt wurde. Irgendwie lastete auf ihm immer das niederdrückende Gefühl, das er in den kurzen Satz packte: „Ich bin das Produkt einer Sünde“. Es hat lange gebraucht und es war wie ein Wunder, bis ihm eines Tages deutlich wurde: Nein, du bist nicht das Produkt einer Sünde, sondern du bist das Produkt der Liebe Gottes. Diese neue Sicht, diese Umkehr in seinem Leben hat ihn derart verändert, dass er eine priesterliche Berufung erfuhr. Und schon bald nach seiner Priesterweihe trug ihm sein Bischof auf: Das was du selber erfahren hast, sag es anderen – mehr brauchst du gar nicht zu tun.



    Liebe Schwestern und Brüder, du bist durch Gottes Liebe gewollt, du bist durch Gottes Liebe entstanden. Die Taufe bringt dir das sinnfällig zum Ausdruck. Entfalte es schlicht und einfach dein Leben lang.



    Wenn wir aus dieser Berufung unserer Taufe leben und wenn es in unserem Erzbistum immer mehr Menschen tun, dann ist die Zukunft des Erzbistums Hamburg gesegnet.



    Herr, erneuere deine Kirche und fange bei mir an.
  • Predigt am Hochfest der Erscheinung des Herrn / St. Marien-Dom zu Hamburg / 06. 01. 2017
    Es gilt das gesprochene Wort.





    Liebe Schwestern und Brüder,



    in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr hatte ich ein besonderes Vergnügen. Zum ersten Mal in meiner Hamburger Zeit habe ich die hiesige Staatsoper besucht und dort das Weihnachtsoratorium von Johannes Sebastian Bach gehört – und gesehen. Schon viele Male habe ich dieses Oratorium, jedenfalls in Teilen, von einem Orchester und einem Chor dargeboten bekommen. In diesem Jahr habe ich es zum ersten Mal nicht nur mit Chor und Orchester gehört, sondern auch von einem Ballett hier in der Staatsoper unter der Leitung von John Neumeier dargestellt und getanzt gesehen. Das Ganze hat mich fasziniert und einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

    Lebendig vor Augen steht mir noch König Herodes. Die Bühne ist nahezu leer und Herodes mit seiner funkelnden Krone auf dem Kopf tanzt um sich selbst. Er ist so eitel und in sich verliebt, dass er sich selber zu genügen meint. Er dreht sich um sich. Dann kommt es, wie es kommen muss: Ihm wird die Krone vom Kopf genommen und weil sie nichts weiter ist als Papier und Pappmaschee, zerknüllt jemand diese Papierkrone in der Hand und weg ist sie. Nichts mehr bleibt von der Herrlichkeit und Leichtigkeit des tänzelnden Herodes.



    Dem gegenüber diese drei, die wir als Weisen oder Magier oder eben als Könige bezeichnen. Sie tanzen nicht um sich selbst (wie die Israeliten um das goldene Kalb). Die drei Weisen aus dem Morgenland haben eine Ausrichtung. Sie haben ein Ziel vor Augen und auf das hin sind sie bleibend unterwegs. Und an diesem Ziel angekommen, drehen sie nicht eine Pirouette nach der anderen um sich, sondern bringen es fertig, sich niederzuknien und anzubeten. Manche Krippendarstellungen führen uns dann vor Augen, wie die Könige ihre Kronen vom Haupt nehmen und ehrfürchtig vor dem Kind niederlegen. Sie legen ihre Krone ab, weil der einzige Herrscher in der Krippe niemand anders ist als das Kind selbst.

    Die Ehre gehört eben nicht dem römischen Kaiser Augustus, erst recht nicht König Herodes, sie gebührt keinem der Machthaber von damals und heute, keinem der Trumps, Putins, Erdogans unserer Tage, keinem der Multimilliardäre oder Wirtschaftsgrößen, Popstars oder wessen Stern am Himmel gerade aufscheint. Die Ehre gehört Gott allein!

    Dieser Gott macht es uns dabei eigentlich ziemlich leicht. Er kommt ja gerade nicht mit Glanz und Gloria. Er kommt erst recht nicht mit Gewalt und Macht, mit seinen Truppen und Garnisonen, seinen Geheimdiensten oder Kontrolleuren. Er kommt wehrlos in der Gestalt eines kleinen Kindes. Er ist entwaffnet und vollkommen wehr- aber keineswegs harmlos!

    Seine Macht ist am allergrößten in der Ohnmacht. Egal ob es die Ohnmacht des kleinen Kindes in der Krippe ist, oder die Ohnmacht am Kreuz. Beide Male ist es ein und dieselbe Königsherrlichkeit, die uns umstrahlt. Und egal ob wir nun vor der Krippe niederknien und den Neugeborenen anbeten oder ob wir in einigen Monaten Karfreitag in unseren Kirchen im Mittelgang nach vorne kommen und vor dem Kreuz eine Kniebeuge machen: Wir beten den ohnmächtigen Gott an, dem allein die Ehre gebührt.

    Liebe Schwestern und Brüder, geben wir im neuen Jahr keinem anderen die Ehre als Gott allein!

    Amen
  • Silvesterpredigt 2016 / Hamburg / 31. 12. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort



    Liebe Schwestern und Brüder,



    wieder stehen wir am Ende eines Jahres, in dem die Friedensbotschaft der Engel am Heiligen Abend mehr Sehnsucht als Realität ist. Man braucht dazu nur einige Städtenamen nennen, die für Krieg, Verfolgung oder Terror stehen: Aleppo, Kairo, Istanbul, Kabul ... und jetzt auch Berlin. Manchmal frage ich mich besorgt – und vielleicht geht es Ihnen genauso –, ob sich auch Hamburg irgendwann in dieser Liste finden wird oder ob und wann endlich Frieden sein wird.



    Vor kurzem las ich in einer Zeitschrift den Artikel eines „Flüchtlingspaten“. Er er-zählt, wie er mit zwei syrischen Flüchtlingen Münster besucht und berichtet: „Dann habe ich sie ins Rathaus mitgenommen und vom Westfälischen Frieden, dem zuvor geführten Dreißigjährigen Krieg, von den marodierenden Armeen und von der Ermordung eines Drittels der Menschen damals in Mitteleuropa erzählt. Reaktion: Ganz wie heute in Syrien. Dann waren wir im Dom; dort habe ich ihnen von Kardinal von Galen, von seinen Predigten in den Ruinen des Domes und von der Angst der Nazigrößen erzählt, die sich nie getraut hatten, Münster zu betreten, weil da dieser von Galen ihnen entgegengetreten war mit all seinen (gläubigen) Bürgern. Reaktion: Ganz wie heute in Syrien; nur – wir haben keinen von Galen; in Syrien reden sie nicht miteinander wie im Friedenssaal nach dem Dreißigjährigen Krieg.“ (Franco Rest in Katholische Bildung 11/2016, S. 463f)

    „...wir haben keinen von Galen; in Syrien reden sie nicht miteinander wie im Friedenssaal nach dem Dreißigjährigen Krieg...“ Liebe Schwestern und Brüder, die zwei Syrer machen darauf aufmerksam, was es für den Frieden braucht: Engagement und Dialog. Es braucht Menschen, die sich für den Frieden engagieren und es braucht den fruchtbaren Dialog zwischen Menschen, Parteien und Staaten und Religionen. Was es hingegen nicht braucht, macht Papst Franziskus in seinem Wort zum morgigen Weltfriedenstag deutlich: „Die Gewalt ist nicht die heilende Behandlung für unsere zerbröckelte Welt.“ (Papst Franziskus: Gewaltfreiheit: Stil einer Politik für den Frieden. Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2017)



    Wenn wir von Menschen sprechen, die sich für Frieden einsetzen, dann sind das keine ‚braven Schweiger’, die sich heraushalten. Kardinal von Galen, der die Syrer beeindruckt hat, hat mit seinen Predigten sein Leben riskiert. Auch heute setzen sich Christen in Gebet, Wort und Tat mutig für Frieden und die Menschenrechte ein. Ich denke etwa an die katholische Gemeinschaft Sant’Egidio. Ihre Mitglieder engagieren sich aktiv für den Frieden und setzen sich für Flüchtlinge ein, auch wenn das unpopulär ist.

    Papst Franziskus fordert uns auf, zu „Handwerkern des Friedens“ (s. o.) zu werden. Handwerker sind Menschen, die anpacken. Friede entsteht nicht durch Unterlassen. Aktive Gewaltfreiheit ist nicht nur das Ende der Gewalt, sondern das Engagement für Versöhnung und Entwicklung. Die Masse der negativen Nachrichten führt oft zu Abstumpfung oder zu einem Gefühl der Ohnmacht. Aber wir dürfen das nicht zulassen. Wir müssen im Kleinen das tun, was uns möglich ist. Wir wissen es ja meist genau, was dran ist, und müssen ‚nur’ unsere inneren Widerstände überwinden. Das ist am Anfang schwierig, wenn wir uns für diesen Weg entscheiden. Aber je länger wir das einüben, desto leichter wird es.



    Die Herstellung und Bewahrung des Friedens braucht neben dem mutigen Engagement vieler auch den Dialog aller: aufrichtiges Zuhören, Respekt und Offenheit für das Gegenüber, selbst wenn er mein Feind ist, konstruktive Beteiligung und das Aushalten von bleibenden Gegensätzen.

    Im Zusammenhang mit der Tragödie von Aleppo ist oft vom Scheitern der Vereinten Nationen die Rede. Diese wurden nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen, um „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“ (Präambel der Charta der Vereinten Nationen). Der Dialog der Nationen zur Bewahrung des Frie-dens soll hier seinen festen Ort haben. Denn Frieden ist kein Zustand, der – einmal erreicht – sich selber bewahrt. Aber diese Organisation hat es bislang nicht ver-mocht, in Syrien den Frieden zu bewahren oder herzustellen. Das ist wohl nicht die Schuld der UNO selber. Die besten Organisationen funktionieren nur, wenn die einflussreichen Akteure wirklich Frieden wollen. Der Dialog – ob in der Weltpolitik, den Religionen oder in der Familie – lebt letztlich von Menschen, die wirklich gewillt sind, das Miteinander über das Gegeneinander zu stellen.



    Liebe Schwestern und Brüder, Engagement und Dialog entstehen nicht von selber. Sie leben von verschiedenen Haltungen oder Einsichten. Drei wichtige möchte ich etwas näher umschreiben:



    Die eigene Umkehrbedürftigkeit



    Wenn wir Frieden stiften wollen, müssen wir fragen, wo er beginnt. Es gibt den Satz, der Frieden beginnt vor der eigenen Haustür. Aber das stimmt nicht. Der Frie-den beginnt in meinem Herzen – oder er beginnt nicht. Papst Franziskus sagt, der grundlegende Kampf findet in unserem Herzen statt. Tagtäglich ringen wir doch um die richtigen Entscheidungen. Die Linie zwischen Gut und Böse, zwischen Richtig und Falsch verläuft nicht zwischen Gruppen, Religionen, Völkern, sondern zu al-lererst durch jeden Menschen. Das müssen wir ehrlich anerkennen. Das anzuer-kennen, ist schon ein erster Schritt Richtung Frieden: Wer um seine eigene Be-grenztheit und Fehlbarkeit weiß, der kann auch andere Menschen akzeptieren und teilt nicht Menschen und soziale Gruppen nach gut und böse ein.



    Vergebung und Feindesliebe



    Die Einsicht in die eigene Begrenztheit hat mit einer anderen Haltung zu tun, der Vergebungsbereitschaft und Feindesliebe. Wir vergeben uns nichts, wenn wir ver-geben. Versöhnung und Vergebung nötigen uns unter Umständen Opfer ab. Aber bei Gott verlieren wir nichts – im Gegenteil. Er selber hat es uns vorgemacht: Bei dem, was Menschen anderen Menschen antun, hätte er allen Grund zur Rache o-der zur Vernichtung der Welt. Aber was macht er? Er wird selber Mensch und opfert noch seinen eigenen Sohn für uns. Nachfolge heißt darum manchmal auch, die eigenen gerechten Ansprüche fallen zu lassen.



    Konkrete Hoffnungsvisionen



    Frieden ist etwas Umfassenderes als die Abwesenheit von Gewalt. ‚Schalom’, so der biblische Begriff, ist auch das Ende von Hunger und Not, Krankheit und Angst. Wir müssen dem Krieg diese umfassende Friedensvision gegenüberstellen. „Der Friede ist der einzig wahre Weg menschlichen Fortschritts“, sagt Papst Franziskus (s. o.). Der Krieg bringt vielleicht technische Innovationen, aber er beendet weder Armut noch Ausgrenzung. Wenn militärischer Frieden erreicht ist, aber Armut und Elend nicht besiegt sind oder Unfreiheit herrscht, ist erneuerter Krieg oder Terror nur eine Frage der Zeit.



    Liebe Schwestern und Brüder, „Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach.“, berichtet uns das heutige Evangelium. Maria nimmt in ihr Herz auf, was Gott an ihr und für alle Menschen getan hat. Wenn Gewalt und Friede in unseren Herzen beginnen, dann sollte das auch unsere Haltung sein: Den Frieden, den Gott uns schenken will, in unser Herz aufnehmen. Wenn wir ihn dort aufnehmen, kann er uns von innen her verwandeln und aus uns strahlen. Wir können Frieden nicht erzwingen. Die wenigsten von uns sind einflussreiche Politiker. Aber wir können die Vision einer friedlicheren Welt konkret leben und ausbreiten. Vielleicht ein Vorsatz für das neue Jahr?
  • Weihnachtspredigt 2016 / Hamburg / 24. 12. 2016
    Liebe Schwestern und Brüder,



    Sprache entwickelt sich fortwährend. Wörter verschwinden, neue entstehen. Im Herbst 2016 hat die Bundeskanzlerin zum ersten Mal ein bis dahin ungewöhnliches, nicht gekanntes Wort verwendet: postfaktisch. In den Medien wurde es aufgegriffen. Anfang Dezember hat die Gesellschaft für deutsche Sprache das Adjektiv „postfaktisch“ zum Wort des Jahres 2016 gewählt. Dabei ist nicht die Häufigkeit entscheidend, sondern die Signifikanz, die Popularität und die sprachliche Qualität. Übrigens hat im englischsprachigen Bereich eine ähnliche Konstruktion den Wettbewerb gewonnen: Word of the year 2016 wurde „post-truth“. Post-truth, postfaktisch: Post das bedeutet nach. Also offenbar eine neue Epoche, eine Zeit nach den Fakten. Postfaktisch – das meint statt Fakten Emotionen und statt Wahrheit gefühlte Wahrheit; aber im Zweifel auch Lüge, Ablenkung oder Verwässerung. Nicht von ungefähr tauchte dieses Wort im Zuge von Wahlkämpfen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auf, die mehr und mehr populistisch werden.



    Liebe Schwestern und Brüder, Christen können nie und nimmer postfaktische Menschen sein. Persönliche Gefühle und Emotionen sind gut und wichtig. Nur dürfen wir uns von Ihnen allein nicht bestimmen lassen. Erst recht nicht von gesellschaftlichen Stimmungen, die einseitig negativ sind oder auf Lüge, Verwässerung und Beschönigung aufbauen.



    Das Christentum setzt auf Fakten und Wahrheit. Jesus Christus selber ist das Faktum Gottes schlechthin. Dieses Faktum können wir nie und nimmer hinter uns lassen. Im Gegenteil: Wenn wir jedes Jahr Weihnachten feiern, dann rufen wir uns dieses Faktum immer wieder in Erinnerung. Jesus Christus ist keine Legende oder abstrakte Idee, sondern eine konkrete Person, wahrer Mensch.



    Die erneuerte katholische Einheitsübersetzung der heiligen Schrift bringt diese Grundlage unseres Glaubens noch klarer zum Ausdruck als die bisherige Fassung. In der Geburtsgeschichte im ersten Kapitel bei Lukas heißt es in der neuen Übersetzung gleich dreimal: „Es geschah“. Schaut man in die lateinische Fassung der heiligen Schrift, heißt es an diesen drei Stellen immer: factum est, d. h. Es ist faktisch. Es ist konkret geschehen. Gleich zu Beginn des Weihnachtsevangeliums heißt es: „Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen“ (Lk 2,1). Wenig später: „Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, und sie gebar …“ (vgl. Lk 2,6f). Und noch einmal: „Und es geschah, als die Engel von ihnen in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Lasst uns nach Bethlehem gehen …“ (Lk 2,15).

    Der Evangelist Johannes bringt das Faktum der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zu Beginn seines Evangeliums auf die knappe Formulierung: „und das Wort ist Fleisch geworden.“ Wiederum auf lateinisch: Verbum caro factum est. (Joh 1,14)



    Liebe Schwestern und Brüder, dieses Faktum der Menschwerdung Gottes vor 2000 Jahren in Bethlehem ist alles andere als Romantik. Der Kontext der Geburtsgeschichte ist die Gewaltherrschaft der Römer, die Tyrannei des Herodes. Zu dieser Geburtsgeschichte gehört Mord, Flucht und Vertreibung dazu. Allein die eine Ortsangabe „Syrien“ (Lk 2,2) bringt uns die Dramatik in unbeschreiblicher Weise auf den Punkt – damals wie heute. Das Neue Testament ist in den Regionen entstanden, aus denen die Menschen jetzt zu uns kommen. Wer gerade jetzt meint, vom christlichen Abendland reden zu müssen, muss sich darüber im Klaren sein, wo unsere religiösen und kulturellen Wurzeln wirklich liegen, nämlich im Morgenland.



    Je länger ich über das Weihnachtsevangelium nachsinne, umso deutlicher wird mir: Die Fakten von damals finden sich wieder in den Fakten von heute. In Flucht und Vertreibung, in Migration und Trennung, in Hunger und Elend, in Krieg und Terror, in Gewalt und Verfolgung. Leider jetzt auch in Berlin. Menschen sind dort Opfer einer entsetzlichen Gewalttat geworden, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Manche haben schon sehr schnell versucht, die Opfer von Berlin für ihre politischen Absichten zu instrumentalisieren. Das ist nicht akzeptabel. Warten wir auch hier auf die Fakten, die uns verstehen helfen, was dort geschehen ist. Und die uns helfen, die richtigen Schlüsse zu ziehen.



    Liebe Schwestern und Brüder, zu den Fakten von Weihnachten gehört noch mehr: zu ihnen gehören die Menschen, die mit Gott in Berührung kommen, sich von ihm anrühren lassen. Etwa gehört dazu eine Maria, die fragt und nachdenklich wird. Sie lässt Gottes Plan geschehen: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“, antwortet sie dem Engel. Dazu gehört ein Josef, der ebenfalls in diese Pläne einwilligt, obwohl sie ihm ziemlich dunkel vorkommen. Mit keinem Wort äußert er sich in der Heiligen Schrift. Für ihn gilt genauso wie für Maria: „Mir geschehe“. Schließlich gehören zu den Fakten von Weihnachten die Hirten, die sich auf dieses Geschehnis einlassen. Sie folgen der Botschaft der Engel und gehen zur Krippe hin. Sie stellen fest, dass es genauso ist, wie ihnen gesagt worden ist.



    Das Leben der Menschen, die mit dem Jesus Christus in Berührung kommen, verändert sich – auch heute. Manchmal fundamental, manchmal eher verborgen im Innern. Sie werden selber zu Fakten Gottes: Menschen, mit denen etwas geschehen ist. Menschen, die bezeugen, dass diese Welt nicht verloren, sondern von Gott geliebt ist. Menschen, die nicht negative Stimmungen erzeugen, sondern positive und friedliche Fakten schaffen.



    Liebe Schwestern und Brüder, zum Weihnachtsfest wünsche ich uns, dass wir mehr und mehr zu Fakten Gottes werden können: dass wir keine verwässerten oder halbwahren Menschen sind; sondern echte, authentische Menschen, die von Gott, vom Kind in der Krippe berührt und verändert werden.
  • Eröffnungsansprache zum Erneuerungsprozess am 12. November 2016 / St. Marien-Dom / Hamburg / 12. 11. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort!



    HERR, ERNEUERE DEINE KIRCHE UND FANGE BEI MIR AN



    1. Einführung



    Liebe Schwestern und Brüder,

    ich freue mich, dass Sie sich heute so zahlreich auf den Weg gemacht haben. Es ist ein gutes Zeichen, dass wir uns gerade hier im Mariendom versammeln. Der Dom ist die Mutterkirche unseres Erzbistums und steht für die Einheit der ganzen Diözese.



    Sie sind mit vielen Fragen, Ideen, Sorgen und Befürchtungen gekommen: Was bedeutet „Erneuerungsprozess“? Schon wieder etwas Neues? Wieder ein Prozess?



    Nein! Heute vertiefen wir den schon begonnen Prozess der Pastoralen Räume und gehen ihn weiter. Der Prozess bündelt viele Fragen, die uns alle beschäftigen: Wie können wir heute und morgen Kirche für die Menschen sein? Wie entwickelt sich meine Gemeinde/Pfarrei weiter? … All diese Fragen und Anliegen haben in unserem Prozess Platz.



    Seit eineinhalb Jahren bin ich jetzt Erzbischof der katholischen Kirche im Norden. Als ich kam, kannte ich das Meiste nicht. Jetzt kann ich sagen: Die Diaspora hat mich positiv überrascht. Die kleinen, aber lebendigen Gemeinden beeindrucken mich. Ich bin gerne hier im Norden und bin mir sicher, dass uns der Prozess gemeinsam gelingen kann.



    Bei der Vorbereitung des heutigen Tages ist mir ein Bild in den Sinn gekommen: Wir können unser Bistum wie einen Baum betrachten mit Wurzeln, Stamm, Zweigen, Blättern, Früchten und so weiter.

    Im Gebet haben wir deshalb gerade Psalm 1 gehört: „Wohl dem, der […] Freude hat an der Weisung des Herrn, sie bedenkt bei Tag und bei Nacht. Wie ein Baum, der am Wasser steht, bringt er zur rechten Zeit seine Frucht. Alles, was er tut, wird ihm gut gelingen.“



    Ein starkes Bild: Ein Baum am Wasser. Wie gerne wären wir als Kirche solch ein Baum: gepflanzt am Wasser; ein Organismus, dem das, was er zum Leben braucht, nicht ausgeht; der wächst und gedeiht und aus dem Vollen schöpft. Wie gerne würden wir sagen: Alles, was wir tun, gelingt uns.

    In der Situation, in der sich unser Erzbistum gerade befindet, drückt dieser Psalm eine Sehnsucht aus. Oft erleben wir die Realität anders.



    Die finanzielle Lage des Erzbistums ist sehr schwierig. Das haben wir Anfang des Jahres mit den diözesanen Gremien ausführlich besprochen und das ganze Bistum in mehreren Veranstaltungen und durch die Sonderbeilage „Bistum auf neuen Wegen“ informiert. Zwar sinken im Moment unsere Mitgliederzahlen nicht und durch die wirtschaftliche Lage haben wir aktuell gute Kirchensteuereinnahmen. Dem gegenüber steht aber eine riesige Zahl von Kirchen, Gemeindehäusern, Kindergärten, Bildungshäusern, Schulen etc. Ihr Unterhalt kostet jedes Jahr viel Geld. Dazu kommen noch die jährlich steigenden Personalkosten und die erheblichen Pensionsverpflichtungen für unsere Schulen. Entscheidungen der Vergangenheit binden uns heute. Wir können diese Entscheidungen nicht rückgängig machen, sondern müssen jetzt vorausschauend handeln.



    Das heißt konkret: Wir müssen in unserem Haushalt in den nächsten Jahren Schritt für Schritt kürzen. Bis 2020 müssen die jährlichen Einsparungen zwanzig Millionen Euro betragen. Nur so können wir unsere Verpflichtungen einhalten und nur so bleibt uns noch Luft für Neues. Denn für 60% der anstehenden Investitionen fehlt uns schon jetzt schlicht das Geld.



    Prognosen sagen zudem, dass es bis 2050 voraussichtlich 40% weniger Kirchenmitglieder geben wird. Das heißt auch, die Kirchensteuereinnahmen sinken entsprechend. Wollen wir einen finanziellen Spielraum behalten, müssen wir mit Einschnitten um bis zu 50% rechnen.



    Eine einfache Lösung und lauter Einzelfallentscheidungen: das scheint nicht zu gehen. Dabei macht sich das Gefühl breit, dass es wirklich an die Substanz geht. Wir müssen mit weniger finanziellen Mitteln, weniger Räumen, weniger Personal auskommen.



    Es geht an die Substanz. Aber was ist unsere Substanz? Was sind unsere Wurzeln, aus denen wir Kraft beziehen? Was ist unser Stamm, der uns hält und fest macht? Was sind unsere Zweige, mit denen wir uns ausbreiten? Was sind unsere Früchte, die wir anderen anbieten können? Und: Wie können wir unseren Baum veredeln und pflegen?



    2. Christus als Mitte



    Der Baum, vom dem Psalm 1 spricht, steht am Wasser. Das Wasser durchzieht diesen Baum von der Wurzel bis zum letzten Blatt. Er wird nicht morsch, sondern der Lebenssaft fließt in jeden Ast und in jedes kleine Blatt hinein.

    Der Christ, ja die ganze Kirche, unsere Diözese ist einem solchen Baum ähnlich. Das Lebenswasser und die Lebenskraft, die uns durchziehen, empfangen wir zu allererst in Taufe und Firmung. In unserer Taufe sind wir in dieses Lebenswasser hineingenommen. Es wird uns nie daran mangeln! In der Firmung ist diese Kraftquelle auf‘s Neue besiegelt worden. Beide Sakramente empfangen wir nur einmal. Sie bergen Potenziale in sich, die wir ein Leben lang ausschöpfen und entdecken können. Jeden Sonntag, ja jeden Tag, feiern wir die Eucharistie und werden ganz von Christi Kraft erfüllt.



    Es ist unsere persönliche Beziehung zu Jesus Christus, die den Baum lebendig hält. Wenn diese Beziehung nicht lebendig ist, verkümmert der Baum Schritt für Schritt. Ich bin der festen Überzeugung: Bei allen Veränderungen in der Kirche kommen wir nicht weiter, wenn wir hier oder da die Stellschrauben ein wenig nachjustieren. Vielmehr glaube ich: Nur wenn wir unsere Beziehung zu Christus immer wieder neu pflegen, können wir Kirche sein.

    Deswegen ist das, was wir heute fortsetzen, auch kein „Strukturprozess“, sondern es ist ein umfassender Erneuerungsprozess. Christen leben immer in der Haltung der Erneuerung. Es geht darum, dass wir uns erneuern durch unsere Beziehung zu Jesus Christus. Deswegen steht über dem Prozess die Gebetsbitte: „Herr, erneuere deine Kirche und fange bei mir an“ . Diese Erneuerung kann nur gelingen durch Christus selbst und durch die Beziehung jedes Einzelnen von uns zu ihm: „Fange bei mir an!“



    Liebe Schwestern und Brüder,

    Jesus Christus ist eine lebendige Person. Als Christen glauben wir ja nicht an ein Programm, sondern wir glauben, das heißt wir vertrauen, einer Person: Jesus Christus. Er ist Mensch geworden wie wir, und will stets neu in Beziehung treten zu uns Menschen. Die Kirche lebt ganz von der Person Jesu Christi und ganz in uns. Da, wo einzelne Menschen sich von Jesus Christus ansprechen lassen, können sie auch andere ansprechen. Wer vom Evangelium Jesu Christi berührt ist, wird selber zum Evangelisten.

    Schon in der Heiligen Schrift gibt es die vier Evangelien von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Sie machen deutlich, dass jeder seine individuelle Christusbeziehung hat. Das Neue Testament ist voll von unterschiedlichen Menschen, die persönlich von Christus angesprochen wurden: seine Apostel, die zweiundsiebzig Jünger, Lazarus, Maria, Martha. Und auch die Geschichte unserer Kirche liefert durch all die Jahrhunderte ganz vielfältige Beispiele: Martin, Franziskus und Dominikus, Teresia von Avila und auch eine Theresia von Lisieux, Johannes Paul II. und Mutter Teresa. Ganz zu schweigen von den verschiedenen Seligen und Heiligen unseres Bistums: Ansgar, Answerus von Ratzeburg, Niels Stensen oder die vier Lübecker Märtyrer.



    Alle Strukturen, Institutionen und Mittel, die wir in unserer Kirche einsetzen, sollen den Menschen helfen, diese Christusbeziehung in all ihrer Unterschiedlichkeit zu leben. Unsere Gemeinden und Gemeinschaften, Familien und Freundschaften, Ordensgemeinschaften, die Kitas und Schulen und die vielen Orte kirchlichen Lebens in unserer Erzdiözese – sie sollen helfen, dass die Verbindung zum Wasser des Lebens, zu Jesus Christus selbst gelingen kann.

    Ich frage mich manchmal: Fördert das, was wir tun, die Beziehung zu Christus? Ist es dazu neutral? Oder steht es dieser Beziehung im Weg?



    3. Einheit



    Die Beziehung zu Jesus Christus stiftet die Einheit unter uns Christen. Bei aller Verschiedenartigkeit ist unsere Beziehung zu Jesus das, was uns gemeinsam ist. Sie garantiert die Einheit zwischen allen Getauften, zwischen Laien und Priestern, zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen, zwischen Alt und Jung, zwischen sozial Engagierten und geistlich Aktiven, zwischen den Alteingesessenen und den Neuen, zwischen unseren Gemeinden und Pfarreien, zwischen den drei Regionen unseres Bistums in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg und dem Gesamtbistum und natürlich auch in die Ökumene hinein. Das haben wir zusammen mit der Nordkirche auch im Ökumenischen Bischofswort zum Ausdruck gebracht: „Durch die Taufe gehören wir zu Christus und sind untereinander verbunden: […] In ihm sind wir schon eins.“



    Diese Einheit ist wie der starke Stamm des Baumes. Er sollte fest sein, um die Zweige Blätter und Früchte tragen zu können.

    Aus diesem Grund ist mir so wichtig, dass in unserem Erneuerungsprozess auch alle wesentlichen Fragen behandelt werden. Wir werden eine Lösung im Miteinander finden. Die Antworten auf diese Fragen müssen wir für unser ganzes Bistum suchen. Hier kann sich niemand heraushalten. Dann würde er sich vom Baum abschneiden und isolieren.



    4. Partizipation



    Die Äste und die Blätter des einen großen Baumes sind sehr verschieden. Manche Äste tragen andere. Manche tragen Blätter, die das Sonnenlicht einfangen. Andere Zweige tragen Früchte. Jeder Einzelne hat seine Bedeutung.



    Auch in der Kirche hat jeder sein Charisma, seine eigenen Talente mitbekommen. In einem Gebet heißt es: „Keinem gabst du alles – und keinem nichts.“ Mit unseren je verschiedenen Gaben partizipieren wir, haben wir teil am großen Ganzen der Kirche. Deswegen bitte ich Sie alle, Ihre eigenen Begabungen einzubringen. Unser Erneuerungsprozess wird nur dann an Fahrt aufnehmen, wenn jeder so mutig ist, seine Talente nicht für sich zu behalten, sondern für die anderen einzubringen. Kirche lebt von der Partizipation aller!



    5. Mission



    Je länger ich mich in das Bild des Baumes hineinvertiefe, umso deutlicher wird mir: Der Baum lebt nicht für sich, sondern er bringt Frucht. Er bietet Schutz oder ist Nistplatz für andere. Zunächst einmal hat er offenbar selber von seinen Früchten nichts, sondern er verliert sie.



    Übertragen auf unsere Kirche heißt das: Wir sind nicht Kirche für uns selber. Wir können uns als Kirche nicht mit dem Kreisen um uns selbst begnügen. Kirche sind wir immer und zuerst für die anderen, ja für die ganze Welt. Die Kirche lebt aus einer diakonischen und missionarischen Grundhaltung. Wir wollen andere mit dem Evangelium in Berührung bringen in Tat und Wort. Deswegen bin ich sehr erfreut über das große Engagement, das viele Menschen an den Tag legen in der Verkündigung des Glaubens, in der Katechese, in der konkreten Zuwendung zum Nächsten in Caritas, in der Seelsorge, in unseren Schulen und Kindertagesstätten… Nur wenn wir aus uns herausgehen, können wir für das Leben der Menschen eine Bedeutung gewinnen. „Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren; wer es dagegen verliert, wird es gewinnen.“ (Lk 17,33)



    6. Prozess



    Unser Erzbistum ist das jüngste in Deutschland mit gerade einmal einundzwanzig Jahren. In diesen einundzwanzig Jahren ist vieles gewachsen. Viele junge und alte Menschen sind tief in Christus verwurzelt und es gibt enorm viel Gesundes und Fruchtbares in unserem Erzbistum.

    Bäume, die gesund wachsen und reiche Frucht bringen sollen, müssen gepflegt und regelmäßig zurückgeschnitten werden. Jesus selbst greift das in seinem Gleichnis vom Weinstock und den Reben auf (vgl. Joh 15, 1-8).



    Ich glaube, dass auch für die Kirche immer wieder ein solcher Moment kommt. Das soll jetzt in unserem Erzbistum in einem klugen Prozess mit verschiedenen Projekten geschehen. Der Prozess wird professionell begleitet und gut kommuniziert. Es bleibt unsere Aufgabe, richtige Fragen zu stellen und passende Antworten zu finden. Deshalb ist es mir auch ein Anliegen, dass sich in den verschiedenen Projekten viele Menschen beteiligen.



    Ich glaube daran: Jeder einzelne von uns erneuert sich nur in dem Maße, in dem er seine Beziehung zu Jesus Christus vertieft. Deswegen ist unser Prozess zu allererst ein Prozess der religiösen Erneuerung: Was dient heute der Verwurzelung in Christus? Was dient unserer Einheit? Welche Charismen haben wir? Wie leben wir unseren missionarischen und karitativen Auftrag noch stärker?



    Diese Fragen müssen wir an alle Bereiche unseres kirchlichen Lebens stellen: an unsere Pfarreien, Schulen, KiTas, an die Verwaltung hier in Hamburg…



    Unsere Diskussionen, unsere Fragen und erst recht unsere Antworten können dabei nicht nur wirtschaftlich bestimmt werden. Das können wir nie ausklammern. Aber als glaubende Menschen zieht sich unsere Beziehung zu Jesus Christus durch alles durch. Daraus ergibt sich alles andere. Wirtschaftliche, bürokratische, technische Reformen reichen nicht aus. „Jetzt dient uns nicht eine ‚reine Verwaltungsarbeit‘“, sagt Papst Franziskus in Evangelii gaudium (Nr. 25).



    Weil Gott manchmal mit seinem Volk unbekannte Wege geht, brauchen wir für diesen Erneuerungsprozess eine große Offenheit füreinander und für Gottes Willen. Papst Franziskus ermutigt uns dazu. „Die [erneuerte] Seelsorge unter missionarischem Gesichtspunkt verlangt, das bequeme pastorale Kriterium des ‚es wurde immer so gemacht‘ aufzugeben. Ich lade alle ein, wagemutig und kreativ zu sein in dieser Aufgabe, die Ziele, die Strukturen, den Stil und die Evangelisierungs-Methoden der eigenen Gemeinden zu überdenken. Eine Bestimmung der Ziele ohne eine angemessene gemeinschaftliche Suche nach den Mitteln, um sie zu erreichen, ist dazu verurteilt, sich als bloße Phantasie zu erweisen“ (Nr. 33). Deswegen braucht es eine kluge geistliche Unterscheidung.



    7. Vertrauen und Beten



    Das was, wir vor uns haben, ist nicht gerade wenig. Deswegen möchte ich zum Abschluss auch für Gelassenheit werben. Denn man kann keinen Baum zum Wachsen zwingen, nur gute Bedingungen schaffen. Die Erneuerung geht zu allererst von Christus aus: „Herr, erneuere deine Kirche…“

    Ich bitte um Ihr Mittun und vor allen Dingen um Ihr aller Beten. Der Kanon „Herr, erneuere deine Kirche und fange bei mir an“ ist die Leitmelodie, die all unser Reden, Fragen und Suchen durchzieht.



    Herr,

    erneuere deine Kirche

    und fange bei mir an.
  • Predigt zum Todestag der Lübecker Märtyrer / Prosteikirche Herz Jesu Lübeck / 10. 11. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort





    Liebe Schwestern und Brüder,



    „Die verlorene Barmherzigkeit“. In diesem Buch berichtet der russische Schriftsteller Daniil Granin von einer persönlichen Erfahrung: Nach einem schweren Sturz auf einer der Straßen Leningrads lag er blutüberströmt am Boden – und keiner hat sich um ihn gekümmert: „Verlorene Barmherzigkeit“.



    Daniil Granin beklagt, dass in der modernen sowjetischen Gesellschaft offenbar für Barmherzigkeit kein Platz mehr sei. Sogar das Wort dafür – Miloserdie – war aus dem Lexikon verschwunden.



    Die Zeit der Lübecker Geistlichen im sogenannten Dritten Reich: Auch eine Zeit, in der die Barmherzigkeit verloren ging?! Eine Zeit, in der das Recht gebeugt wurde, und von „Gnade vor Recht“ keine Spur mehr festzustellen war. Eine Zeit, in der Menschen anderen Glaubens verfolgt wurden und Deutschland verlassen mussten. Eine Zeit, in der Synagogen brannten und Krematorien. Eine Zeit, in der Gewalt und Terror regierten und Kanonenkugeln Städte und Menschen vernichteten. Eine Zeit, in der Ausländer und eine Reihe anderer Menschen in ihren Rechten beschnitten wurden. Eine Zeit, der KZ’s und, und, und: Die verlorene Barmherzigkeit!



    In dieser Zeit haben die vier Lübecker Geistlichen die verlorene Barmherzigkeit nicht aus dem Auge gelassen. Als Christen haben sie aus dieser Barmherzigkeit Gottes gelebt und anderen diese Barmherzigkeit vorgelebt und weitergegeben: den Gläubigen der Gemeinden, vor allen Dingen den Jugendlichen, vielen fremdsprachigen Katholiken und nicht zuletzt polnischen Gläubigen.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    wir stehen fast am Ende des von Papst Franziskus ausgerufenen Jahres der Barmherzigkeit und die Heilige Pforte am Eingang unserer Propsteikirche hier in Lübeck erinnert uns stets daran.



    Gerade erst vor wenigen Tagen hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vor dem Rat der EKD gesprochen und ausgeführt, dass der Staat für Gerechtigkeit und Recht zu sorgen habe, dass aber die Institutionen des Staates mit der Barmherzigkeit überfordert seien. Dies sei vor allen Dingen Aufgabe der Kirche.



    Wolfgang Schäuble macht damit deutlich: Barmherzigkeit entsteht nicht allein durch die Verteilung materieller Güter oder professionelle Unterstützung. Barmherzigkeit braucht die konkrete Zuwendung von Mensch zu Mensch.



    Ob auch in unserer Zeit die Barmherzigkeit verloren gegangen ist? Menschen, die blutüberströmt auf dem Boden liegen und um die sich niemand kümmert, die kennen auch wir. Neunzehn Minuten und fünf Menschen hat es gebraucht bis einem Rentner aus Essen geholfen wurde. Er ist am 3. Oktober im Vorraum einer Bankfiliale zusammengebrochen. Vier Menschen kommen nach ihm in die Bank und erledigen unbekümmert Ihre üblichen Dinge: Geld abheben, Kontoauszüge drucken oder Überweisungen tätigen. Sie steigen über ihn drüber oder gehen um ihn herum – und tun nichts.



    Nach 19 und Minuten und vier Personen kommt dann ein fünfter Kunde und wählt den Notruf – leider zu spät. Der Rentner ist im Krankenhaus verstorben. Die Öffentlichkeit ist schockiert, von Werteverfall und Verrohung ist die Rede. Die Polizei hat die vier Personen inzwischen vorgeladen. Sie ermittelt wegen unterlassener Hilfeleistung.



    Der Psychologe Peter Walschburger hat wenig später die Situation analysiert und versucht Erklärungsansätze für das Verhalten der ersten vier Kunden zu finden. Er glaube nicht, dass mit den vier Personen zufällig nur völlig verrohte Menschen in die Bank gekommen sind. Im Gegenteil: „Der Mensch ist eigentlich von Natur aus sozial und bereit zu helfen.“, sagt Walschburger.



    „eigentlich“! Das Problem steckt vermutlich in diesem kleinen Wort: Eigentlich helfen wir alle gerne. Eigentlich ist Hilfeleistung selbstverständlich. Es gibt ein gutes Gefühl, gebraucht zu werden und etwas Gutes zu tun. Eigentlich gibt es keinen Werteverlust und keine Verrohung der Gesellschaft.



    Nur leider setzen wir allzu oft hinter das Wort „eigentlich“ das Wort „aber“: Aber ich will mich nicht blamieren. Aber vielleicht ist das ein Obdachloser, der sich ausruht. Aber ich will nicht stören. Aber ich habe es eilig. Aber andere haben ja auch nichts getan. Aber vielleicht mache ich ja etwas falsch. Wir alle kennen diese Gedanken vermutlich. [Ödön von Horváth: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“]



    Liebe Schwestern und Brüder,

    die Lübecker Märtyrer hatten mit Sicherheit genügend „Abers“. Auch sie waren wohl nicht frei von Ängsten und Zweifeln. Ihre Haltung war vermutlich angefochten – äußerlich wie innerlich. Und trotzdem haben sie aus dem Glauben die Kraft gefunden, aus ihrer eigentlichen Haltung eine tatsächliche zu machen. Sie waren nicht eigentlich barmherzig, sondern wirklich.



    Das macht die vier zu Glaubenszeugen für uns heute: Nicht eigentlich glauben, hoffen und lieben, sondern wirklich. Das Gedächtnis der vier Lübecker Märtyrer verpflichtet uns, mitten in der Welt von heute Zeugen der Barmherzigkeit zu sein. Nicht eigentlich, sondern konkret.
  • Predigt von Erzbischof Stefan Heße zum Allerheiligenfest / St. Marien-Dom Hamburg / 01. 11. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort





    Liebe Schwestern und Brüder,



    die Kirche wurzelt voll und ganz in der Auferstehung Jesu Christi. Der Auferstandene kommt als der Lebendige immer wieder in die junge Kirche hinein und schenkt ihr sein österliches Leben. Mit ihm kommt das ewige Leben in die Zeit. Mit ihm und in seiner Auferstehung kommt der Himmel auf die Erde. Damit werden Welt und Kirche aufgebrochen für die Ewigkeit.



    Die Kirche hat den Auftrag, dieses ewige Leben hier auf der Erde stets lebendig zu halten. Der langjährige Mailänder Bischof Kardinal Carlo Martini hat einmal gesagt: „Die Kirche ist nicht dazu da, Bedürfnisse zu befriedigen. Die Kirche ist dazu da, Geheimnisse zu feiern“.



    Heute am Allerheiligenfest feiern wir das Geheimnis des österlichen Lebens, das nicht nur für Christus gilt, sondern auch für unzählige Menschen, die wir als Selige und Heilige verehren. Wir schauen sozusagen wie der Seher aus der geheimen Offenbarung, von dem wir in der ersten Lesung gehört haben, hinüber in die Ewigkeit in die große Schar – die Offenbarung spricht von ein-hundertvierundvierzigtausend – die schon bei Gott leben und mitten in seiner Herrlichkeit sind. Diese Gemeinschaft ist auch unser Ziel.



    Am heutigen Allerheiligenfest wird deutlich, dass die Kirche eine Grenzgängerin ist: Sie lebt ganz von Christus, der über die Grenze des Todes hinausgeht in das ewige Leben Gottes zurück. Der aber dann immer wieder als der Lebendige die Schwelle der Zeit überschreitet und sich der jungen Kirche zeigt. Und umgekehrt am heutigen Tag: Wir schauen hinüber über die Grenze in das Land der Verheißung, des Lichtes und des Friedens, wie es das erste eucharistische Hochgebet bezeichnet.



    Die Seligpreisungen, die Jesus uns heute hinterlässt, spricht er auf einem Berg. Man hat den Ein-druck, er sitzt dort schon wie auf einem Thron und schaut herüber in die Weite, ja in die Ewigkeit. Gleichzeitig schaut er herein mitten in die Zeit und in das Leben der Menschen, die um ihn herum sind. Er gibt ihnen diese Seligpreisungen und damit die Möglichkeit, die Ewigkeit schon jetzt in der Zeit anfangen zu lassen. Wenn wir diese Seligpreisungen leben, werden wir jetzt schon die Seligkeit Gottes spüren können. Dann bricht hier und heute der Himmel an. Insofern sind die Seligpreisungen wirklich eine „Anleitung zum glücklich werden“. Man könnte sie auch ganz einfach so übersetzen: Glücklich der Mensch, dessen Herz offen ist für Gott. Glücklich der Mensch, der barmherzig ist. Glücklich der Mensch, der verzeiht … Und Sie haben es gemerkt: Am Ende bleibt Jesus nicht beim allgemeinen Menschen stehen, sondern wendet sich konkret an die, die ihn um-geben: Glücklich seid Ihr … Selig und glücklich werden wir, wenn wir uns dem Programm der Seligpreisungen zur Verfügung stellen. Versuchen wir es!
  • Reformationsempfang in Sternberg / Sternberg / 31. 10. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort





    Sehr geehrte Damen und Herren,



    in der letzten Woche wurde ich für eine Produktion des NDR zu Luther befragt. „Was schätzen Sie an Luther?“, war die Ausgangsfrage. Drei Aspekte waren es, die mir wichtig waren: die von ihm angestoßene geistliche Erneuerung, seine Verwurzelung in der Heiligen Schrift und vor allem seine persönliche Gottesbeziehung. Auch Papst Franziskus hat heute in Lund deutlich anerkennende Worte für Luther gefunden.



    Diese katholischen Würdigungen Luther machen deutlich: Wir leben im Zeitalter der Ökumene. Der Papst ist heute und morgen anlässlich des Reformationsgedenkens in Schweden, unter anderem auch Landesbischof Ulrich. Als katholischer Erzbischof bin ich heute Abend zum Reformationsempfang eingeladen. Vor rund zwei Wochen sind katholische und evangelische Bischöfe zusammen ins Heilige Land gepilgert. Aus dem Norden waren Bischöfin Fehrs und Weihbischof em. Jaschke dabei.

    Die Liste ließe sich noch fortsetzten um ökumenische Gottesdienste, gerade jetzt im Gedenkjahr und vieles mehr. All diese kleineren und größeren Zeichen sind Ausdruck der theologischen, der kirchlichen und vor allem der menschlichen Annäherung der letzten Jahrzehnte. Man könnte meinen, wenn es in diesem Tempo weitergeht, müsste nach einigen weiteren Jahren die Einheit der Christen - oder zumindest die zwischen Katholiken und Lutheranern - vollendet sein.



    Wir müssen leider auch gegenteilige Erfahrungen machen. Sie haben heute Abend die neue Lutherbibel vorgestellt. Wir als Deutsche Bischofskonferenz haben gerade mit den anderen katholischen Bischöfen im deutschsprachigen Raum die neue Einheitsübersetzung verabschiedet. Sie wird im Dezember erscheinen. Das Wort Gottes, das uns verbindet, übersetzten wir unterschiedlich. Angesichts bestehender theologischer Differenzen im Bereich der Ämter und der Eucharistie ist das fast eine Nebensächlichkeit. In bio- und sozialethischen Fragen scheint mir zudem der ökumenische Konsens in den letzten Jahren eher kleiner als größer zu werden.

    Mir ist wichtig zu betonen: Ich bin dankbar für die ökumenischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte. Ich möchte sie nicht missen. Zugleich habe ich den Eindruck, dass uns die immensen Fortschritte die – im Moment – bleibenden Differenzen noch schmerzlicher vor Augen führen.



    In dieser Situation ist es wichtig, das Erreichte weiterzuentwickeln. Papst Franziskus hat dafür heute in Lund deutliche Worte gefunden: „Wir dürfen uns nicht mit der Spaltung und Entfremdung abfinden, die durch die Teilung unter uns hervorgerufen wurden. Wir haben die Gelegenheit, einen entscheidenden Moment unserer Geschichte wiedergutzumachen, indem wir Kontroversen und Missverständnisse überwinden, die oft verhindert haben, dass wir einander verstehen.“

    Gleichzeitig müssen wir die momentan bleibenden Differenzen aushalten. Die inhaltlichen ökumenischen Annäherungen sind sicher ein Geschenk des Herrn. Mindestens genauso gnadenhaft ist aber eine anderer Aspekt: Unsere derzeit bleibenden Differenzen führen nicht [mehr] zu offenen Konflikten. Es ist hier oft von versöhnter Verschiedenheit die Rede. Sie ist zwar nicht das Ziel der Ökumene, aber sie ist ein Zwischenschritt. Hinter diesen Schritt dürfen wir auf gar keinen Fall zurück. Auch wenn sich unsere Überzeugungen unterscheiden, wir halten es aus und bleiben im Dialog. Das friedliche Aushalten von Verschiedenheit und der Dialog sind etwas zentrales, was wir der Gesellschaft anzubieten haben. Die Demokratie in unserem Land hat es nötig.



    Neben dem Aushalten bzw. der Annahme der Unterschiede gibt es aus meiner Sicht noch eine zweite aktuelle Dimension der Ökumene. Ich nenne Sie die Ökumene im Dienst. Als wir vor einigen Wochen das 25jährige Jubiläum unserer Telefonseelsorge gefeiert haben, wurde das sehr deutlich. Selbstverständlich arbeiten dort unsere Kirchen als Institutionen wie auch viele evangelische und katholische Christen als Ehrenamtliche zusammen. Auch in vielen anderen Bereichen eint uns das gemeinsame Engagement für Arme und Ausgegrenzte, Flüchtlinge oder für die Bewahrung der Schöpfung.

    Diese Ökumene im Dienst macht deutlich: Christsein ist kein Selbstzweck. Wir sind nicht für uns selber Christen, wir sind es für Gott und für die Welt. Dieses ‚für‘, das heißt unsere Proexistenz, wird uns hoffentlich auch als Konfessionen näher zusammen bringen. Unsere Lübecker Märtyrer Hermann Lange, Eduard Müller, Johannes Prassek und Karl Friedrich Stellbrink sind mit die beeindruckendsten Beispiele hierfür.



    Papst Franziskus sagte heute: „Wir werden als Christen in dem Maße ein glaubwürdiges Zeugnis der Barmherzigkeit sein, in dem Vergebung, Erneuerung und Versöhnung unter uns eine tägliche Erfahrung ist. Gemeinsam können wir auf konkrete Weise und voll Freude die Barmherzigkeit Gottes verkünden und offenbaren, indem wir die Würde eines jeden Menschen verteidigen und ihr dienen. Ohne diesen Dienst an der Welt und in der Welt ist der christliche Glaube unvollständig.“

    Heute ist nicht nur der Auftakt für das große Reformationsgedenken. Für uns Katholiken ist heute Vorabend von Allerheiligen. Wir gedenken aller Heiligen – der großen und bekannten und auch der weniger bekannten, die nicht offiziell heilig gesprochen sind. Heilige sind Menschen, die dieses „für“ als Vorzeichen vor ihr Leben setzen konnten. Viele dieser Heiligen, dieser Zeugen haben mit ihrem Engagement unsere Kultur geprägt.



    Heiligkeit ist keine Auszeichnung, sie ist unsere Berufung. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Berufung aller Gläubigen zur Heiligkeit wieder neu vergegenwärtigt [vgl. LG 39-42]. Heilig wird man nicht nur durch Heldentaten oder große Werke. Sondern ich muss mich und mein alltägliches Leben von Gott prägen lassen. Wir alle sind als Christen zur Heiligkeit – zu einem Leben und Dienst für Gott und für die Menschen – berufen. Der Apostel Petrus formuliert es so: „Seid heilig, denn ich [der Herr] bin heilig.“ [1Petr 1,16]

    Die Heiligkeit, die enge Verbindung mit Gott, mit Christus ist auch ein Weg der Ökumene. Je näher wir zu Christus kommen, je mehr wir uns für ihn öffnen, desto näher kommen wir auch als Konfessionen zusammen. „In ihm sind wir [durch die Taufe] schon eins.“, so haben wir es als katholische und evangelische Bischöfe hier im Norden in einem ökumenischen Bischofswort formuliert. In diesem Sinne freue ich mich, das Gedenkjahr 2017 als Christusfest gemeinsam zu feiern.
  • Ansprache von Erzbischof Dr. Stefan Heße beim Medienempfang / Hamburg / 05. 10. 2016
    Sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich zum ersten Medienempfang des Erzbistums Hamburg. Hier, fast über den Dächern von Hamburg, in unserer katholischen Akademie.



    Gerne möchte ich mit Ihnen heute Abend ins Gespräch kommen. Meine Erfahrung ist, dass es mit Medienvertretern keinen Mangel an Gesprächsstoff gibt. Deshalb freue ich mich also sehr auf den Austausch.



    Vorab möchte ich aber ein paar Themen ansprechen, die mich persönlich bewegen:



    1. ) Erzbistum Hamburg



    Im Erzbistum stehen wir vor großen Herausforderungen. Mit den 28 Pastoralen Räumen haben wir eine gute und sinnvolle Struktur geschaffen. Die Herausforderung besteht nun darin, dass geistliche und spirituelle Leben in unseren Gemeinden zu erhalten, den Glauben zu stärken und an manchen Orten wieder aufblühen zu lassen.

    Sie wissen, dass die Kirchensteuerentwicklung im Moment positiv ist. Das darf aber nicht dazu führen, ohne Konzept Investitionen zu tätigen. Die Frage der Zukunftsfähigkeit des Erzbistums auf wirtschaftlich stabilem Fundament ist daher bei uns eine weitere Herausforderung, die wir angehen. In der Diaspora befinden wir uns dabei in einer besonderen Laborsituation: Entwicklungen sind hier deutlich eher ablesbar als in anderen katholischeren Gegenden.



    Hier im Norden, in der Diaspora, katholische Christin/katholischer Christ zu sein, geht fast nur in großer Entschiedenheit. Gerade in ländlichen Gebieten halten die Gemeindemitglieder über große Entfernungen hinweg Kontakt, treffen sich zu Gottesdienst und Gespräch, sie wallfahrten und vergessen auch das Feiern nicht.



    Ökumenische Akzente setzten wir hier im Norden während des Reformationsgedenkens mit drei ökumenischen Feiern, die wir gemeinsam mit der Nordkirche begehen wollen: Mit dem ökumenischen Kreuzweg am Karfreitag in Lübeck, der ökumenischen Ostervesper im Mariendom und dem ökumenischen Pfingstfest in Schwerin. So wird auch in unserer Region das Verbindende stärker betont und miteinander gefeiert.



    2.) Flüchtlingsbeauftragung



    Vor einem Jahr wurde ich Sonderbeauftragten für Flüchtlingsfragen. Nun hat mich die Vollversammlung der Bischöfe am 20. September als Leiter der Migrationskommission gewählt.



    Damit ist ein Megathema aufgerufen: Denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Integration von Menschen, die zu uns als Flüchtlinge gekommen sind, das gesellschaftliche Miteinander in Deutschland, aber auch innerhalb Europas und sogar weltweit in den nächsten Jahren bestimmen wird.

    Wir als Christen bringen unsere Erfahrungen mit ein. Bei uns leben Menschen schon lange in Gemeinden zusammen und schaffen ein neues Zuhause.



    Wir stehen in vielen Bereichen am Anfang, dürfen aber auch mit ein bisschen Stolz und Zuversicht auf das schauen, was wir in der kurzen Zeit unter enormem Druck geschafft haben. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich gelungene Beispiele von Integration sehe, etwa an unseren Schulen, wenn dort junge Menschen ohne Probleme aufgenommen werden und den Alltag bereichern.



    Ich freue mich darüber, dass die Hilfe, die die Ehrenamtlichen vor Ort leisten, nicht abnimmt. Auf der Homepage unserer Flüchtlingshilfe können Sie sich interaktiv über mehr als 100 Projekte informieren, in der ganzen Bandbreite vom Sprachkurs bis zum Flüchtlingscafé.



    Letztlich hat es sich gezeigt, dass Deutschland organisatorisch nach anfänglichen Problemen doch die Kraft hat, solche Herausforderungen zu stemmen. Problematisch bleibt es, dass diese zutiefst christlich zu begründende Nächstenliebe nach einer ersten Euphorie nun von Teilen der Bevölkerung nicht gesehen oder aber in einer Art Neiddebatte unterzugehen droht, die Menschen in Not gegeneinander ausgespielt werden.



    Unserem Sprechen, unserer Wortwahl – wie wir Sachverhalte beschreiben oder über Menschen sprechen, kommt eine große Bedeutung zu. Dort nämlich, wo durch Sprache Stimmungen erzeugt werden. Ich wünsche mir in diesen Fällen eine Abrüstung, eine Mäßigung und eine Rückkehr zur vernunftgesteuerten Ausdrucksform: „Kühler Kopf und helfende Hand sind nötiger als je“.



    Wenn in ein paar Jahren auf diese prekäre Lage in Europa und Deutschland geschaut wird, dann wird vielleicht auch mit Stolz resümiert werden können, dass auch das Engagement angesichts der konkreten Not gezeigt hat, wie eine Gesellschaft doch zusammenhält und die einzelnen immer mehr erkennen, wie das Globale sich dann bis ins Lokale auswirken kann.



    3.) Soziale Medien



    Seit Jahren sind wir Zeugen einer immer größeren Individualisierung bei der Mediennutzung. Die Grenzen bei der Mediennutzung sind für Leser, Hörer, Zuschauer und Nutzer aufgehoben. Die Mediatheken, der individuell gestaltete Radiospartenkanal, die Zeitung im Netz, das gemeinsame Portal von Zeitung, Online und Fernsehen. All das entwickelt sich in rasender Geschwindigkeit.



    Was wir in dieser großen Medienwolke als katholische Kirche versuchen, kennen Sie: katholisch.de, Domradio, unsere Radioverkündigung beim NDR und bei den großen Privatsendern, Gottesdienste und das Wort zum Sonntag in der ARD. Die Stimme der Kirche als einzelne gibt es so nicht mehr. Der Mix aus verschiedenen Angeboten auf allen Abspielwegen und Kanälen versucht die Menschen dort zu erreichen, wo sie sich noch ansprechen lassen.



    In einem ungewöhnlichen Projekt der Deutschen Bischofskonferenz: „Valerie und der Priester“ begegnen sich zwei Menschen aus verschiedenen Lebensrealitäten. Die kirchlich nicht gebundene Journalistin Valerie begleitet ein Jahr lang den Priester Franziskus. Sie dokumentiert seinen Alltag und versucht zu verstehen, warum er heutzutage Priester sein kann. Das Projekt will eine Brücke bauen zwischen denen, die wenig mit der katholischen Kirche anfangen können und jenen, die alles für Gott geben, weil ihnen der Glaube so viel gibt.



    Die hohen Klickzahlen im Netz und die vielen Berichte in verschiedenen Medien zeigen, dass hier ein großes Interesse an den Themen Glauben und Kirche allgemein, Priester sein in dieser Zeit im Besonderen besteht. Schauen Sie doch mal rein, wie dieses Experiment sich das Jahr über entwickelt.



    Erstaunt bin ich über die massiven ehrverletzenden Äußerungen, die Menschen vor allem in den sozialen Kommunikationsmitteln gegenüber ihnen oft nicht persönlich bekannten Menschen absetzen.



    Hier liegen Segen und Fluch der sozialen Medien ganz dicht beieinander. Die Kommunikation kann bereichern und Menschen verbinden. Es gibt aber auch die andere Seite: In den Kommentarspalten artikuliert sich ein Hass, der bisher versteckt war und der nun in dieser anonymeren indirekten Kommunikation zum Ausdruck kommt und möglich ist.



    Ich bin kein Psychologe, um solche gesellschaftlichen Phänomene genau deuten zu können, aber ich merke, dass sich hier etwas nicht zum Guten entwickelt und eine Unkultur entstanden ist.



    Für mich wird dann eine Grenze überschritten, wenn es nicht um Zu- und Hinhören geht, sondern um Kleinmachen, Verfolgen und Zerstören. Ich hege trotz allem die Hoffnung, dass wir Formen finden, mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen, das Schreien und Niedermachen zu überwinden.



    Ich bin froh, dass ethische und pädagogische Fragen angesichts der rasanten Entwicklungen bei den Medien und dann bei der Mediennutzung eine immer größere Rolle spielen.



    Hier haben kirchliche Institutionen und Einrichtungen Expertise aufgebaut. Sie können in der laufenden Debatte auch eine gute Hilfestellung leisten (u.a. Clearingstelle Medienkompetenz der DBK, Lehrstuhl für Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München).



    4.) Medien als Korrektiv



    Nicht erst seit den Missbrauchsskandalen in der Kirche und der Empörung über ein extravagantes Bischofshaus in der Mitte Deutschlands gehört es zu Ihrer Aufgabe als Journalisten und Publizisten, genau hinzuschauen und darüber zu berichten, was ist. Ich gebe zu, dass das zum Teil sehr schmerzlich ist. Es hat aber eine reinigende Wirkung, wenn dann Korrekturen vorgenommen oder der bisherige Kurs geändert wird.



    Ich möchte Ihnen danken, dass Sie uns so kritisch-solidarisch begleiten. Bleiben Sie uns verbunden und suchen Sie mit uns nach Wahrhaftigkeit.
  • Predigt anlässlich der Answerus-Wallfahrt in Ratzeburg / Ratzeburg / 11. 09. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort





    Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitbrüder,



    der heutige Tag und unser heutiges Fest ist 950 Jahre Gedächtnis des Märtyrertodes des heiligen Answer, 50 Jahre Kirche in Rehna und 15 Jahre Terroranschläge in New York.



    Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich selber vor 15 Jahren im Urlaub war, und bemerkte, dass irgendwie etwas anders war. Ich sah Menschen in ihren Häusern, die vor dem Fernsehapparat saßen und irgendwie waren die ganz verändert. Ich selber konnte nicht in das Fernsehgerät schauen und nicht mitbekommen, was da war. Das konnte ich später dann erst in meinem eigenen Zimmer über englische Nachrichten. Es waren noch keine Bilder da, aber es lief immer ein Band unten unter dem Bildschirm und da war auf Englisch zu lesen: Twin towers are collapsed. Kollabiert. Irgendwie habe ich gedacht, da ist der Strom ausgefallen. Da ist eine Panne. Da ist irgendetwas nicht in Ordnung und das ist bei diesen Riesenbauten ein Riesenproblem. Ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass Flugzeuge in diese Türme hineingefahren und –geflogen sind, und diese Türme kollabiert waren. Das war für mich jenseits aller Vorstellung, die ich mir damals hätte machen können. 15 Jahre ist das her. Wir wissen, dass die Täter von damals das auch aus religiösen Motiven getan haben, dass sie sich auf Gott berufen haben, und sozusagen eine religiöse Verpflichtung darin gesehen haben, dieses Werk ausführen und durchführen zu müssen, um diesem Gott, an den sie glauben, Durchbruch zu verleihen.



    Liebe Schwestern und Brüder, dieses Gedenken, heute vor 15 Jahren, hat mich auf die Frage gebracht, was ist denn unser Gottesbild. Was ist denn unser christliches Gottesbild, dem wir Durchbruch auf dieser Erde verleihen wollen? Wenn wir das geklärt haben, können wir im zweiten Schritt uns Gedanken machen, wie man das denn wohl am besten tun kann. Da spricht dieses Evangelium, das an diesem Sonntag überall in der katholischen Kirche verlesen wird, Bände. Das Evangelium von der Frau, die eine Drachme sucht, von dem Menschen, der ein verlorengegangenes Schaf sucht. Und wenn wir die lange Fassung genommen hätten, dann hätten wir noch gehört von dem Vater, der auf seinen verlorenen Sohn wartet. Die drei stehen im 15. Kapitel bei Lukas alle hintereinander. Und diese drei Gleichnisse bringen unser christliches Gottesbild wahrscheinlich wie kaum ein anderer Text zum Ausdruck.



    Das erste, was mir aufgefallen ist, und was für mich dann eine Aussage über Gott ist: Gott gibt niemanden auf. Gott schreibt niemanden ab. Ich glaube, das ist ein Gedanke, den wir uns bewusst immer wieder vor Augen führen müssen. Wir leben ja, wie man heute so sagt – naja, wir haben verschiedene Begriffe für unsere Gesellschaft – aber ein Begriff, der immer wieder einmal zu hören ist: Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Wir haben so viel, und da kommt es nicht auf dieses und jenes an. Also weg damit. Da könnte man ja meinen, wenn du 99 Drachmen hast, dann kannst du die eine auch abschminken. Und wenn du 99 Schafe hast, was macht den Kohl noch fett wegen dieses einen Schafes. Nein. Unser Gott ist kein Wegwerfgott, der die Dinge oder die Menschen einfach so wegwirft und sagen würde: Einen mehr oder weniger darauf kommt es nicht an. Nein, Gott schreibt niemanden ab und lässt niemanden fallen. Jeder Einzelne, jeder Klei-ne, jeder vielleicht noch so Unbedeutende spielt für unseren Gott eine Rolle. Liebe Schwestern und Brüder, weil das so ist, und das ist dann der zweite Charakterzug unseres Gottes, der in diesen Gleichnissen zum Ausdruck kommt, weil das so ist, geht Gott jedem nach. Mir ist das noch einmal im Vergleich deutlich geworden. Bei dem Gleichnis vom barmherzigen Vater und dem verlorenen Sohn, das wir ja nicht gehört haben, da haben wir immer so die Vorstellung: Der Vater wartet und wartet und wartet. Aber bei den beiden anderen Texten von der Drachme und dem Schaf, da ist nicht einfach nur das Warten, also ich setze mich in meinen Sessel und warte und warte und warte, sondern da wird zum Ausdruck gebracht, die Frau, der Hirte, sie suchen. Sie gehen aktiv vor. Sie gehen auf das verlorene Schaf zu. Sie stellen sozusagen alles auf den Kopf, auch bei der Suche nach der Drachme. Wo mag sie sein? Ein Gott, der nach den Menschen sucht, der ihnen nachgeht.



    Liebe Schwestern und Brüder, Julien Green hat in dem Vorwort zu seiner Autobiographie den interessanten Gedanken niedergeschrieben im Rückblick auf sein Leben: Mein Gott, wieviel Zeit hast du für mich investiert. Ihm wird im Rückblick auf sein Leben klar, dass Gott ihn nicht verlassen hat, dass Gott nicht irgendwo ist, sondern dass Gott einer ist, der sich um ihn kümmert. Und zwar nicht eben mal so, sondern, wie er sagt, mit wieviel Zeit. Mit wieviel Kraft kümmerst du dich um mich. Mit 50 Jahren schreibt man noch keine Biographie. Wer weiß, ob ich das jemals tue. Aber es würde einmal den Gedanken lohnen, auf unser Leben zurückzuschauen, und sich zu fragen: Gibt es auch bei mir diese Punkte, wo ich sagen kann, Gott sucht mich. Gott bringt ziemlich viel Zeit damit zu, sich um mich zu kümmern. Oft haben wir ja den Eindruck: Der kümmert sich um die an-deren, aber nicht um mich. Lassen wir ruhig mal die anderen beiseite und versuchen wir nachzuspüren: Kümmert sich Gott um mich? Kann ich das als Christ, als Christin sagen? Könnte ich das schreiben? Wie Green, in meiner Lebensbiographie?



    Gott schreibt keinen ab. Gott sucht nach den Menschen. Und dann das Letzte: Gott hat Freude am Menschen. Das ist bei dem verlorenen Sohn genauso wie bei der Drachme und bei dem Schaf. Am Ende steht ein ganz großes Freudenfest. Jetzt müssen wir feiern. Und manchmal habe ich den Eindruck, wir sind ein bisschen so, wie dieser Sohn, der immer zu Hause geblieben ist, und nie das Weite gesucht hat und der sich kaum über die Rückkehr seines Bruders freuen kann, sondern wie ein Muffel dasteht. Für den schlachtest du das Kalb und ich kriege nichts. Gott freut sich am Menschen und beinahe würde ich sagen, Gott bereitet uns Menschen immer wieder ein Fest der Freude. Wir brauchen das gar nicht selber zu organisieren. Wir brauchen uns die Party nicht selber zu machen. Sondern Gott bereitet sie uns vor, und will ein Freudenfest für jeden einzelnen Menschen halten.



    Liebe Schwestern und Brüder, über den heiligen Answer wissen wir relativ wenig. Aber wir wissen, dass er Mönch war hier in Ratzeburg. Wenn ein Mönch ins Kloster geht, so sagt das jedenfalls der heilige Benedikt, dann ist die erste Motivation, um Gott zu suchen. Deswegen gehe ich davon aus, dass Answer ein Gottsucher war. Einer, der nicht nur als junger Novize am Beginn seines Ordenslebens nach Gott gesucht hat, sondern der Mönch sucht tagein tagaus immer wieder neu nach Gott. Einer, der nach diesem Gott gesucht hat, der längst schon auf der Suche nach ihm war. Answer war einer, der nach einem Gott gesucht hat, der keinen Menschen abschreibt. Egal wo er anzusiedeln ist auf der Hierarchie des Lebens und der Vergleiche, die wir Menschen anstellen. Answer war sicher ein Mensch, der nicht nur die Härten des Klosterlebens kennengelernt hat, sondern auch die Freuden, der diesen Gott gefeiert hat in der Liturgie und im Leben. Wenn wir heute sein Gedächtnis feiern, jetzt 950 Jahre nach seinem Tod, dann ist dieser Mönch uns ein Motivator, der sagt: Gerade wenn ihr da zusammenkommt, wo ich gelebt habe, wo ich gestorben bin, dann macht es genauso wie ich. Sucht nach diesem Gott und schreibt ihn nicht ab, denn dieser Gott schreibt euch nicht ab. Freut euch an diesem Gott, denn dieser Gott hat Freude an euch. In diesem Sinne, liebe Schwestern und Brüder, tun wir gut daran, das Gedächtnis des heiligen Answer hier in ökumenischer Verbundenheit lebendig zu halten. Amen.
  • Predigt anlässlich der Niels Stensen Pilgerreise / St. Marien-Dom in Hamburg / 09. 09. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort



    Liebe Schwestern und Brüder,



    zwei Jahre, also nicht besonders lang, ist Niels Stensen hier bei uns in Hamburg gewesen, 1683 bis 1685. Damals war es eine ziemlich kleine katholische Gemeinde hier vor Ort, ganz wenige Katholiken, und zu allem Überfluss heillos zerstritten, so dass Niels Stensen zwischen die Fronten geriet und wahrscheinlich auch deswegen nach so kurzer Zeit schon weg war und in Schwerin eine neue Herausforderung, eine neue Aufgabe für sich gefunden hat. Das werden Sie alles sicher im Laufe der nächsten Tage noch weiter erfahren, wenn Sie diesem Seligen auf seiner Spur folgen.



    Heute ist Hamburg immer noch eine Diaspora, obwohl das Bistum wächst. Das Erzbistum hat gerade bei der jüngsten Statistik die Marke von 400 000 Katholiken überwunden. Aber um es gleich ehrlich zu sagen, wir wachsen hier in Hamburg nicht deswegen, weil wir so missionarisch wären und weil alle Welt sagt: „Mein Gott, bei denen muss ja was los sein. Das machen wir auch“. Wir wachsen, weil viele Menschen in unsere Stadt ziehen, und zwar viele fremdsprachige Katholiken. Ein Drittel der Katholiken hier in Hamburg kommt aus anderen Ländern und spricht andere Sprachen. Wenn Sie am Sonntagmittag hier um 12.00 Uhr den Mariendom besuchen, dann ist er voll mit Portugiesen und ein paar Stunden später mit Kroaten. An den großen Feiertagen Ostern oder Weihnachten geht es hier rein und raus in den verschiedenen Sprachen. Für mich als neuer Bischof hier in Hamburg ist es auch ein Lernprozess, dass die Katholiken anderer Muttersprache genauso meiner Sorge bedürfen wie die Deutschen. Das ist ein großes Plus der katholischen Kirche, dass wir keine Nationalkirche sind in verschiedenen Sprachgruppen, sondern eine Universalkirche. Deswegen ist der katholische Bischof immer für alle da, egal welche Sprache sie sprechen.



    In den eineinhalb Jahren, die ich jetzt hier bin, habe ich schon viel kennengelernt. Aber ich lerne auch immer wieder Neues kennen. Fünfzig Jahre habe ich im Rheinland gelebt und ich muss Ihnen sagen, hier ist eigentlich alles anders. Aber das macht das Ganze spannend. Wenn man immer im selben Fahrwasser und Trott ist, dann wird es irgendwann eingefahren und ich freue mich darauf, dieses Bistum, diese Menschen, diese Situation immer weiter kennenlernen zu können. Auch wenn ich noch nicht sagen kann, dass Hamburg meine Heimat ist, Köln ist es nicht mehr. Hamburg ist aber für mich schon ein gutes Zuhause geworden und ich bin froh, hier Bischof sein zu dürfen in dieser spannenden Situation, weil ich glaube, dass wir hier in Hamburg etwas erleben, was in vielen Teilen Deutschlands noch auf uns zukommen wird.



    Neulich bekam ich eine Landkarte vom Bonifatiuswerk aus Paderborn zugeschickt über die konfessionelle Landschaft in Deutschland. Da fiel mein Blick natürlich direkt auf das Erzbistum Hamburg und darunter stand dann sehr klar: 7 % Katholiken. In Hamburg sind es ein paar mehr, aber auf das ganze Bistum gerechnet, kommen wir etwas tiefer, bei diesen 7 % raus, weil zu unserem Bistum ja auch der mecklenburgische Teil gehört, und dort sind nur 3 % der Bevölkerung katholisch, 17 % evangelisch und der Rest nichts. In Passau, um einmal einen kleinen Vergleich zu bieten, sind es nicht 7 sondern 70 %. Deutschland ist sehr bunt und sehr verschiedenartig, auch was die Konfessionen anbelangt. Wir sind nicht nur als Katholiken in der Diaspora, sondern wir leben hier oben als Christen in der Diaspora. Hier in Hamburg sind gerade mal 40 % der Menschen getauft, 60 % nicht. Und wie gesagt, in Mecklenburg 20 zu 80. Aber ehrlich gesagt, deswegen müssen wir hier nicht Trübsal blasen. Das brächte sowieso nichts. Ich bin mittlerweile der Überzeugung, dass Diaspora nicht einfach Minderheit bedeutet oder gar Minderwertigkeit, sondern dass Diaspora auch etwas ist, was Stärke hat, dass Diaspora eine kirchliche Situation ist mit großer Kraft. Ehrlich gesagt, auch wenn wir eine kleine Ortskirche sind, in allen Teilen unseres Erzbistums nehme ich wahr, dass man auf uns baut, dass man mit uns rechnet, und dass wir eben nicht wie die Letzten der Mohikaner aufgefasst werden. Einen Vorteil, den wir hier oben haben; wir haben wenige Ballast. Aus meiner Zeit als Generalvikar in Köln hatte ich immer wieder die Frage: Wie können wir uns von diesem und jenem befreien, weil man auch da gar nicht mehr die Kraft hat, das alles zu tragen und zu bewerkstelligen. Hier haben wir weniger, weniger Geld, weniger Personal, weniger Stellen, weniger Gebäude. Das macht frei. Manches Mal denke ich an das Wort Jesu: „Nehmt nichts mit auf den Weg“. Ich glaube ganz im Sinne unseres jetzigen Papstes – die Kirche der Gegenwart soll mobil sein. Und ich erlebe uns als ziemlich immobil, vielleicht auch wegen der vielen Immobilien, die es da gibt. Und die dann leider oft an der falschen Stelle stehen, jedenfalls nicht da, wo das Leben spielt.



    Liebe Schwestern und Brüder, die Menschen hier oben im Norden, so erlebe ich das, sind unserer Kirche gegenüber nicht abgeneigt. Die wissen eigentlich so gut wie gar nichts, und deswegen haben sie auch wenige Vorurteile. Im Gegenteil manchmal wundern sie sich, dass es überhaupt noch hier und da Katholiken gibt. Vor einiger Zeit bin ich mit dem Fährschiff nach Amrum zur Firmung übergesetzt. Nach ein paar Jahren war der Pfarrer froh, dass endlich fünf Firmlinge zusammengekommen sind. Mein Vorgänger hat auf Helgoland übrigens einmal einen alleine gefirmt. Helgoland gehört ja genauso zu uns wie Amrum, Föhr, Sylt. Wir haben sechs Inseln. Wir fuhren mit dem Schiff rüber und dann sah ein Bediensteter im Bordrestaurant den Pfarrer und mich. Er erkannte uns am Kragen und meinte, ob wir von der Kirche wären. Ich habe uns dann vorgestellt, und als er hörte „katholisch“, da meinte er: Gibt es hier Katholiken? Wirklich? Immerhin auf Amrum eine Gemeinde von 100-150 Katholiken. Kleine Gemeinden, kleine Kirchen - dieser Dom ist schon eine der Großen - aber damit auch eine Nähe. Wenn ich bedenke, wie weit der Bischof in einer flächenmäßig großen Diözese von seinen Gemeinden weg ist, dann kann ich nur sagen: Der Bischof von Hamburg hat die Möglichkeit, nah bei den Gemeinden zu sein. Ich will nicht sagen, dass ich jeden kenne. Aber ich kenne viele wieder und weiß bei manchen, wo ich sie so ungefähr hin-stecken muss. Diese persönliche Nähe, die nicht nur zwischen dem Bischof und seinen Gemeinde gilt, sondern auch in den Gemeinden – man kennt sich hier als Katholiken – das ist ein großes Plus. Etwas, das Sie wahrscheinlich auch in Dänemark wieder erleben werden, das gibt es auch hier bei uns. In vielen Gemeinden versammelt man sich nach dem Sonntagsgottesdienst noch zum Kirchenkaffee. Man fährt nicht einfach wieder direkt nach Hause, sondern man bleibt, jedenfalls dann und wann, zusammen und tauscht sich aus und begegnet sich. Dadurch kennt man sich und manchmal denke ich an dieses schöne Wort Jesu: „Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich“. Das ist hier greifbar und spürbar. Und weil wir so Wenige sind, liebe Schwestern und Brüder, kommt es auf jeden Einzelnen an. Damit wird mir deutlich: Die Kirche lebt nicht von Strukturen, die Kirche lebt nicht von äußeren Mitteln. All das mag hilfreich und gut sein, aber die Kirche lebt zuallererst von Personen, von Menschen. Alles in der katholischen Kirche ist zuallererst persönlich und personal. Deswegen muss ich als Bischof nach diesen eineinhalb Jahren hier sagen, die größte Priorität hat für mich die Stärkung dieser Person, modern sprechen wir von Personalentwicklung. Das tut man in Unternehmen so. Das macht unsere Personalabteilung aus gutem Grund so. Aber das gilt eigentlich für jeden Christen. Im Grunde kommt es darauf an, dass die einzelnen Christen entwickelt werden, oder sich entwickeln. Das heißt, dass jeder Einzelne von uns das hebt, was er in seiner Taufe empfangen hat und realisiert, welch großer Schatz das ist, den wir da haben. Liebe Schwestern und Brüder, wenn es uns dann noch gelingt, in das Leben der Menschen hineinzukommen, hinzugehen und dazu sein, wo die Menschen sind, um an ihr Leben anzuschließen. Wenn wir ihnen dann noch ein bisschen von Gott, von seiner Größe und Liebe, ins Leben bringen können, dann sind wir Kirche in der Diaspora, die sich nicht versteckt, sondern die ist wie der Sauerteig, der den ganzen Teig durchsäuern möchte. Wir brauchen gar nicht so viele zu sein. Die Masse allein macht es ja nicht, sondern die Qualität. Damit sind wir bei unserem Glauben. Ich bin der Überzeugung, dass ein Mann wie Niels Stensen das damals schon gespürt und erlebt hat, und dass er deswegen nicht unbedingt immer den großen Erfolg hatte. Aber dass von innen her der Glaube herausging in allem, was dieser Mann getan, gesagt und gedacht hat. Das war ein sehr kreativer Kopf, der nicht nur gepredigt hat, sondern der die Menschen besucht hat, der ihnen begegnet ist und der Gott sei Dank über viele Fertigkeiten verfügte und die Menschen in ihrer Breite ansprechen konnte, als Wissenschaftler, als Geologe, als Mediziner. Diese vielen Wege, die dieser Mann in sich vereinigt hat, die müssen wir heute gehen, um die frohe Botschaft zu den Menschen zu bringen und ihnen das weiterzugeben, was uns erfüllt. Wir haben das eben im Evangelium gehört. Wovon das Herz voll ist, davon läuft der Mund über. Wenn das Herz aber leer ist, dann läuft auch nichts über. Deswegen diese Personalentwicklung vom Herzen her. In Schwerin werden Sie es sehen, das Symbol, was für Niels Stensen steht, ist das Herz mit dem Kreuz drin. Über dem Bischofssitz ist mein Wappen und in einem der Felder ist das zu sehen. Das Stensenherz, das für diesen Mann steht und für sein Leben. Wovon das Herz voll ist, läuft der Mund über. Amen.
  • Dankmesse zur Heiligsprechung von Mutter Teresa von Kalkutta / St. Marien-Dom in Hamburg / 05. 09. 2016
    Liebe Schwestern und Brüder!



    Lange Jahre war sie eine durchschnittliche und mittelmäßige Ordensfrau. Dieses Urteil gilt einer Heiligen, die vor etwa vier- oder fünfhundert Jahren gelebt hat, nämlich der großen heiligen Teresa von Avila. Man könnte es aber auch von der Heiligen des heutigen Tages sagen, jener anderen Teresa, der Mutter aus Kalkutta. Viele Jahre war sie eine sehr durchschnittliche, wenig auffällige Ordensfrau. Wahrscheinlich würde sie es auch über sich selbst sagen. Denn Heilige stellen sich nie in den Vordergrund, sondern leiden oft darunter, leiden oft unter ihrer Schwäche und Sünde besonders stark. Erst im Rahmen ihres Seligsprechungsprozesses vor einigen Jahren ist herausgekommen, dass Mutter Teresa in den letzten Jahren ihres Lebens geradezu von einer Gottesfinsternis umfangen war.



    Aber das Leben dieser zunächst sehr mittelmäßigen Ordensfrau sollte eine ganz andere Wendung nehmen.



    Wir schreiben das Jahr 1946. Mutter Teresa war längst Loretoschwester und als solche Leiterin eines Internates bzw. einer Schule. Also in einer sehr hohen Position in ihrem Orden! Sie litt damals an Tuberkulose und sollte sich einer Erholung unterziehen. Unterwegs auf der Fahrt im Zug ist es dann passiert: Die Schwester erfährt eine zweite Berufung, sozusagen eine Berufung in der Berufung. Ihre Berufung kommt auf eine neue Stufe, erfährt eine Zuspitzung, eine Vertiefung. Gott handelt dabei so, wie er es wahrscheinlich auch bei Saulus gemacht hat. Dieser wird aus dem Sattel geworfen und zunächst einmal kaltgestellt. An diesem Nullpunkt kann Gott ansetzen und Neues bewirken. Ein wenig so ist es wohl bei Mutter Teresa gewesen, die in der Krankheit an ihre Grenzen kommt, so dass Gott eingreift und ihr einen neuen Weg weist.



    Diese neue Berufung äußert sich in einer neuen Sicht, die Mutter Teresa zuteil wird. Bisher hatte sie in einer sehr geschlossenen und wohlbehüteten, ja geradezu paradiesischen Welt im Internat gelebt. Hinter den hohen Mauern des Internates ging es den Schwestern aber auch den Schülerinnen recht gut. Doch jenseits der Mauern sah das Leben ganz anders aus. Sicher wusste das Mutter Teresa, aber es hatte für sie keine Bedeutung. Es gewann keine Relevanz. Jetzt auf dieser Zugfahrt wird ihr klar, dass sie ihr Leben den Ärmsten der Armen in den Slums widmen sollte. Die neue Berufung führt zu einem neuen Sehen und Hören auf die Leiden der Menschen um sie herum.



    In London im Jahr 1948 begegnet sie auf der Straße Obdachlosen. Einer davon hat keinen sehnlicheren Wunsch, als einmal in einem sauberen Leinen schlafen und sogar sterben zu können. Später auf den Straßen Indiens sieht Mutter Teresa Menschen, die durch das Kastenwesen hindurchgefallen sind, und die niemand mehr beachtet. Sie sieht wie Menschen in den Straßen dahinsterben und die einzigen, die sich an ihnen zu schaffen machen, sind die Ratten. Mutter Teresa nimmt solche Menschen in ihr Sterbehaus auf, und will ihnen gerade in der letzten Phase ihres Lebens beistehen und einen guten Heimgang ermöglichen. Sie kümmert sich um die Sterbenden und um die Kranken. Und so wie sie das Ende des menschlichen Lebens im Blick hat, hat sie auch den Beginn des Lebens im Blick. Immer wieder macht sie in aller Öffentlichkeit darauf aufmerksam, dass durch die Abtreibung menschliches Leben getötet wird.



    Eine neue Berufung – eine neue Sicht auf den Menschen – und all dies führt zu einer: neuen Tat, zum neuen Handeln. Fortan gilt für Mutter Teresa: Geben und lieben, bis es weh tut! Sie verschreibt sich einer großen Demut, die förmlich zu einem Dien-Mut wird und sich unter die Ärmsten beugt.



    Neue Berufung, neue Sicht, neue Tat und all dies mündet schließlich ein: In neues Leben, in eine neue Lebensgemeinschaft, die Mutter Teresa mit den Missionarinnen der Nächstenliebe gründet. Ihr Lebensmotto: absolute Armut. Und dies nicht als Selbstzweck oder Selbstkasteiung, sondern weil die absolute Armut als Gegenpol das absolute Vertrauen mit sich bringt.



    Ich bin dankbar, dass wir seit 25 Jahren hier in unserer Stadt Hamburg Missionarinnen der Nächstenliebe mitten unter uns haben und ich freue mich, dass Sie, liebe Schwestern, heute und auch schon in den vergangenen Tagen während der Novene mit uns hier im Mariendom gemeinsam feiern. Sie sind hier in Hamburg wirklich Missionarinnen. Unsere Stadt ist sehr säkular; die meisten Menschen hier in Hamburg gehören keiner Religion an. Deswegen bin ich Ihnen für Ihren Dienst hier sehr dankbar. Sie verkünden mit Ihrem Tun die Liebe Gottes. Diese Sprache versteht jeder, der es möchte. Gott sei Dank gibt es nicht nur die Missionarinnen der Nächstenliebe, sondern auch einen männlichen Ordenszweig und hier bei uns in Hamburg auch – so nennen Sie das – Laienmissionarinnen, die mit Ihnen zusammen in unserer Stadt wirken. So setzen Sie das Wirken Mutter Teresas hier bei uns in Hamburg fort. Ihre Ordenskleidung, der weißblaue Sari ist unübersehbar und er erinnert viele Menschen an Mutter Teresa.



    Bei der Seligsprechung von Mutter Teresa im Jahr 2003 hat Papst Johannes Paul II. sie eine „Ikone der Barmherzigkeit“ genannt. Wir feiern jetzt das Jahr der Barmherzigkeit und für den jetzigen Heiligen Vater Papst Franziskus ist sicher genau wie bei seinem Vorvorgänger auch im Bewusstsein, dass Mutter Teresa eine solche Ikone der Barmherzigkeit für uns alle sein kann. Aber auch jeder einzelne von uns kann und soll auf seine Art und Weise eine Ikone, ein Bild, ein Ausdruck der göttlichen Barmherzigkeit und Liebe sein. Und so werden wir selber zu Missionarinnen und Missionaren der Nächstenliebe – auch wenn wir keinen weißblauen Sari tragen. Amen.
  • 50jährigen Priesterjubiläums von Erzbischof em. Dr. Werner Thissen / St. Marien-Dom Hamburg / 02. 07. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort





    Liebe Schwestern und Brüder,

    lieber Werner,



    es ist fast so, als wäre vor fünfzig Jahren schon klar gewesen, dass wir heute hier dein goldenes Priesterjubiläum miteinander feiern würden. Es kann dir wahrscheinlich kein größeres Geschenk gemacht werden, als das Viertelfinalspiel heute Abend, in dem unsere deutsche Mannschaft mit dabei ist. Du bist Fußballfan. Die Hamburger wissen es mittlerweile: Ich bin es nicht. Deshalb halte ich heute auch keine Fußballpredigt. Das tun Bischöfe in diesen Wochen gern, weil man viele Vergleiche aus dem Fußball mit dem christlichen Leben, sicher auch mit dem Priesteramt, ziehen könnte. Aber weil uns das unterscheidet, will ich nicht von dem reden, wovon ich keine Ahnung habe. Das würde sicher dir am allerehesten auffallen.



    Etwas, was uns miteinander verbindet, liebe Schwestern und Brüder, ist die Musik. Werner Thissen ist nicht nur ein Mann, der auf den Fußballplatz geht oder den man vor dem Fernsehapparat am Samstagnachmittag, auch hier in Hamburg, irgendwo sehen kann. Übrigens hat er jetzt selber einen Fernsehapparat. Der sollte eigentlich erst zum goldenen Priesterjubiläum kommen, ist aber nun schon zwei Jahre vorher dagewesen. Bisher dachte er immer, so etwas braucht man nicht. Aber Samstagnachmittag sitzt er auch schon mal davor, und freut sich an einem guten Spiel.



    Schwenken wir zur Musik. Darüber kann ich ein bisschen mehr sagen. Liebe Schwestern und Brüder, Werner Thissen ist ein Mann, der gern ins Konzert geht, der auch gern einmal zu Hause bei sich die Stereoanlage aufdreht. Vielleicht ist das für ihn das größte Opfer, dass er nicht mehr im Bischofshaus wohnen kann, wo man ja als Bischof hier in Hamburg allein lebt. Abgesehen von den Nachbarn im St. Bernards Haus ist da keiner. D.h. man kann da schon mal einen Wagner und einen Bruckner richtig hochfahren. Mit Rücksicht auf seine Nachbarn an der Danziger Straße hat sich Werner Thissen ein wenig zurückgehalten, was das anbelangt. Aber die Liebe zur Musik, die ist in ihm drin. Das merkt man spätestens, wenn man regelmäßig mit ihm zusammen Gottesdienst feiert.



    Selbst wenn wir die schlichteste Werktagsmesse morgens im Ansgarhaus miteinander zelebrieren, irgendwann ist er nicht mehr zu halten. Man merkt förmlich die Emotionen, die in einem „Singet, lobt und preiset“ oder einem „Gehet hin in Frieden“ liegen. Deswegen liegt es nicht fern, aus der Musik sozusagen den Aspekt herauszuziehen, dass Musik nie harmlos und nie langweilig ist, jedenfalls gute Musik. Tiefgehende Musik birgt immer eine gewisse Dramatik in sich. Sie schwankt zwischen laut und leise. Sie variiert in den Tempi. Sie variiert in den Tonarten, im Rhythmus. All das bringt in die Musik eine Spannung. Deswegen liegt es auf der Hand, den Vergleich zu ziehen, dass Gott in seiner Schöpfung, in seiner Offenbarung und in seiner Erlösung gleichsam eine riesige Sinfonie zum Erklingen bringt. Wenn man die ersten Seiten in der Bibel aufschlägt und bis in unsere Zeit hineingeht, dann wäre das Ganze eine große abwechslungsreiche, spannende Sinfonie. Wenn der Priester sich jeden Tag ins Gebet begibt, wenn er nach Möglichkeit jeden Tag heilige Messe feiert, wenn er sein Stundengebet, das was man früher Brevier nannte, verrichtet und die einzelnen Tageszeiten betet, dann erklingt eine großartige Sinfonie. Deswegen, liebe Mitbrüder, wenn man das auf sich wirken lässt, dann kann priesterliches Leben eigentlich nie langweilig oder eintönig werden. Wenn man aber vor dieser Sinfonie sozusagen die Ohren verschließt und erstrecht das Herz, dann klinkt man sich aus und dann wird alles fad und leer.



    Der Priester bringt diese Sinfonie nicht zur Aufführung. Das tut schon Gott selber. Das braucht der Priester gar nicht. Er braucht sie noch nicht einmal zu dirigieren. Ich weiß, du wärest gern Dirigent geworden, hat mir jedenfalls jemand verraten. Aber wir brauchen nichts zu dirigieren, sondern bei dieser großartigen Sinfonie sind wir nichts weniger als Mitspieler. Wir sind nicht Dirigenten und auch nicht Zuhörer. Keiner von uns, nicht der Priester, nicht der Bischof und kein einziger Gläubiger, Sie sind nie einfach nur zuhörende Masse oder, wie im Fernsehen oder im Opernhaus, Zuschauer. Jeder Einzelne von uns ist ein Mitspieler, hat seine Rolle in dieser großartigen polyphonen Sinfonie. Deswegen ist es so wichtig, dass der Einzelne seinen Platz findet, dass wir Priester dafür sorgen, dass die Gläubigen ihren je eigenen Platz finden können.



    Wenn jeder dasselbe spielen würde, wäre das in unserer Kirche äußerst langweilig. Dann käme ein Unisono heraus. Stellen sie sich vor, unser Organist hätte heute Morgen nicht ein paar Register gezogen, sondern nur mit einer niedlichen Flöte, einem Achtfuß [Orgelregister] gespielt, die Feierlichkeit wäre weg gewesen. Das Zusammenklingen wäre gar nicht erst aufgekommen. So wie in der Orgel oder wie in der Sinfonie die einzelnen Stimmen zusammenklingen, so klingen sie aus uns allen zusammen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir sozusagen unsere Lebensmelodie entdecken, sie aufnehmen und sie dann ein Leben lang musizieren.



    Für unseren Jubilar ist ein Münsteraner Priester von großer Bedeutung in seinem Leben gewesen. Wahrscheinlich kennen viele andere ihn auch. Er hat einige Bücher hinterlassen, die bis heute unübertroffen sind und immer zu Herzen gehen. Es ist der berühmte Münsteraner Spiritual Johannes Bours. In einem seiner kleinen Bücher holte er aus den Ignatianischen Briefen einige wertvolle Verse heraus. U.a. schließt er da ein Wort für den Leser auf, das heißt: „Nimm Gottes Melodie in dich auf“. Ich glaube, dass Werner Thissen ein Mensch ist, der als junger Mann in Kleve, später beim Studium (bevor er zur Theologie kam, gab es ja noch einen Exkurs in die Betriebswirtschaft), aber dann erst recht bei der Theologie und der Philosophie, 1965 ganz gewiss bei seiner Priesterweihe durch den damaligen Bischof Josef Höffner in Münster, und erst recht danach als Kaplan, als Spiritual, als Seelsorgeamtsleiter, als Generalvikar und schließlich als Weihbischof und Erzbischof – ein Gläubiger ist, der dieses Wort für sich entdeckt und gefunden hat.



    Er hat seine Melodie gefunden. Diese Melodie, diese Stimme, die bringt er in die große Sinfonie der Kirche Gottes ein. Immer und immer wieder bleibt er bei dieser Melodie, variiert sie, improvisiert sie. Es bleibt aber immer der gleiche Kern. Diese Melodie, lieber Werner, die möge dir nie abhandenkommen. Ich wünsche dir, dass du sie auch als Emeritus immer weiter im Ohr hast, im Leben hast, dass du sie weiter summst, dass sie dir nach wie vor zur Lebensmelodie wird und bleibt und, dass du diese Melodie im großen Chor, in diese große Sinfonie mit einbringst mit uns allen zusammen. Ich danke dir von ganzem Herzen für deinen priesterlichen Dienst an den unterschiedlichsten Stellen. Ich wünsche dir Gottes Segen für deinen wohlverdienten Ruhestand. Damit das, was ich jetzt versucht habe in der Predigt auszudrücken, für dich Gestalt annehmen kann, damit du es gleichsam durchleben und vertiefen kannst, schenkt dir das Erzbistum heute nicht nur ein schönes Fest, sondern gleich auch ein paar Karten für die Oper.



    Herzlichen Glückwunsch und Gottes Segen!

  • Morgenandacht - Lübecker Märtyrer / NDR Info / NDR Kultur / 25. 06. 2016
    „Meine geliebte Hildegard! Nun hat alles Warten ein Ende, der Weg liegt endlich wieder klar vor mir, und das Ziel ist uns Christen ja bekannt. Wie oft habe ich davon gepredigt; nun ist es bald erreicht. Da gilt mein erstes Wort dem treuen Gott, der mich so tausendfach in meinem Leben bewahrt und mit unendlich vielen Freuden erfreut hat. – Wahrlich, es ist nicht schwer zu sterben und sich in Gottes Hand zu geben.“

    So verabschiedete sich der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink am 10. November 1943 von seiner Frau. Anschließend wurde er zusammen mit den katholischen Priestern Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange hingerichtet. Diese vier als Lübecker Märtyrer bekannt gewordenen Geistlichen hatten sich zuvor kritisch über das Naziregime geäußert. Vor fünf Jahren wurden sie seliggesprochen. Heute feiert die Kirche ihren Gedenktag.

    Sie und die 18 Laien, die mit Ihnen 1942 verhaftet wurden, sind Zeugen der Liebe, der Menschlichkeit und des Glaubens in einem der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte und der Kirchengeschichte. In einer Zeit der Diktatur und Verfolgung haben sie sich nicht gescheut, für die Wahrheit einzustehen.

    Sie sind Märtyrer, das heißt, sie sind wegen ihres Glaubens und ihres Engagements für andere gestorben. Sie haben dem staatlichen und gesellschaftlichen Druck des Dritten Reichs nicht nachgegeben. Christliche Werte waren ihnen wichtiger als vermeintliches Recht. Unter Einsatz ihres Lebens haben sie sich für verfolgte und ausgegrenzte Menschen eingesetzt. Als Märtyrer sind sie auch Vorbild, uns heute für ausgebeutete Menschen einzusetzen und in ihnen unsere Nächsten zu sehen.

    Die Lübecker Märtyrer geben uns damit auch ein Bild für die Ökumene: Im gemeinsamen Zeugnis für Gott und die Würde jedes Menschen werden wir als Christen unterschiedlicher Konfessionen stärker zueinander finden.
  • Morgenandacht - Gastfreundschaft / NDR Info / NDR Kultur / 24. 06. 2016
    Die Urlaubssaison steht vor der Tür und Millionen Deutsche packen ihre Koffer. Lange Arbeitswochen und das Schuljahr sind vorbei. Mit dem Schiff, der Bahn, dem Flugzeug oder dem Auto geht es nach Bayern und in die Südsee. Für viele Menschen ist die Gastfreundschaft, mit der sie am Urlaubsort empfangen werden, fast genauso wichtig wie das Wetter und die Verpflegung.

    Mir kommt bei solchen Gelegenheiten oft eine Szene aus dem Lukasevangelium in den Sinn. Jesus besucht seine Freundinnen Maria und Marta. Marta ist sofort ganz davon eingenommen, für Jesus zu sorgen. Vermutlich kocht sie etwas oder bereitet das Gästezimmer. Maria dagegen sitzt einfach bei Jesus und hört ihm zu. Die Empörung ist vorprogrammiert: Marta geht zu Jesus und beschwert sich bei ihm, dass sie mit der Arbeit alleine dasteht. Doch statt ihr recht zu geben, sagt Jesus zu ihr: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.“

    Dieser Satz provoziert. Marta kümmert sich hingebungsvoll um den Gast. Anstelle von Dank bekommt sie dann noch zu hören, dass ihre Schwester Maria das besser macht, indem sie sitzt und zuhört. Diese Szene macht deutlich, worum es bei der Gastfreundschaft geht: Sich öffnen für den anderen, ihm zuhören und Raum geben.

    Heute sind tausende Menschen als Flüchtlinge in unserem Land zu Gast. Das ist eine Situation, die uns als Gesellschaft und jeden persönlich herausfordert. Es ist gut, dass wir die Flüchtlinge mit Essen, Wohnraum und vielem anderen versorgen. Aber Gastfreundschaft meint eben nicht nur Versorgung. Gastfreundschaft heißt: sich öffnen für den Gast, eine Beziehung aufbauen, das Leben teilen. Echte Gastfreundschaft geht nicht leicht, aber wenn wir sie leben und erfahren, können wir reich beschenkt werden.
  • Morgenandacht - Heimat / NDR Info / NDR Kultur / 23. 06. 2016
    Bacel, 24 Jahre aus Homs in Syrien sagt: „Wenn ich die Haustür öffne, spüre ich diese Wärme, die es sonst nirgendwo gibt. Immer, wenn ich nach Hause kam, war meine Mutter da. Wenn ich um 2 Uhr nachts kam, war sie noch wach. Sie fragt: ‚Hast du Hunger?‘ Erst wenn ich nein sagte, konnte sie schlafen. Ich habe zwei Brüder, eine Schwester und natürlich Vater und Mutter. Wir waren wie…“ Dann bricht ihm die Stimme.

    Diese Sätze von Bacel sind Teil des Video-Projekts „Keys of Hope“ von Caritas International im Internet: Flüchtlinge zeigen ihren Schlüsselbund und erzählen von ihrer Heimat. Sie setzen damit ein Zeichen der Hoffnung gegen die Folgen des nun schon fünf Jahre dauernden Krieges.

    Die Geschichte von Bacel ist nur eine von unzähligen Geschichten, wie sie Flüchtlinge erzählen können. Sie zeigen: Heimat ist kein nostalgisches Wort, es ist eine tiefe Sehnsucht in jedem Menschen nach Geborgenheit, Sicherheit, Orientierung und vor allem nach Beziehungen, nach Familie und Freunden.

    Paulus sagt im Philipperbrief: „Unsere Heimat aber ist im Himmel.“ (Phil 3,20). Wenn wir Bacel und die vielen anderen Flüchtlinge hören, klingt das fast zynisch. Auf der einen Seite verlieren Menschen auf brutale Weise ihre Heimat und auf der anderen Seite sagt Paulus, dass wir hier auf Erden ohnehin keine Heimat haben. Aber warum ist der Himmel unsere Heimat?

    Der Himmel, das ist die ewige Gemeinschaft mit dem uns liebenden Gott, das ist eine Beziehung ohne Verletzungen, die Heilung alter Wunden, Sorglosigkeit, Angenommen-werden, echtes Glück, Frieden, Wiedersehen. Diese menschlichen Wörter versuchen bruchstückhaft, den Himmel zu umschreiben. Sie machen aber auch deutlich, dass ich in gelingenden Beziehungen ein Stück Himmel auf Erden finden kann. Gegenseitig können wir uns auf Erden schon jetzt und hier bereiten, was wir für den Himmel erhoffen.
  • Morgenandacht - Angst / NDR Info / NDR Kultur / 22. 06. 2016
    Sie macht uns krank. Sie lähmt uns. Sie treibt uns zu Höchstleistungen an. Kaum ein Gefühl ist so stark und so bestimmend wie die Angst. Und sie ist häufig begründet, allein die weltpolitische Lage kann uns ängstlich auf die Zukunft schauen lassen. Weil es uns hier in Deutschland so gut geht wie nie zuvor, haben wir auch viel zu verlieren. Versicherungen und Krankenkassen weisen uns auf Risiken hin, an die wir nie einen Gedanken verschwendet hätten. Jeder trägt dazu noch seine persönliche Liste von Ängsten mit sich herum: Versagen, Beziehungsabbruch, Anerkennungsverlust und so weiter.

    Ängste sind nicht per se schlecht, im Gegenteil: Die Angst ist ein Instinkt, der uns schützen will. Sie bremst uns manchmal aus, um einen Crash zu vermeiden. Aber sie kann uns eben auch blockieren und lähmen. Den richtigen Umgang mit Ängsten müssen wir im Laufe des Lebens lernen.

    Auch die frühen Christen kannten Unsicherheiten und Ängste. Der zweite Timotheusbrief will sie deshalb ermutigen und sagt: „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim 1,7).

    Der Glaube nimmt nicht jede Angst. Aber als Christen haben wir Grund zur Hoffnung. Die Angst muss uns nicht lähmen, wir können sie in einen Antreiber verwandeln. Der Heilige Geist, von dem der Timotheus Brief spricht, wird auch als Beistand bezeichnet. Er ist es, der uns in Situationen der Angst beisteht, wenn wir ihn bitten. Wenn wir Angst vor einem Gespräch haben – komm, Heiliger Geist. Wenn uns die Angst vor der Zukunft den Atem raubt – komm, Heiliger Geist. Wenn wir uns Sorgen um unsere Kinder machen – komm, Heiliger Geist. Der Heilige Geist ist keine Kraft, die nur den Menschen vor 2000 Jahren verheißen wurde. Er ist real, auch heute. Komm, Heiliger Geist!
  • Morgenandacht - Begegnen / NDR Info / NDR Kultur / 21. 06. 2016
    „Ich gebe nicht nur etwas, sondern bekomme auch viel zurück“, das sagte vor kurzem eine Frau, die Prostituierte ehrenamtlich auf der Straße aufsucht. Sie und ihre Mitstreiter von der Teestube Sarah sind einmal in der Woche auf Hamburgs Straßen unterwegs. Sie bieten den Frauen heiße Getränke und Süßigkeiten an, kommen aber vor allem ins Gespräch und helfen bei Bedarf. Vor einem halben Jahr durfte ich einen Ehrenamtlichen begleiten und war tief beeindruckt, mit welcher liebenden und offenen Haltung er den Frauen begegnet.

    Die meisten unserer Begegnungen im Berufs- und Privatleben sind alltäglich. Aber viele entwickeln immer wieder eine große Tiefe – wie zum Beispiel mein Besuch bei den Ehrenamtlichen der Teestube Sarah. Solche Begegnungen bleiben lange hängen und prägen uns; sie fordern uns manchmal heraus. Das können ganz kurze Momente mit fremden Personen sein oder lebenslange Beziehungen mit vertrauten Menschen.

    Erst durch die Begegnung mit anderen Menschen können wir wachsen und wir selber werden. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat das auf die Formel gebracht: „Der Mensch wird am Du zum ich.“ Das heißt, andere Menschen hindern mich nicht daran, ich selbst zu werden. Sie ermöglichen es mir – durch positive wie negative Erfahrungen.

    Im ersten Buch der Bibel, in der Genesis heißt es: Gott schuf also den Menschen als sein Abbild. (Gen 1,27) Als Christen glauben wir, dass jeder Mensch ein Bild Gottes ist. Das ist eine Herausforderung. Denn das bedeutet, dass sich Gott in jedem Menschen finden lässt – in denen, die uns nah sind, wie auch in denen, die uns zunächst sehr fremd sind. Gottes Angesicht verbirgt sich hinter den vielen Gesichtern der Menschen unserer Tage. Heute können wir ihnen begegnen und ihnen die Gewissheit vermitteln, dass auch sie ein Ebenbild Gottes sind und er sie liebt.
  • Morgenandacht - Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung / NDR Info / NDR Kultur / 20. 06. 2016
    Vor etwa einem Jahr – ich war gerade neu als Erzbischof in Hamburg – habe ich eine Gemeinde in Mecklenburg besucht. In einem Wald in der Nähe von Rehna zeigte mir der örtliche Pfarrer zerfallene Holzhütten. Hier wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebene Sudetendeutsche mit dem Zug ausgesetzt. Sie haben sich einfache Hütten gebaut – ohne Wasser, Strom und Heizung. Die Folgen von Flucht und Vertreibung wurden mir selten so deutlich vor Augen geführt.

    Heute begehen wir in unserem Land zum zweiten Mal den Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Wir denken unter anderem an die Vertreibung und Vernichtung der europäischen Juden durch den Nationalsozialismus und an die Deutschen, die vor 70 Jahren ihre Heimat gen Westen verlassen mussten. Wir machen deutlich: Flucht und Vertreibung sind keine harmlosen Umzüge, keine normalen Wohnortwechsel. Das heutige Gedenken soll diese Spuren der Vergangenheit heilen helfen. Was passiert ist, soll nicht verdrängt, sondern ehrlich angeschaut werden.

    Das Gedenken muss uns aber vor allem mahnen, Flucht und Vertreibung nicht zuzulassen und ihre Folgen zu mildern. Wir können nicht an gestern denken, ohne auf die Flüchtlinge von heute zu schauen. Natürlich, die Situation vor siebzig Jahren war eine andere als heute. Aber die Geschichte der Menschheit ist leider durchtränkt von Flucht und Vertreibung. Das darf uns nicht gleichgültig werden lassen.

    Denn glaubwürdiges Gedenken heute setzt auch ein glaubwürdiges Engagement heute voraus. Als Staat, als Gesellschaft und auch als Kirche müssen wir uns für Flüchtlinge und gegen Fluchtursachen engagieren. Ich danke von Herzen allen Haupt- und Ehrenamtlichen, die sich daran beteiligen.

    Gerade als Christen gilt für uns dabei das Wort Jesu: „Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; … [Denn] was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
  • Grußwort bei der Auftaktveranstaltung des interreligiösen Projekts in der Flüchtlingshilfe „Weißt du, wer ich bin?“ / Berlin / 31. 05. 2016
    Vieles, was zuvor als selbstverständlich galt, ist im vergangenen Jahr fragwürdig oder sogar brüchig geworden. So haben die großen Fluchtbewegungen aus dem Mittleren Osten die Solidarität zwischen den Ländern und Gesellschaften Europas auf eine ernsthafte Bewährungsprobe gestellt. Noch ist nicht entschieden, ob wir sie bestehen werden. Und auch in unserem eigenen Land stehen wir vor großen Herausforderungen. Den vielen Menschen, die zu uns gekommen sind, müssen wir so rasch wie möglich Perspektiven einer echten gesellschaftlichen Teilhabe eröffnen. Und zugleich gilt es, den sozialen Frieden in unserem Land dauerhaft zu sichern. Keinesfalls dürfen wir zulassen, dass politische Demagogen die Ängste und Verunsicherungen der Bevölkerung zusätzlich schüren und für ihre eigene menschenfeindliche Agenda missbrauchen.



    Ohne Übertreibung kann man sagen: Die Aufgaben, vor denen wir stehen, erfordern nicht weniger als einen gesamtgesellschaftlichen Kraftakt. Doch das beeindruckende Maß an Solidarität, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl, mit dem sich zahlreiche Menschen in unserem Land für die Anliegen von Flüchtlingen und Asylbewerbern einsetzen, gibt Anlass zu Zuversicht. Das weitverbreitete ehrenamtliche Engagement ist Ausdruck einer starken und lebendigen Zivilgesellschaft. Allein in den beiden großen Kirchen sind über 200.000 freiwillige Helfer aktiv: Sie unterstützen die neu angekommenen Menschen, sich in einer fremden Umgebung zurechtzufinden, und vermitteln ihnen ein Gefühl der persönlichen Wertschätzung. Viele Initiativen finden in guter ökumenischer Partnerschaft statt. Die mittlerweile sprichwörtlich gewordene „Willkommenskultur“ ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Wahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.



    Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen zeigt sich, dass christliche Wertvorstellungen nicht einfach nur ein historisches Fundament unserer Gesellschaftsordnung bilden. Tatsächlich setzen sie auch heute eine kreative und begeisternde Dynamik frei. Dreh- und Angelpunkt unserer christlichen Identität ist die Wahrung der Würde eines jeden Menschen – unabhängig von Herkunft und Religion. Wer die christliche Prägung unserer Gesellschaft nur deshalb betont, um Menschen anderer Religionszugehörigkeit auszuschließen, entwertet letztlich das Christentum.



    Mehr denn je sollten wir Christen uns heute ins Gedächtnis rufen, dass der Glaube an einen barmherzigen Gott uns mit Juden und Muslimen verbindet. Die Tora, das Evangelium und der Koran sprechen auf vielfältige und eindrückliche Weise von der Barmherzigkeit Gottes, aus der sich zugleich ethische Fürsorgepflichten des Menschen ergeben. Dass Christen, Juden und Muslime auf die Fluchtbewegungen unserer Tage mit großer Hilfsbereitschaft reagieren, verdankt sich nicht zuletzt dieser gemeinsamen religiösen Grundlage.



    Anlässlich des Welttags des Migranten und Flüchtlings 2016 hat Papst Franziskus uns Christen aufs Neue daran erinnert: Die Barmherzigkeit, die wir von Gott, unserem Vater, empfangen, „stärkt [...] die Solidarität gegenüber dem Nächsten“ und verhindert, dass wir uns an das Leid des anderen gewöhnen. Als Christen sind wir dazu berufen, unser Herz den Schutzsuchenden und Notleidenden unserer Tage zu öffnen und ihnen eine konkrete Hoffnung zu geben. Angerührt von Gottes Barmherzigkeit können auch wir barmherzig sein. Es besteht eine tiefe innere Verbindung zwischen der Barmherzigkeit Gottes und unserer eigenen barmherzigen Haltung gegenüber dem Nächsten: „An der Wurzel des Evangeliums der Barmherzigkeit überschneiden sich die Begegnung und Aufnahme des anderen mit der Begegnung und Aufnahme Gottes: Den anderen aufnehmen bedeutet Gott selbst aufnehmen!“, so Papst Franziskus. Unser tatkräftiges Engagement für die Anliegen von Flüchtlingen und Migranten ist daher nicht einfach nur mildtätiges Beiwerk, sondern sichtbares Zeugnis unseres christlichen Glaubens. „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35): Sooft wir dieses Wort aus dem Matthäusevangelium auch schon gehört haben – angesichts der gegenwärtigen Fluchtbewegungen hat es aufs Neue eine wachrüttelnde Wirkung entfaltet.



    Als Sonderbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen ist es mir ein besonderes Anliegen, dass die Sorge für schutzsuchende Menschen und der Dialog zwischen den Religionen enger als bisher miteinander verknüpft werden. Ich freue mich, dass dieser Impuls bei der Neuauflage des Projekts „Weißt du, wer ich bin?“ aufgegriffen wurde. Den Mitarbeitern der vier beteiligten muslimischen Verbände, des Zentralrats der Juden, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland danke ich dafür, dass sie das Projekt innerhalb einer äußerst kurzen Zeitspanne auf den Weg gebracht haben. Mein besonderer Dank gilt auch dem Bundesministerium des Innern für die großzügige finanzielle Unterstützung des Projekts.



    Bereits zwischen 2004 und 2011 wurden im Rahmen von „Weißt du, wer ich bin?“ mehr als 100 lokale Initiativen gefördert. Damals wie heute will das Projekt Juden, Christen und Muslime dazu befähigen, Verbindendes zu entdecken, Unterschiede zu respektieren, gemeinsam zu handeln und dem gesellschaftlichen Wohl zu dienen.



    Die Frage nach dem Beitrag, den die Religionen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zu gelingender Integration leisten können, wird uns auch auf längere Sicht beschäftigen. Letztlich stehen wir alle – Christen, Juden und Muslime – gemeinsam in der Pflicht, das friedensstiftende und integrationsfördernde Potential von Religion immer wieder in unserem alltäglichen Handeln zu bezeugen. Als katholischer Bischof darf ich sagen: Es ist ein gutes Zeichen, dass der Auftakt des Projekts inmitten des Heiligen Jahrs der Barmherzigkeit stattfindet. Durch ihr gemeinsames Eintreten für die Anliegen schutzbedürftiger Menschen lassen Juden, Christen und Muslime den Geist der Barmherzigkeit in unserer Gesellschaft lebendig werden. Dem Projekt und all seinen Mitwirkenden wünsche ich von Herzen Gottes reichen Segen.
  • Predigt beim Fronleichnamsgottesdienst auf dem Neuen Friedhof / Rostock / 26. 05. 2016
    Liebe Schwestern und Brüder,



    auch wenn ich heute Abend beim Katholikentag in Leipzig eine eucharistische Andacht mit einer Prozession halten darf, bin ich froh, am heutigen Morgen mit Ihnen zusammen hier in Rostock Fronleichnam feiern zu dürfen.



    Das Fronleichnamsfest hat einen ganz anderen Charakter als der Gründonnerstag. Am Gründon-nerstag gedenken wir der Einsetzung der heiligen Eucharistie beim letzten Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern gefeiert hat. Dieses Abendmahl gewinnt seine vollkommene Realität einen Tag später am Karfreitag in der Ganzhingabe, in jenem Kreuzesopfer, mit dem Christus sich voll und ganz hingibt. Heute stehen gar nicht so sehr Opfer und Mahl im Vordergrund, sondern Fron-leichnam legt eher einen etwas anderen Akzent. Heute geht es um die Verehrung der Eucharistie. Mit viel Liebe wird landauf, landab das Fronleichnamsfest gefeiert. Manchmal haben sich Pfarreien sogar in ihrer Ehrfurcht versucht, gegenseitig zu übertreffen. In vielen Gemeinden gab es bzw. gibt es z. B. Blumenteppiche, die in großer Pracht die Eucharistie beschreiben. Man hat wertvolle Zeigegeräte für die Eucharistie geschaffen, herrliche Monstranzen. Sie werden unter einem Himmel getragen, der gerade in der Barockzeit prächtig ausgestaltet war. Ganz zu schweigen von den vielen Kerzen, Blumen, dem Weihrauch, den Liedern und den Texten, ja den Hymnen, die zum Beispiel ein Thomas von Aquin gedichtet hat, und die wir heute immer noch singen in der deutschen Übertragung: „Deinem Heiland, deinem Lehrer …“



    Im Tagesgebet des heutigen Festtages haben wir diesen Gedanken von der Verehrung mit ins Gebet genommen. Wir haben uns an Gott gewandt und ihn angerufen, dass wir die Geheimnisse des Leibes und Blutes Christi in der heiligen Eucharistie so verehren, dass uns die Frucht der Erlö-sung zuteil wird. Dieses Gebet stellt uns vor die Frage: Was gehört denn zu einer echten Vereh-rung der Eucharistie dazu?



    1. Ob wir nun die Eucharistie ganz feierlich verehren mit Weihrauch, Kerzen, Blumen und vielem anderen mehr oder ob wir es eher in einer schlichten Weise tun – das Entschei-dende ist, dass wir mit ganzem Herzen dabei sind, dass unsere äußeren Zeichen aus einer inneren Haltung entspringen. Dann merken wir, die äußeren Zeichen sind gar nicht so sehr das Entscheidende, sondern die innere Einstellung ist viel wichtiger. Es kommt also gar nicht so sehr darauf an, ob wir viel Weihrauch auflegen, oder wie viele Mengen an Blumen und Blüten es nun sind. Es kommt vielmehr darauf an, dass das, was wir äußerlich tun, innerlich gedeckt ist und wir mit innerer Freude ein Zeichen der Liebe zu Jesus Chris-tus setzen, der in den Gestalten von Brot und Wein mitten unter uns ist.



    2. Eine der wichtigsten Ausdrucksweisen am Fronleichnamstag oder bei der Prozession und bei der Anbetung ist die Kniebeuge (oder wenn wir körperlich nicht mehr so gut können die Verneigung). Wir werden dabei nicht in die Knie gezwungen. Wir werden auch nicht äußerlich gedemütigt, sondern wir legen ein Glaubensbekenntnis mit unserem Knien ab, also mit unserem Leib. Wir bringen zum Ausdruck: Ich bin nicht der Größte. Ich bin auch nicht der Beste. Ich bin nicht der Höchste. Sondern vor dem Größten und Höchsten setze ich ein Zeichen und will seine, Gottes Größe und Liebe anerkennen. Der Schriftsteller Dostojewski hat einmal gesagt: „Der Mensch kann nicht leben ohne zu knien.“ Deswegen finde ich es ein großartiges Zeichen, dass gerade dort, wo Christen verfolgt werden, sie mit der Fronleichnamsprozession ein starkes Zeichen ihres Glaubens setzen. Das war in unserer deutschen Geschichte so, als Christen im Dritten Reich ihre Fronleichnamsprozes-sion hielten und das war hier in Rostock ganz gewiss auch so in den Jahren der DDR, als man sich auch am Fronleichnamsmorgen, der kein Feiertag war, hier versammelte und Gottesdienst feierte, und eine Prozession hielt und dabei vor Jesus Christus die Knie beug-te.



    3. Wir haben darum gebetet, dass wir Brot und Wein, Leib und Blut Christi so zu verehren vermögen, dass uns die Frucht der Erlösung zuteilwird. Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir die Eucharistie verehren, dann verehren wir den Erlöser und dann feiern wir un-sere Erlösung schlechthin, denn in den eucharistischen Gestalten tritt Gottes ewige Liebe in die Zeit. Der ewige alles umfassende Gott wird eins mit den Gestalten, die sich auf die menschliche Arbeit zurückführen lassen: Brot und Wein. Umgekehrt werden die Zeit und das menschliche Leben sowie die ganze Erde aufgebrochen hin zum Himmel in die Ewig-keit.

    Deswegen können wir auf die Verehrung der Eucharistie nicht verzichten. Sie ist nicht aufgesetzt, und sie ist kein nebensächliches Tun, sondern Verehrung der Eucharistie und Anbetung zielt in die Mitte des Glaubens und unseres Glaubenslebens. Deswegen halte ich es für wichtig, dass in unseren Gemeinden regelmäßig Zeiten der Anbetung gehalten werden und wir dann und wann auch tagsüber einfach einmal in unseren Gotteshäusern den Weg zum Tabernakel finden, wo Christus in Gestalt des Brotes immer anwesend ist.



    Liebe Schwestern und Brüder, vor 350 Jahren, am Fronleichnamsfest 1666, hat unser Mecklen-burger Schutzpatron Niels Stensen die Fronleichnamsprozession im italienischen Livorno erlebt. Er war tief beeindruckt von den Gebeten und den Kniebeugen und dem allerheiligsten Altarssakra-ment und gerät dadurch ins Nachdenken. Er schreibt: „Als ich die Hostie mit so großer Prachtent-faltung durch die Stadt getragen sah, stieg mir dieser Gedanke auf: Entweder ist diese Hostie ein einfaches Stück Brot und diejenigen sind Toren, die ihm so viel Ehre erweisen; oder es ist der wahre Leib Christi und warum verehre ich es dann selbst nicht?“ Wir wissen, dass im Jahr darauf 1667 Niels Stensen zur katholischen Kirche übertrat, einige Jahre später Priester wurde und gegen Ende seines Lebens im nahen Schwerin tagtäglich die heilige Messe gefeiert hat. Hoffentlich stär-ken die heutige Prozession und dieser Gottesdienst auch unseren Glauben wie damals Niels Sten-sen und führen uns zu einer immer tieferen Verehrung von Jesus Christus selbst!
  • Predigt zur Priesterweihe von Gabor Kant und Thorsten Weber / Hamburg/ St. Marien-Dom / 14. 05. 2016
    (Schrifttext: Neh 8,1-3 + 8-12; 2 Kor 1,18-22 + 24; Joh 15,5 -17)



    Liebe Mitbrüder,



    in Ihren früheren Berufen haben Sie einen Arbeitsvertrag geschlossen. Der eine als Journalist bzw. Rundfunkmoderator und der andere als Optiker bzw. Finanzberater. Heute werden Sie zum Priester geweiht – und: einen formellen Arbeitsvertrag zwischen Ihnen und dem Bistum wird es nicht geben.



    In der Priesterweihe schenkt Jesus Christus sich Ihnen ganz und umgekehrt: Sie schenken sich ihm ganz. Das geht deutlich über ein Arbeitsverhältnis hinaus. Das wird sich mit einem Arbeitsver-trag mit genauen Arbeitszeiten und mit einer entsprechenden Besoldung nicht erfassen lassen. Allenfalls kann es in einer Arbeitsplatzbeschreibung eine konkrete Umsetzung dieses Ideals der Weihe geben. Bevor Sie mit Ihren Pfarrern und unserer Personalabteilung zu einer Arbeitsplatz-beschreibung kommen, orientieren Sie sich an der heutigen Weiheliturgie. Sie bietet eine Fülle von Anknüpfungspunkten, die wir hier heute gar nicht ausschöpfen können. Dazu braucht es ein Leben lang. Vielleicht hilft gerade die Teilnahme an der Weiheliturgie auch denen, die schon län-ger geweiht sind, noch einmal auf diesen oder jenen Aspekt des Priestertums einzugehen und ihn im Leben zu vertiefen.



    Gleich vor der unmittelbaren Weihe durch Handauflegung und Gebet legen Sie ein Versprechen ab. Gleich sechsmal hintereinander werde ich Sie fragen: Seid ihr bereit … ? Seid ihr bereit zu ei-nem lebenslangen Dienst, immer in Verbundenheit mit dem Bischof, stets für die Menschen, selbstverständlich im katholischen Glauben, besonders in der Feier der sieben Sakramente und tagtäglich durch das Gebet als Beziehungspflege zu Gott. Und dann steht da noch eine Frage: „Seid ihr bereit, den Armen und Kranken beizustehen und den Heimatlosen und Notleidenden zu helfen?“



    Liebe Schwestern und Brüder, ohne in lange liturgiewissenschaftliche historische Forschungen einzusteigen: Aber diese Frage ist zum großen Teil erst im Nachgang zum Zweiten Vatikanischen Konzil in den Weiheritus eingefügt worden. Sie ist aber nicht sozusagen einfach draufgesetzt, sie bleibt kein Fremdkörper. Im Gegenteil: Sie bringt die ureigenste Absicht und das ureigenste Han-deln Jesu Christi noch einmal zum Ausdruck. Er selber hat sich den Armen, den Kranken, den Hei-matlosen und Notleidenden verschrieben. Für sie war er voll und ganz da.



    Dies soll priesterlicher Dienst weiter fortsetzen. Sie stehen heute in den Fußstapfen Jesu und sollen diese Sendung Jesu weiter verlängern. Sicher werden Sie schon als Diakone die eine oder andere Erfahrung diesbezüglich gesammelt haben. Keiner von uns kann gerade heute an den enormen Herausforderungen der Flucht und Migration vorbei. Gerade wir hier im Norden nicht.



    Bereits in einigen Tagen, am Fronleichnamsfest werden Sie in der heiligen Messe das Evangelium von der Brotvermehrung verkünden und bepredigen. Viele Menschen sind um Jesus versammelt und sie brauchen Nahrung. Die Jünger wollen diese Menschen wegschicken. Jesu Auftrag geht aber in die entgegengesetzte Richtung. Er trägt Ihnen auf „Gebt Ihr ihnen zu essen“ (vgl. Lk 9,11b-17).



    Lieber Gabor Kant, lieber Thorsten Weber, nehmen Sie dieses Wort ganz persönlich auf sich bezogen: „Gebt Ihr ihnen zu essen!“ Tun Sie das ganz persönlich in Ihrer tagtäglichen Arbeit und versuchen Sie es strukturell vielleicht manchmal auch bewusst gesellschaftlich ein wenig politisch. Tun Sie das, was Sie können, damit die Armen und Kranken, die Heimatlosen und Notleidenden zu essen und zu trinken haben, damit sie versorgt sind, damit sie Nahrung für ihren Körper aber auch Nahrung für Ihre Seele bekommen. Übrigens in den Schrifttexten, die Sie für diesen Gottesdienst ausgewählt haben, kommt dieser Gedanke immer wieder vor: Da wird im alten Bund aus dem Gesetz vorgelesen, aber es bleibt nicht beim Gottesdienst, sondern der wird zum Menschen-dienst. Man trägt Speisen zusammen, damit auch die etwas bekommen, die nichts haben. Und Paulus fordert Sie auf, nicht Herren des Glaubens zu sein, sondern Helfer zur Freude für andere. Und unüberbietbar bringt Jesus all dies zusammen: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt ha-be“.



    Vielleicht ist für diese Tätigkeit eines ausschlaggebend: Nämlich sich selber immer wieder als arm und angewiesen zu sehen, als schwach und der Hilfe bedürftig, als jemand, der selber heimatlos ist, und sich auf den Weg zu Gottes Heimat befindet. Der Priester ist keiner, der in seinem eigenen Leben, in seinem Pfarrhaus, in seiner Bibliothek, in seinen Schränken oder wo auch immer, alles hätte, was er dann einfach nur abgeben müsste, sondern der Priester ist selber ein Armer und einer, der offene Hände haben muss Gott gegenüber und den Menschen gegenüber. Der weiß, dass er selber auf Hilfe angewiesen ist, und der deswegen anderen Hilfe schenken darf. Der ein-fach weitergibt, was er selber empfangen hat.



    Ein ganz konkreter Tipp für Ihren Dienst: Fragen Sie sich und die anderen in Ihren Gemeinden im-mer wieder: „Wo sind hier die Armen?“ Wo sind in diesem pastoralen Raum die Notleidenden, Heimatlosen, die Kranken? Haben Sie sie im Blick! Gehen Sie auf sie zu und seien Sie Sakrament Jesu Christi. Heute empfangen Sie das Sakrament der Priesterweihe, um selber ein Sakrament, ein Zeichen für die Menschen sein zu können. Und zwar nicht ein Zeichen für sich oder aus sich selbst, sondern ein Zeichen Christi. Sie empfangen heute das Siegel, mit dem Christus sich Ihnen einverleibt. Und so können Sie selber Sakrament für die anderen sein, indem Sie ihn, in allem was Sie tun, aufscheinen lassen. Bewahren Sie sich diese Bereitschaft stets auf‘s Neue.



    Amen.
  • Predigt in der Osternacht 2016 im St. Marien-Dom / Hamburg / 27. 03. 2016
    „Lebenserwartung steigt weiter“, so eine Information in den Medien Anfang dieses Monats. 1910, also vor etwa 100 Jahren, betrug die durchschnittliche Lebenserwartung noch ca. dreißig Jahre weniger als heute. Mittlerweile dürfen in Deutschland neugeborene Mädchen davon ausgehen, dreiundachtzig Jahre alt zu werden und neugeborene Jungen achtundsiebzig Jahre. Die Lebenserwartung steigt!



    Lebenserwartung heißt hier schlicht und einfach: Lebensdauer. Rein statistisch stimmt es: Wir werden immer älter. Was aber nützt der statistische Durchschnittswert dem Einzelnen? Was nützt er mir? Jedes menschliche Leben ist und bleibt einzigartig! Und: Eine Lebensverlängerung allein - macht die schon glücklich? Wie viele Menschen haben sogar ausgesprochene Angst vor sogenannten „lebensverlängernden Maßnahmen“?!



    Viele von uns hier in Deutschland dürfen sich an einer überaus guten Lebensqualität erfreuen. Ich denke nur an unsere gesundheitliche Versorgung oder an die großen Bildungschancen in unserer Gesellschaft.



    Gleichzeitig müssen wir aber immer im Blick behalten, dass es auch in unserem Land viele Menschen gibt, die keinen Zugang zur Bildung haben, oder andere, die mit großer Angst auf eine drohende Armut im Alter schauen. Ganz zu schweigen von den vielen Menschen weltweit, deren Leben äußerlich betrachtet quantitativ und qualitativ viel kürzer und bescheidener ausfällt als für viele von uns.



    Liebe Schwestern und Brüder, Ostern ist das Fest des Lebens. Ostern ist das Fest des Lebens wie kein anderes Fest im Kirchenjahr. Ostern bedeutet das Leben schlechthin! Ostern weitet unsere Lebenserwartungen und unsere Lebensmöglichkeiten enorm!



    Ostern weitet die siebzig, achtzig oder neunzig Jahre unseres Lebens hier auf dieser Welt um den Faktor Ewig. Wir leben also siebzig, achtzig, neunzig Jahre plus Ewig. Das gibt eine große Gelassenheit. Wir können die irdischen Jahre zwar nutzen und füllen, aber wir brauchen sie nicht zu überfrachten. Es gilt seit Ostern: Wir erwarten immer (!) mehr, als wir bereits hinter uns haben. Die Uhr läuft nicht ab, die Zeit rennt uns nicht davon, sondern wir bewegen uns auf die Fülle der Zeiten zu.



    Ewigkeit heißt nun nicht einfach Unendlichkeit, wie man landläufig meint, wenn wir manchmal eher gelangweilt feststellen: „Das dauert ja eine Ewigkeit“. Ewigkeit heißt vielmehr dauernde Gegenwart, heißt immer im Jetzt leben zu dürfen. Diese österliche Ewigkeit heißt eigentlich nichts anderes, als endlich anzukommen, endlich der oder die zu sein, der oder die ich sein soll. Nicht hinter mir zurück zu bleiben und nicht vor mir selber wegzulaufen, sondern ganz bei mir sein zu können. Ich kann in der Ewigkeit ganz der sein, der ich von Gott her sein soll, weil ich in Gottes Nähe leben darf, weil mich in der Ewigkeit niemand und nichts mehr von diesem Gott trennt. Wenn ich ganz bei Gott bin und ganz bei mir selbst bin, dann sind wir auch alle beieinander. Dann entsteht jene Gemeinschaft, von der wir hier alle nur träumen können.





    Und dennoch, liebe Schwestern und Brüder, für uns Christen beginnt dieses ewige Leben nicht erst dann, wenn wir sterben, sondern es ragt schon in diese Zeit herein. Ostern fordert uns auf, unsere Lebenszeit für die Qualität Ewigkeit zu öffnen.



    Das österliche Leben macht sich bei den ersten Jüngern dadurch bemerkbar, dass sie den Auferstandenen von Angesicht zu Angesicht sehen, und damit leben sie schon hier und jetzt immer wieder im „Jetzt“ Gottes.



    Diese Erfahrung wälzt sie innerlich um. Sie werden zu neuen Menschen, die sich selber im Licht Gottes sehen. Ihnen geht es dann nicht mehr um Zweitrangiges oder um Äußerlichkeiten. Sie finden zu ihrem Wesen und leben in großer Harmonie und Eintracht mit Gott selber.



    Und schließlich, wer den Auferstandenen so nah vor Augen hat, wer sich selber neu erkennt, der wird auch fähig für die neue Gemeinschaft, die schon jetzt entsteht. Deswegen rennen die Zeugen der Auferstehung in ihre Gemeinschaften, und sie verändern diese und die ganze Welt von innen her.



    Liebe Brüder und Schwestern, dieses österliche Lebenskonzept unterscheidet sich grundsätzlich von dem, was unsere Gesellschaft gerade in den letzten Tagen durch die Brüsseler Ereignisse aufgeschreckt hat. Als Christen wollen wir so etwas gerade nicht! Wir stehen zu unserer europäisch-christlichen Tradition und wollen alles tun, um sie weiter zu gestalten, um sie weiter zu leben! Wir wollen die österliche Dimension in das alltägliche Leben einbringen und es so bereichern – zum Wohle aller Menschen.



    „Lebenserwartung steigt“ ist nicht nur eine Zeitungsmeldung, es ist die Osterbotschaft. Ich wünsche Ihnen allen ein erfülltes, frohes Osterfest, das in ihr Leben hineinstrahlt, also jeden Tag eine Spur von Ewigkeit im Hier und Jetzt – und das gerade in diesen bewegten Zeiten!
  • Predigt zum Gründonnerstag 2016 im St. Marien-Dom / Hamburg / 24. 03. 2016
    Oft hat Jesus im Laufe seines Lebens die Menschen berührt: Er hat den Kindern die Hände auf den Kopf gelegt, um sie zu segnen; er hat die Wunden der Kranken berührt, um sie zu heilen … Heute am letzten Abend seines Lebens rührt er die Füße seiner Jünger an. Er wäscht sie. Das geht nur, wenn er die Füße berührt.



    Unsere Füße sind von großer Bedeutung. Wie stolz ist ein kleines Kind, wenn es auf seinen zierlichen Füßen stehen und sich dann auch noch fortbewegen kann? Auf unseren Füßen scheint unser ganzes Leben zu ruhen. Josef Martin Bauer betitelte 1955 seinen in München erschienenen Bericht eines Sibirienflüchtlings mit dem Titel „Soweit die Füße tragen“. Es schränkt unser Leben ziemlich ein, wenn wir uns nicht mehr auf unseren Füßen halten können. Sprichwörtlich sagen wir sogar, wenn wir Angst bekommen oder uns nicht mehr trauen weiterzugehen, „kalte Füße“ zu haben. Unsere Füße sind mehr als ein Körperteil, sie können so etwas wie ein Sinnbild unseres Lebens sein.



    Damals zur Zeit Jesu haben die Menschen selten Schuhe getragen. Vielleicht haben Sie noch von einem der Fastensonntage das Evangelium vom barmherzigen Vater bzw. verlorenen Sohn im Ohr, wo es nach der Rückkehr des Sohnes ausdrücklich heißt, dass der Vater ihm Schuhe anziehen lässt. Das war etwas Besonderes.



    Die Füße kamen gewöhnlich am schnellsten und am stärksten mit dem Staub und Schmutz des Bodens in Berührung.

    Und darüber hinaus: Wer keine Schuhe trägt, ist empfindsam und kann sich schnell verletzen.



    All das berührt Jesus bei der Fußwaschung: Den Menschen und sein Leben mit Schmutz und Dreck bis hin zu Wunden und Vereiterungen, also Schmerz und am Ende sogar den Staub des Todes. Damit rührt Jesus den ganzen Menschen an. Das ganze Leben, alles und jeden Einzelnen. Die Fußwaschung ist eine Geste, die das Wirken Jesu zusammenfasst. Sie will keine punktuelle Berührung sein, sondern eine die aufs Ganze geht.



    Diese Geste macht deutlich, dass Christus die Welt und den Menschen nicht von oben herab anspricht, sondern dass er sich unter alles beugt.



    In einem unserer Weihnachtslieder singen wir: „Siehe dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget; siehe die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget. Gott wird ein Kind, träget und hebet die Sünd: Alles anbetet und schweiget“ (GL 251,3). In der Menschwerdung, in der Krippe beginnt diese Geschichte Gottes nach unten. In seinem Sterben endet sie. Christus will alles berühren und unterfassen, um es zu heben und zu vollenden.



    Deswegen bleibt uns auch nichts anderes übrig, als uns waschen zu lassen. Normalerweise waschen wir uns ja selber. Aber dieses Reinigungsbad können wir gar nicht selber an uns vollbringen, wir können es nur an uns geschehen lassen. Könnte dieses Fußbad nicht auch ein Sinnbild der Taufe sein, die wir uns ebenso nicht selber spenden können, sondern die an uns geschieht. Jesus gebraucht das geheimnisvolle Wort: „Wer vom Bad kommt, ist ganz rein …“ Heute sind es die Füße, die der Meister seinen Jüngern wäscht. In der Osternacht wird es der Brunnen des Wassers sein, in dem getauft wird und das uns an unsere eigene Taufe erinnert. Lassen wir es an uns geschehen!
  • Predigt zur Chrisam Messe / St. Marien-Dom Hamburg / 21. 03. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort





    Zu Beginn unserer Chrisam Messe sind wir mit allen Priestern und Diakonen durch die Heilige Pforte in unseren Mariendom eingezogen. Wir haben das ganz bewusst anlässlich des Jahres der Barmherzigkeit getan und begehen sozusagen mit unserer Ölweihemesse heute das Jubiläum der Priester und Diakone in diesem Jubeljahr.



    Wenn wir durch die Pforte treten, gelangen wir von draußen nach drinnen. Wir treten durch die Pforte hindurch in die Größe und Weite unseres Domes. Wir treten damit ein in die Größe und Weite Gottes selber. Die Heilige Pforte erinnert uns dabei an das Wort Jesu: „Ich bin die Tür“. Christus selber ist die Tür, ja er ist der Zugang, der uns in die Barmherzigkeit Gottes hineinführt.



    Die Jünger damals haben Jesus Tag für Tag als eine solche Tür zum Geheimnis Gottes erleben dürfen. Seine Predigt in Nazareth, die wir im Evangelium gehört haben (vgl. Lk 4,16-21), ist ein erster Schritt durch diese Tür hindurch in das Geheimnis Gottes hinein. Seine vielfältigen Predigten wer-den weitere Schritte sein. Für die Jünger lösen sie die Frage aus: Woher hat er das alles? Er redet ja nicht wie die Schriftgelehrten, sondern mit göttlicher Vollmacht. Wer ist das? Und auch seine Wunder lösen die Frage aus: Was ist das für ein Mensch? Hier werden nicht nur Worte gemacht, sondern die Worte enthalten, was sie aussagen und schaffen eine neue Wirklichkeit, sind Beginn der neuen Schöpfung. Und schließlich erleben die Jünger einen weiteren Schritt in dieses Geheimnis Gottes hinein, wenn sie Jesus beten sehen. Es scheint für sie derart faszinierend gewesen zu sein, dass sie den Eindruck hatten, hier öffnet sich der Himmel. Und schließlich der letzte große Schritt durch diese Tür in das Geheimnis Gottes herein ist Jesu Sterben. Wir werden es am Karfreitag in jener dramatischen Stelle aus der Passion hören, wo es heißt: „Der Vorhang des Tempels riss entzwei“. Jetzt ist die Tür gleichsam geöffnet auf das Weiteste hinein in Gott selbst.



    Liebe Mitbrüder, jeder von uns Priestern und Diakonen ist durch diese Tür hindurchgegangen. Wir sind nicht draußen stehen geblieben und haben uns das Ganze nur von außen angeschaut, sonst wäre keiner von uns heute hier. Nein, wir sind durch diese Tür selber hindurchgetreten und in das Geheimnis Gottes hineingelangt. Gott hat sie uns ja in seinem Sohn ein für alle Mal geöffnet. Gott ist eben nicht wie jener vermeintliche Freund, der seinem Nachbarn nachts die Tür verschlossen hält: „Belästige mich nicht; die Tür ist jetzt geschlossen … Ich kann nicht aufstehen und dir geben!“ (Lk 18,7). Jeder von uns hat an diese Tür geklopft, ist durch die hindurchgetreten in das Geheimnis der göttlichen Barmherzigkeit. Den einen macht die zärtliche Seite dieser Barmherzigkeit ganz sensibel angerührt haben, den anderen mag die umwälzende Wirkung dieser Barmherzigkeit gleichsam umgedreht und verwandelt und aus dem Sattel geworfen haben wie einen heiligen Paulus. Vielleicht lag es bei uns irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Ich bitte Sie: Bleiben Sie mit dieser Erfahrung der göttlichen Barmherzigkeit Ihr Leben lang in Berührung. Es ist die Quelle, aus der unsere Berufung fließt und mit dieser Quelle müssen wir in Kontakt bleiben. Das Jahr der Barmherzigkeit ermuntert uns einfach dazu, sozusagen an Jesus dran zu bleiben etwa im Lesen der geöffneten Schrift, im Gebet oder vor dem offenen Tabernakel in der Anbetung.



    Liebe Mitbrüder, aus dieser Erfahrung, die wir persönlich mit Gottes Barmherzigkeit gemacht haben, ergibt sich auch ein Auftrag. Als Geistliche sind wir gesandt, anderen Menschen zu mindestens ein wenig behilflich zu sein, den Weg durch diese Tür, die Jesus Christus selber ist, zu finden und zu gehen.

    Von Papst Johannes XXIII. sagt man, dass er vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil zeichenhaft ein Fenster weit aufgerissen habe, um deutlich zu machen, was das Konzil bewirken soll. Mittlerweile ist man sich nicht ganz einig, ob diese Begebenheit wirklich stattgefunden hat. Aber eine Begebenheit hat stattgefunden: Papst Franziskus hat Ende letzten Jahres zur Eröffnung des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit die Heilige Pforte weit aufgerissen. Ich habe dieser Tage von einer Bekannten, die zurzeit eine Pilgerreise nach Rom macht, eine Postkarte mit diesem Bild erhalten. Papst Franziskus stemmt die Heilige Pforte am Petersdom auf und geht durch sie hindurch.



    Liebe Mitbrüder, von Ihnen müssen keine Postkarten gedruckt werden. Aber diesen Gestus des Papstes wünsche ich mir von einem jeden von Ihnen in Ihrem alltäglichen Dienst. Halten Sie die Tür, die Jesus Christus selber ist, weit geöffnet. Keinem von uns darf das Urteil Jesu über die Gesetzeslehrer treffen: „Weh euch! Ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen; ihr selbst seid nicht hineingegangen und die, welche hinein wollten, habt ihr abgehalten!“ (Lk 11,52). Wir sollen also nicht verschließen, sondern wir sollen öffnen und anderen helfen durch die Tür Christi hindurchzutreten. Das ist die Sendung Jesu Christi und an dieser Sendung haben wir als Geweihte Anteil. Deswegen gilt von uns mit Fug und Recht das Wort aus der heutigen Lesung und dem Evangelium: Der Geist Gottes ruht auf dir. Er hat dich gesandt, anderen den Weg in Gottes Barmherzigkeit zu weisen.

    Amen
  • Fastenhirtenbrief 2016 / Hamburg / 13. 02. 2016
    Liebe Schwestern und Brüder,



    mittlerweile bin ich fast ein Jahr Ihr neuer Bischof. Die Ernennung zum Hamburger Erzbischof bedeutet für mich eine doppelte Herausforderung: einerseits muss ich mich in das neue Amt als Bischof einfinden, andererseits in das für mich neue Bistum Hamburg.



    Ich konnte in den letzten Monaten viele Menschen und Einrichtungen kennenlernen: in unseren Gemeinden, in der Ökumene und in der Gesellschaft. Dafür bin ich sehr dankbar!

    Ich sehe dabei eine Reihe von Aufgaben vor uns liegen: an erster Stelle die Weiterentwicklung der Pastoralen Räume, dann die Sorge um die Jugend und um geistliche Berufungen, um unsere Schulen und die Caritas.



    Ich bin froh, dass wir bald wieder – wie es das Kirchenrecht vorsieht – pastorale Gremien auf Bistumsebene haben, z.B. die Pastoralforen in den drei Regionen, den Priesterrat und den Diözesanpastoralrat. Sie sind mir zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben besonders wichtig. Ich setze auf die Mitarbeit vieler Frauen und Männer in unserem Bistum!



    Liebe Schwestern und Brüder,

    vor kurzem fragte mich jemand, welche Visionen ich für das Erzbistum Hamburg hätte. Gern gebe ich Ihnen allen heute darauf eine Antwort mit drei Gedanken:



    1. Gefeierter Glaube



    Als Kirche von Hamburg eint uns der gemeinsame Glaube an den Dreifaltigen Gott. Ich habe die Vision, dass dieser Glaube in jedem einzelnen Christen lebt und seinen Alltag bereichert. Dabei ist es wichtig, die wesentlichen Inhalte unseres Glaubens zu kennen. Noch wichtiger ist aber das, was wirklich unser Herz erreicht und für den Einzelnen ein echter Schatz des Glaubens ist (vgl. 2 Kor 4,7).

    Der Jesuit Karl Rahner hat vor fünfzig Jahren davon gesprochen, dass der Christ von morgen – und das sind jetzt wir – „ein Mystiker sein wird oder er wird nicht mehr sein“ . Mit Mystiker meint er hier jemanden, der wirklich etwas erfahren hat und der aus persönlicher Betroffenheit heraus glaubt. Ich lebe von der Vision, dass wir im Erzbistum Hamburg eine Kirche der Mystiker sind. Deswegen ist die würdige, festliche und andächtige Feier der Heiligen Messe, aber auch der anderen Sakramente und vieler anderer Gottesdienste so wichtig für uns. Deswegen sind das tägliche Beten und das Lesen in der Bibel wie ein Sockel, auf dem alles andere aufbaut.



    2. Geteilter Glaube



    Wer mit Gott in Kontakt ist, will auch andere mit ihm in Kontakt bringen. Ich bin fest davon überzeugt, dass man Christ nicht allein sein kann. Glaube ist immer geteilter, ja, mitgeteilter Glaube. Als solcher kann er nur von Person zu Person bezeugt werden. Diese gemeinschaftliche Dimension unseres Glaubens muss deutlich erkennbar bleiben in unseren Gemeinden und Pastoralen Räumen. Ich habe die Vision, dass es in unseren Pastoralen Räumen viele kleine Gruppen gibt, in denen der Glaube miteinander geteilt wird. Zum Beispiel denke ich an Familien- und Hauskreise, Jugendgruppen, Glaubenskurse, Gebetskreise, Bibelrunden oder Geistliche Gemeinschaften.

    Ein Bischof aus Tansania, der im letzten Oktober unser Bistum besuchte, erzählte mir, dass in seiner Heimat jeder Christ einer solchen kleinen Gemeinschaft angehört. Das ist da der Normalfall.

    Ich bin überzeugt, dass dies auch uns gut tut. Es hält unseren Glauben lebendig und vital. Dadurch bekommt er sozusagen eine immer neue Frischluftzufuhr.



    3. Gelebter Glaube



    Unser christlicher Glaube zeichnet sich dadurch aus, dass er in die Tat hineinführt. Christlicher Glaube ist nicht bloß eine Verstandessache. Er ist auch nicht bloß ein Herzensanliegen. Das ist er ganz gewiss auch. Aber christlicher Glaube führt ins Tun. Deswegen sollten wir uns in unseren Gemeinden und Kreisen immer auch fragen: Was heißt das jetzt für mein Leben? Wie kann ich das, was ich glaube, in die Tat umsetzen?

    Der Schweizer Weihbischof Peter Henrici SJ meinte dazu kürzlich: Der gelebte Glaube, das Tun, die Diakonie muss „der Predigt vom Gott der Liebe den Weg bereiten … Diese Werke werden heute bei uns anders aussehen müssen als früher… auch in den staatlichen sozialen Netzen gibt es immer noch allzu viele Lücken, durch die gerade die Unglücklichsten durchfallen … Die neue Evangelisierung wird von tätiger Liebe und liebendem Verständnis getragen sein, oder sie wird nicht sein“ .



    Ich erinnere nur kurz daran, dass wir uns im Jahr der Barmherzigkeit befinden. Wenn wir wirklich an den barmherzigen Gott glauben, ist Barmherzigkeit der Grundton unseres Miteinanders.



    Liebe Schwestern und Brüder,

    drei Dimensionen, die mir für unser Erzbistum wichtig sind. Alle drei beginnen sie mit dem Buchstaben G: sozusagen die drei „G‘s“ für unser Erzbistum: im Gottesdienst gefeierter bzw. gebeteter Glaube; geteilter und gemeinschaftlicher Glaube; in die Tat umgesetzter, gelebter Glaube.



    Diese drei G‘s prägen meine Vision für unser Erzbistum. Ich wünsche mir, dass Sie diese Vision weiter vertiefen und darüber miteinander in den Austausch kommen. Noch mehr aber freue ich mich darüber, wenn diese Visionen zum konkreten Handeln bei Ihnen führen.

    Dazu ermutige und bestärke Sie alle der barmherzige Gott: der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.



    Ihr

    + Stefan

    Erzbischof von Hamburg
  • Predigt zum Abschluss der St. Ansgar-Woche / Hauptkirche St. Michaelis Hamburg / 07. 02. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort





    Liebe Schwestern und Brüder,



    „Ich war fremd und…“ Dieses Wort stand als Überschrift über der diesjährigen St. Ansgar- Woche und es zog sich durch die vielen Gottesdienste und Veranstaltungen wie ein roter Faden durch: in Predigten, in Gebeten, in Referaten, in Schulprojekten bis hin zur Musik in die Händels Oratorium „Israel in Ägypten“.



    Die Fremde, das Fremde und der oder die Fremde sind gar nicht so weit von uns weg. Sie stecken in jedem Leben drin. Gehört es nicht von früh an zum Menschen dazu, dass er fremdelt?



    Mich haben sehr bewegt Lebenszeugnisse von Schülerinnen unserer Ansgarschule im Festgottesdienst am vergangenen Mittwoch. Vor ihren Mitschülerinnen und Mitschülern erzählten sie freimütig davon, wie es ihnen in fremden Situationen ergangen ist. Wie es war, als sie beim Schulaustausch die Fremde zu spüren bekamen. Wie es war, als sie die Klasse wechselten und auf einmal fremd in einer neuen Klasse waren.



    Ich konnte diese Zeugnisse gut nachvollziehen, gerade aus meiner persönlichen Erfahrung heraus, in ein unbekanntes, fremdes Bistum als Bischof geschickt worden zu sein.



    Jeder von uns wird wohl solche Erfahrungen des Fremdseins schon gemacht haben oder machen. Für viele wird das Wort des Evangeliums „Ich war fremd“ Gegenwartsbezüge haben, sie könnten formulieren: „Ich bin fremd“. Erst recht denken wir an die vielen Fremden, die als Flüchtlinge in unser Land kamen und kommen.



    Fremdheit, Fremdsein: Das ist eine Menschheitserfahrung, die sich durch alle Zeiten und Regionen dieser Welt hindurchzieht.



    Deswegen verwundert es nicht, dass das Thema Fremdsein sich auch durch die Heilige Schrift zieht. Das Volk Israel hat diese Erfahrung am eigenen Leib gemacht. Es hat sich als fremd in einem fremden Land Ägypten empfunden. Es hat die Unterdrückung als Fremde erfahren, und diese Erfahrung und die Befreiung daraus zum Bestandteil der eigenen Erinnerung gemacht.



    Solche Erfahrungen machen sensibel für die Fremdheit der Anderen. Sie machen wach für das Gefühl, das Fremde in der Fremde mit sich herum tragen. Und es lässt Respekt wachsen für die Nöte und Fragen der Fremden, der Anderen. So finden sich im Alten Testament viele Hinweise auf Gerechtigkeit, die der Fremde in unserer Mitte erfahren soll: „Einen Fremden sollst du nicht aus-nützen oder ausbeuten“ (Ex 22,10; 23,9). Der Fremde, der Flüchtling muss geschützt werden! Ihm darf der Lohn nicht vorenthalten werden, sein Recht darf nicht gebeugt werden (Dtn 24,14.17). Fremde sollen Anteil am Zehnten erhalten (Dtn 26,12 f). Das Volk Israel lebt davon, dass es im Land Gottes eigentlich kein Fremdsein mehr geben darf: „Gott liebt die Fremden … auch ihr sollt die Fremden lieben, denn ihr seid Fremde in Ägypten gewesen“ (Dtn 10,18).



    Liebe Schwestern und Brüder, auch im Neuen Testament taucht das Thema Fremdsein an unzähligen Stellen auf. Es beginnt mit Jesus selbst. Von ihm wird im Prolog des Johannesevangeliums gesagt: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1, 11). Bei aller Vertrautheit in seiner Familie, mit seinen Jüngern, mit den befreundeten Frauen: Jesus bleibt immer auch der Fremde. Er selber hat Fremdheit, ja Heimatlosigkeit am eigenen Leib erfahren: „Der Menschensohn hat nichts, wo er den Kopf hinlegt“ (Mt 8,20b). Diese Heimatlosigkeit verlangt er auch seinen Jüngern ab (Mt 5,11).



    Auch die junge Kirche war sich bewusst, dass sie „in der Fremde“ lebt. Der erste Petrusbrief richtet sich an Gläubige, „die als Fremde …in der Zerstreuung leben“ (1 Petr 1,1). Später heißt es im gleichen Schreiben: „Ihr seid Fremde und Gäste in dieser Welt“ (1 Petr 2,11). Mit solchen Sätzen wird die Überzeugung ausgesprochen, dass wir es uns in der Welt nicht zu heimisch, gemütlich machen sollen.



    Liebe Schwestern und Brüder, die Erfahrung des Fremdseins gehört offenbar zum Leben und auch zum Leben eines Gläubigen dazu. Wir sollten diese Erfahrung nicht allzu schnell harmonisieren und mit heimatlichen Gefühlen und Gedanken umkleiden.





    Könnten nicht in dieser Erfahrung auch Chancen liegen?



    1. Eine erste Chance: Wir sprechen immer wieder von der Nähe Gottes und von einem ganz großen vertrauten Umgang zwischen Gott und dem gläubigen Menschen. Aber für viele Menschen ist der Gott, an den wir glauben, ziemlich fremd – und manchmal auch für uns. Könnte nicht die Fremdheit Gottes ein Erweis seiner Größe und Erhabenheit sein? Könnte es uns nicht neu herauslocken, diesen noch unbekannten Gott immer stärker kennenzulernen?!



    2. Eine zweite Chance: Christen in der Fremde, eine Kirche in der Fremde – liegt darin nicht die positive Herausforderung, die Jesus in die Formel münzt: „Bei euch aber soll es nicht so sein!“ Könnten Christen, könnten wir durch unser Leben, durch unsere Gemeinschaft nicht zeigen, dass es in dieser Welt ganz anders zugehen müsste?!



    3. Und eine dritte Chance: Wenn andere Menschen hier fremd sind oder wenn ich anderen fremd bin, könnte das nicht das Interesse aneinander vertiefen? Der jüdische Talmud, also die Auslegung des Alten Testaments, bietet eine geradezu revolutionäre Deutung des Fremden. Danach gibt es eigentlich keine Fremden, sondern lediglich Menschen, die sich noch nicht begegnet sind. Vor diesem Hintergrund kann jeder Fremde zum Freund wer-den – vorausgesetzt wir öffnen uns füreinander und nehmen uns einander an. In dem Wort Jesu „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen“ liegt somit eine Aufforderung: Im Fremden begegnet uns Christus. Der Fremde wird zum Ort der Gottbegegnung.





    Liebe Schwestern und Brüder! Fremdsein ist Teil des Menschseins. In ihm liegt eine Chance zum menschlichen, gemeinschaftlichen Neuanfang; eine Chance zur persönlichen Christusbegegnung im Anderen; und eine Chance zu einer größeren Nähe zum ganz Anderen, das wir Gott nennen.
  • Predigt zur Eröffnung der Ansgarwoche / St. Marien-Dom Hamburg / 31. 01. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort



    Liebe Schwestern und Brüder,



    es ist ein Kinderspiel: „Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist …“. Sie erinnern sich, dass es für Kinder gar nicht so leicht ist, genau das zu sehen, was der andere im Blick hat. Dabei sehen wir doch alle – und übersehen doch vieles. Ist also das Kinderspiel gar kein Kinderspiel, sondern gehört es zum Leben einfach dazu?



    Der heilige Ansgar, unser Diözesanpatron, war ein Mensch mit einem wachen Blick. Auf dem kleinen Reliquiar hier in der Domkirche - gestaltet im Jahr 1983 von Klaus Balke - ist eine aussagekräftige Ansgarfigur zu sehen. Sie zeichnet sich durch seinen aufrechten Gang und seinen schnellen Schritt aus, aber auch durch die feinen Augen und durch den klaren nach vorn gerichteten Blick des heiligen Ansgar. Es verwundert also nicht, dass der Biograph des Ansgars, Rimbert in seiner Ansgarbiografie unseren Patron als einen Menschen charakterisiert, der sogar für die „Blinden Auge“ ist (Rimbert, Leben des heiligen Ansgar, 35). Damit steht Ansgar in einer großen Tradition der sogenannten Seher und Propheten, die es schon im alten Bund gab. Sie waren nicht so sehr Menschen, die in die Zukunft blickten und weissagten, sondern vielmehr solche, die in der Gegenwart offene Augen hatten für das, was ist: „Ich sehe was, was du nicht siehst“.



    1. Der Blick auf die Um – Mitwelt



    Ansgar ist ein Mensch, der in die Weite dieses Landes blickt, der aber auch hineinblickt in die Weite des Lebens, der Menschen, die damals hier gelebt haben. Wenn also Ansgar unser Mitchrist ist, unser Vorläufer und entscheidend für die Geschichte unseres Erzbistums, dann legt er uns diesen klaren Blick ans Herz. Christen müssen immer Menschen sein, die einen umfassenden Blick haben auf das, was in der Welt, was in ihrem Land, was in ihrem Ort, was in ihrer Gemeinde vor sich geht. Wir sollten wahrnehmen, was in einer Gesellschaft, wie der unsrigen sich heute tut. Die Augen davor zu verschließen, bringt überhaupt nichts! Wir sollten wahrnehmen, was in Politik und Gesellschaft, in Wirtschaft und Wissenschaft sich an großen Linien abzeichnet und natürlich auch, was im Kleinen passiert. Nur um ein Beispiel zu nennen: Wir können den Blick nicht verschließen vor den vielen Menschen, die in unser Land kommen und auf der Flucht sind. Wir müssen aber auch immer wieder konkret auf das Kleine schauen, was hier und da passiert. Als Sonderbeauftragter der Deutschen Bischöfe bekomme ich viel in diesem Prozess mit, auch das große Ringen und Streiten in der Politik. Aber ich bin auch oft unterwegs und besuche verschiedene Einrichtungen, um Menschen zu begegnen, die auf der Flucht sind, und neu denen zu begegnen, die sich in großer Zahl für sie einsetzen. Das hilft mir einen konkreten Blick auf unsere Gesellschaft und auf das, was sich konkret bei uns abspielt, zu tun.



    2. Der Blick auf Gott



    Dieser Blick, den der heilige Ansgar in dieser Figur am Reliquiar hat, atmet für mich eine große Weite oder eine große Tiefe. Als Mönch, als Bischof ist er jemand, der davon lebt, Gott zu schauen. Natürlich gilt: „Niemand hat Gott je gesehen“(1. Joh 4, 12). Aber es gilt seit der Menschwerdung Jesu Christi eben auch: “Wer mich sieht, sieht den Vater“(Joh 14, 9). Als Christen sind wir darauf angewiesen, diesen Gott immer wieder in den Blick zu nehmen. Wir müssen unsere Augen auf ihn ausrichten. Wir sollten ihn wahrnehmen. Und sein „sanftes leises Säuseln“ (1. Kön 19, 12) aufgreifen.



    Aus der Frömmigkeitsgeschichte kennen wir die Praxis der „Betrachtung“. Dabei geht es nicht nur darum, einen Gegenstand zu betrachten oder sich Gedanken über dieses und jenes aus dem geistlichen Leben zu machen, sondern es geht darum, Gott anzuschauen und sich von Gott an-schauen zu lassen. Ich betrachte ihn, und noch viel mehr betrachtet er mich. Und weil Gott eben kein Gegenstand dieser Welt ist, gleicht diese Betrachtung einer ganz bewussten Wahrnehmung der Gegenwart Gottes in meinem Leben.



    Wir leben heute in einer Zeit, in der viele diesen Blick auf sich gar nicht mehr wahrnehmen, und in der viele, diesen Ausblick auf Gott nicht mehr wagen. Manche sprechen von einer „Gottvergessenheit“. Andere, wie der bedeutende jüdische Philosoph Martin Buber, wählen den Ausdruck von der „Gottesfinsternis“. Flehentlich bittet Buber seine Zeitgenossen darum, aus dieser Finsternis herauszutreten hinein in das Licht und die Herrlichkeit Gottes.



    Das Besondere eines Ansgars liegt darin, dass es ihm gelingt, den Blick auf seine Zeit mit dem Blick Gottes zusammenzubringen. Er weiß, dass Gott ihn und seine Zeitgenossen längst in den Blick genommen hat. Deswegen kann Ansgar seine Zeit und die Menschen dieser Zeit geradezu mit dem Blick Gottes anschauen.





    3. Gemeinsamer Blick



    Das war in der Kirche schon immer eine Herausforderung: Wie kann mein Blick, meine Erkenntnis, meine Schau, meine Betrachtung Gottes zusammengehen mit all den anderen Blicken der anderen Menschen. Denn unser Blick auf die Menschen, auf unsere Zeit, auf Gott ist keine selbstvergessene Privataudienz. Es ist immer schon ein gemeinsamer Blick, ein kirchlicher Blick.



    Bei dem Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst …“ geht es ja auch mit darum, die Mitspieler zum genauen Schauen aufzufordern. „Schau hin“ sage ich, „ich sehe etwas, das lohnt sich näher anzuschauen. Ich glaube, das könnte dich interessieren.“ Das Spiel macht letztlich keinen Spaß, wenn ich mit keinem mein Geheimnis teilen kann, wenn ich allein bleibe mit meinem Wissen, mit meinem Blick.



    Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir heute gemeinsam Ansgar feiern, dann brauchen wir diesen wechselseitigen Blick: Jeder von uns ist ein Augen-Blick Gottes. Aus Gottes barmherzigen Blick heraus dürfen wir auf unsere Mit- und Umwelt schauen. Und wir blicken gemeinsam auf den, der „in den Himmel aufgenommen wurde und sich setzte zur Rechten Gottes“ (Mk 16, 19).
  • Predigt anlässlich der Bundesjugendtagung des DJK Sportverbandes in Hamburg / Ökumenisches Forum Hafencity / Hamburg / 16. 01. 2016
    Es gilt das gesprochene Wort



    Evangelium: Joh 2,1-11



    Liebe Schwestern und Brüder,



    ich möchte Ihren Blick lenken auf den Mann, der für das Festmahl in Kana Verantwortung trägt. Man könnte ihn vielleicht als den Leiter des Küchenteams bezeichnen oder modern als den Chef des Caterers oder noch eine Spur spezieller, als eine Art Sommelier, ein richtiger Weinkenner. Vielleicht sind Sie einem solchen Menschen schon einmal begegnet bei einer Weinprobe in einem Winzerkeller. Als Spezialisten nehmen sie die sogenannte Blume des Weines auf, riechen an dem Wein, schlürfen ihn, wägen ihn auf der Zunge hin und her. In einem nächsten Schritt trinken sie den Wein oder spucken ihn aus, um mit ein wenig Brot den Gaumen für die nächste Kostprobe bereitzumachen. Aber all das könnte Ihnen ein Fachmann sicherlich wesentlich eindrücklicher erklären als ich.



    Einen solchen Fachmann haben wir im Evangelium. Er ist nicht nur für die Speisen und Getränke verantwortlich, sondern er ist auch der Koster des Weins, ja der Vorkoster.



    Dieser Vorkoster probiert den Wein, der ihm nach der „Verwandlung“ vorgesetzt wird. Er entdeckt seinen fabelhaften Geschmack. Dieser Geschmack ist offenbar so bestechend, dass er den Bräutigam für sein unkluges Verhalten geradezu tadelt. Diesen guten Tropfen hätte man schließlich zuerst vorsetzen sollen, nämlich dann, wenn die Leute noch nicht als zu angeheitert sind. Sie sollen ja den herrlichen Wein erst einmal wertschätzen. Danach kann man ihnen dann weniger edle Tropfen vorsetzen. Das bekommt dann nicht mehr jeder so mit. Der Vorkoster hat also bemerkt, dass er es mit einem besonders edlen Tropfen zu tun hat.



    Weinkenner haben ihre Geschmackssinne bestens geübt, gleichsam trainiert. Sie gehen klug und vorausschauend mit ihnen um, damit sie ihren Geschmack nicht verderben. Weinkenner betrinken sich nicht.

    Der Wein: Er ist ein Bild für das Reich Gottes, für dessen Freude und Schönheit (wie die Kirchenväter das interpretiert haben). Es geht also darum, dem Reich Gottes auf den Geschmack zu kommen. Es geht darum, an Gott Geschmack zu finden. Das Evangelium lädt uns ein, auf den Geschmack nach Gott zu kommen. Dazu müssen wir gleichsam unsere Geschmacknerven trainieren. Wir müssen sie sensibilisieren, damit wir wie bei einem guten Wein Gott selber herausschmecken in allem, was uns in die Sinne kommt.



    Ich bewundere solche Feinschmecker, „Gottesschmecker“. Auch wenn man immer davon aus-geht, dass Priester (und erst recht Bischöfe) gute Weinkenner sind, ich bilde mir das nicht ein. Ich müsste viel üben und probieren, bis ich einen richtig guten von einem weniger guten Wein unter-scheiden könnte. Aber als Christ und als Priester und als Bischof glaube ich im Laufe der Jahre ein wenig Erfahrung gesammelt zu haben, so dass ich sagen könnte, das riecht nach Gott, das schmeckt nach Gott. Und ich bin im Laufe meines Lebens dem einen oder anderen Menschen begegnet von dem ich behaupten würde, dass er ein Gottesschmecker ist.



    1. Meines Erachtens schmeckt es immer da nach Gott, wo es froh und schön zugeht. Eine Hochzeit ist ein Fest der Freude. Bezeichnenderweise resümiert der Evangelist Johannes dieses erste Wunder mit der Bemerkung: „So offenbarte Jesus seine Herrlichkeit“. Da, wo es fröhlich, wo es schön, wo es herrlich zugeht, da kommen wir dem Reich Gottes auf die Spur. Eine oberflächliche Freude oder gar das Gegenteil davon – wie die Ereignisse der letzten Silvesternacht zeigen- sind auch das krasse Gegenteil des Reiches Gottes auf Er-den



    2. Das Wunder der Verwandlung geschieht geradezu im Hintergrund, gleichsam im Verborgenen, nicht auf offener Bühne, nicht mit großen Effekten. Für mich schmeckt es immer da besonders nach Gott, wo Menschen zurückhaltend auftreten, wo sie echt, authentisch, demütig und bescheiden tätig werden. Christus schlägt in seiner Menschwerdung den ganz normalen Weg des Menschseins ein. Vielleicht ist deswegen auch das erste Wunder ausgerechnet bei einer Hochzeit passiert, bei einem urmenschlichen Ereignis. Ich glaube, immer da wo es echt menschlich zugeht, kommen wir auf den Geschmack nach Gott.



    3. Gott ist da am Werk, Gott können wir da herausschmecken, wo Menschen sich investieren, wo sie die Angst davor verlieren, sich einzusetzen und zu wirken. Oder um es noch einmal zu vergleichen: Einen Wein, der bloß im Regal liegt, werde ich nicht schmecken können. Der mag noch so gut sein, aber auf seinen Geschmack komme ich jedenfalls nicht. Der Korken muss herausgezogen werden. Die Flasche muss in die Gläser gefüllt werden und diese sollen getrunken werden. Und genauso dürfen wir als Christen nicht unter Verschluss bleiben. Gleichsam schön sortiert in Strukturen, in Gemeinden, in Verbänden. Nein, wir müssen unseren Geschmack entfalten können und einbringen. Und wenn wir das tun, werden wir auch Geschmack an Gott finden und werden andere diesen Geschmack an Gott mit uns teilen können.



    Der Heilige Ignatius von Loyola hat einmal gesagt: „Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das Verkosten von innen her“.



    Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht können Sie sich in diesem verantwortlichen Menschen, in diesem Feinschmecker, in diesem „Gottesschmecker“ ein wenig wiederfinden. Vielleicht können Sie selber zu jemandem werden, der ein Verkoster des Reiches Gottes ist. Vielleicht lernen Sie Gott herauszuschmecken, lernen in den schönen Dingen auf ganz schlichte Art und Weise. Viel-leicht können Sie sich selbst einsetzen und investieren. All das müssen wir so gut üben und trainieren wie es eben im Sport – das ist ja ihr Fachgebiet – üblich ist.
  • Festansprache auf dem Neujahrsempfang der Landesinnung der Gebäudereiniger Nordost / Hamburg / 08. 01. 2016
    Leistung, Herkunft, Arbeit – Was bestimmt den Wert eines Menschen?



    Sehr geehrte Damen und Herren,

    was bestimmt den Wert eines Menschen?

    Drei mögliche Antworten auf diese Frage sind im Titel meiner Ansprache genannt: Leistung, Herkunft, Arbeit. Sie werden verstehen, wenn ich hinter diese drei Antwortmöglichkeiten ein großes Fragezeichen mache. Denn ich bin nicht der Meinung, dass eines dieser Worte auch nur annähernd den Wert eines Menschen umschreibt. Oder lassen Sie mich es anders sagen: Der Wert oder die Würde – die beiden Begriffe möchte ich hier synonym gebrauchen – des Menschen hängt nicht daran, was er leistet. Sie hängt auch nicht von seiner geografischen oder gesellschaftlichen Herkunft ab. Die Würde eines Menschen leitet sich auch nicht aus der Arbeit ab, die ein Mensch tut.

    Aber alles der Reihe nach. Lassen Sie mich auf diese drei Worte schauen und kurz erläutern, weshalb ich diesen Begriffen in Bezug auf unser Thema so skeptisch entgegen trete.



    Leistung

    Das Wort Leistung hat einen zwiespältigen Zungenschlag. Zum einen macht es im Zusammenhang mit der Rede von der Leistungsgesellschaft – positiv – klar, dass wir unsere gesellschaftliche Position dadurch verändern können, dass wir etwas leisten. Wir sind nicht, wie in einer Ständegesellschaft, auf unser soziale Position festgelegt. Indem wir etwas leisten und etwas Großes bewegen, können wir uns und unsere Gesellschaft verändern. Und die Generation, die nach uns kommt, kann ähnliches tun. Die gläserne Decke, die gesellschaftliche Schichten voneinander trennt, ist längst durchlässig; ein Tellerwäscher schafft es zum Millionär, wie es der sprichwörtliche amerikanische Traum ins Bild bringt.

    Leistung kann uns auch zur Kreativität ermuntern, einen Schöpfergeist in uns aufwecken. Wo wir in gutem Sinne gefordert und motiviert werden, da können wir als Menschen über uns hinauswachsen. Wir können uns persönlich, aber auch unsere Gesellschaft einen Schritt weiterbringen.

    Gleichzeitig hat Leistung aber auch einen negativen Klang. Denn unser Wille zur Leistung kann sich auch schnell in ein „stahlhartes Gehäuse“ verwandeln, wie es der Soziologe Max Weber einmal ausdrückte. Gefangen sind wir dann in all den mechanischen, elektronischen und vernetzten Möglichkeiten unsere Leistung zu steigern. Diese Möglichkeiten fordern uns ständig auf, schneller, besser, flexibler zu werden. Leider werden wir dabei blind für all jene, die nicht das Letzte aus sich heraus holen können; die nicht im Akkord Hotelzimmer putzen können; die es aufgrund einer Behinderung schwer haben, im ersten Arbeitsmarkt unterzukommen.



    Herkunft

    Positive und negative Bedeutungen halten sich beim Begriff der Leistung die Waage. Ähnlich ist es bei der Herkunft.

    Die Herkunft – sozial und geografisch – prägt einen Menschen. Die Herkunft prägt seine Sprache, seine Sitten, seine Weltanschauung, seine politische Einstellung. Besonders in den vergangenen Monaten haben wir uns intensiv mit der Frage auseinander gesetzt, was passieren muss, dass Menschen aus einem fernen Land und aus einer anderen Kultur sich gut bei uns in Deutschland integrieren können. Welche Hürden müssen wir dafür abbauen? Welche inneren Hürden müssen die „Neuen“, die zu uns kommen, abbauen?

    Dabei stellen wir immer wieder fest: Herkunft ist für uns wichtig. Sie gibt uns Sicherheit, ein Gefühl von Heimat. Sie prägt unsere Weltanschauung. Herkunft verbindet uns auch stark mit anderen Menschen. Das erlebe ich immer sehr, wenn ich eine der vielen fremdsprachigen Gemeinden in unserem Erzbistum besuche.

    Herkunft darf aber der Integration nicht im Wege stehen. Sie darf auch uns nicht in die Quere kommen, wenn wir über die Würde eines Menschen sprechen. Denn diese Würde ist von der Herkunft eines Menschen vollkommen unabhängig. Ob ein Mensch aus Hamburg oder Bayern oder wie ich aus Köln, aus Deutschland oder der Türkei kommt ist für seine Würde unerheblich. Das gleiche gilt für das soziale Herkommen eines Menschen. Raumpflegekraft und Professorin – beide Personen haben die gleiche Würde, sind als Mensch gleich viel wert. Egal, wo ein Mensch herkommt: Es gilt immer der Satz, dass alle Menschen gleich-wertig, gleich-würdig sind. Das müssen wir uns immer wieder einprägen.



    Arbeit

    Die katholische Soziallehre sieht in der Arbeit „weder Strafe noch Fluch“. Vielmehr trägt die regelmäßige Arbeit sehr dazu bei, dass Menschen sich wertgeschätzt und angenommen fühlen. Die Arbeit ist ein wesentlicher Teil des Menschen und macht einen großen Teil unserer Lebenszeit aus. Darum ist es für jeden Menschen ein immenser Verlust, wenn er seinen Arbeitsplatz verliert. Gespräche mit unseren Caritas-Beratungsstellen vermitteln mir ein ums andere Mal den Eindruck, dass die allermeisten arbeitslosen Menschen arbeiten wollen. Gleichzeitig gibt es oft Gründe, die eine unkomplizierte Arbeitsaufnahme verhindern: körperliche oder psychische Krankheiten, ein behindertes Kind, eine pflegebedürftige Mutter, eine Erfahrung von Sucht oder Abhängigkeit, Lese- und Schreibschwierigkeiten.



    Aber auch hier gilt es festzuhalten: Für unser Selbstwertgefühl ist Arbeit sehr wichtig. Arbeit gibt uns auch in unserem Alltag Halt und Orientierung. Da muss allerdings gelten, dass die Arbeit mit adäquater Entlohnung und entsprechenden Arbeitsbedingungen einhergeht. Nicht umsonst setzen sich die Kirchen im In- und Ausland für faire Handelsbeziehungen und Arbeitsbedingungen ein.

    Arbeit ist aber nicht alles. Unsere Würde als Mensch hängt nicht von unserer Arbeit, der Tätigkeit als solcher oder dem Lohn dafür ab. Das wäre zu kurz gegriffen und würde einem Auf und Ab Tür und Tor öffnen.



    Was bestimmt den Wert eines Menschen?

    Sie fragen sich nun vielleicht: Herr Erzbischof, was macht denn nun die Würde, den Wert eines Menschen aus. Diese Frage möchte ich Ihnen gerne beantworten. Sie wird es nicht wundern, wenn ich im Folgenden auf einige Stellen aus der Bibel Bezug nehme.

    „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras

    und alle Herrlichkeit des Menschen

    wie des Grases Blumen.

    Das Gras ist verdorret

    und die Blume abgefallen.“

    Die Worte sind Ihnen vielleicht bekannt. Sie stammen aus dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms. Brahms hat diese Worte der Bibel entnommen – aus dem 1. Petrusbrief (1 Petr 24-25) sowie aus dem Buch Jesaja (Jes 40, 6-8).

    Die Worte bilden den einen Pol eines biblischen Spannungsbogens. Dieser Pol sagt aus: Der Mensch ist vergänglich. Wert hat aber letztlich nur, was unvergänglich ist. Also wieder eine Fehlanzeige?!



    So sieht es auch das biblische Buch Kohelet. Dort liest man den nüchternen Ton eines unbekannten Predigers (3, 19-20): Menschen und Tiere „haben ein und dasselbe Geschick. Wie diese sterben, so sterben jene. Beide haben ein und denselben Atem. Einen Vorteil des Menschen gegenüber dem Tier gibt es da nicht. Beide sind Windhauch. Beide gehen an ein und denselben Ort. Beide sind aus Staub entstanden, beide kehren zum Staub zurück.“

    Das Bild vom Staub kennen wir von Beerdigungen. Beerdigungen sind ja bedrückende Erinnerungen daran, dass der Mensch davon muss; dass sein irdischer Wert zerbrechlich ist. Woher kommt dann die Würde des Menschen? Die Würde wird dem Menschen von außen zu gesprochen.

    Wer ist dieses Außen?

    Wir könnten nun sagen, dieses Außen, das sind die anderen Menschen. Oft machen wir die Erfahrung, dass unser Selbstwertgefühl sehr davon abhängt, was andere Menschen von uns denken und wie sie über uns sprechen.

    Bestimmte Berufe und Berufsgruppen in unserer Gesellschaft sind nur deshalb angesehener als andere, weil wir als Gesellschaft den Berufen unterschiedliche Bedeutung beimessen; und dementsprechend unterschiedlich entlohnen. Das ist aber noch lange keine Aussage darüber, welchen Wert an sich eine bestimmte Berufsgruppe für unser Zusammenleben eigentlich hat.

    Das gleiche gilt für einzelne Menschen. Wenn allein die Aussage anderer Menschen darüber entscheidet, wieviel ich wert bin, dann ist das eine äußerst wacklige Angelegenheit. Das kennen wir aus Diskussionen über den Wert des Lebens an seinem Anfang und an seinem Ende. Vor kurzem noch haben wir darüber im Zusammenhang mit dem assistierten Suizid diskutiert.





    Wenn mein Wert, meine Würde davon abhängt, was andere von mir denken und wie andere dieses Denken in Gesetze und Verordnungen gießen, dann lebe ich gefährlich. Manche Fragen können und dürfen eben nicht politisch entschieden werden. Dazu zählt die Frage nach der Würde des Menschen.

    Das Außen, das über unseren Wert entscheidet, das könnte auch die Natur sein. Dieser sogenannte naturrechtliche Gedanke ist uns heute etwas fremd geworden. Er lässt sich folgendermaßen umschreiben:

    Unsere menschliche Natur – zu der auch die Vernunft gehört – hat einen Wert an sich. Egal, was Menschen sagen oder wie die Gesellschaft urteilt: Weil wir von Natur aus Menschen sind, deshalb besitzen wir einen natürlichen Wert. Wir haben folglich das natürliche Recht darauf, als Menschen mit Wert und Würde angesehen zu werden; ganz gleich welche gesellschaftliche Stellung wir innehaben.

    Auf dieser Basis formulierten die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes dessen ersten Artikel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Vor jeder politischen Entscheidung, vor jeder gesetzlichen Regelung, vor jeder gesellschaftlichen Stimmungslage erklären und setzten wir, dass jeder Mensch eine natürliche Würde hat. Weil der Mensch Mensch ist, besitzt er einen Wert. Punkt!

    Das Außen, von dem ich hier rede, kann auch Gott sein; damit komme ich zurück zum biblischen Zeugnis. Dieses kennt neben dem Pol der menschlichen Vergänglichkeit noch einen weiteren Pol: jenen der Gottesebenbildlichkeit.

    „Gottesebenbildlichkeit“ – das heißt nicht, dass wir Menschen Gott sind. Es heißt, dass Gott uns Menschen schafft und dass er in jeden von uns etwas von seinem Wesen hineinlegt.





    In der Schöpfungsgeschichte am Anfang der Bibel steht:

    „Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ Gen 1, 26-27

    Und im Buch der Psalmen ist zu lesen:

    „Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt. All die Schafe, Ziegen und Rinder und auch die wilden Tiere, die Vögel des Himmels und die Fische im Meer, alles, was auf den Pfaden der Meere dahinzieht.“ (Ps. 8, 4-9)

    Der Mensch erhält seine Würde und seinen Wert von Gott. Er ist sozusagen das Angesicht Gottes auf der Welt. Wenn ich einem Menschen begegne – bei der Arbeit, auf der Straße, in der Familie – dann begegnet mir sozusagen ein alltägliches Angesicht Gottes. Alltäglich, aber nicht minder Gott.

    Für mich als Christen ist also wichtig: Gott als die erste und letzte Instanz garantiert die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube aber nicht an einen weltabgewandten Gott, sondern an einen, der an Weihnachten Mensch wird und damit ein unglaubliches Zeugnis der Würde des Menschen abliefert.

    Sie haben aber vielleicht gemerkt, dass mit der Würde des Menschen noch ein weiterer Aspekt verbunden ist. Die Würde der Gottesebenbildlichkeit geht einher mit einer Aufgabe des Menschen. Diese Aufgabe möchte ich als Verantwortung des Menschen über seine Mit- und Umwelt umschreiben.





    So wie Gott all dem Geschaffenen mit Liebe und Zuneigung begegnet – denn das ist Gottes Art zu herrschen – so sollen wir Menschen uns der Welt zuwenden: mit Liebe und Zuneigung. Darin erfüllen wir den irdischen Zweck unseres Daseins. Darin gewinnt unser Leben Würde und Wert.

    Lassen Sie mich es so ausdrücken: Unsere von Gott geschenkte Würde als Mensch ist da, immer schon da ohne, dass wir etwas leisten müssen. Diese Würde ist aber verknüpft mit einer Verantwortung für unsere Mit- und Umwelt: in Beruf und Arbeit, in Gesellschaft und Politik, im öffentlichen und im privaten Bereich.

    Die Übergriffe, wie sie in der Silvesternacht in Köln, aber auch hier in Hamburg, begangen wurden, sind das glatte Gegenteil von dem, was wir Würde nennen. Deshalb treiben uns diese Untaten ja auch so um. Denn die Würde des Mitmenschen, besonders die Würde der Frau, war diesen Tätern nichts wert. Weder anerkannten sie, dass alle Menschen – gleich welchen Geschlechts, welches Glaubens, welcher Herkunft – Würde besitzen; noch kamen sie ihrer Verantwortung nach, diese Würde zu bewahren. Mich macht sehr, sehr traurig, dass all dies im Schatten des Kölner Doms geschehen ist.



    Schluss

    Leistung, Herkunft, Arbeit: Diese Begriffe geben Facetten unseres eigenen Selbstverständnisses als Menschen wieder. Sie sollen der Würde des Menschen ganz gewiss entsprechen. Allein von ihnen können wir aber nicht unsere Würde ableiten. Denn der Wert und die Würde des Menschen hängen an mehr. Sie hängen daran, dass unser Zusammenleben als Menschen von Wertschätzung und Achtung geprägt sind. Sie hängt auch daran, dass wir anerkennen, dass uns im anderen Menschen ein würdevolles und wertvolles Wesen entgegen tritt, gleichgültig, wo dieser Mensch herkommt, was er leisten und arbeiten kann.

    Was kann dies für Ihre Innung und Ihre alltägliche Arbeit konkret bedeuten? Ich lade Sie herzlich ein, hierüber heute und im weiteren Verlauf des Jahres in Ihren Gremien weiter ins Gespräch zu kommen.
  • Silvesterpredigt von Erzbischof Stefan Heße / St. Marien-Dom Hamburg / 31. 12. 2015
    Liebe Schwestern und Brüder,



    der Jahreswechsel kommt mir immer wieder vor wie das Durchschreiten eines großen Portals. Man lässt vieles hinter sich, tritt durch das Portal hindurch und geht hinein in einen neuen Raum, der noch leer und unberührt erscheint. Das, was am Jahreswechsel in so besonderer Weise geschieht ereignet sich eigentlich Tag für Tag im Kleinen. Jeder Morgen ist ein Durchschreiten eines Portals in einen neuen Tag. Und so ist es nicht verwunderlich, dass wir das nicht nur am Jahreswechsel im Sinn haben, sondern immer wieder.



    Auch der Übergang vom Leben zum Tod ist solch ein Tor. Mir fallen spontan die Namen einiger Verstorbener des zu Ende gehenden Jahres ein; alle haben sie etwas mit dem Norden zu tun: Sieger Köder – er gestaltete den Altar in unserer Kirche in St. Heinrich Kiel; Günther Grass als literarische Größe aus der Hansestadt Lübeck; Pierre Brice, den viele aus seinen Tagen aus Bad Segeberg kennen; Egon Bahr, der Gestalter der bundesdeutschen Ostpolitik; und natürlich Helmut Schmidt.



    Liebe Schwestern und Brüder, für mich persönlich war der 17. Januar ein Tor von dem einen, gewohnten Raum hin zu anderen, neuen Raum. An diesem Tag erhielt ich einen Telefonanruf des damaligen Diözesanadministrators Ansgar Thim mit der Nachricht: „Das Hamburger Domkapitel hat dich heute zum neuen Erzbischof gewählt“. Zunächst war diese Botschaft für mich vollkommen unerwartet und klang auch vollkommen unglaubhaft. Mir war nicht danach zumute, durch ausgerechnet dieses Tor hindurch zu gehen. Wenige Tage später bin ich dann tatsächlich zum ersten Mal durch die Tore des Hamburger Flughafens auf das Gebiet des Erzbistums Hamburg getreten und durch die Tore dieses Portals in den Hamburger Mariendom. Am 14. März habe ich hier die Bischofsweihe empfangen. In den vergangenen Monaten bin ich durch unzählige Tore hindurch gegangen, in die Gemeinden, in die Pastoralen Räume, in viele Einrichtungen zu Menschen in unserem Erzbistum, zu vielen Seelsorgern …. Ich bin dankbar, dass mir in den vergangenen Monaten so viele Menschen die Tore ihrer Gemeinden, ja auch ihre persönlichen Lebenstore weit geöffnet haben. Ich kann sagen: Mir wurde eigentlich nie die Türe vor der Nase zugeschlagen. Stück für Stück kann ich hineintreten in die Weite unserer riesigen Erzdiözese. Ich kann – wie man so sagt – Land gewinnen, indem ich meine Füße Schritt für Schritt auf bisher unbekanntes Terrain setzen darf. Und dabei mache ich eine Erfahrung: So leer, so unbekannt, so unberührt und ungestaltet ist dieses Land bei weitem nicht. Es ist ein Land, in dem Gott längst seine Spuren hinterlassen hat und immer wieder hinterlässt. Es ist ein Land, in dem ich, wenn auch in Diasporaverhältnissen, den christlichen Glauben und Gläubigen begegnen darf. Gott sei Dank!

    Als ich zu Beginn des Jahres meinen Dienst hier in Hamburg begann, hätte ich nicht gedacht, dass Migration und Flucht und Vertreibung so bestimmende Themen für mich würden. Und nicht nur für mich, sondern für unser ganzes Land. Ich hätte nicht gedacht, dass die Frage nach den Grenzen, nach dem Öffnen und nach dem Schließen so bestimmend würde. Die Fragen nach Obergrenzen, nach Asyl, nach Willkommen, nach Integration. Vor allem hätte ich nicht daran gedacht, als jüngstes Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz gerade diese Aufgabe als „Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen“ zugesprochen zu bekommen.



    Liebe Schwestern und Brüder. Diese riesige Migrationsbewegung, die derzeit die Welt bestimmt, lässt sich nicht mit einer wie auch immer gestalteten Mauer aufhalten oder lösen. Ich bin dankbar für die vielen Zeichen des Willkommens, die viele Menschen in unserer Stadt, in Mecklenburg und Schleswig-Holstein gesetzt haben und setzen. Auch für die vielen Zeichen aus unseren christlichen Gemeinden und Einrichtungen heraus. Aber es wird weitergehen und weitergehen müssen. Die Integration der vielen Menschen, die bei uns bleiben werden, wird ein langwieriger, schwieriger und sicher auch teurer Prozess werden. Vor allem werden wir daran arbeiten müssen, uns auszutauschen, den Dialog zwischen den Kulturen, den Religionen, ja, zwischen den Menschen zu pflegen. Das wird nicht leicht werden. Auch hier braucht es einen Dialog – wie wir so gerne in anderen Zusammenhängen sagen – „auf Augenhöhe“. Es bringt nichts auf die Menschen, die zu uns kommen, auf irgendeine Art und Weise herab zu schauen. Und es geht erst recht nicht an, eine zweigeteilte Welt zu konstruieren: hier wir und da die anderen. Versuchen wir mit allen unseren Kräften – auch mit der Kraft unseres Verstandes, aber noch mehr mit der Kraft unseres Herzens – den Weg vom Willkommen zur Integration Schritt für Schritt im neuen Jahr weiterzugehen.

    Liebe Schwestern und Brüder. Vor einigen Wochen hat Papst Franziskus anlässlich der Eröffnung des Heiligen Jahres die Heiligen Pforten am Petersdom und in den großen Patriarchalbasiliken in Rom geöffnet. Und wir hier in unserem Erzbistum am Mariendom und in den Propsteien in Kiel, Schwerin und Lübeck. Ich sehe den Papst noch vor mir, wie er die schweren Portale der Heiligen Pforte in Rom öffnet und aufstößt. Ich habe den Eindruck, es geht unserem Papst um eines: Dass wir durch die Pforten der Barmherzigkeit Gottes hindurch treten; dass wir nicht nur die Schwere dieser alten, großen Türen sehen und damit die Schwere der Ereignisse, die wir alle zu bewältigen haben und die auch 2016 auf uns zukommen werden. Im Gegenteil, wir könnten sagen: Die Pforte ist niemals verschlossen, sondern der Weg zu Gottes Barmherzigkeit ist immer offen. Die Tür ist immer angelehnt, du brauchst sie eigentlich nur aufzustoßen, und dann kannst du durch gehen. Und wie ein Leitwort stellt Papst Franziskus für dieses Jubiläum der Barmherzigkeit uns sozusagen als Überschrift über jedes Portal vor Augen: Super omnia misericordia eius: Über allem sein Erbarmen. Über allem seine Barmherzigkeit.



    Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen 2016 gelingt, beim Hindurchschreiten der vielen Toren und Türe in Ihrem Leben, der großen und kleinen, der schweren und leichten, stets die Spur von Gottes Barmherzigkeit entdecken zu können.



    Amen.
  • Weihnachtspredigt von Erzbischof Stefan Heße / St. Marien-Dom Hamburg / 24. 12. 2015
    Es gilt das gesprochene Wort



    Liebe Schwestern und Brüder!



    Die letzten Tage vor Weihnachten sind für viele hektische Tage, mit zähfließendem Verkehr, mit Stau, nicht nur auf den Straßen, sondern auch in den Fußgängerzonen und vor den Kassen der Geschäfte.



    Weihnachten bietet die Chance der Unterbrechung, des Innehaltens. Die Staus lösen sich auf, es wird auf einmal ruhig. Jetzt unterbrechen wir sogar den Rhythmus von Tag und Nacht und kommen zu einer der ungewöhnlichsten Zeiten zur Christmette zusammen. Weihnachten will auch die „inneren Stauungen“ auflösen helfen.



    Wir dürfen uns neu orientieren und über die Richtung unseres Lebens Klarheit verschaffen: Worauf kommt es an? Worauf kommt es mir an?



    Zuerst fällt dabei mein Blick jetzt auf das Kind: das Neugeborene in der Krippe. Emil Hansen, geboren 1867 in Nolde/Nordschleswig, besser bekannt als: Emil Nolde, dessen Werke gerade in unserer Kunsthalle ausgestellt werden, er hat es in seinem Polyptychon „Leben Christi“ 1912 so gemalt: Maria hält ihr Kind mit ausgestreckten Armen in die Höhe. Sie steht nicht daneben und schaut herab und hat dabei die Hände gefaltet. Nein, sie ergreift das Kind und hält es voller Stolz in die Höhe und in die Mitte des Bildes. Darauf kommt es an Weihnachten zuerst an: Jesus Christus zu ergreifen und mit ihm das Leben zu ergreifen, das neue, ursprüngliche, unverbrauchte und unverdorbene Leben. Keiner will doch ein Leben, das abgestanden ist, längst ungenießbar, verfault, verkracht und kaputt. Weihnachten will ich das neue, zarte, zerbrechliche und doch ganze schöne und vollkommene Leben begreifen und in meinen Händen halten. Mir wird deutlich: Nicht das große Theater rettet mich, nicht Machtgepränge, nicht Reichtum – all das macht nicht die Größe des Lebens aus. Die Größe liegt im Kleinen, die Vollendung im Ursprung, das Besondere im Einfachen. Weihnachten will ich dieses, mein Leben, in Händen halten. Und doch irgendwie das Leben dieser Welt, um deren Überleben wir uns sorgen, nicht nur die Politiker beim Klimagipfel in Paris, sondern auch wir hier beim Klimapilgerweg, der in Flensburg begonnen hat. Denn die Bewältigung des Klimawandels – in der großen Politik, aber auch bei den vielen, kleinen Schritten vor Ort – ist Ausdruck dieser Sorge um unser Leben und das Überleben der Erde und auf unserer Erde.



    Und ein Zweites: Dieses Leben kommt in einer Krippe zur Welt, auf der Wanderung, in der Gesellschaft von Hirten, die im Freien leben. Wenn dem Kind selbst und seinen Eltern auch alles Mögliche fehlen mag, eines fehlt nicht: die menschliche Wärme.



    Ich denke in dieser Nacht an so viele, deren Leben aus lauter Dunkelheit und Kälte besteht: Ohne Obdach, auf der Flucht, direkt hier neben unserem Dom, am Hauptbahnhof, aber auch in Krieg und Terror, in Krankheit, Arbeitslosigkeit und vielem anderen mehr. Überall zu wenig, über und überall ein Mangel an Mitteln zum Leben, aber hoffentlich kein Mangel an Leben, weil Leben immer Beziehung ist. Da wo Beziehungsmangel besteht, besteht Lebensmangel. Weihnachten will unsere Beziehungen vertiefen – unter einander, zu uns selbst und nicht zuletzt zum Ursprung und Ziel des Lebens, zu Gott, von dem die Bibel sagt: Du bist ein Gott des Lebens.



    Und schließlich: Maria hält dieses Kind auf dem Bild hoch. Sie hält es in die Welt hinein. Es wird sich kontinuierlich in dieses Leben einleben. Es wird sich einleben in diese Welt, wie sie ist. Aber nicht nur das: dieses Kind wird sich nicht nur in die Welt einleben, wie die Welt eben ist, sondern es wird in diese Welt hineinleben, wie sie gedacht und gewollt ist. Dieses Kind, ja dieser Mann, dieser Jesus von Nazareth, lebt wie kein anderer die Echtheit zwischen dem Ursprung des Lebens von Gott her und den Realitäten dieser Erde. Er, er allein, bringt Anspruch und Wirklichkeit zusammen. Bei ihm sind Wort und Tat eins. Später wird er sagen: „Nicht jeder der zu mir sagt: ‚ Herr‘ wird in das Himmelreich kommen, sondern nur wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt‘ “ (Mt 7,21). Echtes Leben ist da, wo es diese Echtheit gibt, diese Einheit von Wort und Tat, von Anspruch und Wirklichkeit.



    Weihnachten will uns in Berührung bringen mit dem Leben. Weihnachten will uns aufhelfen unser Leben wieder anzunehmen, ja in die Hand zu nehmen: Als ganz einfaches, kleines, ursprüngliches Geschenk, als ein Leben in Beziehung und ein Leben in Einheit, in Einheit von Anspruch und Wirklichkeit.
  • Eröffnung der Heiligen Pforte zu Beginn des Jahres der Barmherzigkeit / St. Marien-Dom Hamburg / 12. 12. 2015
    Liebe Schwestern und Brüder,



    der heutige 3. Adventsonntag erhält sein unverwechselbares Gesicht von dem Wort des heiligen Paulus aus der 2. Lesung. Gaudete: „Freut euch im Herrn, denn er ist nahe“. Paulus schreibt dieses Wort nicht etwa aus einer komfortablen Situation, sozusagen aus dem bequemen Sessel heraus. Nein, dieses Wort schreibt er aus dem Kerker. Der Philipperbrief gehört zu den sogenannten Gefangenschaftsbriefen. Paulus schreibt ihn um das Jahr 55 aus dem Gefängnis in Ephesus. Ein damaliges Gefängnis - das stelle ich mir wenig komfortabel vor. Aber in einer solchen Situation ist damit zu rechnen, dass jederzeit die Tür aufgeht und der Gefangene zu seinem letzten Gang weggeführt wird. Wer in einer solchen Situation von Freude und Hoffnung sprechen kann, ja die Gewissheit hat, dass Gott ihm nahe ist, der muss wirklich ein tiefgläubiger Mensch sein. Paulus muss offenbar etwas von dem verstanden oder noch besser beherzigt haben, was der Prophet Zefanja in der ersten Lesung so ins Wort bringt: Das Urteil gegen dich ist aufgehoben. Auf gut Deutsch: Du bist freigesprochen.



    Die vier heiligen Pforten, die jetzt zu Beginn des Jahres der Barmherzigkeit in unserem Erzbistum errichtet worden sind, könnten unterschiedlicher nicht sein. Im Mariendom ist es der Eingang zum Statiogang, in der Propsteikirche in Kiel eine Tür, die mit dem Logo des Jahres der Barmherzigkeit verziert ist, in Schwerin das Portal zur Schlossstraße. Aber in der Propsteikirche Lübeck hat man in den Eingangsbereich eine Zellentür gesetzt. Sie erinnert an unsere vier Lübecker Märtyrer, die im Dritten Reich hinter solchen Gefängnistüren sitzen mussten. Auch von ihnen wissen wir ähnliches wie vom heiligen Paulus, nämlich diese große Freiheit, die sie gerade in den letzten Stunden ihres Lebens erfahren haben, wo ihnen klar war, dass sie eben nicht alles verloren, sondern alles gewonnen haben.



    Gerade in diesen Tagen hat Papst Franziskus, der die Idee der heiligen Pforte nicht nur an den römischen Hauptkirchen verwirklicht wissen will, sondern in allen Diözesen, vor Gefangenen davon gesprochen, dass ihnen ihre Zellentür zur Pforte der Barmherzigkeit werden kann. Ich glaube: Jede Tür kann zu einer solchen Pforte der Barmherzigkeit werden.



    Wir stehen Tag für Tag in unzähligen Schwellensituationen, sozusagen an der Tür. Und immer haben wir es in der Hand, an diese Tür zu klopfen bzw. von der anderen Seite her diese Tür zu öffnen. Das ist ja das Entscheidende an einer Tür. Sie muss sozusagen von zwei Seiten angegangen werden, damit es zu einer Begegnung, zu einem Zusammentreffen kommen kann. Auf der einen Seite braucht es jemanden, der klingelt und anklopft, und auf der anderen Seite jemanden, der bereitwillig öffnet. Es braucht einerseits den Mut, gerade an dieser Tür zu klingeln oder zu klopfen. Manchmal finden wir uns ja auch in Situationen, wo wir überlegen, soll ich das oder lass ich es lieber. Und umgekehrt braucht es von dem, der drinnen hinter der Tür ist, den Mut aufzumachen. Früher hat man dann und wann gesehen, dass die Gardinen ein wenig wallten, weil offenbar jemand dahinterstand und nur mal schauen wollte, wer da draußen klingelt. Aber geöffnet hat er dann unter Umständen nicht. Heute haben wir unsere Kameras und Haustelefone und können das viel versteckter tun. Beide Seiten müssen in Freiheit sich einander öffnen.



    Und solche Türsituationen, die gibt es nicht nur an der Haustür oder Wohnungstür. Die gibt es x Mal am Tag: z.B. die Tür zur Küche oder die Tür in das Zimmer eines anderen: Trau ich mich gerade jetzt dort anzuklopfen und um Einlass zu bitten? Bin ich drinnen bereit, mich stören zu lassen und bereitwillig zu öffnen? Die Tür am Büro beim Arbeitskollegen oder eine Tür im Krankenzimmer. Auf der einen Seite vielleicht jemand, der sich so danach sehnt, dass endlich mal jemand klopft und um Einlass bittet. Oder aber der Arzt, der sich meldet, um unter Umständen eine schwierige Diagnose zu verkünden …



    Papst Franziskus will uns alle diese verschiedenen Türsituationen vor Augen führen und wir haben es alle miteinander in der Hand, ob diese Situationen geöffnet werden für die Barmherzigkeit oder wir sie ihr verschließen.



    Lassen wir uns also durch die Pforte der Barmherzigkeit hier an der Kirche, durch die wir in diesem Jahr oft ein- und ausgehen, an die vielen Türschwellen in unserem Leben erinnern, die wir miteinander öffnen und durch die wir Gottes Barmherzigkeit in unser eigenes Leben, aber auch in das Leben vieler Menschen hereinlassen können. Amen.
  • Predigt in der Heiligen Messe anl. des Gedenkens der Lübecker Märtyrer / Propsteikirche Herz Jesu zu Lübeck / 10. 11. 2015
    Es gilt das gesprochene Wort



    (Evangelium: Mt 9,9-13)



    „Sag niemals drei, sag immer vier!“ – Darauf bestand der ehemalige Mitgefangene Adolf Ehrt-mann, als er im Frühjahr 1979 im Sterben lag. Eines seiner Kinder hatte ihn damit stärken wollen, er werde bald nun zu „seinen“ drei Kaplänen kommen. Es sind die vier Lübecker Geistlichen, an die wir heute denken: der evangelische Pfarrer Karl Friedrich Stellbrink, der Kaplan Johannes Prassek, Vikar Hermann Lange und Adjunkt Eduard Müller.



    Aber bevor wir vier sagen, meine ich, müssten wir eins sagen. Bevor wir von der Gruppe der vier Geistlichen sprechen, müssen wir auf jeden Einzelnen schauen. Alles beginnt einzig – artig.



    Ich schaue auf das Evangelium dieses Gottesdienstes, die Berufung des Apostel Matthäus. Er wird vom Zoll weggerufen, plötzlich und unerwartet in die Nachfolge Jesu. Er scheint alles stehen und liegen zulassen und ihm nachzufolgen. Vielleich kennen Sie auch jenes berühmte Bild des Malers Caravaggio aus der Römischen Kirche San Luigi dei Francese. Ich habe es vor Augen dieses Lichtspiel, Matthäus, der durch seine Gesten, aber mehr durch seinen Blick zum Ausdruck bringt: Ich? Ja, meinst du mich? …



    Christ sein beginnt damit, dass ein Einzelner merkt: „Ich bin gemeint. Ich bin gerufen. Ich stehe im Fokus des Interesses Gottes.“



    So beginnt die Geschichte der Vier im Einzelnen: Karl Friedrich Stellbrink, geboren 1894, Eduard Müller und Johannes Prassek, beide Jahrgang 1911 und schließlich Hermann Lange, 1912.



    Während „Gleichschaltung“ das Charakteristikum des Dritten Reiches war, meint Berufung genau das Gegenteil: Du bist mit deinen Anlagen, mit deinen Begabungen gemeint. Die sollst du in die Welt und in das Reich Gottes mitten in dieser Welt einbringen. Und so verwundert es nicht, dass jeder Einzelne der Vier ganz verschieden ist: Der eine äußerst kritisch und wagemutig, eigenständig im Urteil, begeisterungsfähig, der andere mit Sinn für Zweifler und Strauchelnde. Der eine, der mutig und frei redend Worte findet, der andere, der nichts ohne Konzept und gute Vorbereitung von sich gibt. Manch einer intellektuell anmutend und der andere eher einfältig daherkommend. Der eine zum Scherzen aufgelegt, der andere eher ernst.



    Genauso werden sie zum Dienst gerufen, zum Priester geweiht und zum Pfarrer ordiniert. Mit diesem Anliegen sagen sie ihr: „Hier bin ich. Adsum. Ich bin bereit."

    Ich habe den Eindruck: Die Einzelnen wissen um ihre Individualität sehr genau. Sie nivellieren sie nicht, sondern sie bringen sie ein ins Ganze. Die drei katholischen Geistlichen harmonieren offenbar so sehr, dass Johannes Prassek einmal sagte: „Wir sind die Brüder vom gemeinsamen Leben“. Völlig außergewöhnlich für die damalige Zeit ist die Freundschaft und das gemeinsame Wirken mit dem evangelisch-lutherischen Pastor Stellbrink. Aus dem Ich wird das Wir, aus der Eins wird die Vierzahl. Diese Gemeinschaft lässt sich dann durch die Gefangenschaft und selbst den Tod nicht mehr auseinander dividieren.



    Am Morgen des 10. November 1943 wird ihnen mitgeteilt, dass sie am Abend enthauptet würden. Im Abstand von drei Minuten fällt an jenem Abend von 18.00 Uhr an viermal das Fallbeil.



    Liebe Schwestern und Brüder, dieses Zusammenspiel von Ich und Wir – das leben uns Stellbrink, Lange, Müller und Prassek vor: Eins und Vier. „Sag niemals drei – sag eins und sag vier“. Diese Spannung, die schreiben sie nicht nur den Christen in Lübeck, sondern der ganzen Christenheit ein. Die Spannungseinheit von Christ und Mitchrist, von Geistlichem und Mitgeistlichem, ja die ökumenische Spannungseinheit von verschiedenen Konfessionen. Das Zueinander von Person und Gemeinschaft, von Personalität und Solidarität braucht die Kirche und unsere Gesellschaft – gerade jetzt. Bewahren wir deshalb dankbar ihr Gedächtnis. Amen
  • Gründung der Malteser-Caritas gGmbH / Kleiner Michel / 06. 11. 2015
    Evangelientext: Lk 16,1-8



    Der heutige Evangelientext über die Klugheit des unehrlichen Verwalters ist nicht etwa von einer Vorbereitungsgruppe ausgewählt worden und für diesen Anlass herangezogen worden, sondern die Liturgie für den heutigen Freitag der 31. Woche im Jahreskreis sieht diesen Text einfach vor: Lukas 16,1-8. Er passt bestens zu dem, was wir heute feiern. Die Gründung der Caritas-Malteser-gGmbH hier in Hamburg.



    Kernpunkt dieses Evangeliums ist ein Lob Jesu auf die Klugheit. Mir ist aufgefallen, dass Jesus in verschiedenen Zusammenhängen die Klugheit hervorhebt. So sendet er etwa seine Jünger aus wie Schafe unter die Wölfe und gibt ihnen den Ratschlag mit auf den Weg: „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“. Oder jeder von uns kennt das Lob auf die klugen Jung-frauen, die ihre Lampen bereitet hatten, genügend Öl dabei und deswegen mitten in der Nacht den Bräutigam mit hellem Licht empfangen konnten. Im heutigen Evangelium wird dieses Lob der Klugheit sogar noch auf die Spitze getrieben am Beispiel eines Verwalters, der nicht gerade zu den ehrlichsten Vertretern seiner Zunft gehört. Jesus geht es also darum aufzuzeigen, was Klug-heit ist und wie wichtig sie ist.



    In der mittelalterlichen Ethik wurde die Klugheit gern als auriga virtutum bezeichnet, also als Wa-genlenker, als Steuermann für die Persönlichkeit des Einzelnen. Klugheit will den Einzelnen auf einen guten Weg führen, will ihm helfen seine Möglichkeiten und Mittel möglichst gut einzuset-zen.



    Deswegen ist der Kluge gut beraten, wenn er nicht einfach mit der Brechstange daherkommt

    oder die Realität gar nicht erst wahrnimmt, sondern die Wirklichkeit möglichst gut analysiert und sich ein Urteil über die betreffende Situation verschafft. Der Kluge muss die Chancen und Risiken, die in einer Situation liegen, abwägen, um dann zu einer Entscheidung über seine Strategie und seine Mittel zu kommen.



    Manche sagen, damit das gelingen kann, braucht der Kluge eine wichtige Voraussetzung. Er muss sich über seine Dummheit im Klaren sein. Oder um es etwas feiner zu sagen: Er braucht Einsicht in die eigene Endlichkeit. Er benötigt die Tugend des Maßes und die Fähigkeit, sich selber nicht zu überschätzen. Es geht letztlich darum, dass dem Klugen deutlich wird: Ich darf nicht alles, was ich will bzw. kann!



    Klugheit – und das bringt unser Evangelium deutlich zum Ausdruck – Klugheit muss gepaart sein mit Wahrheit, mit Ehrlichkeit, mit Richtigkeit. Das wird uns in Deutschland gerade jetzt in einer geradezu historischen Stunde deutlich. Während wir hier Gottesdienst feiern und die Gründung der gGmbH begehen, diskutieren in Berlin die Abgeordneten des Deutschen Bundestages über das Gesetz der Beihilfe zum Suizid. Geschäftsmäßig organisierte Hilfe zum Suizid darf es in Deutschland nicht geben! Die Assistenz zum Suizid gehört nicht zu den Aufgaben eines Arztes. Dies wäre ein völlig falsches Signal und würde ältere und kranke Menschen unter Druck setzen, sich dafür rechtfertigen zu müssen, leben zu wollen. Stattdessen müssen wir alles tun, um die Sterbebegleitung auszubauen und totkranke und sterbende Menschen gerade in der letzten Pha-se ihres Lebens bestens zu begleiten zusammen mit ihren Angehörigen. Wir brauchen eine neue Qualität der Palliativmedizin und eine Ausweitung der Hospiz- und Palliativversorgung. Das müsste eigentlich der Normalfall, ja die Grundversorgung sein, damit niemand allein stirbt und niemand mit Schmerzen sterben muss. Hier müssen wir alle miteinander – und natürlich auch wir seitens der Kirche – unsere Beiträge erhöhen, dass jeder Wunsch nach Sterbehilfe verschwindet.



    Ich würde mir wünschen, dass der letzte Satz des Evangeliums „Der Herr lobte die Klugheit des unrechten Verwalters“ im Hinblick auf unsere Malteser-Caritas-gGmbh ein wenig anders lauten würde, nämlich: Der Herr lobte die Klugheit der ehrlichen Verwalter.



    So wünsche ich Ihnen einen guten Start. Ich wünsche Ihnen Klugheit aber auch Wahrheit. Brin-gen Sie beides miteinander in eine gute Verbindung, um so für die vielen Menschen in ihren Ein-richtungen gute Verwalter zu sein. Amen
  • Predigt an Allerseelen im St. Marien-Dom / Hamburg / 02. 11. 2015
    Es gilt das gesprochene Wort.







    Liebe Schwestern und Brüder,



    das heutige Gedenken aller Verstorbenen führt uns eine Vielzahl von Toten vor Augen. So, wie wir gestern an Allerheiligen die unzählbar große Schar der Heiligen vor Augen hatten so heute die der Verstorbenen. Bei jedem Einzelnen von uns sind es unterschiedliche Verstorbene, die er am heutigen Tag im Blick hat: Vielleicht die eigenen Eltern, oder den Ehepartner, Kinder, Kollegen, die Toten von Krieg und Gewalt, einen Lehrer …



    Wir schauen aber nicht nur auf die Verstorbenen, wir schauen auch auf ihr Sterben. Manche von ihnen sind plötzlich gestorben, andere haben vielleicht ein langes Leiden durchgemacht und es hat lange gedauert, bis sie endlich sterben konnten.



    So mancher von uns hat seine Angst: Nicht unbedingt vor dem Tod (wie viele sagen), sondern vielmehr vor dem Sterben. Und genauer: Vor dem Alleinsein, vor evtl. Schmerzen oder die Angst, nicht mehr über sich selbst bestimmen zu können, sondern fremdbestimmt zu werden. Wo wer-de ich sterben, kann ich zu Hause sterben, besteht die Möglichkeit, im Kreis meiner Liebsten sterben zu können?



    In dieser Woche wird sich der Deutsche Bundestag mit der Gesetzgebung zum assistierten Suizid befassen. Als Christen stehen wir eindeutig gegen jede Form organisierter Sterbehilfe und auch gegen ärztliche Sterbehilfe. Der Tod ist kein Therapieziel. Ich habe Angst vor einer Gesellschaft, in der die Schwachen, die Kranken und Sterbenden, diejenigen, die nicht viel leisten können, sich für ihr Dasein rechtfertigen müssten. Wir stehen für Sterbebegleitung für die Schwerstkranken und ihre Angehörigen. Wir stehen für den Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung.



    Am gestrigen Allerheiligenfest hat mir der Apostolische Nuntius hier im Mariendom das Pallium über die Schultern gelegt als Zeichen für meine Aufgabe als Metropolit in der Kirchenprovinz Hamburg. Pallium und palliativ stammen von ein und demselben lateinischen Wort ab. Es meint diesen Stoffstreifen bzw. den Mantel, den man um die Schulter legt. Und dann ist man geschützt. Das ist es, was wir brauchen und wonach sich jeder von uns in seinem Sterben und im Tod sehnt: Nach einem Schutzraum, nach einer Atmosphäre, wo wir sicher und geborgen sind, wo wir medizinische Hilfe erhalten, aber auch gut gepflegt werden. Und vor allen Dingen menschlich begleitet werden, seelsorglich gestützt werden und andere um uns haben, die uns nicht verlassen, sondern auf die wir uns dann verlassen können.
  • Heilige Messe mit Auflegung des Palliums / Hamburg / 01. 11. 2015
    „Ich bin drin“ – endlich – nach über einem halben Jahr konnte ich in der vergangenen Woche in meine Wohnung gleich hier am Mariendom einziehen. Nach Wochen und Monaten auf einem kleinen Zimmer mit nur ganz wenigem, bin ich jetzt endlich wieder in einer Wohnung.



    Umso mehr kommen mir in diesen Tagen die Menschen in den Sinn, die nicht drin sind. Die keine Wohnung, kein Dach über dem Kopf haben, sondern die aus ihrer Heimat fliehen mussten und unterwegs sind und noch längst nicht am Ziel. Sie sind nicht mehr in ihrer Heimat drin und nicht in einer neuen. Viele von ihnen sehen wir hier in unmittelbarer Nähe am Hauptbahnhof. Manche schlafen im Saal der Kirchlichen Dienste, Nacht für Nacht. Ich denke an die vielen Menschen, die sich für sie einsetzen und ihnen helfen. Meine Gedanken gehen aber auch zu jenen, die sich sorgen und fragen, ob das alles gut geht, wie wir das schaffen können? Ja: Ob wir das schaffen können? Natürlich braucht es Regelungen, es braucht Vereinbarungen, es braucht eine Organisation, aber es braucht zu allererst Menschen mit offenen Herzen und offenen Händen, die sich für die vielen Flüchtlinge einsetzen. Ich bin dankbar, dass in unserem Erzbistum das so viele so selbstverständlich tun. Wir sind ja eine Diözese, die nach dem zweiten Weltkrieg aus der damaligen Fluchtbewegung entstanden ist. Gott sei Dank können hier in unserem Erzbistum heute viele Menschen von sich selber sagen „Ich bin drin – in diesem Land, in dieser Gesellschaft, ja in dieser Kirche…“ Ich hoffe, dass es uns miteinander gelingt, auch die Herausforderungen dieser Tage zu bewältigen und mit dazu beizutragen, dass auch heute die Menschen, die uns kommen, von ganzem Herzen sagen können „Ich bin drin – endlich“.



    Wir feiern heute Allerheiligen. Wir denken an die vielen Heiligen, die bekannten, aber auch die unbekannten. Wir denken an einen heiligen Ansgar, der als erster Missionar hier im Norden gewirkt hat. Wir denken an den heiligen Answer, der in Ratzeburg als Mönch gelebt hat und als Märtyrer für den Glauben gestorben ist. Wir denken an den seligen Niels Stensen, der besonders in Mecklenburg verehrt wird, wobei er die letzten Jahre in Schwerin gewirkt hat. Wir erinnern uns an die Lübecker Kapläne, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden und hier in Hamburg für den Glauben gestorben sind. Wir denken an die vielen Patrone unserer Kirchen. Wir denken an unsere eigenen Namenspatrone: Eine unzählbar große Schar von Seligen und Heiligen. Und auch hier gilt: „Ich bin drin“. Die Heiligen sind nicht abgehoben, die Heiligen sind nicht weit von uns weg, sondern wir gehören zu ihnen und sie gehören zu uns. Wir sind eine große Gemeinschaft. Deswegen wird bei jeder Taufe die Allerheiligenlitanei gebetet.



    Und damit noch nicht genug: Wir sind nicht nur in der Gemeinschaft der Heiligen drin, sondern wir sind in Gott drin. Communio Sanctorum, wie es im lateinischen Glaubensbekenntnis heißt, meint nicht nur die Gemeinschaft der Heiligen, sondern meint zu allererst die Gemeinschaft am Heiligen, meint die Gemeinschaft mit dem, der der Heilige schlechthin ist, mit Gott selbst. Allerheiligen, das bedeutet: Ich bin in Gott drin und nur weil ich in Gott drin bin, bin ich in dieser Gemeinschaft der Heiligen aufgehoben und drin.



    Das wird am heutigen Tag auf besondere Weise deutlich. Der Apostolische Nuntius hat mir zu Beginn der heiligen Messe das Pallium aufgelegt. Ich erinnere mich noch gut an den 29. Juni diesen Jahres, an das Fest Peter und Paul. Damals war ich mit einer kleinen Gruppe aus unserem Erzbistum in Rom gewesen. Schon am Vortag sind wir im Petersdom in Rom gewesen. Dort sind die Pallien von Papst Franziskus gesegnet worden. Aber nicht nur das, sondern sie haben vom Vorabend über die Nacht bis zum Fest Peter und Paul direkt am Petrusgrab unter dem Altar im Petersdom gelegen. Das Pallium ist also ein Zeichen für die Verbindung mit dem Bischof von Rom, mit dem ersten Bischof von Rom damals, dem heiligen Petrus und mit dem jetzigen Bischof von Rom, Papst Franziskus. Der Papst ist der Garant für die Einheit der Kirche und in dieser Kirche sind wir alle drin.



    Ich dachte mir: dieses Pallium wird dir nicht wie eine Kette um den Hals gelegt und liegt nicht ganz eng an, sondern es ist viel Spielraum darin. Nicht nur, damit man es gut über den Kopf bekommen kann. Ich habe den Eindruck, das Pallium symbolisiert die Weite und Größe der Kirche, aber auch die Weite der Liebe Gottes. Der heilige Paulus sagte im Epheserbrief einmal, wir sollen die Höhe und die Tiefe, die Weite und die Breite der Liebe Gottes ermessen, die sechs Kreuze auf dem Pallium stehen für diese Liebe, die bis zum Äußersten gegangen ist (Eph 3,17).



    Dieses Pallium ist aber nicht nur ein Ehrenzeichen. Es ist eine Verpflichtung. Es ist ein Auftrag, es ist eine Sendung. So wie in manchen Bildern Christus dargestellt wird, der ein verletztes Schaf auf den Schultern trägt, so ist dieses Pallium für mich als neuer Erzbischof von Hamburg ein Auftrag, diese Menschen zu tragen, wenigstens ein wenig, diese Kirche zu tragen, so gut ich es kann, manches zu ertragen, was sich so leicht nicht ändern lässt, Menschen zu tragen, die selber schwer an sich tragen, solchen ein wenig Erleichterung zu schaffen, die selbst nicht mehr können.



    Nicht von ungefähr ist genau dieses Zeichen von Christus, der das Schaf auf den Armen trägt, das Logo für das Jahr der Barmherzigkeit, das in wenigen Wochen von Papst Franziskus eröffnet wird. „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden“. Jeder von uns ist immer auch wie ein Schaf, das getragen wird. Aber jeder Einzelne von uns, kann auch einer sein der trägt und der damit der Barmherzigkeit den Weg bereitet.



    „Ich bin drin“ – in meiner Wohnung, aber noch mehr: in Gott und in seiner Kirche. Helfen wir einander, drin zu bleiben, und helfen wir denen, die noch draußen sind.
  • Predigt im ökumenischen Gottesdienst zum Klimatag am 26.09.2015, Blankeneser Marktkirche / Hamburg / 26. 09. 2015
    Es gilt das gesprochene Wort



    Liebe Pilgerinnen und Pilger,

    liebe Schwestern und Brüder,



    „Ihr seid das Salz der Erde“.

    Es ist gerade einmal zwei Tage her, dass ich in der Zeitung davon gelesen habe, dass in Bolivien eine Bestimmung erlassen worden ist, wonach auf den Tischen in den Restaurants keine Salzstreuer mehr stehen dürfen. Der durchschnittliche Bolivianer verzehrt täglich offenbar viel zu viel Salz, so dass Bluthochdruck in Bolivien eine Volkskrankheit ist. Die Regierung weiß offenbar keinen anderen Rat, als die Salzstreuer von den Tischen zu verbannen. Salzlos!



    Eine Speise ohne jedes Salz schmeckt fad, ist gleichsam geschmacklos. Eine Speise, die versalzen ist, die total versalzen ist, ist genauso ungenießbar. Es braucht eine gute vernünftige Portion Salz in unseren Speisen und es braucht – das ist das Bild Jesu – uns Christen, denn wir sollen das Salz in der Welt, das Salz für die Welt sein, das ihr den richtigen Geschmack verleiht.



    Das, was Sie mit dem Klimaweg hier unternehmen, ist eine gute Portion Salz für unsere Welt. Genau darum geht es mit Ihrem konsequenten Einsatz für den Klimaschutz. Darum geht es, wenn die Kirche den Mächtigen ins Gewissen redet, wie Kardinal Frings es einmal ausgedrückt hat.



    Eine gute Portion Salz sollte uns zuerst zu schmecken und dann zu denken geben. Ohne gleich alles zu versalzen, dürften Sie mit Ihrem Engagement doch ein paar Körner mehr in die Suppe der Welt hineinwerfen. Denn ich glaube, das hat eine heilsame Wirkung: Wir unterbrechen dann nämlich unsere Gewohnheiten und Routinen. Wir pausieren und denken gründlich nach. Wir stoppen unsere Fahrt und schlagen eine neue Richtung ein. Jesus nennt das: „Metanoia“, Umkehr. Um-kehr, das heißt zunächst einmal anhalten, unterbrechen und dann eine neue Richtung aufnehmen und zielstrebig verfolgen.



    Auch Papst Franziskus schreibt in seiner Enzyklika „Laudato Si“, die vor einigen Wochen veröffentlicht wurde, von der Umkehr. Der Papst fordert, dass wir eine gemeinschaftliche Umkehr, dass wir eine ökologische Umkehr brauchen (§ 219). Gerne gebe ich Ihnen allen einige kleine Impulse von Papst Franziskus aus diesem Schreiben mit auf Ihren Pilgerweg.



    Franziskus spricht in dieser Umweltenzyklika immer wieder davon, dass alle Menschen, die jetzt Lebenden aber auch schon unsere Vorfahren und erst recht unsere Nachfahren in ein und dem-selben Haus miteinander leben. Es ist nicht wie in einer „Reihenhaussiedlung“, wo ein Haus neben dem anderen steht und am besten noch ein gutes Stück der Abgrenzung dazwischen. Nein, die Menschen aller Zeiten haben nur ein einziges Haus, das sie gemeinsam bewohnen und das ist diese eine Erde. Im Grunde genommen kann man das Wort „Ökologie“ damit aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzen. Es geht darum, dass wir begreifen, dass wir die Lehre akzeptieren, dass alle Menschen nur dieses eine Haus haben, und in diesem einen Haus gemeinsam miteinander leben und ihr Leben miteinander gestalten.



    Und das ist dann auch schon der zweite Gedanke, den Papst Franziskus in „Laudato Si“ immer wieder anspricht. Lösungen für die umwälzenden Probleme in der Ökologie kann keiner alleine finden. Solche Lösungen hat auch die Kirche alleine nicht parat. Im Gegenteil: Wir sind auf ein großes Miteinander angewiesen und wir können die Lösungen nur auf einem gemeinsamen Weg finden. Wenn Politik, wenn Wirtschaft, wenn Verwaltung, wenn Forschung und alle möglichen Lebensbereiche miteinander kooperieren und sich gemeinsam ihrer Verantwortung stellen. Dazu braucht es von uns allen eine gehörige Portion Umkehr.



    Und schließlich: Wenn wir als Christen von unserer Welt, der Erde, den Pflanzen, den Tieren sprechen, dann ist das nicht einfach nur Natur. Wir sprechen ganz bewusst von der Schöpfung, weil wir daran glauben, dass in den Geschöpfen der Schöpfer selbst lebendig wird. Deswegen hat schon der Heilige Franz von Assisi vor vielen hundert Jahren in seinem berühmten Sonnengesang, der ja auch mit den Worten beginnt „Laudato Si“, alle möglichen Geschöpfe aufgezählt. Die Son-ne, den Mond, das Wasser, das Feuer und vieles andere mehr. Aber er redet sie nicht einfach in der „Es“-Form an, sondern er tritt mit ihnen in einen Dialog. Er bezeichnet sie als seine Brüder und Schwestern. Franziskus spricht von der Schwester Sonne, vom Bruder Mond und u.a. auch von der Schwester Wasser. Vielleicht nehmen Sie gerade die Schwester Wasser mit in Ihre Betrachtung auf Ihrem Pilgerweg auf, wenn Sie gleich über die Elbe gehen. In vielen Teilen unserer Erde ist der Kampf um das Wasser längst heftigst entbrannt. In der Westlichen Hemisphäre gibt es eine Reihe von Firmen, die Land kaufen, nicht um den Landes Willen, sondern um diesem Land das nötige Waser abzugewinnen.



    Liebe Schwestern und Brüder „Ihr seid das Salz der Erde“. Bringen Sie mit Ihrem Pilgerweg, der Sie von Skandinavien aus über Flensburg im Norden unseres Erzbistums Hamburg heute über die Elbe führt bis hin nach Paris zum Klimagipfel. Bringen Sie auf diesem Weg eine gehörige Portion Salz in die Suppe dieser Welt.
  • Predigt zur Sendungsfeier der neuen Gemeindereferentinnen / Hamburg / 05. 09. 2015
    Liebe Frau Meisner, liebe Frau Rothermann, liebe Frau Weng, liebe Schwestern und Brüder!



    Zwei Boote am Ufer, ein Boot auf dem See, eines das übervoll ist mit einem reichen Fischfang, so dass noch andere Boote hinzukommen – immer wieder ist vom Boot in unserem Evangelium die Rede.

    Vielleicht haben Sie dieses Evangelium bewusst gewählt, weil Sie alle drei Ihren Einsatz in pastoralen Räumen und Gemeinden haben, die am Meer oder an Seen liegen: Schwerin mit seinen Seen, Waren mit der Müritz und schließlich Wismar und der pastorale Raum Nordwest Mecklenburg mit einer Küstenlänge von immerhin 115 km. Bei so viel Wasser gibt es auch Boote.



    1. Christus steigt ein.

    Jesus sieht die Boote am Ufer liegen. Am Tag sind sie leer, die Fischer haben ihre Arbeit hinter sich und die Boote liegen vor Anker. Jesus steigt nun in ein solches Boot ein. Das geschieht nicht beiläufig und auch nicht zufällig, sondern mit dem Einsteigen kommt es auch direkt zu einem Dialog mit Petrus, der seinen ganzen Frust vor Jesus ablädt: „Wir haben nichts gefangen“. Man könnte sagen: Jesus steigt in das Boot, ja in das Lebensboot des Petrus ein, und macht sich damit dessen Leben zu eigen. Jesus steigt dort mit ein, wo Frust und die Enttäuschung herrschen.

    Das ist die Lebensbewegung Jesu Christi: Einsteigen. Einsteigen in das Leben der Menschen. Und diese Bewegung ist uns als Kirche und Ihnen als Gemeindereferentinnen vorgezeichnet. Wir müssen uns fragen, wo und wie können wir in das Leben der Menschen hineinkommen. Es sind also keine Aussteiger gefragt, sondern pastorale Dienste sind Einsteiger. Nicht nur so lange sie „Anfängerinnen“ sind, steigen sie in den Beruf ein, sondern dauerhaft sollten sie immer wieder in das Leben, in die Schicksale aber auch in die Freude und Hoffnung der Menschen hineingehen, und versuchen sie sich zu eigen zu machen.

    Wenn wir vom Boot sprechen, können wir in der gegenwärtigen Situation unmöglich vorbeigehen an den Booten auf den Weltmeeren, dem Mittelmeer, den Meeren Südostasiens. An den vielen kleinen Booten mit unzähligen Menschen. An Booten, die für Flüchtlinge mit größten Hoffnungen verbunden sind und oft genug ohne jede Sicherheit und Fürsorge betrieben werden. An Booten, die leider nicht in einen sicheren Hafen hineinkommen, sondern auf offener See kentern und, wie Papst Franziskus sagt, das Meer zu einem der großen Friedhöfe der Welt werden lassen. Als Kirche, als einzelner Christ und erst recht als pastoraler Dienst sind wir aufgefordert auch in die Leben dieser Menschen einzusteigen.



    2. Das gefüllte Boot.

    Das Boot, in das Jesus sich hineinsetzt und mit Petrus hinaus zu einem erneuten Fischfang auf den See fährt, ist am Ende bis zum Rand gefüllt. Mehr geht offenbar nicht. Ein himmelweiter Unterschied besteht offenbar zwischen dem vergeblichen Fang der Jünger in der letzten Nacht, von dem sie mit leeren Booten zurückgekehrt sind, und dem Fang am helllichten Tag, der überbordend voll ist. Schärfer kann der Kontrast wohl kaum bezeichnet werden! Wer auf Jesu Wort hin die Netze auswirft, der darf mit einem reichen Fang rechnen.

    Sind unsere Netze vielleicht manchmal deswegen so leer, weil wir nicht auf Jesu Wort hin, sondern auf unseren eigenen Willen hin Netze auswerfen? Oder fahren wir vielleicht gar nicht auf sein Wort hin auf die See hinaus, weil wir es gar nicht hören? Bleiben wir nicht manchmal am Land sitzen, weil wir keine Motivation haben, auf Gottes Willen zu reagieren und hinauszufahren?

    Und noch etwas: Den Fang holen sie in ihr Boot hinein. Ich halte das für etwas sehr wichtiges: Die Erfahrung der Fülle ereignet sich im Boot. Das will wohl bedeuten: Die Erfahrung der Fülle und des reichen Fischfanges ereignet sich mitten im Leben. Sonst könnten wir sie wohl kaum erfahren!

    Eine der wesentlichen Aufgaben des pastoralen Dienstes, egal ob als Priester, Diakon oder Pastoral- oder Gemeindereferent, besteht doch darin, einen Raum zu eröffnen, dass Menschen die Erfahrung Gottes und seiner reichen Fülle mitten in ihrem eigenen Leben machen können. Und nicht irgendwo daneben oder in einer Sonderwelt.

    Ich glaube jeder von Ihnen hat schon einmal diese Erfahrung der Fülle und der reichen Netze im eigenen Leben machen können. Jedenfalls einiges haben Sie mir davon berichtet. Sonst würden Sie heute hier nicht in den pastoralen Dienst des Erzbistums aufgenommen. Machen Sie sich also das Wort aus dem Buch Josua zu eigen: „Sei mutig“ (Josua 1,6.9). Seien Sie so mutig auf Gottes Wort hin mitten auf die offene See hin zu fahren und die Netze auszuwerfen!



    3. Mit dem Boot fahren.

    Die Boote am Land liegen einfach da. Sie sind leer. Kein Fang! Aber das herausfahrende Boot, das wird zum Ort der Gotteserfahrung. Jesus lässt seine Jünger diese Erfahrung nicht rein theoretisch machen. Er doziert sie ihnen nicht am Ufer auf dem Sand, sondern diese Erfahrungen machen die Jünger nur weil sie fahren, weil sie mit dem Boot hinausfahren.

    Eine der wichtigsten Kennzeichen der Gegenwart ist die Mobilität. Die Mobilität von uns Menschen, die Mobilität von Fahrzeugen, die Mobilität von Daten …

    Ich wünsche mir pastorale Dienste, die ein hohes Maß an Beweglichkeit haben, weil ich glaube, dass wir in den nächsten Jahrzehnten viele Veränderungen erleben werden und weil ich davon überzeugt bin, dass wir als Pilger durch die Zeit hindurch gehen sollen. Die ersten Christen wurden Menschen eines neuen Weges genannt (Apg 22, 4). Lassen Sie sich auf die vielen Veränderungen ein. Seien Sie mobil und beweglich. Im wahrsten Sinne des Wortes – aber auch im übertragenen. Bewahren Sie sich eine äußere Mobilität – und Bewegung ist ein wichtiger Gesundheitsfaktor auch für pastorale Dienste – bewahren Sie sich aber auch eine innere Mobilität hin zu den Menschen und hin zu Gott.



    Liebe Schwestern und Brüder, vor einigen Tagen habe ich in einer Zeitung gelesen, dass am See Genezareth eine neue Kapelle gebaut wurde. Man kann aus einem Fenster der Kapelle direkt auf den See schauen. Und dabei hat man unwillkürlich das heutige Evangelium vor Augen: Denn der Altar dieser Kapelle ist wie ein großes Schiff gestaltet. Wenn wir jetzt hier miteinander Eucharistie feiern, und wenn Sie das immer wieder in Ihren Gemeinden miteinander tun, dann hören wir nicht nur das Evangelium, sondern dann wird es Gegenwart. Dann ist der Altar das Boot, in dem wir aus der Fülle Jesu Christi empfangen können, auch heute und hier. Amen.
  • 100 Tage im Amt - Brief an Gemeinden, Mitarbeiter und Gläubige / Hamburg / 26. 06. 2015
    An die Priester & Diakone,

    Pastoral- und GemeindereferentInnen,

    MitarbeiterInnen im Erzbistum Hamburg

    und die Mitglieder der diözesanen, regionalen

    und lokalen Gremien



    Liebe Mitbrüder,

    liebe Schwestern und Brüder,



    in diesen Tagen bin ich verschiedentlich zu Interviews angefragt worden, weil ich etwa 100 Tage als Ihr neuer Erzbischof in Hamburg im Amt bin. Ehrlich gesagt, habe ich persönlich die einzelnen Tage gar nicht nachgezählt. Sie sind wie im Flug vergangen. Von Anfang an habe ich mich im Erzbistum Hamburg sehr wohl gefühlt.



    Ganz herzlich möchte ich Ihnen allen danken für die freundliche Aufnahme, die ich bis heute immer wieder erfahre: bei vielen Gemeindebesuchen, aber auch in den Einrichtungen, bei den Verbänden und vielen Gruppierungen in unserer großen Erzdiözese. Dafür – und nicht zuletzt auch für die vielen, die mir versprochen haben für meinen Dienst und unser ganzes Bistum zu beten, bin ich sehr dankbar!



    Ich habe in diesen Wochen viele Eindrücke gesammelt, die ich gut verarbeiten möchte und muss. Ich will nicht ins Detail gehen, aber ein Eindruck, der sich bei mir sehr eingeprägt hat, ist folgender: Die vielen Menschen in unserer Diözese möchten gesehen und wahrgenommen werden. Immer wieder kamen mir Stellen aus den Evangelien in den Sinn, wo es ganz schlicht und einfach von Jesus heißt: „Und er blickte ihn an“. Man kann diese kleinen Sätze schnell überlesen, aber sie sind wichtig. Menschen anschauen, sie wahrnehmen und ihnen Aufmerksamkeit schenken – und das schlicht und einfach durch einen Blick, einen An-Blick. Das kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ich dachte mir: Vielleicht kann ich als Ihr neuer Erzbischof diesen liebevollen Blick Jesu ein wenig weitergeben. Und hoffentlich können sich viele Menschen in unseren Blicken so geborgen wissen, wie damals im Anblick Jesu. In dem kleinen Gebet von Kardinal Suenens, das auf der Rückseite des Bildes zu meiner Bischofsweihe abgedruckt ist, lautet eine Bitte schlicht und einfach: „Gib uns deinen Blick“.



    Mir schwirren viele Überlegungen durch den Kopf, wie ich als Bischof die große Erzdiözese mit ihren vielen einzelnen Teilen im Blick behalten und mit Ihnen in Kommunikation bleiben kann. Ich suche nach Formen, wie ich dies verlässlich tun kann. Ich glaube, dass die Besuche und Begegnungen vor Ort dazu sehr wichtig sind. Mit den ehemaligen Vorständen des Diözesanpastoralrates und des Priesterrates suche ich auch nach solchen Formen für die Zukunft.

    In der Verwaltung des Bistums tagt seit einiger Zeit regelmäßig der sogenannte Erzbischöfliche Rat, in dem alle Abteilungsleiter des Generalvikariates versammelt sind zusammen mit Generalvikar Thim, Weihbischof Jaschke und Vertretern aus den Regionen.



    In dieses Gremium möchte ich nach der Emeritierung von unserem langjährigen Weihbischof Norbert Werbs, den wir am 20. Mai in Schwerin in einer sehr schönen Feier verabschieden und für sein treues Wirken danken konnten, Propst Horst Eberlein berufen. Als neuer Domkapitular soll Horst Eberlein nicht nur in diesem Gremium für die Anliegen der Region Mecklenburg stehen, sondern auch umgekehrt in der Region mein Vertreter sein, dies vor allem im Hinblick auf die Arbeit mit unseren regionalen Gremien und auf die ökumenischen Kontakte.



    Schließlich werde ich am Fest Peter und Paul in Rom das Pallium von Papst Franziskus überreicht bekommen. Mit einer kleinen Gruppe, in der unter anderem unsere Seminaristen vertreten sind, aber auch aus jeder Region unserer Diözese eine ehrenamtliche Mitarbeiterin aus dem Caritasbereich, werde ich nach Rom fahren. Nach der neuen Ordnung soll dann der jeweilige Nuntius dem neuen Erzbischof in einer eigenen Feier in der Diözese das Pallium über die Schultern legen. Dies soll am Sonntag, 1. November im Gottesdienst um 10.00 Uhr im St. Marien-Dom in Hamburg stattfinden. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, die Ministranten aus unserem ganzen Erzbistum nach Hamburg einzuladen. Dieses Fest beginnt am Nachmittag zuvor (31. Oktober 2015) mit einem bunten Programm.



    Schon heute möchte ich Sie darauf hinweisen – aber das dürfte nichts Neues für Sie sein: Vom 26. bis 31. Juli 2016 findet der Weltjugendtag in Krakau statt, zu dem ich selbstverständlich hinfahren möchte und mich freuen würde, wenn viele Jugendliche und Seelsorger aus unserem Erzbistum dabei sein könnten.



    Weil zum Weltjugendtag bekanntlich nur Jugendliche von 16-30 Jahren eingeladen sind, laden wir bewusst auch unsere Jüngeren schon heute schon zur 3. nord-westdeutschen Ministrantenwallfahrt vom 17.-19. Juni 2016 nach Paderborn ein.



    Viele von Ihnen werden in den nächsten Wochen Urlaub machen. Ich freue mich auch schon auf meinen eigenen Urlaub und hoffe durchatmen und mich gut erholen zu können. Ihnen allen wünsche ich eine erholsame Zeit, in der Sie wirklich ausspannen und neue Kräfte sammeln können.



    Mit herzlichen Segenswünschen verbleibe ich



    Ihr



    + Stefan

  • Predigt zum Gedenktag der Lübecker Märtyrer / Hamburg / 25. 06. 2015
    Am 9. März 1942 werden Pastor Karl Friedrich Stellbrink die Augen geöffnet. Bei der Beerdigung einer Lübecker Nazigröße wird in der Friedhofskapelle das Kruzifix bewusst mit einem Mantel verhüllt. Für Stellbrink ist das ein überdeutliches Zeichen für die Gottesferne und Verlogenheit des Regimes.



    Das Wirken von Pastor Stellbrink und derdrei Kapläne Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller können wir so lesen: Sie ent-hüllen. Die Vier durchbrechen die Verschleierung, das perfide Versteckspiel des Regimes, Sie durchbrechen die Lüge, die ja auch eine spitzfindige Weise der Verhüllung ist, indem sie nichts anderes tun als zu ent-hüllen. Sie nennen das, was sie für wahr und richtig halten, schlicht und einfach beim Namen. Sie reden Klartext.



    Damit setzen die Lübecker Märtyrer das um, was Jesus Christus von seinen Jüngern eingefordert hat: Am hellen Tag und auf den Dächern sich zur Wahrheit bekennen. „Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird. Und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird“ (Mt 10,26).



    Der Märtyrer, der Zeuge ist jemand, der „nichts anderes“ tut, als die Hülle, die über der Wahrheit liegt, wegzunehmen. Damit bringt er die Wahrheit zum Vorschein. Das griechische Wort für Wahrheit lautet Aletheia. Es meint übersetzt: die Unverborgenheit, die Unverhülltheit.

    Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich gerne das sogenannte „Mäntelchen des Schwei-gens“ über die Wahrheit versuche zu legen. Dann frage ich mich: Kann es nicht sein, dass wir Menschen ganz gerne die Dinge nicht in ihrer Radikalität und Nüchternheit anschauen, sondern sie uns schönfärben und damit auch verkleiden? Wieviel Verhüllung gibt es nicht in meinem per-sönlichen Leben und in unserem Zusammenleben als Gesellschaft?

    Wir brauchen Enthüllungen, gerade im geistlichen Leben. Johannes der Täufer, dessen Geburts-tag wir gestern feierten, war ein Enthüllungsmeister. Seine Worte hämmerten den Menschen ein: Kehrt um! Seine Offenheit war für das Establishment mehr als unangenehm. Das Regime konnte die Wahrheit nicht ertragen. Es brachte ihn um.



    Und der heilige Paulus fasst sein apostolisches Tun in dem einen Satz zusammen: „Ich soll enthül-len wie jenes Geheimnis Wirklichkeit geworden ist, das von Ewigkeit her in Gott dem Schöpfer des Alls verborgen war“ (Eph 3,9).



    Ein aktuelles Beispiel für diesen Dienst an der Wahrheit hat uns vor wenigen Tagen Papst Franzis-kus geliefert mit seiner Enzyklika Laudato Si. In großer Nüchternheit enthüllt er die derzeitige Si-tuation der Schöpfung. Eine Fülle von Themen spricht er an: Klimawandel, Abfall, Wegwerfkultur, Wasserfrage, Verlust biologischer Vielfalt, Verschlechterung der Lebensqualität, sozialer Nieder-gang und soziale Ungerechtigkeit.



    Papst Franziskus ist klar, dass bei dieser Fülle von Problemen keine einfachen Lösungen zum Ziel führen. Man wird das Ganze nicht technokratisch, erst recht nicht bürokratisch, aber auch nicht einfach ökologisch lösen können. Deswegen fordert er eine „ganzheitliche Ökologie“. Diese um-fasst eine Umweltökologie, eine Wirtschaftsökologie, eine Sozialökologie, eine Kulturökologie, ja eine Ökologie des Alltags.



    Und bei all dem sieht Papst Franziskus die Verantwortung bei uns. Der Mensch muss radikal um-kehren. Wir müssen unser Leben ändern.



    Papst Franziskus: ein Zeuge der Wahrheit, ein Mensch, der sich diesem oft mühsamen Prozess der Enthüllung unterzieht. Schicht für Schicht legt er frei, um an die Wahrheit der Dinge, die Wahrheit des Menschen und der Schöpfung heranzukommen.



    Die Lübecker Märtyrer haben sich vor siebzig Jahren diesem Dienst in dunkler Zeit gestellt. Jeder von uns kann mit ihnen ein solcher Zeuge sein und sich diesen Auftrag der Enthüllung, der Wahr-heitsfindung zu eigen machen.

  • Ramadan 2015 - Grußbotschaft des Erzbischofs Dr. Stefan Heße / Hamburg / 17. 06. 2015
    Sehr geehrte Gläubige,



    die Zeit des Ramadan beginnt am kommenden Donnerstag, den 18. Juni. Der Fastenmonat beinhaltet Besinnung und Reflexion. Das eigene Leben in den Blick nehmen, die Ihnen heilige Schrift des Korans lesen und hören und sich selbst prüfen sind Kennzeichen dieser Zeit.

    Aber auch die Gemeinschaft spielt eine große Rolle. Der Mensch steht nicht allein vor seinem Schöpfer, sondern er ist eingebettet in die Gemeinschaft der Menschen. Dies wird deutlich am Fastenbrechen, dem Iftar. Die Menschen kommen zusammen, um dem Schöpfer für diese Gemeinschaft zu danken, die Hilfe und Unterstützung bietet.



    Es ist ein schöner Brauch, dass Muslime viele Menschen unterschiedlichen Glaubens zum Fastenbrechen einladen. Die große Gastfreundschaft, die darin zum Ausdruck kommt, können wir Christen annehmen als ein Zeichen für den Glauben, dass alle Menschen von Gott und auf ihn hin geschaffen sind.



    In der heutigen Zeit gibt es viele Herausforderungen, die die Menschen nur gemeinsam lösen können. Gewalt, Hass, Vertreibung und Krieg sind große Übel, die nur gelöst werden können, wenn sich die Menschen ihrer gemeinsamen Verantwortung vor dem Schöpfer bewusst sind. Mit Respekt und Hochachtung müssen Menschen miteinander umgehen, unabhängig von ihrer Religion, Konfession oder ihrem kulturellem Hintergrund. Alle Gläubigen sind aufgerufen, Zeichen für eine gegenseitige Wertschätzung und Achtung zu setzen, um die Anforderungen des Schöpfers zu erfüllen.



    Die Begegnung der Religionen im Erzbistum Hamburg ist vorbildlich und hilft Grenzen und Vorurteile zu überwinden und so ein Zeichen zu setzen. Ich wünsche allen Muslimen eine segensreiche Zeit des Ramadan, Frieden und Gesundheit.



    + Stefan Heße

    Erzbischof von Hamburg
  • Auszug aus Predigt zur Priesterweihe von Diakon Ferdinand Moskopf / Hamburg / 23. 05. 2015
    Die Aufgaben des Priesters sind sehr vielfältig. Das Berufsbild ist bunt, interessant. Es ist umfas-send, ganzheitlich. Die Stellenausschreibung für einen Priester gerät lang – manchmal so lang, dass sie überfordernd wirken kann.



    Vieles davon hat unser Weihekandidat in seinem Diakonatspraktikum in Schwerin erfahren. Nach den Jahren des Studiums scheint ihm das richtig gut getan zu haben. Denn er sagt: „Schöner als in Schwerin kann es im Himmel nicht sein.“ (Warten Sie ruhig mal ab!)

    Alles Mögliche haben Sie dort erlebt: Jugendarbeit, die Schule, die religiöse Kinderwoche, den Gottesdienst, Jugendfreizeiten, Krankenbesuche, Predigtvorbereitung, die ersten Sakramenten-spendungen … Wenn man all das sich vor Augen führt, dann kann der priesterliche Dienst gera-dezu zersplittern. Da kann er sich in ein Vielerlei verlieren. Zur Identität kommt das priesterliche Leben dann, wenn es eine Mitte hat. Es braucht einen „roten Faden“. Es braucht so etwas wie einen Ruhepunkt, von dem alles seinen Ausgang nimmt.



    1. Freund



    Einen solchen Ruhepunkt haben Sie ins Auge gefasst in dem heutigen Evangelium, das Sie sich selber gewünscht haben: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; ich nenne euch Freunde“. Dieses Wort spricht nicht von den Aufgaben, von den Erwartungen oder der Verantwortung. Ein Freund hat nicht nur Interesse an dem, was man tut, sondern vor allen Dingen, an dem, was man ist und wie es einem geht. Freundschaft lebt davon, dass Freunde sich begegnen, aneinander denken und miteinander sprechen. Sie müssen sich austauschen. Sie wollen das Beste füreinander. Bei einem Freund kann man sich ausru-hen. Man kann sein Herz ausschütten und sich Luft machen. Dort findet man Verständnis und neuen Mut, Anerkennung. Von einem Freund nimmt man Rat und auch Korrektur an.

    Priester sein heißt zu allererst Freund Jesu Christi zu sein. So wie Jesus Christus immer in der Beziehung zu seinem Vater lebte, und sein ganzes Wirken darin aufging, diese Bezie-hung uns Menschen lebendig zu vermitteln, so soll der Priester in der Beziehung zu Chris-tus leben. Und das genau bedeutet es, Freund Jesu Christi zu sein.

    Gleich, wenn Sie geweiht worden sein werden, wenn Sie bereits die Paramente des Pries-ters angelegt haben, Ihre Hände gesalbt sind, und Sie die Gaben von Brot und Wein emp-fangen haben, folgt gleichsam als Abschluss der Priesterweihe die Umarmung des Neupriesters. Und dabei könnte die Schola den Gesang anstimmen „Jetzt seid ihr nicht mehr Knechte – ihr seid Freunde“. Der Ritus sieht das so vor. Zum Priester geweiht zu werden, heißt also Freund Jesu Christi zu sein und zu bleiben.



    2. Dornbusch



    Freunde haben keine Geheimnisse voreinander. Sie teilen alles einander mit und vertrauen aufeinander. Deswegen finde ich es wunderbar, dass Sie mit der alttestamentlichen Le-sung aus dem Buch Exodus – und hier wird uns allen deutlich, dass das Alte Testament für uns Christen unverzichtbar und ein wahrer Schatz ist –eine der Schlüsselstellen aus dem Alten Testament ausgewählt. Mose darf die Offenbarung Gottes erfahren, die Nähe Got-tes, das Feuer, den lebendige Gott, das Leben Gottes schlechthin: „Ich bin der Gott Abra-hams …“

    Ich hoffe, dass dieser brennende Dornbusch stets mit Ihnen zieht. Respektive: Dass Sie mit diesem brennenden Dornbusch durch Ihr Leben ziehen. Und dass Sie so immer wieder heiligen Boden unter den Füßen haben (Nicht nur in Schwerin!). Vielleicht kommt Ihnen Papst Johannes Paul II. in den Sinn, der immer, wenn er ein neues Land betrat, beim Aus-steigen aus dem Flugzeug zuerst die Erde geküsst hat, weil er wusste: auch dieser Land-strich ist Gottes heiliger Boden. Denken Sie daran, wenn Sie in der stillen Betrachtung auf die Knie gehen und mit Ihren Knien die Erde berühren. Sie haben heiligen Boden unter den Füßen, und Gott will Ihnen im brennenden Dornbusch nahe sein.

    Vielleicht hilft Ihnen dann ein kleines Gebet des langjährigen Generaloberen der Jesuiten weiter, Pedro Arrupe. Sie haben ja bei Jesuiten in Frankfurt St. Georgen studiert. „Lass dein Licht für mich sein, was der brennende Dornbusch für Moses, die Vision vor Damas-kus für Paulus, der Cardoner für Ignatius gewesen sind. Ein Anruf aufzubrechen auf einen Weg, der dunkel sein mag, der sich aber vor mir auftun wird, wie es Ignatius widerfuhr als er ihm folgte“.



    3. Das Tun



    Damit sind wir jetzt wirklich bei Ihrem zukünftigen Dienst angelangt. Aus dieser Identität des Freundes, die immer wieder gespeist wird in der Begegnung mit dem brennenden Dornbusch, so dass Sie selber immer wieder neues Feuer fangen, können sie herausge-hen und Ihren Dienst tun. Das, was heute hier beginnt und was in der Priesterweihe grundgelegt wird, das müssen Sie jeden Tag aktualisieren. Fangen Sie jeden Tag im Gebet, fangen Sie jeden Tag in der Freundschaft mit Jesus an und verrichten dann Ihr Tagewerk, wo immer es Sie auch hinführt. Dann können Sie wirklich ein „guter Verwalter der Gnade, der vielfältigen Gnade Gottes sein“. Dann werden Sie ganz gewiss in der Spur Jesu blei-ben. Sie werden seine Freundschaft und sein Feuer zu den Menschen bringen. Und das werden die Menschen spüren. Dann werden nämlich alle Ihre Aktivitäten von diesem in-neren Geist und von dieser Freundschaft durchdrungen sein. Erst so gewinnt all Ihr Tun Tiefe, Substanz und Transzendenz. Auf diese Weise werden Sie davor gefeit sein, dass sich Ihr Dienst in ein Vielerlei verliert. Sie werden mit dem Grund ihrer Berufung in Berüh-rung bleiben und so ein authentischer Priester sein können – einer, der dem Priester Jesus Christus entspricht. Dann werden um Sie herum viele Freunde und Freundinnen Gottes sein. Vielleicht wird es den einen oder anderen geben, der als Priester oder Diakon diese Freundschaft zu leben versucht oder in einer Ordensgemeinschaft.
  • Predigt bei der Ökumenischen Andacht zur Gedenkfeier anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegsendes / St. Marien, Lübeck / 04. 05. 2015
    Es gilt das gesprochene Wort





    Lesungstext: 1.Thess. 5, 2-11



    Liebe Schwestern und Brüder,



    „Gott hat mit mächtiger Sprache geredet – die Lübecker werden wieder lernen zu beten“.

    Diese Worte stammen von Pastor Karl Friedrich Stellbrink. Er sprach sie bei einer Predigt am 29. März 1942, einen Tag nach einem verheerenden Luftangriff auf die Stadt Lübeck. Als Reaktion auf die Predigt wurde Pastor Stellbrink von der Gestapo festgenommen. Seine Worte stehen am Beginn der Prozesswelle gegen den lutherischen Pastor und die drei katholischen Kapläne Hermann Lange, Eduard Müller und Johan